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Valentine - überarbeitet

Kaiba im Wald
von

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Kapitel 3.2.2 – Similar familiar families

Kapitel 3.2.2 – Similar familiar families
 

So, nächstes Kapitel. Auch wenn es paradox klingt, die Geschichte mit Kaibas Eltern hat mir sehr viel Spaß gemacht, weil ich mal ein bisschen fantasieren konnte. Im Gegensatz dazu war der Tod von Bakus Mutter und Schwester schon schwerer ... legt lieber eine Packung Taschentücher in eure Nähe! Ansonsten ... danke ich allen treuen Lesern, es macht immer Mut zu lesen, dass das, was man macht, anderen gefällt... Und Yami Bakura taucht auf - war scheen, mal so richtig umgangssprachlich und fies zu schreiben :-D
 

Viel Spaß beim Lesen!
 

Ich weis nicht warum, aber ich hatte erwartet, dass du irgendetwas sagen würdest. So etwas wie Tut mir leid!, oder Schade!, vielleicht auch Pech gehabt!, aber dem war nicht so. Stattdessen spürte ich deinen Kopf auf meiner Brust. Mein Hemd wurde feucht. Ein leises Schniefen und Schluchzen durchzog die Stille der Nacht. Du hattest deine Arme um meinen Oberkörper gelegt, als wolltest du mich festhalten. Als wolltest du mich beschützen. Als wolltest du mir beistehen bei dem, was durch die Tür kam, die du selbst unabsichtlich geöffnet hattest. Ich spürte deine Berührungen, und sie waren warm. Sie waren einfach da. Sie existierten. Sie waren wirklich da. Und sie waren wirklich warm. Ich fühlte etwas, was man Geborgenheit nennen konnte. Dass du eigentlich ein Fremder warst, realisierte ich nicht. Ich bemerkte nur meine Erinnerungen, die nach so langer Zeit in der Dunkelheit endlich wieder ins Licht strömten, und das wohlige Gefühl, das sie untermalte.

Wie in Trance erzählte ich weiter:
 

„Meine Eltern waren Spieledesigner. Sie haben in einer großen Firma gearbeitet und für ihren Beruf gelebt. Tag und Nacht haben sie gearbeitet, wenn der Abgabetermin für ein neues Projekt wieder näher rückte. Es gab im Grunde nur zwei Prioritäten in ihrem Leben: ihre Arbeit und uns. Sie hatten wenige Freunde, gingen selten weg, auch zu Firmenfeiern nur widerwillig, aus Zeitmangel, aber wenn es um mich und Mokuba ging, dann taten sie alles. Sie wollten, dass wir beide glücklich werden. Sie wollten gute, intelligente, menschliche Menschen aus uns machen. Sie hatten ihr bis dahin mögliches Lebensziel erreicht, und es war ihnen egal, ob unseres genauso aussah. Sie wollten, dass wir das ausprobieren, was uns Spaß macht, sie haben uns unterstützt bei allem, was wir taten. Als Mokuba, als er noch ganz klein war, für Tiere schwärmte, sind wir jeden Tag hinausgegangen, in den Zoo, oder in den Wald, oder auch nur in den Garten, und haben uns die Ameisen, Bienen, Elefanten angesehen. Meine Mutter fand das sehr interessant. An einem Sonntag haben Mokuba und sie den ganzen Tag mit der Lupe im Garten gesessen und jedes Tier beobachtet, das sie finden konnten. Das ging solange gut, bis Mokuba eine Biene genauer betrachten wollte. Er dachte, Bienen seien nett und freundlich, aber diese Biene war es wahrscheinlich nicht. Sie stach ihn und Mokuba schrie so laut, dass man es bis hinunter in die Stadt hören konnte. Meine Mutter holte einen Eisbeutel und legte ihn meinem Bruder auf die schmerzende Stelle. Er weinte immer noch, doch nachdem meine Mutter angefangen hatte zu singen „Heile, heile, Segen …“, lachte er laut. Und auf einmal strahlten die beiden. Ich sah das alles von meinem Zimmer aus, in das ich mich zum Lesen zurückgezogen hatte. Seit ich zählen konnte, interessierte ich mich für Mathematik. Wie viele Grashalme wuchsen wohl in unserem Garten? Wie hoch war die Bienengiftkonzentration in Mokubas Blut? Und wie lange würde es dauern, bis der Krankenwagen da war? Ich glaube, ich war für mein Alter doch sehr intelligent, aber das störte meine Eltern nicht. Ich ging mit meinem Vater sogar in das Mathe-Museum, wo mathematische Phänomene, Probleme, aber auch Instrumente vorgestellt werden. Mein Vater und ich haben damals eine kleine Wette abgeschlossen: an bestimmten Stellen sind Fragen für Kinder und Erwachsene notiert, die man beantworten muss. Mein Vater wettete, dass ich es niemals schaffen würde, alle Fragen zu beantworten und dabei schneller zu sein als er. Wir trennten uns am Eingang und wollten uns am Ausgang wieder treffen. Nach einer halben Stunde stand ich da und wartete. Doch mein Vater kam erst fünfzehn Minuten später. Ich hatte gewonnen. Vielleicht hatte er auch gemogelt, ich weis es nicht. Jedenfalls saßen wir kurze Zeit später in einer Eisdiele und aßen gemütlich. Ich aß gern …Schokolade. Dieser leicht bittere Nachgeschmack faszinierte mich. Heute esse ich nur noch selten Eis, meistens auf Firmenfeiern. Es ist Kinderkram und gesundheitsschädlich, denke ich. Das schönste Erlebnis geschah ein paar Wochen vor ihrem Tod. Es war eines Nachts, ich konnte nicht schlafen. Also ging ich zu meinem Vater, der gerade in seinem Arbeitszimmer an dem neusten Computerspiel arbeitete. Es sollte das tollste und beste Spiel der Welt werden, monatelang hatten meine Eltern getüftelt, aber irgendetwas funktionierte nicht. Schon seit Tagen suchten meine Eltern nach dem Fehler im Programmcode, nach der Nadel im Heuhaufen. So auch an diesem Abend. Ich ging in das Zimmer und fragte: „Kann ich helfen?“, doch mein Vater sagte gütig: „Nein Seto, dafür bist du noch zu klein. Du bist so clever, aber wenn nicht mal ich den Fehler finde, wie sollst du es dann tun?“ Doch ich akzeptierte schon damals keine Widerrede und setzte mich auf seinen Schoß. Gemeinsam suchten wir, und suchten, bis wir irgendwann einschliefen. Ich bemerkte nur im Halbschlaf, wie meine Mutter kam und uns beide zudeckte und uns einen Kuss gab. Am nächsten Morgen erwachte ich. Der Bildschirm war immer noch an. Und auf einmal fiel mir etwas auf. Da fehlte etwas … ein Zeichen! Ein simples Zeichen! Ein kleines, simples Zeichen war die Ursache! Ich weckte meinen Vater: „Papa, Papa, aufwachen!“ Ich musste kräftig rütteln, wenn er schlief, dann schlief er, aber irgendwann wachte er auf. Ich zeigte mit dem Finger auf die Stelle und die Augen meines Vaters wurden sehr groß. Er fing an zu lachen. Immer lauter. Ganz laut. „Seto, wir haben es!“, rief er. Wir hüpften im ganzen Zimmer herum, und nach einer Weile kamen auch Mokuba und Mama hinzu. Es kommt mir heute so lächerlich vor, aber diese Momente, in denen wir gemeinsam jubelten, verbinde ich mit einer sehr positiven, warmen Erinnerung.
 

Aber das ist vorbei.“
 

So oder so etwas ähnliches habe ich gesagt. Ich weis es nicht mehr so genau. Die Tränen flossen mir jedenfalls aus den Augen, und während ich versuchte, meine Trauer zu verstecken, drang dein Schluchzen durch die ganze Nacht. Ich nahm meine Hand und streichelte dir vorsichtig über das Haar. „Es ist vorbei“, sagte ich leise, „Es ist vorbei. Es ist vorbei.“, immer wieder, sowohl zu mir selbst als auch zu dir. Ja, es ist vorbei. Die schönen Zeiten sind vorbei. Das Lächeln meiner Mama. Es ist vorbei. Die Nickelbrille meines Vaters, die er fast nie aufsetzte. Es ist vorbei. Der Weichspüler, den meine Mama immer benutzte, und der nach Lavendel duftete. Vorbei. Das Chaos auf Papas Schreibtisch, über das sich Mama immer aufregte. Vorbei. Die Fröhlichkeit unserer Villa, die weiten Felder, über die ich mit Mokuba stundenlang tobte. Vorbei. Vorbei, Vorbei, Vorbei!

Vorbei, Vorbei, Vorbei, ein tiefer Unterton kam zu meiner relativ hellen Stimme hinzu. Vorbei, Vorbei, Vorbei.

Nach einer Weile fragte ich: „Ist alles in Ordnung?“, doch du antwortetest nicht, und weinest stattdessen weiter. Meine Hand glitt weiter über dein Haar, und ich stellte fest, dass es gar nicht so voluminös war, wie es immer schien. Es war fein und wirkte anscheinend nur durch die leichte Naturwelle so breit. Komisch, dachte ich. Und so lagen wir da. Bis du irgendwann sagtest: „Du hast doch gesagt, es ist alles vorbei. Ja, es ist leider alles vorbei. Alles vorbei…“

„Was ist mit dir?“, fragte ich erneut und fuhr mit dem Zeigefinger der anderen Hand vorsichtig unter dein Kinn, damit ich dir in die Augen sehen und sicherstellen konnte, dass du mir auch antwortest, „Das mit meiner Familie ist traurig, aber ich habe es überlebt, du musst nicht weinen!“

„Wenn ich nur wegen dir heulen würde, wäre ich wohl ziemlich schnell fertig, nein, das war ein Scherz“, sagtest du, und der kleine Luftstoß auf meiner Brust lies mich fühlen, dass du lachen musstest, „Ironie ist ein guter Helfer, um mit den schlimmen Dingen des Lebens fertig zu werden. Mal im Ernst: wenn ich dir erzählen würde, warum ich heulen muss, liegen wir beide vermutlich morgen Früh vertrocknet auf der Wiese.“

„Na und?“, sagte ich.

„Ist dir dein Leben nicht wichtig?“, fragtest du auf einmal.

„Ich weis zwar nicht, wie du darauf kommst, aber ich bin realistisch: unsere Tränensäcke haben nur ein begrenztes Volumen, zu einem bestimmten Zeitpunkt werden wir nicht mehr weinen können, auch wenn wir es gerne wollten.“, erklärte ich.

„Und wenn du das nicht wüsstest, wenn du einfach die Wahl hättest zu sterben oder weiterleben, was würdest du tun?“

„Was würdest du?“, fragte ich, und meinte das nicht aus Ablenkung sondern wirklich aus Interesse.

„Meistens Leben, aber manchmal würde ich gerne sterben.“, sagtest du kurz.

„Aber warum?“

„Ich habe einfach keine Lust mehr. Meine Familie ist ausgelöscht, und meine Aufgabe erscheint mir manchmal so sinnlos. Ich würde es nie schaffen mich umzubringen, aber wenn die gute Fee käme…“

„So was könnte ich nicht! Erstens würde ich mein Firma NIEMALS Yami, diesem besserwisserischen Schleimer, überlassen. Außerdem könnte ich Mokuba nicht alleine lassen. Und meine Vergangenheit? Die habe ich verarbeitet. Es ist alles vorbei.“

„Genau, es ist alles vorbei. Aber verarbeiten und verdrängen ist nicht dasselbe.“, sagtest du ruhig.

„Verdrängen und hinterher trauern aber auch nicht.“, sagte ich scharf, und fügte dann hinzu: “Entschuldige bitte, aber Menschen, die im Selbstmitleid versinken, machen mich immer total wütend. Außerdem bist du doch gar nicht so allein …“

„Ist schon ok, ich schwimme gern im Selbstmitleid, wenn ich Zeit dazu habe“, sagtest mit einem ironischen Unterton und fügtest dann ernst hinzu: „Jetzt kommt es also doch raus. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht vorgewarnt. Ich bin tatsächlich völlig allein, meine Mutter und meine Schwester sind vor ein paar Jahren ebenfalls durch einen Autounfall gestorben.“

„Was?“, fragte ich verwundert.

Ich spürte, wie sich dein warmer Körper von meinem löste und du anscheinend aufstandest. Für eine Weile hörte ich nichts. Bis auf das feuchte Gras, das unter deinen Füßen quietschte und ein Fingerknacksen. Du knacktest jeden Finger einzeln durch. Eine gute Methode, um Leute nervös zu machen, für dich war es vielmehr dazu da, deine Nervosität loszuwerden, wie ich später feststellte. Dann hörte ich wieder das Schluchzen. Es war erst leise und wurde dann immer lauter. Und auch dazwischen variierte seine Lautstärke. Augenscheinlich liefst du im Kreis. Du sagtest nichts. Aus irgendeinem Grund stieg ein Gefühl in mir auf, das ich nicht definieren konnte. Es war kein Mitleid, sondern etwas anderes, ein Gleich-Gefühl. Ich verachtete dich nicht für deine Tränen, die ich normalerweise mit Schwäche assoziiere, sondern sie kamen mir ganz natürlich vor. Ich hatte auf einmal das dringende Bedürfnis mit dir mitzulaufen, mitzuweinen, auch wenn ich nicht weinen konnte, aber zumindest innerlich. Vielleicht dache ich, dass ich dir dieses warme Gefühl zurückgeben sollte. Aber ich unterließ es. Genauso wie ich es unterließ, dich aufzufordern, endlich weiterzureden, denn ich wusste, dass du es irgendwann tun würdest. Und nach einer Weile erzähltest du tatsächlich weiter:
 

„Es war an einem warmen Sommertag. Meine Schwester und meine Mutter waren zu ihrem Abiball gefahren. Ich lag leider mit einer Sommerrhinits und Fieber im Bett. War mein Glück. Oder doch besser mein Pech? Ich frage mich heute so oft, warum ich damals nicht mitgefahren bin, ich wollte es ja unbedingt! Ich wollte meine Schwester sehen, wie glücklich sie an ihrem schönsten Tag war! Sie sah so schön aus! Sie hatte ein langes, weinrotes Kleid mit einer golden, glitzernden Spirale an. Sie ging um ihren Hals und dann um den ganzen roten Stoff. Eine Blume schmückte ihr Haar, es war hochgesteckt. Schwarz, pechschwarz, wie Schneewittchen sah sie aus, nur, dass sie irgendwie immer ein goldener Hauch umwehte. Der sie letztendlich auch nicht schützen konnte, als ihr der Typ entgegenkam…“
 

Du machtest eine Pause, und auch wenn du versuchtest, deine Tränen zu unterdrücken, habe ich noch nie jemanden so weinen sehen, besser hören, und auch gefühlt, wie dich. Du warst ein Häufchen Elend, doch trotzdem wolltest du nicht aufgeben, mir deine ganze Geschichte zu erzählen. Du wischtest dir die Tränen weg und sie platschten ins Gras. Dann atmetest du dreimal tief durch und fuhrst fort:
 

„Ich erinnere mich noch sehr genau an diesen Abend. Ich lag gerade in meinem Zimmer, als sie zu mir kam, um sich von mir zu verabschieden. Sie trat in das Zimmer und fragte mich: ‚Wie geht es dir?’, und ich antwortete ihr: ‚So lala, aber wenn ich dich sehe, dann fühle ich mich toll. Du siehst so schön aus, ich glaube, wenn dich Kazuya so gesehen hätte, wäre er sofort mit dir gegangen!’ Kazuya, das war der Typ, in den sie verknallt war. Sah ganz nett aus, er war der Schulschönling, und weil arrogante Schulschönlinge immer mit ebenso arroganten Schulschönheiten ausgehen, hatte er ihre Bitte abgelehnt. Er hat sie einfach in den Müll geworfen. Aber meine Schwester hatte es verkraftet und sagte: ‚Hätte er nicht, Ryou, außerdem weist du doch, dass mein Herz nur dir gehört!’, sie lächelte und zog ein Foto von mir aus ihrer kleinen Handtasche. Sie wollte mich unbedingt auf dem Ball dabei haben, vielleicht hätte sie damals auch eine Videokonferenz oder so was geschaltet, wenn wir die Mittel gehabt hätten. Aber das hatten wir nicht, wir hatten nur uns. Mein Vater war nie da, er war immer auf Forschungsreisen oder in der Universität. Er hat für seinen Beruf gelebt, genau wie deine Eltern, und da sind eben seine Kinder zu kurz gekommen. Meine Mutter und meine Schwester teilten sich in beide Rollen hinein; sie waren meine engsten Vertrauten. Mit ihnen konnte ich über alles reden, meine Probleme, meine Wünsche, alles. Es war eben nicht einfach; mein Vater hat mit seinen Forschungsreisen nicht viel Geld verdient und er war nicht der Typ dafür sich zu vermarkten. Ihm waren Wahrheit und individuelles Streben wichtiger als Ruhm. Er hat nichts aufgebauscht, nicht aus jedem Steinchen eine Pyramide gemacht, so war er nun mal. Und meine Mutter hatte es mit ihrem Job auch nicht einfach: als Sekretärin oder Mädchen für alles, ist ja dasselbe, hat sie im Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Domino auch nicht die Masse verdient. Der Beruf hat ihr Spaß gemacht, sie hatte was das betrifft ein erfülltes Leben, sie hatte ein schönes Leben, aus dem sie dieser Typ einfach rausgerissen hat. Ich stelle mir ihre Fahrt heute immer noch vor: wie sie im Auto sitzen und gerade darüber diskutieren, was sie morgen kochen würden. Meine Mutter hat gerne gekocht, sie beherrschte alles: vom klassisches Schweinebraten über chinesische Pfannengerichte bis hin zur Molekularküche. Sie war sehr experimentierfreudig, hat alles ausprobiert, nie exakt nach Rezept gekocht, aber es hat trotzdem immer geschmeckt. Das hat sie mir mitgegeben: ich kann vieles kochen, vielleicht hätte ich sogar eine Ausbildung gemacht. Aber seit dem Unfall rühre ich keine Kochtöpfe an, nur, wenn es wirklich nötig ist. Tiefkühlpizza und Dosensuppen gibt es heute genug, davon kann man gut leben. Ich schaffe es einfach nicht. Naja, sie reden über das Essen und plötzlich sehen sie einen Scheinwerfer. Sie schreien, meine Mutter versucht zu bremsen, aber es ist aussichtslos. Dann knallt es, sie leiden ein paar Minuten bis alles vorbei ist. Ihre Schmerzen, ihre Angst. Ihr Leben. Die Polizei hat es später so rekonstruiert: in einer Samstagnacht, um ca. ein Uhr kommt ein ungefähr 20-jähriger Mann mit seinen Freuden auf gerader Strecke durch einen kurzen Sommerregen ins Schleudern und knallt erst gegen die Leitplanke und dann gegen ein entgegenkommendes Auto. Dieses wird wiederum gegen einen Baum geschleudert, beide Insassinnen lebensgefährlich verletzt, sie sterben noch am Unfallort. Beim Fahrer des Unfallwagens wurde später ein Blutalkohol von 1,8 Promille festgestellt, er und die anderen Insassen kamen mit Knochenbrüchen, ein paar Prellungen und Schürfwunden sowie Schädel-Hirn-Trauma davon. Die Tageszeitung hat ihm am nächsten Tag eine halbe Seite gewidmet und zum x-ten Mal auf die Gefahren betrunkener Jugendlicher hingewiesen. Aber nicht auf die Opfer. Warum auch? Scheiß auf die Toten, rette die Lebenden! Es leben die Idioten, es sterben die Törichten! Klar! Warum? Warum hat es nicht ihn getroffen, es wäre eine gerechte Strafe gewesen! Warum mussten diese unschuldigen Menschen sterben?! Sie hatte doch nichts, gar nichts, sie hatten nichtmal einen Grund zum Sterben! Meine Mutter war bei ihren Kollegen beliebt, wollte am Montag wieder an die Arbeit, und meine Schwester war so glücklich, dass sie den ganzen Stress nun hinter sich hatte, sie wollte noch ein paar Wochen ausspannen und dann ihr Studium beginnen! Sie haben sich in ihrem ganzen Leben keinen einzigen Fehler geleistet und sollen nun für den x-ten eines anderen büßen! Das kann doch nicht sein!!!“, schriest du wütend. Du warst aufgestanden und liefst offensichtlich sehr schnell hin und her, das Gras knackte komisch und deine Tränen prasselten darauf, als zöge ein Unwetter vorüber. Dabei war es eine sternklare Nacht.

„Naja“, fuhrst du fort und deine Stimme klang irgendwie anders, „Aber diese Gedanken kamen erst später, ich hatte gar keine Zeit um nachzudenken, ich musste die Beerdigung organisieren. Eine Woche später fand sie statt. Aber ich weis nicht viel davon, ich war wie in Trance. Ich weis nur noch, dass die Särge in einer kleinen Kapelle mit einem bunten Bleiglasfenster aufgebahrt wurden. Ein heller Schein schien hindurch, er erinnerte mich an einen Regenbogen. Dann hielt jeder, der etwas sagen wollte, eine kleine Rede, nur kein Geistlicher, so waren sie nicht. Danach wurden die Särge zu ihrem Grab gebracht, angeführt von mir. Es waren sehr viele Leute da, die halbe Universität, alle ihre Schulkameraden, einige Verwandte, die sich wieder einschleimen wollten und mir ihr heuchlerisches Beileid bekundeten, und auch Kazuya, der Typ, in den sie verliebt war und der sie abgewiesen hatte. Ich erinnere mich, dass er nach der Beerdigung, bei der jeder meinen beiden etwas ins Grab geworfen hatte, was sie mit ins Jenseits nehmen sollten, dass er danach zu mir kam und sagte: „Sorry, dass ich deine Schwester enttäuscht habe.“ Ich war wie gelähmt vor Trauer und konnte nichts antworten außer „Danke.“ Aber danach war ich sehr wütend auf ihn: Wie konnte er nur so etwas sagen, er kannte sie doch gar nicht! Hatte er es sich jetzt womöglich doch anders überlegt, war ihm meine Schwester auf einmal wichtiger als die Schulschönheit? Jetzt, wo sie tot war? Wahrscheinlich sagte er das nur, weil sie eben tot war! Er hat doch keine Ahnung! Und überhaupt: meinte er nicht, dass ich im Moment nix besseres zu tun habe als seinem Gebabbel zuzuhören? Denkt er, er ist der einzige, der um sie trauert, nur weil er der Schulschönling ist?! Er kann nichts dafür, er hat kein Recht, so etwas zu sagen! Ich bin schuld, ich sollte um Vergebung bitten, ich hätte mitfahren sollen, vielleicht hätte ich etwas tun können! Und wenn nicht, so wäre ich wenigstens auch gestorben! So ein Mist! Warum musste mich diese blöde Erklärung ausschalten? Warum habe ich sie nicht angerufen? Es war doch angekündigt! Hätte ich sie vorgewarnt, dann wären sie früher losgefahren, dann wäre ihnen der Autofahrer nicht einmal begegnet! ES IST ALLES MEINE SCHULD!“, der letzte Satz entfuhr dir wie ein furchteinflößender Schrei und für ein kurze Zeit war alles still. Die Tränen hörten auf zu platschen, das Gras sagte keinen Ton, selbst dein Atmen war kaum zu vernehmen. Dann hörte ich auf einmal eine Stimme. Sie war fremd und kam mir trotzdem bekannt vor. Sie klang wie du, nur wesentlich tiefer:

„Jetzt hör endlich mal auf, dein Geheule geht mir sowas von auf die Nerven! Wann kapierst du es endlich: es war ein Unfall, es war von den Göttern so vorherbestimmt, wie oft soll ich dir das noch sagen! Denkst du vom Rumheulen werden sie wieder lebendig? Es ist jetzt schon fünf Jahre her, langsam solltest die Welt akzeptieren wie sie ist, Ryou! Wir haben deswegen schon so viel Zeit verloren!“

„Bakura?“, fragte ich verwirrt in die Dunkelheit.

„Steht vor dir, was willst du?“, fragte mich die Stimme.

„Nein, du bist nicht Bakura! Bakura war verzweifelt, er war – verhältnismäßig – freundlich, du bist es eher nicht, also: Wo ist er?“, fragte ich fordernd.

„Habe ich doch gerade gesagt: ich bin Bakura, oder der Weiße König, und was viel wichtiger ist: du bist unser Opfer, was erstens bedeutet, dass du uns sofort dein Handy gibst und zweitens dass dich das nichts angeht!“, sagte die Stimme hart.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich, Seto Kaiba, in mich von so eine Dillettantendieb wie dir beklauen lasse!“, fiel ich wieder in mein altes Ich zurück, „Bakura hat es gestern nicht geschafft also wirst du es heute erst recht nicht können!“, erklärte ich kühl.

„Es ist zwar unwichtig, aber nur der Form halber: Hast du vorhin nicht gesagt, ich könne es haben?“

„Das habe ich zu Bakura gesagt und nicht zu so einem arroganten Angeber wie dir. Woher weißt du überhaupt davon?!“, rief ich.

„Weil ich - welch Zufall - da war?“, sagte die Stimme spöttisch.

„Du warst nicht da, das hätte ich gesehen!“

„Och nee, also müssen wir es doch aufklären. Ryou, willst du das machen? Ryou? Ryou?! Wo bist du? Ryou, komm raus aus deiner Ecke! Toll, jetzt hat er sich wieder verkrochen! Und nachher regt er sich dann wieder über das auf, was ich gemacht hab! Och Ryou! Komm schon!“, sagte die Stimme mehr zu sich selbst.

„Wer ist Ryou?“, wunderte ich mich. Der Name war mir schon in Bakuras Erzählung öfter aufgefallen…

„Also, ich sag dir jetzt mal was Sache ist:“, begann die Stimme, „Bakuras Seele ist geteilt.“

„Was?“, fragte ich verwundert.

„In diesem Körper hier, mit den weißen Haaren und dem mittelgroßen Du-weiß-schon-was und den Füßen in Schuhgröße 41 und so weiter, leben zwei Seelen. Seele eins ist Ryou Bakura, der Typ, der dir gestern und heute eine Besuch abgestattet hat und den du Bakura nennst. Er gehört ursprünglich her rein, er gehört von Geburt an zu diesem Körper, er hat seine Mutter und seine Schwester verloren. Seele zwei bin ich, Yami Bakura, ein ziemlich alter Geist, der schon seit Jahrtausenden in die verschiedensten Körper schlüpft um seine Mission zu erfüllen. Meistens ohne dass meine Opfer etwas davon wissen, aber mit Ryou habe ich einen Kompromiss geschlossen: er erfüllt meine Mission, dafür hat er die Oberhand, ich melde mich nur in Notfällen zu Wort, wie jetzt, wenn das Negative in Ryou die Oberhand hat. Sobald er total verzweifelt ist erscheine ich auf der Bildfläche um noch mehr Leid von ihm abzuwenden. So einfach ist das. Und im Moment hat sich Ryou in irgendeiner Ecke verkrochen und will nicht rauskommen.“, erläuterte die Stimme.

„Was?“, fragte ich erneut. Das war, glaube ich, das erste Mal, dass sich mein Wortschatz wenn auch nur kurzzeitig auf dieses eine Wort beschränkte.

„ ‚Was? Was willst du damit sagen’ Das sagen sie alle. Jeder, dem wir versucht haben, das zu verklickern. Dafür, dass du dich so wichtig nimmst, bist du ganz schön normal! Lass mich raten: Du glaubst mir nicht.“

„Nein, das tue ich tatsächlich nicht! Seelenwanderungen und dieser andere Esoterik-Kram sind doch nichts anderes als pure Geldverschwendung! Such dir jemand anderes dem du deine Lügen auftischen kannst und verschwinde!“, sagte ich trocken während ich mich wunderte, woher er meine Gedanken kannte.

„Würde ich ja gerne, aber ich kann nicht.“

„Komisch, das hat heute schon mal jemand zu mir gesagt. Aber laut meiner Erinnerung habe ich dir keine Frage zu beantworten!“

„Da hast du recht, aber Ryou hat sich in irgendeiner Ecke seines Geistes verkrochen und bemitleidet sich gerade selbst und hat keine Lust rauszukommen. Und solange er nicht da ist, kann ich nicht verwinden!“

„Dann zerr ihn eben mit Gewalt her!“

„Ich kann ihn aber nicht finden!“

„Das wird doch nicht so schwer sein, du hast doch einen Kopf und kein Labyrinth!“

„Irrtum, unser ganzer Geist ist ein Labyrinth. Unsere gesamte Seele ist darin verteilt. Die Erinnerungen, die wir verdrängt oder vergessen haben sind tief verworren, das aktuelle Zeug ist einfacher zu finden. Wahrscheinlich hängt er gerade bei den Erinnerungen an seine Mutter ab.“

„Wenn du weist wo er ist, dann kannst du ihn doch herholen!“

„Mach du es doch! Du bist doch an allem schuld! Bis jetzt hatte er immer nur kleine Aussetzer, die nicht so schlimm waren, aber diesmal ist es ernst, und das alles nur, weil du ihn an den Unfall erinnert hast!“

„Kann ich etwas dafür? Ich habe nur von meinen Eltern erzählt, er war es, der sich an seine erinnert hat!“

„Du denkst wohl nie über die Folgen nach, oder?“

„Oh doch, Yami Bakura, oder wer auch immer du bist, wenn ich nicht über die Konsequenzen nachdächte, hätte ich es wohl kaum soweit gebracht!“

„Im Beruf! Im Beruf! Toll! Wie wäre es, wenn du deine Mitmenschen auch mal so behandeln würdest?“

„Jeder ist für sich selbst verantwortlich! So ist das nunmal auf dieser Welt! Man kann sich von anderen Menschen kein Mitleid erwarten!“, sagte ich laut und das Paradoxe war, dass ich tief im Inneren genau das Gegenteil empfand.

„Und genau deswegen stehen wir hier! Ryou macht sich Selbstvorwürfe und keiner ist da, der sie ihm abnimmt, außer ich! Und ich habe langsam keine Bock mehr, mir dauernd dieses Gesülze anzuhören!“

„Du bist ein toller Freund, wirklich!“

„Dass ausgerechnet DU dieses Wort in den Mund nimmst! Und außerdem: wir sind keine Freunde, nur eine Zweckgemeinschaft!“

„Zweckgemeinschaft oder WG, ist mir doch egal, Hauptsache du verschwindest endlich!“

„Ja, das tue ich jetzt wirklich, es ist mitten in der Nacht, ich habe besseres zu tun, als mich mit so einem Idioten wie dir abzugeben! Adios!“, sagte die Stimme genervt und verstummte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  -Amalthea-
2009-05-11T12:31:04+00:00 11.05.2009 14:31
Eine zweigeteilte Persönlichkeit, das wird sehr interessant... ^^
Aber einiges verwirrt mich: ich bezweifle, dass man das Platschen von Tränen hören kann, ich habe so was zumindest noch nie gehört :-)
Und ein paar kleinere Fehler, z.B. war statt "verwinden" bestimmt "verschwinden" gemeint.
Aber schreib weiter ^^
Von:  Varlet
2009-05-09T19:28:38+00:00 09.05.2009 21:28
Taschentücher? Hba ich gerade nicht zur Hand. Ich hoffe aber, du versprichst nicht zu viel. Ich bin sehr nah am Wasser gebaut und hoffe, dass dann bei mir irgendeine Regung dazu kommt^^.

Also ich finde es schon schön, wie du die ganzen Sachen mit Kaiba beschreibst, man kann sich seine Jugend wirklich sehr schön vorstellen, das finde ich doch schon mal recht gut.

Bei Bakura hab ich mich gerade gewundert, das Ryou kam, irgendwie war der Name mir nicht so gängig, aber das ist ja egal, ich wusste dnan letzen Endes doch, wer gemeint war.

Oh ha, nun hat Bakura mit dem Geist des...öh...Ringes getauscht? Hat er den Ring noch oder eher nicht? Naja egal, das hat mich irgendwie an das Puzzle erinnert, so wie es als Labyrinth war und man nicht wusste, wo man hin musste. Ich hab mir das irgendwie so vorgestellt, dass Bakura einfahc los lief un dsich selbst Yami Bakura dort verirrte. Irgendwie eine lustige Vorstellung. Und auch, wie du das beschrieben hast, war gut.



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