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A Dreamless Carroll

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A Dreamless Carroll

A Dreamless Carroll
 

„Ist hier noch frei?“, hörte ich eine unbekannte Stimme sagen. Sie klang fröhlich, vielleicht etwas flippig und kam vom anderen Ende des Tisches, an dem ich gerade saß und in der Cosmo vertieft meinen Kaffee trank. „Ja.“, antwortete ich gedankenverloren und hoffte, dass sich diese Person möglichst leise und unauffällig hinsetzte und mich weiter lesen lies. Doch dem war nicht so: „Wirklich?“, rief sie freudig. Ihre Stimme war so hoch, dass ich Angst hatte, meine Tasse würde auf der Stelle zerspringen, und so süßlich, dass ich den Geschmack von Griesbrei auf der Zunge fühlte und aufsehen musste. Da sie vor mir stand, blickte ich einmal von unten nach oben und die Kinnlade wäre mir wahrscheinlich schmerzhaft auf meine Füße gefallen, wenn sie nicht fest und sicher mit meinem Oberkiefer verankert wäre. WOW!, sagte ich und mir blieb für einen Moment die Luft weg. Ich nahm meine Brille ab, putzte die Gläser und setzte sie wieder auf. Und was ich sah, raubte mir immer noch jeden Atem: da stand sie nun, perfekt und schön, als hätte sie ein göttliches Wesen geschaffen. Sie trug hohe, goldene Schuhe, die ihre scheinbar endlos langen Beine noch länger aussehen ließen, und einen kur-zen Rock, der ein paar Zentimeter über dem Knie endete und durch seine blaue Farbe per-fekt mit den gülden lackierten Fußnägeln harmonierte. Der Atem stockte mir, doch ich be-trachtete sie weiter. Ihre schlanke Taille hatte sie mit einem roten Gürtel betont und das e-benso rote Shirt mit Wasserfallauschnitt und tiefem Rückendekolletee betonte ihre Oberweite vollkommen. An ihrem rechten Handgelenk baumelte ein buntes Perlenarmband, das mei-nen Blick weiter über die glänzend goldenen Ringe zu den ebenso gülden lackierten Finger-nägeln leitete. Um ihren Hals trug sie eine von Gold durchzogene Blumenranke aus Rubinen, Saphiren und anderen Edelsteinen, perfekt betont durch ihre natürlich-blonden, hochge-steckten Haare. Ihre blauen Augen waren mit schwarzem Kajal hervorgehoben und auf ihren Lippen schimmerte ein kräftiges, aber nicht zu knalliges Rot. Und das alles, ihre perfekten Kör-performen, 90-60-90, Cup 85B, 1,79 m groß, gekrönt von einem Lächeln, mit dem sie wahr-scheinlich alle Männer becircen und selbst den traurigsten Menschen glücklich machen wür-de. Da ich gerade einen Artikel über Amy Winehouse las, glaube ich sogar für einen Moment, sie könne diese auch von ihrer Drogensucht heilen. Und da stand sie nun, obwohl sie hätte jeden fragen können, ausgerechnet vor meinem Tisch. Ich war fasziniert und so in Gedanken, dass ich gar nicht merkte, wie sie sich mir gegenüber setzte. Erst nachdem sie mich erneut mit einem „Hallo!“ begrüßt hatte, erwachte ich aus meiner Lethargie und stotterte: „Äh .. ja … sicher können Sie sich setzen…“. Ich wurde rot wie eine Tomate und starrte krampfhaft auf meine Zeitung. So ein göttliches Wesen, das mir bei jedem Anblick den Atem raubte, saß vor mir – ich konnte sie nicht ansehen, sie war zu perfekt, zu schön, um ihr auch nur für einen Au-genblick in die Augen zu schauen. Ich spürte ihr Lächeln auf meinen Schultern, in meinem ganzen Körper, diese Erhabenheit und Sicherheit. Schließlich fragte ich schüchtern: „Äh .. entschuldigung, aber wer sind Sie? Ein Model, eine Schauspielerin, eine Moderatorin?“ Jede andere wäre mich wohl hysterisch angefallen, was mir denn einfalle, sie mitten in der Öffent-lichkeit anzusprechen, aber sie antwortete mit ihrer engelsklaren Stimme gütig:

„Oh, ich bin vieles. Ich habe mit 15 mit dem Modeln angefangen und arbeite seitdem für Gutschi, Brada, Yves Saint Lorong, Dolche & Gabanen, Valentine. Du glaubst gar nicht, wie man dabei herum kommt: Ich war schon in New York, Los Angeles, San Francisco, Paris, Mos-kau, Mailand, Madrid, Lissabon, Prag und Tokio, ja Tokio, dort war es schön! Und meine Bilder erst, warte ich zeige sie dir!“, sie kramte in ihrer Gucci-Handtasche in Form eines Eifelturms und zog eine große Mappe heraus. Ich schaute mir die Bilder an und war erstaunt: sie war schon in jeder erdenklichen Pose, Kleidung, Atmosphäre fotografiert worden, mal als elegante Lady im Pelzmantel, mal mit unschuldigem Blick im Sommerkleidchen, mal sportlich in der Ein-kaufsmeile schlendernd, sogar fast nackt in schwarz –weiß, verletzlich, hatte man sie abge-lichtet. Allein die Frisuren, Make-ups, Kleidungsstücke, Hintergründe waren so vielfältig, dass man all das gar nicht in seinem ganzen Leben ausprobieren konnte. „Toll!“, sagte ich, „Wirk-lich toll!“, und warf einen flüchtigen Blick auf meine langen Zotteln, die ich nur mühselig mit einem Haargummi bändigen konnte. „Ja, ist es. Und neben dem Modeln bin ich auch Schau-spielerin. Ich habe schon in ganz vielen Filmen mitgespielt – Transformatoren, Shakespeare in Love, Indiana Johannes, Schiller, Goethe, Lessing, Flucht in die Karibik, Kick it like Bäckhäm, Moulin Rouge … Gerade bin ich mit den Dreharbeiten für Den Vorleser beschäftigt und da-nach geht es weiter zum vierten Teil von Speidermann, und ganz nebenbei spiele ich NOCH eine Hauptrolle in der Serie CSI-Dresden und – jetzt hör genau zu – ich spiele in der nächsten Staffel von Emergency Hall mit!!! Bald werde ich neben meinen großen Vorbildern vor der Kamera stehen – ist das nicht toll?!!!“, sie freute sich wie ein kleines Kind und ihr Lachen war so laut, dass man es im ganzen Café hören konnte. „Ja, wirklich!“, sagte ich und freute mich mit ihr. „Aber das ist noch nicht alles: ich moderiere nebenbei noch Saxonys Next Topmodel, Wer wird Euronär, Galiläio, Wissen macht Beh!, sowie DSDS mit meinem Kollegen BrandNew Pitt. „

„Mit BrandNew Pitt?!“, fragte ich begeistert und wenn meine Kinnlade nicht schon auf mei-nen .. naja .. nicht so toll gepflegten Füßen gelegen hätte, dann wäre sie sicher dorthin gefal-len, so erstaunt war ich. Doch sie war noch nicht fertig „Ja, du hast richtig gehört. Und ganz nebenbei schreibe ich noch für die Times, den Spiegel, den Focus, die Washington Post, die Cosmo, die Young, Bravo, Mädchen und die Cicero. Das ist manchmal echt anstrengend, man darf nie aufgeben und sich von nichts und niemandem einschüchtern lassen. Ich erinne-re mich noch gut an den Artikel über den Telefon-Skanal, das hast du sicherlich gelesen: ein Mann hat ein paar hohe Tiere mit geheimen Unterlagen über deren geheime Konten in Liechtenstein erpresst – das war eine Arbeit! Wir musste uns durch tausende Akten und Ge-sprächsprotokolle wühlen, sie auswerten, mit hunderten Leuten sprechen, immer wieder fal-sche Fährten entlarven, mal charmant, mal gnadenlos kalt, mal aggressiv, mal defensiv sein … aber am Ende hat es sich gelohnt: die Auflage der Zeitung schoss in die Höhe, wir haben sogar eine Sonderprämie und – jetzt hör genau zu – den Zeitungs-Oscar für den besten Artikel bekommen!!!“, sie freute sich noch mehr und für einen Augenblick hatte ich Angst, sie würde einen Freudentanz aufführen, aber selbst dieser hätte bei ihr noch unwiderstehlich ausgese-hen. „Wow“, sagte ich erneut und fügte hinzu „Du machst ja wirklich viel!“. „Ach, das ist noch gar nichts! Du solltest mal in mein neues Album reinhören, das ist sooo genial geworden! Es ist mein vierzehntes und ich habe alle Lieder, wie immer, selbst geschrieben! Es geht im Liebe und Hass und Arbeitslosigkeit und Liebe und Hass und Obdachlosigkeit und um Einkaufszent-ren und Typen, die mich verlassen haben, und fiese Freundinnen, es geht im Glück und Leid und Leute, die einen nur toll finden, weil man berühmt ist, es geht um Umweltskandale und Medien, Klimakiller und die Natur, meine Stadt und die Städte, die ich schon besucht habe, traurige Menschen, fröhliche Menschen, Autos, Straßenbahnen, Eisenbahnen, Schule, Uni, Beruf, Modeln, Schauspielern, alles eben. Es macht so viel Spaß, sich auszudrücken und damit auch noch Geld zu verdienen. Und jeden Abend auf eine andere Party zu gehen! Ich kom-me gerade von dem VMAs, das war vielleicht toll! Die ganzen Menschen, das ganze Glitzern, alle freuen sich, jeder ist nett zu einem, wir haben alle eine gute Zeit! Und danach feiern wir bis in die Morgenstunden, schlafen kurz und machen weiter! Kein Jetlag, nichts! Das ist so praktisch! …“

Ich war sprachlos. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Diese Frau sah nicht nur perfekt aus, sie hatte auch ein perfektes Leben. All diese vielen Dinge auf einmal erledigen, da war ich mit meinem täglichen Gang zur Schule und den gelegentlichen Mangaorgien geradezu unbedeutend. Nur eines hatte sie noch nicht erwähnt, obwohl ich mir sicher war, dass auch das meine Erwartungen haushoch übertreffen würde. Aber ich traute mich nicht direkt zu fragen, denn auch wenn ich das Gefühl hatte, sie alles, sie sogar nach ihrer Tampon-Größe fragen zu können – wobei sie vermutlich nicht unter diesem Problem litt, sondern ihren Zyklus je nach Lust, Laune und Zeitpunkt ein- und ausstellen konnte -, entschied ich mich für etwas weniger privates. Und just in diesem Moment machte sie eine Pause.

„Äh … entschuldigung … äh … wenn du äh .. Sie täglich so lange wach sind, dann müssen Sie am nächsten Morgen ja …“ Schrecklich, grausam, wunderschön? … „etwas übernächtigt aussehen …“, stotterte ich.

„Nein, nein, überhaupt nicht! Wenn ich morgens aufstehe sehe ich schon perfekt aus! Ich brauche gar nichts – kein Rouge, keinen Concealer, keinen Lippenstift, nicht mal Wimperntu-sche! Du hättest mich mal sehen sollen, als ich noch jünger war und dachte, ich müsste mich schminken! Ich meinte wirklich, ich bräuchte dieses ganze Zeug, bis mir mal jemand sagte, ich sähe aus wie ein Clown. Da kam die Wende. Ich habe ja auch das Glück, dass selbst meine Haare toll sind: nicht zu dick und nicht zu fein, robust und in jede Form stylebar, meine Nägel brechen nie ab, sind rillenfrei, glänzen auch ohne Nagellack und sehen immer gut aus! Mein Freund – Orländo Blume – findet das total praktisch, weil wir immer zusammen losgehen können!“

„Du … du bist m-m-mit ORLÄNDO BLUME zusammen?“, fragte ich schüchtern und gleichzeitig erstaunt. Mein Herz schlug bis zum Himmel und ich war kurz davor, in Ohnmacht zu fallen.

„Ja, er ist sooo toll! Einfühlsam, verständnisvoll, lieb, nett, ruhig, abenteuerlustig, spontan, er hat eine starke Schulter zum Anlehnen, er hört zu, man kann mit ihm Shoppen gehen, er hat Persönlichkeit, Witz und Charme und sieht auch noch gut aus! Was will man mehr?“

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, nicht einmal, ob ich etwas sagen sollte. Diese Frau konnte man nur mit einem Wort beschreiben: PERFEKT! Sie hatte all das, was ich nicht hatte, sie hatte vielmehr als das, was ich nicht hatte, und sie hatte wohl auch viel mehr, als all die Leute um uns herum hatten. Doch bevor ich in meinen Gedanken und ihr zerfließen konnte, klingelte plötzlich ihr Handy. Es hatte einen komischen Klingelton und erinnerte mich an einen Glockenschlag.

„Tut mir leid, ich muss weiter!“, sagte sie gütig und stand auf, „Hat mich sehr gefreut dich kennenzulernen!“

Ich war wie gelähmt. Ich wollte noch etwas fragen, doch meine Stimmenbänder versagten. Erst, nachdem ich mich mehrere Male geräuspert hatte, klappte es endlich:

„Beantworten Sie mir noch eine Frage: WER SIND SIE?“

Sie lächelte noch einmal so wie sie es am Anfang unserer Begegnung getan hatte und strahl-te dabei wie tausend Sonnen. Bevor sie ging bewegte sie ihre Lippen ein letztes Mal, so, als ob sie mir etwas sagen wollte. Doch ihre Worte kamen nicht bei mir an.
 

Ich blickte wieder auf meine Cosmo und versuchte darin zu lesen. Aber aus irgendeinem Grund funktionierte es nicht. Die Buchstaben, Worte, Fakten rauschten durch meinen Kopf wie ein ICE auf guter Strecke. Ich schien über allem zu schweben. Und genau in diese Situati-on des undefinierbaren Fühlens hörte ich auf einmal eine Stimme.

„Hallo, ist hier noch ein Platz frei?“, frage sie und ihre Stimme klang so hoch, so normal, bo-denständig, dass ich aufsehen musste. Sie hätte ein Spiegelbild von mir sein können, dachte ich, nur etwas trauriger. Das Mädchen trug einen braunen Cordrock und dunkle Stiefel sowie eine brombeerfarbene Bluse mit einem weißen Top darunter. Ihre Haare waren dunkelbraun und mittellang und hingen einfach nach unten. Ihre grünen Augen hatten einen grauen Schleier und ihr schmaler Mund war fast unscheinbar. Irgendwie tat sie mir leid, sodass ich so nett und freundlich wie in diesem Moment nur irgendwie möglich antwortete: „Klar, setz’ dich!“ Eine Weile schwiegen wir. Ich wollte sie nicht überrumpeln, nicht noch trauriger ma-chen. Aber irgendwann wurde die Situation - sie saß mit hängenden Schultern und dem Blick nach unten zusammengekauert da – unerträglich und ich fragte:

„Ist alles in Ordnung?“

Sie blickte auf und lächelte mich kurz an, bevor sie mir antwortete: „Ja, es ist gut, wirklich!“, ihre monotone Stimme hatte einen depressiven Unterton, der mich sehr verwirrte, „Ich war mit 13 zum ersten Mal verliebt. Er ging mit mir in einer Klasse. Nach einem Kinobesuch hat es dann bei uns gefunkt und wir waren eine Woche zusammen. Mit 15 hatte ich meinen ersten Sex. Wir waren schon sechs Monate zusammen gewesen, als es passierte. Wir hatten vorher ausführ-lich über Verhütung gesprochen. Als der Abend kam, spürten wir beide, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war. Dann passierte es.“

Ihre Art zu erzählen verwirrte mich sehr und ich fragte besorgt: „Warum bist du so traurig?“, doch sie antwortete mir nicht, sondern erzählte ruhig weiter als hätte ich nichts gesagt:

„Ich war außerdem schon immer beliebt und wurde schon in der fünften Klasse zur Klassen-sprecherin gewählt. Später war ich Schülersprecherin und Chefredakteurin der Schülerzei-tung. Die Mädchen beneideten mich, die Jungs schrieben mir Liebesbriefe. Mit 16 trank ich zum ersten Mal Alkohol und rauchte meine erste Zigarette. Nach einem Blackout ein paar Jahre später und einer schweren Bronchitis habe ich damit aufgehört. Ich hatte viele Freun-dinnen und Freunde, aber nur wenige beste. Mit ihnen konnte ich alles teilen. Wir waren zu-sammen shoppen, sind auf Konzerte der RHCPs, April Lavigne, Britney Spears, Hannah Mon-tanana, Panik und vielen anderen gegangen. Wir haben viel Blödsinn gemacht, haben auch mal etwas geklaut, haben aber nie ernsthaften Schaden verursacht.“

Ich musste innerlich lachen, aber ihr trauriger Blick hinderte mich daran, es auch äußerlich zu tun. Stattdessen fragte ich erneut: „Aber warum bist du dann so traurig?“, doch sie antworte-te mir wieder nicht, sondern erzählte weiter: „Meine Eltern und ich kommen sehr gut mitein-ander aus. Sie haben sich vor 21 Jahren kennengelernt und sind sehr glücklich zusammen. Meine Verwandten wohnen in der Nähe, sodass ich auch mit ihnen gut klarkomme. Der schönste Moment meines Lebens war meine Wahl zur Abschlussballkönigin. Ich trug ein hell-blaues, bodenlanges Abendkleid, welches 500 Euro gekostet hatte. Meine Schulzeit war schön, meine Familie ist schön, ich habe ein schönes Leben.“

Langsam wurde ich wütend, und das nicht, weil sie mir bis jetzt noch nicht geantwortet, mich scheinbar überhört hatte, sondern weil sie dieses „schön“ so traurig aussprach. Ich konnte sie wirklich nicht verstehen. Sie hatte ein schönes Leben, sie war beliebt, sie hatte eine intakte Familie, sie war sogar zur Abschlussballkönigin gewählt worden, was sich jedes Mädchen wünschte, und jetzt tat sie so, als ob all das nichts wert wäre?! Wenn ihre Augen nicht so tief-traurig gewesen wären, hätte ich sie angebrüllt, aber so fragte ich mit mitfühlender und ver-ständnisvoller Stimme:

„Warum bist du so traurig?“, doch sie antwortete mir wieder nicht. Jetzt platzte mir der Kra-gen! Wütend schrie ich sie an: „Was ist mit dir los? Warum begreifst du nicht, dass du genau das Leben hast, was sich jeder wünscht? Du hast Freunde, du bist beliebt, deine Familie liebt dich, alle lieben dich, wie kannst du das alles nur verachten? Weißt du was du für ein Glück hast? Nur wenige Menschen haben so ein schönes Leben wie du! Den meisten geht es schlecht, sehr schlecht, sie haben kein Geld, keine Freunde, keine Familie, nichts! Wie kannst du nur!? Was ist mir dir los?!“

Sie sah mich mit ihren großen traurigen Augen an und sagte nichts. Ich keuchte und realisier-te, dass ich aufgestanden sein musste. Meine Arme waren ausgebreitet, jederzeit bereit für die nächste Geste. Ich wurde rot. Anscheinend hatte ich sie richtig angebrüllt und dabei die Aufmerksamkeit des ganzen Cafés auf mich gezogen. Doch zu meiner Verwunderung be-achtete mich niemand. Aber das war egal. So wie sie mich ansah, hatte ich sie sicher noch mehr verletzt, was ich nicht wollte. Ich setzte mich und sagte: „Entschuldige, tut mir leid, ich wollte nicht über dich richten, ich weis ja gar nichts über dich.“ Und plötzlich lächelte sie mich an. Ich weis nicht, warum sie das auf einmal tat, aber ihr Lächeln war so warm, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. „Es ist schon okay!“, sagte sie lachend. „Wirklich?“, fragte ich. In diesem Moment klingelte ihr Handy. Es hatte einen komischen Klingelton, der mich an einen Glockenschlag erinnerte. „Oh, ich muss gehen!“, sagte sie. Ich war verwirrt und wollte noch etwas sagen, doch meine Stimmenbänder versagten ihren Dienst. Erst nachdem ich einige Male gehustet hatte, klappte es, und ich fragte:

„Bevor du gehst, beantworte mir noch eine Frage: WER BIST DU?“

Doch anstatt mir zu antworten lächelte sie mich noch einmal gütig an. Dann bewegte sie ihre Lippen. Aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagte. Ihre Worte kamen nicht bei mir an. Dann ging sie.
 

Ich saß noch eine Weile so da. Nachdenkend über das, was sie gesagt hatte. Sie war wirklich beneidenswert. Nicht so wie ich. Ich war nie Klassensprecherin. Ich war nie Abschlussballköni-gin. Ich habe kein Familienleben. Ich habe niemanden. Das Bild Galileis wie er durch sein Fernrohr in den Himmel blickte erschien in meinem Kopf. Ich war nicht einer der hellen Sterne, die er sah, ich war wohl eher er selbst: der stille Beobachter, der scheinbare aberwitzige Theo-rien aufstellte, die erst ein paar tausend Jahre später bewiesen werden könnten. Wahrschein-lich werde ich die Welt nicht von Grund auf verändern … Vielleicht bin ich eher ein Planet - Pluto! Genau. Ich bin der einsame Planet, der nirgendwo dazugehört und letztendlich sogar noch den Planetenstatus aberkannt bekommt. Schön. Aber darüber sollte ich nicht nach-denken, ich war hergekommen, um zu entspannen, um abzuschalten, und was mache ich – über Dinge nachdenken, die ich sowieso nicht ändern kann! Ich las wieder krampfhaft in meiner Cosmo, die mir irgendwie leidtat, weil ich sie nicht mit der Würde las, mit der man sie laut Meinung der netten Fernsehmoderatorin W. I. P. (Wir interessieren uns für Peinlichkeiten) lesen sollte, aber ich versuchte mein Bestes. Und als ich gerade halb bewusst, halb unbewusst einen Artikel über den Klimawandel las, hörte ich eine Stimme. Sie war tief und fragte: „Hallo, kann ich mich hierhin setzen? Es ist alles besetzt!“ Langsam wurde ich wütend. Das war schon die dritte Person an diesem Tag, die mich das fragte, und bis jetzt war mir das, was nach die-ser Frage kommen würde, im Nachhinein immer schrecklich auf die Seele gegangen. Des-halb nahm ich meine Cosmo, hielt sie mir vor mein Gesicht und grummelte aus meinem Ver-steck, das keines war, heraus: „Sind wir hier bei irgendeiner Talkshow? Wenn Sie jemanden volllabern wollen, dann probieren Sie es beim Barkeeper, der ist sicher an Leute wie Sie ge-wöhnt!“ Ich hoffte, dass ich den Fremden damit erfolgreich vertreiben könnte, doch dem war nicht so. Stattdessen antwortete er unschuldig:

„Ich wollte dich nicht volllabern, ich suche nur einen Platz, an dem ich meinen Wallenstein lesen und nebenbei Kaffee trinken kann.“ Ich wusste nicht, ob ich ihm das glauben konnte. Vielleicht war es ja nur eine Ausrede. Doch dann kramte er ein kleines, gelbes Büchlein aus seiner Tasche, das ich nach einem neugierigen Blick über den Zeitungsrand sofort erkannte: Reclame, neben den HH DER Verlag für klassische Literatur im Taschenformat. Er wollte also tatsächlich nur lesen. Beruhigt legte ich meine Cosmo wieder auf den Tisch und versuchte zu lesen. Aber auch diesmal gelang es mir nicht. Dieser Typ sah einfach zu faszinierend aus: kur-ze, braune Haare, zartbitterschokobraune Augen, Drei-Tage-Bart, dunkle Lederjacke mit hel-lerem Shirt, blaue Jeans, elegante Turnschuhe. WOW! Ich konnte mich nicht konzentrieren und beobachtete ihn eine Weile. Er sah einfach toll aus – nicht zu überheblich, nicht zu schlaksig, das gesunde Mittelmaß Männlichkeit und Softieness. Und irgendwann fragte mich dieses ungewöhnliche Wesen, wenn auch mehr auf sein Buch konzentriert: „Ist irgendwas?“

„Äh… nein … es ist … gar nichts …“, stotterte ich. Irgendwas musste ich sagen, aber wie sollte ich ihm denn antworten? Hey, du bist total faszinierend? Warum liest du (wie kannst du nur?) den WALLENSTEIN in einem öffentlichen Café? Du siehst einfach toll aus? - Keine Alternativen. Während ich noch überlegte fragte er: „Sicher?“ und klang dabei ganz nett. So nett, dass ich spontan und ohne nachzudenken antwortete:

„Naja, du hast was … ich weis auch nicht warum, vielleicht ist es nur, weil mir die beiden vor dir ihr ganzes Leben erzählt haben und du bist jetzt noch nichts …“ Na klasse! Dem nächst-besten Typen meine Seele entblößen, wie konnte ich nur? Bestimmt geht er gleich und dann. Was für eine Blamage! Was für ein Fiesko! Welch Drama! Ich rechnete mit allem, nur nicht damit:

„Ich bin auch nicht zum reden hergekommen, sondern zum Lesen. Aber wenn du unbedingt etwas wissen willst, dann frag!“ Ich glaubte mich verhört zu haben. Er sagte das so nett, und schon was er sagte, war unerwartet, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Ich senkte den Kopf um mich in meiner Cosmo zu verstecken, und zu überlegen, was ich jetzt tun sollte. Aber seine Ausstrahlung, wieder dieses warme Gefühl von Geborgenheit auf den Schultern, lies kein Nachdenken über das Ob, sondern nur über das Was zu. Schließlich fragte ich:

„Wo wohnst du? Was machst du? Was hast du für Interessen?“

„Ich wohne in einer kleinen Mietwohnung am Rande der Stadt. Ist nicht groß, aber ich habe einen schönen Ausblick vom Balkon aus. Und ich habe sie so eingerichtet, wie ich es wollte. Ein Sessel aus den 70iger Jahren, ein alter Schrank von 1850, ein Glastisch, Blumentapeten, IKEARUS-Regale, sehr gemütlich, wenngleich nicht jedermanns Sache.“

„Und das hast du dir alles SELBST gekauft? So ein Sessel ist doch teuer!“, sagte ich erstaunt.

„Naja, ich verdiene ganz gut. Und diesen ganzen Gourmet-Kram brauche ich auch nicht jeden Tag. Ich arbeite übrigens in einer Rechnungsabteilung einer Werbeagentur. Vor ein paar Wochen wollten sie mich zum Geschäftsführer ernennen, aber ich habe abgelehnt.“

„Zum GESCHÄFTSFÜHRER? Und du hast ABGELEHNT? Bist du verrückt? Jeder will so einen Pos-ten, jeder will Macht und Geld. Du hast die Chance auf viel Ruhm weggeworfen! Wie kannst du nur!“, rief ich empört.

„Daran habe ich auch gedacht, aber letztendlich wollte ich nicht. Die Konsequenzen waren das viele Geld nicht wert: ich muss Leute herumkommandieren, ich bin für alles verantwort-lich, wenn irgendwas passiert, ich habe kaum Freizeit und am Ende werde ich noch überheb-lich und verliere den Bezug zu meinen Mitarbeitern. Nein, das wollte ich nicht. ICH zumindest nicht. Es gibt andere, die das besser können, die können das machen, aber ich bleibe lieber der kleine Abteilungsleiter.“

„Mmhh …. ist ein Argument … und was machst du sonst so?“, fragte ich weiter.

„Lesen“, verwies er lächelnd auf das gelbe Büchlein in seiner Hand, „Kaffee trinken, Schreiben …“

„Was? Du schreibst? Einen Roman, eine Trilogie, etwas Großes?“, fragte ich interessiert.

„Nein, ich werde kein Harry Potter, ich schreibe nur so nebenbei Gedichte. Irgendwann wer-de ich einen Gedichtband veröffentlichen. Ansonsten interessiere ich mich besonders für Na-turwissenschaften und erkläre beim örtlichen Radiosender regelmäßig, wie alltägliche Phä-nomene funktionieren.“

„Bist du nicht zu alt, um die Welt zu entdecken?“, meinte ich verwundert.

„Wieso? Wie alt bin ich denn?“, fragte er charmant.

„Mitte Zwanzig?“, tippte ich.

„Falsch!“, sagte er lächelnd.

„Anfang dreissig?“, schätzte ich ungläubig.

„Wieder falsch!“, sagte er belustigt.

„Aber sechszehn sicher auch nicht!“, riet ich weiter, auch wenn er sicher nicht sechzehn war.

„Nein, keinesfalls!“, erwiderte er und sein Lachen war dabei so süß, dass mir kurzzeitig etwas übel wurde.

„Also?“, fragte ich ungeduldig.

„Unwichtig!“, sagte er unerwartet.

„WAS? Zuerst spannst du mich auf die Folter und dann lässt du mich einfach im Regen stehn?“, rief ich wütend. Ich hatte große Lust, ihn anzubrüllen, aber seine Ausstrahlung lies keinen Widerspruch zu.

„Du hast mich etwas gefragt, und ich habe dir immer noch nicht vollständig geantwortet. Nebenbei arbeite ich noch an einem Aufsatz über Schiller und schreibe in zahlreichen Com-munities. Außerdem reise ich gern herum. Ich war schon in Spanien, Frankreich, Italien, Polen, Tschechien, Russland, Japan und Amerika. Und ich spiele Xylophon in einer Band. Wir treten manchmal bei Stadtfesten auf. Ich habe einige Freunde und gehe mit ihnen auf Konzerte, zu Ausstellungen, oder hänge mit ihnen am Flüsschen ab. Wir haben sehr viel Spaß zusammen.“, erzählte er.

„Und was ist mit einer Freundin?“, fragte ich und es war mir überhaupt nicht peinlich.

„Falls das ein Angebot sein sollte, tut mir leid, ich bin vergeben. Ich habe viele Jahre gewartet und irgendwann bin ich ihr begegnet. Sie ist wirklich toll: jeder hat seine eigene Wohnung, sein eignes Leben, und trotzdem verstehen wir uns in jeder Beziehung. Wir können reden, die Welt erkunden, wir können stehen bleiben oder weitergehen, ohne uns zu misstrauen. Sie ist einfach jemand, der da ist, wenn ich nach Hause komme. Andererseits kann ich, wenn ich erschöpft von der Arbeit komme, ausspannen. Zwischen uns besteht ein Band, das nicht so dick wie ein Bungeeseil sein muss, aber niemals reißen wird. Bei uns ist einfach alles harmo-nisch, auf jeder erdenklichen Ebene.“

„Schön!“, sagte ich, und mir kullerte eine Träne aus dem Auge. Ich war einfach glücklich, nur, weil ich ihm zuhörte. Ich schien auf Wolken zu schweben, und gerade als mein Freudentau-mel am größten war, klingelte plötzlich sein Handy. Es hatte einen komischen Klingelton und erinnerte an einen Glockenschlag.

„Ich muss gehen!“, sagte er lächelnd.

„Schade.“, sagte ich traurig, obwohl mir klar war, was passieren würde, „Aber bevor du gehst, möchte ich dir noch eine Frage stellen: WER BIST DU?“

„Mach die Augen zu!“, sagte er grinsend.

„Was?“, fragte ich und glaubte, mich verhört zu haben. Irgendetwas lief gerade anders.

„Augen zu!“, wiederholte er charmant.

Ich tat wie mir gesagt. Und plötzlich spürte ich seine Lippen auf meinen und seinen warmen Atem an meinem Ohr. Er flüsterte mir etwas zu, ich verstand nichts. Irgendetwas musste mit meinem Gehör nicht stimmen. Ich öffnete meine Augen wieder und sah ihn. Da stand er nun, erhellt vom Sonnenlicht. Seine Augen glitzerten, sein Lächeln überstrahlte alles. Er wirkte wie ein Gott. Dann lachte er ein letztes Mal und sagte:

„Auf Wiedersehen!“, und ging.

Ich war verblüfft, meine Lippen vibrierten. Obwohl es kein richtiger Kuss war, fühlte es sich ein-fach toll an, ich war verzaubert. Von seinem Aussehen, aber vor allem von dem, was er er-zählte. Es war nicht so glamourös, es war nicht so traurig, es war einfach da. Es war einfach. Es ist einfach. So ist es. Ich fühlte mich gut. Genüsslich trank ich meinen Kaffee aus und beo-bachtete die Leute im Café. Es war, als schwebte ich über allem. Ich war so leicht. Dann schlug ich meine Cosmo zu und zahlte. Nur eines beschäftigte mich: Wer waren all diese Menschen? Das war alles zu perfekt, zu konstruiert, um ein bloßer Zufall zu sein. Ich wusste nichts. Und das beunruhigte mich, auch wenn ich eigentlich total glücklich war. Die Antwort darauf war das fehlende Puzzelteil. Ich öffnete die Tür nach draußen und plötzlich kam ein Windstoss. Er war kalt, aber gleichzeitig sehr erfrischend. Und als hätte er mein Gehör freige-blasen fiel mir ein, was die drei gesagte hatten:
 

Ich bin der Geist des unrealistischen Traumes.

Ich bin der Geist des verlorenen Traumes.

Ich bin der Geist des realistischen Traumes.

My Boulevard of Broken Soul

Hallo, dies ist nicht - wie der Titel der Fanfix vermtuen lassen könnte - ein zu DReamless Carrol gehörendes Kapitel, sondern ein Beitrag für den WB mit den fünf Worten von ... mir ist der Name entfallen ... peinlich, peinlich ... jedenfalls habe ich ihn hierein gepackt, weil La vie neugierig nur Gedichte beeinhalten soll. Deshalb kommt es hierein.
 

Die Emotion lautet ANGST (zumindest unterschwellig), die Worte waren: Trost, Maß, erschein, deutlich und helfen.
 

Der Text ist komplett in sächsisch, so wie ich es spreche, weil es besser passt, eine Übersetzung liegt bei.
 

Hei, altes Haus, scheen disch widdor zu sähn! Is lange her, dassisch dor ieber de Plattn gelatscht bin. S kommt mor äwisch vor, dabäi worns nur dräi Dage. Klar, für disch isses nischt, de lieschst äinfach da und de bist da, un dausend Leude trammpln däglisch ieber disch drieber, abbor für misch sin dräi Dage änne lange Zäid, äine zu lange Zäit und isch hab Angst, dass schon dieser Dag dor letzte säin gönnte, an dem wor uns sähn.
 

Mor kenn uns jetzt schon so viele Johre, isch hab disch gesähn, da wor isch noch gans kläin und du schon ä paar hundort Johre alt. De sahst gonz andors ohs, als heude. De warscht irschnwie scheen. Heude biste hässlisch! De bist voller Grater, och wenn de nischt dafier gannst, abbor so isses nu ma. Isch mäine, es hatt disch käinor gzwung, diese ganzn Scheenhäits-OBs, odor bessor: Hässlischkäits-OBs, zu machn, käiner. Klar, du gannst nischt dafier, dasses ausgereschnet uns treffn musste, mitm Zwoten Weltkriesch, und dem großn Brand. Du gannst och nisch dafier, dass mor disch so widdor offgebot hatt, wie mor disch aufgebot hat. Und och nisch dafier, dass de Vorscheenrungn, die mor dabäi an dor vorgenommn hatt, und die noach Johrn eischntlisch zu dier gehördn, äinfach kabutt gingn, weil de Leude, de disch damals nach jahrelangem Sträit wieddor aufgebot ham, noch käine Ahnung hattn, oder nisch de Middl, de Rohstoffe, de Kneede. Und de gannscht, vordammte Schäiße, jetz rolln mor och noch de Trän runder, och nisch dafier, dass disch einische Leude, äinflussräische Leude, äinfach zu hässlisch fandn, obwohl de de Aller-Scheenste bist! Abbor Scheenhäit is heudzutache sowieso reladiv: De Wissnschaftler, de Studierdn, fier die is Symmedrie de Scheenhäit, fier mansche Menschn sinds Schlochboodlibbn, fier mansche sinds kläine Busn, fier mansche isses ebn Asymmedrie. De warscht numa schon immor anders: frieher de Prachtstroaße, danach das Opfer, irschendwie oach dor Vorräider äines neun Gedangn. Un dasis a Trost: de bist dor Hehepungd dor DeDeeR-Arschidedur (gewesn), de standst im Kontrast zum Aldn drumrum, das noch von frieher iebrischgebliebn woar.
 

Un heude? Stick fier Stick alles weg. Äinfach weg. Zuerst kam Garstadt, dann de Flud, danach de Baufällischkäit un zum Schluss dor Brandschutz. Und wiedor gannst de nischt dafier. Wedor fier de Margdwirdschaft, noch fiers Wassor, noch fiern Verfall. Isch erinnor misch, als isch noch ganz kläin wor, als de ganze Stadt noch anders aussah. Wie isch ieber disch drieber gelofn bin, im Springbrunn gespielt hab, im Kofhaus mäine erste Barbie bekomm hab. Dor ganze Arschitegdurkram mit Linien un Formen, dor kam mir damals gar nisch so for. Unwischtisch. Du warst äinfach da. Späder, a wors dann wischtisch. De Arschidektn, de Studierdn, wolldn das Alde bewahrn und das Neue achtn. Das häißt: weg mitm Stäin, her mitm Glas. Weg mit dor Wärme, her mit dor Gälte. Isch kanns ja verstehn – Kälte is in – im Gefiel, worum nich oach in dor Gestaldung? Oßerdemm, warum soll man den arm, arm Studierndn nich oach ma äine Freude machn, un se iere Vorschläsche, ihre in enner hochpoetischn Sproache gemachtn Werge umsetzn? Neu is Rationalisierung, Rationalisierung is Zugunft, Vergangnhäit ist sinnlos, is zu zerstörn. Unrühmlische Verganghäit zumindest. Rühmlische Verganghäit kann bleibn – Glanzzäiten dor Stadt könn bläibn, weil de Douris hinlofn. Dunkle Vorganghäitn, Digdaduren, unDemokradische Verganghäitn wern zerstört. Damit käiner off dumme Gedanken kommt. Globt ihr Oberen, wo er nich ma euern eischnen Kram off de Räihe krischt, dasser den Kommendn wirglisch helft? Indemer alles oslöscht, wa ma war? Scheen, wenner an de Gommendn dengd, abbor was is mit n Geschenwardschn? Habtor se äin änzeschma gefracht, wasse dazu dengen? Isch mäine, wennor se gefracht hättet, dann wärn vielleischt 200 000 verschiedne Mäinungen rausgekomm, abbor vermutlisch was bessres als es jetzt. Nu is nur noch een Gebäude ierbisch, sogar under Dengmalschutz, aber oach da wern se enn Grund finden ….
 

Abbor Offreschn bringt oach nisch, behaltn wor uns lieber de Verganghait. S erschäint vielleicht a bissl nostalgisch, abbor da wor sowieso nischt ändern gönn, is das de äinzsche Meglischgäit. Inne paar Jahrn wird sisch sowieso als gomplett vorändort ham, das wird jetzte schon deutlich. Abbor vielläischt findet man irgendwann ma das rischitsche Maß aus Verganghäit, Geschenward und Zugunft. Un bis dahin bläibt mor nischt, als diese Liebeserklärung, die ich an de Bauzäune, de Schaufenster, de Bodenplatten dransprühn werde:
 

Ich liebe dich, so wie du bist, wie du warst, vielleicht auch, wie du sein wirst. Ich küsse deine Bodenplatten, ich liebkoste deine dreißig Jahre alten Träger, ich baden in den warmen Flüssen deiner Springbrunnen und hoffe, dass du meine und deine Vergangenheit für immer bewahrst. Denn wer weis schon, was die grausame Zukunft für uns bereithält.
 


 

Deutsch:

Hallo, altes Haus, schön dich wieder zu sehen! Es ist lange her, dass ich über deine Platten gelaufen bin. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, dabei waren es nur drei Tage. Klar, für dich ist das nichts, du liegst einfach da und du bist da, und tausend Leute trampeln täglich über dich trüber. Aber für mich sind drei Tage eine lange Zeit. Eine zu lange Zeit und ich habe Angst, dass schon dieser Tag der letzte sein könnte, an dem wir uns sehen.
 

Wir kennen uns jetzt schon so viele Jahre. Ich habe dich schon gesehen, da war ich noch ganz klein und du schon ein paar hundert Jahre alt. Du sahst ganz anders aus als heute. Du warst irgendwie schön. Heute bist du dagegen hässlich! Du bist voller Krater, auch wenn du nichts dafür kannst, aber so ist es nunmal. Ich meine, es hat dich keiner gezwungen, diese ganze Schönheits- oder besser Hässlichkeits-Operationen zu machen, keiner. Natürlich, du kannst nichts dafür, dass es ausgerechnet uns treffen musste, mit dem Zweiten Weltkrieg, und dem großen Brand. Du kannst auch nichts dafür, dass man dich so wieder aufgebaut hat wie man dich eben aufgebaut hat. Und auch nichts dafür, dass die Verschönerungen, die man an dir vorgenommen hat, und die nach Jahren eigentlich zu dir gehörten, einfach kaputt gingen, weil die Leute, die dich damals nach langem Streit wieder aufgebaut hatten, einfach nicht die Mittel, die Rohstoffe, das Geld hatten. Und du kannst, Mist, jetzt kommen mir auch noch die Tränen, nichts dafür, dass dich einige Leute, einflussreiche Leute, einfach zu hässlich fanden, obwohl du die Allerschönste bist! Aber Schönheit ist heutzutage ohnehin relativ: Die Wissenschaftler, die Studierten, für die ist Symetrie Schönheit. Für manche Menschen sind es Schlauchbootlippen, für manche ist es ein kleiner Busen, für manchandere ist es Asymetrie. Du warst nunmal schon immer anders: Früher die Prachtstraße, danach das Opfer, irgendwie auch der Vorreiter eines neuen Gedanken. Und das ist ein Trost: du bist der Höhepunkt der DDR-Architektur (gewesen), du standest im Kontrast zu dem Alten drumherum, das noch von früher übriggeblieben war.
 

Und heute? Stück für Stück alles weg. Einfach weg. Zuerst kam K., dann die Flut, danach die Baufälligkeit und zum Schluss der Brandschutz. Und wieder kannst du nichts dafür. Weder für die Marktwirtschaft, noch für das Wasser, noch für den Verfall. Ich erinnere mich, als ich noch ganz klein war, als die ganze Stadt noch ganz anders aussah. Wie ich über dich rüber gelaufen bin, im Springenbrunnen gespielt habe, im Kaufhaus meine erst Barbie bekommen habe. Der ganze Architekturkram, mit Linien und Formen, der kam mir damals noch gar nicht so vor. Unwichtig. Du warst einfach da. Später, da war es dann wichtig. Die Architekten, die Studierten, wollten das Alte bewahren und das Neue achten. Das heißt: weg mit dem Stein, her mit dem Glas. Weg mit der Wärme, her mit der Kälte. Ich kann es ja verstehen – Kälte ist in – im Gefühl der Menschen, warum nicht auch in der Gestaltung? Außerdem: warum soll man den armen, armen Studierten nicht mal eine Freude machen, und ihre Vorschläge, ihre in einer hochpoetischen Sprache verfassten Werke, umsetzen? Neu ist Rationalisierung, Rationalisierung ist Zukunft, Vergangenheit ist sinnlos, muss zerstört werden. Unrühmliche Vergangenheit zumindest. Rühmliche Vergangenheit kann bleiben – Glanzzeiten der Stadt können bleiben, weil die Touristen sie besuchen. Dunkle Vergangenheiten, Diktaturen, unDemokratische Vergangenheiten werden zerstört. Damit keiner auf dumme Gedanken kommt. Glaubt ihr Oberen, wo ihr nichtmal mit eurem eigenen Kram fertig werdet, dass ihr den Kommenden wirklich helft? Indem ihr alles auslöscht, was mal war? Schön, wenn ihr an die Kommenden denkt, aber was ist mit den Gegenwärtigen? Habt ihr sie einmal gefragt, was sie denken? Ich meine, wenn ihr sie gefragt hättet, dann wären vielleicht 200 000 verschiedene Meinungen dabei herausgekommen, aber vermutlich wäre das besser als jetzt. Nun ist nur noch ein Gebäude übrig, sogar unter Denkmalschutz, aber auch da werden sie einen Grund finden.
 

Aber Aufregen bringt auch nichts, also behalten wir uns lieber die Vergangenheit. Es erscheint vielleicht etwas nostalgisch, aber da wir sowieso nichts ändern können, ist das die einzige Möglichkeit. In ein paar Jahren wird sich sowieso alles verändert haben, das wird heute schon deutlich. Aber vielleicht findet man irgendwann das richtige Maß aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und bis dahin bleibt mir nur diese Liebeserklärung, die ich an Bauzäune, Schaufenster und Bodenplatten dransprühen werde

Murder, Floors and silly Words

Fünf Wörter WB
 

HI, das ist mein Beitrag. Konzentriert sich diesmal mehr auf die Sprache, ist aber nicht gedankenlos.
 

Viel Spaß beim lesen!
 

Wörter: Cheerleading, Ananasstücke, Bodymilk, verrückte Seniorin, Panda-Wrestling
 

Cheerleader singen fröhlich Lieder, nur nicht bei Niederlagen. Und auch wenn sie nie darnieder lagen, lagen sie schon wieder im Streit über die neue Choreographie. Und weit und breit und überall lag kein Lied da, zu dem tanzen könnten die Cheerleada. Nur Ananasstücke lagen da. Ananasstücke liegen clean da, klinisch clean, als könnten sie sich Krankheiten zuziehn, auf dem Fußboden. Sie werden mit Schimmel überzogen und zerfließen zu Brei auf dem weißen Fußboden. Wird sie jemand aufheben, vielleicht der Mörder, der mit ihnen schrieb LEBEN auf den klinisch-weißen Fußboden, wo sie die Blicke auf sich ziehn, die Ananasstücke? Er wird sie hierlassen, weil sie schön aussehn, das rote Blut und der gelbe Brei auf dem tödlich-weißen Fußboden. Vielleicht hatte er auch eine Vorliebe für Ananasstücke, man weiß es nicht, man kennt nicht mal seine Fingerabdrücke. Man weiß nur, und das klingt schrill, er mochte sie, die Bodymilk, genauso wie die Cheerleada, die lag da, auf dem Fußboden, neben dem Blut und den Ananastücken, betropft mit dem weißen Zeug, igitt, was roch nach einer Mischung aus Blumen und Fitt, ob er unter Geschmacksverirrung litt? Vielleicht war es ein verrückter Senior, aus der Gruppe der ver-rückten Senioren, die hatten den Verstand verloren, wobei sich ja die Frage stellt, was man tut in der heutigen Alters-Welt. Verrückt bedeutet Stricken, Lesen, viel Erzählen, nicht Rumbrüllen und sich täglich quälen, bedeutet nicht in Kursen sein, sondern Senior - ganz allein. Und ganz alleine liegt sie da, die Cheerleada, die kein Senior war.
 

Und während sie daniederliegt, auf dem staubig-weißen Fúßboden, läuft im Fernseher 43 Stockwerke links darunter Panda-Wrestling.

Suicidal Cruelty - Selbstmörderische Grausamkeite

Hi, das ist mein Beitrag zum SA-Wettbewerb. Und so ganz nebenbei habe ich mich in das Genre des Städte-Romans oder so hineingewagt und dabei auch noch auf das billigste Mittel zurückgegriffen. Und die drei Begriff wurden nur von mir, aber nicht von meinen Charas verwendet. Und at least mache ich grade noch Anti-Werbung.
 

Ihr könnt es aber trotzdem lesen, weil es einfach toll geworden ist!
 

Viel Spaß beim Lesen!
 

Ein Bilderrahmen. Ein leerer Bilderrahmen.
 

Hahaha! Hahahaha! Hahahahaha!!!, schrie er plötzlich. Er wusste nicht warum, aber er musste lachen. Die Stimmung dieser Nacht war zu schön. Der Himmel war dunkelbläulich, über ihm hatten sich weiße Wolken ausgebreitet, die im funkelnden Licht der Großstadt und der toten Dunkelheit der Nacht gräulich waberten. Es erinnerte ihn an die Kartoffelsuppe seiner Mutter. Aber die würde er nie wieder essen. Er hatte lange darüber nachgedacht, ob er das tun sollte, was er nun tun wollte und er hatte einen Entschluss gefasst. Umso mehr freute es ihn, dass ihm die Stadt so einen schönen Abschied bereitete.
 

Er ging Tiergartenstraße entlang, vorbei am Großen Garten, dem Zoo und dem denkmalgeschützen Relief an der ehemaligen Haltestelle Lennéplatz und musste erneut schmunzeln. Der Lennéplatz. Die große Kreuzung am Lennéplatz. Sie würde wohl immer ein Verkehrs-Knoten-Punkt bleiben, egal wie oft man sie umbaute. Sie hatten oft an dieser Kreuzung gestanden, auf der Lennéstraße, die über die Gellert- und Franklinstraße schließlich zur Uni führte. Meistens hatten sie gestritten. Eigentlich fast immer. Es ging um Kleinigkeiten wie eine verrutschte Fußmatte, einen zu heißen Kaffee, manchmal auch um eine verschwundene Hausarbeit, die er bei ihm vermutet hatte, die dann aber doch in seiner Tasche aufgetaucht war. Alltagsdinge eben. Alltag. Streitereien waren ihr Alltag. Sie konnten nicht ohne. Nur dann merkten sie, dass er lebte. Er spürte, dass er lebte und diese Gewissheit machte IHN glücklich. Nein, er hätte es nicht ohne seine genervte, fast kreischende Stimme ausgehalten, auch wenn sie ihm unheimlich auf den Keks ging. Sobald er auch nur für ein paar Minuten schwieg, schien alles Leben aus ihm gefallen und die Leere zwischen ihnen wurde unerträglich. Es war eine Farce gewesen. Alles. Aber es war auch irgendwie die schönste Zeit SEINES Lebens. Redete er sich ein.
 

er überquerte die Kreuzung und bog links ab in die Wiener Straße, die nicht nur zum gleichnamigen Platz mit dem berühmten Kugelhaus und der bekannten Prager Spitze führte, sondern auch zum Hauptbahnhof, dem Ort, wo alles begann. Damals. Das Teflondach war ihm als erstes aufgefallen, als er aus dem Zug gestiegen war. Es strahlte weiß, wie die Sonne und passte perfekt zum lebendigen Grau der Stahlträger. Als er dieses Dach gesehen hatte, wusste er, dass er richtig war. er kam aus Wilthen, einem kleinen Dorf in der Lausitz, das im Haltestellenverzeichnis der Bahn den Hinweis „Bedarfshalt“ trug. Es war ein Kaff, sagten manche, aber das stimmte nicht. Es war ruhig, es hatte ein schönes Schloss, war von grünen Hügeln umgeben und bot in jeder Hinsicht Schutz. Vor der bösen Welt, vor Kriminellen, vor der Flut nicht, aber vor neuen Einflüssen. So sehr er diese Idylle auch liebte, irgendwann wollte er raus. er wollte sich in die Großstadt stürzen, neue Leute kennenlernen, ein anderes Leben genießen, einfach weg. Und sein Studium der Ingieurwissenschaften an der Technischen Universität war genau die richtige Gelegenheit. Er stand auf dem Bahnsteig und konnte es nicht fassen. Endlich war er da. Er war am Ziel seiner Träume. Seine Gesichtszüge entglitten ihm und er schrie: „Juchu! Juchu!“, immer und immer wieder, seine Füße bewegten sich tänzelnd über den Bahnsteig, selbst sein Rollkoffer hinderte ihn nicht. Bis er irgendwann einen Widerstand unter seinem Koffer spürte und seine strenge Stimme hinter ihm schrie: „Kannst du nicht aufpassen?!!! Schlimm genug, dass du Idiot deine Indianertänze mitten auf dem Bahnsteig aufführen musst, jetzt ruinierst du mir auch noch meine Füße! Hast du sie noch alle?“ Er erschrak für einen Moment, wurde dann aber von seiner guten Laune und seiner ohnehin fröhlichen Persönlichkeit wieder zurück in die sonnentägliche Realität zurückgeholt und antwortete: „Sorry, tut mir leid, aber es ist doch nix schlimmes!“

„Nix Schlimmes? NIX SCHLIMMES? Mein Fuß tut weh, du hast Glück, wenn ich mir nichts gebrochen habe! Das kann doch nicht wahr sein!“, sein Fluchen war im ganzen Bahnhof zu hören, aber das störte ihn nicht. Es störte ihn nie, was andere Leute dachten. Er interessierte sich nicht dafür, selbst wenn es um Fachthemen ging. Es interessierte ihn auch nie, was er dachte. Aber das würde nicht wieder passieren.

„Jetzt bleib mal schön cremig, so schlimm isses doch echt nicht! Komm, wir gehen einen Kaffee trinken und die Welt ist wieder in Ordnung!“, versuchte er erneut den Aufgebrachten zu beruhigen.

„Wenn du dann die Klappe hälst!“, rief er immer noch wütend. Damals hatte er sich innerlich sehr über ihn geärgert, er konnte nicht verstehen, wieso er wegen so einem Missgeschick so wütend wurde. Später gewöhnte er sich daran. Es musste nicht einmal ein Missgeschick sein, irgendetwas, was nicht in Ordnung war, verursachte immer Zorn ihn ihm. Genauso wie er immer gute Laune hatte, lief er meckernd durch die Welt. So war es eben. Er hatte es auch nie fertig gebracht, einfach „Ja“ zu sagen oder einzugestehen, dass er NICHT Recht hatte. Er musste es immer umschreiben, immer auf den liebevollen Gegner einschlagen. Aber so war er eben.

Sie waren dann Kaffee trinken gegangen, bei McDonald’s, als es noch in einem kleinen Pavillon auf der Prager Straße untergebracht war, und dieser Moment blieb ihm für immer im Gedächtnis, so wie es mit allen ersten Begegnungen ist. Er hatte die ganze Zeit kein einziges Mal gelacht, egal was er gesagt hatte, er hatte nur mürrisch geguckt. Aber das hatte nicht an seinem Fuß gelegen, auch wenn er sich noch eine Weile darüber aufregte, eigentlich war nach der Entschuldigung alles in Ordnung gewesen. Doch der Tisch kippelte. Der Kaffee war zu heiß. Die Bedienung zu langsam. Ein Ketchupfleck auf dem Boden. All das regte ihn auf. Er fand es damals komisch, amüsant, es musste für die anderen Gäste ziemlich ungewöhnlich ausgesehen haben: einer, der nur meckert und ihm gegenüber ein anderer, der sich selbst mit viel Mühe nur selten das Lachen verkneifen konnte. Er war schon damals sehr von ihm fasziniert, von der Art, wie er die Dinge betrachtete, wie er bei seiner Suche nach dem Schlechten ins Detail ging. Und wie er trotz alledem nichts hatte, was man wirklich und aus tiefstem Herzen hassen konnte. Es war eine paradoxe Paarung, die sich da angebahnt hatte, und die dann sogar so lange gehalten hatte. Doch jetzt war sie vorbei. Irgendwie betrübte es ihn, dass es so eine Szene nie wieder geben würde, selbst wenn sie sich im mittlerweile wieder eingezogenen McDo zufällig begegneten. Er hatte nur noch diese Nacht Zeit und war ein Mensch, der auf seiner Nachtruhe beharrte. So war er nun mal.
 

Er bog in die Prager Straße ein und schlenderte über den Boulevard. Die Straße war groß und breit. Er hatte noch nie eine derartige Straße gesehen. Einerseits konnte man frei atmen, man konnte sich allein fühlen, andererseits aber auch sehr einsam, man musste aufpassen, dass man sich auf dieser großen Fläche nicht verlor. Er ging am Relief am Mercure-Hotel vorbei und betrachtete es. „Dresden grüßt seine Gäste“, hätte hier gestanden, hatte ihm ein alter Mann gesagt, dem er eines Tages zufällig begegnet war. Dresden grüßt die Toten, schoss es ihm durch den Kopf. Viel zu schön. Er kletterte über die Randsteine, die die Pusteblumen säumten und musste süffisant schmunzeln. Als sie einmal hier lang geschlendert waren, hatte es ihn erwischt: Obwohl er ein Semester über ihm war, und ein halbes Jahr länger in dieser Stadt lebte, hatte nicht daran gedacht, dass der Wind, wenn er günstig bließ, die Spritzer des Springbrunnens bis auf den Bürgersteig wehte. So kam es, dass just in dem Moment, in dem sie dran vorbeiliefen, eine Böe kam und ihn von oben bis unten nass spritzte. Während er wieder aufregte, was nun dem blöden Wind einfiele, hatte er andere Gedanken. Die Muskeln, die sich unter seinem klitschnassen T-Shirt abzeichneten, waren einfach zu verführerisch. Er hätte ihn gern ins Wasser geschmissen und ihn mit seinen Küssen zum Schweigen gebracht. Aber da wie jeden Nachmittag wieder kleine Kinder mit ihren Eltern eine Pause ausgerechnet an diesem Brunnen, einem Relikt vergangener Zeiten, machten und das nicht jugendfrei war, hatte er es gelassen. Ein Trost war immerhin, dass er, nur er allein die Exklusivrechte für diesen Körper hatte. Zumindest zu diesem Zeitpunkt. Ein Lächeln verstummte, seine Mundwinkel sanken langsam nach unten. Er hatte ihn. Bis er angefangen hatte, seinen tödlichen Selbstzerstörungsprozess zu beschleunigen.
 

Er schlenderte weiter, an den unzähligen Geschäften vorbei, die Treppen hinauf zum zweiten Teil der Prager Straße. Der warme Herbstwind wehte durch sein Haar und fast wäre er endlich in dieser bitter-süßen Melancholie gelandet, in die er schon den ganzen Abend kommen wollte, als er beim Genießen der Menschenleere zufällig durch ein Sichtfenster im Bauzaun der baldigen Centrum-Galerie sah. Neben allerhand Unrat, Stahlkabeln und abgesägten Baumästen lag dort auch ein Presslufthammer. Es erinnerte ihn an etwas: ein Schraubenzieher. Der Schraubenzieher. Er war die Lösung für alles. Hatte er einmal offenbart. Das war der einzige Moment, in dem er seine Gefühle zeigte, wenngleich indirekt. Es war nur eine Kleinigkeit gewesen: er wollte eine Schraube festziehen, schaffte es aber nicht, weil er doch nicht so viele Muskeln wie sein Freund hatte. Er hatte ihn um Hilfe gebeten, doch er lehnte energisch ab. Er zöge keine Schrauben fast, sagte er laut, er sei Student und kein Handwerker. Es wunderte ihn nicht, er meckerte bei allem, doch in diesem Moment ärgerte es ihn, er wusste auch nicht warum. „Es ist doch nur ein Schraubenzieher!“, hatte er gesagt, woraufhin er erwiderte, es sei nicht nur ein Schraubenzieher, es sei gefährlich, es sei bedrohlich. Und dann war es aus ihm herausgebrochen: Sein Vater hatte ihn misshandelt. Nicht physisch, sondern psychisch. Er hatte ihn fertiggemacht, ihm eingeredet, dass er nichts wert sei, alles an ihm schlecht sei, er hatte ihm jeden noch so kleinen Fehler, alles, was ihm nicht gefiel, vorgehalten. Und immer hatte er dabei den Schraubenzieher in der Hand. Der Schraubenzieher wurde für ihn zum Symbol, ein Niemand zu sein, ein Looser, ein Nichtskönner. Einer, der abhängig ist von anderen und sein Leben nicht selbst leben kann. Einer, der anstatt sich dem Jetzt hinzugeben, auf den Angriff des Gleich vorbereitet sein musste. Er wusste nie, wann es losging, wann es ihn wieder treffen würde. Der eine Tag war ruhig, der nächste die Hölle. So lebte er in ständiger Unruhe. Er hatte ihm für eine Weile helfen können, das Negative und die Selbstzweifel zu kompensieren, zu vergessen, zu bekämpfen, aber irgendwann war es ungenutzt verpufft. Er wusste nicht, was diese Veränderung in ihm ausgelöst hatte, es gehörte zu ihm, dass er nie über seine Gefühle sprach, nur Taten tat. Es gab selten Momente, in denen er ruhig war und in denen man sah, dass er ein einfacher Mensch mit Gefühlen, Wünschen, Träumen war.
 

Er überquerte die Waisenhausstraße und blickte auf die hell beleuchtete Haltestelle. Nur noch wenige Partygänger standen da, es war auch schon fast Mitternacht, um diese Zeit strömten die Leute in die Diskotheken hinein, wenn sie wieder herauskommen würden, wäre er schon längst weg, dachte er. Dann fiel ihm ein Pärchen auf: ein Mädchen hatte sich an ihren Freund gekuschelt und schien zu schlafen. Er streichelte ihr sanft über das Haar und lächelte.
 

Das war so ein Moment. Es war ein warmer Frühlingsmorgen. Der Sonnenaufgang schien durch das Fenster und färbte die weißen Wände seiner Wohnung rosa, die Vögel zwitscherten und neben ihm lag er, sein Geliebter. Er schlief tief und fest, als könne ihn nichts stören, was er wohl träumte? Etwas schlechtes, etwas schönes? Es musste etwas sehr angenehmes sein, hatte er bemerkt: er lag da, den Kopf in das Kissen gewuschelt, nicht fest, sondern leicht wie eine Feder, die Arme ausgebreitet, seine Gesichtszüge entspannt, die Haare in alle Richtungen gepresst. Und auf seinem Mund war sogar, er konnte es nicht fassen, ein Lächeln zu sehen! Ein kleines, fast unmerkliches LÄCHELN! Er schien wirklich glücklich zu sein. Er widerstand der Versuchung, ihm über das Haar zu streichen, ihm zu küssen, aufzuwecken. Er wollte ihn schlafen lassen, auch wenn er gern den Morgen mit ihm in dieser gelösten Stimmung verbracht hätte. Nur dieses eine Mal. Nur ein einziges Mal.
 

Er ging weiter geradeaus, bog an der nächsten Ecke rechts ab und sah sein Ziel: die Kreuzkirche. Es war ganz einfach: die Tür aufbrechen, die Treppen zum Turm hinauf gehen, die Höhenangst überwinden und in die Dunkelheit springen. Morgen früh würden sie dann seine Leiche finden. Er war alles im Kopf schon hundert Mal durchgegangen, es konnte nichts schief gehen. Während er sich an der Tür zu schaffen machte, tauchte alles noch einmal vor ihm auf. Wie er plötzlich immer später nach Hause kam, Spuren anderer Männer an sich trug und wie nie eine Miene verzog. Wie er immer schweigsamer wurde, sie kaum noch miteinander redeten, sie kommunizierten fast überhaupt nicht mehr, nur das Nötigste. Er hatte alles noch ertragen. Weil er alles ertrug. Weil er ihn liebte. Weil er Mitleid hatte und diesem armen Wesen ein Zuhause geben wollte. Aber vor allem, weil er so fasziniert von ihm war. Doch irgendwann war der Bogen überspannt: Er hatte eine Grippe, die sich zu einer Lungenentzündung entwickelt hatte, bekommen und musste ins Krankenhaus. Er besuchte ihn kein einziges Mal. Alle seine Kommilitönen, selbst seine eher zufälligen StudiVZ-Freunde hatten es geschafft. Er nicht. Er tat nichts. Als er wieder zu Hause war, war er weg. Seine Sachen waren verschwunden, nicht mal einen Zettel hatte er hinterlassen. Und selbst da war er nicht wütend auf ihn, er fühlte sich einfach nur leer. Die Einsamkeit bahnte sich ihren Weg. Er war ein pessimistischer Mensch gewesen, der die Welt hasste. Zumindest gab er es vor. Aber tief in seinem Inneren liebte er es. Er lebte die Welt, die er äußerlich so sehr verachtete, er nahm die kleinen Peinlichkeiten des Alltags sogar mit Humor. Doch das gab er nur zu, wenn er viel Alkohol getrunken hatte. Andere werden davon traurig oder müde, er aber begann alles zu lieben. Er freute sich, aber er konnte es nicht ertragen, so unmenschlich es ihm auch erschien. Wenn jemand genauso wurde wie er, konnte er damit nicht umgehen. Er brauchte einen Gegenpol, jemand, der alles schlecht sah. Genauso wie er, auch wenn er selbst der traurigste Mensch der Erde zu sein schien, jemanden, der fröhlich war, die Leichtigkeit in Person. Jetzt war er nicht mehr da. Wie oft hatte er sich selbst belächelt, hatte sich versucht klarzumachen, dass diese Beziehung gefährlich war, wie oft hatte er alle Zweifel mit dem Gefühl der Faszination, und auch der Heimat weggewischt? Er hatte viele Freunde um sich herum, sein Leben war ausgefüllt. Aber etwas fehlte. Er war allein. Ganz allein. Niemand war da. In der Einsamkeit frisst sich der Einsame selbst auf, in der Vielsamkeit fressen ihn die Vielen., hatte Nietzsche gesagt, Nun wähle. Auch wenn er wusste, dass diese Worte für jemand anderen bestimmt war, passten sie doch genau zu seiner Gefühlslage: In der Vielsamkeit fressen einen die vielen Gefühle, die nicht da sind, auf. Ja, letztendlich frisst sich der Einsame selbst auf. Und er hatte großen Hunger. Inzwischen war er oben angekommen. Er atmete noch ein paar mal die kühle Nachtluft ein und aus und kletterte dann über die Brüstung. Gleich würde es vorbei sein. Doch plötzlich fühlte er ein Augenpaar auf seinem Gesicht, irgendjemand beobachtete ihn. Er schaute sich um und entdeckte in der Dunkelheit jemanden. Er stand neben ihm, sagte nichts und beobachtete ihn nur. Seine Hand, mit der er gerade die Brüstung festhielt, fing an zu zittern. „Was machst du hier?“, fragte er, doch er erhielt keine Antwort. Er begann zu zweifeln. Wenn er sich umbringen wollte, war das seine Sache, aber er wollte niemanden mit rein ziehen, keiner hatte es verdient, einem Selbstmörder bei seiner Tat zuzusehen. Er grübelte lange und ging dann wortlos an dem Störenfried vorbei. Immer noch berauscht von der bevorstehenden Tat rannte er die Treppen hinunter und suchte nach einem neuen Ort. Der Rathausturm wäre passend, dachte er. Auch wenn er später nicht mehr wusste wie, war er auf den Turm geklettert, bis kurz unter das kupfer-grüne Dach. Erneut grübelte er. War es eine Besessenheit wirklich wert, dass man sich deswegen umbrachte? Doch das Gefühl war stärker als der Verstand und er ergriff die Brüstung. Doch wieder spürte einen Blick auf seinen Schultern. „Verfolgst du mich?“, fragte er den anderen, der wieder neben ihm stand, gereizt. Und wieder sagte er nichts. Für einen kurzen Moment war ihm alles egal. Er war selbst schuld, wenn er mitten in der Nacht auf dem Rathausturm stand und einen Selbstmörder beobachtete, es hatte ihn niemand eingeladen. Doch dann siegte sein Gefühl und ging wortlos hinunter. Das kann doch nicht sein!, fluchte er, Alles kann man in dieser Stadt – Feiern, Essen, Schlafen, ewig auf die Busse warten, nur Sterben nicht! Ziellos streifte er umher. Irgendwo musste doch ein Ort sein, der leicht zu erreichen war, und von dem aus man sich hinunterstürzen konnte. Er lief und lief und kam schließlich zur Brühlischen Terasse. Das war passend – das letzte, was man sah, war ein umgekehrter Canaletto-Blick. Und nachts waren auch keine Touristen da, also niemand, der ihn beobachten konnte. Bis auf einen. „Wie lange willst du mir eigentlich noch hinterherlaufen? Ich brauche kein Schoßhündchen, das auf mich aufpasst!“, rief er und kletterte trotzig über das Geländer.

„Das würde ich nicht machen, hier ist die Klanginstallation.“, sagte der andere tonlos.

„Das interessiert mich nicht! Ich will nur springen! Also dreh dich um und verschwinde!“

„Meinst du wirklich, dass du das tun solltest? Was ist mit deinem Optimismus, deiner Fröhlichkeit? Du warst mal so … du bist auf dem Bahnstieg herumgetanzt!“

„Woher weist du das?“, fragte er verwundert aber immer noch sehr sauer.

„Das ist unwichtig. Ist es das wert?“

„Natürlich ist es das! Ich wurde von meinem Freund verlassen! Weist du, wie erniedrigend es ist, zu sehen, wie sich der Mensch, den man liebt, verändert und man nichts tun kann? Er hat alles gehasst, den verschütteten Kaffee, die Welt, aber vor allem sich selbst! Er hat alles getan, damit ich mich von ihm trenne, weil er es nicht ertragen konnte, geliebt zu werden, wenn er sich selbst nicht mal liebte! Aber hat es nicht geschafft. Ich konnte mich nie von ihm lösen! Seit er weg ist, fühle ich mich einsam, ich fühle mich leer, ich fühle NICHTS, verstehst du? Nichts! Er ist weggegangen und hat einen Teil von mir mitgenommen!“

„Nein, du hast einen Teil von ihm in DIR aufgenommen. Du wolltest nie über ihn hinweg kommen, du hast dich selbst bemitleidet und alles Schlechte gesehen, genau wie er! Du hast in dir selbst immer nur das Pendant zu ihm gesehen, ohne zu merken, dass er schon längst einen Teil seiner Persönlichkeit in dir vergraben hatte, genauso wie du! Aber er ist jetzt seit über einem halben Jahr weg, es ist langsam Zeit aufzuwachen!“

„Was?“, fragte er und spürte plötzlich die Lippen des anderen. Sie waren heiß, erregt, aufgeregt – und sehr weich. Genauso wie der Rest seines Körpers, der sich langsam an ihn schmiegte. Es fühlte sich gut an, warm und weich. Wann hatte er das letzte Mal so gefühlt? Es musste lange her sein. Er erwiderte den Kuss und versank im Meer der Glückseligkeit.
 

Irgendwann löste sich der Unbekannte von ihm und sagte bestimmt:

„Nur noch ein Hinweis: Ich bin dein Retter, und nicht mehr.“

„Mehr will ich im Moment auch nicht.“, antwortete er.
 

Und so fiel das Streichholz in den leeren Bilderrahmen und entzündete das Petroleum, das zuvor jemand hineingegossen hatte. Die Nacht verschwand und aus dem Feuer entstand der morgendliche Sonneaufgang.

Meine Insel

Meine Insel
 

Meine erste große Liebe soll wie eine Insel sein.

Mit vielen Palmen, die uns Schatten spenden.

Mit Früchten, die ich essen kann.

Und einem Sandstand, auf dem ich den ganzen Tag mit dir liegen kann.

Und Sonne, die von morgens bis abends auf uns strahlt.
 

Meine erste große Liebe soll wie eine Insel im Meer sein.

Umgeben von nichts als Wasser, das sanft gegen die Klippen wallt.

Und in dem sich jeden Tag der Sonnenuntergang spiegelt.

Eine kleine Insel.

Nur für dich und mich.

Und niemanden sonst.
 

Meine erste große Liebe soll wie eine Insel sein.
 

Das ist doch ein schöner Traum, findest du nicht? Und weist du, was das schönste ist? Er ist wahr geworden!
 

Ich sitze hier auf dem harten Boden meiner kleinen Insel und starre auf das blutrote Meer hinaus. Ich liebe den Morgen, wenn ich aufwachen muss, weil die gleißend helle Sonne mir die Lider wegbrennt und mich aus meinen Alpträumen reißt, in die ich irgendwann gefallen bin. Die tausend Sterne am Himmel, die mich an Reklametafeln erinnern, leuchten so hell, dass ich sie sehr lange genießen kann. Ich liebe auch den Mittag. Wenn ich nach stundenlanger Suche etwas Essbares gefunden habe. Es ist nicht genießbar, ich weis, dass ich danach Bauchschmerzen bekommen werde und mich übergeben muss. Aber allein das Kauen der tiefbitteren Früchte bereitet mir Freude. Ich genieße auch die Nachmittage, an denen ich am steinharten Strand liege und hinausstarre. Wie die blutroten Welln alles verschlingen und nichts hervorbringen, der Anblick ist atemberaubend! Und ich liebe den Abend, an dem ich mich in die Mitte meiner kleinen Insel stelle und wieder auf das Meer hinausblicke. Wie das Meer immer stürmischer wird und die Gicht auf meine Haut spritzt und sie verätzt wie Salzsäure.
 

Falls du jetzt denken solltest, dass ich nicht glücklich wäre, dann muss ich dir widersprechen, mir geht es wundervoll! Es gefällt mir wirklich gut auf meiner kleinen Insel. Denn das Meer schützt mich vor dir und das ist schön. Für dich wäre das nichts. Diese Einöde, ewig dauernde Einsamkeit würde dich wahnsinnig machen. Du stehts lieber auf Insel-Hopping. Du fährst von Insel zu Insel, machst die Bewohner glücklich, erfüllst ihnen ihren größten Traum und danach fährst du weiter, weiter zur nächsten Insel. Die Bewohner winken dir meist freundlich hinterher und segnen dich mit göttlichen Sprüchen. Manche verfluchen dich und zertrümmern Häuser und Stühle wegen dir. Und wieder andere hängen sich auf oder essen eine giftige Frucht. Aber ich bin nicht so. Ich habe dir nicht freundlich hinterhergewunken, ich habe auch keine Stühle zertrümmert oder mich aufgehangen.
 

Nachdem du mir die innige Liebe gegeben und dann weitergezogen bist, bin ich dir einfach hinterhergefahren. Durch das ganze Meer, immer wieder, hinter dir her. Ich dachte, dass du dich irgendwann umdrehst und mir noch einen Blick schenkst. Aber du tatest nichts. Vielleicht hast du mich nicht bemerkt, nicht bemerken können, du warst so beschäftigt mit dem Umhersegeln. Und trotzdem bin ich dir immer weiter hinterhergefahren. Bis mein Boot irgendwann an dieser Insel strandete. Ich habe gewartet und gewartet, bis es der Wind wieder auf das Meer hinaustreibt. Aber auf dieser Insel weht kein Lüftchen. Mein Boot zerfiel mit der Zeit und ich blieb hier auf dieser Insel. Auf meiner kleinen, eigenen Insel. Es geht mir wirklich gut hier.
 

Manchmal frage ich mich, ob du an mich denkst. Wenn du zwischen den Inseln über das unendliche Meer segelst und nachdenkst, weil dich die Zeit und die Wolken und du selbst dazu treiben. Komme ich dir in den Sinn? Siehst du, wie glücklich ich war, als du mir begegnet bist? Als du mich geküsst und mir geschworen hast, dass ich der einzige für dich sei? Erinnerst du dich an die Tränen, die ich zum Abschied vergoss? Oder bin ich für dich einer wie jeder andere auf deinem Weg über die Inseln?
 

Weist du, manchmal denke ich an dich. Manchmal frage ich mich, ob es dir gutgeht. Ob es dir gut dabei geht, jedem die große Liebe zu schwören und dich nach ein paar Tagen wieder zu verabschieden. Vielleicht erfüllt die Freude der anderen dein Herz und betäubt die Leere, die sonst darin herrscht. Du bist ein Suchender, der auf allen Meeren etwas zu finden hofft, was er selbst nicht kennt. Vielleicht möchtest du glücklich sein. Vielleicht möchtest du genau das haben, was du anderen gibst. Ich hoffe, dass du es irgendwann findest.
 

Ich habe es schon gefunden. Es ist hier, direkt vor mir. Es ist meine kleine Insel. Mit dem steinharten Boden, den ungenießbaren Früchten, mit den gleißend hellen Sternen und mit dem blutroten Meer, das sie umgibt, und das niemanden zu mir lässt. Es ist eine Insel nur für mich, ohne dich. Du kannst mir glauben, es geht mir wirklich gut hier. Wirklich.

Friendship - All you wanted

”Hi! Wie geht es dir?”, ertönte es aus dem Hörer, den Regina mit Mühe aus ihrer Manteltasche gefischt hatte. Die Stimme ihrer besten Freundin Felicitas klang fröhlich, aber das konnte täuschen, ganz im Gegenteil, je glücklicher sie klang, desto schlechter ging es ihr. Doch sie wartete ab und antwortete unbekümmert:

„Ganz gut, die Schule war ziemlich langweilig, aber ab morgen sind ja Ferien! Und dir?“

„Ich hab es vermasselt.“, erwiderte Felicitas tonlos.
 

‚Scheiße. Scheiße, Scheiße, Scheiße!’, schoss es Regina durch den Kopf und ihr wäre vor Schreck beinahe das Telefon aus den steifen Fingern gefallen. Sie hatte es vermasselt. Sie. Hatte. Es. Vermasselt. Sie war durch die wichtigste Prüfung ihres Lebens gefallen. Die Prüfung, die über ihre weitere Zukunft entscheiden sollte. Einfach so. Ohne Wenn und Aber. Ohne alles den Boden unter den Füßen verlieren. Nicht wissen, wie es weitergeht. Mit dieser Prüfung hätten ihre alle Türen offen gestanden, jetzt musste sie durchs Fenster springen ohne zu wissen, wie hoch das Gebäude war. Regina konnte es nicht glauben. Das durfte nicht wahr sein!
 

„Bist du dir sicher? Hast du alle Punkte nachgezählt? Vielleicht hat sich ja der Prüfer geirrt!“, fragte sie verzweifelt nach.

„Bei Abschlussprüfungen kann man keine Punkte nachzählen, das weißt du doch.“, antwortete ihre Freundin resigniert, „Man bekommt nur einen großen Zettel, auf dem draufsteht, dass man es nicht geschafft hat.“

„Aber, aber dann verlang doch, dass du noch mal drübergucken kannst, du hast ein Recht darauf!“, rief Regina verzweifelt. Die konnten ihrer besten Freundin doch nicht einfach die Zukunft ruinieren!

„Nein.“, erwiderte Felicitas.
 

Nein. Natürlich nein. Das wusste Regina genau. Über diese Prüfungen guckten drei unabhängige Lehrer drüber, das Ergebnis war somit sicherer als sicher und konnte nur in begründeten Fällen angezweifelt werden. Dazu zählten Verdacht auf Bestechung, Formfehler oder irgendetwas anderes. Nicht bestehen gehörte nicht dazu. In diesem Moment hasste sie es, die Klügere zu sein. Felicitas hatte alles, was sie nicht hatte: sie war schön, sie war beliebt, sie hatte einen Freund, tolle Eltern und viel Geld. Sie war auch ziemlich clever, aber das letzte Fünkchen fehlte ihr. Daher war es Regina anfangs auch komisch vorgekommen, dass sie sich überhaupt angefreundet hatten. Was wollte so eine perfekte Frau von ihr, einem Mauerblümchen, einer Außenseiterin, die außer ihrer Intelligenz nichts anziehendes hatte? Sie vermutete eine Wette mit ihren Freundinnen, ob sie es schaffte, eine graue Maus in einen Vamp zu verwandeln. Oder sie wollte ihr Wissen ausnutzen, um sich noch mehr Vorteile zu verschaffen. Vielleicht wollte sie sich einfach lustig über sie machen. Aber dem war nicht so. Seit Felicitas sie eines Tages im Speisesaal angesprochen hatte, weil sie Hilfe bei den Mathehausaufgaben brauchte, war ihre Verbindung immer tiefer geworden, sie wurde sogar von ihren Möchtegern-Freundinnen immer komisch angeguckt, weil sie jetzt mit ihr ‚abhing’. Felicitas war nicht von ihrem himmlischen Thron heruntergestürzt, aber jeder fragte sich, was das tollste Mädchen der Schule von dem Bücherwurm wollte. Regina wusste es nicht. Aber Felicitas tat ihr gut. Für sie war alles immer so einfach, wenn sie ein Problem hatte, löste sie es. Während Regina wochenlang über einer Entscheidung grübelte, sagte Felicitas einfach ‚Wir machen das!’ und es wurde gemacht. Sie machte sich keine Gedanken über Fehler, sie übersah sie einfach. Gerade wenn Regina mit ihrer Ehrlichkeit alles überfuhr, was ihr im Weg stand, lächelte sie Felicitas einfach an. Jede andere wäre beleidigt, verletzt gewesen, wenn sie Bedenken wegen ihrem neuen Freund, einem Kleid geäußert oder einfach widersprochen hätte. Aber sie tat es nicht. Regina schätzte das an ihr, es beruhigte sie auch irgendwie. Felicitas war perfekt.
 

Umso mehr bedrückte sie nun die Hilflosigkeit ihrer besten Freundin. Damit hatten sie beide nicht gerechnet. Sie hätten vielleicht damit rechnen müssen, schon seit Wochen ging es mit Felicitas’ schulischen Leistungen bergab, aber sie dachten, sie schafften das. Beide. Felicitas glaubte an sich und Regina glaubte an sie. Sie hätte es besser wissen müssen. Regina wusste alles. Regina wusste, dass sie mit dem Gedanken spielte, Schriftstellerin zu werden und deswegen viel Stress mit ihrem Freund und ihren Eltern hatte. Und sie hatte sie darin bestärkt. Wie dumm war sie eigentlich? Sie als ihre beste Freundin hätte sie davon abbringen sollen, es wäre ihre Pflicht gewesen, ihre Zukunft zu retten und nicht zu ruinieren! Aber sie hatte es nicht lassen können! Warum hatte sie ihr nur immer wieder gesagt, dass sie schreiben sollte, wenn es ihr gefiele? Warum hatte sie enthusiastisch nachgefragt, wie weit sie mit ihrer Geschichte sei? Warum hatte sie ihr nicht vorgerechnet, dass die Schriftstellerei eine brotlose Kunst war? Warum hatte sie ihr keinen Lernplan erstellt? Warum musste sie gegen sie sein? Wollte sie sie zerstören? War sie in Wirklichkeit nur neidisch auf sie und wollte sie deswegen vernichten? War sie wirklich so gemein?
 

„Regina, bist du noch dran?“, die Stimme ihres Opfers riss sie aus ihren Gedanken.

„Ja … Wollen wir bei einer Tassen Kaffee darüberquatzschen?“, fragte sie. Ihre Hand tat weh, sie war bei der Kälte einfach eingefroren.

„Gerne. In einer Stunde im ‚Bongos’?“, Felicitas klang wieder fröhlich.

„Klar.“, sagte Regina. In einer Stunde.

„Also, bis dann!“, sie schien sich wirklich zu freuen und wollte schon auflegen, als Regina sie aufhielt:
 

„Es tut mir leid!“
 

„Muss es nicht. Tschau!“, antwortete Felicitas knapp. Wahrscheinlich meinte sie es auch so. Was Reginas Schuldgefühle nur verstärkte.
 

Eine Stunde. Sie hatte eine Stunde um ihre Gedanken zu ordnen. Eine Stunde um sich auf das Unvorbereitete vorzubereiten. Regina fühlte sich wie auf dem Weg zur Hinrichtung. Natürlich, Felicitas würde sie nicht dafür verantwortlich machen. Ganz im Gegenteil, sie würde ihr dankbar sein, dass sie sie immer unterstützt hatte. Sie hatte sie unterstützt. Sie hatte versucht, ihre Freundin in dem zu bestärken, was dieser am wichtigsten war. Wollte sie am Ende nur ihrer Meinung sein? Hatte sie Angst zurück gewiesen zu werden, als Spießerin zu gelten, die genau das sagte, was alle anderen sagten? War sie sich selbst untreu geworden?
 

Aber das war egoistisch! Felicitas würde sich keine Gedanken um sie machen, auch nicht um sich selbst, sondern überlegen, wie es weitergehen würde! Realistisch betrachtet gab es nicht viele Optionen: ihr Medizinstudium konnte sie vergessen, mit dem Mittelschulabschluss ließ sich zwar einiges anfangen, aber nichts, was den Ansprüchen ihrer Eltern genügen würde. Sie hatte sie selbst erlebt, als sie einmal bei Felicitas zuhause gewesen war: das Haus war staubkornfrei, überall wuselte eine Putzfrau herum, das Besteck lag geometrisch exakt auf dem Tisch und ihre Eltern redeten in einem Stil, den ihre Deutschlehrerin für falsch halten würde, so überholt war er. Dass Felicitas wöchentlich Bericht über ihre Noten und Ausgaben erstatten musste, war eine Selbstverständlichkeit. Nur, dass ihre Eltern sie überwachten, hätte sie nie für möglich gehalten, bis ihr ihr Vater eines Tages die Notizen für ihr erstes Buch vor die Nase gehalten hatte. Nach der darauf folgenden Diskussion hatte er Felicitas’ Kreditkarte gesperrt, sodass sie ihn um jede Kleinigkeit bitten musste, selbst das Geld für das Mittagessen musste sie erbetteln. Ihre Mutter war zwar liberaler, aber natürlich wollte auch sie, dass etwas aus ihrer Tochter wurde. Der Plan einer Schriftsteller-Schule war somit hinfällig. Wenn sie Glück hatte, könnte sie ihren Vater bitten, die Prüfung wiederholen zu dürfen, aber dann würde er sie vermutlich noch mehr überwachen und Regina wusste nicht, ob sie das aushalten würde. Auch ihre Freunde würden sie verlassen, ihr Freund würde sich eine bessere suchen, die Situation war aussichtslos.
 

Und inmitten dieser Ausweglosigkeit wäre sie als Freundin wichtig. Sie, die nichts konnte. Sie, die Felicitas ferner war als ihre Eltern. Sie, die nichts von dem hatte, was Felicitas besaß. Jedes Wort, jeder Rat könnte das Falsche bedeuten, konnte sie noch tiefer in den Abgrund reißen. Was wusste Regina schon von Felicitas’ Leben? Sie war soviel anders als sie. Ihre Eltern waren arbeitslos, sie hatten nie viel Geld gehabt und mussten noch dazu ein Kind durchbringen. Manche Leute ziehen das Glück magisch an, Regina gehörte nicht dazu. Sie besaß keine tollen Klamotten, sondern nur eine kostenlose Bibliothekskarte, ihre besten Freunde waren Krisabella White und Richard Fallen, die Meisterdetektive, die jeden übernatürlichen Fall mit viel Wissen lösten, und sie las lieber als auf Parties zu gehen. Überhaupt konnte sie nicht mit Menschen reden, sobald jemand auch nur in ihre Nähe kam, wurde sie unruhig. Und was in diesem Moment das schlimmste war: Regina wusste alles, hatte die Prüfungen mit Bravur bestanden und sah einem Jura-Studium entgegen.
 

Es war zum verzweifeln! Es war so zum Verzweifeln! Felicitas gab ihr soviel und jetzt, wo es darauf ankam, ihr etwas zurück zu geben, konnte sie es nicht! Das Leben war so ungerecht, so beschissen, so gemein! Alles war gemein, alles war fies, alles war weiß!
 

Die Tränen kullerten über ihre Wangen und fielen als gefrorenen Kugeln zu Boden. Es war kalt. Unheimlich kalt. Der Schnee türmte sich überall und der Wind pustete ihr die Kälte ins Gesicht. Nur wenige Menschen waren auf den Straßen, vermummt wie Verbrecher. Und sie war einer von ihnen. Sie starrte gerade in den Himmel und fragte sich, ob die dunklen Wolken irgendwann verschwinden würden, als sie mit jemandem zusammenstieß.

„Oh, sorry, tut mir leid!“, eine männliche Stimme drang von weit her zu ihr, doch sie hörte es nicht. Stattdessen hörte sie Musik:
 

Ich wollte so sein wie du

Ich wollte alles haben

Also versuchte ich genau wie du zu sein

Und ich habe mich dabei verloren
 

Ich wusste nicht, dass es so kalt war und

Du jemanden brauchtest,

der dir einen Ausweg zeigt

Also nahm ich deine Hand und wir überlegten uns,

dass ich dich mitnehme,

wenn die Flut kommt.
 

Wenn du möchtest,

kann ich dich retten,

ich kann dich von hier wegbringen

Du bist so einsam im Inneren,

und äußerlich so geschäftig.

Und alles, was du wolltest,

war jemand, der sich um dich kümmert.
 

Ich sinke langsam,

bitte, halt mich,

deine Hand ist die einzige, an die ich mich klammern kann

Bitte sag mir,

damit ich es sehen kann,

wohin du gehst, wenn du verloren bist.
 

Wenn du möchtest,

kann ich dich retten,

ich kann dich von hier wegbringen

Du bist so einsam im Inneren,

und äußerlich so geschäftig.

Und alles, was du wolltest,

war jemand, der sich um dich kümmert.
 

Alles, was du wolltest, war jemand, der sich um dich kümmert

Wenn du mich brauchst, dann bin ich für dich da!
 

Wenn du möchtest,

kann ich dich retten,

ich kann dich von hier wegbringen

Du bist so einsam im Inneren,

und äußerlich so geschäftig.

Und alles, was du wolltest,

war jemand, der sich um dich kümmert.
 

Bitte, kannst du mir sagen,

damit ich es endlich sehen kann,

wohin du gehst, wenn du verloren bist.


 

Sie hatte Recht. Wer auch immer das war, er hatte recht. So einfach war das. Sie brauchte sie. Sie brauchte sie wirklich. Sie brauchte jemanden, der ihr half. Und das war sie. Egal, wie sie sie retten würde, Felicitas würde sich vielleicht selbst retten, aber sie brauchte jemanden, der ihr einen Rettungsring hinhielt! Sie hielt ihn in der Hand, sie durfte ihn nicht wegschmeißen oder die Luft rauslassen, nur weil sie meinte, ihn nicht verdient zu haben. Sie hatte Felicitas verdient. Sie war es wert mit ihr befreundet zu sein! Weil sie sie verstand und ihr ehrlich ihre Meinung sagte. Das war das wichtigste! Felicitas hatte sie nicht umsonst als Freundin auserwählt!
 

„Wer ist das?“, fragte sie den jungen Mann gedankenverloren.

„Michelle Branch, irgendsoein Girlie aus den Nineties. Schon ziemlich oldschool, aber verdammt heiß. Soll ich dir den Track mailen?“, antwortete der Junge.

Regina rückte ihre Brille zurecht und sah ihn an. Er sah aus wie einer der Hiphopper aus ihrer Schule und hatte blaue Augen. Für einen Moment war sie mal nicht bei Felicitas oder sich, sondern bei diesem recht ansehnlichen Mann.

„Nein, danke.“, erwiderte sie verwirrt.

„Wirklich? Als du die Musik gehört hast, sahst du irgendwie cleaner aus.“, sein heißer Atem beschlug ihre Brille.

„Nein, tut mir leid ich muss … los…!“, stotterte sie und wollte weitergehen, als er sie sanft am Ärmel packte und ihr einen Zettel in die Hand drückte.

„Hier, meine Mail, falls du es dir anders überlegst – ist echt hamma, das Teil!“

„Danke!“, sagte Regina und verstaute den Zettel in ihrer Manteltasche.
 

Dann lief sie locker durch den Schnee, sie hatte das Gefühl, als wäre eine große Last von ihr gefallen. Sie lief nicht zu ihrer Hinrichtung, sondern zu einer Trost-Session. Ihre beste Freundin brauchte sie jetzt!

Fotograf

Hier eine Story, die eher zufällig entstanden ist... es geht wieder um die Kunst. Leider habe ich keine Ahnung von Profi-Fotografen, Anregungen sind willkomen... Ich liebe Betrand Lumiere... wie die Kerze aus Beauty and the Biest :-D
 

Lest fröhlich!
 

„Och, Hasi, du bist ja soooo süß“, quietzscht sie, während sie mit der einen Hand seine fest umklammert und ihm mit der anderen liebevoll die Wange tätzschelt. „Und du riechst so gut!“, fügt sie raunend hinzu und wirkt dabei wie ein kleines Kind, das seine in der Midlifecrisis befindliche Mutter nachäfft. Er seinerseits hält ihre Hand und guckt sie mit strahlenden Augen an. Doch sein Strahlen hat einen schwarzen Fleck, vermutlich ist es ihm peinlich, von seiner Freundin vor anderen wie ein Teddybär behandelt zu werden. Einer Meinung, der ich nur zustimmen kann. Die ganze Situation ist total peinlich. Ich – Single – soll ein superverliebtes Pärchen – bald verheiratet – ablichten. Und das ist mir absolut zuwider. Ich fotografiere gerne Bewerber, auch Kinder, die ihren Eltern etwas schönes schenken sollen, Familienfotos, von mir aus auch Frauen, die ihre Männer mit erotischen Fotos überraschen wollen. Alles kein Problem für mich. Nur verliebte Pärchen gehen mir total auf den Geist. Es gibt Kollegen, die sie lieben. Sie lieben den Esprit, der von ihnen ausgeht, die Frische, das Strahlen von Glück, die Unberechenbarkeit. Für mich sind sie einfach nur nervig. Dauernd befummeln sie sich, schauen sich verliebt an, sie haben ein Gefühl für die vermeintlichen Bedürfnisse des anderen, aber nicht einen Hauch Ahnung von einem guten Foto. Ihr verliebter Blick mag verliebt sein, aber wenn sie ihr Gesicht im Schatten hat oder er die Beine unglücklich stellt, dann ist das nicht schön! Und Sabrina weiß das! Sie weiß, verdammt noch mal, dass ich keine verliebten Pärchen vor meiner Linse haben will! Und dann das! Warum musste sie ihrer besten Freundin auch versprechen, dass sie sie fotografieren würde, ein paar Fotos um „den Moment für immer festzuhalten“ – und zu hoffen, dass es für immer so toll blieben wird, dass ausgerechnet sie von den drei berüchtigten Beziehungskillern Untreue, Langeweile und Auseinanderleben verschont bleiben würden! Alle drei hatten sich ja sooo gefreut – und dann wurde Sabrina von der Grippe außer Gefecht gesetzt. Und anstatt den Termin abzusagen, wie man es sonst macht, schlug sie vor, dass ich das übernehmen würde, ich sei der beste Fotograf der Stadt – und nebenbei könnte ich ihren Freund „abchecken“! Ich, der schon seit Jahren Single und von den Männern nur verarscht worden war, sollte also den Zukünftigen der Freundin meiner Kollegin beobachten und darüber Bericht erstatten. Schließlich bekam sie von ihrer Freundin natürlich nur Positives zu hören und auch bei Google konnte sie keinen Fleck auf seiner weißen Weste entdecken. Ein Gespräch von Mann zu Mann sollte Klarheit schaffen!

„Ach Hasi, ist es nicht schön hier!“, seufzt sie pathetisch. Auch wenn ich nicht weiß, was an einer weißen Wand so schön ist – nur Kunstkritiker finden weiße Wände gut, nicht mal die Künstler selbst! Ihr Freund scheint das erkannt zu haben, denn er legt zärtlich seine Hand auf ihre Hüfte und raunt:

„Ja, aber das Schönste in diesem Raum bist immer noch du!“ Bevor sie weiterreden und am Ende noch übereinander her fallen können, trete ich aus dem Schatten meiner Kamera und gehe ein paar Schritte auf sie zu:

„Hallo, ich bin Bert, die Vertretung für Sabrina!“, ich halte ihnen meine Hand hin.

„Bert? Wie „Cindy & Bert“?“, fragt er belustigt und erwidert meinen Gruß. Ich nehme ihm das nicht übel. Auch meine Eltern mögen „Cindy & Bert“ und sogar für mich ist dieses Heile-Welt-Gesinge ganz beruhigend. Nur der Spruch seiner Freundin verschlägt mir die Sprache, auch wenn ich damit rechnen müsste:

„Bert? Sag mal, bist du schwul?“ Ich hasse Frauen. Nicht alle Frauen. Ich hasse sie nicht dafür, dass sie sofort erkennen, wenn ihr Gegenüber vom anderen Ufer ist. Aber ich hasse verliebte Frauen, weil sie nur wegen einem Typen einfach alle Anstandsregeln über Bord werfen. Ich schlucke kurz und antworte dann mit einem gequälten Lächeln:

„Nein, Bert wie Bertrand, Bertrand Lumière!“, ich ziehe eine Visitenkarte aus der Hosentasche und drücke sie ihm in die Hand; vermutlich würde sie anhand der Schriftgröße und der Farbe gleich mein Horoskop für die nächsten drei Jahre erstellen, „Und wer seid ihr? Sabrina hat mir schon erzählt, dass ihr ein paar schöne Fotos machen wollt!“

„Ad…“, setzt er an, doch sie unterbricht ihn: „Ich bin Michelle, und das ist mein Verlobter Adriano. Ist er nicht süß?“ Nein, ist er nicht. Er ist nicht süß, dafür sind seine Gesichtszüge zu kantig, seine Augenbrauen zu buschig, sein Haarschnitt zu buissnessmäßig und sein ganzer Klamottenstil zu trendy. Andere würden ihn vielleicht attraktiv finden, aber keiner außer einer Frau würde ihn als „süß“ bezeichnen.

„Ja, also…“, setzt er noch mal an, doch er zieht schon wieder den Kürzeren:

„Wir wollten ein paar hübsche Schnappschüsse, nur wir zwei, ganz intim“ – völlig intim, nur die beiden und ich – „Und ein paar für Facebook. Und wenn sie gut werden, können wir sie ja auch für die Einladungskarten für die Verlobungsfeier nehmen! Was meinst du Hasi?“

„Ja Schatz… das ist eine gute Idee!“, nur aus dem Zucken seiner Augenwinkel kann ich erkennen, dass er das für keine gute Idee hält.

„Schön, dann würde ich sagen, dass ihr euch auf das rote Sofa setzt“, ich zeige auf den roten Fleck ein paar Meter weiter rechts, „Und dann reden wir ein bisschen, damit ihr locker werdet! Möchtet ihr Tee, Kaffee, Wasser?“, fast hätte ich es vergessen – wäre kein großer Verlust gewesen. Sie nehmen übereinstimmend einen Mate-Tee. Während ich in die Küche gehe, um den Wasserkocher anzuschmeißen und zu fluchen, weil wir keine Kopfschmerztablette im Haus haben, hoffe ich, dass es sich die beiden nicht „zu“ gemütlich machen.
 

„Dann erzählt doch mal, wie das alles angefangen hat!“, bitte ich und wie das bei verliebten Pärchen so ist, plaudern sie munter drauf los und ergänzen dabei Satzfetzen oder ganze Passagen, die der eine anfängt, sodass man am Ende gar nicht mehr weiß, dass zwei Leute geredet haben. Bei Adriano und Michelle fing alles – auch wenn es noch so einzigartig scheint – auf der simplen Gartenparty der Freundin einer Freundin an. Michelle hatte sich anfangs sehr, sehr unwohl gefühlt, weil sie niemanden, gar niemanden, wirklich niemanden kannte, und, und sie fühlte sich so… so allein und sie aß und versuchte mit irgendjemandem zu reden, was ihr normalerweise leicht fiel, aber da sie hier niemanden kannte dann doch nicht, und so ging sie irgendwann zum Grill, um sich ein paar Würstchen zu holen. Und Adriano, der mit einer schneeweißen Kochmütze, einer schneeweißen Schürze über seinem babyblauen Hemd und der dunkelblauen Jeans und den hellbraunen Lederschuhen dastand, hatte nicht etwa gefragt, wie viele, oder ob sie auch sein Würstchen haben wollte. Nein, er hatte tatsächlich, wirklich, echt, gefragt, ob sie ein Tofuwürstchen haben wollte! Ein Tofuwürstchen, so was kannten Männer nicht, Männer wussten nichtmal, dass man auch ohne Fleisch überleben konnte, Männer hielten „vegetarisch“ für eine besondere Sexstellung – ist das nicht süß! Er dagegen hatte sie schon den ganzen, langen Abend beobachtet, wie sie mit Top und Rock dasaß und versuchte, mit Leuten zu reden, und er hatte gehofft, dass sie irgendwann Hunger bekam und sich etwas zu essen holte. Und dann hatten sie sich unterhalten und die Handynummern ausgetauscht, aber als sie anrief, war seine Schwester rangegangen, von der sie nichts wusste, und so war sie sauer auf ihn gewesen, aber trotz des Missverständnisses waren sie zusammengekommen und nun schon seit zwei Monaten glücklich. Ich würde gerne reihern, so zuckersüß und langweilig ist ihre Geschichte, aber mein Equipment ist zu teuer.
 

Und außerdem muss ich fleißig Fotos schießen, nur um schon beim groben Durchgucken festzustellen, dass sie total unfotogen ist. Dauernd wedelt eine Hand vor ihrem oder vor seinem Gesicht oder sie zieht Grimassen oder sie versteckt sich halb im Sofa! Um nicht völlig auszuflippen, widme ich mich ihrem Freund, der erstaunlich gut mit seinem Körper umgehen kann; während sie wild umhergestikuliert, ist er immer beherrscht, er sieht auf jedem Foto gut aus; nicht süß, nicht attraktiv, er tut irgendwie immer das Richtige und wirkt dabei trotzdem sehr locker. Solche Menschen trifft man selten; die meisten haben anfangs Hemmungen, und wenn man diese nach ein paar Minuten oder Stunden aufgelöst hat, agieren sie frei und unbeschwert, aber man muss sie immer wieder korrigieren. Bei Adriano dagegen passt alles. Und das macht ihn interessant. Ich würde zu gerne wissen, wie weit man mit ihm gehen kann. Wäre nebenbei auch eine gute Möglichkeit, um ihn „abzuchecken“ Aber erst muss ich seine Freundin loswerden. Nachdem die beiden aufgelockert genug sind, stelle ich sie vor die weiße Wand und lasse sie weitererzählen. Von irgendwelchen Kleinigkeiten. Ich lasse sie auf einer imaginären Wiese im Sommer springen, sich über den ersten gemeinsamen Urlaub freuen, von ihrem zweiten und ihrem dritten Date erzählen, von ihrem ersten Kuss und dem Morgen nach der ersten Nacht. Es fasziniert mich immer wieder, dass manche Menschen mit Händen, Füßen und allen anderen Körperteilen gleichzeitig agieren können, während sie auf einem Stuhl wirken, als hätte man das Unterteil festgekettet. Michelle ist so ein Mensch. So schlimm ihr Herumfuchteln auf dem Sofa war, so hilfreich ist es jetzt. Die Anzahl guter Fotos wird diesmal wahrscheinlich höher sein. Zum Schluss folgt der wirklich intime Teil: das Bett. Es ist nicht nur gut, um nach einer langen Session nicht nach Hause fahren zu müssen oder schreiende Babies zu beruhigen, sondern es vermittelt den Menschen trotz der Fremde etwas persönliches, ein eigener Raum, in den sie sich einschließen können. Sabrina hatte mir den Tipp mit der pastellfarbenen Blümchenbettwäsche gegeben; Frauen lieben Blümchen und da Michelle nichts gemustertes trägt, passt das sogar. Ich frage sie, ob sie die Schuhe ausziehen möchte und schlage Adriano vor, seine festgezurrten Gürtel zu lockern und das Hemd heraushängen zu lassen. Um die Stimmung noch „kuscheliger“ zu machen, dimme ich das Licht und suche im Internet nach ihrem Lieblingssong (wieder übereinstimmend: Norah Jones, „Don’t know why’ – gute Wahl) Einen Kaffee später schleiche ich mich unauffällig zu meiner Kamera und beginne, die beiden zu fotografieren. Sie sind am Knuddeln und Kuscheln und Busseln, was in mir trotz aller Abneigung ein paar Sehnsüchte auf den Plan ruft, die ich gekonnt überspiele. Sie sind überrascht, als ich plötzlich routiniert rufe, sie mögen doch bitte mehr zur Kamera gucken. Ein bisschen muss ich an Michelles schulterlangem Haar korrigieren, aber ansonsten werden sie immer besser. Nach zwei Stunden ist es Zeit für eine Pause. Ich wecke in Michelle die Erinnerung an einen superleckeren Bäcker mit hyperleckeren Cupcakes und megaleckerem Kuchen und so hüpfelt sie locker von dannen, nicht, ohne sich küssend, hintern-streichelnd, anderweitig-befummelnd und wieder küssend von ihrem Liebsten zu verabschieden. Zeit für mich. Sie muss ja nicht abgecheckt werden, sie ist ja nicht meine Freundin!
 

Nachdem Adriano seiner Freundin genug hinterhergewunken hat, werde ich etwas entspannter.

„Kaffee?“, frage ich lachend. Die meisten Menschen – und seien sie noch so verliebt – verhalten sich ohne ihren Partner doch etwas anders.

Er überlegt eine Weile, wahrscheinlich denkt er darüber nach, ob Michelle sauer sein wird, aber schließlich stimmt der zu:

„Schwarz“

Ich gehe in die Küche und schmeiße die Kaffeemaschine an.

„Du hast eine tolle Freundin!“, beginne ich, um meine wahren Absichten nicht gleich zu offenbaren.

„Ja, sie ist echt super!“, antwortet er und steht auf einmal neben mir, „Ihr Humor ist einfach klasse! Sie bringt mich zum Lachen, sie steht auf eigenen Füßen und ihr Körper ist … der Hammer! Du verstehst das wahrscheinlich nicht, aber sie ist einfach die perfekte Frau für mich!“

„Doch, das tue ich. Das ideale Gesamtpaket. Scheinbar.“, ich sollte meine Liebe-ist-scheiße-Meinung lieber für mich behalten, sonst ist das Gespräch schnell beendet, „Was macht ihr eigentlich beruflich?“, lenke ich ab.

„Mediengestalterin, sie arbeitet bei einer großen Werbeagentur. Und ich, ich bin in der Finanzbranche tätig.“, erzählt er.

„Aktienhändler?“, frage ich.

„Nein, Kundenberater!“

„Oh! Daher die geschickte Mimik“, murmle ich in mich hinein, doch er hat es gehört:

„Welche Mimik?“

„Du bewegst dich ziemlich gut, sehr fotogen.“, erkläre ich sachlich.

„Das sagen meine Freunde auch immer!“, lacht er, „Kommt wahrscheinlich vom Turnen, da lernt man, seinen Körper zu beherrschen!“

„Tatsächlich…“, für einen Moment löst sich sein Hemd auf und legt seinen beeindruckenden Körper frei. Für einen Turner könnte ich die buschigen Augenbrauen übersehen. Um meine unkontrollierbaren Zuckungen zu überspielen, leere ich den Kaffeefilter, säubere die Kaffeemaschine kurz mit einem Lappen und gieße das heiße Getränk in zwei Tassen.

„Und, was machst du so?“, die Frage irritiert mich.

„Ich bin Fotograf“, antworte ich wahrheitsgemäß.

„Ja, aber wie ist es so… andere zu fotografieren?“, ist er Günter Jauch?

„Besser als davor zu stehen, oder?“, ich muss lächeln bei dem Gedanken, dass ich sehr, sehr selten fotografiert werde, „Es ist toll, mit verschiedenen Menschen zu arbeiten, ihre Persönlichkeit zu erkunden und das Beste aus ihnen herauszuholen. Man muss sich immer wieder auf andere Bedürfnisse einstellen; bei einem Werbefoto steht das Produkt im Vordergrund, bei einem Modell oder Familienfoto die Personen selbst, und bei solchen Fotos wie ihr sie wollt, die Emotion. Und am Ende muss es einfach gut aussehen. Keine einfach Aufgabe!“

„Das kann ich mir gut vorstellen. Bei mir sind die Kunden teilweise ziemlich krass… Und warum wolltest du Fotograf werden?“, langsam habe ich die Nase voll – ich wollte IHN ausfragen, nicht er mich, und außerdem muss ich mir von einem „süßen“, superverliebten Typen doch nicht in die Seele gucken lassen! Um ihn abzulenken, holte ich die Kamera und fange an, ihn beim Kaffeetrinken zu knipsen.

„Ich liebe Menschen und ich wollte ihnen helfen, dass sie nicht nur von innen, sondern auch von außen schön sind. In unserer heutigen Welt sind alle Augen auf ein perfektes Äußeres gerichtet, niemand möchte den Menschen sehen, der sich hinter dieser Maske verbirgt. Dagegen möchte ich etwas tun! Und ich liebe die Kunst, ich liebe es, mit Farben und Formen zu spielen.“, ich nehme einen Schluck Kaffee, „Und du, was hat dich bewogen, bei einer Bank zu arbeiten?“

Er überlegt eine Weile, und dieses Überlegen einfangen zu können, ist wundervoll. Die Falten auf seiner Stirn reichen bis zum Boden, sein Blick ist so leer, er versucht gerade zu stehen, doch alles sackt nach unten.

„Naja… Banker werden immer gesucht; es ist ein Beruf mit Zukunft, jeder hat schließlich Träume, die finanziert werden müssen. Falls du also mal einen Kredit brauchst…“, sagt er schließlich monoton.

„Das klingt ja nicht sehr begeistert.“, stelle ich fest. Wieder so ein Spießer!

„Naja, du musst dich eben entscheiden: wählst du Sicherheit oder Risiko. Ich habe mich für die Sicherheit entschieden.“, erklärt er. Ich hasse Spießer!

„Und wenn du morgen tot bist?“, frage ich.

„Und wenn ich morgen noch lebe?“, fragt er zurück. Gleichstand.

„Dann hast du das Gefühl, nicht richtig gelebt zu haben!“

„Dann stehst du mit 60 noch auf der Straße und musst dir das Geld für deine Rente verdienen.“ Ich halte fest: er steht auf Mimikry.

„Dafür, dass du dir deiner Sache so sicher bist, überlegst du aber erstaunlich lange!“, schlage ich zurück.

„Dafür, dass du soooo auf Freiheiten stehst, bist du aber ziemlich spießig. Sabrina hat Michelle von deinem Wunsch nach einer festen Beziehung erzählt. Willst du mit 60 deinem Freund auf der Tasche liegen?“, warum dreht er mir das Wort im Mund um?

„Es geht hier nicht um mich, es geht um dich! Ich habe nie behauptet, dass ich ein Freiheitsfanatiker bin und mein Privatleben geht dich nichts an!“, fauche ich. Obwohl es mich wundert, dass er das Wort „Freund“ so neutral ausgesprochen hat.

„Aber uns darfst du ausfragen?“, schießt er zurück.

„Das ist rein beruflicher Natur. Außerdem habe ich euch nicht gebeten, von eurer ersten Nacht zu erzählen!“, diesem Pantoffelhelden muss mal einer den Kopf waschen! Der denkt wohl, nur weil seine Freundin nicht da ist, kann er Chef spielen? „DU musstest mich doch ausfragen! Wenn du ein Problem hast, dann sag es doch einfach!“

„Ich habe kein Problem!“, raunt er trotzig. Die typische Antwort eines Menschen, der einen ganzen Berg von Problemen hat und dessen größtes er selbst ist.

Ich weiß nicht warum, aber mir fällt plötzlich ein Satz ein, den Psychologen gerne anwenden:

„Hey, wir sind hier ganz allein, nur ich und du, niemand sonst! Wenn du also heulen oder schreien möchtest, dann tu das – aber stell dich vor die weiße Wand!“, selbst wenn er sich aufregt, ist er noch total fotogen – und die Küche als Hintergrund wird langsam langweilig.

„Du hast mich fotografiert?!“ Erstaunen – logisch. Er geht mit dem Kaffee zur weißen Wand und lächelt mich an – unlogisch. Absolut unlogisch. „Mach schon!“, fordert er mich auf. Wahnsinnig. Geisteskrank. Oder beides.

Ich brauche eine Weile, um zu realisieren, dass er gerade das tut, was am Anfang nur eine Spinnerei in meinem Kopf war. Jetzt bin ich derjenige, der gehemmt ist. Ich schieße ein paar normale Fotos, bis ich ihn bitte, etwas verrücktes mit der Tasse zu machen und dabei die Mimik zu verändern. Er ist erstaunlich kreativ, balanciert die Tasse auf den Händen, dem Knie, sogar auf dem Kopf, er leckt sich genüsslich den Kaffee von den Lippen und sieht aus, als wollte er den Kaffee verkaufen. Ich kämme ihn mit Hilfe des braunen Wundermittelchens die Haare ins Gesicht, färbe seinen Teint, definierte Augenbrauen und Wimpern, ich probiere verschiedene Objektive und Farbeinstellungen, einfach so. Dann wird es Zeit, die Hilfsmittelchen wegzulassen und nur noch ihn zu inszenieren.

„Stell die Kaffeetasse weg und sei du selbst!“, rufe ich ihm zu. Zuerst ist er verwirrt, doch als ich ihm den Tipp gebe, einfach von sich zu erzählen, wird er locker. Er erzählt von seiner Familie, seiner Kindheit, seinen Freundinnen, seinem Beruf und ich muss ihm nicht sagen, was er machen soll, er macht es einfach; manchmal ist es nötig, ihn zu korrigieren, aber nur für die künstlerischen Effekte. Ansonsten sieht er einfach gut aus. Seine Blicke wechseln von freudig zu wütend zu melancholisch zu verliebt zu verlassen zu nachdenklich zu entschieden zu unentschlossen und es fällt mir immer schwerer, zwischen Objekt und Mensch zu unterscheiden. Zuerst bekomme ich nicht mit, wie er auf einmal ohne Hemd dasteht, ich registriere es und reagiere darauf, mehr automatisch, aber als er mich plötzlich bittet ihn völlig nackt zu fotografieren, bin ich völlig perplex.

„Das kann ich nicht. Ich bin dafür nicht qualifiziert!“, wende ich ein. Obwohl ich schon einige Lover mit der Kamera abgelichtet habe. Aber es ist nicht mein Metier.

„Hast du Angst über mich herzufallen?“, fragt er lachend. Ich finde das nicht zum Lachen.

„Das nicht. Es geht mir um dich: wenn man sich nackt vor jemandem zeigt, dann muss man das absolute Vertrauen zum Fotografen haben – hast du das?“, harke ich nach.

„Ich habe dir alles über mich erzählt, ich vertraue dir!“, erklärt er.

Ich kann das nicht. Sabrina hatte mir aufgetragen, den Freund ihrer besten Freundin zu prüfen, ich wollte dieses verliebte Pärchen nur schnell abharken und jetzt bittet mich ihr Freund, ihn völlig nackt abzulichten? Das hatten wir nicht vereinbahrt!

„Hör zu Adriano, das geht nicht. Ihr seid hierher gekommen, um EUCH zu inszenieren, es geht um dich und Michelle. Dich SO zu fotografieren, das geht zu weit!“, wende ich erneut ein.

„Willst du jetzt kneifen? Es geht schon seit einer Stunde nicht mehr um Michelle! Und außerdem hat sie auch etwas von den Fotos…“, die Feststellung ist berechtigt, und sie beruhigt den Menschen in mir. Der Künstler hätte seinem Wunsch vorbehaltlos zugestimmt. Apropos, wo bleibt eigentlich Michelle? Der Bäcker ist höchstens 10 min von hier entfernt und selbst wenn sie sich ewig nicht entscheiden kann, müsste sie schon längst wieder da sein. Die Antwort folgt prompt in Form eines Mozart-Klingeltons: Sie hat auf dem Weg eine alte, sehr alte, Schulfreundin getroffen, die nur noch bis morgen in der Stadt ist, Essen steht im Kühlschrank und er soll sich einen schönen Abend machen. Und sie vermisst ihn jetzt schon fürchterlich! Jetzt mischt sich auch noch Wut in meinen Gefühlsbrei. Wie kann sie nur! Angeblich sooooo verliebt, aber ihre Freundin ist ihr in Zeiten von E-Mail, Handy und Internet wichtiger! Eines steht fest: Adriano ist vermutlich ganz passable, aber Sabrina sollte sich eine neue Freundin suchen!
 

Ich koche uns beiden noch einen Kaffee und als ich mit den beiden Tassen zurück komme, steht er da. Nackt. Völlig nackt. Man sieht alles. Wirklich alles. Ich weiß nicht, ob es Naivität, Mut oder einfach Dummheit ist, sich so vor jemanden zu stellen – das Kissen mit dem Blümchen ist ja so weit weg! Ich versuche die Fassung zu wahren und mache das, was ein Künstler zuerst macht, wenn er sein Objekt inszenieren möchte: analysieren. Ich stelle mich aus verschiedenen Entfernungen vor ihn und betrachte ihn. Die leichten Muskeln an den Armen und Beinen zeigen, das er das Turnen nur noch als Hobby betreibt, seine Bauchmuskeln sind trotzdem noch ziemlich deutlich, die wirren Härchen auf seiner Brust findet seine Freundin wohl toll, diesen animalischen Touch haben nur noch wenige Männer. Das Haar um seine Kronjuwelen ist fast schon zu kurz, um ein Pendant zum Kopfhaar zu bilden, aber es reicht. Seine Füße sind dank seiner Freundin modelltauglich pedikürt. Einzig auf seinem Knie befindet sich eine lange Narbe, die von einem komplizierten Bänderriss übrig geblieben ist.

„Was guckst du so?“, fragt er mich plötzlich. Natürlich, ich hatte ihn vorher nicht aufgeklärt.

„Ich überlege, wie ich dich am besten in Szene setze!“, antworte ich nachdenklich. Und während ich noch am Grübeln bin, geht er zur weißen Wand und stellt sich davor, sein Kopf blickt zur Seite, die Augen nachdenklich. Die Pose ist genial. Entweder ist er ein Genie oder er lernt schnell. Die Verletzlichkeit der Nacktheit, kombiniert mit dem nachdenklichen, fast traurigen Blick, das ist einfach fantastisch. Ich stelle den Schweinwerfer so, dass sein Kopf durch den Schatten verlängert wird und so noch eindringlicher wirkt. Und dann schieße ich. Ich schieße viele Fotos. Nur von dieser einen Pose. Als ob ich sie dadurch festhalten könnte. Später probieren wir noch anderes, wir wechseln die Seite, er kniet, liegt hockt, er lächelt, guckt neutral, verführerisch, und alle sind schön, aber keine ist so vollkommen wie die erste.
 

Zum Schluss schlägt er eine liegende Pose auf dem roten Sofa vor. Die typische Titanic-Pose – Kate Winslet liegt seitlich da, das Gesicht zum Maler, mit einem Glitzern in den Augen und der Frage, ob das denn nicht erotisch sei, doch Jack ist viel zu sehr Künstler, um sie danach zu verführen. Er legt sich hin und ich versuche, die Gemütlichkeit, das Entspannte und gleichzeitig das Selbstbewusstsein einzufangen. Doch es fällt mir immer schwerer. Und das nicht nur, weil diese Pose geradezu zu einem Schäferstündchen einlädt und nicht jeder von uns Jack Dawson ist, sondern, weil ihm die Verletzlichkeit wesentlich besser steht als die erzwungene Autorität. Um wenigstens noch Etwas zu erschaffen, konzentriere ich mich auf das Spiel zwischen dem Stoff des Sofas und seiner Haut. Der Kontrast toll. Auch wenn es so aussieht, als ob ich ihn von oben bis unten besteige, kommen dabei echt schöne Bilder heraus. Perfekt für Facebook.

„So, wir sind fertig!“, sage ich schließlich, „Gut gemacht!“

„Danke, du warst ein toller Fotograf!“, erwidert er lächelnd, doch ich verneine:

„Das sehen wir erst, wenn die Bilder entwickelt sind; auf Papier sehen sie doch wieder ganz anders aus!“

Ich will gerade aufstehen, als er mich zurückhält – und seine Lippen auf meine presst! Hat er sie noch alle? Seine Lippen sind zwar weicher, als ich vermutet hatte, aber er ist immer noch der Freund der Freundin meiner Kollegin! Bevor ich in Versuchung komme, meine Zunge einzusetzen, löse ich unsere Verbindung:

„Geht es dir gut? Was sollte das?“, rufe ich aufgebracht.

„Ich wollte nur wissen, wie es ist, einen Mann zu küssen!“, antwortet er unschuldig.

„Schön, das hast du ja jetzt getan! Aber aus der Experimentierphase bin ich raus – also such dir jemand anderen aus!“ Wie oft musste ich mich mit Typen rumschlagen, die nur mal wissen wollten, wie es mit einem Mann ist und dann doch wieder das Ufer wechselten?

„Bitte Bertrand, schlaf mit mir!“ Ich glaube mich verhört zu haben. Spreche ich chinesisch, japanisch oder französisch mit britischem Akzent?

„Nein!“, sage ich entschlossen. Doch er lässt nicht locker. Immer wieder flüstert er mir die drei Worte ins Ohr, bis sich meine Zweifel in Lust auflösen – er ist ja nicht mein Freund, sollen Michelle und Sabrina denken was sie wollen, ich habe ja nicht angefangen! Außerdem habe ich heute Abend sowieso nichts vor. Und wie Adriano das seiner Liebsten erklärt, kann mir auch egal sein. Eines ist jedenfalls klar: er mag zwar ein Pantoffelheld sein, aber wie man jemanden verführt, das weiß er. Daher darf er auch alles machen; ich sehe nicht ein, warum ich auch noch Lehrer spielen soll; nur wenn er mal völlig falsch liegt, gebe ich ihm einen Hinweis. Die letzte Tat, die ich noch mit vollem Verstand tue, ist, dass ich unser Beisammensein vom Sofa auf das Bett verlege; denn die Bettwäsche kann man danach mit allen Regeln der Waschkunst behandeln und im Notfall wegschmeißen, beim Sofa wäre es schwieriger, weil man den Bezug nicht abziehen kann; Sabrinas Mutter hat stundenlang an den Flecken geschrubbt, die ein kotzendes Baby verursacht hatte. Zumindest im Bett weiß Adriano, was er tut. Ich bin danach jedenfalls vollkommen zufrieden. Zum Schluss gönne ich mir noch den Spaß, ihn erschöpft und halbwach abzulichten. Auch dieses Bild ist total genial geworden.
 

Wenn er am nächsten Morgen aufwacht, wird er sich, während ich ihn aus dem Bett schmeiße, eine Ausrede für seine Freundin überlegen müssen. Und ich werde Sabrina Bericht erstatten: dass der Freund ihrer Freundin absolut noch nicht reif für eine Beziehung ist, dass er noch etwas rumexperimentieren muss und ihre Freundin selber schuld daran ist.
 

Die Fotos dagegen werde ich in mein Zimmer hängen und nur daran denken, dass das Modell einfach fantastisch ist.

Mau! - Wenn es Katzen regnet

„Mau. Miau.“, mautzt es herzzerreißend neben mir. Ein Geräusch, was mir eigentlich völlig zuwider ist, und im Moment sowieso. Ich fasse mal kurz zusammen:
 

- dank einer Verkettung unglücklicher Umstände, ausgelöst durch den Spinner über mir, habe ich mir heute Morgen den Kopf, die große Zehe, die kleine Zehe und die Kronjuwelen eingehauen.

- dank der netten Sekretärin hielt mir mein Chef ein blau verziertes Stück Papier vor die Nase, auf dem „Termin xy“, also vor 3 Monaten, stand und bat mich höflich für immer zu verschwinden.

- das Baby der hässlichen Azubine, das mir auf den Anzug gekotzt hat, weil es keinen Karottenbrei mag

- und das i-Tüpfelchen: die SMS meiner Freundin aus dem Beste-Freundinnen-Urlaub in Thailand: „Di Tippen hir sin soo!!! geil  mis vu“

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Und zu allem Überfluss regnet es auch noch. Besser: es schüttet wie aus Eimern, ‚junge Hunde‘, auch wenn ‚kleine Katzen‘ wohl im Moment geeigneter wäre. Es pisst, als hätte es seit Wochen nicht gepisst, obwohl es schon seit einigen Tagen immer wieder getröpfelt hat. Aber heute, an dem beschissensten Tag meines Lebens, pisst es richtig. Zwar habe ich einen Regenschirm dabei, aber dank des Windes, der die kleinen Quälgeister aka Regentropfen in jeden Winkel weht, bringt der nicht viel. Und so stolpere ich, den Regenschirm in der einen, einen Sixpack Bier in der anderen Hand, durch die Stadt und freue mich auf mein Zuhause. Dort wartet auf mich ein durchgelegenes Sofa und eine umfangreichen DVD-Sammlung, aus der ich mir genüsslich ein Stückchen reinziehen werde.
 

„Mau!“, mautzt es schon wieder. Kann das doofe Mistvieh nicht mal verschwinden? Ohne hinzugucken trete ich mit dem Fuß in die Richtung, aus der das Geräusch kommt, in der Hoffnung, das dämliche Ding in die nächste Fahrtrinne zu kicken. Aber ich trete ins Leere. Und das Teil mautzt weiter, es macht keine Anstalten, mir, dem Katzenhasser himself, aus den Augen zu gehen!
 

Langsam habe ich genug! Ich richte meinen Blick nach unten und gucke mir den verkannten Pudel genauer an. Er ist schwarz – wie passend! – mit einem weiß-braunen Muster. Und er tapst fröhlich neben mir her, darauf achtend, dass kein einziges seiner vielen Haare in den Regen kommt! Soll sich das Vieh einen anderen Schirm aussuchen!
 

„Hau ab!“, brülle ich ihn an, aber er denkt gar nicht dran. Stattdessen dreht er seinen Kopf und sieht mich mit dem ‚Hunde-Blick‘ an. Als ob das bei mir was bringen würde!
 

„Mein Tag ist total im Arsch und das letzte, was ich jetzt brauchen kann, ist so eine haarige Klette wie du!“, fauche ich das Ding an. Es zuckt kurz zusammen, aber dann tippelt es weiter neben mir her als hätte ich nichts gesagt!
 

Ich bin langsam mit meinem Latein am Ende, aber dann habe ich einen Geistesblitz: ich packe die kleine Mistkröte im Nacken und schmeiße sie in die nächstbeste Tür. Keine Ahnung, was es war, mit viel Glück eine für immer verschlossene Haustür.
 

Doch ich hatte falsch gedacht. Fünf Minuten später steht das Ding wieder neben mir! Bin ich ein Magnet, der alles anzieht, was nicht bei drei auf den Bäumen ist? Nicht mal in meinen kühnsten Träumen bin ich das! Meinen Job musste ich mir hart erarbeiten, meine Freundin musste ich wochenlang umwerben und meine Wohnung ist auch mehr eine Bruchbude! All das kann das Vieh zwar nicht wissen, muss es aber auch nicht – Katzen kommen doch mit allem klar: man kann sie aus dem Fenster schmeißen, mit dem Auto überfahren, in die Mülltonne schmeißen, selbst das Ein-Gang-Menu mit einer Giftpflanze überleben sie! So ein kleiner Regenschauer sollte doch für sie ein Klacks sein. Und überhaupt: Katzen sind Einzelgänger, sie brauchen keine Gesellschaft, nur sich selbst!
 

„Also: Hau – endlich – ab!“, brülle ich, doch statt dem Angesprochenen guckt mich nur der Rest der beschirmten Masse an. Wie kann ich dämlicher Penner – in meinem vollgekotzten, vollgeregneten Anzug sehe ich wirklich so aus – das arme, durchnässte, unterernährte Kätzchen nur so behandeln? Und wenn es ihnen so leid tut, warum nimmt sich dann keiner dieses ‚armen‘ Kätzchens an und erlöst mich von meiner Qual? Weil niemand mit seiner staubtrockenen Hand den klitschnassen Putzlappen anfassen will! Scheiß Gesellschaft! Scheiß Arbeit! Scheiß Freundin! Scheiß Leben! Und Scheiß Katze!
 

Dann, irgendwann, bin ich endlich da. Ich stehe vor meiner Haustür, krame den Schlüssel heraus und noch bevor das Vieh daran denken kann, schlüpfe ich durch die Heilige Pforte ins Trockene. Soll es sehen, wie es klarkommt! Ich schleppe mich die Treppen nach oben, schließe auf und stelle als erstes das Bier in den Kühlschrank. Zehn Minuten später lümmle ich auf meinem Sofa und ziehe mir eine Staffel ‚The L-Word‘ rein. Lauter heiße Schnitten. Allen voran Jennifer Beals. Ich erinnere mich, dass wir schon damals alle wichsend im Kino gesessen und uns gewünscht haben, dass sie nicht dem hässlichen Typen sondern uns die Eier massiert. Meine Freundin ist später nie auf die Idee gekommen. ‚Flashdance‘ bedeutet für die immer, den Traum von der großen Karriere zu verwirklichen. Taschentuchalarm! Jedenfalls ist Jennifer Beals eine der wenigen Schauspielerinnen, die im Alter immer schöner geworden sind. Und sie jetzt mit einer heißen Latina in Aktion zu sehen ist ein Genuss! Da können nicht mal die ‚soo!!! geilen theilendischen Tippen‘ mithalten!
 

Doch just in diesem Moment, als es im Treppenhaus so richtig zur Sache geht, höre ich ein vertrautes Geräusch. Es mautzt. Zuerst versuche ich es zu überhören, ich stelle den Fernseher lauter, so laut, dass meine Nachbarn denken, ich veranstalte eine wilde Orgie, aber das Fiepen dringt immer noch hindurch. Wahrscheinlich hat uns das die dämliche Evolution eingetrichtert: wir Männer hören immer sofort, wenn eine Frau in Not ist, damit wir sie superman-mäßig retten und danach flachlegen können. Nur handelt es sich dabei um eine Katze, klingt ja auch ähnlich. Wer hat das Schieß-Vieh überhaupt reingelassen? Wahrscheinlich die alte Omi unter mir! Das nächste Mal werde ich ihr nicht die Tür aufhalten! Das Ding jedenfalls gibt keine Ruhe, sodass ich mich schlussendlich doch erbarme und die Tür öffne. Und ohne mit der Wimper zu zucken tapst das Teil in Richtung Wohnzimmer, als würde es schon seit Jahren hier wohnen. Hatte meine Freundin jahrenlang so ein Mistvieh unterschlagen? Ich grüble, komme aber zu keinem Ergebnis. Das Ergebnis meines Superman-Instinkts liegt übrigens gerade auf meinem Sofa. Auf genau dem Sofa, auf dem ich gerade gelegen habe! Wütend packe ich das Ding im Nacken und schmeiße es auf den Fußboden, doch noch bevor ich mich richtig hingelegt habe, liegt die hässliche Fellkugel schon wieder da! Ich probiere es noch ein paar Mal, aber alkoholbedingt ist meine Grobmotorik ziemlich verhindert. Schließlich gebe ich nach und quetzsche mich neben das Ding auf das Sofa. Wenigstens hört es auf zu mautzen und lässt mich in Ruhe weitergucken! Gerade streitet sich die verkannte Schriftstellerin mit ihrem Freund, weil sie was mit der lesbischen Kellnerin angefangen hat, als sich das fellige, kleine Etwas doch tatsächlich an mich kuschelt! Es legt sich an meine Brust und pennt! Und auf einmal wird mir – oh mein Gott! – bewusst – Nein! – dass ich sie vermisse – was bin ich nur für ein Weichei! Wie lange ist sie jetzt schon weg? Fünf Tage? Oder vier? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur noch, dass wir uns davor total gecrasht haben. Weil unser letzter Urlaub total in die Hose ging. Wir waren an der Adria und sie wollte am liebsten den ganzen Tag in der Sonne liegen und lesen, während ich Lust auf Action hatte – Tauchen, Surfen und abends Party machen. Was ihr völlig fremd war. Ein Strandspaziergang – untermalt vom Geheule über ihren Sonnenbrand – habe ich mitgemacht, danach war nur noch Frust angesagt. Nix mit tollem Sex am Strand. Stattdessen Krach & Co. Erst im Flugzeug haben wir wieder normal geredet. Seitdem stellt sie unsere Beziehung in Frage. Sie meint, dass wir keine Zukunft hätten, wenn wir nichtmal gemeinsam Urlaub machen könnten! Dabei verstehen wir uns echt gut – wir können gut miteinander reden, zusammen kochen, wir streiten nichtmal darüber, wer die Waschmaschine anschmeißt! Aber für sie ist das nur eine ‚Fassade‘, wir würden nur Bedürfnisse unterdrücken! Und das merkt sie nach 3 Jahren? Ich fühle mich richtig weiblich, das ist peinlich! Denn ich vermisse sie. Ich vermisse ihr Lächeln, ich vermisse ihre quirlige, manchmal nachdenkliche Art, und ich vermisse ihre Wärme. Und der Gedanke, dass sie in Thailand all diese hässlichen Typen vögelt oder es womöglich mit einem betrunkenen Engländer treibt, macht mich wahnsinnig! Aber wenn ich ehrlich bin, bin ich selbst schuld: im Grunde kann ich ihr zwar emotional viel bieten, aber beruflich bin ich eine Niete. Wie lange ackere ich eigentlich schon, um letztendlich doch nie befördert zu werden? Ich schiebe Überstunden, ich arbeite sogar am Wochenende, ich erkläre unseren dummen Azubis alles gerne auch zehnmal ohne eine Miene zu verziehen – aber mein Chef kommt nicht auf die Idee, mir mehr Geld zu geben! Ich hätte schon mindestens 3 mal in sein Büro stürmen sollen, ich wollte es auch tun, für James Bond wäre es sicherlich kein Problem gewesen, seine Knarre auf den Tisch zu legen und zu sagen: „So, ich arbeite jetzt schon seit fünf Jahren für euch, ich habe schon mindestens 1000 Mal die Welt gerettet, wie wäre es mit einer Gehaltserhöhung?“ Und natürlich hätte ihm M das nur zu gern gewährt, vermutlich hätte er auch noch 3 attraktive Sekretärinnen – keine Lisa Plenske – sowie einen Porsche gratis dazu bekommen. Und eine garantierte Rente, eine gute Krankenversicherung und einen Pflegeheimplatz für seine Mutter. Aber ich habe mich nie getraut. Man weiß ja nie, wie der Arbeitsmarkt morgen aussieht, wenn ein Ölplattform explodiert oder die Leute von heute auf morgen weniger Telefone kaufen. Da gibt man sich lieber mit weniger zufrieden. Und gibt sich auf Partys ungern als kleiner Sachbearbeiter zu erkennen. Alles in allem: mein Leben ist im Arsch.
 

Da hat es eine kleine Katze wesentlich einfacher: sie jagt, sie frisst, sie macht ihr Geschäft, sie schläft. Sie lässt den Kater nur zum Vögeln ran, danach geht jeder wieder seine Wege und fertig. Kein Gequatzsche über Gefühle und Gehaltserhöhungen. Aber selbst diese kleinen Wesen scheinen ab und zu mal Wärme zu brauchen. Auch sie benötigen anscheinend jemanden, der auf sie aufpasst. Der ihnen etwas zu fressen gibt, wenn sie Hunger haben. Der ihnen Gesellschaft leistet, wenn sie fressen.
 

Vielleicht ist es auch genau umgekehrt: vielleicht spüren sie es, wenn man alleine ist. Sie bequemen sich herab, um jemandem zu helfen. Ist das nicht absurd? Ausgerechnet die Symbole der Unabhängigkeit sind anhängig? Anscheinend schon.
 

Moment, was macht meine Hand da? Was hat meine Hand auf dem dämlichen Vieh zu suchen? Soll das ein Dankeschön sein, dafür, dass sie meine Freundin ersetzt? Dass ich sie mehr schätze als Bier und geile Weiber? Wie bescheuert bin ich eigentlich? Ich will meine Hand wegziehen, aber ich kann nicht. Ihr Fell ist so schön weich, es vibriert, wenn ich darüber streiche. Und sie schnurrt zufrieden. Anscheinend gefällt ihr das. Wie eine plattgedrückte Fellkugel liegt sie da und schnurrt. Ihr Atem geht ruhig, manchmal zuckt sie mit den Ohren, träumt sie? Ich weiß es nicht. Und ich weiß auch nicht, warum ich auf einmal so schläfrig werde…
 

Als ich am nächsten Morgen aufwache, höre ich wieder etwas. Ein Mautzen. Aber diesmal stört es mich nicht. Die kleine Katze sitzt vor mir und stupst mich vorsichtig an.
 

„Hallo!“, murmele ich verschlafen. Mein Schädel brummt und alles dreht sich. Habe ich gestern abend so viel getrunken? Ein Blick nach unten hilft leider auch nicht weiter, ich kann nicht erkennen, ob dort 3 der 3x Flaschen liegen. Die kleine Katze hörte jedenfalls nicht auf und ich vermute, dass sie Hunger hat. Ich rolle mich vom Sofa und krabble zur Küche. Auf allen Vieren fühle ich mich wirklich sicherer! Der Blick in den Kühlschrank offenbart, dass zumindest das wichtigste da ist – Fleisch. Während ich die Kaffeemaschine anschmeiße – was aus dieser Höhe echt schwierig ist – checke ich kurz die Lage: Salami, Jagdwurst und Käse sind da, außerdem haufenweise Gemüse und Milch. Leider muss ich, um ein Schälchen aus dem Schrank zu holen, aufstehen, sodass ich erstmal daneben greife und mit dem Kopf unsanft gegen die Schranktür knalle. Ein Wunder, dass mir die Schale nicht aus der Hand fällt. Ich zerflücke die Salami und den Schinken und schütte über das ganze Milch. Das müsste doch passen, oder? Als der Kaffee durchgelaufen ist, setze ich mich an den Tisch und checke meine Mails. Vielleicht ist eine Entschuldigung meiner Freundin dabei. Nein, ist es nicht. Stattdessen sticht eine andere Betreffzeile hervor: „Sorry! Sorry! Sorry!“, Absender: meine Sekretärin, nein, Ex-Sekretärin. Inhalt des Buchstabensalates: Es tue ihr alles schrecklich leid, sie wüsste ja, dass es ihr Fehler sei und sie wollte sicher nicht, dass ich gefeuert werden würde. Und überhaupt sei ich der beste Chef, den sie jemals gehabt hätte, ohne mich würde alles drunter und drüber gehen und überhaupt und überhaupt und überhaupt. Ich lasse meinen Finger genüsslich auf die Entfernen-Taste gleiten und verbanne sie damit aus meinem Gedächtnis. Sollen sie sehen, wie sie klarkommen! Ich habe große Lust, mein Selbstmitleid zu zelebrieren. Die ganze Welt geht mir am Arsch vorbei. Ich könnte mir die restlichen Staffeln ‚The L-Word‘ reinziehen. Oder was Intelligentes. Ein Biopic über Alexander den Großen. Zeit habe ich ja. Und sturmfrei auch.
 

Aber ein Mautzen neben mir hindert mich vorerst daran. Zuerst denke ich, es ist mein Gewissen. Aber es ist etwas anderes. Etwas viel Schlimmeres. Ein Haufen. In meiner Küche. Wundervoll stinkender Katzenkot! Kurz denke ich darüber nach, ob das ein Protest-Häufchen war, um mir zu zeigen, dass ich das hätte nicht tun sollen. Was denke ich da? Ich habe alles richtig gemacht! Man kann ja nicht immer weitergehen, man braucht auch mal eine Pause! Daher entsorge ich das Häufchen fachgerecht im Mülleimer und schmeiße mich dann wieder auf das Sofa.
 

Vier Stunden, eine Kanne Kaffee und eine Kuschelstunde später geht es mir tatsächlich besser. Irgendwie habe ich das Gefühl nachgedacht zu haben. Ich meine, Frauen können grübeln und grübeln, aber wenn sie nach Wochen mal eine Entscheidung getroffen haben, dann stehen sie dazu, mit allen Konsequenzen. Und Alexander hat sogar seinen Vater umgebracht. Er ist immer weiter gezogen. Immer vorwärts. Er hatte den Willen etwas zu schaffen! Er hat die Schwächen seiner Feinde eiskalt genutzt. Typisch männlich eben. Genauso wie das kleine Ding neben mir meine Lage schamlos ausgenutzt und sich bei mir eingenistet hat. Und mir jetzt müffelnd entgegen gähnt! Warum riechen Katzen nach Fisch, wenn sie gar keinen gegessen haben? Ist irgendwie niedlich. So ein Wesen neben mir. Mit Macken, die mir nicht gefallen, obwohl sie gleichzeitig niedlich sind. Ein Wesen, das ich nicht verstehe, und irgendwie doch. Sie fehlt mir.
 

Und dann tue ich die zwei dümmsten Dinge meines Lebens: ich führe zwei Telefongespräche: das eine geht direkt zu meinem Chef. Wie James Bond fordere ich einen Gesprächstermin. Dann dusche ich, ziehe meinen grauen Anzug an und marschiere durch den Nieselregen ins Büro. Im Schlepptau meine kleine Katze. Anständig wie sie ist, wartet sie draußen, während ich drinnen um meine Zukunft kämpfe. Ich betone meine Wichtigkeit für das Unternehmen und bitte um meine Gehaltserhöhung. Und um mich gebührend auf meine neue Tätigkeit vorzubereiten auch um Sonderurlaub. Ich muss wohl ziemlich gut gewesen sein, denn alles hat ohne Probleme geklappt. Dem kotzenden Baby von gestern schenke ich sogar einen Schokokeks, in der Hoffnung, dass diesmal seine Mutter alles abbekommt. Am Ausgang wartet schon mein kleiner Gefährte auf mich.
 

„Alles gut!“, sage ich und streichle ihm herzhaft über das Fell. Die kleine Fellkugel mautzt mich noch ein letztes Mal an und dann geht sie. Erhobenen Schwanzes geht sie von dannen. Ob ich sie wiedersehe, weiß ich nicht. Aber meine Freundin sehe ich. Der Flug geht heute Abend.
 

Und was sagt uns das? Auf jeden Regenschauer folgt Sonnenschein – man darf nur nicht erwarten, dass Petrus von alleine drauf kommt!

Wasser

Hi, das ist ein Beitrag zum Thema 'Angst' :-D
 

Wasser. Überall Wasser. Hunderte. Tausende. Millionen Liter Wasser vor mir. Tausende Kubikmeter glasklare Flüssigkeit. Ich stehe am Beckenrand und sehe hinunter. Der Fußboden zwei Meter unter mir kräuselt sich inmitten der Wellen. Wie Schlangen bewegen sich die Linien der Kacheln vor und zurück, zur Seite und wieder nach vorne. Erbarmungslos platzschen sie gegen den Beckenrand. Sie greifen nach mir. Und irgendwann werden sie mich kriegen. Ich weiß es. Ich muss nur einen Schritt nach vorne machen und dann haben sie mich. Ich werde strampeln, doch meine Füße werden keinen Halt finden. Ich werde schreien, doch meine Angst wird nur an den Wänden widerhallen. Ich werde atmen, panisch atmen, bis aus meinen Lungen nur noch Luftbläschen aufsteigen. Ich weiß es. Denn ich bin viel zu schwer. Issac Newton sagt mir, dass die Gravitation zu stark, das Wasser zu undicht ist, um mich zu tragen. Ich werde untergehen. Ich darf nicht hineinfallen! Ich muss mein Gewicht immer nach hinten verlagern, ich darf keine ungeschickten Bewegungen machen und ich darf mich nicht von ihm treiben lassen. Es, das große ‚ES‘, entstanden aus Gruppenzwang und zahlreichen Filmen. Es, das mir sagt, dass der Mensch auf dem Wasser schwimmen kann, solange er sich bewegt, dass man irgendwann doch Halt findet und dass es cool ist, verschwitzt aus dem Wasser zu steigen und sich in die Sonne zu legen. Aber ich widerstehe ihm. Ich muss meine Hand nur einmal unter fließendes Wasser halten, spüren, wie es durch meine Finger rinnt und zu sehen wie es schnell im Abfluss verschwunden ist. Es kann mich nicht tragen. Es kann mich nur umspülen, festhalten, es platzscht von allen Seiten auf mich ein, seine Wellen reißen mich mit, schleudern mich umher bis sie mich ertränken. Eine fremde Macht ergreift mich, hält mich fest und ich kann ihr nicht entkommen. Ich kann sie nicht einfach bitten loszulassen. Niemand kann das. Ich kann nur warten, bis meine Qual endlich vorbei ist.
 

Ich habe immer alles unter Kontrolle. Wenn ich über den Fußweg laufe, habe ich festen Boden unter den Füßen, ich kann ihn jederzeit verlassen, umkehren. Wenn ich auf einem hohen Gebäude stehe, kann ich mich irgendwo festhalten. Und selbst wenn ich im Flugzeug sitze, spüre ich den harten Teppich unter mir. Wenn ich mit Menschen rede, weiß ich, wie sie reagieren und kann darauf wieder agieren. Selbst wenn etwas Unerwartetes passiert, weiß ich, was zu tun ist, ich habe tausende Möglichkeiten und suche mir eine aus.
 

Aber hier kann ich nichts tun. Wenn ich einmal in den Wellen bin, bin ich verloren.
 

Doch es gibt nicht auf. Immer wieder sagt es, ich solle mich fallen lassen, ich solle einfach nach vorne kippen und sehen, was passiert. Ich würde merken, dass mein Körper das täte, was er immer tun würde: versuchen zu überleben, meine Reflexe würden alles machen, ich müsste es nur zulassen. Und manchmal gerate ich in die Versuchung, ihm zu glauben. Ja, manchmal denke ich darüber nach, den Schritt zu wagen und mich dem Wasser hinzugeben. Was hätte ich schon zu verlieren? Wäre es schlimm, wenn ich sterben würde? Im Grunde nicht, ich habe keine Schulden, die ich begleichen müsste, und die moralischen Schulden, die ich durch meinen Tod erzeugte, könnte ich ohnehin nicht begleichen. Ich bin nur ein kleines Rädchen im Netzwerk eines anderen, falle ich aus, nimmt ein anderer meine Position ein. Doch dann denke ich an mich. An all die Schmerzen, die ich haben werde; während ich panisch herumstrampele, werde ich mir Arme und Beine auskugeln, Bänder werden reißen, Muskeln zerren und am Ende wird das Wasser in meine Lunge eindringen, mein Kehlkopf verschließt sich und ich ersticke. Und das ist es mir nicht wert. Was bringt es mir überhaupt mich fallenzulassen? Ich bin glücklich, ich habe eine Familie, ich habe Freunde, ich habe einen Job und tolle Hobbies. Ich habe keinen Grund zu springen; ich muss mir nichts beweisen, ich bin vollkommen zufrieden mit mir!
 

Aber warum bin ich dann hier? Warum komme ich jeden Tag in die Halle und starre auf das Wasser? Warum bin ich gleichzeitig fasziniert und voller Angst? Warum habe ich überhaupt Angst? Wasser tut mir nichts; ich dusche gerne, ich mag das kühle Gefühl auf der Haut, ich mag Schnee, solange ich ihn nur sehen muss, und mein Lieblingsgetränk ist Wasser. Ich kann auch inmitten des Meeres auf einer kleinen Insel sitzen, ohne die Massen als bedrohlich zu empfinden. Ich mag es, wenn sich die Wellen am Strand brechen, wenn sie tosen und wüten. Aber hier, in dieser Halle, habe ich Angst.
 

Es ist in Ordnung Angst zu haben. Angst zeigt uns unsere Grenzen auf, sie sagt uns, dass wir nicht perfekt sind. Ein Mensch ohne Angst geht Risiken ein, die sein Leben bedrohen können, gerade weil er sie nicht spürt. Sind wir nicht immer auf der Suche nach Grenzen? Wollen wir nicht immer austesten, wie weit wir gehen können, wieviel unser Körper und unsere Seele aushalten? Angst stellt uns vor die Entscheidung: weitergehen oder wegdrehen. Man kann sie überwinden oder vor ihr kapitulieren. Das ist nicht schlimm. Auch Kapitulation kann eine Erfahrung sein. Aber viele Ängste sind unbegründet. Die Gesellschaft und unsere Erfahrung erzeugen sie, ohne, dass sie unser Leben wirklich bedrohen.
 

Genau wie das Wasser. Es sind nur 2,5 Meter, nur 80 cm weniger als ich groß bin. Wenn ich also auf dem Fußboden stehe, ist über mir eine Wassermasse, die mir nur bis zur Mitte des Oberschenkels geht. Außerdem kann ich mich an den Fliesen des Beckens jederzeit nach oben tasten. Es ist ganz einfach. Es ist ganz einfach. Es – ist – ganz – einfach. Ganz einfach. Einfach nur springen.
 

Ich hole tief Luft und schließe die Augen. Die Gefahr scheint weit weg und ich kann mich ganz auf mich konzentrieren. Ich schüttele mich ein letztes Mal und schreie schonmal, um mich abzulenken – auch wenn es in dieser Situation denkbar unpassend ist. Dann springe ich.
 

Noch bevor ich denken kann, spalten meine Füße die durchsichtige Masse, ich falle und falle bis ich den Boden unter meinen Füßen spüre. Intuitiv stoße ich mich ab. Als ich die kalte Luft in meinem Gesicht fühle, öffne ich die Augen. Meine Haare kleben auf meinem Gesicht, die Decke über mir dreht sich, meine Arme liegen auf dem Wasser und bewegen sich irgendwie. Ich habe es geschafft.
 

Ich habe es geschafft! Ich bin gesprungen und ich habe es überlebt! ‚Juchu!‘ rufe ich. Es hallt an den Wänden wider. Mehr kann ich nicht. Ich kann nicht denken, nicht fühlen, ich sehe nur den Himmel über mir und rufe ‚Juchu!‘ Erst dann bewege ich mich irgendwie zum Beckenrand. Als ich aus dem Wasser geklettert bin, stelle ich mich auf das Sprungbrett. Und springe nochmal.

Das kleine, orange-grüne Klebekissen für Briefmarken

Hi, dieser Text war eig. für einen WB vorgesehen, leider habe ich den Einsendeschluss verpennt :-D Ich benutze es übrigens tatsächlich :-D Viel Spaß beim Lesen...
 

LECK SIE! Leck sie doch! Von links nach rechts, von oben nach unten, von einer Ecke in die andere. Leck ihr einen Smilie, oder eine Sonne, von mir aus auch ein Herzchen, wenn es dir Spaß macht. Leck sie genüsslich, bis dir der Kleber zur Nase rauskommt. Leck sie, bis dich dieser süßliche Geschmack in den Wahnsinn treibt. Leck sie, bis sie ganz voller Sabber ist! Papp sie auf den Brief und dann verschmier deinen ekligen Bakteriencocktail überall! Wenn du genug geleckt hast, kriegst du sogar ein Fettpölsterchen gratis! Hast du schonmal an den armen Briefträger gedacht, der deinen verkeimten Brief in den Briefkasten schmeißt? Oder der Mensch, der sie abweicht und dann in der glibbrigen Brühe nach ihr fischt? Wie kann man nur so verantwortungslos sein? Nur weil es bequem ist? Weil es einfacher ist, sie anzulecken anstatt sie auf einen Schwamm zu drücken? Kannst du mit deiner Zunge auch die Tapete einleimen? Oder den Fußboden putzen? Kannst du damit hunderte Marken anfeuchten, ohne Pause? Auch deine Zunge macht mal schlapp, dein Mund wird trocken, deine Zähne rau vom Kleber, willst du das wirklich?
 

Guck dir mich an! Schon seit Jahren stehe ich da, mit der weichen, dunkelgrünen Gummihülle und dem feuchten Schwamm. Schon dein Großvater hat mich benutzt, erinnerst du dich? Wie du auf seinem Schoß gesessen und die kleinen Papierfetzen auf mich drauf gedrückt hast, bis sie ganz nass waren? Wie du sie auf den Brief gelegt und mit der Faust draufgehauen hast, damit sie auch kleben bleiben? Dein Großvater hat es bis zu seinem Tod gebraucht, dann hat er das dir gegeben. Als einzige Erinnerung.
 

Und was hast du damit gemacht?
 

Du hast es in die Ecke gestellt. Du hast es nie benutzt, aber auch nicht weggeworfen. Warum hast du das getan? Warum hast du nie eine einzige Marke an mir angefeuchtet? Es wäre ein Leichtes gewesen mich aus dem Regal zu nehmen! Aber so geht man mit der Vergangenheit um, nicht?
 

Man verdrängt sie, stellt sie in die Ecke und nimmt sich vor alles besser zu machen. Man denkt, man könnte etwas Neues schaffen, ohne auf das Alte zu achten. Aus dem Nichts soll Großes entstehen. Findest du das nicht töricht? Wenn die Vergangenheit da ist, warum soll man sie nicht benutzen? Nur weil man Angst hat, ihre Fehler zu wiederholen? Aber dazu ist man doch nach vorn gegangen! Es ist eine Gewissheit, dass man sich entwickelt hat, die Fehler der Vergangenheit nicht genauso wiederholen kann! Also warum nicht das verwenden, was nützlich war und es weiter entwickeln? Wir dürfen unsre Wurzeln nicht vergessen!
 

Deswegen. Deswegen hast du mich in das Regal gestellt. Weil ich dich an deinen Großvater erinnere. An all die schönen Momente, die ihr hattet. Wie ihr durch den Wald gewandert seid und du dir das Knie aufgeschlagen hast. Wie er dir das Fahrradfahren beigebracht hat. Oder ihr über die Einsatz deutscher Soldaten im Irakkrieg diskutiert habt; dein Opa war dagegen und du dafür. Deswegen würdest du mich NIE wegwerfen, selbst wenn ich irgendwann aus dem Regal fallen und kaputt gehen würde. Was ohnehin unwahrscheinlich wäre, weil ich aus Gummi bin. Nur mein Kissen könnte irgendwann brüchig werden, vom vielen Benutzen. Aber du feuchtest keine einzige Briefmarke an mir an. Deswegen tust du es. Indem du mich lässt, wie ich war, unverändert, bleibe ich immer ein Zeichen der Erinnerung. Ich bleibe für immer im Regal stehen, genau wie dein Lieblingskuscheltier und das Herzchen von deiner ersten Freundin.
 

Also leck sie. Leck sie ruhig. Genieß den süßlichen Geschmack des kalorienreichen Klebers und die Tatsache, dass du damit den ganzen Brief verkeimst. Leck soviele du willst. Denn ich weiß, dass du mich nicht leckst.

Mein lieber Geliebter

Autobiografisch angehaucht, bis auf die Sache mit dem Kuss ist aber alles fiktional - bin inzwischen besser geworden :-D - Aber ich denke, wir alle haben das schomal erlebt... Viel Spaß beim Lesen!
 

Mein lieber Geliebter,
 

ich hätte dir diesen Brief gern in Vivaldi geschrieben, weil du Vivaldi so magst, genauso wie ich. Aber das Programm kann nur Verdana, daher werden diese Zeilen vielleicht etwas trockener klingen als wenn sie aus meinem Munde kommen würden. Aber was sie sagen, wird ehrlicher und wahrhafter klingen als all das, was ich zuvor jemals zu dir gesagt habe.
 

Ich schreibe dir diese Zeilen, weil mich die Sehnsucht zerfrisst. Und ich dich bitte, endlich aufzuhören. Am Anfang, Geliebter, ist sie wie ein Haufen Steine auf meinen Kopf gefallen. Der Aufprall war so dumpf, dass ich ihn zuerst gar nicht wahrgenommen habe. Aber dann, nach ein paar Sekunden, kam der Schmerz; ein Vibrieren, das durch den ganzen Körper zieht, angefangen am Kopf, über die Hände, die zittern, bis zu den Beinen, die nachgeben wollen und das nur wegen dem weiblichen Schwerpunkt nicht tun. Die Sehnsucht nach dir durchfuhr meinen ganzen Körper. Ich dachte, irgendwann würde sie in der Erde verschwinden, in den Tiefen des Teppichs und nach diesem einen Moment wäre nichts mehr da, keine Gedanke, keine Worte, kein Hinweis, dass sie dagewesen war. Aber die Sehnsucht ist gemein, genauso wie du, der ja dafür verantwortlich ist – vielleicht aber auch nicht, es gibt ja nicht nur einen, wegen dem man sich sehnt, sondern es muss ja erstmal jemand sehnen – was bedeutet, du könntest machen, was du willst, ob ich mich nach dir sehnte, hinge allein von mir ab, du könntest mich sogar verachten , aber weiter jetzt! – die Sehnsucht ist gemein, sie ist durch irgendeine Körperöffnung, vermutlich ist sie auf einen Atem gekrabbelt, in mich hineingefahren und über die Blutbahn bis in mein Herz geschwommen. Und da sitzt sie jetzt auf ihrem Thron und regiert alles – meine Gedanken, meinen Körper, meinen Geist. Sie bringt mich dazu, urplötzlich zu verharren und an dich zu denken. Sie bringt mich dazu, inmitten eines Gespräches zu weinen, weil sie den Gesprächsfaden mit dir abgeglichen hat, sie ist durch meine Augen und Ohren, selbst durch meinen Tastsinn ständig auf der Suche nach dir – und meistens findet sie dich. Nicht, weil du so banal, so normal bist, sondern weil ich dich kenne. Ich kenne dich besser als jeden Menschen, den ich zuvor gekannt habe. Ich kenne jede deiner Gesten, jeden deiner Blicke, deine Gerüche, das Gefühl jeder Stelle deines Körpers, ich kenne deine Art zu sprechen, ich könnte ein Wörterbuch darüber schreiben, welche Worte du verwendest, und ich kenne auch viele deiner Gedanken. Und jeden Tag werden es mehr.
 

Jeden Tag, an dem du mir eine E-Mail schreibst. Jeden Tag teilst du mir neue Gedanken mit, jeden Tag versuchst du mir mit den gleichen trockenen Buchstaben etwas zu sagen, das nach so viel mehr verlangt. Es verlangt nach Schreien, es verlangt nach Bewegung, es verlangt nach einem Lächeln. Und das kann ich dir nicht geben. Einerseits, weil du mein Lächeln nicht über eine E-Mail sehen kannst. Und andererseits, weil ich nach jedem Lächeln sofort weinen möchte, schlimmer noch, ich möchte schreien. Ich möchte schreien und auf dem Boden trampeln, ich will gegen die Wand klopfen, ich möchte Dinge kaputt machen, irgendetwas, das den Schmerz erträglicher macht. Denn ich kann nicht bei dir sein. Ich weiß nicht, was schrecklicher ist – dass du so weit weg bist oder dass du überhaupt weg bist. Früher, Geliebter, als du noch nicht fort warst, bin ich zu dir gekommen. Du hast mir vielleicht nicht zugehört, weil du selbst damit beschäftigt warst, dich von diesem Schock zu erholen. Aber du warst da. Und was hätten deine Worte auch genützt? Sie hätten ohnehin das gesagt, was sie immer sagten, dass wir in Kontakt bleiben würde und dass es schlimm sein würde, aber es könnte ja nur ein halbes Jahr sein – auch wenn ich weiß, dass es fünf sein werden – du möchtest deinen Traum leben und ich bin so froh, dass du ihn endlich gefunden hast – und im Grunde sollte es mir egal sein. Denn ich wusste es. Von Anfang an.
 

Es ist doch komisch, wie alles vor ein paar Monaten angefangen hat, oder Mein Lieber? Wir haben uns über das Internet kennengelernt, wie das heutzutage ist, man wohnt nichtmal einen Kilometer auseinander, aber man hat sich nie gesehen, jedenfalls mochte ich dich am Anfang nicht wirklich. Ich fand dich interessant, aber ich hätte nie gedacht, dass es soweit kommen würde, wie es gekommen ist. Aber wie du weißt, bin ich sehr altmodisch, ich mag E-Mails nicht, und deswegen wollte ich dich treffen. Und da hast du mir erzählt, dass du bald fortgingst. Und dann ist alles einfach passiert. Wie im Schnelldurchlauf, geradezu überschlagend, verlief alles. Du bist durch alle Tore, die ich aufgebaut hatte, einfach durchgerannt, ohne, dass es mich störte. Du hast mir freiwillig soviel von dir gegeben , dass ich erst lernen musste es anzunehmen. Aber ich habe auch gemerkt, dass DU etwas annimmst, wenn ich es dir gebe. Weißt du, Geliebter, manchmal fühle ich mich schuldig, weil ich soviel von dir nehme, ohne dir scheinbar etwas zurück zu geben. Doch dann sehe ich dein Lächeln vor mir und ich begreife, dass wir das, was wir haben, manchmal nicht sichtbar ist. Die Datenautobahn zwischen uns ist unsichtbar, verschlüsselt mit einem Code, den nichtmal wir selber kennen. Und selbst wenn wir uns übereinander aufregen, wissen wir doch genau das aneinander zu schätzen.
 

Wie dem auch sei, ich wusste, dass unsere Zeit begrenzt war, mit der Kälte und Klarheit, die mir innewohnt, hatte ich schon das ‚Fin‘ in meinen Gedanken, als wir uns am Bahnhof verabschiedeten. Weißt du, Geliebter, ich wollte dich ein Kästchen sperren, zuschließen und den Schlüssel wegwerfen. Und die ersten Tage ging es, ich war sehr froh, dich los zu sein, ich war deiner Stimme überdrüssig geworden, deine Worte schienen mir paradox und selbst deine Nähe wurde mir zuviel. Aber jetzt ist diese Kiste wieder aufgetaucht. Mit all den Erinnerungen an dich. Unser erstes Treffen – und das zweite – bei dem wir uns verpassten, unseren ersten Kuss, nachdem du mich eine schlechte Küsserin nanntest, unser zweiter Kuss, mit dem alles besser wurde, den Blick deiner Augen, wenn du erzählst, deine Lippen, die du beim Lächeln über die Zähne ziehst, dein One-Pack, den du verachtest während ich ihn vergöttere, deine Abneigung gegen die spanische Sprache und die Vorliebe für improvisiertes Essen. Weißt du, mein kleiner Geliebter, ich habe versucht, sie wegzusperren. Ich habe sie in eine Kiste gepackt, und noch eine, und noch eine. Ich habe sie tarnfarben angemalt und in die hinterste Ecke meiner Gedanken gepackt, ich habe sogar versucht mir einzureden, dass es sie niemals gab. Aber dann treffen mich meine Worte und es tut wieder weh. Es sollte nicht wehtun, du bist mir genauso fern wie jeder andere Mensch, sage ich mir. Aber du bist da. Du bist genauso wie Pi und E und die Gravitationskonstante nicht erklärbar, aber da. Natürlich.
 

Und ich weiß, dass du immer du bleiben wirst, mit deinen Charaktereigenschaften, wie ein altes Auto, das man einfach neu anstreicht. Und ich weiß auch, dass ich dir unrecht tue, wenn ich dir wünsche, dass alles schief geht und du bald zurück zu mir kommst. Aber, Geliebter, in diesen Tagen, in denen ich mir bewusst war, dass ich dich vermisse, habe ich schon daran gedacht, aufzugeben. Ich würde mir wieder einreden, dass ich ohne dich leben könnte, ich würde mich von dir lossagen und mir jemand anderen suchen, jemand, der hier ist, der genauso ist wie du nur eben nicht weit weg. Aber dann schreit plötzlich etwas in mir. Es übertönt meinen Verstand und alles andere. Es schreit ‚Nein!‘, es schreit, dass ich nicht aufgeben soll. Und gleich danach schaltet sich mein Verstand ein, der sagt, dass ich es überstehen werde, die ersten Tag kalter Entzug seien schlimm, aber bald sei ich geheilt, bald würde ich dich wie ein trockener Alkoholiker nur noch aus der Ferne betrachten. Ich würde dich als Teil des Lebens akzeptieren, nur nicht als meinen. Nur zu nah solltest du mir nicht kommen, sonst würde ich wieder rückfällig werden. Aber ich will süchtig bleiben. Ich will dich nie vergessen, niemals, Geliebter, nichtmal für eine Sekunde meines Lebens. Du sollst immer bei mir sein, als Freund, Geliebter, Schutzengel, schlechtes Gewissen, als alles.
 

Aber ich weiß, dass du das nicht möchtest, du willst nicht, dass ich mich für dich aufgebe. Dass ich die drei Krümel ödes Leben behalte. Und du hast recht, ich sollte es behalten – aber du hast es aufgepimpt, und jetzt bist du weg. Es scheint, als hättest du all die neuen Teile mitgenommen, auch wenn ich weiß, dass das nicht stimmt. Du hast Veränderungen am Motor vorgenommen, die ich als Laie gar nicht erkennen kann. Und selbst wenn der Lack verblasst, der Spoiler abfällt und das Profil der Reifen weniger wird, so wird das Auto meines Lebens weiterfahren, mit dir in seinem Herzen.
 

Doch solange du da bist, möchte ich, dass du mit mir fährst. Durch ganz Europa, und Afrika, und Asien, und Amerika, sogar bis in die Arktis. Ich möchte mit dir über verschneite Berge fahren, durch trockene Wüsten und feuchte Urwälder. Ich möchte mit dir über Basare wandeln und mich in der Einöde verlieren. Ich möchte keine Sekunde ohne dich sein. Und ich bin bereit dafür zu kämpfen. Egal wo du bist, ich werde zu dir kommen. Egal, ob du stumm oder taub oder blind bist, ich werde einen Weg finden mich dir mitzuteilen. Ich werde bei dir sein, Geliebter.
 

Ich werde bei dir sein.
 

Deshalb bitte ich dich weiterzumachen. Sei weiter da für mich. Schreib mir weiter jeden Tag eine E-Mail, oder einen Brief. Denn deine Worte nähren nicht meine Sehnsucht, sondern meine Seele. Auch wenn sie mich treffen, sie treffen sie mich nicht wirklich, sondern sie heilen mich. Sie heilen mich von dem Gefühl ohne dich zu sein.
 

Mein lieber Geliebter! Ich hätte dir diese Zeilen gerne in Vivaldi geschrieben, weil du Vivaldi liebst genauso wie ich dich liebe. Aber leider kann das Programm nur Verdana. Doch das kann meiner Liebe zu dir nicht im Geringsten schaden.
 

Ich liebe dich.
 

Deine kleine Geliebte.

An meine Sehnsucht

„Hau ab! Verschwinde endlich!“, brülle ich die Gestalt vor mir an. Ihre graue Kleidung hängt in Fetzen an ihrem Körper, sie ist schmutzig, dreckig, als wäre sie schon weit gegangen. Trotz der schwarzen Leere in ihren Augen wirkt sie stolz. Unglaublich stolz. Nicht bereit, auch nur einen Centimeter von hier zu weichen. Mit dem Ziel, mich ins Unglück zu treiben.
 

„Was machst du hier?“, schreie ich weiter, „Ich hab dir beim letzten Mal schon gesagt, dass du nicht wiederkommen sollst! Ich brauche dich nicht mehr! Also geh! Geh endlich!“
 

Ein hämisches Grinsen. Ein Lachen, das in meiner ganzen Welt wie ein quälendes Echo wiederkehrt, schallend, wallend, wissend. Mein Besucher muss sich nicht bewegen, er muss nicht einmal die Augen verdrehen, allein die Bewegung seines Mundes reicht aus, um seine ganze Verachtung auszudrücken.
 

„Nein. Du hast mich gerufen, und ich komme.“, erwidert die Gestalt kalt.
 

„Das ist eine Lüge!“, wehre ich mich, „Ich habe dich nicht gerufen, ganz im Gegenteil, ich habe dir klargemacht, dass ich dich nie, nie wieder sehen will!“
 

„Dein Verstand hat mich abgewiesen, aber deine Seele hat mich geradezu angefleht wieder zu kommen.“ Seine Selbstsicherheit geht mir auf die Nerven. Was erlaubt sich dieser Haufen Lumpen eigentlich? Das ist meine Welt. Ganz allein meine. Und da hat er nichts verloren. Nicht mehr.
 

„Warum sollte ich dich wiederhaben wollen? Ich habe dich lange genug ertragen! Ich habe unter deinen Klagen, deinen Schelten, deinen Suggestivfragen genug gelitten! Tagelang hast du dagegessen und zugeguckt, wie ich meine Welt aufgebaut habe! Wie ich die graue Wüste begrünt, die Felsenbrocken weggeräumt, die Erde mit den Hände aufgelockert und schließlich Samen gesät habe! Wie ich den Regen aufgefangen und damit meine Felder bewirtschaftet habe. Wie ich den Lehm angerührt und mir daraus ein Haus gebaut habe! Was hast du gemacht? Nichts! Sieh an, was aus mir geworden ist? Sicher, Blumen sprießen noch nicht, aber der Rasen wächst und gedeiht, und langsam kommen auch die Tiere zurück! Siehst du, wie schön, wie hell meine Welt ist, seit du nicht mehr da bist?!“
 

„Du hast mich gerufen.“, beharrt mein Gegenüber fest.
 

„Warum sollte ich dich wollen? Du mit deiner Zerstörung! Guck dich doch mal um! Du hinterlässt eine Spur der Verwüstung, die Erde, auf die du trittst, wird zu Asche, die Pflanzen verdorren, selbst die massivsten Gebäude verweht der Wind als wären sie aus Staub! Du bist tot, alles um dich herum ist tot. Kein Mensch braucht dich!“, schreie ich. Ich frage mich, wie ich dieses Wesen jemals in meinem Garten lassen konnte. Aber es ist damals einfach gekommen. Und ich hatte nicht die Kraft es abzuweisen. Monatelang hockte es in meiner Welt und vergiftete den Boden. Aber wie durch ein Wunder wuchsen die Pflanzen trotzdem. Und irgendwann ging das Wesen. Es kam zwar noch so manches Mal, aber meine Welt erholte sich immer gut von seinen Besuchen. Doch vor ein paar Tagen hatte es mir gereicht und ich wies es endgültig ab. Doch es kam wieder.
 

„Du irrst.“, zwei Worte, mehr brauchte es nicht, um mich zu paralysieren und meine Wut kurz darauf in ungeahnten Höhen schießen zu lassen.
 

„Was soll das heißen? Willst du mir erklären, dass du noch etwas anderes bringst außer Trauer und Zerstörung? Das ist lächerlich!“, fauche ich.
 

„Ja.“, sagt mein Besucher und ich weiß nicht, was er damit meint. Hoffentlich klärt er mich endlich mal auf! Mir geht diese Einsilbigkeit auf den Geist. Ich habe ihn nie verstanden. Ich habe nie verstanden, warum er mir immer nur Fragen stellt, die keinen Sinn machen. Warum er mir nie antwortet, und wenn, dann nur mit ein oder zwei Worten. Selbst als er damals in meinem Garten war, hat er meistens nur gelächelt. Das war das schlimmste. Nicht seine Worte, sondern sein Schweigen. Er redete und redete immer über Dinge, die ich nicht begreifen konnte – und dann hörte er plötzlich auf. Alles war gesagt. Elender Rechthaber!
 

„Ich bin Tod und Leben in einem, das weißt du, sonst hättest du mich nicht gerufen.“, führt mein Gegenüber leicht vorwurfsvoll aus, „Im Moment bin ich für dich die Zerstörung, aber für viele Menschen bin ich die Keimzelle neuen Lebens. Und auch du hast mich am Anfang geradezu angebetet. Siehst du die Rose dort drüben?“, er weist mit seiner knochigen Hand auf eine rote Blume, die gerade aufblüht. Vorhin hat sie noch nicht geblüht, bis gerade eben hat noch gar keine Blume geblüht – was hat er gemacht?, „Bevor ich kam, als deine Welt noch in Ordnung war, wuchsen hier nur Gänseblümchen, Klee und Butterblumen. Wunderschön, aber auch ziemlich eintönig. Und jetzt, sieh dir die Rose an! Die Kraft, die Stärke, die sie ausstrahlt. Ohne mich hättest du diese Schönheit nie erschaffen können.“
 

Ich fange an zu grübeln. Damals… damals hat er an meiner Tür geklopft und um Einlass gebeten. Er sah so anders aus, statt in Lumpen war er in ein gülden-wallendes Gewand gekleidet, wie eine Elfe schwebte er über dem Boden und seine Augen strahlten wie tausend Sonnen. Um ihn herum pulsierte das Leben und ich gewährte ihm nur zu gern einzutreten. Doch nach ein paar Tagen ging er. Mein Garten, der unter ihm geradezu aufgeblüht war, fing an zu verdorren. Die Blumen verwelkten, die schöne Villa, die ich mir erbaut hatte, zerbröckelte, mein See trocknete aus. Ich konnte nicht begreifen, was passiert war, ich war süchtig nach diesem Wesen geworden und konnte mich nur langsam von ihm lösen. Irgendwann fing ich wieder an zu leben. Doch dann kam er wieder, dunkel, schwarz, voller Häme, als hätte ihn jemand auf die dunkle Seite der Macht gezogen. Ich will das nicht. Ich würde am liebsten alle Keime, die er unsichtbar in meinen Boden gesetzt hat, einfach auslöschen, ausgraben, verbrennen, vernichten. Aber wie immer hat er recht – es geht einfach nicht. Die Dinge, die ich in seiner Anwesenheit gelernt habe, werde ich nicht wieder los. Zu tief sind die Erkenntnisse verbuddelt und strahlen nach außen. Selbst wenn ich sie suchte, ich würde sie nicht finden. Ich würde niemals herausfinden, warum er gekommen, gegangen, was er hinterlassen hätte. Ich würde niemals herausfinden, wie ich es geschafft habe, mir meinen Garten aufzubauen, trotz seiner Anwesenheit. Ich werde niemals erfahren, ob es anders nicht besser, einfacher gewesen wäre. Aber er hat mir viel gegeben – viel Schlechtes, aber leider auch viel Gutes.
 

„Und genau deswegen habe ich dich gerufen, oder?“, frage ich geschlagen.
 

„Genau deswegen hast du mich gerufen.“, wiederholt mein Gegenüber, „Du weißt, dass dein Garten ohne mich nicht so schön wäre, wie er gerade ist. Du siehst es noch nicht, aber wenn erst einmal Frühling ist, werden all deine Pflanzen erstrahlen, schöner und üppiger als zuvor.“
 

„Du bist nicht nur Tod. Auch für mich nicht. Mein Verstand sieht in dir das Verderben, doch für meine Seele bist du der Schöpfer. Aber sieh dir deine Spuren an – du vergiftest meine Garten immer noch!“, ich ringe mit mir. Die wahre Erkenntnis, dass meine Wut nichts als Fassade war, zehrt an mir. Sich einzugestehen, dass das Böse auch eine gute Seite hat, bedeutet, dass sich neue Türen öffnen, es bedeutet, wieder viele Entscheidungen treffen zu müssen, neue Risiken einzugehen. Es bedeutet, die Augen zu verschließen und zu hoffen, dass alles irgendwie gut wird.
 

„Ich werde deinen Garten immer vergiften, aber es wird auch eine heilende Wirkung haben. Und irgendwann brauchst du mich nicht mehr. Irgendwann werde ich nicht mehr in dieser Gestalt kommen, sondern als das Leuchten, dass du kanntest. Aber bis dahin komme ich gerne, und ich komme in Frieden. Es ist in Ordnung, wenn du mich rufst, wenn du mich brauchst, dann brauchst du mich. Es bedeutet, dass du nichts vergisst. Ich bin ein Mahnmal."
 

„Deine Schritte, deine Worte, deine Taten werden immer schneiden. Aber sie werden auch heilen. Sie werden auch heilen.“, resümiere ich. Er hat recht. Ich brauche ihn. Ich brauche ihn, weil mein Garten sonst öde wäre, auch wenn er mir wehtut, brauche ich ihn einfach. Und es ist in Ordnung. Niemand stört mich in meinem Garten, ich kann machen, was ich will. Ich habe mir sovieles wieder erkämpft, dass ich jeden seiner Besuche überstehe. Ich würde ihn nicht rufen, wenn ich nicht wüsste, dass er keinen Schaden anrichten würde. Ich habe zwar immer Angst, dass er mich besiegt. Aber vielleicht rufe ich ihn, weil ich ihn besiegen will. Ich will sehen, dass ich noch lebe, dass ich etwas anderes außer gärtnern kann.
 

„Also gut, dann bleib“, sage ich schließlich.
 

„Möchtest du Tee oder Kaffee?“

Reflexion

Der vorläufige Abschluss der M&Ms - und es hat gar nich mehr soviel mit M. zu tun - ich liebe den Text einfach :D
 

Die Blätter der Eiche flattern hin und her. Es regnet. Und die Sonne scheint an diesem Sonntagmorgen. Das Gras strahlt grüngelb um unsere schwarze Kuhle. Meine Schritte klackern. Der Kies knirscht unter deinen Schuhen. Das Geräusch ist laut. Unerträglich. Erst, als wir auf die Wiese treten, hört es auf. Stattdessen quietzscht es leise. Du kamst aus Norden und ich aus Süden. Es ist lange her, dass wir uns gesehen haben. Die Regentropfen fallen von meinem Schirm herunter. Deine Haare scheinen fast trocken. Ich sehe dich an. Dein Gesicht ist ausdruckslos. Deine buschigen Augenbrauen zeigen nicht nach unten. Deine Lippen sind weder gekräuselt noch hängen sie nach oben oder unten. Du siehst mich an. Mein Gesicht ist ausdruckslos. Meine Lippen sagen nichts. Meine Augen verraten weder Melancholie noch Nostalgie. Ich stehe vor der Kuhle. Und du stehst vor der Kuhle. Jeden Tag waren wir da und haben abwechselnd gegraben. Du. Und ich. Du. Und ich. Ich und du. Jeden Tag. Ich weiß nicht, ob wir gemeinsam gegraben haben. Oder jeder einzeln. Vielleicht du abends und ich morgens. Oder wir haben alle 2 Stunden gewechselt. Ich weiß es nicht. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass wir jemals gegraben haben. Aber irgendjemand muss es getan haben. Und wer gräbt schon fremden Leuten ein Grab? Wir sehen auf die Kuhle. Sie ist nicht perfekt viereckig. Wir können beide nicht graben. Aber sie ist tief. Schwarz wie die Nacht. So anders als das quietzschgrüne Gras. Es ängstigt mich, unser kleines Etwas dort hinein zu werfen. Aber irgendwann, wenn viel Zeit vergangen ist, werden die fröhlichen Halmchen auch unsere Kuhle erobert haben. Blumen werden darauf wachsen, vielleicht Margriten. Oder Studentenblumen. Rote Gänseblümchen vielleicht. Nur keine Rosen. Unser Etwas taugt nicht für Rosen. Noch stehen wir vor der Kuhle und blicken in die Tiefe. Ob du auch Angst hast? Wir könnten weggehen. Wir könnten unsere Schuhe wieder über den Kies knirschen und den Regen Regen sein lassen. Wir könnten an einem anderen Tag wiederkommen. Der Wind hätte unser Kuhle nicht zugeweht. Wir könnten übermorgen wiederkommen und sie wäre noch da. Was meinst du? Du sagst nichts. Ich stehe da und du stehst da. Wir stehen nebeneinander. Dann kramst du aus deiner Manteltasche ein paar Bröckchen. Ich öffne meine Tasche und hole ein kleines Kästchen hervor. Es ploppt leise, als ich es öffne und die Scherben auf meine Hand kippe. Irgendjemand muss etwas sagen, auch wenn es nicht notwendig ist. Wir könnten es tun. Wir könnten unser Häufchen einfach in die Kuhle werfen. Wir müssten sie nichtmal zuschaufeln. Die Natur würde ihr Werk tun. Aber das hat es nicht verdient. Es hat verdient, dass wir zumindest an diesem Sonntagnachmittag das einsetzen, was uns gegeben wurde und klare Worte sprechen. Die Wahrheit. Und sei es nur ein ‚Tschüss‘
 

„Da stehen wir nun“, ergreife ich schließlich das Wort.

„Da stehen wir nun“, sagst du.
 

Wir schweigen. Du siehst nach vorn und ich sehe nach vorn. Wir schweigen. Der Regen prasselt immer noch. Die Blätter rascheln. Wir schweigen.
 

„Wir haben es ziemlich versaut“, sagst du und lächelst.

„Ja“, antworte ich.
 

Wir schweigen wieder. Dein Lächeln war falsch. Aber es kam zum richtigen Zeitpunkt. Ich habe nicht gelächelt. Das war richtig. Die Sonne scheint. Das Gras quietzscht grün. Wir schweigen.
 

„Wir hätten es nicht verhindern können“, sagst du.

„Nein.“, antworte ich, „Nichts hätte es verhindern können“

„Es hatte von Anfang an keine Überlebenschance“, sagst du.

„Gar keine“, stimme ich zu.
 

„Wir haben es einfach zu schnell geformt.“, erkläre ich.

„Was man mit Eile tut, wird nicht gut.“, stellst du fest.

„Sein Kopf war einfach zu groß.“, sage ich.

„Seine kleinen Beinchen hätten ihn niemals tragen können“, führst du fort.

„Es wäre einfach nach vorne gekippt“, schließe ich.
 

„Wir hätten es länger im Ofen lassen sollen“, sagst du.

„Oder bei einer höheren Temperatur brennen sollen“, überlege ich.

„Eine Glasur hätte auch geholfen“, meinst du.

„Eine durchsichtige, sodass es gar nicht auffällt“, stimme ich zu.

„Aber wir wollten das nicht.“, sagst du.

„Ja. Du wolltest das nicht. Und ich auch nicht.“, erkläre ich.
 

Wir starren nach vorne. Vor uns die schwarze Kuhle. Wir müssen es tun. Wir wollen es tun. Es ist eine Notwendigkeit. Für dich. Für mich. Wir müssen.
 

„Es tut mir leid.“, sagst du.

„Mir auch.“, sage ich.
 

Du streckst deine Hand nach vorne. Ich strecke meine nach vorne. Ich atme ein und du atmest ein. Dann werfen wir die Scherben und Krümel in die Kuhle. In der Luft treffen und vermischen sie sich. Das, was einst eins war, wird wieder zusammengefügt und fällt nach unten. Du schlägst die Hände aneinander, um die letzte Körnchen abzuklopfen. Ich drehe meine Schachtel und kippe die letzten Reste in unser Grab. Dann werfe ich sie hinein.
 

Es ist vorbei. Die Spannung ist weg. Alles ist weg. Nicht vernichtet. Aber tief unten in der Dunkelheit. Wenn Gras über die Sache gewachsen ist, können unsere Scherben das Grün bewundern. Vielleicht werden sie auch von einem Keimling wieder an die Sonne getragen. Ich weiß es nicht.
 

Du lächelst mich an. Das ist richtig so. Ich lächle auch. Es ist ehrlich. Deine stahlblauen Augen strahlen. Zum ersten Mal seit langer Zeit. Meine braunen nehmen deines auf und geben Wärme zurück. Wir sind irgendwie glücklich. In diesem einen Moment spielt weder die Zukunft noch die Vergangenheit noch die Vor-Vergangenheit eine Rolle. Die Sonne scheint und der Regen platzscht auf das quietzschgrüne Gras. Nichts geht mehr. Nichts zählt. Wir sind glücklich.
 

Dann umarmst du mich. Und ich erwidere es. Ein letztes Mal fühle ich den Stoff deines Mantels, der mir einst so vertraut war. Ich rieche ein letztes Mal die Mischung aus Deo, Regen und deiner Haut. Ein letztes Mal spüre ich deine Wärme. Sie ist nur noch da. Einst hat sie mich geschützt, dann in Kälte verbrannt, jetzt ist sie nur da. Du spürst ein letztes Mal den Größenunterschied. Ein letztes Mal musst du aufpassen, dass du mich nicht erdrückst. Der Duft, den du einst so gemocht hast, zieht ein letztes Mal durch deine Nase.
 

„Ich wünsche dir ein schönes Leben“, flüsterst du in mein Ohr. Der Wind trägt es fort.

„Alles Gute!“, erwidere ich. Der Regen wäscht es in die Erde.
 

Ein letzter Blick. Ein letztes Lächeln. Dann gehen wir. Der Kies knirscht unter deinen Füßen. Meine Schuhe klackern über die Steinchen. Die Sonne lacht. Der Regen tröpfelt. Du wirst mit deinen Kumpels eine Party feiern. Und ich werde mit meinen Mädels mein neues Leben begrüßen. Wie bei einer Hochzeit, nur umgekehrt.
 

Wir gehen.
 

Vielleicht werden wir uns irgendwann wiedersehen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (26)
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Von:  w-shine
2011-06-13T17:22:16+00:00 13.06.2011 19:22
Meine Damen und Herren,

wir präsentieren Ihnen herzlichst…
…den lang versprochenen…
…Kommentar!

Also ich mag den Hauptcharakter tatsächlich ziemlich gerne: Seine sarkastische Art sagt mir ziemlich gut und gleichzeitig seine Besessenheit nach dem perfekten Motiv. Ich weiß zwar auch nicht, wie das bei Profifotografen ist, aber ich fand es sehr realistisch dargestellt.
Ich kann meinen Finger nicht genau darauf zeigen warum, aber irgendwie hakt der erste Absatz. Er fließt sich nicht so richtig. Aber danach liest sich die Story wirklich gut und ich habe sie wirklich sehr schnell und flüssig lesen können.
Das Gespräch zwischen Bert und Adriano über die verschiedenen Lebensplanungen hat mir gut gefallen – schlagfertig und auf ihre Art haben beide auch recht. Fand ich wirklich gut.
Die Beschreibungen der einzelnen Posen und der Beziehung von Adriano und Michelle fand ich auch sehr passend und gut vorstellbar.
Was mir nicht gefallen hat, war das Ende. Ich fand es merkwürdig, dass Michelle nicht wieder gekommen ist (bei ihr hätte ich mir eher vorstellen können, dass sie besagt Freundin einfach mit ins Studio schleppt) und außerdem, dass Adriano dann Bert einfach küsst und dann mit ihm ins Bett will. Fand ich unrealistisch und hat für mich eigentlich auch nicht recht in die Story gepasst. Aber wenigstens gut, dass dann daraus nicht noch irgendeine quere Liebesgeschichte geworden ist.
Der letzte Satz aber gefällt mir wirklich gut.
Alles in allem kann ich dir aber sagen, dass ich auf jeden Fall finde, dass Bert gut und gerne noch in mehr Storys der Hauptcharakter sein könnte.

Liebe Grüße,
Shine

Von:  _-THE_JOKER-_
2011-05-28T15:05:11+00:00 28.05.2011 17:05
Ja ich stimme nIgHt_wAlKeR und -Moonshine- voll zu.
Die Story erzeugt echt Gänsehaut, gut gemacht.
Man kann die Angst schon richtig spüren.
Die Art wie du diese, wie ja auch schon gesagt wurde, einfache Angst beschreibst, ist wirklich gut.
Du zeigst, dass für einige ganz normale Dinge andere vor Angst beinahe in den Wahnsinn treiben können.
Das mag ich sehr.
Es ist an sich auch gut zu lesen.
Du hast hier sehr schön beschrieben, was die Atmosphäre sehr gestärkt hat und ein wahrlich wunderbares Bild in meinem Kopf heraufbeschworen hat.

Schade fand ich, dass ich vom Ende leider gar nicht überrascht war, irgendwie hatte ich mir das schon genauso gedacht.
Das ist aber nicht deine Schuld, ich hatte es eben einfach erwartet.



Aber trotzdem hast du es wirklich sehr gut gemacht.
Man fühlt sich richtig hineingezerrt in diese Story und man wird bis zu Ende nicht mehr losgelassen.
Das schafft nicht jeder.
was mir auch noch besonders gut gefallen hat, war die Beschreibung des Todes und die Szene, wo der Protagonist dann seine Angst überwindet und springt.
Das hat mir sehr gefallen.
Denn das ist ja eigentlich der Kern dieser Story und der passt wirklich toll.

Am Besten gefiel mir in dieser Szene, dass du geschrieben hast, dass die Person einfach nur glücklich ist das sie noch lebt und zu normalem denken nicht mehr imstande ist.

Alles in allem, eine sehr schöne (so schön wie es bei dem Thema eben geht XD) Story.
Mal eine andere Angst.
Da sieht man mal, dass es nicht immer etwas ausgefallenes sein muss, dass einen in Panik versetzt.
Schön.
Mach weiter so.


jöker
FCY
Von:  _-THE_JOKER-_
2011-05-19T13:07:44+00:00 19.05.2011 15:07
Ich bin hier auch der Meinung dass sich die Story wirklich erstaunlich gut liest. Ich mag sie sehr und ich denke das diese hier und das Gedicht Remain von dir bis jetzt deine besten Werke sind (vielleicht stoße ich ja noch mal auf was anderes). Dein Schreibstil ist hier wirklich besonders gut, weswegen es sich, wie ich ja schon sagte (und wie hier auch schon erwähnt wurde) ja so gut liest. Ich mag den Titel übrigens sehr, denn es ist nicht so ein Titel, der direkten Bezug (damit meine ich das er Wortwörtlich im Text vorkommt) zur Story hat, sondern einer der vor allem Sinngemäß auftaucht. Das ist ein Titel wie ich ihn auch selbst gerne benutze, wirklich gut.

So ich würde diese Story jetzt gerne mal Interpretieren und mal gucken inwieweit ich damit an dem was du meintest dran liege.
Also ich denke das es hier( oh wunder) um Sehnsucht geht, vielleicht um die Sehsucht nach einer geliebten Person oder etwas anderem. Aber ich gehe jetzt einfach mal von jemandem aus, den man liebt. In dem Fall würde ich sagen, war man als man die Person kennen lernte sehr in sie verliebt und hat die schlechten Seiten (deswegen zu Anfang Elfe) überhaupt nciht wahrgenommen, später jedoch sind sie einem dann aufgefallen (verdorrender Garten und so). ich denke jedoch nicht das man die Person (oder wonach auch immer man Sehnsucht hat) wirklich zu sch ruft, sondern eher das man die Erinnerungen (also die Sehsucht) in den Verstand (hier Garten) lässt. Man kann sie nicht aus dem eigenen Verstand vertreiben udn leidet darunter (Blumen verdorren etc..) außerdem sieht man aber auch die guten Seiten, die das alles einst hatte (aufblühen der Blumen) udn wünscht sich insgeheim das alles zurück, auch wenn es schmerzt.
Ich würde mich wie immer sehr über eine Antwort auf meine Interpretation freuen.


So ok das war es auch schon was mir so hierzu in den Sinn kommt.
Eine wirklich gute Arbeit, ich habe keine Fehler gefunden und bis auf das das Ende etwas zu kurz kommt, nichts zu meckern.
Mach auf jedenfall weiter so.



jöker
Von:  _-THE_JOKER-_
2011-05-19T12:47:35+00:00 19.05.2011 14:47
Mir hat die Story auch ganz gut gefallen.
Ich mag es wie du über die Liebe und die Liebe als eine Insel sprichst, das klingt so Poetisch. Aber ich finde, dass dieser Text einen Tieftrauigen Unterton hat, er klingt so schmerzerfüllt, als würde der Protagonist sehr leiden. Dieses Gefühl konnte ich die ganz Geschichte über nicht los werden, für mich ist die ständige Wiederholung von dem es geht mir wirklich gut, des Protagonist, bloß Ausdruck der inneren Verzweiflung und der Traurigkeit. Ich weiß nicht ob du etwas in dieser Art überhaupt damit bezwecken wolltest aber für mich klingt es eben so. Für mich wirkt die Person ehrlich gesagt auch innerlich Tod, ich denke sie hat den glauben an die Liebe verloren (vielleicht verrenne ich mich hier auch in was, aber es ist eben meine Meinung und mein Eindruck) ich glaube, sie versucht sich bloß selbst Einzureden, dass es ihr gut geht, doch in Wahrheit ist sie zerstört. Außerdem denke ich das die einsame Insel auf der sich der Protagonist befindet, bloß im übertragenen Sinne für die Seele steht, die Person ist nun mit sich selbst (oder in der eigenen Seele allein) und die Früchte (Gedanken an die geliebte Person) sind ungenießbar für sie trotzdem kann sie nicht aufhören an ihn zu denken. So das wären dann mal meine Gedanken zu dieser Story.
Ich habe aber auch noch einen Fehler gefunden:
. Wie die blutroten Welln alles...
Bei Wellen fehlt das n am Ende.
Mehr ist mir aber nicht aufgefallen. Alles in allem gute Story, hat echt was.
Mach weiter so.




jöker

Von:  _-THE_JOKER-_
2011-05-19T12:33:23+00:00 19.05.2011 14:33
Ich stimme nIgHt_wAlKeR hier mal voll zu. Die Story ist echt lustig, ich kann es mir gut vorstellen, wie da so ein wütendes Klebekissen im Schrank sitzt und sich darüber aufregt das man es nicht benutzt (Die Vorstellung allein bringt mich schon wieder zum lachen XD)Und das mit der Tapete (wie nIgHt_wAlKeR ja auch bereits sagte) ist echt der Hammer, man hat da so ein Geniales Bild vor Augen, wirklich sehr komisch.
Aber trotzdem steckt hier auch aus meiner Sicht, sehr viel Ernst drin. Es ist für mich eine traurige Vorstellung, die Vergangenheit einfach so unbenutzt da stehen zulassen, auch wenn es aus Gründen der Erinnerung ist. Ich bin da etwas anders, entweder hänge ich die Dinge auf, werfe sie weg oder benutze sie, sie einfach irgendwo vermodern zulassen (wenn es nun nicht gerade etwas wie ein Bild ist, dass man ja nicht benutzen kann) wäre wirklich nichts für mich. Also mir tat das arme Klebekissen auch echt Leid, ich hätte es sehr gerne in den Arm genommen und ihm ein paar Briefmarken gegeben.
Ich finde es übrigens auch sehr gut, dass du mal wieder aus etwas banalem etwas interessantes gemacht hast, worüber man auch echt Nachdenken muss.
Leider fehlt mir am Ende noch was, irgendeine Pointe oder etwas noch ausschlaggebenderes hätte mir hier besser gefallen.
Ansonsten alles Top.

jöker
Von:  w-shine
2011-05-15T18:52:55+00:00 15.05.2011 20:52
Hey,

hier bin ich, um meinen Schuldschein einzulösen ^_^
Fangen wir von vorne an: Die Geschichte liest sich wirklich gut, die Beschreibungen sind sehr bildhaft und man kann die Verzweiflung mit der der Erzähler (bzw. die Erzählerin ;)) die Anwesenheit der „Gestalt“ verabscheut und will, dass sie verschwindet, gut nachvollziehen.
Die Steigerung in der Geschichte gefällt mir auch, die sich über den Erkenntnisgewinn bis hin zur Akzeptanz der „Gestalt“ führt.
Der letzte Satz hat mir ein Lächeln entlockt – allerdings finde ich nicht, dass er nicht so ganz zur Geschichte passt, aber das ist nur mein persönliches Empfinden.
Das Verstehen der Geschichte finde ich etwas schwieriger. Da die Geschichte „An meine Sehnsucht“ heißt, nehme ich an, dass die „Gestalt“ die Sehnsucht ist. Ich finde es auch in sofern verständlich, als dass Sehnsucht, am Anfang das Leben vergiftet und man immer wieder von ihr überrollt wird, obwohl man eigentlich bereits der Meinung war, dass alles wieder gut ist.
Die Rose und die positiven Seiten sehe ich jetzt mal in sofern, als das es einem nach dem Überwinden der Sehnsucht besser geht und man dann wieder die guten Seiten des Lebens sehen und besser schätzen kann.
Was ich allerdings nicht verstanden habe, ist, warum die Gestalt am Anfang wie eine Elfe aussah und ein goldenes Gewand an hatte… ist mir jetzt nicht ganz klar.
So. Jetzt darfst du mir noch ein bisschen auf die Sprünge helfen und mich vielleicht korrigieren, wenn du irgendwas anders gemeint hast (super mit FFs, man kann vom Autor Feedback für die eigene Interpretation bekommen!).
Insgesamt liest sich die Geschichte wirklich gut, ist für mich aber ein einigen Stellen etwas kryptisch.

Liebe Grüße,
Shine
[FCY]

Von:  TommyGunArts
2011-04-24T20:52:23+00:00 24.04.2011 22:52
Abgefahren! Wirklich abgefahren!
Diese Geschichte liest sich wie Butter und die Spannung steigt von Zeile zu Zeile. Ich habe nach den ersten zwei Sätzen nicht mehr aufhören können. Sehr gut!
Die Geschichte hat mir sehr gefallen, auch wenn ich glaube, dass ich sie nicht ganz begreife, weil ich das Gefühl habe dass da etwas hinter steckt, was ich nicht erkenne. Ich kann mir irgendwie schlecht vorstellen, dass die normale Handlung alles ist. Da steckt 100% noch etwas Tiefsinnigeres dahinter.
Vor allem, was ist das denn jetzt für ein Wesen? Ist es wie in dem Titel steht, die Sehnsucht des Protagonisten, die alles beeinflusst? Und ist mit dem Garten vielleicht das soziale Umfeld gemeint?
Oder ist dieses Wesen einfach so eine Art Dämon, das den Garten des Protagonisten zerstört?
Wie gesagt, so ganz blicke ich da noch nicht dran lang, aber vielleicht ist ja auch gerade das der Sinn dahinter, dass der Leser für sich selbst ein Urteil fällen soll.

Schön finde ich des Weiteren auch, dass du das Ganze wie ein Rätsel geschrieben hast, auf dessen endgültige Antwort man erst kommen muss. Das hat etwas gigantisches an sich! Wirklich klasse gemacht!
Puu.. ich bin noch immer etwas überwältigt... ^^

Ansonsten ist mir noch aufgefallen, dass du sehr viele schöne und gut überlegte Sätze mit eingebracht hast. Aber zu Meckern habe ich absolut gar nichts!
Bis jetzt mag ich diese Geschichte von dir am liebsten, weil sie einfach etwas besonderes und außergewöhnliches an sich hat. Genau die Art von Geschichten, die ich ungemein liebe!
Grandiose Leistung!
Mehr davon! ;D

lg
Schnorzel
Von:  TommyGunArts
2011-03-07T14:20:16+00:00 07.03.2011 15:20
Soo, ich melde mich auch mal wieder :)

Also... die sächsische Version hat mich fertig gemacht^^ Ich habe mich echt bemüht, sie zu verstehen, aber bei mir ist was völlig anderes rausgekommen, als bei der Übersetzung stand^^
Vielen dank, dass du sie dabei geschrieben hast!
So: Ich muss ja mal sagen, dass das Thema irgendwie anders ist. Es ist zwar etwas, das jedem schon mal auffällt, aber ich habe noch nie etwas darüber gelesen, also alle Achtung.
Am Anfang war ich sehr verwirrt und habe mich gefragt, worum es denn eigentlich geht und auch am Ende war es mir noch nicht ganz klar. Ich denke du beschreibst einfach die Veränderung von Städten. Dass die Menschen immer alles erneuern wollen und die Alten Dinge überflüssig werden. Habe ich daraus zumindest verstanden^^
Schön fand ich das:
"Neu ist Rationalisierung, Rationalisierung ist Zukunft, Vergangenheit ist sinnlos, muss zerstört werden."
Da fällt mir ein Spruch ein, den ich mal irgendwo gehört habe und der verdammt nochmal sehr gut passt: "Irrational wird unter Irre abgelegt"

Das Ende gefällt mir auch sehr gut, wo das mit dem "an Wände sprühen" kommt. Das du das Ganze als Liebeserklärung bezeichnest finde ich irgendwie niedlich und man hat direkt einen anderen Blick auf Sprayer ;)
Also alles in allem finde ich diese Geschichte super gelungen, auch wenn sie teilweise ziemlich verwirrt :)

lg
Schnorzel
Von:  _-THE_JOKER-_
2011-03-03T15:25:28+00:00 03.03.2011 16:25
Also irgendwie gefällt mir das, es steckt zwar nicht wirklich eine tiefsinnige Geschichte dahinter aber ich finde gerade das mal schön, das ist was neues und ich finde es doch trotzdem poetisch.
Außerdem ist es lustig wenn man von einer Story so verwirrt wird und trotzdem hängt alles zusammen und ergibt irgendwo einen Sinn.
Und diese Wortspielereien:
nur nicht bei Niederlagen. Und auch wenn sie nie dar nieder lagen, lagen sie schon wieder etc...
Das mit dem Niederlagen, dar nieder lagen und lagen hat schon echt was und das hast du ja auch noch etwas öfter gemacht und das ist auch eigentlich der Grund weswegen ich gerade das so poetisch finde.
Alles in allem finde ich die Story doch gut (also wie du die Wörter eingebracht hast und das mit den Spielereien weil hier ja nicht so ganz Story mäßig was ist) obwohl solche Sachen für mich selbst nichts wären da ich eigentlich immer sehr tiefsinnige Sachen mache wo man schon richtig nach der Kern aussage suchen muss.

Gute Arbeit

jöker
Von:  Kimi_Arimura
2010-11-29T18:32:45+00:00 29.11.2010 19:32
Wow ich find die Geschichte richtig super ^^
xDD
zu geil wie er am Anfag alles deprimiert beschreibt
ich mag es echt wie du alles aus seiner Sicht beschrieben hast
und zu niedlich wie er dann nacher doch weich wird gegenüber dem Kätzchen
eine echt schöne Geschichte

luv it


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