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Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

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Wille der Geister

Die lange Zeit war schneller um, als man Zeit gehabt hätte, sich um die eigene Achse zu drehen. Ob schlimme Dinge herauf zogen oder nicht, die Welt drehte sich weiter und die Menschen mit ihr. Und mit einem Wimpernschlag der großen, sich drehenden Welt wuchs Nalanis kleiner Junge auf, mit einem Mal war er vierzehn und so gut wie erwachsen, zum Leidwesen seiner immer besorgten Mutter, die er dann bald nicht mehr brauchen würde.

So war der Lauf der Dinge.
 

Die Welt brannte. Der Himmel war verhangen von unheilschwangeren Wolken aus Blut, während die Sonne rot glühend wie ein Ball aus Flammen in einer Richtung aufging, in der sie nichts verloren hatte. Aus den blutigen Wolken regnete es Feuer und Verderben und gleißende Lichtfetzen blendeten den Jungen, der mitten im Feuer stand und sich umzingelt von Bosheit sah.

„Warum jagt ihr mich immer noch?!“ fuhr er die Geister des Himmels und der Erde wutentbrannt an, „Was wollt ihr von mir?!“

„Du irrst,“ sprachen die Geister, „Nicht wir jagen dich… du bist es, der in Wahrheit uns jagt, oder nicht? Sieh! Zorn und Tod werden über das Land kommen, ehe der dritte Sommer vergangen ist…“ Das Feuer wurde heißer und grausamer und der Junge fuhr keuchend zurück, als sich plötzlich eine noch viel grausamere, beklemmende Finsternis über seinen Traum legte, ein unheilvoller, böser Schatten, der alles Licht zu verschlucken schien, das er finden konnte, eine abgrundtiefe Bosheit, die sich von jeder noch so kleinen Hoffnung ernährte, jedem noch so kleinen Funken Glück…

Es wurde grauenhaft dunkel um ihn herum, ehe er keuchend die Augen aufschlug und den dumpfen, aber nicht minder grauenhaften Schmerz in seinem Kopf spürte, als er aus dem Bett auf den Boden knallte.
 

Er rappelte sich auf und schnappte nach Luft, die Nebel des Geistertraumes aus seinem Kopf vertreibend, so gut er konnte. Er hasste es… sie machten ihn krank und verwirrten ihn, diese barbarischen Geister, und er verfluchte sie lauthals, ungeachtet der Tatsache, dass er nachts jemanden im Schloss wecken könnte.

„Verschwindet!“ brüllte er aus vollem Hals und sprang auf die Füße, schwankte bedrohlich ob des grauenhaften Schwindelgefühls, das ihn befiel. „Hört ihr mich, Geister?! Verschwindet und kommt niemals wieder!“ Und zitternd vor Wut fuhr er herum und seine noch vernebelten Augen glühten vor Zorn, als er hinter sich ein Geräusch hörte und schon glaubte, die verdammten Geister kämen zurück; „Verschwindet und kommt niemals wieder!“ brüllte er abermals, dann verschwand der Nebel vor seinen funkelnden Augen plötzlich und er erkannte seine kleine Cousine, inzwischen fast elf, die im Nachthemd in der Türe stand und seinen herrischen, grauenhaften Blick auf eine Art erwiderte, die ihn verblüffte.

Alona hatte keine Furcht vor seinem Zorn, sie stand einfach da und als er sie keuchend anstarrte, verschränkte sie die schlanken Arme vor der Brust.

„Ist gut, ich komme niemals wieder, genug gebrüllt?“ fragte sie harsch, „Es ist mitten in der Nacht und du machst hier einen Radau, dass die Toten aufwachen! Kontrolliere deine dämlichen Träume besser, dann hört der ganze Spuk nämlich auf, habe ich gelesen. Und du als Schwarzmagier solltest das an sich selbst wissen, ich bin ja bloß Telepathin.“

Ernüchtert fuhr er sich durch die Haare und ließ sich stöhnend wieder auf das Bett fallen, ehe er sie ansah.

„Verzeih, Cousine, habe ich deinen Schönheitsschlaf gestört?“ brummte er, „Wenn du ja alles besser weißt, dann füll dein Gehirn morgen in einen Trichter und flöße es mir durchs Ohr ein oder so, bereichere doch meinen dummen Geist mit deinem Wissen!“ Alona schnaubte.

„Du musst nicht patzig werden, ich kann nicht schlafen, wenn du hier herum schreist. Meinst du echt, du kannst die Geister für immer verjagen?“ Sie lächelte. „Das ist närrisch, Puranchen.“

„Nenn mich nicht so,“ murrte er und legte sich hin, ihr den Rücken kehrend, „Und was weißt du denn, was ich kann und was nicht?“

Alona sagte nichts. Sie wusste nur, dass seine Augen, als er sie angesehen hatte im Zorn, nicht ausgesehen hatten wie die ihres Cousins, sondern wie entsetzliche Löcher aus Macht und Bosheit, mit einem Glühen wie aus einer anderen Welt.
 

Der Sommer war fast da. Die Nächte vor dem Sommermond waren schwül und heiß, ungewöhnlich für Dokahsan. Nalani saß senkrecht in ihrem Bett und starrte in die aufgehende Sonne, die sich blutrot über den östlichen Horizont schob. Die Sonne, Vater Himmels großes Auge, hatte etwas gefährliches, ehrerbietendes und schönes an sich, und Nalani bewunderte das seltsame gleißende Ding, das sich Tag für Tag seinen Weg über den Himmel bahnte. Sie fragte sich, wovon sie aufgewacht war; es war kein Geräusch gewesen, sondern vielmehr eine eigenartige Stille, die sie beunruhigt hatte. Es war keine gewöhnliche Stille, sondern eine innere, eine Stille, die nur sie wahrnahm, wie sie glaubte. Ihr Mann lag neben ihr im Bett und kehrte ihr den nackten Rücken. Als sein leises Schnarchen plötzlich aufhörte, wusste sie, dass er wach war, und drehte den Kopf in seine Richtung. Dann wusste sie, dass sie sich geirrt hatte.

„Die Geister sind schweigsam,“ waren Tabaris erste, verschlafene Worte an jenem Tag, und sie blickte ihn erstaunt an, als er sich aufsetzte, gähnte und sich dann die blonden Haare raufte. „Etwas… hat sie erschüttert, wie ein Erdbeben die Menschen von den Beinen wirft.“ Nalani senkte den Kopf und ihr Mann sah ebenfalls zur Blutsonne. Er hörte es noch immer in seinem Kopf, ganz deutlich, als würde es genau vor seiner Nase gesprochen…

„Verschwindet und kommt niemals wieder!“

Und die Geister hatten gehorcht.
 

Nalani seufzte und schob sich an den Bettrand, als Tabari sich erneut die Haare raufte, ehe er sprach.

„Es wird wohl Zeit, dass wir Puran zu Meoran schicken. Wir können das nicht noch ein Jahr warten lassen… täten wir es, würde er Dinge anstellen, dessen Ausmaß er sich nicht mal vorstellen kann, und das könnte uns allen… schlecht bekommen.“ Seine Frau senkte den Kopf.

„Ich weiß,“ machte sie, „Das beunruhigt mich.“
 

Der Rat der Geisterjäger hatte sich seit Jahren Stück für Stück verändert. Nachdem Minar Emo vor drei Jahren seinem Alter erlegen war, war Hakopa Kohdar jetzt der einzige vom Alten Schlag, wie Tabari es nannte, den ehemaligen Kollegen seines Vaters, im Rat. Minar Emo war schnell durch seinen sehr emsigen Enkel Henac ersetzt worden, der erste seit langer Zeit, der die Prüfung geschafft hatte und somit in den Rat aufgenommen worden war. Henac Emo, inzwischen ein erwachsener Mann, war ein sehr kluger und scharfsinniger Kerl, er hatte überraschende Schnelligkeit und Auffassungsgabe bewiesen, als er Barak Kohdar in der Prüfung besiegt hatte.

„Das ist eben der Emo-Clan, seit alters her sind die bekannt als hervorragende Spione, sie sind schnell, geräuschlos und unsichtbar,“ hatte Tabari dazu gesagt, als er den Neuling in den Rat aufgenommen hatte, „Es ist an sich sehr gut, so jemanden zu haben.“

„Aber der Junge ist impulsiver und härter als sein Großvater es war,“ hatte Hakopa Kohdar mehr für sich gemurmelt, ohne dass irgendwer darauf eingegangen war.

„Du willst Puran nach Tuhuli bringen?“ fragte Meoran Tabari, als sie im Regenmond einmal wieder ein mehr oder weniger sinnloses Treffen in Tuhuli abhielten. Nalani saß genervt am offenen Fenster und fächelte sich frische Luft zu, während die Herren der Schöpfung ihre Zigaretten hatten.

„Wir wollen, ja, ob er will, ist dann die nächste Frage,“ seufzte der Blonde zur Antwort, „Aber wir werden ihm schon eintrichtern, auf dich zu hören!“

„Na, bekloppter als die letzten Lehrlinge kann er sich ja nicht anstellen,“ gluckste Tare Kohdar und bekam von seinem Bruder eine Kopfnuss. „Aua…“

„Ihr seid so albern,“ behauptete der Vater der beiden entrüstet. Henac Emo verdrehte die Augen und machte ein eingebildetes Gesicht. Tabari schnaubte und warf eine Schreibfeder nach Barak Kohdar.

„Hey, du Senatoren-Verhörer, erzähl uns lieber, ob es irgendwas Aufregendes gibt, um das wir uns sorgen sollten!“ Nach Nombohs Tod war Barak Kohdar zum Vertreter des Rates im Senat ernannt worden und hatte daher den größten Bezug zu den Politikern. Barak seufzte.

„Nicht ernsthaft,“ behauptete er, „Der alte König in Vialla scheint ein echter Vollidiot zu sein, unten in Alterien hat es Aufstände gegeben. Der König ist eben so ein konservativer alter Sack und hast ein Problem mit Magiern, das Desaster kennen wir ja schon von Anthurien… viel schlimmer als wir Schamanen haben es aber wohl die Lianer im Westen von Kisara. In Senjo werden sie gefürchtet und gejagt und in Thalurien ist es nicht besser, wie es scheint, das heißt, die Lianer werden an der Grenze zwischen Senjo und Thalurien hin und her gejagt wie die Ratten. Das alles tangiert weder uns noch Dokahsan, aber ich wollte es mal erwähnt haben.“

„Dämliche Rassisten,“ empörte Meoran sich, „Das ist das, was uns Menschen von Tieren unterscheidet, glaube ich! Kein Pferd würde ein anderes Pferd verachten, weil es einer anderen Art angehört, sowas können nur Menschen. Die einen haben Angst vor allem, was Magie beherrscht, die Magier halten sich für was Besseres… wann hört das denn auf?“

Tabari antwortete seinem Freund und Kollegen und gluckste bitter.

„Vermutlich niemals, mein Guter. Vielleicht ist das der Wille der Geister.“
 

Der Wille der Geister war vieles und gleichzeitig nichts, war Puran der Meinung. Er starrte seine Eltern empört an, als sie von ihrem Rat zurück kamen und ihm eröffneten, er würde mit Beginn des Sommermondes nach Tuhuli zur Magielehre gehen.

„Nirgends gehe ich hin!“ rief er, „Das habe ich euch dreitausendmal gesagt, Mutti! Ich mache keine Lehre, ich werde kein Schamane, ich werde Jäger!“ Demonstrativ schüttelte er seinen Speer, mit dem er gerade auf dem Weg hinaus gewesen war.

„Pff!“ machte Tabari unbeeindruckt, „Für diesen Kinderkram bist du langsam zu groß! Natürlich wirst du die Lehre machen!“

„Denkt ihr, weil ihr Geisterjäger seid, könnt ihr mich herumscheuchen wie ein Hühnchen?!“ fauchte der Junge zurück, „Einen Dreck werde ich! Ich will mit Magie nichts zu tun haben, sie macht nur Unglück und Verderben, ich sehe es doch in diesen verdammten Träumen! D-die machen mich krank und ich hasse es, das müsst ihr doch einsehen!“

Nalani war unbarmherziger als ihr Mann, als sie den Sohn mit einem derartig abweisenden und kalten Blick strafte, dass er von selbst zurück trat und sie empört anstarrte.

„Du lernst, das zu beherrschen und zu lenken, wenn du in Tuhuli bist, Meoran wird dir ein guter Lehrmeister sein. Du wirst auf das hören, was er sagt.“ Ihre Worte waren kein Rat oder eine Bitte; sie waren eine Feststellung, so und nicht anders würde es sein, wenn es nach ihr ging.

Wenn, ja.

Der Junge hob trotzig den Kopf wieder und stierte sie boshaft aus den grünen Augen an.

„Bei allem Respekt,“ zischte er, „Ich bin weder Sklave der Geister noch deiner, Mutter! Ich werde nicht deine Schachfigur sein, die du setzt, wohin du sie haben willst.“ Nalani kratzte das zu seinem Leidwesen überhaupt nicht. Und sie ließ ihr trotziges Kind ihren eigenen Stolz und ihre Grausamkeit in voller Breitseite spüren.

„Bring deiner Familie nicht so eine abartige Schande, Puran. Geh mir aus den Augen!“
 

Dem Satz folgte eine grauenhafte Stille, in der sowohl Puran als auch Tabari die Frau fassungslos anstarrten. Nalani blieb eisern, bis Puran seinen Speer fallen ließ. Das Geräusch, als die Waffe auf dem Boden aufschlug, ließ selbst die Königin der Schatten erschaudern und Tabari fuhr herum, als Puran sich wortlos an den Eltern vorbei zwängte und schnellen Schrittes und mit knallender Tür das Schloss verließ. Dann fand der Blonde seine Sprache wieder.

„Was ist in dich gefahren?!“ schrie er unabsichtlich lauter als geplant, „Wie kannst du sowas zu ihm sagen, damit machst du nichts besser, Nalani!“

„Hast du eine Peilung hier?!“ schrie sie zurück und ohrfeigte ihn halbherzig, „Er wird nach Tuhuli gehen, und wenn ich ihn fesseln, knebeln und dahin schleifen muss! Es mag hart klingen, aber du weißt genauso gut wie ich, dass er gefährlich werden wird, wenn er nicht bald lernt, seine Macht zu kontrollieren! Es wird schlimmer enden als dieses Drama am ersten Schultag vor Jahren!“

„Das ist kein Grund, ihn derartig zu demütigen, du klingst wie eine blutrünstige Monarchin, die das Betteln eines Leibeigenen abschlägt, ihm mehr Korn zu gewähren! Hörst du dich reden?!“ fragte er jetzt ruhiger, aber nicht weniger zornig als seine Frau. „Ich meine es ernst, Nalani! Hörst du dich jemals reden, wenn du zornig bist? Ich weiß doch, warum du so energisch bist, aber das muss doch ohne Grausamkeit gehen! Er ist immer noch ein Kind, Nalani, du setzt ihn viel zu sehr unter Druck.“

„Er ist ein Kind, ja, aber das wird er nicht mehr lange sein,“ zischte sie und kehrte ihm den Rücken, „Apropos, du als sein Vater solltest bald mal eine Frau für ihn suchen, die ihn durch das Blutritual zum Mann macht. Falls du sowas wieder mal vergessen haben solltest, großer Herr der Geister.“ Sie wollte die Treppe hinauf stampfen, aber er hielt sie noch einmal auf, indem er fortfuhr.

„Das weiß ich, danke, Königin. Ich glaube, ich sagte es schon einmal, Nalani… du magst eine Königin sein, aber du bist keine Göttin.“ Seine Frau antwortete nicht mehr, hielt nur kurz inne und ging dann hinauf.
 

Travis Vater war Müller in der Gegend, seine Mühle stand etwas entfernt von der Straße zwischen Gahti und dem kleinen Dorf Rathuk. Travi, der ebenso viel größer wie auch breiter geworden war, hatte Kuchen vom Bäcker geholt, den er sich brüderlich mit seinen beiden besten Freunden teilte, während sie zur dritt auf der Treppe vor der Mühle hockten. Die Sonne brannte erbarmungslos auf das Land herunter. Obwohl die Luft drückend und schwül war, kam nie Gewitter. Es war ein seltsamer Sommer, dachte Puran vor sich hin, grimmig wie er war, und er hörte Kannars Frage erst beim zweiten Anlauf.

„Ich rede mit dir!“ fauchte der Heiler. „Wann willst du wieder zurück nach Hause? Meinst du, deine Mutter beruhigt sich schnell?“ Puran sah zu ihm herüber, während der Heiler auf seinem Schoß Zigaretten drehte.

„Mir egal, ich gehe so schnell sicher nicht heim,“ schnaubte Puran beleidigt. „Kann ich bei dir schlafen, Travi?“ Der dicke Müllerssohn nickte mit vollem Mund.

„Sicher,“ kaute er, „Zumindest für eine Weile.“

„Bei mir schläft nie jemand, weil alle Angst vor meiner zickigen Schwester haben,“ nölte Kannar, und Puran verdrehte die Augen.

„Ich hab keine Angst vor Akila, ich komme mir nur dumm vor mit ihr unter einem Dach zu schlafen.“

„Weil sie mit dir ficken will?“

„Sag doch sowas nicht dauernd, das ist peinlich!“ schnappte Puran und wurde rot, „Das will sie doch gar nicht, verdammt! Und ich auch nicht, ganz nebenbei!“

„Ihr Schamanen habt doch dafür sowieso noch so einen lästigen Hokuspokus, wo sich alle besaufen und dann rumvögeln, oder so,“ machte Travi amüsiert, „Ist das nicht total albern, sowas?“

„Das Blutritual?“ fragte Kannar, „Ja, irgendwie schon, aber Tradition ist Tradition. Hier, aber ihr schuldet mir Tabak und Filter!“ Er hatte seine Zigaretten fertig gedreht und gab jedem seiner Kumpels eine ab, ehe er seine eigene mit Vaira anzündete. Puran tat es ihm gleich und Travi konnte nicht zaubern und musste sich daher mit einem Streichholz helfen.

„Ich hab aber kein Geld,“ maulte der Dicke dann, „Ich schenk dir Tabak zum Geburtstag, bis dahin hab ich vielleicht Geld.“

„Verfressener Sack, kauf einfach weniger Kuchen!“ nölte Kannar missgelaunt. Puran stieß seinen Freund glucksend an.

„Und ich dachte ich wäre derjenige mit der schlechten Laune! Travi, lass uns mal was mit Kannar machen, dass der mit seinem Gemecker aufhört, ist ja furchtbar. Ich sollte ihn zu meiner Mutter schicken, dann können sie zusammen meckern.“ Travi lachte.

„Kannar muss ein Mädchen küssen, küssen macht gute Laune.“ Der Heiler zog an seiner Zigarette und schnaufte.

„Nein, danke.“

„Ach, du weißt nur nicht, wie das ist.“

„Ja, weil ich der einzige Idiot im ganzen Kreis bin, der noch kein Mädchen geküsst hat!“ meckerte Kannar, und die beiden anderen lachten ihn aus. Kannar trat Puran gegen die Beine und warf seine Kuchengabel nach Travi. „Das ist nicht witzig!“

„Da wird es doch irgendeine Dumme geben, die dich küssen will, wenn sie selbst mich küssen,“ kicherte der Blonde, „Und ich bin fett, wer küsst schon Fette?“

„Offenbar diverse,“ machte Puran, „Wenn Kannar nicht immer so böse gucken würde, würde sich vielleicht auch mal eine trauen, mit ihm zu reden.“

„Wo sie dir ja in Scharen nachrennen, du hast gut reden,“ empörte der Heiler sich, und Puran raufte sich die Haare.

„Hey, ich such mir das nicht aus, ich würde gerne mit dir tauschen, Kannar. Hör auf zu meckern und mach lieber neue Kippen, die hier sind gleich weg.“ Er wedelte theatralisch mit der Kippe in seiner Hand vor Kannars Nase herum, und der seufzte.

„Jawohl, Chef, ich liege dir zu Füßen!“

„Na, als Oberhaupt von Broti kann ich das ja wohl erwarten,“ scherzte Puran gespielt arrogant, und die drei mussten lachen.
 

Im Haus der Mühle war es furchtbar warm in der Nacht. Puran schlief auf einer Matte am Boden, während sein Freund Travi neben ihm in seinem Bett lag. Obwohl Travi schnarchte, war es angenehm still; der Blonde wohnte nur mit seinem Vater zusammen im Haus, daher war nie viel Radau. Aber die Stille war anders, angenehmer. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte der Junge das Gefühl, nicht von den dämlichen Geistern gejagt zu werden… es fühlte sich gut an, so ruhig. Vielleicht lag es auch daran, dass er fern war von seiner meckernden Mutter. Er drehte sich auf die Seite und seufzte, als er an sie dachte. Er liebte sie ja trotz allem, aber in der letzten Zeit hatte sie oft verletzende Dinge gesagt. Vielleicht war es unabsichtlich gewesen… aber um jetzt auf Knien vor ihr zu kriechen und um Vergebung oder Verständnis zu bitten ließ sein Stolz nicht zu. Es würde sich schon einrenken…

Etwas streifte seinen Kopf und er fuhr schnaubend hoch.

„Travi!“ brüllte er, „Ihr habt Mäuse in de Mühle! Da war eine an meinem Kopf!“ Travi blinzelte verpennt.

„Das war mein Fuß, Idiot… schlaf weiter!“ Puran schnaubte und sah auf Travis Fuß, der aus dem Bett hing.

„Dann pack deine Füße nicht auf meinen Kopf, Mann!“ brummte der Jüngere empört und legte sich wieder hin, den Fuß weg schiebend.

Abgesehen von Travis Fuß, der ab und an wieder auf seinen Kopf fiel, schlief er so gut wie noch nie. Die Stille war angenehm… zum ersten Mal hatte er das Gefühl, befreit zu sein. Wie gut, dass er entschieden hatte, diese Lehre nicht zu machen – die Geister hatten wirklich aufgegeben! Endlich würden sie ihn nicht mehr jagen…
 

Die Stille begann erst nach Tagen, ihn zu beunruhigen. Wenn es sich zuerst gut angefühlt hatte, so beängstigte ihn die Leere in seinem Kopf irgendwann, als der Sommer näher kam. Es war unnatürlich ohne Visionen, ohne Geister… er hatte sie verjagt, sie zürnten ihm und das war schlecht. Plötzlich hatte er ein schlechtes Gewissen… aber mit seinen Eltern darüber zu sprechen kam nicht in Frage. Seine Freunde Kannar und Travi verstanden ihn nicht; Travi war nicht mal Magier und Kannar als Heiler hatte gar keine solche Visionen oder Geisterstimmen im Kopf. Und Alona, die durch Gedankenlesen erkannte, was mit ihrem Cousin nicht stimmte, war auch keine große Hilfe.

„Du hast die Geister für immer verjagt, jetzt wirst du auf ewig verdammt sein!“ trällerte sie dabei. Alona hatte eine wunderbare Singstimme und konnte sehr schön singen, aber in dem Fall wollte Puran das nicht hören. „Du wirst sicher sterben oder so!“

„Ach, lass mich in Ruhe, du blöde Tante!“

Und noch beunruhigender war, dass seine Eltern nichts mehr sagten zu dem Thema. Die Zweifel brachten ihn jetzt mehr um den Schlaf als es die Visionen je getan hatten…
 

Er fragte sich, ob seine Schwarzmagierfreunde aus dem kleinen Zauberclub etwas dazu sagen könnten. Er sah Madanan und die anderen selten, seit die Schule vorbei war. Ab und zu trafen sie sich an einem alten, halb zerfallenen Bootssteg unterhalb der Klippen, knapp nördlich vom Lyra-Schloss. Es führte ein sehr steiler und schmaler Serpentinenweg hinunter, am Hang entlang und zu einem winzigen Stück Strand, von dem aus der Steg ins Meer führte. Früher einmal mussten hier Boote angelegt haben, aber das schien Jahrhunderte her. Der Kameraden kam der verlassene Ort zum Üben von zaubern ganz recht.

An dem Tag im Regenmond hatten sie plötzlich einen Neuling in ihrer Mitte. Narya hatte das blonde Mädchen mitgebracht.

„Sie ist zwar erst zwölf, aber wir kennen uns von früher aus der Schule!“ erzählte die inzwischen vierzehnjährige Narya gackernd und hängte sich dabei an Purans Hals, während sie hinter ihm stand und er am Rand des Stegs saß und verblüfft auf das neue Mädchen starrte. „Sie kommt aus Rathuk und heißt Cholena Dabovi!“

Na, das war ja ein Zufall. Puran starrte das Mädchen mit den blonden Zöpfen an, während Narya kichernd an seinem hals hing und ihn amüsiert knuddelte. Auch de älteren Jungen beäugten Cholena, dann ergriff Umar, einer der Ältesten, das Wort.

„Und sie ist gut?“ fragte er Narya, „das klingt so asozial, ich weiß, aber wir sind ja zum Üben hier und da ist es besser, wenn wir alle auf einem ähnlichen Niveau arbeiten – nicht, dass wir an Prinz Lyras Niveau jemals heran kämen…“ Er meinte den Spot keinesfalls böse und grinste Puran nur wohlwollend an, der streckte ihm die Zunge heraus.

„Lass den Scheiß, Umar!“

„Ihr beide kennt euch wohl schon?“ warf Madanan ein, der im Hintergrund stand. Der Junge war ungewöhnlich blass in letzter Zeit, Puran fragte sich, ob er krank war. Dann fiel ihm die Frage wieder ein und er schnappte nach Luft und sah verwirrt zu Cholena, die noch nichts gesagt hatte.

„W-was?! Nein, äh, ich meine, flüchtig! Wir haben uns in einer Pause getroffen vor Jahren.“ Er grinste jetzt und Cholena errötete verlegen und verknotete lächelnd ihre schlanken Finger. Als er sie ein weiteres Mal ansah, stellte Puran erstaunt fest, dass aus dem kleinen, freundlichen Mädchen von damals eine richtige, sehr junge Frau geworden war. Sie war gewachsen und ihre Hüften waren rund geworden wie bei einer Erwachsenen… Narya lenkte ihn ab, die ihn immer noch knuddelte.

„Aah, so ist das! Dann wollte sie sicher deinetwegen mit her!“ scherzte sie, und Cholena schnaubte.

„Was? Stimmt gar nicht!“

„Im Ernst,“ Narya hörte zu kichern auf und ließ den komplett verwirrten Puran los, ehe sie sich an Umar wandte. „Sie ist richtig gut. Ihre Yira schlägt deine, sage ich, Umar.“ Umar zog eine Braue hoch, Madanan hustete im Hintergrund. Die anderen Jungen sahen sich an und Cholena errötete.

„Das hat Narya behauptet, nicht ich!“ sagte sie sofort. Puran dachte an den Eiszauber Yira. Er selbst benutzte ihn fast nie, sein Spezialgebiet war nun einmal Wind und nicht Eis. Umar gluckste und sah auf Cholena. Mit seinen sechzehn Jahren war er deutlich größer als sie.

„Dann zeig mir mal, was du kannst, Mädchen! Dann schauen wir, ob Narya Dummheiten redet.“

„Madanan, die halten mich für blöd!“ meckerte Narya und hockte sich an den Rand des Stegs. Madanan antwortete seiner Cousine nicht.

Ratan Kindo, der Sohn des Schmieds, hatte für alle Saft mitgebracht. Während Umar sich mit Cholenas tatsächlich beeindruckender Yira auseinandersetzte, hockten die anderen am Strand, die Hälfte mit Zigaretten, tranken Saft und amüsierten sich über das Schauspiel.

„Mach ihn fertig, Mädel!“ jubelte Ratan gerade glucksend, „Ich pinne in Tuhuli ein großes Schild an den Markt, Zwölfjährige haut Umar platt mit Yira, oder so. Da lachen ja die Hühner.“

„Häng das in Dralor auf, Alter,“ machte Narya neben ihm und zog an ihrer Kippe, „In Tuhuli kennt uns ja keiner, in Dralor, wo wir wohnen, lachen dann wirklich die Hühner. Oder der Hahn, es sind keine Hühner mehr da.“

„Keine Hühner?“ schnaubte Ratan, „Was habt ihr mit denen gemacht?“

„Die wurden arbeitslos, als Narya in die Pubertät kam und zu gackern anfing,“ sagte Madanan bissig und alle lachten schallend. Die Blonde warf mit Sand nach den Jungen.

„Ihr dreckigen Wilden,“ stöhnte sie und erntete noch mehr Gelächter. Puran tätschelte ihr den Kopf und sie schnaufte.

„Nimm es nicht schwer, solange du nur gackerst und nicht dem Hahn seine Eier legst, ist doch alles gut.“ Ratan Kindo fiel lachend in den Sand und Narya bohrte den Rest ihrer Zigarette in den Boden, um ihn zu löschen.

„Na, wer weiß, was ich noch so mache?“ grinste sie, und er schnaubte jetzt auch und schob sie von sich weg, als sie zu kichern anfing.

„Eigentlich müssten wir ein großes Abschiedsfest feiern, oder?“ fiel Ratan auf, „Wo ihr drei Kleinen dann ja auch dran seid und ein Jahr in Isolation seid… Umar, Tokahe und ich haben das ja schon hinter uns!“ Puran starrte ihn an. Die Lehre, was sonst… er senkte murrend den Kopf.

„Ich gehe nicht weg,“ sagte er düster und alle verstummten und sahen ihn an. Narya blinzelte, Madanan raufte sich die schwarzen Haare.

„Wie, nicht?“ fragte Ratan, „Gerade du machst doch die Lehre?! Du bist doch vom Lyra-Clan! Wenn selbst wir zweitklassigen Deppen das machen…“

„Gehen du und Narya weg, Madanan?“ fragte Puran seinen Freund, der stumm nickte.

„Natürlich. Du bist also immer noch stur und willst nicht?“ Purans Blick wurde finster. Umar und Cholena kamen dazu und sahen verwirrt drein über die ernsten Gesichter.

„Was ist los?“ wollte die Kleine wissen.

„Du willst keine Lehre machen?“ fragte Tokahe, ein Kumpel von Umar, jetzt entsetzt, „Das ist doch dumm… da lernst du doch erst die wichtigen Dinge fürs Zaubern!“

„Ich habe mit Magie nichts am Hut,“ Puran erhob sich grimmig und klopfte sich den Sand von der Hose. Aus seiner Tasche zog er eine neue Zigarette und steckte sie sich an. „Ich werde Jäger, dafür brauche ich keine Isolation.“ Umar begriff auch, worum es ging, und lachte.

„Was bitte? Was hast du dann hier verloren?“

„Sag sowas nicht!“ machte Cholena erschrocken, aber Puran ignorierte beide und zog seelenruhig an seiner Zigarette, während er in den Süden starrte. Hinter den Klippen oben ging die Sonne unter. Es war spät geworden.

„Selbst wenn ich wollte,“ begann er dann, „Da wäre ich falsch. Ich kann nicht… die Geister reden nicht mehr mit mir.“ Da hatte er gleich eine Möglichkeit gefunden, von seiner Beunruhigung zu erzählen.

„Warum das? Sowas gibt’s?“ fragte Tokahe.

„Scheint so, Klugscheißer,“ entgegnete der Jüngere, „Ich gehe nicht hin, Punkt. Meine Eltern sehen das leider anders, die versuchen, mich zu zwingen… die können mir gar nichts.“ Er erntete betroffenes Schweigen auf seine grantige Ansage. Vermutlich wagte niemand mehr, ihm zu widersprechen.

Narya erhob sich langsam.

„Ich muss heim,“ meldete sie an und kam sich dumm vor, so in das Thema hinein zu fahren. „Madanan, bringst du mich auf die Klippe?“ Ihr Cousin seufzte.

„Geh alleine, du bist kein kleines Kind mehr.“ Das Mädchen maulte und hängte sich ein weiteres Mal an Purans Hals.

„Bringst du mich, Madanan ist gemein zu mir!“

„Albernes Mädchen,“ tadelte ihr Cousin sie und Puran erhob sich großzügig wie er war und schob Narya von sich weg.

„Ist ja gut, ich bringe dich rauf zur Straße nach Dralor!“
 

Der Serpentinenweg hinauf auf de Klippe war beschwerlich, wenn man hinauf musste. Wobei hinunter nicht unbedingt angenehmer war. Puran ging hinter Narya und achtete auf sie, damit sie nicht ausrutschte; Narya war ein geschicktes Mädchen und an sich passierte ihr sowas nicht, aber man wusste ja nie. Als er so mit ihr hinauf wanderte und sie ihm sinnlose Dinge erzählte, die ihn gar nicht interessierten, fiel ihm zum ersten Mal auf, dass Madanan recht hatte… sie war wirklich kein Kind mehr. Sie war fast schon eine Frau, genau wie Cholena, noch mehr eigentlich, sie war immerhin älter. Er betrachtete sie eine Weile schweigend von hinten, ihre blonden Locken, die über ihrem Rücken wippten, und ihren hübschen, kurzen Rock, der knapp ihren Hintern bedeckte. Er errötete bei den Gedanken, die in ihm hoch kamen, als er sie länger ansah, und er drehte verlegen den Kopf weg. Es war unverschämt, eine Frau auf so eine Weise anzusehen; erst recht ein junges Mädchen…

Unter Schamanen war es seit Urzeiten Tradition, junge Mädchen und Jungs durch das sogenannte Blutritual erwachsen zu machen. Das Blutritual war eines der ältesten und wichtigsten Rituale der Magier Tharrs, es machte Mädchen zu Frauen und Jungen zu Männern, indem sie ihre erst Vereinigung erlebten. Den alten Bräuchen hatten sich alle zu beugen und die Tradition durfte von keiner Familie missachtet werden, das war der Wille der Geister, hatte sein Vater ihm einst erklärt. Puran fand die Tradition in diesem Fall albern; Nichtmagier galten einfach ab ihrem sechzehnten Geburtstag als erwachsen, das war doch viel einfacher und sparte so einiges…

In dem Moment erreichten Narya und er die Klippe und standen vor der hochgewachsenen Wiese, die sich bis hin zur Straße erstreckte.

„Sag mal, du hörst mir gar nicht zu, oder?!“ empörte Narya sich gerade und hielt abrupt an, als sie drei Schritte von der Klippe weg getan hatten, und unvorbereitet auf diese Bremsung lief er in sie hinein und stieß sie aus Versehen um.

„Nein, ich meine, habe ich – aahh!“ machte er dabei entsetzt, Narya quiekte, packte sein Hemd und hielt sich daran fest, womit sie ihn mit sich auf die Erde riss. Sie fluchten beide ungehalten und schrien, als sie den kleinen Hügel herunter auf die Wiese rollten, durch das hohe Gras und an einem kleinen Maulbeerbaum vorbei, nach einer Weile wurde das Schreien automatisch zu Lachen. Als sie in ein Gestrüpp aus Jujube gerollt waren und Narya auf Puran lag, lachten sie sich gegenseitig aus und kriegten sich gar nicht mehr ein.

„Was für ein Müll!“ gackerte Narya und haute ihm auf die Brust, „Was wirfst du mich um?!“

„D bist einfach stehen geblieben!“ prustete er ebenfalls und versuchte, sie weg zu schieben, „Geh runter…“ Er musste immer noch lachen, während sie jetzt aufhörte und sich vorsichtig aufsetzte, sodass sie breitbeinig auf ihm saß. Ihr hingen die Zweige des Strauches ins Gesicht und sie strich sie kichernd zur Seite, ohne von dem Jungen herunter zu gehen. Er hörte auch endlich zu lachen auf und eine Weile sahen sie einander schweigend und grinsend an. Dann sah Narya am Gestrüpp empor.

„In Dralor haben wir auch einen Jujube-Baum hinter dem Haus,“ erzählte sie, „Die Beeren nennen die Heiler auch Brustbeeren, man kann Tee aus ihnen machen.“ Während sie erzählte, wurde sie immer leiser und er setzte sich schließlich mit ihr auf dem Schoß auf und hielt sie fest, damit sie nicht rückwärts umfiel.

„Ah, so,“ machte er, „Schmeckt der denn, der Jujube-Tee?“

„Ist gut bei Erkältung,“ sagte das Mädchen leicht lächelnd. „Hast du mal Brustbeeren gegessen?“

„Nicht dass ich wüsste,“ erwiderte er. Das Mädchen sagte nichts und er auch nicht mehr, er sah sie nur an. Ihr hübsches, sonnengebräuntes Gesicht und ihre brauen Augen, wie dunkle kleine Steine waren sie in ihrem von blonden Locken eingerahmten Gesicht. Narya war ein sehr schönes Mädchen. Er fragte sich, wie Jujube-Tee schmecken sollte…

Narya fasste mit den warmen Händen nach seinem Gesicht und beugte sich über es, um ihn zärtlich zu küssen. Er war nicht überrascht darüber, dass sie das tat, und erwiderte ihren Kuss mit derselben, verlegenen Schüchternheit. Sie schmeckte sicher nicht nach Jujube, eher nach Orangensaft, und sie roch angenehm. Ihre Lippen waren weich und sehr warm, als er seine etwas mutiger gegen sie presste und sie de Mund öffnete, um mit der Zunge über seine Lippen zu streicheln. Narya beugte sich über ihn, während sie den Kuss vertieften, bis sie wieder auf ihm lag zwischen den Jujube-Sträuchern. Er errötete ungewollt, als sie sich voneinander lösten, und Narya grinste.

„War das dein erster Kuss?“

„Nein…“ Er räusperte sich, „Kannars Schwester hat mich vor zwei Jahren mal geküsst.“

„Ich hätte mich auch gewundert. Du küsst gut…“ Sie lächelte und wurde leicht rosa im Gesicht, auf ihm liegend. Ihre Hände strichen über seine Brust, hinab und wieder hinauf zum ersten Knopf seines Hemdes, während sie sich wieder herunter beugte und sie sich erneut küssten. Als sie sich abermals lösten, verließen ihre Hände sein halb aufgeknöpftes Hemd und schnürten ihre eigene Bluse auf. Er starrte sie an, als sie das dünne Stoffstück von ihrem Oberkörper streifte. Darunter war sie nackt und der Junge spürte eine seltsame Hitze in sich aufsteigen beim Anblick ihrer wohlgeformten, runden Brüste. Im kühlen Wind wurden ihre Brustwarzen hart und richteten sich auf, als sich das Mädchen vorsichtig wieder über ihn beugte. „Die Brustbeeren sehen auch so aus, wenn man sie trocknet,“ flüsterte sie ihm ins Ohr und er räusperte sich ein weiteres Mal. Dann küsste sie ihn. Puran hob seine Hände, um ihre nackten Brüste anzufassen, genauso weich und warm wie ihre Lippen waren sie, die seine berührten. Nur die Brustwarzen waren hart, tatsächlich wie kleine getrocknete Beeren. Und wie kleine Beeren nahm er sie sanft in den Mund, nachdem sie sich herum gedreht hatten und sie jetzt im Gras lag. Sie seufzte leise und legte die Arme um seinen Hals, ehe sie anfing, wieder an seinem Hemd zu nesteln. Er erschauderte, als ihre Hände über seine Haut glitten, sein Hemd abstreiften und seine Arme entlang strichen, wieder hinab über seinen jetzt nackten Oberkörper bis zum Knopf seiner Hose. Er besiegte den inneren Drang, dieser Hitze in sich nachzugeben und zuzulassen, dass sie ihn mehr berührte; heftiger, intimer… er schob seufzend ihre Hände weg.

„Das reicht,“ murmelte er heiser und war nervös durch die komische Hitze in seinen Lenden. Das halb nackte Mädchen lag unter ihm im Gras und er sah wieder auf ihre hübschen Brüste. Zu gerne hätte er sie weiter gestreichelt und geküsst, aber irgendwo in seinem Kopf hatte sich jetzt sein Gewissen eingeschaltet. „Ich… meine… ich hab das Blutritual noch nicht gemacht, bevor ich das nicht habe, können wir das nicht.“

„Ich weiß,“ sagte sie und setzt sich auf. Sie hob ihre Bluse vom Erdboden auf und zog sie sich lächelnd wieder an, während er aufstand und seine Hose zurecht rückte. „Ich hatte das Ritual auch noch nicht, ich wäre schon nicht zu weit gegangen. Aber ist in Ordnung. Ich… bin immer so neugierig, verzeih mir, Puran.“ Er wurde rot, als er sein Hemd ebenfalls aufsammelte und es sich wieder anzog. Als er es zuknöpfen wollte, stellte sie sich angezogen wieder vor ihn und machte es für ihn, er sah ihr schweigend zu.

„Da gibt es nichts, was ich verzeihen müsste,“ murmelte er, „Hat sich gut angefühlt.“ Sie lachte leise.

„Wenn wir beide ganz erwachsen sind, können wir ja an der Stelle weitermachen, an der wir aufgehört haben…“ Er grinste sie jetzt ebenfalls schelmisch an und zwickte sie in den Bauch.

„Aber nicht im Gestrüpp, das piekst überall…“
 

Die Versammlung unten am Steg löste sich bereits auf, als Puran Narya endlich zur Straße gebracht hatte und wieder herunter kam. Auf dem Weg kamen ihm schon Ratan, Umar und Tokahe entgegen, die in Richtung Tuhuli wollten. Sie fragten ihn auch, ob er mitkommen wollte, aber er lehnte dankend ab. Seine Mutter würde ihn aufspießen, wenn er unangekündigt am Abend wegging; und die Sonne war jetzt fast ganz untergegangen.

Er dachte verlegen an Narya und die Jujube-Beeren, als er den Rest der Serpentinen hinunter kletterte und beim Steg ankam. Er dachte an die getrockneten Beeren und die Brustwarzen des hübschen Mädchens, und die Hitze kehrte wie automatisch in seinen Körper zurück, obwohl er mit aller Macht versuchte, dagegen anzukämpfen…

Überraschenderweise fand er am Steg als einzige Verbliebene Cholena. Sie saß ganz vorn am Meer und sah nach Osten, wo die Dunkelheit herauf zog. Er sprach sie aus der ferne an, aber sie hörte ihn entweder nicht oder ignorierte ihn, so ging er zu ihr und hockte sich neben sie. Cholena bemerkte ihn erst jetzt und schrak hoch, dann errötete sie verlegen.

„Oh, i-ich hab dich nicht kommen gehört,“ flüsterte sie, „Entschuldige.“

„Macht nichts,“ sagte er, „Du sitzt hier ja noch, musst… du nicht heim nach Rathuk?“

Cholena lachte. Ihre Stimme war glockenhell und klang sehr angenehm, er hörte sie gerne sprechen, fiel ihm in dem Moment auf. Ihr Lachen war zuckersüß…

Er verdrängte die Gedanken an Naryas süße Brustwarzen und drehte errötend den Kopf weg. Er saß hier vor Cholena, verdammt! Als er wieder zu ihr sah, blickte sie ihn lächelnd an. Ihre Augen waren nussbraun und groß, ihr Gesicht war blass, bis auf ihre Wangen, die einen gesunden Rotschimmer hatten.

„Ja, ich werde gleich heim gehen. Aber dort wartet niemand auf mich, deswegen kann ich auch noch etwas hier bleiben. Ich komme manchmal an die Klippen und höre dem Windlied zu. Hast du das schon mal gemacht?“

„Ähm, nein,“ gestand er konfus.

„Dann horch mal,“ riet sie ihm strahlend, „Die Seelen singen im Wind.“ Puran lauschte. Er hörte erst nichts, doch nachdem er tief in sich hinein gehorcht und geschwiegen hatte, hörte er tatsächlich ein leises Wispern und Summen im Wind. Geisterstimmen. Er hasste sie eigentlich, aber in diesem Moment verspürte er keinen Groll gegen sie. Es war ein friedliches, liebevolles Summen, und es klang angenehm, er hörte eine Weile schweigend zu. Cholena unterbrach seine Meditation.

„Meine Eltern und meine Großmutter singen auch mit,“ verkündete sie lächelnd, „Sie singen mir abends manchmal ein Schlaflied, wenn ich nicht einschlafen kann. Es klingt schön… ich bitte sie oft, es noch einmal zu singen.“

Puran erbleichte und fiel rückwärts auf den hintern vor Schreck.

„D-deine Eltern sind… oh, d-das habe ich gar nicht gewusst! Entschuldige…“

„Macht doch nichts, ist schon gut. Sie sind glücklich im Geisterreich,“ behauptete das Mädchen und wagte es, ihn länger anzusehen. Er schämte sich jetzt, sie anzusehen, weil er sich ungehobelt vorkam, aber sie betrachtete jeden Zoll seines Körpers aufs Genaueste. Er war ein bildhübscher Junge und Cholena war gewiss nicht das einzige Mädchen, das ihn mit Vergnügen ansah. „Sie machen… sich nur manchmal Vorwürfe, weil sie mich nicht mehr umarmen können… sie beschützen mich aus dem Geisterreich, da bin ich sicher.“ Puran sah sie bedrückt an. Es deprimierte ihn zu wissen, dass ihre Eltern tot waren, obwohl sie noch so jung war. Das verdiente sie nicht! Cholena war freundlich und liebenswert, wieso ließen die Geister zu, dass so jemand alleine gelassen wurde?

„Sprichst du mit ihnen, wenn du schläfst?“ hörte er sich fragen, und sie nickte.

„Ja, jede Nacht. Es ist sehr angenehm. In dem haus in Rathuk ohne ich jetzt alleine, ich… fühle mich manchmal sehr einsam da. Deshalb bin ich euch so dankbar, dass ich mit euch üben darf! Das.. das ist eine sehr große Ehre für mich, mit Leuten aus adeligen Clans zusammen üben zu können!“

„Es geht ja nicht um adelig oder nicht adelig,“ widersprach er ihr behutsam, „Wir freuen uns, dass du deine Zeit bei uns verbringen willst…“ Er zögerte und korrigierte sich, „Na ja, also, ich freue mich.“ Sie wurde jetzt kirschrot.

„Im Ernst?“

„Natürlich, warum denn nicht?“ Er grinste fröhlich. „Also… du wohnst ganz alleine da oben in Rathuk?“ Sie nickte wieder und er räusperte sich. „Na ja, ich meine… wenn du Hilfe brauchst in irgendeiner Weise, komm zu mir, wenn du magst.“ Sie weitete die Augen und er dachte zuerst, sie würde etwas sagen; dann sagte sie aber nichts, erstrahlte nur wie eine kleine Sonne und blickte ihn an.

„Das ist sehr lieb!“ erklärte sie, indem sie sich erhob und sich tief vor ihm verneigte. „Ich… meine… danke. So etwas Liebes hat mir glaube ich noch niemand angeboten…“ Er erhob sich auch, weil sie im Begriff war, heim zu gehen. Sie gaben sich förmlich die Hand. Cholenas Hände waren ganz furchtbar zart und weich anzufassen. Er hielt sie etwas länger fest als nötig und sie strahlte, als sie sich wieder losließen.

„Du gehst jetzt?“ erriet er ihr Verhalten, und Cholena nickte wiederum.

„Ja, im Dunkeln mag ich nicht heim gehen. Vielleicht… sehen wir uns ja demnächst mal wieder?“ Sie lächelte verschmitzt und Puran grinste.

„Sicherlich. Komm gut heim!“ Er sah ihr nach, als sie die Serpentinen hinauf ging. Er hatte größten Respekt vor dieser jungen Frau, die so tapfer den Willen der Geister und den Tod ihrer Familie hinnahm.

Er könnte das nicht, wäre er an ihrer Stelle… da war er sicher.
 

Als er Schritte hinter sich hörte, drehte Puran sich um und merkte, dass Cholena doch nicht die letzte gewesen war. Madanan war hinter ihm aufgetaucht und sah ihn jetzt aus den pechschwarzen Augen schweigend an.

„Ah, du bist das,“ machte Puran nickend und Madanan nickte zurück. „Ich habe dich gar nicht bemerkt bis eben…“ Der Schwarzhaarige senkte den Kopf.

„Ich muss mit dir reden,“ kam dann dumpf, und der Jüngere zog verwirrt über die Ernsthaftigkeit die Brauen zusammen. Madanan brummte. „Es geht um dich, es… ich bin sauer auf dich, ehrlich gesagt.“

Dem Jungen versetzte es einen kleinen Stich. Es fühlte sich scheußlich an zu wissen, dass jemand einem böse war – erst recht nicht, wenn man den Grund nicht kannte.

„W-warum?!“ empörte er sich so entsetzt. Sie verließen den Steg und gingen sehr langsam den Strand hinauf, an der Klippe entlang, während Madanan sprach.

„Deine Einstellung kotzt mich an. – Sag nichts, lass mich bitte erst ausreden. Du willst keine Lehre machen, sagst du. Gut, deine Entscheidung, aber die Begründung ist für den Arsch. Du weißt das genauso gut wie ich, Puran. Ich sage dir solange wir uns kennen, du kannst nicht wegrennen, die Magie ist unweigerlich ein Teil von dir! Und offenbar rede ich gegen eine Wand, das kotzt mich echt an! Du wehrst dich mit Händen und Füßen gegen das, was du bist, das… das ist, als würdest du nicht akzeptieren, dass du zwei Augen und eine Nase hast! Es geht nicht nur um die Ehre der Geister, die du in den Dreck ziehst, es ist einfach so… dermaßen feige, immer wegzurennen!“

„Dann bin ich eben feige, ist doch meine Sache!“ schnaubte Puran ihn an, „Du hast doch keine Ahnung! Du hast doch früher immer verstanden, als Einziger, dass ich die Magie mehr als alles andere fürchte! Du weißt doch, wer mein Großvater war und was er getan hat! Seine Gene sind auch meine, sein Blut fließt durch meine Adern und ich bin auf dem besten Weg, so wie er zu werden!“

„Du redest seit Jahren dieselbe Scheiße!“ brüllte Madanan, „Natürlich hast du sein Blut in dir, na und?! In meinem Clan gab es vor tausend Jahren einen Idioten, der Massen von Menschen umgebracht hat, na und, ich bin mit ihm verwandt, aber ich bin nicht er! Und du bist nicht dein Großvater! Dein Vater ist auch mit ihm verwandt und ist ein begnadeter Magier, ist der etwa auch böse?! Außerdem teilen sich die Menschen nicht in gutmütige und Arschlöcher, jeder hat seine dunkle und seine helle Seite!“

„Und ich halte es für meine hellere Seite, wenn ich niemals zaubere!“ antwortete der Braunhaarige ärgerlich darüber, dass der Einzige, der ihn je verstanden hatte, sich plötzlich gegen ihn stellte. „Du kapierst das nicht, du bist anders als ich!“

„Ja, definitiv,“ schnappte Madanan, „Ich renne nicht weg, ich bleibe stehen und sehe meinem Schicksal ins Gesicht, ich nehme es an und mache das beste daraus! Deshalb gehe ich auch eine Lehre machen, ich trainiere seit Monden von früh bis spät, um meiner Familie diese Ehre erweisen zu können und nicht nutzlos am Rande stehen zu müssen!“ Puran blieb stehen und keuchte, bevor er weiter schrie.

„Dann mach das doch, du Dreckskerl, und schrei mich nicht an! Was ich tue oder lasse ist nicht dein Bier, Madanan! Du hast keine Ahnung, was diese Macht in mir macht! Was sie aus mir macht! Ich kann das nicht kontrollieren, ich würde aus versehen alles zerstören! Du weißt doch wie jeder andere in ganz Gahti, was ich an meinem ersten Schultag getan habe, wenn ich zulasse, dass ich zaubere, dann passiert sowas nur wieder!“ Er fuhr herum und starrte sein Gegenüber an; Madanan war auch stehen geblieben und… lachte. Puran war völlig verwirrt. „Warum lachst du?!“

„Du sagst, ich habe keine Ahnung!“ lachte er schallend und fuhr sich durch die schwarzen Haare, die ihm ins Gesicht hingen. „Du… sagst, ich kapiere das nicht! Was glaubst du, warum ich so darauf versessen bin, dir die Augen zu öffnen? Denkst du echt… das wäre aus Spaß an der Freude? Wir beide sind uns viel ähnlicher als du denken magst, Puran Lyra.“ Puran sah ihn groß an, die grünen Augen geweitet, während Madanan den Kopf wieder senkte. Die Erkenntnis war wie ein Schlag mit einem Brett gegen seinen Kopf.

„Du… hast sowas auch erlebt…“

Er hatte aufgehört zu lachen.

„Etwas Ähnliches. Und im Gegensatz zu dir ist es bei mir damals nicht gut ausgegangen.“ Es schien ihm schwer zu fallen, die Worte über die Lippen zu bringen, denn er zitterte, als er Puran den Rücken kehrte und weiter sprach. „Ich habe… jemanden umgebracht mit einem Zauber. Sag… also nie wieder… ich hätte keine Ahnung.“
 

Puran war erbleicht und wagte nicht zu sprechen. Eine Weile standen sie da und lauschten dem rauschen des Meeres. Der Jüngere trat dann neben Madanan, zunächst stumm.

„Wer… ist es gewesen?“ murmelte er neben sich und wusste nicht, was er sagen sollte. Was sagte man in so einer Situation?

Oh?

Tut mir leid?

Madanan antwortete und blickte auf das Wasser. Die Sonne war so gut wie untergegangen.

„Mein kleiner Bruder. Ich war fünf Jahre alt. Wir haben gespielt und in allem Eifer beim Toben haben… sich meine Instinkte verselbstständigt. Ich… weiß nicht genau, was ich gemacht habe, es war ein Schneidezauber, wie sie in meiner Familie üblich sind. Ich erinnere… mich nur noch an Blut… da war überall Blut und mein Bruder schrie, meine Eltern schrien… die Heiler waren zu langsam. Als sie kamen… war es schon zu spät für ihn. Er ist gerade mal ein Jahr alt geworden…“

Puran konnte nichts sagen. Da saß ein grauenhafter Kloß in seinem Hals, er drohte, ihn ersticken zu lassen. Er fühlte sich scheußlich. Madanan seufzte leise und wirkte, als hätte man ihm eine schwere Last von den Schultern genommen. Er sah seinen Freund wieder an.

„Das ist das erste Mal, dass ich mit jemandem darüber spreche, der nicht in Dralor wohnt. Die in Dralor wissen es alle. Es ist… ein Teil von mir, diese Schuld, die ich mit mir herum tragen muss seit jetzt zehn Jahren. Meine Eltern… haben mir nie die Schuld gegeben. Das habe ich nur selbst getan und tue es noch. Aber was ich damals gelernt habe…“ Er sah jetzt wieder zum Meer und Puran senkte tief den Kopf. „Man kann nicht ewig davon rennen vor dem, was geschehen ist. Mein Bruder kommt nicht zurück, auch wenn ich mich weigern würde, jemals wieder zu zaubern, er ist tot. Das Leben geht weiter und… man darf nicht stehen bleiben an dem Punkt, an dem man zusammengebrochen ist! Man muss weitergehen und geradeaus sehen! Du musst das, was gewesen ist, hinter dir lassen. Das heißt ja nicht, dass ich meinen Bruder vergessen soll… meine Eltern haben mich von Anfang an gelehrt, nie meiner Bestimmung den Rücken zu kehren. Und unsere Bestimmung als Magier ist es, Magie zu beherrschen. Wir beide, Puran, du und ich, stammen aus alten, anerkannten Clans, du natürlich noch mehr als ich. Alles, was geschieht, ist Wille der Geister.“

„Warum wollen die Geister, dass solche Dinge passieren?“ nuschelte Puran, „Wie kannst du ihnen vergeben, dass sie wollten, dass du deinen Bruder tötest? Warum… wollen sie sowas?!“ Madanan sah ihn wieder an. Dieses Mal war sein Ausdruck verändert, entschlossener.

„Damit wir daran wachsen und lernen,“ sagte er fest. „Die Geister wollen viele Dinge.“

„Aber ich… will nicht zulassen, dass sie sowas wollen und so einen grausamen Willen durchsetzen!“ rief Puran erschüttert, „D-das ist grausam!“

„Eben,“ sagte der Junge und lächelte, „Dann musst du lernen, sie zu beherrschen. Wenn du die Geister beherrschen kannst… kannst du in Zukunft vielleicht verhindern, dass sie so einen Willen durchsetzen.“

Puran sah ihn groß an, abermals. Dann senkte er den Kopf wieder.

„Ich… kann nicht, Madanan. Selbst, wenn ich wollte, jetzt… ist es zu spät für mich, um meine Meinung über Magie zu ändern. Die Geister… haben mir bereits den Rücken gekehrt.“
 

Das war in der Tat ein großes Problem. Die Geister kehrten nicht zurück, egal, wie viele Nächte er wach lag und sie bat, ihm Träume zu schicken. Egal, wie lange er wartete. Egal, ob er sich bei Sonnenaufgang an die Klippen stellte und laut nach ihnen rief, so laut er konnte, um sie wieder herbei zu rufen. Nach einer weiteren Woche wurde ihm klar, dass sie nie wieder kommen würden. Er musste mit seiner Mutter sprechen und sie überzeugen, dass er die Lehre nicht machen konnte, bei aller Liebe. Was Madanan ihm erzählt hatte, hatte ihn tief erschüttert. Er wusste, dass der Junge irgendwo recht hatte… aber was sollte er machen?

Als er es wagte, seine Mutter vorsichtig auf das Thema anzusprechen, war sie wie erwartet giftig.

„Können die Geister einen verlassen und nie wieder kommen?“

„Was stellst du für Fragen!“ machte sie, „Du bist ein Schamane, Puran. Wir sind Menschen des Geistes, die Himmelsgeister sind ein Teil unserer Seelen. Die verschwinden niemals.“

„Und angenommen es ginge theoretisch, was… macht man dann?“ Nalani sah ihn eine Weile bohrend an, während sie gemeinsam in der Stube saßen. Nalani trank Kaffee.

„Wie ich bereits sagte,“ sprach sie dann, „Die verschwinden niemals. Sie schweigen hin und wieder, über kurze oder lange Zeit, aber sie verschwinden nicht. Am nächsten Neumond gehst du zu Meoran nach Tuhuli, das ist dir klar, hm?“ Er sagte nichts und starrte verbittert in seinen Schoß. Die hörte ihm nie zu, verdammt! Wie sollte er ihr so sagen, was das Problem war?

„Mutti, ich kann nicht, die Geisterstimmen sind weg, ich hab sie verscheucht.“

Das wäre ein phänomenales Geständnis, definitiv. Puran seufzte und sank auf seinem Sessel in sich zusammen.

„Mutti… ich kann das nicht!“

„Von können ist hier nicht die Rede,“ erwiderte sie ruhig. „Du wirst gehen, dein Vater und ich haben das vor Jahren beschlossen. Es ist der Wille der Geister, Puran. Dir… ist etwas viel Größeres bestimmt als Jäger zu sein. Tief in deinem Inneren… weißt du das doch auch, nicht wahr?“

Er stand ruckartig auf. Ja, das hatte Salihah einst gesagt, als er klein gewesen war. Und schon damals hatte es ihm nicht gefallen.

Die Geister waren ihm verdammt noch mal egal! Und es ging nicht mehr darum, ob er wie Kelar Lyra werden könnte – es ging um das Prinzip.

„Ihr alle bestimmt nicht über mein Leben!“ brüllte er seine Mutter wutentbrannt an, „Weder du, noch Vati, noch die Geister noch sonst wer! Ich lasse mich verdammt noch mal nicht herum scheuchen wie ein Karnickel, wenn dir nicht passt, was ich werden will, dann sieh zu, wo du bleibst! Es ist mein Leben, verflucht, und nicht deins!“ Er stampfte zur Stubentür und Nalani stand ebenfalls auf.

„Du dummer Tor, du albernes Kind!“ rief sie erzürnt, „Du läufst immer noch davon, Puran!“ Ja, er lief davon, und er stampfte wütend die Treppe hinauf und hörte sie zornig ihm nachbrüllen. „Sie werden dich einholen und alles schlimmer machen, als es hätte sein müssen! Bleib hier und stell dich deinem verdammten Problem wie ein erwachsener Mann, Puran Lyra!“ Jetzt blieb er am oberen Treppenende noch einmal stehen und brüllte nach unten:

„Ich bin aber noch kein Mann, Mutti, und jetzt halt deine Fresse!“

Nach dem Moment sprach Nalani einen halben Mond lang kein einziges Wort mehr mit ihm.
 

Der Tag, an dem Puran die Geisterstimmen zum ersten Mal wieder hörte, war heiß und schwül. Der Himmel hing so tief über dem Land, dass alle befürchteten, es könnte einen Platzregen geben, der aber ausblieb. Puran war mit Kannar und Travi beim jagen gewesen, jetzt saßen die drei Jungen mit ein paar erlegten Hasen im Schatten eines Baumes auf derselben Wiese, auf der auch die Jujube-Sträucher wuchsen. Puran dachte immer kurz unwillkürlich an Narya und die Küsse, die sie geteilt hatten, wenn er die Sträucher sah, verdrängte das aber meistens schnell wieder. Mädchen waren furchtbar, sie verdrehten einem den Kopf, vielleicht ohne es zu merken, aber es war ganz furchtbar, stellte er dann oft fest. Vermutlich war das auch der Wille der Geister, so wie alles, was furchtbar war.

Travi hatte sich bei der Jagd richtig nützlich gemacht; er hasste es, zu laufen, daher hatte er beschlossen, mit Pfeil und Bogen zu arbeiten. Er war ziemlich geschickt, was Kannar am Anfang gar nicht geglaubt hatte. Puran war bei aller Liebe mitunter etwas genervt von Kannar, der seit einiger Zeit immer maulte, schlecht gelaunt war oder über andere herzog. Kannar und Travi verstanden sich zwar meistens gut, aber mitunter bekamen sie sich ganz schön in die Haare. Puran fragte sich, ob Kannars Miesepetrigkeit an seinem ehrgeizigen Vater lag, der ihn offenbar ziemlich unter Druck setzte, aber er fragte nicht nach. Kannar würde es ihm schon sagen, wenn etwas war.

„Hätten wir nicht eigentlich längst wieder bei der Mühle sein sollen?“ fragte Kannar dann, „Sollten wir nicht Käse kaufen für deinen Vater und seine Mausefallen?“

„Die blöden Mäuse, das ist so’ne Plage!“ nölte Travi, „Und – ach, verdammt, der Käse war für Paps! Den hab ich jetzt aber aufgegessen…“ Er blickte traurig in ein Stück Papier, in das der Käse eingewickelt gewesen war. Puran, der dabei war, Zigaretten zu drehen, und Kannar, sahen erst Travi, dann sich gegenseitig an und hauten sich dann synchron gegen die Stirn.

„Du absoluter Volldepp!“ rief Kannar, „Wir sind extra durch Gahti gelatscht, um für deinen Vater Käse zu kaufen, und du frisst den auf?!“

„Ja, ich hatte Hunger, was dagegen?“

„Dann friss das Karnickel, das du geschossen hast! Du hirnamputierter Fresssack!“

„Rohe Karnickel? Wenn, dann mit Salz und Pfeffer. Und dazu eine wunderbare Brühe. Vielleicht mit Rosmarin, oder so…“

„Hier gibt’s keinen Pfeffer und kein Rosmarin, erst recht keine Brühe!“ empörte der Heiler sich.

„Na, willst du etwa Kaninchen roh essen, Kannar?!“ fragte Travi entsetzt, „Du Ekelpaket!“

„Die alten Stämme haben das in der Not auch gemacht,“ behauptete der Jüngere, „Und behalte dein abscheuliches Rosmarin! Das versaut die Karnickel!“

„Was hast du nur gegen Rosmarin?“

Während die beiden völlig belanglos von Käse zu Rosmarin abschweiften und lauthals stritten, kamen in Purans Kopf plötzlich die Geisterbilder. Zuerst glaubte er, er würde sterben, weil plötzlich Bilder vor seinen Augen waren, und er schrak keuchend hoch. Flammen verbrannten seine Augen und ein schwarzer Rauch verdunkelte den Himmel. Puran hörte die Geister mit einem Mal wieder zu ihm sprechen.

„Sieh nach Norden!“

Automatisch wollte er sofort gehorchen, ließ es dann aber. Warum zum Geier sollte er auf die irren Stimmen hören? Er würde sich von keinem Befehle geben lassen.

Vergesst es! zischte er in Gedanken, Ihr könnt mich nicht beherrschen!

Die Bilder vom Feuer flammten stärker auf, dieses Mal bedrohlicher, und ihm war beinahe, als würde er die Hitze des Feuers wirklich vor sich spüren. Ihm war übel und er wusste nicht wieso, er keuchte abermals und fuhr heftig zusammen, als das üble, grauenhafte Gefühl in ihm stärker wurde, gleichzeitig mit dem Drang, sich doch nach Norden zu wenden. Etwas sagte ihm, dass er schauen sollte… dass er aufpassen sollte.

Etwas Schlimmes geschah.

Puran kniff die Augen zusammen und stöhnte leise.

„Ich will… das nicht sehen!“

„Wie kannst du nur kein Rosmarin mögen? Das ist wunderbar mit Karnickeln!“

„Ach, du und dein garstiges Rosmarin!“

Kannar und Travi unterbrachen ihre sinnfreie Diskussion, als Puran neben ihnen wieder zusammenfuhr und japste. Beide Jungen drehten sich zu ihm um und vergaßen di Kaninchen und das Rosmarin.

„W-was ist?!“ fragte Kannar besorgt, „Puran?! Bist du in Ordnung? Du bist weiß wie eine Leiche…“

„Mir ist komisch,“ keuchte er tonlos und rappelte sich auf, Travi nahm ebenfalls beunruhigt die Kaninchen auf, während Kannar seinem Freund auf die Beine half.

„Wir können dich heim bringen, du wirst sicher krank, Alter…“ machte er dabei, und Puran hustete.

„Geht schon, ich-…“ Er wurde von einem Schrei von Travi unterbrochen und der Dick ließ seine Kaninchen fallen. Kannar schrie auch vor Schreck.

„Was ist?!“ Er fuhr herum nach Norden, ebenso tat Puran es jetzt auch endlich; und er erbleichte erneut.

Am Horizont stieg tatsächlich schwarzer Qualm auf wie in seiner Vision. Irgendwas brannte, und es war nicht weit weg. Und es war ein großes Feuer. Travis nächster Schrei ließ ihm dann beinahe das Blut in den Adern gefrieren.

„D-das kommt aus der Richtung der Mühle!“
 

Sie rannten, so schnell sie konnten. Puran merkte nicht, dass er rannte, er tat es einfach; sein Körper tat es, sein Gehirn hatte sich in dm Moment abgeschaltet.

Sieh nach Norden.

Er hatte es nicht getan. Hätte er es getan, hätte sie schon früher das Feuer gesehen.

Sie rannten schneller, Kannar zerrte Puran entsetzt hinter sich her. Die Kaninchen waren plötzlich egal, ebenso der Käse. Als sie die Mühle von Travis Vater erreichten, brannte sie bereits lichterloh. Travi schrie und rief nach seinem Vater. Es kamen bereits Menschen aus Gahti und Rathuk angerannt. Männer schoben die drei Halbwüchsigen zurück.

„Geht nicht da ran, Kinder! – Schnell, mehr Wasser, bevor sie zusammenstürzt!“ Travi packte den Kerl am Kragen.

„Mein Vater, der Müller, wo ist er?!“ kreischte er, seine Stimme überschlug sich in der Panik. „Wo?!“

„Travi, nicht!“ japste Kannar entsetzt. Der dicke Müllerssohn drängte sich an den Menschen vorbei und schrie nach seinem Vater, suchte um die ganze Mühle herum, doch der Müller Ando war nirgends zu sehen. Puran hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, während er mit Kannar stocksteif an der Stelle stand, an die der Mann zuvor sie geschoben hatte. Trotz der Entfernung zur brennenden Mühle spürte er das Feuer in seinem Gesicht, die grausame Hitze. Später erinnerte er sich nur noch an die Hitze, und an das blendende Licht des Feuers, das umrahmt wurde von den schwarzen Rauchschatten.

„Das passiert nicht echt, o-oder?“ stammelte Kannar neben ihm. „Wo ist Travis Vater? H-Himmel, das passiert doch gar nicht? Puran, sag doch was!“ Puran konnte nichts sagen, Kannar laberte dafür in seinem Schockzustand umso mehr. Sie wünschten sich beide, sie könnten aufwachen…

Aber sie waren wach. Das geschah tatsächlich.

Als Travi zu ihnen zurückkam, zitterte er und heulte.

„I-ich finde ihn nicht!“ schrie er, „W-was, wenn er in der Mühle war?! I-ich könnte heulen!“

„Du heulst schon!“ jammerte Kannar, „W-was is’n?!“ Puran hörte dem weiteren Streitgespräch seiner Freunde nicht mehr zu. Sein Kopf pochte laut und übertönte damit alles Dröhnen um ihn herum. Die Flammen blendeten und schmerzten in seinen Augen, und alles, was in seinem Kopf war, waren grauenhafte Stimmen.

Wir haben dich gewarnt.

Hättest du auf uns gehört, Puran… du hättest Schmerzen erspart.

„Seht doch, wehe!“ schrie einer der Männer vorne plötzlich und die drei Jungen fuhren herum. Ein paar Männer waren dabei, das Feuer zu löschen, einige mit Wasserzaubern andere mit Eimern voll mit Wasser aus dem Brunnen von Gahti. Travi schrie abermals, as aus den Flammen der Mühle jetzt ein Mensch zu erkennen war, der drinnen am Boden zu liegen schien.

„Mein Vater!“ kreischte er wild und stürzte nach vorn, „M-mein Vater, da ist mein Vater! Lasst mich durch, mein Vater!“

„Travi, nein!“ Kannar heulte jetzt plötzlich auch, als er seinen Kumpel am Arm packte. Gemeinsam mit zwei weiteren Männern gelang es ihm, den Blonden festzuhalten. Und der Junge schrie sich die Seele aus dem Leib, die anderen rissen mit Gewalt an ihm, damit r sich nicht in die Flammen stürzte. Für den Müller kam jede Hilfe zu spät… jetzt sollte das Feuer nicht auch noch seinen einzigen Sohn bekommen.

Und in all dem Unheil stand Puran Lyra, ganz hinten und weit weg von Travi, der schrie, von Kannar, der wie ein Mädchen heulte, und von den garstigen Flammen. Er stand da und bewegte sich nicht, er war nicht mal fähig regelmäßig zu atmen.

Hätte ich die Geisterstimmen nicht ignoriert… wäre Travis Vater heute vielleicht nicht gestorben.
 

Nachdem das Feuer gelöscht war, war von der Mühle nicht mehr viel übrig. Das Wohnhaus der Andos nebenan hatte auch sehr gelitten, dort würde Travi jetzt nicht mehr wohnen können. Gemeinsam mit ein paar Männern aus Gahti begruben sie den Müller unter ein paar Trümmern, damit sein vom Feuer bereits verkohlter Körper nicht von Aasfressern vertilgt würde. Travi würde die fünftägige Totenwache am Grab halten, wie es Tradition war, damit die Seele seines Vaters heil ins Geisterreich käme. Auch für die Nichtmagier Tharrs gab es das Geisterreich, in dem die Toten waren.

„Ihr müsst nicht hier bleiben, wenn ihr nicht wollt,“ sagte der Blonde am Abend, als nur noch er und seine besten Freunde am Grab seines Vaters standen. Kannar und Puran waren nicht von seiner Seite gewichen. „Ich kriege das hin. Aber, ähm, ihr könntet mir was zu essen bringen, oder so, sonst falle ich ja in fünf Tagen vom Fleisch…“ Er lachte aufgesetzt, aber niemandem war jetzt zum Lachen zu Mute. Puran schon gar nicht.

„Du und dein Essen,“ sagte Kannar betrübt. „Wir haben die Karnickel liegen lassen, welch ein Jammer.“

„Ja, schade um das Rosmarin auch,“ machte Travi. Keiner lachte und niemand fand sich selbst wirklich witzig, obwohl es alle krampfhaft versuchten. Puran erschauderte. Es war falsch, jetzt zu versuchen, witzig zu sein! Als Travi ihn ansah, drehte er rasch den Kopf weg. Er konnte ihm nicht in die Augen sehen… das würde er nie wieder können.

Er war Schuld am Tod seines Vaters… zumindest mit. Er hätte es vielleicht verhindern können, wenn er sich nicht gegen die Geister gesträubt hätte. Er fragte sich, während die grauenhafte Übelkeit wieder in ihm hochkam, ob das die Strafe war dafür, dass er sie missachtet hatte… er war jetzt weiser.

Aber für diese Erkenntnis hatte erst jemand sterben müssen… in dem Moment stellte Puran Lyra, der Sohn des Herrn der Geister, zum ersten Mal fest, dass er ein absolut furchtbarer, grauenhafter Mensch war, irgendwo tief in seinem Inneren, ohne dass er es wollte.

„Was ist mit dir eigentlich?“ fragte Travi ihn jetzt, als er ihm den Rücken kehrte, „Hast du was? Du weichst meinem Blick seit dem Mittag nur noch aus, Puran-… w-was-…?“ Er unterbrach seine Frage und blinzelte, als sein jüngerer Freund plötzlich vor ihm zu Boden sank, sich dabei wieder umdrehend und… sich ihm zutiefst unterwürfig vor die Füße warf.

„Vergib mir! W-wobei ich es nicht mal verdiene, dass du mir vergibst, Travidan… nichts verdiene ich, Staub und Schande!“

„W-wovon redest du eigentlich?“ wunderte Travi sich, „Ist er jetzt verrückt geworden?“

„Ich weiß nicht!“ entgegnete auch Kannar verblüfft. Der Sohn des Statthalters, der Sohn zweier mächtiger Geisterjäger, warf sich einem Nichtmagier und Müllerssohn zu Füßen in den Dreck?

„D-die Geister…“ stöhnte Puran am Ende seiner geistigen Kräfte und begann zu zittern, immer noch am Boden liegend, die Stirn auf die Erde pressend, „S-sie haben mich gewarnt, sie haben mich gewarnt, ich solle nach Norden sehen! U-und ich hab mich geweigert, weil ich nicht auf sie hören wollte!“

„Was hat das mit uns zu tun?“ fragte Travi verpeilt. Er war müde und trauerte, wie sollte er da kombinieren? Puran hätte sein Gesicht wohl gerne tiefer in die erde gegraben.

„Wenn ich auf sie gehört hätte, wären wir früher hier gewesen! Dein Vater würde noch leben, wenn ich… n-nicht so ein verdammter Idiot wäre!“

Jetzt fiel der Groschen. Kannar starrte ihn an und Travi erbleichte.

„Was sagst du?“ wisperte er fassungslos. „Du… du wusstest, dass er sterben würde?“

„Nein, das nicht! Aber ich hätte früher sehen können, dass die Mühle brennt…“ Puran wagte nicht, den Kopf zu heben – er wusste auch so, dass seine Freunde ihn fassungslos anstarrten. Besonders Travi. Der Blonde fing an zu heulen.

„D-du sagst, er könnte noch leben?! Warum hast du Arsch dann nicht auf deine Geister da gehört?! Jetzt sieh mir ins Gesicht, Puran, du Mistkerl!“ Er heulte lauter; er meinte es nicht böse, als er seinen Freund so anschrie. Er konnte einfach nicht anders…

Puran konnte nicht hochsehen.

„Ich kann die Vergangenheit nicht ändern,“ sagte er zitternd, „Ich kann nicht gut machen, was ich versäumt habe. Aber ich werde verhindern, dass es… so weiter geht.“ Travi schluchzte und der Kleinere sah jetzt doch hoch, rappelte sich vorsichtig auf die Beine und verneigte sich gleich darauf tief. „Ich kann… nur das tun, was ich dir schuldig bin, mein Freund. Ich… verspreche dir, dass ich… das zu kontrollieren lernen werde! Ich werde das nächste Jahr weg sein auf der Lehre der Magie, in Tuhuli. Ich werde keinen von euch sehen dürfen… aber ich werde lernen und das sein, was die Geister mich lehren werden! Ich werde dafür sorgen, dass ich nie wieder unaufmerksam bin, ich werde keine Warnung ignorieren, weil ich zu stur bin… und wenn ich nächstes Jahr zurück komme, bin… ich vielleicht anders und du kannst mir vielleicht vergeben, Travi…“

Der Blonde starrte ihn nur an, Kannar hielt es für klüger, sich rauszuhalten.

„Vielleicht?“ nuschelte das Waisenkind dann und senkte den Kopf. „Du hast es… nicht absichtlich verschwiegen… es war nicht deine Schuld.“

„Nicht richtig, aber halb,“ korrigierte Puran dumpf. „Ich verspreche es dir, Travi. Das bin ich dir schuldig… dir und deinem Vater, der ohne meine Dummheit vielleicht noch leben könnte.“

„Vielleicht,“ sagte Travi abermals. „Wer weiß das schon? Ich würde dich nicht zwingen, das für mich zu tun, Puran.“

„Du nicht…“ machte der Braunhaarige, „Aber ich tue das.“
 

Wenn Puran geglaubt hatte, die Geister würden ihm seinen Meinungswechsel leicht machen, hatte er sich gewaltig geirrt. Er hatte den Geistern einst den Rücken gekehrt und sie verstoßen, er büßte jetzt bitter dafür. Sie straften ihn mit dem schlechten Gewissen wegen des Müllers Tod – als wäre das nicht Strafe genug, schwiegen sie wieder und die eine Vision des Feuers sollte die einzige bleiben.

„Die Geister verarschen mich!“ empörte Puran sich verzweifelt, „ich weiß nicht, was ich machen soll! Meine Mutter hört mir nicht zu und in drei tagen soll ich auf diese doofe Lehre und ich kann doch gar nichts! Die Geister ignorieren mich – nicht, dass ich es nicht verdient hätte, aber was soll ich machen?! – Kannar, sag was, du Arsch!“ Der Arsch war nicht böse gemeint; Kannar schnaubte auch nur. Sie beide saßen in Gahti auf der Lehmstufe vor der Apotheke und rauchten, weil sie nichts Intelligentes zu tun hatten. Der Regenmond näherte sich drastisch seinem Ende – und der Neumond des Sommers rückte immer näher.

„Was weiß ich? Kannst du ihnen nicht genauso befehlen, dass sie wieder kommen, wie du sie verjagt hast?“

„Nein, das habe ich ja probiert!“ Der Heiler seufzte. Dann hob er nach einer Weile theatralisch einen Finger und erhob sich.

„Pass auf, ich hab glaube ich eine Idee, die dir helfen kann! Wir klären das… besser drinnen, hier draußen ist zu viel los.“ Puran sah ihn an. Das klang beunruhigend.

Kannars Zimmer war eine dunkle kleine Kammer im Haus des Apothekers. Es hatte nur ein recht kleines Fenster, durch das spärliches Licht fiel, und im Zimmer gab es nichts außer einem Bett und einer kleinen Kommode, die daneben stand. Und jeder Menge Müll auf dem Boden, größten Teils Papier.

„Was hast du hier angerichtet, räumst du auf?!“ kam es von Puran, der über einen Berg Papier kletterte, „Was ist das für ein Scheiß, der hier überall rum fliegt?!“

„Das ist kein Scheiß, das sind Unterlagen, ich mache mich schlau, hör mal, ich muss doch den Job meines Vaters übernehmen und ich habe keine Ahnung von Arznei!“

„Du bist mir vielleicht ein toller Heiler – so ein Chaos!“

„Etwa so toll wie ein Geisterjäger, der keine Visionen sieht,“ konterte Kannar grinsend, und Puran errötete.

„Na, dann sind wir eben beide Deppen. Aber ich kann Ordnung halten, im Gegensatz zu dir.“

„Du hast dafür Diener, du Sack…“

„Was, gar nicht, ich lass doch keinen von denen in mein Zimmer! Das geht doch niemanden was an was ich da drin habe!“

„Klingt nach Pornobüchern, böser Puran…“

„Argh, doch nicht sowas!“ Der Junge schnaubte und wurde jetzt noch röter, dann blinzelte er. „Äh, Themawechsel – was hattest du jetzt für eine glorreiche Idee, du Held?“ Der Heiler nickte wichtig und zog aus der schäbigen Kommode ein kleines Kästchen, mit dem er sich auf die Bettkante setzte, sein Freund kam neben ihn. „Was ist das denn?“ fragte er überflüssig, und Kannar öffnete grinsend die Schachtel.

„Zigaretten, sozusagen!“ sagte er, „Das Herumlesen in Vaters Unterlagen über Medizin macht sehr klug! Ich habe von einem Kraut gelesen, das man wie Tabak rauchen kann, das aber ganz anders wirkt! In einer bestimmten Zubereitung und sehr geringer Dosis soll es wohl als Medizin wirken, aber zum Rauchen ist es viel witziger. Ich hab also unten geschaut, und mein Vater hatte das tatsächlich in der Apotheke…“

„Was hat das mit den Geistern zu tun?“ wunderte Puran sich, als Kannar ihm kichernd eine der Zigaretten in die Hand drückte. Eigentlich sahen sie genau aus wie normale Zigaretten.

„Rauch sie und du wirst es merken… das Zeug lässt einen für kurze Zeit total abgedrehte Dinge sehen.“
 

Die komischen Dinge kamen schnell. Schon kurz nachdem sie angefangen hatten, jeder eine der seltsamen Zigaretten zu rauchen, fingen sie an, komisch zu werden. Kannar fing blöd an zu lachen und kippte rückwärts um auf das Bett, in der Hand die Zigarette, deren Rauch das Zimmer vernebelte.

„Ich seeeehe… bunte Farben!“ lallte er dabei gackernd, „An der Decke tanzen Punkte! Und ein Dreieck!“

„Bunte Farben helfen mir aber nicht weiter!“ nölte Puran und blinzelte, als er plötzlich die Wand gegenüber auf sich zukommen sah, langsam, aber sie tat es definitiv. „Kannar, die Wand bewegt sich!“

„Neee, da sind nur Kreise und das Dreieck! Dreiecke sind total erotisch!“

„Alter, scheiße, d-die kommt echt auf uns zu!“ schrie Puran entsetzt und schob sich auf dem bett rückwärts, bis er gegen die Wand hinter sich stieß. Die andere Wand bewegte sich und waberte hin und her wie Pudding, sodass Puran plötzlich mit Panik glaubte, das Haus würde einstürzen. Beinahe hätte er seine Zigarette vergessen und bemerkte sie erst wieder, als plötzlich Asche auf Kannars bett fiel, und er pustete die Asche entsetzt zu Boden. Als er wieder hoch sah und an der seltsam schmeckenden Zigarette zog, hielt die Wand still. Während Kannar begann, lachend im Zimmer umher zu krabbeln, sah sein Freund jetzt einen in allen Farben schillernden Vogel durch das Zimmer fliegen, immer im Kreis, und am Fenster wuchs eine Blume. Die Blume tanzte am Fensterbrett hin und her und wankte mit der großen, purpurnen Blüte. „Was machst du da, Kannar?!“ fragte Puran verpeilt, als er wieder zu seinem Freund sah. Alles drehte sich und obwohl Kannar am Boden kroch, sah es aus, als kröche er über die Zimmerdecke wie eine Spinne. Jetzt bekam er auch noch acht Beine…

„Ich suche Pilze!“ johlte Kannar bedeppert, „Komm, hilf mir, die laufen immer vor mir weg!“

„Das ist aber nicht gesund!“ behauptete Puran und wusste nicht, ob sich das auf Kannars Ausruf bezog oder auf die Tatsache, dass sein Freund mit acht Beinen an der Decke krabbelte. „Kannar, Pilze können nicht laufen!“

„Doch, die mit den grünen Punkten hier können das. Und gegen die Wand rennen können sie – Au!“ Da war er selbst mit dem Kopf voran an die Wand angedockt, kippte zur Seite um und lachte sich halb tot. Puran beobachtete unterdessen die purpurne Blume, die mit sich selbst Karten spielte, während der schillernde Vogel zum Sturzflug ansetzte und auf dem Boden explodierte…
 

„Sitzt du auf deinen Ohren? Wach auf!“

Puran öffnete blinzelnd die Augen und das erste, was er feststellte, waren furchtbare Kopfschmerzen und ein übles Schwindelgefühl. Als zweites erkannte er seine ziemlich erboste Mutter, die über sein Bett gebeugt stand, die Hände in den Hüften, und ihn anstarrte.

„Was…? Wieso, ist schon Mittag?“

„Mittag, du bist gut, es dämmert bald wieder, du Schafskopf! Wo bist du gewesen?! Und was hat dich geritten, als du heute in den frühesten Morgenstunden singend durch das Schloss getanzt bist, du hast alle aufgeweckt!“ Er blinzelte überrascht.

„Ich war bei Kannar – was, singend durch das Schloss getanzt?!“

„Du weißt es nicht mal mehr, na, ich möchte nicht wissen, was ihr beide gestern getrunken habt, vermutlich Mengen, die eine Armee umhauen könnten!“ empörte Nalani sich pikiert, „Soll ich dir vorsingen, was du gesungen hast?“ Er errötete.

„Ähm, nein, besser nicht, ich hoffe, es war nichts Unanständiges…“

„Ich verliere auch besser keine Worte darüber, hoffe du nur, dass deine vorlaute Cousine so gütig ist, es nicht im ganzen Kreis herum zu erzählen. Jetzt komm aus den Federn, oder ich mache dir Beine, Sohn! Du wirst dich in Tuhuli bei Meoran besser betragen, oder ich lasse mir etwas Schreckliches für dich einfallen.“ Damit ging sie kopfschüttelnd und er setzte sich schwankend auf.

Er hatte keine Ahnung, wie er heim gekommen war – eigentlich wusste er gar nichts mehr, nur, dass er bei Kannar gewesen war und sie komische Kräuter geraucht hatten… als er sich anzog und in seine Hosentasche fasste, fand er noch ein paar der komischen Zigaretten, reichlich zerknautscht, offenbar hatte er sich drauf gesetzt oder so.

Ja, komische Dinge gesehen hatte er wirklich, soweit er sich erinnern konnte. Er fragte sich, ob sein Lehrmeister ihm das abkaufen würde, wenn er ihm von diesen Dingen erzählte – das würde eine harte Zeit werden in Tuhuli, das wusste er.

Er dachte an Travi, seinen Vater und die abgebrannte Mühle. Ja, er war es seinem Freund schuldig, diese Last auf sich zu nehmen… an sich mehr als das. Er hätte den Tod seines Vaters verhindern können und hatte es nicht getan.

Er verdiente gar nichts… höchstens Strafe.

Puran erschauderte und fasste sofort wieder nach seinem schmerzenden Kopf. Wie erbärmlich das Leben doch war…

„Ich muss hier raus,“ stöhnte er, „Ich kriege… hier keine Luft.“
 

An den Ufern des großen Stroms, des Undim, konnte er für eine Weile Ruhe finden, während er im Gras saß und kleine Kiesel und Erdbrocken ins Wasser warf. In der Ferne hörte er Menschen aus dem Dorf Rathuk lärmen und arbeiten. Er erschrak sich fast zu Tode, während er da saß und über die Zukunft nachdachte, als er plötzlich eine bekannte Stimme vernahm.

„Oh, du bist das ja!“

„Wer?“ fragte er blöd und drehte sich um, um in das strahlende Gesicht der kleinen Cholena zu sehen. Sie hatte einen Eimer dabei und wollte offenbar Flusswasser für das Dorf holen. „Oh… Cholena…“ brabbelte er dumm vor sich hin. Er kehrte ihr seufzend wieder den Rücken und warf einen neuen Stein in den Undim.

„Bist du… traurig?“ fragte sie leise und kam etwas näher. „Darf… ich mich etwas zu dir setzen?“ Er nickte und sie setzte sich neben ihn ins Gras. „Was ist denn los?“ kam dann. „Vielleicht kann ich dir ja helfen…“ Puran lachte kurz.

„Wie dumm – da hab ich dir neulich gesagt, wenn du Hilfe brauchst, komm zu mir, und jetzt ist es andersrum. Ach!“ Cholena kicherte mit ihrer glockenhellen, schönen Stimme und er konnte jetzt nicht mehr anders, als sie anzusehen.

„Du kannst auch ruhig mit mir sprechen, ehrlich,“ bot sie ihm an, „Du siehst mitgenommen aus…“ Der Junge raufte sich bedrückt die Haare.

„Es… ist nicht weiter schlimm,“ spielte er es dann herunter, „Sorge dich nicht, Cholena. Du hast sicher genug Sorgen. Dann will ich dich nicht noch mit den meinen belasten.“ Das blonde Mädchen blieb energisch.

„Reden tut aber gut!“ meinte sie, „Ich bitte dich, sprich mit mir. Ich werde zuhören.“ Er blickte sie verstohlen an. Cholena war ein gutherziges, liebes Mädchen. Sie beeindruckte ihn insgeheim mit ihrer offenen Art; und das, wo er ihre Geschichte kannte. Ihre Eltern waren tot und sie hatte niemanden an ihrer Seite. Wenn er an ihrer stelle wäre, wäre er in einen Fluss gesprungen… er war nicht so stark wie dieses schöne Mädchen vor ihm. Er war nicht der, der zu sein man von ihm erwartete, stellte er verbittert fest.

„Du hast… sicher von dem Brand der Mühle gehört…?“ begann er so nuschelnd, und sie nickte betreten. Darauf erzählte er ihr von jenem schicksalhaften Tag, der alles verändert hatte. Und er redete und redete und je mehr er sprach, desto leichter fiel es ihm, desto mehr Worte sprangen aus seinem Mund. Er erzählte dem Mädchen von den Visionen, die nicht da waren, von den Geistern, die ihn zurecht straften, von den Erwartungen seiner Eltern… und Cholena saß da und hörte aufmerksam zu, sie sagte nichts, unterbrach ihn nicht, sie hörte nur zu und nickte ab und zu oder weitete die Augen minimal. Als er nichts mehr zu sagen hatte, war er so aufgewühlt von all dem Ärger in sich, dass er erst mal eine rauchen wollte. Zum Glück hatte er die zerknautschen Kräuterdinger in seiner Tasche gegen normale Zigaretten ausgetauscht. Er stellte fest, dass sich eine ungemeine Erleichterung in ihm breit machte, jetzt, wo er einmal alles erzählt hatte, was es zu erzählen gab. Es fühlte sich jetzt besser an und er musste leise lachen, bevor er wieder an seiner Kippe zog. „Jetzt geht’s mir besser,“ verkündete er, „Danke, dass du mir zugehört hast, Cholena. Bitte sorge dich nicht weiter, ich glaube… wenn ich hart genug an mir arbeite, werde ich mit dem schlechten Gewissen leben können in Zukunft.“

„Das musst du nicht,“ meinte sie, „Du bist gar nicht Schuld. Mach dir keine Vorwürfe. Die Geister sind launisch… wenn du dich mal nicht gut fühlst, denk an das, was ich dir neulich gesagt habe. Lausche dem Windlied… es beruhigt ungemein. Und manchmal… findet man dabei die ultimative Lösung für Probleme.“ Sie lächelte sanft, ehe sie errötend den Kopf senkte. „Puran…?“

„Hm?“ entgegnete er geistreich und sah sie konfus an, als sie ein wenig herum druckste, und sie hob den Kopf wieder.

„Wenn du jetzt ein ganzes Jahr fort bist, werde… ich dich vermissen.“ Es schien ihr schwer zu fallen, ihm das zu sagen, und er weitete die Augen kurz und lachte dann wieder.

„Wir kennen uns doch kaum.“

„Ich weiß,“ gestand sie, „Zumindest nicht lange, und dennoch habe ich… wenn ich mit dir spreche ein Gefühl der… tiefen Vertrautheit, als würden… wir uns seit Zeitaltern kennen. Wir beide haben in der kurzen Zeit, die wir uns kennen, viel voneinander gelernt. Spürst du sie auch...? Diese Verbundenheit? Ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben könnte, mein Kopf denkt Dinge, die meine Zunge nicht auszusprechen vermag.“ Er sah sie abermals an und als sie seine Hand vorsichtig ergriff, wusste er plötzlich, wovon sie sprach.

Als ihre Finger einander berührten und sie da am Ufer des Flusses saßen, sich nur gegenseitig aus großen Augen anstarrten und schwiegen, spürte er es auch zum ersten Mal. Es war ein eigenartiges Gefühl, er konnte sich nicht erklären, was es war – es war, wie sie sagte. Als würden sie sich schon seit Jahrhunderten kennen und als wäre es selbstverständlich, dass ihre Seelen aneinander hingen. Als wäre zwischen ihnen ein seltsames Band, das sehr, sehr lang und weit auseinander gezogen war, das jetzt plötzlich durch diese simple Berührung ihrer Hände wieder zusammen geführt worden war…

Cholena ließ ihn vorsichtig los und strich sich eine Strähne hinter das Ohr. Dann füllte sie ihren Eimer endlich mit Wasser und erhob sich.

„Ich muss heim,“ erklärte sie ihr tun und verneigte sich, als er auch aufstand. „Ich wünsche dir alles Gute für das kommende Jahr. Ich hoffe, wir… sehen uns danach wieder?“ Jetzt strahlte sie und er sah sie überrascht an, ehe er grinste.

„Sicher, Cholena. Noch einmal danke…“

„Ich hab doch gar nichts gemacht!“ lachte sie sich selbst aus, und er hob eine Hand und tippte ihr zärtlich mit einem Finger gegen die Wange, worauf sie erstarrte. Da war das Gefühl erneut und er genoss den sehr kurzen Moment der Empfindung.

„Doch, hast du,“ erwiderte er dann, als er zurück trat, „Du warst da. Das ist schon gut.“
 

Kaum war Cholena weg und er wollte sich selbst auf den Heimweg machen, jetzt besserer Dinge und vor allem inzwischen ohne Kopfschmerzen, da kam ihm schon seine Cousine entgegen.

„Aha, während wir uns sorgen, hast du deinen Spaß mit den Mädels,“ kommentierte sie das, was sie von weitem gesehen hatte, und er schnaubte, als sie bei ihm ankam. Ungefragt begannen sie gemeinsam den Rückweg zum Schloss. Rathuk war nicht weit weg.

„Das hat damit nichts zu tun, ich habe mich mit ihr unterhalten.“

„Und ihr die Wange gestreichelt,“ sagte Alona und verdrehte die Augen.

„Kannst du Zimtzicke mal aufhören, mir zu widersprechen?! Nein, habe ich nicht!“

„Du und die Mädchen, ja, ja,“ grummelte sie, und er musste plötzlich lachen.

„Du klingst ja fast wie Kannar, was ist dein Problem?“

„Meine Freundinnen sind dumm!“ nölte die Cousine beleidigt, „Sie fragen immer nach dir und was du machst und so, für mich interessiert sich niemand! Mich nerven Jungs und erst recht, dass alle meine Freundinnen es plötzlich toll finden, von denen zu reden!“

„Du wirst auch eines Tages eine Frau sein und dann wird dich das vielleicht mehr interessieren,“ orakelte er recht gelangweilt; was interessierte ihn das nicht vorhandene Liebesleben seiner Cousine? Insgeheim war er der Ansicht, dass kein vernünftiger Kerl dumm genug wäre, sich auf sie einzulassen. Sie würde sicher bildschön werden in ein paar Jahren und sie hatte keinen Babyspeck mehr, aber sie war kratzbürstig und rechthaberisch, wer wollte denn so eine aufmüpfige Frau, die einen andauernd korrigierte? Er jedenfalls nicht.

„Nicht mehr als Bücher!“ schnaubte sie ihm schon entgegen, „Wie kann man das Herumtüdeln mit irgendwelchen zurückgebliebenen Kerlen einem guten Buch vorziehen, einer Bibliothek, in der man ganz viele Dinge erfährt? Ich hab Vatis Stammbaumkiste gefunden, du willst gar nicht wissen, was für seltsame Namen unsere Vorfahren hatten.“

„Hast recht, das will ich wirklich nicht wissen!“ machte Puran genervt. Von wegen zurückgeblieben, die hatte doch einen an der Waffel. „Deine Eltern sind sicher enttäuscht, wenn du niemals heiratest! Irgendwas muss dich doch beeindrucken.“ Sie überlegte und wurde dann ruhiger.

„Was ich nicht will, ist ein Depp, der verdammt hübsch ist und nur sein Spiegelbild im Kopf hat. Ich will einen, der mich zu seiner Königin macht! Einer, mit dem ich etwas anfangen kann, der nicht nur Männersachen wie Saufen und Jagen im Kopf hat!“

„So einer findet sich gewiss irgendwo,“ versicherte er ihr wohlwollend und tätschelte ihren Kopf, „Gehen wir heim.“

Heim… ihm wurde schmerzlich bewusst, dass er nicht mehr oft heim gehen würde, ehe man ihn fort schickte in die große Stadt Tuhuli, in der er ein Jahr getrennt von allen, die er gut kannte, leben müsste.

Ihm grauste davor.
 


 

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wohoo xD Zeitsprung xDD ja, öh, nichts zu sagen o_o



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Kimiko93
2009-11-17T12:33:59+00:00 17.11.2009 13:33
In dieser Welt gibt es Lieder? Cool ôo'

Und, oh, ja, ich hab mal weitergelesen. Eigentlich wollte ich damit bis nach TAoGS warten, aber hey, keinen Bock auf Englisch... und Kopfschmerzen ûu'

4 Down, 7 more to go + random-Tod. Himmel, das mit Travis Vater war echt random. Aber so richtig. Ich meine, hey, Motivation für Puran, aber pffh. Madanan (dessen Schicksal so derbe überraschend war, my little queen of subtlety) hätte auch gereicht, Drama-Linni ôo'
Von:  Decken-Diebin
2009-10-26T19:21:47+00:00 26.10.2009 20:21
Interessant. Erst fummelt er mit Narya rum und dann kommt nachher die Sache mit Cholena... toll xD
Wie Izzy gesagt hat, du zerstückelst schon wieder Familien >__< Dabei war die Killing-Babies-Zeit doch schon fast vorbei, war ich der Meinung D: Und Travi tut mir auch leid.
Sag mal, Puran war damals nicht dabei, als Kelar "beerdigt" wurde, oder? Okay, wär auch merkwürdig - wie dem auch sei, wär ich er und wüsste ich, wo mein Großvater liegt, würde es mich nicht beruhigen, am Undim zu sitzen xD'
Und danke für den Eintrag, ich hab tatsächlich irgendwie (wahrscheinlich mangelnder Internetzugang) das Kapitel wieder übersehen ^^'
LG, Hina
Von:  -Izumi-
2009-10-24T19:37:11+00:00 24.10.2009 21:37
Und wieder einmal schlägt Linnis Neigung zum Baby töten zu, yai XD
Na, ist ja schon lang nicht mehr geschehen óô
Armer Madanan uû *ihn pattet*
Na ja... ach ja, und Linnis Neigung zum Familien zerstückeln kam auch mal wieder raus! XD
*pattet Travi*
Warum ausgerechnet Travi, er ist so eine süße Sau, ich würde ihn auch küssen, ey XD
Wat noch? Ah ja, Cholenachen!
Was mich etwas irritiert hat, war, dass Cholena plötzlich gut zaubern können soll, wo in der Pakuna-Story erwähnt wurde, dass sie das eben nicht kann Oo
Na ja, mir solls Recht sein, aber ... wtf? XD
Trotzdem, sie ist sowas von süß... und steht auf Puran, surprise! XD
Ah ja, Alona gibts auch noch, die kleine Bratze!
Sie hat ja sowas von Recht, Kerle sind scheiße, die braucht keiner O___o
Ah ja, und die Kiffszene! XDD
Die war ja SO geil! XDD
Mich für meinen Teil interessiert ja doch brennend, was Puran da schönes gesungen hat oô
Wir werden es nie erfahren ~



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