When we meet in the rain again
Da stand sie, am Rande der kalten, grauen Straßen, mitten im strömenden Regen. Er konnte es einfach nicht mit ansehen, aus irgendeinem Grund hatte das rothaarige Mädchen etwas Vertrautes an sich, und es ging Ash ans Herz, wie sie da stand und sich ihre Tränen mit dem Regen vermischten.
Der Zwanzigjährige hielt langsam mit seinem roten Auto neben dem Mädchen an und kurbelte das Fenster herunter. Das Mädchen blickte auf, und traurige Augen sahen in Ashs Gesicht. „Kann ich dir irgendwie helfen? Dich mitnehmen, oder so?“ Das Mädchen sah ihn an und in ihren Augen lag etwas Sanftes. „Danke.“ Sagte sie leise und stieg langsam in das Auto.
Eigentlich tat sie ja sowas nicht, aber irgendetwas verleitete sie dazu, dem jungen Mann zu vertrauen. Sie schloss die Autotür hinter sich und schnallte sich an. Als sie merkte, dass der schwarzhaarige Junge sie beobachtete, wurde sie rot und sah auf ihren Schoß.
„Wo…“ Ash räusperte sich. „Wo willst du hin?“
Das Mädchen seufzte kurz und sagte dann: „Egal, irgendwo hin.“
Normalerweise hätte Ash nachgefragt. Doch irgendetwas ließ ihn verstummen und er fuhr los. Als er bemerkte, dass dem Mädchen wieder eine Träne über die Wange lief, wollte er helfen, irgendetwas tun. „Was bringt denn so wunderschöne Augen…“ Das Mädchen sah auf und direkt in sein Gesicht. Wow, diese meerblauen Augen, solche, wie er sie nur einmal gesehen hatte. „…zum weinen?“
Es gelang ihm, dem Mädchen ein kleines Lächeln zu entlocken. „Meine Schwester… also … eine von meinen Schwestern … sie ist … tot.“ Schon liefen wieder viele kleine Tränen aus ihren grünblauen Augen.
„Oh… das ist hart… ich habe auch mal jemanden verloren. Ich weiß, wie du dich fühlst.“
Das Mädchen sah ihn erstaunt und neugierig an. „Du kanntest wen, der gestorben ist?“
Ash schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf. „Nein. Gestorben ist sie nicht. Aber ich bin Schuld, an dem Tod eines ihrer besten Freunde. Es war ein schrecklicher Unfall gewesen, aber sie hat es mir niemals verziehen.“
„Oh mein Gott.“ Hauchte das Mädchen und schüttelte ungläubig den Kopf. Plötzlich wusste sie, wer da neben ihr saß, warum sie ihm vertraut hatte! Sie kannte ihn! Aber er hatte sie offenbar nicht erkannt.
„Und… es war für dich so schlimm, als wäre sie… tot?“ Er nickte und presste die Lippen zusammen.
„Halt an.“ Sagte sie plötzlich. „Waa…?“ „Mach schon!“
„Sieh doch mal, ein Café. Ein besserer Ort um sich zu unterhalten, oder?“ Sie lächelte ihn sanft an.
Ash zögerte kurz. Eigentlich wollte er abends noch in Alabastia ankommen, aber… als er sie lächeln sah, konnte er nicht nein sagen. Sie sollte nicht wieder weinen.
Zehn Minuten später saßen sie sich gegenüber an einem Tisch und löffelten in ihren Bechern. Ash hatte wie immer einen Schoko-Krokant-Becher bestellt. Das Mädchen musste unwillkürlich wieder lächeln. Wie oft hatten sie früher zusammen aus so einem Eisbecher gelöffelt.
„Es war, als würde meine Welt völlig zusammenbrechen, als ich sie nicht mehr sehen durfte. Sie war immer meine beste Freundin gewesen. Und das Gary damals gestorben ist, dafür kann ich nichts.“
Vielleicht war genau das ihre Chance, endlich die Wahrheit zu hören, und vielleicht sogar, zu verzeihen.
„Es war alles so verrückt damals, es ging doch alles so schnell. Da waren Team Rocket, Gary ich und das Mädchen, Misty hieß sie.“ Das Mädchen drehte nervös eine Haarsträhne um ihren Finger. „Und Team Rocket, sie hatten so eine Maschine und es hat geregnet. Gary er … er stand irgendwie ungünstig, ich kann bis heute nicht glauben, dass es passiert ist. Team Rocket feuerte auf mich, und da hab ich Pikachu befohlen, Donnerschock zu benutzen und … als die beiden Strahlen aufeinander trafen wurden sie abgelenkt und trafen mit voller Wucht auf den durchnässten Gary. Er hat es nicht überlebt.“ Die Augen des Mädchens starrten ihn fassungslos an, ihr Mund stand offen. „Für sie muss es so ausgesehen haben, als hätte ich Pikachu befohlen, Gary anzugreifen. Vor allem wir, also Misty und ich, hatten uns am Vortag über Gary gestritten, und dabei hab ich so etwas gesagt wie „ich würde ihn am liebsten umbringen.“ Das Mädchen konnte es einfach nicht glauben, wie hatte sie so blind sein können? Plötzlich presste Ash seine Lippen zusammen und Tränen rannen über seine Wangen. Das hatte sie immer an ihm bewundert, dass er so stark war, als Mann Tränen zu zeigen. „Sie hat mich nie erklären lassen.“
„Ich hab einen furchtbaren Fehler begangen.“ Wisperte das Mädchen. Ash sah sie misstrauisch an. „Was hast du gesagt?“
Das Mädchen sah erschrocken auf und wurde puterrot. „Ich… ich meine… Sie hat einen furchtbaren Fehler gemacht, dir nicht zuzuhören… was würdest du sagen, wenn sie jetzt durch die Tür kommen würde, würdest du es ihr auch heute noch verzeihen?“ fragte sie vorsichtig. Ash seufzte. „Ich weiß nicht. Ich habe mir so viele Jahre Vorwürfe gemacht.“ Das Mädchen ergriff über den Tisch hinweg Ashs Hand. „Du solltest ihr verzeihen. Sie würde es nie verkraften, wenn du es nicht tust.“ Sagte das Mädchen leise, schob die Eisbecher aus dem Weg, beugte sich über den Tisch und gab dem Jungen einen sanften Kuss auf die Lippen. Nach wenigen Sekunden erwiderte Ash den Kuss, ohne zu wissen, warum.
Das Mädchen löst ihre Lippen von denen des Jungen. Nie hatte ihr Bauch mehr gekribbelt, so lange hatte sie sich nach diesem Kuss gesehnt. „Sie hat dich immer geliebt. Sie war nur zu stur um zu verzeihen.“
„Woher…?“ Sie legte ihren Finger auf seine Lippen. „Glaub mir einfach.“ Sagte sie und stand auf. „Aber du hast wohl Recht, sie hat es nicht verdient, dass du ihr das verzeihst.“ Tränen bildeten sich in ihren wunderschönen Augen und sie drehte sich zum gehen um. Nach einigen Sekunden hörte sie etwas. „Das kann doch nicht wahr sein!“ das Mädchen drehte sich um und … oh nein! Ihre Augen weiteten sich, als sie sah wie Ash einen Ausweis aufhob. Ihren Ausweis! Ash sah langsam hoch. Kopfschüttelnd, verzweifelt. Wütend.
„Oh Shi..“ Misty drehte sich um und rannte aus dem Café. Das würde er ihr erst Recht nicht verzeihen. „Misty! Bleib stehen!“ schrie er hinter ihr her.
Misty war schon draußen, sie stand wieder im strömenden Regen. Es half nichts. Sie blieb stehen und drehte sich langsam um. Ash kam wie wild auf sie zugerannt, packte sie an den Schultern und schüttelte sie stark. „Wie konntest du mir sowas antun? UND DAS SCHLIMMSTE IST, JETZT FRAGST DU MICH AUS UND WILLST MICH DANN AUCH NOCH SITZEN LASSEN?“ Er schrie ihr mitten ins Gesicht, hörte dann aber auf sie zu schütteln und sah sie an. Plötzlich schmolz seine Wut, als er sah, dass das Mädchen bittere Tränen weinte…
„Ash, du machst mir Angst.“ Schluchzte sie durch ihren Tränenschleier. Er ließ sie los und atmete tief durch. „Du hast mir Jahrelang Angst gemacht!“ sagte er vorwurfsvoll. Plötzlich legte Misty sich an seine Brust und krallte sich in sein T-Shirt. „Ash…es…es tut mir alles so Leid. Ich… ich hatte solche Angst damals, weil… es sah so aus, als wärst du auf Gary losgegangen, es…“ Sie krallte sich noch mehr in sein T-Shirt. „Du sagtest du liebst mich.“ Mistys Atem stockte. Jetzt war sie verwirrt, war er nicht grad noch tierisch sauer auf sie gewesen? Sie löste ihre Finger langsam aus seinem T- Shirt und trat einen Schritt zurück. Auch Ashs nasse Haare hingen nun träge um sein wunderschönes, markantes Gesicht. Sie musste aufsehen, um in seine schwarzen Augen sehen zu können. „Und du hast mich geküsst.“ Sagte er und sah sie an. Unverwandt. Misty schluckte und nickte langsam. „Ja, das habe ich gesagt.“
„Und?“ fragte Ash neugierig. Misty wurde knallrot. „Es…na ja… es stimmt.“ Sie biss sich nervös auf ihre Lippen. Ash bekam ein verschmitztes Lächeln. Wenn er in ihre Augen gesehen hatte, hatte er nie böse sein können. „Die ganzen Jahre über? Immer?“ Misty nickte. „Immer. Für immer.“ Hauchte Misty und strich einen nasse Haarsträhne aus ihrem Gesicht.
Ash trat einen Schritt näher an sie heran und legte eine Hand an ihre kalte Wange. „Du bist über die Jahre noch viel schöner geworden, als du damals schon warst.“ Misty musste Lächeln. „Es ist schon komisch.“ Meinte sie. „Das uns immer der Tod auseinander und wieder zusammenbringt.“ Meinte sie. Ash kam ihrem Gesicht noch näher. „Vielleicht wurde ich dir jetzt geschickt, damit du nicht alleine bist, so wie ich es war, die ganzen Jahre.“
Misty presste ihre Lippen zusammen und sah zu Boden. „Es tut mir alles so Leid.“ Sie war schon wieder den Tränen nahe. „Hey.“ Ash stupste ihr Gesicht sanft wieder nach oben, so dass sie ihn ansah, strich ihr sanft eine Träne von ihrer zarten Wange. „Das ist nicht wichtig. Nicht mehr. Du bist wieder bei mir.“ Hauchte Ash in ihr Ohr, näherte sich langsam ihren Lippen und küsste sie. Diesmal war es ein viel ehrlicherer Kuss, ein intensiver, leidenschaftlicher. Misty strich ihre Hand durch Ashs Haare, während seine sanft über ihren Rücken glitten. Es war der Kuss zwei Verliebter, die nach vielen Jahren endlich wieder vereint waren. Ein Kuss, auf den beide sehr lange gewartet haben. Ein Kuss, der nie zu enden schien, vor einem unbekannten Café, mitten im Nichts, mit den beiden, nur umringt von den kleinen sanften Regentropfen.
