Zum Inhalt der Seite

Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Schattenmond

Der neue Abschnitt ihres Lebens begann für Puran und Leyya sehr angenehm in dem Dorf Lorana. Sie hatten sich gegenseitig, sie hatten ihr Kind, sie hatten die Hilfe der Dorfbewohner. Es war gut, genauso wie sie es alle gespürt hatten; Puran bereute nicht, in Lorana geblieben zu sein, als der Winter vorbei war. Seiner Frau und seinem Kind ging es hier gut, sie kamen gut mit den Einwohnern zurecht und das Wichtigste war, sie waren vermutlich sicher vor Ulan Manha. Und nach dem, was er dann so hörte, war er wirklich froh, dass er nicht nach Senjo gegangen war.

Der Sommer war gekommen und wieder gegangen, jetzt herrschte Winter in Thalurien. Die angenehmere Jahreszeit, wie Puran grummelnd fand, der sich an die Affenhitze im Sommer einfach nicht gewöhnen konnte. Dafür fand sein kleiner Sohn das überhaupt nicht.

„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, stöhnte Puran aus dem Bad, während er versuchte, seine Haare zu richten, als aus der Wohnstube des kleinen Häuschens, das sie sich gebaut hatten, das Gejammer des Kindes zu hören war. „Verdammt, Leyya, tu doch irgendetwas, ich kann jetzt gerade nicht!“

„Ja, ja.“, machte die Heilerin und verdrehte die Augen, während sie aus der kleinen Küche in die Stube eilte und nach Karana sah, der in seinem Bettchen wütend strampelte und jammerte. Normalerweise schlief er gut durch; dass er jetzt am frühen Morgen schon auf war, war kein gutes Zeichen. Und da sein eitler Pfau von Vater ja lieber seine Haare platt machte, musste sie immer ihr Grünzeug zur Seite schieben, wenn irgendetwas war. Bei aller Liebe zu ihrem Mann, morgens wollte sie ihm manchmal den Hals umdrehen. Wenn er früh aufstehen musste, war er beinahe unausstehlich und sie war dann – sie hätte nie für möglich gehalten, dass das mal so sein würde – froh, wenn er aus dem Haus war, dann hatte sie etwas Ruhe. Dabei liebte sie ihn und verstand ja, dass er nervös war… er hatte viel zu tun und vor allem viel, was er vermasseln konnte, worauf er aufpassen musste. Um einen guten Posten zu bekommen musste er viel tun… sie wusste das und würde ihm deshalb nie einen Vorwurf machen. Bald wäre sein Studium vorbei und sie war recht sicher, dass er einen guten Posten in Taiduhr bekommen würde; dann wäre er sicher etwas ruhiger.

Karana schluchzte und jammerte, als seine Mutter ihn aus seinem kleinen Bettchen aus Holz hob. Sie wippte das kleine Kind auf ihren Armen und versuchte, es zu beruhigen. Tatsächlich hörte der Kleine auf zu strampeln und jammerte nur noch. Das war schon gut; er war jetzt vierzehn Monde alt und strampelte manchmal so heftig, dass er sich beinahe aus ihren oder Purans Armen zappelte.

„Er ist offenbar einfach ein kleiner Dickkopf, der nicht immer so mag, wie er soll.“, hatte Puran einmal dazu gesagt und sie hatte feixend erwidert:

„Ah, richtig, wie der Vater, so der Sohn.“

Jetzt hob die Heilerin den Kopf, das Baby auf ihren Armen wiegend, als Puran aus dem Badezimmer kam und gestresst seufzte.

„Ist was passiert?“, fragte er und sie schüttelte sachte den Kopf.

„Ich weiß auch nicht genau… vielleicht wollte er Aufmerksamkeit. Nicht, Karanachen?“ Sie kitzelte das Baby und ihr Söhnchen maulte nur etwas unzufrieden vor sich hin, während es seinen Vater aus den grasgrünen Augen anstarrte. Das Kind streckte maulend eine kleine Hand nach dem Vater aus und Puran seufzte jetzt bestürzt, ehe er sich zu Leyya und seinem Sohn hockte und zuließ, dass der Kleine mit seinem Händchen nach seinen Fingern grabschte. Jetzt war Karana ganz friedlich und Puran lächelte und vergaß seinen Stress für einen Augenblick.

„Es tut mir leid, dass ich so schlecht gelaunt bin, Karanachen… sei mir nicht böse. Ich mache es wieder gut, wenn etwas Ruhe eingekehrt ist hier…“ Er wollte wieder aufstehen und das Kind loslassen, doch jetzt jammerte sein Söhnchen nur lauter und hielt verkrampft seinen Zeigefinger fest.

„Oh nein, Puran.“, machte Leyya unglücklich, „Er möchte nicht, dass du gehst… ach, wie süß…“ Ihr Mann warf ihr einen bestürzten Blick zu, dann streichelte er Karanas dunklen Haarschopf.

„Ach! Das macht es mir jetzt auch nicht leichter, Sohn, musst du so rührend sein, bevor ich mich konzentrieren muss?“ Seine Frau lachte leise, ehe sie sich etwas streckte und ihn liebevoll auf die Wange küsste.

„Wir haben dich lieb, Puran.“, versetzte sie dabei leise, während er Karana endlich losließ und das Baby, wenn auch schmollend, Ruhe gab. „Du bist nur in Taiduhr heute, oder? Das ist ja nicht weit, dann bist du heute Abend zurück, oder?“ Er nickte, gab Frau und Baby je ein Küsschen auf die Stirn und machte sich dann daran, das Haus zu verlassen.

„Bei Sonnenuntergang bin ich daheim, so hoffe ich. Pass auf dich auf, Leyya… und mach keinen Unfug!“ Er grinste kurz, worauf sie ihm feixend die Zunge herausstreckte, ehe er die Haustür durchschritt und hinaus ging. Ein kalter Windstoß von draußen fegte in den Flur und Leyya fröstelte.

„Ach!“, machte sie und wippte den hicksenden Karana auf ihren Armen, „Dieser Hungermond dauert ewig! Ich hoffe, der Frühling kommt bald… dann können wir wieder draußen spielen, Karanachen… nicht?“ Das Kind begann nur von Neuem, zu jammern, und die Heilerin fragte sich besorgt, ob er krank wäre.
 

Dass sie in Kisara geblieben waren, hatte einige Vorteile mit sich gebracht. Für Puran war es nicht besonders schwer, oft nach Vialla zu fahren, um sein Studium möglichst bald beenden zu können; auch, wenn es ihm immer sehr leidtat, wenn er seine Familie für die ganze Woche im Dorf zurücklassen musste und nur am Sonntag heimkehrte. Er machte sich keine Sorgen, dass ihnen in Lorana etwas geschehen könnte – Dasan Sagal und sein Frühwarnsystem von Verbindungen waren, da hatte er ein gutes Gefühl, sehr zuverlässig. Es war aber auf die Dauer sehr anstrengend, sich so sehr auf die Arbeit zu konzentrieren… er hätte lieber den ganzen Tag bei Leyya und Karana zugebracht als in der Akademie oder in irgendwelchen Regierungsgebäuden…

Er seufzte, während die Kutsche ihn wie so oft in die Provinzhauptstadt Taiduhr fuhr. Eigentlich mochte er Kutschfahrten nicht sonderlich, lange Fahrten machten ihm manchmal Kopfschmerzen… aber in den eigenartigen Zeiten wie diesen war es so sicherer, hatte er sich sagen lassen, und weil man ihn in Taiduhr haben wollte, hatte man ihm vom Senat aus eigens eine Kutsche nach Lorana geschickt.

Der Krieg mit den Zuyyanern war unwichtig geworden. Vor einem Jahr hatte es eine Vereinbarung eines Waffenstillstandes gegeben, die bisher andauerte; alle hofften, dass daraus vielleicht auch der endgültige Frieden resultieren würde… aber die Menschen in der Regierung waren auf der Hut. Die Zuyyaner waren gerissene Schlitzohren. Sie zu unterschätzen oder naiver Weise zu denken, sie hätten gute Absichten, wäre ein fataler Fehler.

Es waren seltsame Leute, dachte Puran, während er aus dem kleinen Fenster der Kutsche auf die vorbei ziehende Landschaft starrte. Jetzt waren die Bäume kahl und auf manchen Feldern lag noch der Schnee des Wintermondes. Im Hungermond schneite es selten… es wurde nur verdammt kalt, erstaunlich für diese südliche Region. Im Haus hatten sie einen kleinen Kamin, mit dem sie im Winter heizten. Es zu bauen hatte viele Monde gedauert, aber am Ende des Sommers hatten sie endlich aus dem Zimmer der Ansos ausziehen können. Leyya machte sich gut als Heilerin des Dorfes, sie tat sich oft mit Chitra zusammen. Puran war auch froh, dass sie dadurch schnell Anschluss in der Gemeinde fand, sie und die andere Heilerin verstanden sich offenbar sehr gut. Und wenn sie nicht mit Chitra Salben herstellte, war sie bei den Ansos. Mujak und seine Frau hatten ebenfalls noch sehr kleine Kinder, so konnten vor allem Mujaks Frau und Leyya sich gegenseitig Ratschläge geben. Lorana war ein gutes Dorf. Es gab alles, was man zum Leben brauchte; für größere Einkäufe war das nahe liegende Dorf Thuran noch da. Das Wichtigste war, Ulan Manha würde ihnen in Lorana kaum etwas antun. Nicht, solange Herr Sagal Einfluss hatte in Thalurien.

Dem inoffiziellen Vorsteher des Dorfes hatte der Mann auch seine Verbindung zum Senat in Thalurien zu verdanken – seine Verbindung zu dem potentiellen Posten, den er vielleicht mit Glück bekommen könnte, wenn er sein Studium fertig hätte. Der Senat in Taiduhr hatte zehn Mitglieder, keins mehr und keins weniger. Und der Älteste der Senatoren, der vorhatte, seine Stelle an irgendjemanden Jüngeres abzutreten, war praktischer Weise ein guter Freund von Dasan Sagal.
 

Senator Koreth war ein durchschnittlicher Mann. Auf dem Kopf fehlten ihm schon einige Haare, er war weder sonderlich klein noch sonderlich groß. Die Haare, die er noch hatte, waren jetzt grau wie seine Augen es auch waren, aber er hatte ein amüsiertes Lächeln im Gesicht, als er Purans Kutsche an den Toren von Taiduhr abfing. Er bezahlte den Kutscher und der fuhr wieder von dannen, während die beiden Männer sich kurz begrüßten.

„Ihr seid spät dran.“, erklärte der Ältere dann, „Lag es am Schnee?“

„Nein, ich… musste mich noch von meinem jammernden Kind verabschieden, fürchte ich… vergebt mir.“ Der Mann gluckste.

„Na, vor mir müsst Ihr Euch nicht rechtfertigen… ach, Ihr seid ein ehrlicher Kerl, das ist bewundernswert. Wenn Ihr zum Senat kommt, sagt lieber, es wäre der Schnee gewesen, für den könnt Ihr schließlich nichts. Mit Eurem Baby werden die Politiker nur wenig Mitleid haben… das sind raue Zeiten hier im Moment. – Gehen wir, es ist Zeit. Norit ist auch schon da.“ Puran seufzte kurz. Norit, ja. Auf den hatte er sich schon den ganzen Tag gefreut. Auf seinen einzigen Konkurrenten, was den Posten von Senator Koreth anging.
 

Norit war der Sohn eines der anderen Senatoren. Er war ein schneidiger Bursche und einige Jahre älter als Puran, er war längst über dreißig und ging auf die vierzig zu. Er war ein unfreundlicher, missgelaunter Kerl, und Puran wurde das Gefühl nicht los, dass er mit dem selbst ohne die Konkurrenz um die Arbeitsstelle nie warm geworden wäre.

„Ach, da seid Ihr ja.“, begrüßte er die beiden Neuankömmlinge trocken und die übrigen neun Senatoren im Raum drehten sich um. „Was… hat Euch aufgehalten?“

„Der Schnee.“, brummte Puran nach Anweisung, „Vergebt die Verspätung, meine Herren. Ich kam, so schnell ich konnte.“

„Früher aufstehen, heißt die Lösung.“, machte der Mann namens Norit und verdrehte dabei die Augen. „Nun, da endlich alle – auch Herr Lyra – anwesend sind, können wir wohl anfangen. Vater?“ Die beiden zuletzt eingetretenen setzten sich an den Tisch, an dem auch die anderen bereits saßen, und ein anderer Mann räusperte sich.

„Ich wollte gar nicht viel Zeit vertrödeln.“, sagte er. „Eigentlich wollte ich nur kurz das Desaster mit den Lianern noch einmal zu Tage fördern. – Ich denke, es war eine weise Entscheidung, die Wahl auf den Sommer zu verschieben.“ Er warf dabei Norit, seinem Sohn, und Puran je einen Blick zu. „Das bedeutet für euch beide, macht bis dahin keinen Unfug. Es ist das Volk, das wir vertreten in höheren Gremien, um das wir uns kümmern, dafür sind wir da. Nur einer von euch kann Koreths Posten hier haben, wer die Wahlen gewinnen will, sollte sich… gut präsentieren können.“

„Und pünktlich sein können.“, addierte Norit gehässig und Puran sparte sich weise einen Kommentar. Mit dem Idioten Streit anzufangen würde nichts leichter machen.

„Die Sache mit den Lianern liegt da jetzt sehr ungünstig. Es ist ein wahnsinniger Aufstand gewesen; in Zaria sind die Leute richtig auf die Barrikaden gegangen, es gab Verletzte und sogar Tote. Und es kommt schlimmer, das Ganze hat sich bis in den Süden herunter gezogen. Jetzt ist es vorüber, denke ich, aber das Grausame ist, dass uns ja die Hände gebunden sind. Sie verfrachten die Lianer auf Wagen. Wagen! Wie Tiere! Das läuft alles in Senjo, das geht uns nichts mehr an, sollen sich die Beamten in Kamien kümmern – ach nein, da gibt es ja keine mehr.“

„Das nehmen wir alles sehr auf die leichte Schulter.“, behauptete der alte Koreth und sah auf den Tisch. „Was diese Leute mit den Lianern machen ist gegen jedes Gesetz. Sie berauben sie mit Drogen ihrer Macht, zu beschwören, dann sind sie leichte Beute, weil sie – außer in Ausnahmefällen – körperlich vollkommen unterlegen sind, und dann verfrachten sie sie wie Kartoffelsäcke nach Yuron, um sie von dort aus nach Ghia zu schleppen. Die Unterdrückung der Lianer ist eine Sache… die hier genau wie in Kamien, in Noheema, in Janami, überall, immer schief gelaufen ist. Es hätte nicht passieren dürfen. Sie sind Bestandteil unserer Bevölkerung, genauso wie die Menschen und die Schamanen.“

„Ach, aber sie stiften doch die Unruhe!“, brummte Norit, „Sie greifen uns vernünftige Leute doch an, ist es unser Problem, dass sie nicht akzeptiert werden?“

„Also, in gewissem Sinne schon.“, bemerkte Puran dumpf, wurde von dem Älteren aber ignoriert, nur Senator Koreth schenkte ihm einen kurzen Blick.

„Also, wenn ihr mich fragt, ist es gar keine üble Idee, diese Chemikalie, die sie entwaffnet. Dieser Kerl, Scharan, oder wie immer er heißt, hat einen Meilenstein der Wissenschaft gesetzt.“ Puran keuchte.

„Wie bitte?! Es soll gut sein, dass ein Volk gedemütigt und verschleppt und versklavt wird, Norit? Ich höre wohl nicht richtig!“

„Die Lianer bedrohen unsere Gesellschaft hier in Thalurien, sollen wir uns nicht für Sicherheit und Frieden im Volk einsetzen? Ihr habt wohl in der Akademie nicht aufgepasst, Herr Lyra… tja, einen Finger im Kuchen des Königs reicht eben nicht, um Senator zu werden.“ Der Jüngere schnappte nach Luft.

„Ich habe also keine Ahnung?“, fragte er dann gezwungen gefasst, „Dann sagt mir eines, weiser Mann. Sind die Lianer, die hier in Thalurien geboren worden sind, etwa nicht Teil des Volkes? Sollen wir zulassen, dass sie diskriminiert werden, nur, weil sie hellere Haut haben als andere? Sind nicht alle die Kinder von Vater Himmel und Mutter Erde?“

„Ja, ja, da spricht der große Zauberer.“, lachte Norit, „Die Geister, die Geister!“

„Schamane!“, schnappte der andere grantig, „Nicht Zauberer!“

„Jetzt kommt die Gefühlsduselei, genau. Ich habe doch gewusst, es hatte einen Sinn, dass der alte König Magier aus den hohen Positionen ausgeschlossen hat. Schamanen im Senat, pff. Soweit kommt es noch. – Dann tut doch etwas gegen die Ausbeutung, wenn ihr könnt, Herr Lyra! Ich ziehe vor Euch den Hut, wenn es Euch gelingt, die Lianer friedlich in das Volk einzugliedern; das Volk kann die Beschwörer größten Teils nicht leiden, die Bauern werden es nicht gutheißen, wenn Ihr mit Eurer Minderheitenpolitik daher schneit. – Wie Ihr seht, ist die Bevölkerung begeistert von der Chemikalie, die die Hormone zum Beschwören hemmt und die Lianer entwaffnet. Sie machen ja alle mit! Der Kerl mit seiner Erfindung hat eine totale Revolution ausgelöst, sowohl hier als auch in Senjo. Nieder mit den Lianern!, heißt es dann, und so. Ich glaube kaum, dass das zu bändigen ist.“

„Weil Ihr es nicht versuchen würdet.“, war Purans trockener Kommentar, und jetzt half ihm Senator Koreth etwas aus.

„Die Sache mit den Lianern leichtfertig abzutun, Norit, wäre ein Fehler und zeugt auch nicht gerade von Altruismus. Sei vorsichtig, lass mich dir sagen… dieser Kerl, Scharan, ist ein gefährlicher Mann. Nicht, weil er sich mit Chemie auskennt, sondern mehr wegen des Größenwahnsinns.“ Puran senkte bei den Worten schaudernd den Kopf und konnte dem Mann dabei zu schweigend zustimmen.

Scharan…
 

Er selbst wäre nie auf die Idee gekommen, seine schlimmsten Alpträume mit der Unterdrückung und Versklavung der Lianer zu verbinden. Es war wiederum Dasan Sagal gewesen, der ihn darauf hingewiesen hatte.

„Du kannst jetzt beruhigt schlafen, auch, wenn wir einen bitteren Preis gezahlt haben. Aber Ulan Manha ist nicht mehr auf Tharr.“ , hatte er vor wenigen Monden verkündet, und Puran hatte ihn nur dumm angesehen.

„W-was für einen Preis? Wo ist er dann?“

„Die Lianer. Die Lianer werden nach Ghia gejagt und dort zu Sklaven gemacht; der, der diese Revolution angezettelt hat, der dieses Gift erfunden hat, das sie schwächt, ist niemand anderes als dein Freund Ulan Manha. Scharan ist der neue Name, den er sich gegeben hat, seine neue Identität… als Herrscher der Lianer. Sozusagen. Ist es nicht Irrsinn, dass – soweit ich herausgefunden habe, mein Großcousin vierten Grades in Negrash ist Linguist – dieses Wort, Scharan, das er als seinen Namen gewählt hat, auf einer alten Sprache des Lianervolkes tatsächlich Herrscher bedeutet? Er muss ein sehr belesener Bursche sein, wenn er das irgendwo herausgefunden hat; diese Sprachen spricht seit vielen Jahrhunderten kein Lianer mehr.“ Diese Ansage war eingeschlagen wie ein Blitz in die Erde und Puran hatte sein Gleichgewicht gerade noch gewahrt.

„Er – er ist Scharan?! Wie… woher… wisst Ihr das? Ich habe es nur gehört, nie gesehen, was mit den Lianern passiert…“

„Ich habe ihn gesehen… nur im Traum, aber seine dämonischen Augen waren unverkennbar. Er ist es. Und jetzt ist er Sklavenkönig auf Ghia.“
 

Die Versammlung der Senatoren in Taiduhr war recht kurz an jedem Tag; die Älteren hatten noch einiges zu besprechen, was Puran und Norit als Noch-nicht-Senatoren kaum tangierte. Als sie das Ratsgebäude verließen, war der Nachmittag noch jung. Als Norit und sein Vater bereits gegangen waren, lud der alte Koreth Puran zum Tee ein. Eigentlich war es kein Geheimnis, dass der Alte den Jüngsten sehr unter seine Fittiche nahm und Puran ehrte die Anerkennung zutiefst, die der Mann ihm schenkte. Eigentlich war es egal, wen der beiden Konkurrenten Senator Koreth für seinen Nachfolger bevorzugte, letztlich war es die Entscheidung des Volkes, das einen der beiden Männer in den Rat wählen würde; den, der den Leuten mehr zusagte.

„Wahlkampf ist eine anstrengende Sache.“, meinte der Alte dann in aller Ruhe, als sie in einem kleinen Teehaus in Taiduhr saßen und sich bedienen ließen. „Es kommt darauf an, was Ihr hermacht, ob Ihr das Volk mehr von Euch überzeugen könnt als Norit von sich. Große Versprechen machen sie dann alle, manche lügen den Leuten das Grüne vom Himmel herab, damit sie gewählt werden. Und wenn dann nichts von den Versprechen eingehalten wird, ist das Geschrei groß. Ich weiß, dass Ihr nicht so ein Aufschneider seid… bei Norit bin ich mir nicht sicher. – Kurzum, es geht hier einzig um Eure Vorzüge Norit gegenüber. Was habt Ihr, das er nicht hat?“ Der jüngere Mann raufte sich verlegen die Haare.

„Einen fürchterlichen Akzent…“ Senator Koreth lachte.

„Ach, es ist viel sauberer geworden. Damals, als Sagal mir Euch vorgestellt hat, klang Eure Hochsprache noch ziemlich verschwommen, Ihr habt sehr fleißig geübt. Nein, das wird nicht das Problem sein. Euer Akzent ist überdies ein angenehmer, die Akzente aus Fann oder Ostjanami sind fürchterlich für die Ohren, finde ich…“ Er nahm einen Schluck Tee. „Ich wünsche mir sehr, dass Ihr die Stelle bekommt, Herr Lyra. Ich kann dafür nur wenig tun, ich kann Euch nur vorbereiten. Wenn Ihr es wünscht, tue ich das gern. Norit hat dafür seinen Vater, ungerecht behandelt wird also niemand. – Ihr habt ihm gegenüber den Nachteil, dass Ihr nicht von hier seid. Norit wurde hier geboren und kennt die Provinz sehr gut, ebenso die Macken bestimmter Regionen. Ihr allerdings habt den sehr schweren Vorteil, dass Ihr direkte Verbindung zum König höchstpersönlich habt… ich bin mir nicht sicher, ob Euch bewusst ist, dass das wirklich viel wiegen wird…?“

„Im Guten?“, wunderte Puran sich, „Dann ist es ja praktisch…“

„Ich denke, es ist etwas Gutes, ja. Das bedeutet, wenn es Probleme im Volk gibt, und sich die Leute an den Senat wenden, wissen sie, dass ihr Problem zur Not gleich noch eine Ebene höher getragen werden kann. Zum Beispiel im Falle einer Hungersnot oder Ähnlichem ist das ziemlich nützlich, die Leute werden das gut finden. – Dass Ihr Schamane seid, hat natürlich zwei Seiten; manche der Nichtmagier werden es nicht begrüßen, dass jetzt auch Magier höhere Positionen besitzen dürfen. Aber sämtliche Magier – und davon gibt es hier in Thalurien gerade sehr viele – werden das natürlich gutheißen; würde mich wundern, wenn nicht. Damit ist schon mal mindestens die Hälfte aller Leute auf Eurer Seite. Es haben ja nicht alle Nichtmagier ein Problem damit wie Norit. – Es geht hier um Vorteile, Dinge, die Ihr Norit voraus habt. Und hinzu zu allem, was ich erwähnt habe, kommt… auch, wenn ich weiß, dass Ihr das nicht gutheißen werdet… die Tatsache, dass Ihr den Kaiser der Zuyyaner getötet habt.“ Darauf trank er einen Schluck Tee und Puran wich seinem Blick schweigend aus.

„Das werde ich nicht mit noch einem Kaiser tun.“, erklärte er, „Selbst, wenn ich es könnte. Ich habe geschworen, niemals wieder jemanden zu töten… dieses Schlachten muss ein Ende finden…“

„Ja, ich weiß.“, meinte der Ältere dumpf. „Das war weise. Es wird auch keiner erwarten, dass Ihr noch einen Kaiser tötet… es reicht das Wissen, dass Ihr das mit einem getan habt. Erst, als Ihr das getan hattet, fingen die Zuyyaner an, sich zurückzuziehen; wenn wir Glück haben, habt Ihr den Krieg beendet.“
 

Puran glaubte nicht so recht daran, dass der Krieg tatsächlich vorüber war. Und selbst, wenn er es gewesen wäre, dann würde bald ein neuer kommen. Als er am Abend zurück ins Dorf kehrte, war er müde und schlecht gelaunt. Er kam sich ungerecht Leyya gegenüber vor, als er die Kutsche vor dem Zaun von Lorana anhalten ließ, die Koreth ihm bestellt hatte, ausstieg und dem Kutscher Trinkgeld gab. Der Mann bedankte sich und fuhr in die Dunkelheit davon. Puran seufzte, raufte sich erschöpft die Haare und fragte sich ernsthaft, ob er krank war. Wenn er schon so durchdrehte, bevor er überhaupt richtig arbeitete, war er dann überhaupt fähig dazu? Aber die ganze Situation zehrte seine Nerven mehr aus als es der ganze Krieg gegen Zuyya getan hatte, so hatte er das Gefühl; das war doch albern. Wurde er jetzt bescheuert?

Er hatte ein schlechtes Gefühl, als er nach Hause kam, die Tür öffnete und seine Familie mit einem matten Murmeln begrüßte. Er konnte nicht sagen, was es war, aber schon den ganzen Tag hatte er das Gefühl, dass ein Schatten an seinem Geist zerrte und seine Laune deshalb so furchtbar war.

Karana weinte. In den letzten paar Tagen quengelte das Baby oft… das hatte er bisher eher selten getan. Vielleicht war er krank?

„Du bist daheim…“, wurde er dann von Leyya begrüßt, die in den Flur kam, während er sich schweigend Schuhe und Mantel auszog. Als sie von ihm einen bitteren Blick fing, wagte sie nicht, ihn zu umarmen oder zu küssen und senkte bedrückt den Kopf. „War… dein Tag schlecht?“, flüsterte sie dann verlegen.

„Scheißtag.“, war seine knappe Antwort, „Ich weiß auch nicht. Ich habe absolut keinen Bock, morgen wieder nach Vialla zu fahren. Vielleicht sollte ich alles schmeißen und Reisbauer werden.“ Mehr sagte er nicht und schockiert starrte sie ihm nach, als er schnurstracks an ihr vorbei in die Stube stampfte, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Ihm entging ihr verletzter Gesichtsausruck nicht und er seufzte, vor der Badezimmertür anhaltend, und drehte doch den Kopf zu ihr. Entschuldigend blickte er sie kurz an. „Vergib mir, ich… bin am Ende meiner Kräfte, das… ist alles… ich wollte nicht grob werden… ich… ach, verdammt, ich gehe baden… lass mich am besten eine Weile in Ruhe, dann bin ich vielleicht erträglicher.“

Leyya kümmerte sich um das Baby und tat eine Weile, wie er es wünschte. Karana jammerte unruhig auf ihren Armen, während sie ihn wiegte und versuchte, ihn zu trösten. Sie sorgte sich etwas… sie hatte ihn gründlich untersucht, aber keine Anzeichen einer Krankheit finden können, so fragte sie sich, was mit dem Kind war. Vielleicht steckte Purans schlechte Laune den Kleinen einfach an… nach einer Weile beruhigte sich das Baby endlich und schlief ein, sodass sie es in sein Bettchen legen konnte. Dann ging sie doch ins Badezimmer.

„Liebster… sprich doch mit mir.“, bat sie dumpf, als er den Kopf hob und sie die Tür anlehnte; so könnte sie das Baby hören, wenn etwas war, aber die Wärme des Zimmers würde nicht großartig verloren gehen. Die Badewanne, die sie hier hatten, war natürlich nicht zu vergleichen mit der im Palast des Königs. Es war nur eine relativ große Zinkwanne, aber zu zweit passten sie nicht hinein. Leyya passte mit dem Baby hinein, das war schon mal etwas… die kleine Frau stellte keine Ansprüche. Sie war glücklich, solange ihre Familie alles hatte, was sie brauchte.

Sie holte sich den kleinen Schemel aus der Ecke des Badezimmers und stellte ihn neben die Wanne, um sich zu ihrem Mann zu setzen, der etwas lustlos seine Füße einseifte.

„Ich komme mir ja selber schon albern vor.“, murmelte er dabei grummelnd, „Sag, stelle ich mich an, Leyya?“

„Ein bisschen. Ich verstehe dein Problem nicht… ist es die Akademie? Oder sind es die Senatoren in Taiduhr? Es… ist doch gut, wenn du eine Stelle da bekommst… es ist dichter dran als wenn du in Vialla Senator wärst…“

„Ja, das weiß ich. Ich finde es auch gut, ich habe diese Verbindung nur dem alten Sagal zu verdanken – es war wirklich Glück, dass wir hier gelandet sind. Ich… weiß das zu schätzen, glaub mir. Es… ist nur… irgendwie fühle ich mich verloren.“ Sie blickte ihn an und strich ihm dann zärtlich über den Nacken.

„Ich bin doch bei dir… ich lasse dich nicht alleine. Ich werde hinter dir stehen. Selbst dann, wenn du Reisbauer werden solltest.“ Sie lächelte amüsiert und über sein Gesicht huschte auch ein kurzes Grinsen.

„Reisbauer… nein, dafür bin ich echt nicht gemacht! Mit meiner behinderten Zitterhand, niemals!“ Er gluckste und sah auf seine linke Hand mit der Narbe, die von der Wunde geblieben war, die er dem zuyyanischen Kaiser zu verdanken hatte. Sie beugte sich herüber und küsste seine Wange.

„Jetzt sei nicht so maulig, Puran. Du bist ja schlimmer als das Baby, das quengelt doch schon genug! Mir reicht einer von euch, der jammert. Du bist nervös, ich weiß… ich glaube daran, dass du den Posten in Taiduhr bekommst! Das ganze Dorf steht doch hinter dir, wir alle wählen dich.“

„Das Problem ist, wenn ich nicht nur Nettigkeitspunkte bekommen will, muss ich mich vermarkten können, und darin bin ich so unbegabt… du kanntest meine Mutter! Du glaubst nicht, dass man bei so einer Mutter ein großes Durchsetzungsvermögen bekommt…“ Er verdrehte die Augen und sie lachte leise.

„Du bist nur zu bescheiden, das ist alles. Es gefällt dir nicht, dich selbst als toll darzustellen… dabei bist du das doch! Ich finde dich toll.“

„Na, immerhin eine hier im Haus.“

„Zwei.“, korrigierte sie glücklich, „Karana findet dich auch toll!“ Sie lächelte und er seufzte tief, während er seinen Fuß wieder ins Wasser sinken ließ und sich die nassen Haare raufte.

„Es ist nicht nur der Stress, der mir an die Nerven geht.“, murmelte er dann leiser und sie wurde wieder ernst und zog die Brauen hoch.

„Wie…?“

„Es ist irgendwie… so eine Unruhe in mir… obwohl Ulan Manha jetzt Scharan heißt und auf Ghia ist… ich sollte doch beruhigt sein, oder? Aber ich bin es irgendwie nicht, und irgendein Instinkt sagt mir, dass es nicht an der Arbeit liegt. Ich schlafe schlecht und weiß nicht mal genau, wieso eigentlich… und dass ich dann übermüdet bin macht auch nichts besser. Ich sollte mich viel mehr um dich und Karana kümmern, und dass ich das nicht kann macht mir so ein furchtbar schlechtes Gewissen… ach, ich habe einfach das Gefühl, die Welt wächst mir über den Kopf! Alle erwarten Großes von mir und ich glaube, ich bin zu klein…“ Er unterbrach sich, als Leyya sich erhob und ihn liebevoll umarmte. Verblüfft sah er sie an, ließ aber zu, dass sie sich zärtlich gegen ihn drückte und seinen Hals küsste.

„Ich liebe dich.“, versetzte sie leise und ein Schauer lief ihm über den Rücken, als sie von ihm abließ und ihn mit einem so liebevollen und aufopfernden Lächeln ansah, dass er kurz seine Sorgen vergessen musste. Sie war so hübsch, wenn sie lächelte… wie konnte sie ihn so zärtlich ansehen, nachdem er seit Tagen und Wochen so ungerecht zu ihr war? „Pass auf, ich habe eine tolle Idee, Schatz.“, flüsterte sie da verschwörerisch, „Ich mache dir einen schönen Tee zur Entspannung – Kaffee regt dich doch nur auf, du sollst dich doch ausruhen. Und dann sorge ich dafür, dass du dich besser fühlst und gut schlafen kannst. Vertrau mir, ich kann das. Ich bin schließlich Heilerin… da sollte ich auch deine gestresste Seele heilen können.“ Sie zwinkerte und er hüstelte, als er eine dunkle Ahnung bekam, in welche Richtung ihr Vorschlag eigentlich lief.

„Zumindest… kannst du es versuchen.“, murmelte er gedämpft, als sie sich aufrichtete und leise kicherte. „Ich hoffe, dein Tee macht mich nicht betrunken oder so, ich ahne Furchtbares.“
 

Puran hatte keine Ahnung, was sie in ihren Tee getan hatte, aber es war tatsächlich hilfreich; nicht nur der Tee. Seine Frau war eine gute Heilerin… er hatte schon vor Jahren das Gefühl gehabt, dass allein ihre Anwesenheit die Sorgen in seinem Geist vertreiben konnte. Wenn auch immer nur vorübergehend. Sie waren in den letzten Wochen fast nie dazu gekommen, sich das Bett zu teilen, und es jetzt zur Abwechslung einmal wieder zu tun war angenehm. So viel der kleine Karana auch am Tag herum gejammert hatte, in der Nacht schlief er wie ein Stein und ließ sich gar nicht stören von den Geräuschen seiner Eltern, die im selben Zimmer schliefen. Das Haus hatte nur eine Wohnstube, die gleichzeitig das Schlafzimmer war; das Bett war mit einer kleinen Trennwand aus Holz und Papier vom Rest des Zimmers abgeschirmt. Aber Geräusche dämpfen konnte die kleine Pseudo-Wand natürlich nicht.

Die Schatten der Vergangenheit versuchten in der Nacht, Puran wieder einzuholen, aber dank Leyyas Tee nahm er sie nur am Rande in seinen Träumen wahr, verschwommene, schwarze Silhouetten, die ihm keine Angst mehr einjagen konnten. Und das Kichern der Geister in seinem Kopf konnte er zur Abwechslung einmal getrost ignorieren. Es war die erste Nacht seit Ewigkeiten, so erschien es ihm, in der er richtig gut schlafen konnte. So fiel ihm der Abschied am nächsten Morgen und die etwas längere Reise nach Vialla nicht ganz so schwer wie sonst, obwohl es ihm leid tat, dass sein Baby immer noch unglücklich herum jammerte, wenn er es wagte, das Haus zu verlassen.

Wenn Puran nach Vialla fuhr, um die Akademie zu besuchen, blieb er gleich ein paar Tage dort. Ab und zu musste er ohnehin wegen der Ratstreffen in die Reichshauptstadt, in der er so lange Zeit gewohnt hatte. Für die Zeit, die er in Vialla war, wohnte er in einem kleinen Zimmer mit kleiner Kochstelle und Badezimmer in einem der vielen Hofhäuser im Beamtenviertel. Es waren viereckige Bauten mit einem Hof in der Mitte, in den Gebäuden rund um den Hof herum waren viele kleine und größere Zimmer, die man mieten konnte. Es gab viele Menschen, die in der Woche in der Stadt arbeiteten und am Sonntag zurück zu ihrer Familie in die umliegenden Dörfer fuhren, für solche Leute waren die kleinen Zimmer in den Hofhäusern ideal. Der König hatte ihm, als Puran zum ersten Mal von Lorana aus zurück in die Stadt gekommen war, zuerst ein Gemach im Schloss anbieten wollen, aber der Herr der Geister hatte das dann doch etwas sehr protzig gefunden den anderen Studenten der Akademie gegenüber, wenn er fröhlich aus dem Palast des Königs getanzt kam… es war so schon mitunter nicht ganz leicht, die beleidigten Blicke zu ertragen, die man ihm mitunter zuwarf.

„Der Liebling des Königs persönlich, ah ja.“ , murmelten die Leute dann und rümpften die Nasen, „Der sich hier eingekauft hat ohne eine Spur Talent zu beweisen, während wir teuer bezahlen müssen, um hier lernen zu können. Aber nur mit einer guten Verbindung zum Königshaus wird man noch lange kein guter Politiker.“

Puran verstand die Leute gut, dass sie so redeten. Es war wirklich nicht ganz gerecht… aber ganz so bescheiden, dass er deshalb beschämt den Kopf hängen ließ, war er dann doch nicht. Das hätte es auch nur schlimmer gemacht, so überhörte er gekonnt das Getuschel; ja, er hatte pures Glück gehabt, dass er hier gelandet war, aber talentfrei war er verdammt noch mal nicht. Senator Koreth in Taiduhr war nicht von ihm überzeugt, nur weil er Dasan Sagals Bekannter war. Der König mochte keine Ahnung haben, die Aufgaben eines Monarchen waren schließlich ganz anders als die der Senatoren, aber Koreth würde wohl wissen, wovon er sprach.

Es war, obwohl er so oft nach Vialla kam, immer wieder seltsam, die Stadt zu betreten. Er kam von Westen; aus der Richtung waren sie damals vor Jahren auch gekommen, als sie Vialla zum ersten Mal betreten hatten. Immer, wenn er durch das gigantische Tor ritt, erwartete er, dass hinter ihm seine Eltern sprachen oder dass hinter irgendeiner Ecke Meoran und die kleine Saidah hervor kamen… er vermisste sie alle. Meoran nur viermal im Jahr bei den Ratssitzungen zu sehen war viel zu wenig… Puran bedauerte mitunter, dass sein Lehrmeister so weit weg gezogen war. Für ihn war die Reise viermal im Jahr nach Vialla viel weiter als für ihn selbst. Seine Tochter ließ er dabei daheim; Puran hatte Saidah seit dem Tag, an dem sie sich vor Karanas Geburt hier verabschiedet hatten, nie wieder gesehen. Sie war jetzt schon sechs Jahre alt… er wusste gar nicht, ob sie zur Schule ging.

„Ach, was verplempere ich meine Zeit.“, seufzte er und sah an den Toren empor, die er gerade durchschritten hatte, ehe er dem treuen Pferd des Königs die Sporen gab, um seinen Weg etwas eiliger fortzusetzen; er hatte noch einiges für die Akademie zu tun. Plötzlich schmerzte ihn der Gedanke, seine hübsche Frau und sein Baby für mehrere Tage nicht sehen zu können; aber der Weg nach Vialla war einfach zu weit, um jeden Tag hin und zurück reiten zu können…

„Hey, verdammt! Pass doch auf, wo du hingehst mit dem Gaul, du Penner!“, wurde er da aus seinen Gedanken gerissen und erschrocken zog er die Zügel zusammen, als das Pferd laut wieherte; aus einer Seitenstraße war von rechts plötzlich eine junge Frau gekommen, die das Tier dank Purans Unachtsamkeit beinahe überrannt hätte. Jetzt machte es einen Satz zur Seite und der Frau fiel ein Stapel Pergamente aus den Armen, den sie getragen hatte. „Na toll!“, schimpfte sie verärgert, als Puran herumfuhr, „Ich werde dir Beine machen, du blinder Hornochse, hast du Tomaten auf den Augen?!“

„Entschuldigt, das war keine Absicht…“, seufzte er nur verlegen und tätschelte das erschrockene Pferd, während die Frau auf der Straße empört das Gesicht zu ihm wandte. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und er sah, wie sie plötzlich erstarrte und bleich wurde. Zuerst fürchtete er, sie würde zusammenbrechen – erst, als sie den Mund auftat, fiel ihm auf, dass die im selben Dialekt sprach wie er.

„Das ist nicht möglich…“, keuchte sie gerade und vergaß die Papiere, die sie aufzusammeln begonnen hatte, sie ließ alles wieder fallen und schnappte heftig nach Luft. „D-das… ist ein übler Scherz der Geister, oder irre ich mich…?“ Er sah, wie sie zitterte, und nachdem er sie lange genug entsetzt angestarrt hatte, fiel es ihm wie Schuppen von dem Augen. Er erbleichte ebenfalls, als er sicher war, dass er keine Trugbilder sah.

Alona?!“
 

Er hatte seine Cousine beinahe acht Jahre nicht gesehen. Es war nicht verwunderlich, dass er sie beinahe nicht erkannt hätte – das bockige Mädchen, das er im Feuer des Krieges in Dokahsan aus den Augen verloren hatte, war plötzlich eine bildschöne, erwachsene Frau. Er sprang von seinem Pferd und es war ihm völlig egal, ob er den ganzen Verkehr aufhielt, weil das Tier mitten auf der Hauptstraße stand – seine Cousine! Sie war am Leben, sie war hier! Ohne weitere Worte schloss er sie in die Arme und sie fing an zu weinen vor Fassungslosigkeit; er musste sich wirklich beherrschen, um nicht auch gleich mit zu weinen – das konnte doch nicht wahr sein! Plötzlich tauchte sie aus dem Nichts auf, beschimpfte ihn und war einfach da…

„Du bist so ein Weichei!“, begrüßte sie ihn heulend, indem sie an seinem Hals hing, „Du bist ein Mann, wehe, wenn du jetzt flennst! Ich darf das, ich bin eine Frau!“ Er ließ sie los und fasste zitternd ihre Wangen, starrte ihr schönes Gesicht an und konnte nicht anders als hysterisch zu lachen.

„U-und was für eine! Sieh dich an… du bist eine richtige Dame geworden…!“

„Und ich habe gewusst, dass heute irgendetwas passieren würde!“, versetzte sie und wischte sich leicht verlegen die Augen, „Ich bin aufgewacht und die Geister haben gesagt, heute ist ein guter Tag! I-ich habe nicht geahnt, dass so etwas geschehen würde-…“ Sie strahlte ihn mit verheultem Gesicht an und sie umarmten sich erneut, weil sie gar nicht wussten, was sie sagen sollten. Was sagte man, wenn man sich fast acht Jahre nicht gesehen hatte und nicht mal sicher gewesen war, ob der andere überhaupt noch lebte… ob man ihn je wiedersehen würde?

Hallo, schön, dich zu sehen?

Wohl kaum…

„Was zum Geier machst du hier?!“, fragte er dann, als er sich etwas gefasst und das Pferd an den Rand der Straße gezogen hatte, wo sie jetzt vor einem der hohen Gebäude standen. Alona hatte ihre Pergamente aufgesammelt und hielt sie unter einen Arm geklemmt, mit der freien Hand strich sie sich ein paar der langen, braunen Haarsträhnen hinter die Ohren. „Ich meine… in Vialla, d-du bist doch noch nicht lange hier?!“

„Nein, seit gestern.“, behauptete sie, „Ich wohne auch nicht hier, ich bin kurzfristig hier, weil ich Kopien von alten Dokumenten suche, die in der Bibliothek in Yiara verbrannt sind beim Angriff, ich will sie ausleihen und noch mal kopieren lassen, damit da oben wieder alles vollständig ist; aber dasselbe könnte ich dich fragen! Was hast du hier verloren, einfach so, und wieso hast du ein Pferd, und… Himmel…“ Sie zerrte plötzlich an seinem schwarzen Umhang herum und strich mit zwei Fingern andächtig über den Pentagramm-Anstecker, „Du… bist Mitglied des Geisterjägerrates…“

„Schon lange…“, machte er verwirrt, „Wie, Bibliothek in Yiara, was machst du denn da? – Verdammt, wir können doch nicht hier auf der Straße so quatschen, setzen wir uns in ein Lokal und trinken Tee? Ich lade dich ein, dafür reicht mein Kleingeld noch…“
 

„Es ist Wahnsinn, dich plötzlich vor mir zu sehen.“, murmelte die junge Frau leise, als sie wenig später in einem kleinen Teehaus saßen und tranken. Sie musterte ihn und seufzte, ehe sie an ihrer Tasse nippte. „Scheiße, du bist ein bildhübscher Mann. Beinahe schade, dass du mein Cousin bist.“ Er musste doof lachen.

„Ja, ja, erst bin ich ein Weichei und dann plötzlich hübsch, du kannst mich gern haben… ach, ich habe es vermisst, von dir aufgezogen zu werden… wie habe ich das jahrelang ausgehalten?“

„Du Missgeburt.“, seufzte sie und sie lachten herzhaft ohne wirklichen Grund. Alona wurde schnell wieder ernst, strich sich wieder Haare hinter die Ohren und seufzte. „Ich habe oft von dir geträumt. Ich habe… einiges gesehen. Von deinen Eltern. Es tut mir wahnsinnig leid… ich habe geweint, als ich von ihrem Tod erfahren habe. Es war in dem Moment, in dem ich erst verstanden habe, was du gefühlt hast, als die Geister dir von Cholenas Tod gesagt haben… damals habe ich dich für wahnsinnig gehalten.“ Er sagte nichts und sah bedrückt auf seine Teetasse.

„Wir haben auch von Onkels Tod mitbekommen. Vater war völlig fertig… ich habe ihn nie so erlebt. Und meine Mutter auch nicht, nachdem Vater gestorben war… es war… so grauenvoll, mit ansehen zu müssen, wie jemand so unmenschlich leidet.“ Sie schwiegen betreten. Puran nahm einen Schluck Tee. „Wie geht es deiner Mutter?“ Alona drehte den Kopf zur Seite und räusperte sich.

„Schlecht.“, war die Antwort und ihr Cousin keuchte.

„W-was…?!“

„Sie ist schwer krank. Sie liegt die meiste Zeit im Bett, manchmal hustet sie Blut. Die Heiler in Yiara sagen, es sei die Schwindsucht… offenbar gibt es nichts zu machen als abzuwarten, dass es vorüber geht.“ Sie beide sahen sich kurz an und Puran wusste, dass sie nicht die Krankheit meinte, die vorübergehen würde. Diese Nachricht war erschütternd und er vermochte darauf nichts zu sagen. Seine Tante lag im Sterben? Das minderte alle Wiedersehensfreude extrem.

Die junge Frau seufzte kurz.

„Ich weiß, das… trifft dich. Ich lebe damit jetzt eine Weile, es ist grausam, aber man lernt es zu akzeptieren… bin ich taktlos, wenn ich das Thema wechseln möchte?“

„Ja…“, machte Puran heiser und sie sah bestürzt, dass es ihn mehr mitnahm als sie befürchtet hatte.

„Puran… entschuldige, das war nicht sehr feinfühlig von mir…“ Sie hob eine Hand, aber er wehrte sie ab, als sie nach seinem Arm fassen wollte, und drehte sich weg.

„Vergib mir – d-das… muss ich erst mal begreifen. D-du setzt dich hierhin und sagst mir, dass deine Mutter die Schwindsucht hat! Ich meine-… d-das… mir ist schlecht.“ Sie senkte den Kopf und nachdem sie lange geschwiegen hatten, schien er sich etwas zu fangen und fuhr sich über das bleiche Gesicht. „Ich… b-bist du sicher, dass man nichts tun kann?“

„Zumindest sagen das die Heiler in Yiara. Wir wohnen da seit wenigen Jahren. Nachdem mein Vater gestorben ist, haben wir es geschafft, in der Stadt zu bleiben, ohne von den Zuyyanern zerfetzt zu werden. Sie sind bald aus Yiara verschwunden. Die Stadt sieht grauenhaft aus, fast alles wurde zerstört, nur wenige Teile sind heil geblieben. – Trink Tee, Puran, bitte. Ich gebe dir Zucker, das macht dich fit.“ Sie tat ihm einen Löffel Zucker in den Tee und er trank hastig einen Schluck. Jetzt war er bereiter dafür, das Thema zu wechseln.

„Du… lässt sie alleine da oben? Was machst du jetzt hier mit der Bibliothek?“

„Sie ist nicht alleine, unser Nachbar kümmert sich freundlicherweise, ich verstehe mich sehr gut mit ihm. Netter Kerl. – Ich arbeite in der Bibliothek. Ich bin dabei, die fehlenden Stücke, die verbrannt sind, zu ersetzen. Von vielen gibt es Kopien in anderen Städten – zum Beispiel hier. Ein Werk zu kopieren ist sehr aufwendig und kostet viel Geld, aber irgendwie lässt sich das sicher einrichten.“ Sie sah dabei auf ihre Tasse und er fuhr sich noch immer etwas verstört durch die Haare.

„Ah…“, machte er geistreich und trank seinen Tee aus, „Das… ist natürlich gut. Wie bist du hergekommen?“

„Per Teleport natürlich.“, stellte sie klar, „Die Zuyyaner sind zwar gerade weg und man kann wieder durch das Land reisen, aber so geht es doch extrem viel schneller. So eine weite Strecke kostet natürlich ziemlich Kraft, aber ich kriege es hin. Ich vertrete meine Mutter im TO, weil sie nicht aufstehen soll. Oder den paar, die davon oben in Dokahsan geblieben sind im Krieg. Ich habe gehört, die andere Hälfte des Ordens war hier.“

„Ja, das ist richtig. Findet ihr euch denn jetzt wieder zusammen?“

„Ja, wir haben letztes Jahr im Wintermond ein Treffen in Yiara gehabt. Der König hat ja befohlen, dass sich alle Räte regelmäßig hier in Vialla versammeln und ihm Bericht erstatten, das heißt, ich werde wohl öfter hier sein. – Jetzt erzähl doch mal von dir, was hast du hier zu suchen?“

„Eigentlich…“ Er sah nach der nicht sichtbaren Sonne, um die Tageszeit zu erraten, „Sollte ich in der Akademie für Politikwissenschaften sein… ach, das kann warten.“ Sie hob eine Braue.

„Nein.“, machte sie, „Ich habe irgendwie geahnt, dass du in diese Richtung schlägst. Kommt von Großmutter, sie wäre die geborene Politikerin gewesen, dumm nur, dass Frauen da nichts verloren haben.“

„Ja, das habe ich auch schon gehört von Vater… wir werden sehen, was passiert. Wenn ich Glück habe, bekomme ich im Sommer eine Stelle in Taiduhr, im Frühling sind die Abschlussprüfungen. Dafür, dass ich so blöd hin und her fahren muss, ging das recht fix.“ Sie schnaubte.

„Taiduhr? Thalurien, du wohnst in Thalurien?“

„Das Dorf heißt Lorana. Es ist ein schöner, freundlicher Ort. Die Leute da sind wahnsinnig gutherzig, sie haben uns quasi die Haut gerettet, als ich im strömenden Regen mit meiner in den Wehen liegenden Frau da reingeplatzt bin…“ Er hatte vergessen, dass seine Cousine Leyya nicht kannte – die junge Frau hustete und verschluckte sich fürchterlich mit ihrem Tee, dann starrte sie ihn mit offenem Mund an.

„Wie jetzt – wie bitte?! Du hast eine Frau?! Und ein Kind?!“

„Hey.“, schnaufte er nur, „Ich bin vierundzwanzig! Das ist doch normal in meinem Alter, normaler wäre, wenn ich drei Kinder hätte, oder so… hat bei mir halt etwas gedauert…“ Sie starrte ihn an.

„Du idiotischer Sack!“, schalt sie ihn, „Da schmollst du wegen meiner Mutter und sowas erzählst du als wäre es nichts! Wo kommt die Frau her? Cholena kann es ja nicht sein…“

„Ihr Name ist Leyya, sie ist eine großartige Heilerin. Wir haben sie in Makar gefunden als kleines Mädchen, kurz nachdem wir Dokahsan verlassen haben.“

„Moment, wenn sie vor acht Jahren noch ein kleines Mädchen war, kann sie jetzt aber noch nicht richtig erwachsen sein, oder?“ Er hüstelte.

„Sie ist fünfzehn… einhalb.“ Puran sah seine Cousine die Luft hörbar aus ihrem Mund auspusten.

„Und schon Mutter? Na, du bist aber ein Schwerenöter, konntest es wohl nicht abwarten. Sieht dir ähnlich, du Penner…“ Sie musste verhalten grinsen und er errötete verlegen und betete, dass sie niemand im Teeladen gehört hatte.

„Du würdest dich wundern.“, brummte er so bloß, „Was ist mit dir? Wieso bist du denn nicht verheiratet?“ Sie schnaufte.

„Ich heirate nicht. Ich sehe gar nicht ein, irgendeinem Kerl seinen Dreck hinterher zu fegen, und Kinder will ich auch keine. Das mit Kannar… war leider nicht so lange wie es hätte sein können. Ich hoffe, du schweigst jetzt nicht wieder ewig, wenn ich dir sage, dass er tot ist… es tut mir leid, Puran. Er… ist schon lange vor Vater gestorben, wir sind eine Zeit lang gemeinsam herum geirrt im Land. Die Zuyyaner haben ihn halt eines Tages erwischt.“ Ihr Cousin stöhnte.

„Ich… fühle mich jetzt wirklich unwohl! Kannar ist tot?! Würde mich wundern, wenn überhaupt noch irgendjemand am Leben ist, den ich mal kannte…“ Sie gab ihm einen Schlag auf den Arm. „Au…“

„Hey! Bin ich etwa niemand, Puran?!“
 

Der Krieg und die grauenhaften Erfahrungen hatten seine Cousine zweifelsohne abgehärtet, dass sie so leichtfertig über den Tod ihres Freundes und vielleicht ihrer Mutter sprechen konnte. Puran war sich nicht sicher, ob er sie darum beneiden oder bemitleiden sollte… er war froh, dass sie vom Tod seiner Eltern vorher gewusst hatte. Leuten, die man gern hatte, so eine fürchterliche Nachricht zu überbringen war beinahe schlimmer als der Verlust an sich, hatte er gelernt.

Die Sache mit der Akademie war für ihn für den Rest der Woche gelaufen. Seine Cousine war hier – er hatte sie seit Jahren nicht gesehen, wie sollte er sich so auf das Studium konzentrieren, wenn er viel lieber mit ihr Zeit verbringen wollte? Da war es doch klüger, es gleich aufzugeben, beschloss er weise, als sie den Nachmittag in der Teestube verbracht hatten und schließlich wieder auf der Straße standen.

„Hast du… noch Zeit, Alona? Oder musst du deinen Kram mit den Kopien jetzt gleich erledigen? Ich würde dich so gerne mit nach Lorana nehmen und dir meine Frau vorstellen… ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, es gibt so viel, da sich dir erzählen möchte! Es hat sich einfach so viel zugetragen, während wir getrennt waren…“

„Was ist denn mit dir?“, schnaubte sie darauf, „Ich habe noch bis morgen Zeit. Aber du solltest doch brav studieren, Cousin…?“

„Das kann ich auch wann anders tun… es gibt jetzt Wichtigeres. Du bist hier!“ Er grinste sie an und sie schnaubte erneut, ehe sie kurz lächeln musste und ihn in die Seite boxte.

„Nicht zu fassen… ich wusste nie, dass du mich so sehr liebst. Aber weil du so lieb bittest… einverstanden, ich nehme dein Pferd und du rennst neben mir her.“ Ohne seine Antwort abzuwarten schwang sie sich schon auf das Reittier, das vor dem Teehaus gewartet hatte, und er hob entrüstet die Arme.

„Du verdammte-… das dauert doch ewig!“
 

Die Dorfheilerin Chitra strich Baby Karana über den kleinen Kopf und sah ihn dabei nachdenklich an. Das Kind saß auf dem Fußboden der Stube auf einem Fell, auf dem er oft spielte. Es hickste, hatte aber aufgehört zu jammern und beobachtete die Frau mit den kurzen, blonden Haaren aufmerksam. Er hatte Chitra schon oft gesehen, er kannte sie. Ihren Namen konnte er noch nicht aussprechen, bei ihm war sie Chida.

„Jetzt ist er ganz ruhig!“, seufzte Leyya, die mit einem Teebecher in die Stube kam, „Aber er hat immerzu geweint in den letzten Tagen, vor allem gestern und heute morgen… und ich dachte, vielleicht weißt du Rat…“

„Ich glaube nicht, dass er krank ist.“, meinte die Ältere grübelnd, „Er hat kein Fieber und sieht sehr gesund aus. Hast du versucht, seinen Bauch zu reiben? Vielleicht hat er Verstopfung oder so.“

„Nein, das ist es nicht, da bin ich sicher.“, meinte die junge Mutter betreten. Chitra schwieg kurz, dann schob sie ihren Finger zwischen Karanas Lippen und öffnete vorsichtig seinen kleinen Mund. Leyya sah ihr verblüfft zu, wie sie im Mund des Jungen herum tastete, was Karana nur missmutig über sich ergehen ließ. Er verzog das Gesicht und begann, wütend zu treten, als die Frau seinen Mund behutsam weiter auf hielt und über seinen Kiefer strich. Er hatte schon fast alle Zähne.

„Seine Eckzähne.“, meinte sie dann und blickte zu Leyya, „Sie sind noch nicht da – ich glaube, sie kommen jetzt durch. Wenn die Zähne wachsen, haben kleine Babys immer Schmerzen, das ist normal, hört aber auf, sobald die Zähne durchgebrochen sind. Sieh… hier fühlt es sich spitz an, ich glaube, seine nächsten Zähnchen kommen… und deshalb weint er.“ Leyya keuchte und starrte abwechselnd Karana und sie an.

„Das – das wird es sein! Das gibt es ja nicht, und ich blöde Kuh komme da nicht drauf! Oh nein, vielen Dank, Chitra, ich wüsste nicht, was ich ohne dich wäre! Sie mögen mich im Heilerrat aufgenommen haben, a-aber ich bin so unerfahren…“ Chitra lächelte.

„Das macht doch nichts. Es ist dein erstes Kind. Beim zweiten weißt du alles aus Erfahrung besser. Ihr wollt doch bestimmt noch eins?“

„Oh ja!“, ereiferte sich die Jüngere und strahlte, während sie den Teebecher abstellte und den jammernden Karana auf den Arm nahm. Sie wippte ihn beruhigend auf und ab und er schluchzte nur verbiestert. „Natürlich, ich… wünsche mir viele Kinder! Und Puran auch, wir kommen hoffentlich bald dazu, es ernsthaft zu probieren… in der letzten Zeit ist es so stressig hier, aber ich verstehe ihn ja…“ Chitra lächelte sie an und das Geräusch der sich öffnenden Haustür ließ beide Frauen herumfahren. Leyya machte ein verblüfftes Gesicht. „Entschuldige mich!“, sagte sie eilig zu der anderen Heilerin und lugte in den Flur – und war gänzlich verwirrt. „P-Puran! Du bist ja schon wieder zurück?“

Ihr Mann stand in der Haustür und grinste sie kurz an, als sie zu ihm und der Tür eilte, das Baby noch immer auf den Armen. Karana hickste und war offenbar auch erstaunt.

„Ja… ich bin spontan wieder heim gefahren, es gibt Neuigkeiten, quasi! Entschuldige, störe ich dich etwa, Liebes?“

„W-was, natürlich nicht!“, rief sie und errötete, während Karana das Gesicht verzog und jammerte. Sie wippte ihn tröstend auf und ab. „Was gibt es denn Neues? – Komm doch rein, lieber Himmel, es wird eiskalt!“

„Die Geister spielen seltsame Spielchen mit uns!“, erklärte er ihr, „Ich habe Besuch mitgebracht! Deswegen komme ich ja, ich wollte euch einander vorstellen.“ Er blickte über die Schulter und ehe Leyya hinaus sehen konnte, um zu erfahren, wer wohl kommen mochte, tauchte neben ihrem Mann plötzlich eine junge Frau auf. Moment, eine Frau? Leyyas Blick verfinsterte sich prompt und sie drückte Karana an sich, der nur weiter nölte. Was dachte der sich? Kam früher heim, ließ seine Ausbildung liegen und das für eine Frau? Wie lange kannte er die schon, verdammt?

„Puran…?!“, entrüstete sie sich darauf schon angesäuert und er verstand ihre Reaktion erst mal überhaupt nicht; erst als er ihren Blick noch einmal verblüfft beobachtete, verstand er das Missverständnis.

„Du liebe Güte, für wen hältst du mich?“, murrte er darauf und räusperte sich, während die Frau neben ihm eine Braue hochzog. „Das ist meine Cousine, Alona! Ich habe dir doch von ihr erzählt… wir haben uns zufällig in Vialla getroffen. – Alona, das ist meine Frau, Leyya. Und wie du siehst ist das Baby unser gemeinsamer Sohn, Karana.“ Alona schmunzelte über die Frau ihres Cousins, die jetzt erschrocken und beschämt über ihr Missverständnis errötete und sich rasch verneigte. Die war doch nicht ernsthaft eifersüchtig gewesen?

„Es ist mir eine außerordentliche Ehre!“, rief die Heilerin da schon in Alonas Richtung, „V-vergebt mir meine eigenartige Reaktion, ich-… ich… ach! Puran, du Untier, du hättest mir vorher sagen können, wer sie ist!“ Schnaufend drehte sie sich wieder zu ihrem Mann, der sie kurz anblickte. Dann schob er seine Cousine ins Haus und schloss die Tür.

„Ich freue mich ebenfalls.“, sagte Alona mit einer höflichen Kopfneigung. Sie war ein gutes Stück größer als Leyya, sodass die Jüngere nun zu ihr aufsehen musste. „Und nicht so förmlich, wie ich gehört habe, bist du doch aus dem Bao-Clan, also einer angesehenen Familie. Kein Grund, dich vor mir in den Dreck zu werfen.“
 

Sie setzten sich gemeinsam mit Chitra, die immer noch da war, in die Stube, um Kaffee zu trinken. Leyya war ihr erster Auftritt vor Purans Cousine immer noch peinlich und sie wagte kaum, etwas zu sagen; was war sie für eine pietätlose Frau? Wie hatte sie auch nur im Ansatz denken können, Puran würde irgendeine Tussi mit zu ihr bringen? Oder überhaupt irgendeine Tussi kennen, dann noch in Vialla, weit weg von seiner Frau… wie konnte sie sowas nur denken? Sie würde sich nachher wirklich bei ihm entschuldigen müssen, so dachte sie bedrückt, während sie die Cousine ihres Mannes verhalten musterte. Alona Lyra war eine bildschöne Frau, es war unverkennbar, dass sie und Puran verwandt waren; sie hatten die gleiche Haarfarbe und die gleichen Augen, natürlich sprachen sie denselben Dialekt… Leyyas Sprache unterschied sich von der ihres Mannes eigentlich nicht wirklich, aber für Chitra musste es seltsam sein, von lauter Menschen umgeben zu sein, die im Dokahsan-Dialekt sprachen.

Obwohl sie Alona Lyra nie zuvor gesehen hatte, war es ein Stück Vergangenheit, das sich über das Haus in Lorana legte, als sie sich mit der jungen Frau unterhielten, fand Leyya. Das war Purans Familie – nein, jetzt war es auch ihre. Es freute sie, zu sehen, dass ihr Mann plötzlich allen Stress zur Seite schieben konnte über die Wiedersehensfreude. Er machte einen ganz anderen Eindruck, wenn er nicht so genervt war wie in der letzten Zeit… ohne sich viel am Gespräch zu beteiligen beobachtete sie lächelnd die Verwandtschaft und trank in Ruhe ihren Tee; bis Karana, der neben dem Sofa auf dem Boden gespielt hatte, wieder zu jammern anfing und wild strampelte und sich wehrte, als seine Mutter ihn aufhob.

„Ja, ich weiß… du bist unzufrieden, Karanachen… das geht vorüber! Bald hast du es geschafft…“ Sie hob den Kopf zu Puran, der ihr gegenüber saß. „Wir wissen jetzt, was er hat! Er bekommt die nächsten Zähnchen und ist deswegen unglücklich!“

„Ach!“, machte der Mann verblüfft und Alona zog abermals eine Braue hoch, „Wirklich?! Na, darauf hätten wir früher kommen können… das erleichtert mich… ich habe mir wirklich Sorgen gemacht…“ Er lächelte kurz und sah auf seinen Sohn, der sich unzufrieden jammernd auf dem Schoß seiner Mutter wand und seinem Vater plötzlich auch einen verbiesterten, verwirrten Blick schenkte. Die grünen Augen hatte er von ihm… Karana hatte ein hübsches Gesicht, aber wenn er so finster schaute wie in diesem Moment, konnte er beinahe gruselig aussehen; so gruselig ein kleines Kind eben sein konnte…
 

In dunklen, grauen Schleiern zog die Nacht über Thalurien. Leyya hatte ihr dämliches Verhalten vom Nachmittag wieder gutmachen wollen und hatte der Cousine ihres Mannes angeboten, über Nacht zu bleiben. Der Weg nach Vialla oder gar nach Yiara war weit; dass Alona Telepathin war und sich dadurch teleportieren konnte, übersah Leyya gekonnt… es ging ums Prinzip.

„Das ist sehr freundlich.“, nahm die Ältere das Angebot fröhlich an, „Wenn ich niemanden störe… jetzt kann ich in Vialla sowieso nicht mehr arbeiten, dann gehe ich morgen zurück.“

„Ansos leihen uns bestimmt eine Matte, auf der du schlafen kannst.“, meinte Puran zuversichtlich, als Leyya schon lief, um das Dorfoberhaupt zu fragen, „Die Leute hier sind unheimlich nett zu uns. Ohne diese Leute gäbe es Karana vielleicht jetzt nicht…“ Er lachte kurz, aber es war ein nervöses Lachen, das sie bei ihm als ungewohnt empfand. „Also, ich alleine hätte Leyya nie bei dieser Geburt beistehen können.“

„Das glaube ich, da wäre ja deine Frisur ruiniert gewesen.“, zog sie ihn auf und er errötete, als sie ihm grinsend auf den Kopf griff, bis er sich murrend zurückzog.

„Du legst es aber auch drauf an, meine Gute!“, entrüstete er sich, und ihr nicht ernsthaftes Gezanke wurde von Leyya unterbrochen, die mit der geliehenen Matte zurückkehrte. Sie hatte auch ein Kopfkissen dabei.

„Decken haben wir selbst genug; wo möchtest du schlafen? Hier in der Stube bei uns oder lieber auf dem Flur? Aber hier ist es wärmer…“

„Oh, keine Sorge, ich bin Kälte gewohnt, ich nehme den Flur.“ Sie feixte und Puran schenkte ihr einen warnenden Blick, den sie ignorierte. „Ich will euch doch nicht stören heute Nacht…“ Die Heilerin schnappte erschrocken errötend nach Luft, Puran hüstelte und schob seine Cousine barsch aus der Tür in den Flur.

„Du hast für heute genug gequasselt, Cousine!“, schnarrte er ein wenig verärgert und seine Frau machte ein verwirrtes Gesicht, als er ihr die Matte und das Kissen wegnahm und beides Alona auf den Kopf warf. „Sei nicht so schamlos, das gehört sich nicht für eine Frau! Du bist ja nur neidisch, hah! – Gute Nacht, Alona.“ Letzteres klang wieder versöhnlich und als Alona noch blöd lachte, machte er die Stubentür zu und wandte sich zu seiner Frau um. „Hör nicht auf das alberne Gequatsche, ich fürchte, sie kommt nach ihrer Mutter, die hat auch viel erzählt, wenn der Tag lang war.“ Leyya zog nur die Brauen hoch, als er an ihr vorbei in Richtung der Schlafecke stampfte und dabei erstaunlich eilig begann, sich auszuziehen.

Sukutai – die Gedanken an Alonas Mutter schmerzten ihn plötzlich, als er daran dachte, dass sie vielleicht bald sterben würde. Leyya hatte es auch bestürzt, als sie es gehört hatte, obwohl sie seine Tante nie gekannt hatte. Er seufzte. Die Welt drehte sich zu schnell für ihn. Alles, was er kannte, verschwand und änderte sich… Puran warf einen missmutigen Blick zu den zugezogenen Vorhängen. Da war die Nervosität der letzten Tage wieder. Plötzlich war sie wieder da… für kurze Zeit hatte er geglaubt, an jenem Tag könnte er sich einmal entspannen. Die Geister schienen ihm nichts Gutes übrig lassen zu wollen.

Er legte sich hin und wartete, bis Leyya zu ihm kam, um sie dann zärtlich in die Arme zu schließen und sich seufzend über sie zu rollen. Sie teilten einen liebevollen Kuss und die kleine Heilerin legte die Arme um seinen Nacken, zog ihn zu sich herunter und ließ zu, dass er begann, an ihrem Hals zu knabbern. Eine seiner Hände glitt hektisch an ihrer Hüfte auf und ab, wanderte schließlich nach vorne und etwas tiefer; ebenso seine Lippen, als er sich über ihren Busen beugte und sie mit der Zunge berührte. Leyya errötete und keuchte leise.

„Puran, w-was ist, wenn deine Cousine uns hört…? – L-Liebling, nicht so stürmisch…“

„Dann hört sie uns eben.“, stöhnte er über ihr, erhob sich etwas und pustete sich eine wirre Haarsträhne aus der Stirn, „Ich brauche das jetzt, sonst kann ich nur nicht schlafen, ich merk das schon. Die Geister wollen mich verarschen!“ Murrend senkte er das Gesicht wieder und sie japste erhitzt, als er ihre Knospe zwischen die Lippen nahm und sie zärtlich küsste. Die Frau errötete stärker und wand sich leise seufzend unter ihm, als seine Finger sie auf die Art und Weise berührten und stimulierten, wie sie es gern hatte; er wusste viel zu gut, wie er sie überzeugen konnte. Normalerweise musste er sie nicht überzeugen… aber der Gedanke, dass ihr Besuch sie hören könnte, war ihr peinlich – hatte sie sich vor seiner Cousine nicht schon genug blamiert?

„W-was sagen die Geister denn…?“, wisperte sie verwirrt und in der Hoffnung, es wenigstens so lange hinaus zögern zu können, bis eine Chance bestand, dass Alona auf dem Flur eingeschlafen war – wobei sie es auch nicht wirklich erwartete. Es war ja nicht so, dass sie abgeneigt war… und ihr nun doch ziemlich nervöser Mann ließ sich auch gar nicht auf ihre Frage ein.

„Sprich jetzt nicht. Dann hört sie auch weniger.“ Leyya verdrehte die Augen, weil sie genau spürte, dass er ungeduldig war, und sie umarmte ihn etwas inniger und küsste seinen Mundwinkel, als er sich zu ihrem Gesicht beugte.

„Schon gut… liebe mich, Puran. Irgendwie mag ich es ja, wenn du so drängelst…“ Sie kicherte, als er etwas hüstelte, dann verdrängten beide ihre Verlegenheit und küssten sich erneut.

Wo seine Frau doch zu Beginn so verlegen gewesen war, verwunderte es Puran ein wenig, wie zügellos sie dann plötzlich wurde, als sie sich kurz und intensiv liebten und dabei nicht mehr oder weniger auf ihre Geräusche achteten als sonst auch. Das Baby störte es ja offenbar nie, Karana hatte einen sehr gesunden Schlaf; zumindest hatte er sich noch nie beschwert, wenn sie sich im selben Zimmer das Bett geteilt hatten. Manchmal taten sie dem Kind den Gefallen, es wo anders zu tun, aber da Alona jetzt im Flur schlief, war das auch nicht möglich.

Leyyas Verlegenheit kehrte zurück, als sie fertig waren und einander zufrieden und müde in den Armen lagen.

„Was, wenn sie uns doch gehört hat? Sie wird sicher seltsame Bemerkungen machen, oder…?“

„Nimm nicht ernst, was sie dazu sagt, sie quasselt viel, wie gesagt… sie meint eigentlich nie böse, was sie so sagt. Wir sind wie Geschwister, Geschwister meckern sich halt mal an, ohne es ernst zu meinen. Sie fand es schon als kleines Kind lustig, mich aufzuziehen, störe dich nicht daran. Ich bin das gewohnt.“ Seine Frau seufzte leise und kuschelte sich an seine verschwitzte Brust, als er gähnte und sich mit einer Hand durch die zerzausten Haare fuhr.

„Bist du noch unruhig?“, nuschelte sie dann und er blinzelte. Dann sah er auf sie herab, während sie den Kopf etwas anhob, und er küsste ihren Schopf und gähnte erneut.

„Es wird schon. Ich bin jedenfalls müde… das ist schon mal ein gutes Zeichen. Vielleicht finde ich ja wenigstens Schlaf…“

Das wäre jedenfalls mal etwas Gutes und Seltenes in der vergangenen Zeit…
 

Die Geister gönnten ihm nur wenig Ruhe. Es war in dieser Nacht, als er tatsächlich einmal einfach eingeschlafen war, dass der Schatten aus der Vergangenheit auf eine Weise zurückkehrte, die Puran schon wieder vergessen gehabt hatte; die Himmelsgeister würden niemals etwas vergessen.

Er träumte von gewaltigen Raubkatzen, die über das schwarze Land aus Finsternis jagten, Raubkatzen mit bestialischen Fangzähnen. Sie stoben an ihm vorbei und keuchend fuhr Puran herum, um ihnen nachzustarren. Die Geister zischten in seinem Kopf, es war ein gemeines, bösartiges Zischen, und er schnappte entsetzt nach Luft. Die Raubtiere jagten geifernd über eine blutige Erde, unter dem zornigen Himmel hinweg. Bei näherem Hinsehen erkannte er, worauf sie zuhielten; in der Ferne mitten auf der Tundra stand ein kleiner Junge. Ein kleiner Junge, der ihm selbst so dermaßen ähnlich sah, dass der Geisterjäger kurz dachte, er sähe sein jüngeres Selbst; aber ihm wurde schnell klar, dass es hier nicht um ihn ging… er sah sein zukünftiges Selbst, das Kind, das Leyya zur Welt gebracht hatte.

Seinen Sohn, Karana.

„Lauf weg!“ , wollte er rufen und Panik ergriff ihn, als die Raubtiere auf das schutzlose Kind zu rannten, aber es kam kein Ton aus seiner Kehle. Und er war unfähig, sich zu bewegen, er wollte nach vorne hechten und den Jungen beschützen, sein eigenes Kind… aber es kam alles anders.

Das vorderste der Raubtiere kam direkt vor dem Jungen zum Stehen und das Kind und das Tier starrten einander aus giftgrünen Augen feindselig an. Und Puran keuchte, als die Raubkatze plötzlich menschliche Züge annahm; und er erkannte mit Entsetzen die Fangzähne wieder. Die spitzen Eckzähne, die sein Großvater gehabt hatte, der gefürchtete Tyrann Kelar Lyra. Eine grauenhafte, furchteinflößende Gestalt war es, als das Raubtier plötzlich zu Kelar Lyra wurde, dem Jungen gegenüber stehend. Die anderen Raubkatzen ergriffen quiekend die Flucht aus Angst vor der gewaltigen Macht des Tyrannen, die Puran beim bloßen Anblick in jede Pore drang und die ihn vor Panik zu lähmen schien. Fassungslos sah er zu, wie sein zukünftiges Kind seinem Großvater gegenüber stand, und das Kind erhob die Arme zum Himmel, gebieterisch und mit der herrischen Art eines mächtigen Magiers. In dem Moment, in dem der Kleine und der grausame Kelar einander so gegenüber standen und beide ihre gewaltige, furchtbare Macht in den Himmel ergossen, vereinten sich die gewaltigen Windgeister mit den Bewegungen des Kindes, und es drehte den Kopf, um herrisch empor zu starren und den Mund für einen Tod bringenden Zauber zu öffnen… und Puran hatte das Gefühl, ihm bliebe das Herz stehen.

Das Kind hatte dieselben, grauenhaften Eckzähne wie der Großvater.
 

„Nein!“, schrie er panisch und fuhr aus dem Schlaf hoch. Ein grauenhaftes Schwindelgefühl überrumpelte ihn, weil er sich so plötzlich erhoben hatte, und keuchend schnappte er nach Luft und verhinderte gerade noch, dass er wieder rückwärts ins Bett fiel. Er warf einen Blick auf Leyya, die sich kurz bewegte, dann aber weiter schlief, und stöhnend sammelte er seine Hosen vom Zimmerboden, zog sich an und stand auf. Instinktiv sah er nach Karanas Bettchen; doch der kleine Junge schlief friedlich und war auch nicht aufgewacht. Puran zischte, als er an den schon etwas größeren Jungen aus seinem Traum dachte und an die grauenhaften, verräterischen Eckzähne.

Großvaters schändliche Seele… was ist, wenn ich damals doch Recht hatte, Mutter?

Der Gedanke alleine machte ihn wahnsinnig – er hätte am liebsten laut über die Ungewissheit aufgeschrien, die er in seinem Inneren spürte, die ihn seit Tagen, Wochen um den Schlaf brachte… Moment. War es das? War es das, was er tief in seinem eigenen Geist die ganze Zeit gespürt hatte? Er wusste es nicht… abermals zischend kehrte er seinem schlafenden Sohn den Rücken und verließ die Wohnstube, um sich aus der Küche ein Glas zu holen und Wasser zu trinken. Er merkte nicht, dass seine Frau verschlafen den Kopf hob und ihm blinzelnd nachblickte, als er die Tür schloss.

Er stieg über seine Cousine hinweg und erschrak sich beinahe zu Tode, als sie plötzlich sprach und sich aufsetzte.

„Das Bad ist in der anderen Richtung, dachte ich, Puran.“

„Himmel und Erde, bei allen Geistern!“, zischte er und fuhr hastig herum, sie anstarrend, „Erschreck mich nie wieder so! – Wieso bist du denn wach?!“

„Lass mich nachdenken – ah, jetzt erinnere ich mich, da war plötzlich ein Schatten über mir und irgendein Idiot kletterte über mich hinweg, und ich hatte Angst, dass er im Dunkeln auf mich tritt.“

„Das merkst du im Schlaf?“, knurrte er, „Mein lieber Himmel, du bist wirklich eine großartige Telepathin, du kannst schlafen und zugleich wach sein. Das macht mir Angst.“ Er ging jetzt in die Küche und sie erhob sich langsam, um ihm zu folgen. In der Küche holte er sich ein Glas und beförderte mit dem einfachen Zauber Alara Wasser hinein, das er dann trank. Mürrisch sah er den Behälter an, als könnte es etwas dafür, dass die Panik vom Wasser nicht verflog, und mit einem genervten Stöhnen stellte er es unsanft auf die Anrichte, bückte sich zum Schrank herunter und förderte eine halb volle Weinflasche zu Tage, die er öffnete, um das leere Wasserglas wieder zu füllen. Alona stand inzwischen in der Küchentür und musste jetzt kurz lachen.

„Was denn, du stehst nachts auf und besäufst dich? Das hätte ich nicht von dir gedacht, früher hast du gar nichts vertragen…“

„Ich vertrage auch immer noch nichts, viel mehr als ein solches Glas und ich werde peinlich.“, seufzte er, „Ich werde hier wahnsinnig! Ich habe doch Paranoia, verdammt noch mal, wieso fürchte ich mich immer noch so sehr davor?! – Komm, Alona. Trink einen mit, wenn ich ein bisschen dusselig werde, komme ich sicher auf andere Gedanken.“ Sie zog nur eine Braue hoch, nahm aber schweigend das zweite Glas an, das er ihr hinhielt, nachdem er es ebenfalls gefüllt hatte. Er schnaubte und hob seines an. „Auf deine Gesundheit, Alona!“ Sie tranken, und nach einer kurzen Weile des Schweigens sprach die Frau.

„Was hast du geträumt?“

Er blickte sie an, offenbar erst verblüfft darüber, dass sie wusste, was er hatte, dann fiel ihm aber ein, dass sie Telepathin war, und er räusperte sich verhalten und starrte aus dem kleinen Küchenfenster. Schließlich erzählte er ihr von dem Traum, den er schon einmal geträumt hatte, bereits vor Karanas Geburt; und von dem Streit, den er darüber mit seiner Mutter gehabt hatte.

„Und jetzt sag mir.“, zischte er am Ende seiner Erzählung, „Bin ich verrückt, weil ich noch Jahre nach Großvaters Tod von seinem Schatten verfolgt werde? Meinst du… meinst du, mit Karana ist etwas Schlimmes? Ich habe einfach panische Angst, dass er eines Tages wirklich diese Zähne bekommt…“

„Und?“, fragte die Cousine und trank ihren Wein aus, „Es sind bloß Zähne. Die Zähne machen ihn nicht zu Großvater.“

„Aber es ist ein schlechtes Zeichen! Verflucht, ich habe es schon damals gesehen und… und jetzt holt mich diese Unruhe wieder ein, wieso sollte dieser Traum ausgerechnet an dem Tag zurückkehren, an dem ich erfahre, dass mein Sohn seine Eckzähne bekommt, wenn es keine Bedeutung hätte?“ Darauf hatte seine kluge, belesene Cousine eine ziemlich dämliche Antwort, aber sie brachte ihn wirklich zum Schweigen.

„Weil die Geister dich eben gerne veräppeln, Puranchen.“ Er starrte sie an und sie sah sich gezwungen, fortzufahren. „Großvater ist nicht als Bestie geboren worden. Wie ein Mann einmal wird, hängt zumindest zu einem größeren Teil auch von seiner Erziehung ab. Soweit ich weiß, hat der Urgroßvater unseren Großvater als Kind nicht sonderlich liebevoll behandelt, das war nicht üblich in der Zeit. Väter haben ihre Söhne nur ausgebildet und zu Kriegern erzogen, gerade in dieser Generation damals wegen des Krieges gegen Anthurien. Abgesehen davon hatte der gute Beksem, soweit ich das gehört habe, kaum Zeit für seinen Sohn, und wenn man dauernd links liegen gelassen wird, ist es ja eigentlich kein Wunder, dass man verrückt wird.“

„Dann gibst du dem alten Beksem die Schuld an Lyrien? An der ganzen Tyrannei?“

„Natürlich nicht; aber er war sein Vater, wenn es jemand hätte verhindern können, dann er. – Was ich damit sagen will… Karana ist dein Sohn. Noch ist er ein Baby; selbst, wenn er wirklich die Reißzähne bekommt und es irgendetwas zu bedeuten haben sollte, wenn du das Richtige tust, wird es nicht soweit kommen, wie du fürchtest. Seit Großvater so ein Baby war wie Karana es jetzt ist, sind viele Jahre vergangen! Die Dinge haben sich geändert und man geht heute ganz anders mit Kindern um als damals. Das… kann vieles anders machen, Puran.“ Sie schnaubte und grinste erneut, als sie das leere Glas auf die Anrichte stellte, dabei neben ihn tretend. Er drehte nur schweigend den Kopf zur Seite. „Ach, Puran… du bist wirklich immer noch dieselbe Heulsuse, die du schon als kleines Kind gewesen bist. Deine Mutter hat dich verzogen, sie hätte dir nicht so ewig die Brust geben sollen.“ Sie wusste, dass er nicht in der Stimmung für ihre Neckereien war, deswegen wunderte sie sich nicht, als er darauf nicht einging, ebenfalls sein Glas leerte und ohne sie anzusehen die Stimme wieder erhob.

„Wann gehst du zurück nach Yiara?“

„Was, so schnell willst du mich loswerden? Großartig. Morgen bei Sonnenuntergang, von Vialla aus, denke ich.“

„Ich… würde dich bitten, mich mit herauf zu nehmen. Ich habe darüber nachgedacht, was du über deine Mutter gesagt hast… und ich würde sie… sehr gerne wenigstens noch einmal sehen. Wenn es keine Schwierigkeiten macht, versteht sich…“ Alona weitete minimal die Augen und sah ihn an, als er den Kopf wieder zu ihr drehte. Als sie lange nichts sagte, addierte er kleinlaut: „Bitte, Alona.“

„Ich habe nichts dagegen.“, warf sie ein, „Aber was ist mit deiner Arbeit? Und deiner Familie?“

„Die Akademie kann warten und die Senatoren und Taiduhr auch. Ich will doch nicht lange bleiben, höchstens zwei Tage. Per Teleport sind wir doch schnell oben. – Und Leyya werde ich natürlich fragen, wenn sie morgen wach ist…“ Ein Räuspern an der Tür unterbrach die beiden und sie blickten auf die Heilerin, von der sie gerade noch gesprochen hatten. „Leyya!“, machte der Mann verblüfft und sie sah von ihm zu Alona.

„Ich werde selbstverständlich mitkommen…“, meinte sie, „Ich… ich meine, es ist deine Tante, sozusagen… ich… würde sie auch gerne kennenlernen. Und Karana sicher auch!“

„Ob der sich später daran erinnert? Wohl kaum, er ist doch gerade erst eins.“, lachte die Telepathin und ihr Cousin räusperte sich.

„Kannst du denn uns alle nach Yiara teleportieren?“ Die Angesprochene schnaufte.

„Hallo? Bin ich die Enkelin von Salihah Lyra, oder was?! Vielleicht ist meine Sehensgabe nicht die größte, aber im Teleportieren hätte ich Großmutter geschlagen, da bin ich überzeugt!“

„Dann steht dem ja nichts mehr im Wege.“, freute sich Leyya aufgeregt, „Ich war noch nie in Yiara! Wann geht es los, gleich morgen früh?“

„Ja, sobald die Sonne aufgeht packen wir und fahren nach Vialla. Wir sollten jetzt besser den Rest der Nacht schlafen… wenn ich das jetzt kann.“, murmelte der Herr der Geister, gähnte und raufte sich kurz die Haare. „Zeit fürs Bett, aber wirklich.“
 

Leyya war noch nie per Teleport gereist. Das Baby natürlich auch nicht, so starrte es seine Mutter und dann die Cousine seines Vaters nur entsetzt aus riesigen Augen an, als sich die Erwachsenen mit ihm am Nachmittag des folgenden Tages vor dem Haus in der Kälte versammelten. Alona war aus Vialla wieder zurückgekehrt und jetzt waren sie bereit, nach Yiara zu reisen. Leyya trug auf dem Rücken eine Trage mit Gepäck für zwei Tage, auf ihren Armen saß der kleine Karana. Seine Mutter hatte ihn schön warm eingepackt; oben im Norden war der Winter bekanntlich sehr viel härter als hier – obwohl Yiara an der Küste lag, was das Klima ein wenig vermildern würde. Dennoch würde es kälter sein als in Thalurien und dass das kleine Kind noch eine Erkältung bekam war sicher das Letzte, was sie wollte.

„Ich habe mit Chata gesprochen, damit jemand Bescheid weiß, dass wir bis morgen Abend weg sind.“, erklärte Puran seiner Frau und tätschelte dann seinem Sohn das Köpfchen, „Sei tapfer, Karana, es geht jetzt ans Teleportieren. Fühlt sich komisch an – sag mal, halten so kleine Babys das überhaupt aus, Alona?“

„Um Himmels Willen, das fällt dir jetzt ein?!“, rief Leyya erschrocken und die Telepathin pustete hörbar die Luft aus ihrem Mund.

„Ihm wird schon kein Bein abfallen dabei. Aber wenn er später jammert, wissen wir, warum…“

„Du Wahnsinnige, du opferst meinen Erben…“, jammerte Puran und sie packte unsanft seine Hand und Leyyas Ärmel.

„Schnauze halten, außerdem war das deine Idee. – Halt das Kind gut fest, Leyya, es geht jetzt los.“

Leyya war froh über die Warnung, denn wirklich etwas merken tat sie nicht – es ging ganz schnell, dann löste sich die Umgebung um sie herum plötzlich auf und alles, was sie spürte, war ein zaghaftes Gefühl in der Magengegend, als würde sie fallen – aber ehe sie es richtig registrieren konnte, hatte es schon aufgehört und die Umgebung war wieder da; allerdings anders als zuvor. Verblüfft drückte sie Karana an sich, der nur verwirrt schaute und einen Finger in seinen Mund steckte, um unruhig daran zu lutschen. Sie standen vor einem relativ großen Haus mit Obergeschoss. Das Dach war nur leicht schräg, damit Regen und Schnee nicht darauf liegen bleiben konnten. Es gab einen kleinen Vorgarten, durch den ein Weg zum Haus führte, den die Gruppe jetzt passierte.

„Moment – hier wohnst du?“, fragte Puran verblüfft und sah zurück über die Schulter, die kleine Straße herunter, in der das Haus stand. Sie mussten relativ weit am Rand von Yiara sein, die Gegend war ruhig und geräumig, ungewöhnlich für eine Stadtmitte wäre es gewesen.

„Westen von Yiara, ja.“, erklärte seine Cousine ihm beiläufig, während sie auf die Haustür zusteuerte, „Die alten Bewohner wollten hier weg und haben es verhältnismäßig günstig verkauft. Mein Vater war so schlau, aus dem Anwesen damals, als der Krieg ausbrach, die Wertpapiere aus dem Schrank mitzunehmen, wir haben ein gutes Stück davon für das Haus abgegeben… aber es ist in gutem Zustand, von den Angriffen der Zuyyaner hat es nichts abbekommen, und außerdem ist jede Menge Platz.“

„Platz?“, schnaufte Puran, „Wofür, für zwei Frauen? Ist ja der Wahnsinn, also, falls du doch noch mal Kinder haben willst, ist hier jedenfalls genug Platz… - und überhaupt, Moment, Wertpapiere aus dem Anwesen?“ Seine Cousine grinste, während sie die Tür öffnete und die Gäste eintreten ließ.

„Ja, natürlich gehört ein Anteil auch deinem Vater, mein Vater hat das alles ordnungsgemäß verwaltet. Ich kann dir deine Anteile geben, wenn du ja gerade zufällig hier bist…“

Im Haus war es schummrig. Alona entzündete eine Öllampe, die neben der Haustür auf einem Tisch gestanden hatte, und führte ihren Besuch im unteren Geschoss herum. Die Küche war, genau wie beim Haus in Lorana, neben dem Eingang links, es gab eine Wohnstube, zwei kleinere Zimmer und am Ende des längeren Flurs ein großes Badezimmer. Die Treppe hinauf gab es noch mehr kleine und etwas größere Wohn- und Schlafzimmer. Auf eine der geschlossenen Türen deutete die Telepathin nur von weitem.

„Das ist Mutters Zimmer, sie schläft vermutlich, ich sehe gleich nach ihr und sage ihr, dass wir Besuch haben. – Ich bin keine gute Gastgeberin, ehrlich gesagt… setzt euch einfach und macht es euch bequem, ich bringe euch dann etwas zu trinken.“
 

Die Wohnstube war geräumig und gemütlich. Puran und Leyya saßen eine ganze Weile auf den Sitzkissen einander gegenüber am kleinen Couchtisch. Karana saß auf dem Schoß seiner Mutter, brabbelte unverständliche Dinge vor sich hin und schien aber begeistert zu sein, er klatschte fröhlich lachend in die Hände und johlte.

„Ihm scheint es zu gefallen.“, meinte Puran grinsend und stützte die Ellenbogen auf den Couchtisch vor sich. „Wertpapiere, tss. Das ist ziemlich praktisch, das heißt, wir kriegen unverhofft Geld, und es wird nicht wenig sein. Mein Vater war Statthalter in Vikhara, er hat für die Verwaltungsarbeit nicht wenig Lohn bekommen.“ Sie kitzelte lachend das Baby und hob dann den Kopf, um ihren Mann anzusehen.

„Dieses Haus ist riesig, Puran!“, sagte sie, „Mir kam ein Gedanke, als ich hier herein kam und sah, wie groß alles ist-… nein, eigentlich kam er mir schon früher. Ich habe erst jetzt, wo wir Besuch über Nacht hatten, gemerkt, wie klein unser Haus eigentlich ist-… ich… denke daran, was ist, wenn Karana größer wird? Er wird nicht ewig bei uns mit im Zimmer schlafen können, und außerdem…“ Leyya errötete etwas, „Wünsche ich mir doch noch mehr Kinder mit dir… wir können uns doch nicht alle eine Stube teilen. Ich meine… denkst du nicht, dass wir darüber nachdenken sollten, an das Haus anzubauen?“ Karana kicherte, während er in Mutters Armen wild strampelte und versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien. Schließlich ließ sie ihn los und er plumpste auf den Boden, wo er sich flink wieder aufrappelte und auf den wackeligen Beinchen durch das Zimmer zu stolpern begann. Er konnte schon eine ganze Weile laufen, mitunter überschätzte er sein Gleichgewicht und rannte so schnell, dass er umfiel; zum Glück hatte er sich dabei noch nichts getan.

„Ja, darüber habe ich auch schon gegrübelt.“, antwortete Puran seiner Frau dann dumpf. „Für mehrere Kinder ist das so jedenfalls ganz und gar unmöglich. Ich möchte ja auch, dass es nicht bei einem bleibt…“ Er lächelte sie schelmisch an und sie strahlte, abermals errötend.

„Wenn du weniger Stress hast, klappt es sicher besser. Ich freue mich schon!“

„Wenn wir jetzt die Wertpapiere meines Vaters kriegen, ist es einfach, bald Baumaterial und Hilfskräfte zu bezahlen… vielleicht sollten wir ein Obergeschoss bauen, das wäre vermutlich am besten.“

„Oh, wie aufregend!“, freute sich Leyya – ihr Gespräch wurde von Karana unterbrochen, der kichernd durch den Raum stolperte und jetzt gegen seinen Vater rannte, dabei fiel er rücklings um und zu Boden und hickste.

„Hoppla.“, machte Puran lachend und das Kind hickste erneut und plapperte ihm nach.

„Hoppla…“

„Ja, nach vorne gucken, kleiner Mann!“, riet der Vater ihm, während er den Kleinen auf die Beine zog und wieder hinstellte. Karana strahlte ihn mit seinen paar Zähnchen im Mund an und breitete die Arme aus, um nach vorne gegen Puran zu kippen und sich umarmen zu lassen.

„Meins.“, erklärte er dabei feierlich und der Vater lachte.

„Ach, so ist das also? Besitzergreifend und blind, was habe ich doch für einen Sohn…“, feixte er, und Karana kuschelte sich an ihn und knabberte an Vaters Hemd herum, bis der ihn hüstelnd etwas weg schob. Leyya lag lachend mit dem Kopf auf der Tischplatte. „Beiß mich nicht, Karana, ich gebe keine Milch! Außerdem kriegst du doch schon lange keine Muttermilch mehr – nein, aufhören, du hast jetzt Zähne, du machst nur mein Hemd kaputt… aua!“ Die kleine Heilerin lachte nur und amüsierte sich köstlich.

„Kind frisst Vater mit Haut und Haar!“, zitierte sie die imaginäre Schlagzeile in den Nachrichten, „Ein bockiger Junge hielt seinen Vater für eine Milch gebende Mutter und fing an, ihn zu essen… ja, Puran, da siehst du mal, Karana hält dich für eine Frau…“

„Sehr komisch.“, brummte ihr Mann und neckte sie zurück, während er sich das gackernde, strampelnde Kind vom Hals hielt, „Das kommt nur daher, weil er eine Mutter hat, die etwa genauso viel Oberweite hat wie ihr Mann, nämlich keine.“ Seine Frau zischte errötend und schien jetzt wütend.

„Das sagst ausgerechnet du! Und du tönst sonst herum, du würdest meine Brüste mögen, Puran!“

„Ja, ich liebe deine Brüste, das weißt du doch.“, schnaubte er, „Du hast gesagt, ich sähe weibisch aus!“

„Das kommt alles von deinem eitlen Getue mit deiner Frisur!“, schnaubte die Heilerin erbost, „Du sorgst dich mehr um deine Haare als jede Frau, die ich je gekannt habe!“

„Und deswegen beißt Karana meine Brustwarze? Na großartig. Das hat wehgetan, soll ich das mal bei dir machen?“

„Ich weiß, wie sich das anfühlt, ich habe ihm selbst die Brust gegeben, noch vor ein paar Monden!“

„Ja, aber damals hatte der Schlaumeier auch noch keine Zähne. Und jetzt hör auf, zu schmollen, ich habe es doch nicht böse gemeint, genauso wenig wie du, das wissen wir doch beide.“ Sie zog eine Schnute und drehte das Gesicht zur Seite.

„Du weißt auch genau, dass ich auf dieses Thema empfindlich reagiere… das war gemein, Puran! Du kannst mich doch nicht damit aufziehen! Manchmal wünschte ich, dein Mannknochen wäre so klein wie meine Brüste, damit ich dich damit auch aufziehen könnte!“ Er musste lachen.

„Jetzt reicht es aber, Leyya, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht wirklich ärgern… kannst du mir vergeben?“ Er setzte Karana jetzt endlich auf seinen Schoß, wo das Kind zu zappeln aufhörte und stattdessen an seiner eigenen Lippe zu knabbern begann. Leyya schnaubte, stand schließlich auf und kam um den Tisch zu den beiden herum, wo sie sich neben ihren Mann hockte.

„Wenn du mir beweist, dass du es ernst meinst, ja…“, flüsterte sie dann und lächelte bereits wieder, bevor er sich zu ihr beugte und sie leidenschaftlich küsste. Mit einem Arm seinen Sohn festhaltend hob er die andere Hand an Leyyas Busen und strich zärtlich darüber, während sie sich seufzend seinem Kuss hingab und den Mund öffnete, damit ihre Zungen sich berühren konnten –

„Ich störe euch ja nur ungern, aber ich dachte, du wärst wegen meiner Mutter hier, Puran. Sie ist wach, ich habe ihr alles berichtet und sie würde euch gerne sehen. Sie kann nicht das Bett verlassen, deswegen solltet ihr hinauf kommen. Aber wenn ihr erst mal weiter vor den unschuldigen Augen eures Sohnes ein Geschwisterchen für ihn machen wollt, mache ich solange Tee.“ Puran und Leyya fuhren hustend auseinander und Letztere errötete noch heftiger als zuvor, als sie sich verneigte und Entschuldigungen dahermurmelte. Ihr Mann schnaubte, ebenfalls leicht rot im Gesicht, und erhob sich mit Karana auf dem Arm.

„Du hättest dich dezent räuspern können, Alona, deine Kommentare spare dir ruhig in Zukunft. Aber natürlich gehe ich mit dir hinauf – möchtest du mit, Leyya?“ Er lächelte, als sie sich beschämt ebenfalls erhob und ihre Bluse zurecht rückte, „Meine Tante würde dich sicher auch gerne kennen lernen.“ Sie nickte und warf Alona einen verlegenen Blick zu, dir jedoch nur kicherte und die Gäste vor sich die Treppe hinauf steigen ließ. Vielleicht sollte sie sich einmal in Ruhe mit der Frau ihres Cousins unterhalten… nicht, dass die Heilerin sie nachher für eine schlechte, gehässige Person hielt. Aber sie war so niedlich, wenn sie so verlegen war – so etwas war Alona nun einmal von ihrer Familie nicht gewohnt.

Sukutai lag in ihrem Bett im abgedunkelten Zimmer. Die Öllampe aus dem Flur brannte jetzt auf dem Nachttisch und die Frau im Bett drehte vor Freude beinahe weinend den Kopf zur Tür, in der sie den Neffen ihres verstorbenen Mannes sah.

„Du bist… wirklich hier, Puran, oder träume ich…?“, wisperte sie mit leiser Stimme, „Ich habe vergangene Nacht von Vikhara geträumt und… von dem Schloss… ich habe gewünscht, dass alles wie früher wird. Aber das wird es nie wieder sein, nicht wahr?“ Sie zitterte und Puran trat mit Leyya, die jetzt Karana trug, und seiner Cousine näher an das Bett seiner Tante. Er schnappte nach Luft, als er sie ansah, und sie wandte ihr Gesicht jetzt seinem zu, lächelnd. „Ach, sag mir, wie lange mag es her sein, dass ich dich sah, Neffe? Du bist… ja ein richtiger, erwachsener Mann geworden… und hübsch bist du… die Männer deiner Familie waren immer hübsch…“ Er räusperte sich und wusste nicht, was er sagen sollte… er hätte das Kompliment gerne erwidert. Aber hübsch war seine Tante nicht mehr… man sah ihr die schwere Krankheit bereits deutlich an. Sie war ausgezehrt und blass, ihr Gesicht war eingefallen wie das einer alten Frau, dabei war sie sogar jünger als seine eigene Mutter es jetzt gewesen wäre. Es schmerzte ihn, sie so krank zu sehen… und es tat ihm für Leyya leid, dass sie seine Tante nicht in besserer Verfassung kennenlernen konnte.

Er seufzte traurig, als er sich an den Bettrand setzte und Sukutais Hand nahm.

„Ich bin hier, ja.“, meinte er dann dumpf, „Ich… ich bin so froh, dass ich dich wieder sehen kann… glaub mir, Tante, ich wünsche mir genau wie du, dass alles wie früher wäre…“ Sie lächelte und sah ihn an, während sie schwer nach Luft schnappte.

„Ja, wir… würden mit… deinen Eltern und… Kiuk zusammen auf der Terrasse sitzen und Kuchen essen… natürlich nur im Sommer. Es sind so… schöne, angenehme Erinnerungen für mich. Ach, wehe, ich weiß, dass ich dieses Bett nie wieder verlassen werde. Die letzten Tage, Wochen, wie lange mag es dauern? Wie lange werde ich hier vor mich hin vegetieren mit keiner Gesellschaft als der meiner Tochter…?“

„Du bist ungerecht, Muttchen.“, sagte Alona dumpf, „Herr Noh von nebenan kümmert sich auch um dich, während ich fort bin. War er heute hier?“

„Heute morgen, ja. Ja, der gute Mann ist natürlich auch da… du solltest später hinüber gehen und dich bei ihm bedanken für seine Liebenswürdigkeit.“

„Hatte ich vor.“, sagte Alona mit einem verhaltenen Räuspern. Sukutai drehte den Kopf von Puran weg und zu Leyya, die sich artig verneigte.

„Mein Name ist Leyya.“, stellte sie sich vor, „Ich bin Purans Gemahlin… und das ist unser Sohn, Karana.“ Sie wippte das Baby auf ihren Armen und Karana kicherte. Puran musste lächeln, als seine Tante ebenfalls strahlte.

„Ah, Alona hat bereits erwähnt, du seist jetzt verheiratet, Puran! Ach, ich bin richtig stolz… und Vater bist du! Du bist tapfer… deine Eltern wären sicher… ebenfalls stolz.“ Sie seufzte deprimiert und Puran räusperte sich.

„Ja, sie… haben leider beide Karanas Geburt verpasst. Wenigstens unsere Hochzeit haben sie erlebt. Vater hat sich schon so auf seinen ersten Enkel gefreut-… es ist schade, dass Karana nie Großeltern haben wird. Meinen Großvater habe ich war zeitlebens verflucht, aber meine Großmutter hatte ich gern. Obwohl sie gruselig war…“ Er lachte leise und Sukutai tat es ihm gleich, dann hustete sie heftig und wandte sich ab, dem Besuch den Rücken kehrend. Bestürzt sahen die anderen sich an, ehe die Frau sich wieder zu ihnen umdrehte, sobald der Hustenanfall vorüber war.

„Ich hätte… Tabari und Nalani gerne noch… einmal gesehen… als dein Onkel starb, Puran… habe ich mich so oft gefragt… wie soll ich das Tabari erklären, wenn ich ihn wiedersehe? Was soll ich sagen, wenn ich weiß, dass er erfahren hat, dass sein Bruder tot ist? Ich wüsste es bis heute nicht… es tut mir so leid.“ Der Mann seufzte nur kurz.

„Ich weiß, was du meinst, mir geht es ebenso, wenn ich anderen erzähle, dass meine Eltern gestorben sind. Die Geister haben es Vater gesagt, als Kiuk gestorben ist. Er war am Boden zerstört, ich… habe ihn nie so erlebt wie damals. Es war furchtbar. Und ähnlich war es mit meiner Mutter, als mein Vater starb.“ Sukutai zeigte ein bitteres Lächeln, als sie an die Decke des Zimmers blickte.

„Wir sind den ganzen Krieg über hier im Norden geblieben. Wir sind umher geirrt, haben Schutz gesucht und auch versucht, die wehrlose Bevölkerung irgendwie mit zu schützen. Aber die Zuyyaner sind… einfach immer wieder gekommen, sie sind immer mehr geworden. Dann starb Kannar… er ist von den Kriegern getötet worden. Als Kiuk starb… waren wir auf der Flucht vor den zuyyanischen Soldaten. Die Kraft, die wir noch hatten, hätte nie für einen Teleport gereicht… wir hatten die Wahl, ob wir eine Barriere machen und uns so lange schützen, bis die Kraft alle ist, oder ob wir den Rest der Magie dafür nutzen, sie Bestien zu zerschmettern… Kiuk hat sich dann für letzteres entschieden. Und er hat die Einheit getötet… aber der letzte von ihnen durchbohrte ihn mit der Klinge, die er trug.“ Sie schloss die Augen und Puran sah kurz auf Leyya, die erzitterte bei der furchtbaren Geschichte. „Kiuk war kein Kämpfer… er hat es immer gehasst, zu kämpfen. Und dennoch ist er… als Held gestorben. Das macht ihm und auch uns als Hinterbliebenen große Ehre… die Geister haben ihn gut bei sich aufgenommen, ich weiß es.“ Sie schwiegen alle einen Moment, ehe Sukutai die Augen wieder öffnete und müde lächelte. „Und bald werde ich ihn sehen können.“
 

Den Rest des Nachmittages erzählte Puran seiner Tante, was sie erlebt hatten während der Kriegsjahre. Er erzählte, wie Leyya zu ihnen gestoßen war, von dem Dorf Iter und der Geburt der kleinen Saidah. Von der Schlacht bei Aughot, auf die er aber nur kurz einging, und von der Zeit in Kadoh bei den Bergmenschen. Er erzählte von Karana, Leyyas Lebensretter, dem sein Sohn seinen Namen zu verdanken hatte, und wie sie aus Kadoh in Booten geflohen waren – wie Keisha gestorben war. Von der Zeit in Vialla, dem König, davon, wie Ruja, Kohdars und seine Eltern gestorben waren, von Henac Emos Verrat und dem Mann namens Ulan Manha, der sich jetzt Scharan nannte und als Herrscher der Lianer auf Ghia sein Unwesen trieb. Bei dem Namen Ulan Manha hob Alona verblüfft den Kopf und bat ihn, das zu wiederholen – als er es aber tat, sagte sie nichts weiter und runzelte bloß die Stirn. Zuletzt berichtete Puran von der Reise nach Thalurien mit seiner schwangeren Frau und wie die Menschen in Lorana sie gerettet hatten.

„Was ist eigentlich mit Dasan Sagal, kennt ihr den auch? Ich glaube nicht, dass er im Telepathen-Orden ist, aber der Name ist unten in Thalurien so bekannt wie hier die Ekalas.“, fiel ihm dann ein, und während Sukutai wieder hustete, sprach Alona.

„Doch, ich kenne den Namen Sagal. Sie sind ein recht alter und hoch angesehener Clan der Telepathen. Vielleicht auf derselben Stufe wie die Ekalas, von denen unsere Großmutter abstammte. Es gibt viele Zweige dieser Familie, im TO ist einer mit dem Namen Sagal, der muss weitläufig mit deinem Freund aus Lorana verwandt sein.“

„Wieso weißt du, wer im TO sitzt?“, wunderte Puran sich nur und sie lachte kurz auf.

„Da meine Mutter nicht mehr an den Ratssitzungen teilnehmen kann… erst recht nicht in Vialla… vertrete ich sie, man hat mich also vorzeitig zum Rat zugelassen, eigentlich hätte ich erst später eintreten sollen. Allerdings tue ich das offiziell erst seit wenigen Wochen, die letzte große Sitzung in Vialla habe ich verpasst. Der TO versammelt sich auch hin und wieder außerhalb des königlichen Rates, meistens hier in Yiara.“

„Ah.“, machte der Cousin aufgeklärt, „Dann bist du jetzt also auch im Rat! Ist ja großartig, jetzt sind wir alle Mitglieder irgendeines Rates.“ Er lachte und Sukutai lächelte auch.

„So entspricht es ja auch eurem Namen… ihr seid Lyras. Der Clan der Lyra ist seit jeher… der größte aller Clans. Es wäre merkwürdig, wärt ihr nicht im Rat.“
 

Puran war verblüfft darüber, wie ernüchternd es war, seine Tante zu treffen. Er hatte gedacht, er würde in wieder aufgeweckten Emotionen ertrinken und den Rest des Tages heulen bei den Erinnerungen an die verflossenen Zeiten… aber so war es gar nicht, das war überraschend, auf angenehme Weise. Er hasste es mitunter, so dicht am Wasser gebaut zu sein.

Jetzt stand er am Fenster des Zimmers, das seine Cousine ihm angeboten hatte, in dem er und seine Frau schlafen würden. Leyya brachte Karana zu Bett – in Alonas Haus gab es natürlich kein Kinderbettchen, aber man hatte ihm liebevoll ein kleines Nest aus Decken und Matten gebaut, in dem er schlafen würde, im Zimmer neben dem seiner Eltern. Als seine Cousine hinter ihn trat und sich kurz räusperte, um auf sich aufmerksam zu machen, sagte er lange nichts, dann drehte er seufzend den Kopf.

„Ich werde meinen Nachbarn besuchen und mich bei ihm für die Mühe um meine Mutter bedanken.“, kündigte sie an, „Es ist das Haus östlich von diesem, falls also irgendetwas ist, findest du mich da. Könnte etwas dauern. Geht ihr ruhig schlafen.“

„Du scheinst deinen Nachbarn ja gern zu haben.“, stellte er fest und sie verdrehte die Augen.

„Wir trinken mitunter zusammen Tee. Er ist ein guter Mann, und er lebt alleine und freut sich daher über die Gesellschaft. Ich glaube, es kommt nicht nur meiner Mutter zu Gute, dass er während meiner Abwesenheit für sie sorgen kann, vermutlich trinken sie dann hier auch Tee, oder so.“ Sie lachte kurz und ihr Cousin nickte.

„In Ordnung, ich weiß Bescheid. – Sag… gibt es wirklich nichts, was man für sie tun kann?“ Mit Bedauern sah er, wie Alona den Kopf schüttelte.

„Ich habe schon gute Heiler hier gehabt, wir können mit Medikamenten versuchen, die Symptome zu lindern, aber die Chance auf Heilung ist quasi dahin. Es ist in Ordnung, wir beide, sie und ich, haben gelernt, es zu akzeptieren. Sei nicht deprimiert deswegen, bitte. Ich wünsche mir nur, dass es so wenig Schmerzen wie möglich geben wird.“ Sie neigte den Kopf und murmelte ein Wort zum Abschied, wünschte ihm eine gute Nacht und verschwand dann aus dem Zimmer. Puran sagte nichts und starrte nur wieder aus dem Fenster in die Dunkelheit. Es war eiskalt in Yiara… zum Glück war das Haus recht gut geheizt.

Er hörte Leyya nebenan ein Schlaflied für das Kind singen, und als wollte er selbst davon einschlafen schloss er die Augen. Die Geister wisperten in seinem Kopf und als er plötzlich in der Dunkelheit wieder die grinsende Fratze seines Großvaters erkennen konnte mit den Zähnen eines gefährlichen Raubtiers, riss er die Augen zischend wieder auf und fasste heftig nach seinem pochenden Schädel.

„D-diese verdammten Zähne!“

„Was hast du, Liebling? Hast du Zahnschmerzen, oder was?“ Er fuhr entsetzt herum, als er Leyyas Stimme plötzlich im Zimmer hörte – er hatte nicht gemerkt, dass sie zu singen aufgehört hatte und herein gekommen war. Bedeppert starrte er sie an, als hätte er sie nie zuvor gesehen, während sie leise die Tür schloss und ein verwirrtes Lächeln zeigte.

„Nein…“, brachte er dann heraus, „Nein, das ist es nicht.“

„So?“, machte sie dumpf und trat zu ihm herüber, um ihn sanft von hinten zu umarmen, während er wieder aus dem Fenster sah. „Was fluchst du dann hier herum? Karana schläft jetzt… wir sollten auch zu Bett gehen, Puran.“ Er antwortete lange nicht und sie dachte schon, er wäre im Stehen eingeschlafen, da sprach er doch:

„Mein Großvater hatte furchtbare Eckzähne, sie sahen aus wie die eines Raubtiers. Ein eigenartiges Merkmal, das mich immer beunruhigt hat. Jetzt… träume ich denselben Traum wie damals, bevor du schwanger wurdest… von dem Kind, das du mir geboren hast, das… eben diese Zähne trägt. Ich kann mir nicht helfen als es als schlechtes Zeichen zu deuten… was, wenn Karana wirklich diese komischen Zähne bekommt?“ Leyya ließ ihn los und als er sich umdrehte, starrte sie ihn aus geweiteten Augen an.

„Du denkst… also immer noch, unser Sohn hätte irgendetwas mit deinem Großvater zu tun?“

„Ich weiß nicht, auf welche Weise das möglich wäre… damals haben die anderen seinen Leib mit Sand und Steinen verstopft und in den Fluss geworfen, eine unwürdige Art der Bestattung, die seinem Geist nie erlauben sollte, wieder in diese Welt zurückzukehren. Irgendwie werde ich aber das Gefühl nicht los, dass er dennoch zurückgekehrt ist… ich träume immer noch davon, diese ewige Angst, die ich schon mein ganzes Leben mit mir herum trage, verfolgt mich immer noch, d-das kann doch nicht grundlos sein! Die Geister würden das nicht machen, wenn es grundlos wäre, Leyya!“ Sie wandte keuchend den Blick ab.

„Aber… aber warum unser Kind? Er hat einen guten Namen bekommen, einen Lebensgeist, der mit deinem Großvater absolut gar nichts zu tun hat, abgesehen davon, dass er denselben Anfangsbuchstaben hat…“

„Ich weiß es doch nicht.“, seufzte ihr Mann missmutig, „Ich weiß nur, was ich träume. Und ich träume, dass Karana diese Zähne hat. Es ist ein Traum von… großer, gefährlicher Macht. Dieses Baby wird einmal ein mächtiger Schamane sein… es ist seine Bestimmung, einmal in die Fußstapfen seiner Vorfahren zu treten. Aber diese Familie hat viele Fußstapfen gelegt… er könnte in meine treten, in die meines Vaters… oder in die meines Großvaters. Und das ist es, wovor ich Angst habe.“

Leyya sagte kurz nichts, und er wandte sich von ihr ab und zog sich aus, um sich dann auf das für sie bereitete Schlaflager zu legen. Ehe sie auch anfing, sich auszuziehen, antwortete sie ihm dann.

„Wir sind Karanas Eltern… dann ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass er in die richtigen Fußstapfen tritt. Ich kann nichts Böses spüren in diesem Baby… es ist ein guter Sohn, Puran. Vertrau mir… selbst, wenn er wirklich die Fangzähne des Tyrannen Kelar bekommt… er ist nicht Kelar. Er ist Karana. Er ist dein Sohn… wem wird er wohl eher nacheifern, seinem Vater, den er sehr liebt, oder einem Urgroßvater, den er niemals auch nur annähernd gekannt hat?“ Puran seufzte und sah ihr zu, wie sie sich zu ihm legte, und sie umarmten einander innig und teilten einen kurzen Kuss.

„Ich wünschte, es wäre so leicht. Ich möchte dir vertrauen, Leyya… ich möchte diese Panik überwinden. Aber die Geister… finden so viele, abstruse Wege, ihren Willen durchzusetzen… lass uns beten, dass ich genug Macht aufbringen kann, um sie so weit zu beherrschen, dass sie unsere Familie nicht zerstören…“
 


 

__________________________

Hurra, ein Titel mit 'Schatten', hatten wir lange nicht mehr, hust! xD Hatten wir auch noch nicht 64627342 Millionen Mal xD Ach was solls. Gammliges, langweiliges Kapi ohne viel Inhalt mit viel Geblah^^ Und bitte, wenn irgendetwas unklar ist oder ungeklärt erscheint, sgat es mir... manchmal verliere selbst ich den Überblick^^



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Decken-Diebin
2010-06-08T18:25:05+00:00 08.06.2010 20:25
Pfüh! Alona will keine Kinder, fickt aber ihren Nachbarn xD Ich hoffe, sie hat was von Verhütung in der Schule gelernt! xDD
Alonachen - endlich ist sie wieder da *___* Oh man, ganz merkwürdig irgendwie, aber wie sich in Vialla treffen, das war schon fast pures Glück... die Geister wollten es <3 Ich fand die Szene sehr toll, dass Puran die Akademie und was nicht alles sausen lässt, nur um sich mit ihr zu unterhalten ^.^
Dann, wo er sie mit zu Leyya anschleppt XDD Ich kann sie verstehen, auf einmal taucht da eine Frau auf, also nee... und dann erklärt er vorher nichts xDD
Jaah... die Lianer wurden erwähnt, das ist gut so. Und das ganze Poltik-Krams... der Nodit, oder wie er heißt, der ist doof, aber Koreth ist nett, japs <3
Ach, und dann noch Sukutai. Die Arme... wie sie geredet hat, ich kann es mir so gut vorstellen... früher imemr so voller Elan und auf einmal, geschwächt durch die Krankheit, jetzt so... so dings! Ich weiß nicht .___. Sie tut mir leid... aber ich glaube, sie hat sich sehr gefreut, dass sie die Puran noch mal sehen durfte und Leyya und Karana kennenlernen durfte <3
Von:  -Izumi-
2010-06-08T16:04:24+00:00 08.06.2010 18:04
Surprise, ich weiß mal wieder nicht, was du hast, ich fand das Kapitel toll XD
Mal schauen, ob ich mich an den ersten Teil noch richtig erinnere ^^'
Ach ja, dieser Politiker-Leuts da. Boah, was für Drecksäcke... bis auf den einen, der ist ja nett ^///^
Und dann kam Scharan! *__*
Ja, verdammt, ich mag ihn XD Eigentlich wurde er nur erwähnt, aber ich fand es sooo toll ^////^
Ach! XD
Ach ist ja auch ein sehr gutes Stichwort, Sukutai gibt es ja auch... noch ._.
Das ist so traurig, dass sie bald sterben muss... aber sie hat Karana kennen gelernt <3
Das fand ich sehr schön... überdies auch die Stelle, wo Puran Alona wieder getroffen hat... es war einfach so natürlich... und unterschwellig irgendwie traurig óo
Und Leyya hat sich so süß deppig angestellt, sie ist toll XDD
Und Karana ist süß ^///^
Oh weh, er bekommt Eckzähne, sein Papa herzt ja im Vorraus schon doll XDD
Armer Puran, nächstes Kappi ist es sicher soweit, ich denke óo

... wie ist eigentlich die Beziehung zwischen Alona und ihrem Nachbarn da?...

PS: Ich hab übrigens im Vorraus geträumt, dass das Kappi so heißen würde...


Zurück