Nacht 6- Inori
Nacht 6: Inori
Geschwister… wie ein Schlag in die Magengegend war das für mich. Als hätte mir jemand wirklich in den Bauch geschlagen keuchte ich auf, taumelte und wurde von Kaname aufgefangen. Er setzte mich auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch des Rektors. Ich konnte es nicht fassen. Wie paralysiert starre ich die beiden an. Ich sah meinen Adoptivvater und Kaname abwechselnd an und doch nahm ich sie nicht wahr.
Rektor Cross wusste nicht was er antworten sollte. Er hatte den Mund halb geöffnet, doch drang kein Ton aus ihm heraus. Er stand auf und berührte sacht meine Schultern.
Und endlich fand ich meine Stimme wieder.
„Was ist mit unseren Eltern geschehen?“ fragte ich mit trockenen Hals. Sofort hatte ich Kanames und meine Eltern als „unsere“ angesprochen. Kaien Cross antwortete mir.
„Deine Eltern wurden von ihrem eigenen älteren Bruder Rido ermordet. Doch bevor deine Mutter starb bannte sie den Vampir und deine Erinnerungen in dir. Dann brachte Kaname- kun dich zu mir.“ Sofort schoss mir die Frage in den Kopf warum er mich, Kaname und sie dann nicht getötet hatte. Zumindest war Rekto Cross ein Vampirehunter gewesen bevor er die Cross Akademie gegründet hatte. Aber auch die Frage wurde beantwortet. Diesmal von Kaname- meinem Bruder. Jetzt spürte ich einen Kloß im Hals wenn ich daran dachte, dass er mein Bruder war.
„Rektor Cross wurde von unserer Mutter gebeten dich am Leben zu lassen. Kurz nach deiner Geburt tauchte er bei uns auf und wollte uns vernichten. Doch Juri flehte ihn an er möge dich verschonen, denn schon da wussten unsere Eltern von der Bedrohung durch Rido.“
Urunda hitomi no oku ni
Kawaranu kimi no sugata
"doko made sekai wa tsudzuku no"
Todaeta hibi no kotoba
„Sie… wussten es?“ Alle beiden nickten. „Es ist in Reinblüterfamilien üblich dass sie ihr Blut nicht verunreinigen. Darum heiraten die Geschwister untereinander. Auch bei euren Eltern war es so. Haruka und Juri waren Geschwister und ein Ehepaar. Doch ihr älterer Bruder Rido hatte es schon immer auf Juri abgesehen. Da er sie nicht mehr bekommen konnte, wollte er dich zu seiner Frau machen und darum wollte er nur seinen Bruder töten. Und den Rest könntest du dir denken, Yuki. Deine Mutter liebte Haruka so sehr dass sie mit ihm in den Tod ging.“
Jetzt kamen wieder die Erinnerungen hoch. Die eisige Nacht am Rande des Waldes. Der Schnee… und eine grässliche Gestalt eines Vampirs, der mich töten wollte. seine Augen funkelten wie Rubine in seinem aschfahlen Gesicht. Doch der Rest des Gesichtes war noch zu verschwommen. Und dann eine sanfte Stimme, die ich kenne.
Kogoeru arashi no yoru mo
Mada minu kimi e tsudzuku
Oshiete umi wataru kaze
Inori wa toki wo koeru
Und noch eine Erinnerung. Eine junge Frau beugt sich über ein kleines Mädchen, als wolle sie das Kind schützen. Sie ist voll von Blut. Leise haucht sie den Namen des Kindes. „Yuuki.“ Das Mädchen sieht mir zum verwechseln ähnlich. Ist es Möglich dass ich das kleine Mädchen bin? In den letzten Minuten meines Vampirdaseins? Die Erinnerung und die Farben verblassen und ich finde mich wieder im Zimmer des Rektors. Erst jetzt merke ich wie sehr ich zittere. Kaname legt schützend seine Hände um mich. „Alles ist gut Yuki. Ich bringe dich jetzt besser in dein Bett.“
Kasunda chihei no mukou ni
Nemureru hoshi no souwa
"akenai yoru wa nai yo" to
Ano hi no tsumi ga warau
Wortlos befolge ich Kanames Bitte. Aber wieder keimte Angst in mir auf. So verließen wir das Zimmer des Rektors. Er schwieg auf den Weg zu meinem Zimmer. Ich tat dies auch. Als wir dann vor dem Zimmer ankamen dass ich mit Yori- chan teilte verbeugte ich mich vor meinem Bruder.
„Danke dass du mich hergebracht hast Kaname- senp-.“ Ich stockte sofort. Konnte ich es wirklich wagen ihn „O- nii- sama“ nennen? Aber ich traute mich nicht.
„Das ist kein Problem Yuki. Am besten legst du dich jetzt schlafen. Ich werde auf dich aufpassen lassen. Bis morgen.“ Er verließ den Gang und auch das Haus vermutete ich. Zitternd legte ich meine Hand auf die Klinke und drückte sie hinunter.
Yori- chan schlief schon. Ihre ruhigen Atembewegungen verrieten es. Schnell zog auch ich meinen Schlafanzug an und huschte in mein Bett.
Furueru kimi wo dakiyose
Todokanu kokuu wo aogu
Kikoeru yami terasu kane
Kimi eto michi wa tooku
Es schien als hätte ich nur eine Sekunde lang die Augen geschlossen gehabt, als ich einen kühlen Hauch spürte. Jemand war ins Zimmer gekommen, oder heraus gegangen. Ich öffnete nur wenig ein Auge um zu sehen was es war. Das Fenster stand offen und die Gardine flatterte im sanften Wind, der herein kam. Vielleicht hatte Yori das Fenster geöffnet und sich dann wieder schlafen gelegt. Es musste schon eine Weile offen sein, denn die Oberseite meiner Decke war etwas kühl. Mir fröstelte und ich wollte aufstehen und das Fenster wieder schließen.
Es war immer noch dunkel, kurz vor Sonnenaufgang. Yori- chan schlief wieder. Aber was war das gewesen? Ich setzte mich auf.
Da wurde mir auch schon eine Hand auf den Mund gehalten und eine andere auf meinen Kopf. Jemand saß hinter mir und hielt mich fest.
„Ruhig Yuki. Sonst weckst du noch deine Freundin… und dann wäre sie schneller tot als du es dir denken kannst.“ Sagte jemand hinter mir. Voller angst wagte ich es nicht nur einen Muskel zu bewegen.
„Gutes Mädchen.“ Sagte er. Es war ein Mann, soviel konnte ich erkennen. Aber die Stimme kam mir bekannt vor und doch war sie mir fremd.
Der Fremde beugte seinen Kopf zu mir, dass ich ihn erkennen konnte. Es war Shiki- senpai!
Er sah aber anders aus als wie ich ihn letzten Abend gesehen hatte. Eines seiner Augen war blau… das andere rot. Ich musste schlucken. Das war nie und nimmer Shiki- senpai. Sonst war er doch so ruhig und zurückhaltend.
Kogoeru arashi no yoru mo
Mada minu kimi e tsudzuku
Oshiete umi wataru kaze
Inori wa toki wo koeru
Shiki drehte jetzt vollends sein Gesicht zu mir. „Du bist noch nicht erwacht. Dann hat dich mein Neffe also noch nicht zum Vampir zurückverwandelt.“ er grinste. „Sehr schön.“ Er legte eine Hand auf meinen Kopf und plötzlich wurde ich schläfrig. Ich nahm Shikis Umrisse immer weniger wahr bis ich dann endgültig wegdämmerte.
Kogoeru arashi no yoru mo
Mada minu kimi e tsudzuku
Oshiete umi wataru kaze
Inori wa toki wo koeru
Ich wurde in einem dunklen Raum wach. Er war nur spärlich beleuchtet. Ich konnte gerade so meine Hände vor meinem Gesicht wahrnehmen. Ich keuchte auf, jemand hatte meine Beine gefesselt. Mein keuchen hallte im Raum wieder. Ich sah mich um. Es müsste ein Keller sein. Ich versuchte mich aufzusetzen.
„Hallo? Ist da jemand? Ich brauche Hilfe!“ rief ich. Zum einen wusste ich jetzt dass ich allein in diesem Raum war und… das auch niemand in der Nähe überhaupt war. Wieder schrie ich um Hilfe, dieses Mal lauter.
Inori wa toki wo koeru