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Alles wird sich ändern

2. Platz bei Fanfiktion/Originalstory Wettbewerb
von

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Wie ein kleines Kind

Wie ein kleines Kind
 

Irgendwie schaffte ich es, Jack den Rest des Tages aus dem Weg zu gehen. Ich versteckte mich hinter Chris und meinen Freunden. Zum Glück standen wir meist in so einer großen Gruppe, dass mich dort keiner belästigen konnte. Erst einmal war da das ganze Basketballteam, rund um ihren Captain versammelt. Noch hier und da ein paar Cheerleader, die sich schmachtend an die Sportler warfen und dann meine eigentliche Freunde, wie Jenny und Lily.

Die beiden kenne ich schon seit dem Kindergarten und auch wenn wir alle drei ziemlich unterschiedlich sind, sind wir immer noch die besten Freunde. Jenny ist die spontane Draufgängerin, die auch manchmal ziemlich hinterlistig sein kann. Das kommt meist daher, dass sie mit ihren Geschichten so gut wie alles an die Öffentlichkeit bringt. Doch das stört sie meist nicht, eigentlich beflügelt sie das nur noch mehr. Ich bin die Verrückte und lasse mich so gut wie auf alles ein. Ich mache alles mit, was Jenny mal wieder vorschlägt. Eigentlich sollte ich mir das lieber mal abgewöhnen, denn oft genug ist das schon schief gelaufen. Lily ist die Ruhige von uns Dreien. Sie ist auch ein bisschen schüchtern, aber wirklich ein liebes Mädchen und ich mag sie wirklich gerne. Sie ist die Stimme der Vernunft in unserer kleinen Clique. Manchmal verlassen Jenny und ich uns viel zu sehr auf Lily. So nach dem Motto, falls wir zu weit gehen, Lily wird uns schon aufhalten. Und meistens tut sie das auch. Einmal hat sie das nicht getan, nur um uns eine Lektion zu erteilen. Was genau passiert ist, möchte ich jetzt hier nicht näher erläutern. Es war einfach zu peinlich. Für zwei Monate blieb uns das auch im Gedächtnis haften, doch dann haben wir wieder wie üblich weitergemacht. Wir können manchmal richtig begriffsstutzig sein. Ich meine, wenn wir ein bisschen mehr auf Lily hören würden, kämen wir nicht so oft in Schwierigkeiten. Aber wer will sich denn solchen Spaß nehmen lassen? Außerdem würde ich sonst den Satz „Ich hab’s euch doch gesagt!“ von Lily sehr vermissen.

Apropos Spaß, ihr habt doch nicht vergessen, was ich heute noch vorhabe? Nein? Ich natürlich auch nicht. Aber alleine ist das so eine Sache. Ich würde es unter Not machen, aber mit ein paar Freunden macht es doch umso mehr Spaß. Also versuchte ich mein Glück. Jenny und Lily kannten es ja schon. Und wie jedes Jahr erwartete ich mal wieder allgemeines Gestöhne, aber einer der beiden hat sich bis jetzt immer überreden lassen. Da merkt man schon, dass sie wirkliche Freunde sind.

„Wer will denn heute noch mit mir einen Schneemann bauen?“, platzte es aus mir heraus, als ich es nicht mehr länger aushalten konnte. Mit der Reaktion, die auf diesen Satz folgte, hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Erst sahen mich alle entsetzt an, als ob ich eine Verrückte wäre. Also eine im negativen Sinne und nicht im positiven, wie ich eine bin. So als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. Ich hatte das Gefühl, als ob gleich alle ihre Köpfe zusammenstecken würden und dann flüsternd über mich herziehen würden. „Habe ich denn irgendetwas Falsches gesagt?“, war der einzige Gedanke, der mir in dem Moment durch den Kopf schoss. Ich schaute rüber zu Chris, doch er sah mich nicht an. Er schaute in die entsetzten Gesichter seiner Freunde und da war was in seinen Augen, was ich nicht ganz zu deuten wusste. Ich hatte es noch nie an ihm gesehen und ich hatte ein eigenartiges Gefühl. Ich konnte es nicht ganz zuordnen, was es genau war, aber ich wusste, dass es etwas mit unserer Beziehung zu tun hatte. Das war das erste Mal…

Auch wenn dieser Moment nur einige Sekunden anhielt, dauerte er für mich schon eine halbe Ewigkeit. Plötzlich fing Chris laut an zu lachen. Doch es war nicht sein herzhaftes Lachen, was ich sonst von ihm gewohnt war, es klang leer und kalt. Die anderen schienen das nicht zu bemerken, denn sie stimmten mit ein. „Das war wirklich ein guter Witz, Cat. Als ob wir noch in unseren Alter einen Schneemann bauen würden“, brachte er unter größter Mühe hervor.

„Es war kein Witz!“ Dieser Satz hallte in meinem Kopf wider, doch ich ließ ihn nicht über meine Lippen. ich hatte so ein Gefühl, als ob es falsch gewesen wäre. Stattdessen entfernte ich mich aus der Gruppe und ließ die angeheiterten Sportler zurück. Irgendwie schienen sie mir jetzt völlig andere Personen zu sein, Personen, mit denen ich sonst nie reden würde.

Ich hörte, wie Jenny und Lily mir folgten, doch ich wollte erst einmal so weit wie möglich von allen anderen weg. Sie sagten nicht „Stopp“ oder „Halt an“, sonder folgten mir so lange, bis ich selber stehen blieb. An meiner Lieblingsbank auf dem Schulhof stoppte ich dann endlich. Ich ließ mich auf ihr nieder. Jenny setzte sich dann auf meine rechte Seite, Lily nahm links Platz.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Lily zaghaft.

„Ich weiß nicht“, meinte ich unsicher. Es war komisch, aber ich konnte selbst gar nicht einschätzen, wie ich mich gerade fühlte. Chris war irgendwie ... anders gewesen. „Habt ihr Chris gesehen?“

„Nein, aber ich habe diese Idioten gesehen. Die müssen ja echt beschränkt sein“, regte sich Jenny auf. „Hast du gesehen, wie bedröppelt die geguckt haben. Die kennen nicht einmal so viele Wörter, dass sie deinen Satz verstehen konnten. Ich meine, wie hohl muss man denn dafür sein? Und dann machen sie dann auch immer alles nach, was Chris gerade tut. Der einzige Normale und Intelligente in dieser Clique. Also wenn ihr mich fragt, könnte man alle diese hirnlosen Sportler sowieso vergessen.“

„Jenny!“ Lily warf ihr einen ihrer berühmt-berüchtigten Scham-dich-Blicke zu. „So wirst du sie doch nicht aufheitern. Und das versuchen wir gerade, falls du es vergessen hast. Du musst mitfühlender sein.“ Sie beugte sich über mich und redete mit Jenny, als ob ich überhaupt nicht mehr anwesend wäre.

„Mitfühlend?“, fragte Jenny etwas mehr als skeptisch. „Da fühlt sie sich doch nur noch beschissener. Wir müssen ihr zeigen, dass wir nichts von diesen blöden Typen halten.“ Und auch Jenny tat so, als ob ich gar nicht mehr da wäre. Die beiden stritten und stritten sich weiter, ohne überhaupt noch einen einzigen Gedanken an mich zu verschwenden. Und genau das war es, was mich schließlich wieder zum Lachen brachte.

Plötzlich brach es aus mir heraus, wie ein Schwall Bienen, der seinen Stock verlässt. Ich krümmte mich vor Lachen und meine Freundinnen sahen mich nur noch verdutzt an. „Wisst ihr, dass ihr wirklich komisch seid.“ Sie sahen mich so an, als könnten sie überhaupt nicht verstehen, warum ich jetzt lachte und das war auch wahrscheinlich so, denn meist bekamen sie nicht mal mit, wenn sie anfingen zu streiten. „Ich möchte euch nur raten, dass ihr nie jemanden zusammen aufheitern wollt. Denn ich glaube jeder, der nicht ich bin, würde da schreiend Wettrennen. Aber ich danke euch. Es geht mir schon viel besser. Nichts ist aufheiternder als euch streiten zu sehen ... oder diskutieren“, fügte ich noch schnell hinzu, denn Lily warf mir einen bösen Blick zu. Sie mochte es nicht, wenn jemand sagte, dass sie gerade gestritten hätte, denn so etwas tut Lily nicht.

„Auf jeden Fall geht es mir wieder gut!“ Ich stand auf und entfernte mich ein paar Schritte von der Bank. Ich konnte die Blicke von Jenny und Lily förmlich in meinem Rücken spüren. Sie wussten nicht, was ich vorhatte, und eigentlich war das schade, denn sie müssten mich eigentlich besser kennen. Ich bückte mich, schob etwas Schnee zusammen und formte es zu einem Ball. Blitzschnell kam ich wieder hob, drehte mich herum und warf den Schneeball. Und Lily war getroffen.

Was ich nicht erwartete, war, dass von der anderen Seite ein Schneeball direkt auf mich zu kam. Jenny hatte sich wohl leise von der Bank weggeschlichen und gleichzeitig auch einen Schneeball vorbereitet. Also kannten mich meine Freundinnen doch ganz gut. Nur ich kannte sie wohl nicht so gut oder ich dachte, sie wären noch zu verwirrt von meinem Vortrag gewesen. Jedenfalls begann nun eine wilde Schneeballschlacht. Die Bälle flogen nur wie Geschosse durch die Luft. Keiner blieb verschont, nicht einmal die armen kleinen Sechstklässler, die ganz unschuldig vorbei liefen. Ich glaube, die hatten einen Schreck fürs Leben bekommen. Als sie vom ersten Schneeball getroffen worden, war es noch nicht weiter schlimm, aber als der zweite und der dritte kamen, liefen sie schreiend davon. Das war wirklich lustig und hob meine Stimmung nur noch mehr. Wir machten solange weiter bis wir alle keinen Schnee mehr vor unseren Füßen hatten und uns lachend in den Schnee warfen.

Ich starrte in den Himmel. Eine kleine Schneeflocke kam auf meine Stirn zu. „Und? Habt ihr denn noch Zeit mit mir einen Schneemann zu bauen?“ Das übliche Genörgel blieb aus. Wahrscheinlich wollten sie nicht riskieren, dass ich wieder so mies drauf werden würde.

„Okay“, kam es gleichzeitig von ihnen. Das war ja sogar noch normal, aber der nächste Satz kam auch wie aus einem Munde: „Aber ich kann nicht so lange bleiben.“ Sie schauten sich an und fingen an zu lachen. Tja, zwei Seelen, ein Gedanke. Oder vielleicht auch nur zwei Seelen, gleicher Terminplan?

„Ich habe meiner Mutter versprochen, ihr beim Hausputz und bei den Essensvorbereitungen zu helfen. Heute Abend hat Papa nämlich Besuch von seinem Chef und dessen Frau. Scheint ein sehr wichtiges Treffen zu sein.“ Sie schaute mich entschuldigend an, doch dabei hatte sie gar nicht den Grund dazu. Doch so war Lily nun einmal.

„Ist okay. Es ist ja nicht so, dass ich euch tage vorher Bescheid gegeben hätte, dass wir heute was zusammen machen.“

„Und ich bin an einer heißen Story dran und um vier mit meinen Informanten verabredet“, rechtfertigte sie sich mit ihrem schelmischen Grinsen auf dem Gesicht. Das setzte sie immer auf, wenn sie von einer Story spricht. „Scheint ein sehr wichtiges Treffen zu werden“, machte sie Lily noch nach. Ich ging nicht darauf ein, konnte mir sogar gerade noch ein Lachen verkneifen. Lily hatte es zum Glück nicht bemerkt, sonst hätte es bestimmt wieder ein paar „Diskussionen“ gegeben.

Ich klatschte aufmunternd in die Hände. „Dann beeilen wir uns halt ein bisschen. Ist doch kein Drama. Oder ich kümmere mich zum Schluss alleine um Henry.“

„Henry? Ich wusste nicht, dass wir uns noch mit einem Jungen treffen. Vielleicht lasse ich meinen Termin doch noch-“ Jenny stockte, als ich lauthals losprustete. Lily schüttelte nur den Kopf.

Weil ich keine Luft mehr fand, um es zu erklären, ergriff sie das Wort: „Cat nennt den Schneemann Henry. Sie gibt doch jeden Schneemann einen Namen, schon vergessen? Letztes Jahr war es Charles gewesen.“

Stimmt, Charles. Charles war wirklich schön geworden. Statt des üblichen Zylinders habe ich ihm eine Melone auf dem Kopf gesetzt und ich muss sagen, dass es ihm wirklich ausgezeichnet stand. Dann bekam er noch einen Schirm in die Hand und der geborene Engländer war geschaffen. Also ich muss sagen, so ein Gentleman ist nicht verkehrt.
 

Wir machten uns auf den Weg in den Park. Unser jährliches Ziel für den ersten Schnee. Meist war er nach der Schule ziemlich leer, denn die ganzen Kinder waren schon längst zu Hause und die Erwachsenen gingen erst abends hindurch, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig waren. So konnte man immer davon ausgehen, dass man ungestört war. Meist tummelten sich hier auch viele Pärchen um und taten halt das, was Pärchen so machten. Manchmal kam es dann aber auch zu Diskussionen, die Jenny jedes Mal liebend gerne mitangehört hätte. Es ist ja nicht so, dass sie fast 60 Prozent dieser Gespräche mitkriegt, weil sie so gut wie jeden Nachmittag hier verbringt.

An einem Tag, wo der erste Schnee gefallen ist, ist es aber erstaunlich leer. Kein einziges Paar, was händehaltend durch den Park spaziert. Dabei ist es doch der schönste Tag im Jahr. Mich störte es aber nicht weiter, weil ich am liebsten alleine war, wenn ich meinen Schneemann baute. Natürlich nicht ganz alleine, sonst hätte ich nicht meine Freunde überredet, mit mir zu kommen.

Nach einer halben Stunde hatten wir den Körper so gut wie fertig. Die drei Kugeln standen aufeinander und nun musste das Erscheinungsbild nur noch perfektioniert werden. Die Übergänge durften nicht so abrupt aussehen, deshalb vertuschten wir dies mit weiterem Schnee. Mit ein wenig Fingerspitzengefühl und Know-how könnte das ein richtiges Meisterwerk werden.

Nun stand das Grundgerüst, es fehlten nur noch die Details. Gerade als ich den anderen sagen wollte, wonach sie genau Ausschau halten sollten, packte Jenny ihre Tasche und auch Lily schaute schuldbewusst drein.

„Ich muss jetzt los. Sonst haut mein Informant noch ab.“ Sie schwang ihre Tasche über die Schulter, verabschiedete sich noch von Lily und mir und verschwand dann in Richtung Innenstadt.

„Ich muss jetzt auch gehen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Ist es auch wirklich okay, wenn wir gehen?“

„Ja, klar. Sieh mal, Henry ist doch schon fast fertig. Da fehlen nur noch ein paar Einzelheiten. Und ich bin so gut drauf, dass ich gar keine Gesellschaft mehr brauche. Außerdem ist Henry ja noch da.“ Ich schenkte ihr einer meiner breitesten Lächeln. Es stimmte wirklich, was ich gerade gesagt hatte. Wenn Lily gegangen war, würde ich die paar restlichen Sachen noch erledigen und morgen könnten wir ihn zusammen bewundern. „Es ist wirklich okay“, versicherte ich ihr noch einmal, als sie noch immer keine Anstalten machte, zu verschwinden.

Wie es schien, hatte sie es nun endlich akzeptiert. Sie packte nun auch ihre Tasche und schaute noch einmal zu Henry herüber. „Ich bin schon gespannt, wie er aussehen wird“, meinte sie. Dann wandte sie sich mir zu. „Bis morgen dann. Und noch viel Spaß mit Henry.“

„Ja, danke. Und dir viel Spaß beim Kochen.“ Wir umarmten uns noch und dann verschwand Lily auch. Jetzt war ich ganz alleine. Aber schlimm war das nicht. Ich fühlte mich großartig, mir konnte es gar nicht besser gehen. Außerdem war ich gerne einmal alleine mit dem Schnee. Mir gefiel es in seiner unmittelbaren Nähe zu sein und diese Kälte zu spüren. So konnte ich mich lebendig fühlen. Dabei ließ ich den Schnee sanft durch meine Hände gleiten und schloss meine Augen. Wenn ich das tat, kam ich immer in die richtige Stimmung, um einen Schneemann zu bauen. Zwar hatte ich ja jetzt schon angefangen, doch ich brauchte noch ein bisschen Inspiration, um ihn fertig zu stellen. Ich stellte ihn mir vor meinem inneren Auge vor, so wie Henry eben aussehen sollte. Als ich ihn sah, stahl sich ein Grinsen auf meine Lippen.

Ich öffnet meine Augen, sprang von der Bank auf – auf die ich mich kurz gesetzt hatte – und machte mich auf die Suche nach den fehlenden Utensilien. Dabei ließ ich meinen Blick immer über den Boden schweifen, um nach Ästen, Steinen und anderen nützlichen Dingen Ausschau zu halten. Ich hatte schnell etwas Passendes gefunden, war mir aber noch nicht hundertprozentig sicher, ob es auch wirklich perfekt aussehen würde. Die zwei Äste steckte ich ihm in die Seiten und die paar Steine drückte ich in den Körper. Dann noch zwei Steine für die Augen. Jetzt fehlte nur noch die Karotte, der Schal und der Zylinder. Ich kramte in meiner Tasche und holte die entsprechenden Teile raus. Natürlich hatte ich heute morgen noch einiges eingepackt.

Bevor ich jedoch die letzten Teile anbringen konnte, zuckte ich vor Schreck zusammen. Plötzlich stand Jack neben Henry und der hatte mal wieder sein Ich-bin-nicht-zu-übertreffen-Lächeln aufgesetzt. Das Erste, was ich ihm daraufhin zuwarf, war mein Das-glaubst-auch-nur-du-Blick.

„Du baust ja einen Schneemann. Wie ein kleines Kind.“ Er betrachtete Henry von oben bis unten.

„Ja, genau, aber das geht dich gar nichts an. Also verschwinde und lass mich in Ruhe.“ Ich hatte wirklich keinen Bock auf den Kerl. Eben hatte ich noch die beste Laune und kaum sehe ich diesen Typen, landet diese im Keller. Und dahin würde ich mich jetzt auch am Liebsten verkriechen, denn alles war besser als Jack.

„Nein, ich finde das süß.“ Was? Eigentlich hätte ich ja sofort gedacht, dass das nur mal wieder einer seiner coolen Sprüche sei, doch da lag etwas in seiner Stimme, das mich keine Sekunde daran zweifeln ließ, dass er es ehrlich meinte. Diese fünf kleinen Worte waren die ersten ehrlichen Worte, die ich von ihm gehört hatte. Ich hatte sehr bezweifelt, dass er zu so etwas überhaupt im Stande war.

Ich wollte gerade etwas zu seinem überaus merkwürdigen Verhalten sagen, als er auch schon meinte: „Tja, werde jetzt gehen. Ich möchte ja keinen Ärger.“ Und da war es wieder, dieses Grinsen, und sonst war auch alles wieder beim Alten. Vielleicht hatte ich mich ja nur geirrt? Vielleicht war es eine kleine Illusion von mir gewesen, um diesen dämlichen Typen etwas sympathischer wirken zu lassen. Ich schüttelte den Kopf. Raus finden würde ich das wohl nie. Selbst wenn ich ihn darauf ansprechen würde, die Wahrheit käme nie im Leben aus seinem Mund.

„Was machst du denn hier?“ Ein weiteres Mal zuckte ich zusammen. Ich drehte mich um und schaute Chris in die Augen. Gott sei Dank, ich dachte schon, dass es noch schlimmer werden würde. Das Lächeln kehrte auf meine Lippen zurück.

„Hey, du“, sagte ich und reckte mich ein wenig, um ihn zu küssen. Chris erwiderte den Kuss nicht und als ich ihn ansah, musste ich feststellen, dass er ziemlich mies gelaunt aussah. Ob er Jack gesehen hatte? Wahrscheinlich war es so.

„Das eben war Jack. Er ist neu auf der Schule und er verfolgt mich schon den ganzen Tag. Ziemlich nervig der Typ. Ich wünschte, er würde mich in Ruhe lassen.“ Ich hoffte, dass ihm das milde stimmen würde, doch irgendwie sah er noch unverändert aus.

„Was?“ Jetzt sah er ziemlich verwirrt aus. Anscheinend hatte er Jack wohl doch nicht gesehen. Darum war er so schnell verschwunden. „Ich meinte das.“ Er zeigte auf Henry.

Jetzt war ich verwirrt. Was meinte er denn damit jetzt? Auf Henry musste er wohl wirklich nicht eifersüchtig sein. Der war mir doch ein wenig zu kühl.

„Hast du den gemacht?“ Ich nickte. Chris war irgendwie sehr eigenartig. Mir gefiel das Ganze nicht. „Was hast du dir dabei gedacht?“

Ich wollte etwas sagen, doch brachte kein einziges Wort heraus. So hatte ich ihn noch nie erlebt und es machte mir Angst.

„Du bist sechszehn. Da baut man keine Schneemänner mehr. Das ist doch nur Kinderkram. Wenn dich jemand dabei sieht -“ Er brach ab. Die Vorstellung musste für ihn schrecklich sein, zumindest kam es mir so vor. Er schaute mich nicht an und drehte sich weg. Ich hatte das Gefühl, als ob er jetzt gehen würde und dabei fühlte es sich so an, als ob es das letzte Mal wäre. Ein schwarzer und kalter Schleier legte sich um mich. Angst. Angst, dass er gehen würde und nicht mehr zurück kam. Und dieser Gedanke verursachte nicht nur Angst, sondern auch Schmerzen. Es tat höllisch weh. Es tat weh, ihn zu verlieren. Wenn es jetzt schon so brannte, wie würde es dann erst auf Dauer aussehen. Mein Herz würde wohl zerbrechen, wenn er gehen würde.

Doch das wollte ich nicht. Ich wollte ihn nicht verlieren. Ich konnte es nicht. Dafür brauchte ich ihn viel zu sehr. Ich brauchte ihn mehr, als er sich vorstellen konnte. Ich konnte mich für ihn ändern. Ich würde alles tun, um ihn nicht zu verlieren.

„Warte!“, rief ich ihm hinterher und er blieb stehen. Ich holte auf und schaute zu ihm hoch. „Ich kann damit aufhören, wenn du willst. Mir ist das nicht so wichtig. Zumindest nicht so wichtig, wie du mir bist.“

Ich wartete auf eine Antwort. Es kam mir wie Stunden vor. Jetzt sag doch endlich etwas, Chris. Und dann kam es: „Ja, das fände ich schön. Das will ich wirklich, Cat.“ Er lächelte mich an und küsste mich zärtlich. Für einen kurzen Moment hatte ich gedacht, dass ich dies nie wieder fühlen würde. Seine Lippen auf meinen. Aber jetzt war dieser Albtraum vorbei. Chris war immer noch bei mir und daran würde sich auch so schnell nichts ändern.

Ich schenkte ihm ein Lächeln. Ich wollte ihm zeigen, dass ich glücklich war und das sah er auch. Doch ich musste mit Entsetzten feststellen, dass ich selber nicht sah, dass ich glücklich war. Tief in mir drinnen kam es mir so vor, als ob ich etwas verloren hätte. Ich verstand dieses Gefühl nicht. Ich hatte diesen Verlust doch noch gerade so abwenden können. Chris stand hier vor mir und er war für mich da.

Ich umarmte ihn, drückte ihn fest an mich, um mich noch einmal davon zu überzeugen, doch das Gefühl der Freude blieb trotzdem verborgen.



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