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Die Chroniken von Khad-Arza - Die Herrscher der Geisterwinde

von

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Verrat

Dem Sommer folgte ein rascher, kurzer Winter, den die meisten ohne große Blessuren überstanden. Im Frühling lösten die Zuyyaner ihr Verbot des Verkehrs wieder auf – zwischen Ghia und Tharr war der Flugverkehr wieder relativ ungestört, nach Zuyya kam allerdings niemand ohne Erlaubnis oder triftigen Grund – davon abgesehen, dass der Krieg offiziell immer noch nicht vorüber war und niemand freiwillig einen Fuß nach Zuyya setzen wollte. Die Angriffe der Zuyyaner wurden weniger, fielen aber noch immer nicht aus – besonders die Entwicklungsländer wie Kuyala hatten noch schwer zu kämpfen. Obwohl Kuyala zum Zentralreich gehörte und somit ein Verbündeter von Kisara war, konnte der König nicht viele Männer nach Südosten entsenden, um den Verbündeten zu helfen. Zu groß war die Panik im Volk, dass die Zuyyaner nur darauf warteten, dass die Großmächte ihre Krieger nach Kuyala schickten und sich selbst entblößten. Und Janami dachte nicht im Traum daran, irgendjemandem seine Armee zu entsenden. Janami war das unkooperativste Land mit dem eingebildetesten Herrscherhaus ganz Tharrs, so hatte der König behauptet, und Puran konnte ihm insgeheim nur zustimmen. Zwischen Janami und Kisara hatte es schon seit vielen Jahrhunderten einen ewigen Nachbarschaftskrieg gegeben, der zwar ohne Waffen ausgetragen wurde, aber alle Beteiligten genügend nervte. Und wenn Janami alle Truppen im Land behielt, konnte Kisara es sich nicht leisten, viele zu entsenden; auch, wenn die Herrscher von Janami in den letzten Jahren sehr friedlich gewesen waren, traute ihnen jeder zu, plötzlich auch noch von Osten ins Land einzufallen, um fröhlich auszunutzen, dass alle mit den Zuyyanern beschäftigt waren.

Mit dem nächsten Sommer kam die Dürre nach Thalurien. In Senjo musste es noch schlimmer sein, aber Puran war nicht für Kamien zuständig, in sofern war es ihm eigentlich ziemlich egal, wie es dort aussah. Er hörte immer in den Dörfern nahe der Grenze zu Senjo, dass es drüben echt furchtbar sein sollte, und wenn Karana und Simu aus der Schule kamen, erzählten sie auch mitunter, dass ihre Schulkameraden aus Kamien alle leicht gereizt waren.

„Ich hab zu Loron gesagt, wenn er vor mir im Staub kriecht und bettelt, rufe ich Regen über sein Dorf.“, gackerte Karana einmal beim Abendessen, und Simu neben ihm verschluckte sich vor Schreck an einem trockenen Stück Brot. „Na ja, aber er ist nicht darauf eingegangen, der Sack, selbst Schuld…“

„Karana!“, japste Simu schon erbleichend, der ganz genau ahnte, dass es nicht klug gewesen war, das so vorlaut auszusprechen – als die Jungen die Köpfe zu ihren Eltern drehten, sahen sie in das schockierte Gesicht der Mutter und das wutentbrannte des Vaters. „Vati, er hat nur Spaß gemacht…“, versuchte der blonde Adoptivsohn wie immer, sich als Streitschlichter zu verdingen, und Puran knallte heftiger als nötig seine Gabel auf den Teller und funkelte Karana an.

„Was habe ich dir wegen deiner Gaben gesagt?“

„Ich weiß es, ich weiß es!“, johlte Neisa, aber niemand schenkte ihr Beachtung, was sie etwas missbilligte. Sie war die Prinzessin des Lyra-Clans, sie verdiente Beachtung! Fand das inzwischen sechs Jahre alte Mädchen zumindest. Ihr Vater sah jedoch nur ihren ältesten Bruder grimmig an, und Karana stierte grimmig zurück.

„Du hast gesagt, Regen ist nicht gefährlich, Vati!“

„Das heißt noch lange nicht, dass du ihn einfach rufen sollst! Es erzürnt die Wettergeister, wenn du einfach so mit ihnen herum spielst, nur, weil du deinem Freund Loron eins auswischen willst!“

„Der ist doch nicht mein Freund!“, gackerte der Sohn vorwitzig, „Loron ist ein totaler Idiot! Sein Vater ist Häuptling von Holia, und er bildet sich deshalb ein, er wäre der König der Welt!“

„Ach wirklich?“, fragte Leyya plötzlich auch etwas ergrimmt, „Da kenne ich aber noch einen Jungen, der sich wegen der Position seines Vaters offenbar ziemlich viel herausnimmt.“ Karana verstand den Wink mit dem Zaunpfahl entweder nicht oder ignorierte ihn; er war ein sehr intelligenter Junge, daher ging die Mutter eher von letzterem aus. Was nicht unbedingt erfreulicher war. Wer jedenfalls ganz genau verstand, worum es hier ging, war Simu, und er wurde ganz klein mit Hut hinter seinem halb vollen Teller und wagte gar nicht mehr, zu sprechen. Offenbar kam er sich schuldig vor, weil er tatenlos mit ansah, wie Karana ganz offensichtlich mit den anderen Kindern der Schule umging.

Puran brummte. Von dem Jungen namens Loron Zinca hatte er schon öfter gehört; dass der Junge aus Holia kam, so wie Ulan Manha, machte es nicht leichter, ihn sympathisch zu finden; oder gar seinen Vater Arlon. Was Karana sagte, war nicht ganz zu Unrecht, der selbsternannte Häuptling von Holia führte sich wirklich auf wie der König vom Affenland. Und sein Sohn, der mit Karana zur Schule ging, schien da nicht besser zu sein und vor allem einen Spaß daran zu haben, alle anderen Kinder zu schikanieren. Der Senator war dem Häuptling von Holia nur einmal begegnet, als es ein großes Spektakel wegen einer Prügelei auf dem Schulhof gegeben hatte, an der Karana und Loron offenbar nicht nur beteiligt, sondern recht ausschlaggebend gewesen zu sein schienen. Puran war nicht verblendet genug, um zu glauben, dass sein eigenes Kind die Unschuld in Person war, und das hatte er sowohl Karana als auch den zornigen Eltern der anderen Kinder klar gemacht. Arlon Zinca war das relativ egal gewesen, er hatte jedenfalls keinen Atemzug ausgelassen, um seinen Hass sowohl auf Thalurien als auch – speziell – auf dessen Oberschicht kundzutun.

„Wie auch immer, Karana.“, sagte der Mann jetzt streng, nahm seine Gabel wieder auf und aß weiter, „Du wirst die Geister nicht rufen, weil du gerade Spaß daran hast. Das gilt für jegliches Wetter, hast du verstanden?“ Der Sohn schnaubte trotzig. Je älter Karana wurde, desto schwieriger wurde es offenbar, ihn zur Einsicht zu zwingen.

„Ja, in Ordnung, ich habe es doch gar nicht gemacht, Vati. Du brauchst nicht gleich wieder meckern.“ Das war der falsche Ton, er beinhaltete einfach zu wenig Reue. Puran zischte warnend.

„Nicht in diesem Ton, mein Junge! Ich warne dich, ich bin kurz davor, richtig wütend zu werden, willst du das?! Also halt deine freche Zunge fest! Ich meckere, weil ich einen guten Grund dafür habe, den du kennen solltest! Ich habe dir tausendmal erklärt, wie gefährlich es ist, Mächte zu rufen, die noch zu groß für einen sind.“

„Aber ich habe ja gar nichts gemacht!“, protestierte der Sohn verärgert.

„Nein, aber allein, dass du daran denkst, macht mich schon zornig, Karana! Und halte dich von diesem Loron fern, der ist offenbar auch kein guter Umgang für dich.“ Puran wunderte sich oft, woher sein Sohn diese furchtbar herrische, arrogante Ader hatte. Und der Gedanke, dass der eingebildete Prinz aus Holia mit Schuld daran hatte, gefiel ihm sehr viel besser als die Alternative, die unweigerlich mit den verfluchten Eckzähnen zu tun hatte.

„Loron ist ein Penner, der verdient gar nicht, dass wir uns überhaupt mit dem abgeben.“, erklärte Karana dann, offenbar hielt er es für klug, in die vom Vater angeritzte Kerbe zu schlagen und gleich mal zu betonen, dass er ihn auch nicht leiden konnte. „Er verhaut mit seiner Schlägerbande aus Holia immer alle, die nicht machen, was er will, aber vor mir hat er Angst, der Sack.“ Er lachte dreckig und zeigte dabei seine spitzen Eckzähne, und der euphorische Blick in den grünen Augen des Kindes ließ seinem Vater einen kalten Schauer über den Rücken fahren. „Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, wird er kriechen, und wenn ich ihn mit Gewalt zu Boden treten muss.“

„Das reicht!“, schrie der Vater unverhofft laut und neben ihm fuhren Neisa und Leyya vor Schreck zusammen. Simu wurde immer kleiner vor Furcht, seine Schwester starrte ihren Vater nur verblüfft mit neugierigem Interesse an. „Raus, Karana! Geh auf dein Zimmer, auf der Stelle, und du wirst es nicht wieder verlassen, bis ich es dir erlaube! Niemand wird hier kriechen, hast du mich verstanden?!“ Wortlos und mit dem Stolz eines gefangenen Kriegers erhob sich der Sohn und stieß heftiger als nötig seinen Teller quer über den Tisch, um seinen Zorn kundzutun.

„Schrei mich nicht an, ich gehe ja!“, blaffte er zurück und machte ein wütendes Gesicht. Puran packte ihn am Arm, als er an ihm vorbei stampfen wollte, und hielt ihn fest.

„Hast du mich verstanden, Karana?“, fragte er noch einmal mit Nachdruck, und beide sahen sich für einen Moment zornig in die Augen, ehe Karana den Kopf senkte und murmelte:

„Ja, Vati.“ Der Senator ließ ihn los und schnell wie der Blitz rannte Karana aus der Stube und die Treppe hinauf, kurz darauf knallte eine Tür oben. Die anderen schwiegen bedrückt und aßen nur zögerlich weiter. Schließlich wagte Leyya es, zu sprechen.

„Puran, denkst du nicht, dass du etwas zu sehr-…“

„Halt den Mund.“, unterbrach er sie garstig und sie fuhr zusammen. Es schmerzte sie, wenn er zornig war, und erst recht, wenn er sie anblaffte, was er an sich nicht oft tat. „Du weißt ganz genau, wieso ich in diesem Punkt so kleinlich bin.“ Leyya sagte nichts.

„Wieso denn, Vati?“, wollte Neisa fröhlich wissen, die es offenbar amüsant fand, wie ihr Bruder und ihr Vater sich anfauchten.

„Frag das nicht.“, wimmelte der Vater sie kaltherzig ab, „Das geht dich nichts an, Neisa, das ist Karanas Problem und nichts deins.“

„Bekomme ich einen Keks?“

„Nein. Warum solltest du?“

„Weil ich braver bin als Karana.“

„Du bist eine kleine Heuchlerin, weißt du das? Wenn du einen Keks willst, verdiene dir einen, Neisa. Hilf deiner Mutter beim Abwasch.“

„Sagst du mir dann, wieso Karana immer angemeckert wird?“

„Nein; wie gesagt, das geht dich nichts an. Ich sage es zum letzten Mal.“ Puran bedachte Neisa mit einem strengen Blick und das kleine Mädchen senkte schmollend den Kopf. Sie hasste es, nicht zu kriegen, was sie wollte… in dem Punkt war sie ihrem Bruder ähnlich, davon abgesehen, dass sie nicht zu Arroganz neigte. Aber es war besorgniserregend genug, fand Puran.

Es war unnötig, dass die Kleine wusste, was ihr Vater für Paranoia hatte bezüglich ihres Bruders und vor allem seiner Eckzähne.

Vielleicht ist es nur Zufall… nur ein dummer Zufall, dass er so ein herrischer kleiner Scheißkerl ist… und diese Zähne hat. Oder vielleicht hat der bösartige Geist meines Großvaters doch einen Weg gefunden, zurück in die Welt der Lebenden zu kehren… und das wäre unser aller Verdammnis.
 

Es war heiß und stickig in der kleinen Taverne am Südtor von Vialla. Obwohl die Fensterläden zu waren, um die grelle, erbarmungslose Sommersonne fernzuhalten, war die Luft furchtbar, und Meoran wünschte sich, er hätte einen Fächer mitgenommen. In Ermangelung eines solchen wedelte er sich unbeholfen mit den Händen Luft zu.

„Ich weiß, ist nicht gerade das, was deinen Standards entspricht.“, lächelte sein gegenüber guter Laune, und was Meoran viel mehr empörte als die Anspielung darauf, er wäre verwöhnt, war, dass Senol Kita offenbar kein Problem mit der Hitze zu haben schien. Der Sack, Gemeinheit. „Aber hier kommen oft komische Leute her, die komische Dinge besprechen, ich kenne mich aus.“ Meoran zog eine Braue hoch und nestelte murrend am Kragen seiner Uniform, was nicht wirklich viel half. Der Wirt brachte den Männern zwei Gläser Wasser und Senol Kita grinste ihn fröhlich an, ehe er, nachdem der Mann weg war, eine Antwort von seinem älteren Kollegen bekam.

„Aha, zwielichtige Personen? Na, Senol, das beruhigt mich aber jetzt ungemein, dass du dich gerade hier mit mir treffen wolltest.“

„Ich meine, hier fallen wir nicht auf, wenn wir komische Sachen reden. Hier reden alle komische Sachen. Als ich gewartet habe, dass du kommst, hat ein Typ, der an der Theke saß, ungehemmt gemeckert, dass er nicht einfach über die Grenze kommt und seine Drogen nicht nach Janami schmuggeln kann. Das hat auch niemanden interessiert, vielleicht war er nur sternhagelvoll.“

„Um diese Tageszeit?“, fragte der Ältere verdutzt und trank sein Wasser in einem Zug halb aus, ehe er hustete. „Himmel… ist das furchtbar. Oben in den Bergen bei mir daheim ist es nicht so schwül wie hier. – Also, wie auch immer, Senol. Was gibt es denn, das du mir erzählen willst?“

„Eigentlich ist es vielleicht gar nichts Besonderes.“, räumte der Blonde ein, jetzt offenbar etwas verunsichert über sein Anliegen, und er trank auch einen Schluck und kratzte sich am Kopf. „Ach, übrigens, entschuldige, wenn du lieber Wein trinken willst, oder so, ich Antialkoholiker denke nie daran, etwas anderes als Wasser zu bestellen…“

„Das ist schon in Ordnung. Um diese Tageszeit… außerdem bin ich geschäftlich hier, sozusagen, und darf mich nicht mitten am Tag besaufen… ganz davon abgesehen, dass der Alkohol vermutlich verkocht wäre, bevor ich das Glas an meinen Lippen hätte, bei dieser Affenhitze.“ Senol gluckste.

„Du klingst ja schon fast wie dein Liebling Puran.“

„Mein Liebling? Also, das verbitte ich mir, du hast wohl zu viel mit Neron gequatscht, der immer noch davon überzeugt ist, ich hätte das Ufer gewechselt und hätte eine sexuelle Beziehung zu meinem Hausjungen.“ Der Blonde errötete und trank hastig etwas Wasser, ehe er sich verlegen entschuldigte.

„Ich wollte dich nicht ärgern, ehrlich.“

„Ist ja schon gut – sei mir nicht böse, dass ich so hastig bin, aber könntest du jetzt auf den Punkt kommen, Senol? So gern ich mit dir plaudern würde, ich habe noch eine Verabredung mit dem Herrn von Minh-În, und der verschenkt seine Gunst nicht in Gutscheinen, weißt du?“ Der Jüngere nickte, trank erneut etwas und räusperte sich dann.

„Es geht um Emo. Da er ja jetzt offiziell auch hier in Vialla ein Appartement hat, ist es wohl am sinnvollsten, wenn ich ab und zu ein Auge auf ihn werfe. Natürlich nicht so, dass es ihm auffällt, das wäre wohl ungünstig.“

„In der Tat. Offiziell, betonst du? Er ist vermutlich nicht oft zu Hause, nehme ich an.“

„Ja, so sieht es aus, meistens ist das Haus dunkel. Was der den ganzen Tag treibt, ist mir auch egal, offenbar hat er jedenfalls keine Probleme, seine Wohnung zu bezahlen, obwohl mir schleierhaft ist, womit er Geld verdienen mag.“

„Na ja, als Mitglied des Rates steht er unter der direkten Anweisung des Königs von Kisara. Aber wie auch immer, ja, das ist wohl wahr. Und dann?“

„Er bekommt manchmal Besuch, das ist es eigentlich, was mich verblüfft.“

„Nun.“, machte Meoran gedehnt und räusperte sich, „Auch, wenn wir ihn alle nicht mögen, Emo ist ja kein hässlicher Kerl. Und er hat keine Ehefrau, dass er also manchmal-…“

„Nein, er kriegt ja Besuch von Kerlen.“ Der Ältere räusperte sich und schwieg einen Moment.

„Na, wenn ihr mir vorwerft, was mit meinem Hausjungen zu haben, kann Emo ja wohl auch mit Kerlen das Bett teilen, mir soll es egal sein.“

„Nein.“, machte Senol Kita und kam sich dämlich vor, weil sein Kollege offenbar dachte, er wollte wegen solchem Unsinn seine Zeit verschwenden. „Es waren Lianer, da bin ich ziemlich sicher. Warum genau sie da waren, tut vielleicht weniger zur Sache, ich glaube gar nicht mal, dass sie wirklich aus… ähm… solchen Gründen kommen. Aber wenn er ausnahmslos Lianer kontaktiert, warum auch immer, wirkt das doch sehr eigenartig.“

„Bist du dir sicher, dass es Lianer sind?“

„Ja, völlig. Sie hatten meistens Hüte auf, um ihre Haare zu verstecken, aber die weiße Haut können sie schlecht verbergen; ganz in Schleiern einher zu marschieren wie in der Wüste von Fann würde sie ja noch auffälliger machen. Sie sind nicht lange bei ihm im Haus, irgendwann kommen sie wieder raus und gehen dahin, woher sie kamen.“

„Hmm.“, machte Meoran verblüfft, „Und woher kamen sie? Hast du mal einen von Emos bleichen Bettgespielen verfolgt, oder so?“

„Nein, bisher nicht… ich dachte, ich beobachte es lieber erst mal stumm und wollte mich mit einem von euch kurzschließen, bevor ich mich da einmische. Und als ich hörte, dass du zufällig gerade in Vialla bist, musste ich dich unbedingt sprechen. Neron, Saja und Tare lassen sich ja außer zur Ratszeit nie hier blicken und Puran scheint im Moment ganz und gar in seiner Provinz beschäftigt zu sein.“ Der Ältere trank den Rest seines Wassers aus und nestelte fluchend wieder an seinem Kragen. Senol feixte. „Na, mein Guter, du bist aber auch wirklich sehr warm angezogen für die Jahreszeit in deiner schicken Uniform.“

„Das, mein Freund, ist meine Arbeitskleidung, ich kann doch nicht in Unterhosen zum König kommen, oder zum Herrn von Minh-În. Wobei mir das bei den Temperaturen beinahe lieber gewesen wäre. Zumindest, wenn ich jünger wäre und weniger Schamgefühl hätte.“ Er hob sein Glas erneut, stellte aber bedauernd fest, dass es leer war, und stellte es wieder hin, ehe er seufzte. „Gut… das mit den Lianern hat nicht zwingend etwas zu heißen, aber seltsam ist es schon; es gibt nicht mehr sehr viele Lianer, die hier herum laufen. Wenn, dann in Tejal, da wohnen sehr viele von ihnen. Aber hier in Kisara hat Scharan – oder auch Ulan Manha – wirklich ganze Arbeit geleistet. Wenn Emo mit Scharan Kontakt aufnehmen will, funktioniert das über einen Läufer sicher am besten… es ist immerhin sicherer, als wenn er selbst nach Ghia verschwände, so ganz zufällig. Allerdings wäre es schlauer gewesen, einen menschlichen Sklaven zu nehmen, wenn er schon dabei ist. Das heißt entweder, Scharan – oder Emo – hält uns für überaus dumm, oder er will, dass wir falsche Schlüsse ziehen, um von etwas anderem abzulenken.“

„Ja… das ist das Problem. Ich habe keine Ahnung, was er vorhat. Ob Emo uns anlügt und Scharan weiterhin ein treuer Lakai ist, oder ob er Scharan anlügt und tatsächlich für uns spioniert.“

„Tja, das Gute für ihn ist, in seiner Position kann er vermutlich einfach beides tun. Scharan ist vermutlich nicht so dumm, ihm blind zu vertrauen. Und Emo sucht sich zu gegebener Zeit vermutlich aus, wohin er sich wendet… dorthin, wo es besseres Fleisch gibt.“ Der Mann seufzte, zog aus seiner Brusttasche ein Taschentuch und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. „Denmor, Henac Emos Onkel zweiten Grades, war einst ein Mitläufer des Tyrannen Kelar. Als er seine Arbeit einmal vermasselt hat – damals wollte Kelar seine Frau töten und Denmor sollte ihm dabei helfen – hat der König von Lyrien den Emo-Clan verflucht und verwunschen. Eigentlich wundert es mich wenig, dass Emo nach seinem Vorfahren schlägt… und im Schatten der Mächtigen lustwandelt, wie es scheint. Ulan Manha hat sich auf Ghia zu so etwas wie dem König der Welt gemausert, selbst die Monarchen fürchten ihn, heißt es.“ Die Männer schwiegen eine Weile und Senol Kita seufzte jetzt auch.

„Ich werde mich dann weiter darum kümmern.“, versprach er, „Wenn ich den nächsten Lianer bei Emo kommen und gehen sehe, werde ich ihn verfolgen, um herauszufinden, wohin er geht.“

„Nicht nur das.“, sagte Meoran und erhob sich, in seiner Hosentasche kramte er nach Geld, um die Getränke zu bezahlen. „Dann wirst du am besten gleich herausfinden, was er eigentlich macht, der ominöse Lianer. Er wird ja wohl nicht mit Emo Kaffeeklatsch halten, zurück nach Ghia rennen und Scharan auswendig erzählen, was es zu erzählen gibt.“ Senol erhob sich auch und hob abwehrend lächelnd die Hände, als sein Kollege schon das Geld aus der Tasche holte.

„Nicht doch, ich bezahle. Ich habe dich schließlich von der Arbeit abgehalten, Meoran, vergib mir.“

„Wo ich aufgewachsen bin, zahlt grundsätzlich der Älteste.“, feixte sein Kollege grinsend, „Und der bin definitiv ich. Ich könnte wunderbar dein Vater sein, Senol.“ Der Blonde seufzte und wusste darauf nichts zu erwidern. So ließ er Meoran bezahlen und verneigte sich mit einem höflichen Dank für die Einladung. Als sie die Taverne verließen, war es kühler geworden. Als Meoran sein Pferd holte und die beiden Geisterjäger sich voneinander verabschiedeten, spürten sie beide die Schatten, die über der Stadt lagen. Und es war das erste Mal, dass sie beide unabhängig voneinander sicher waren, dass es nichts mit den Zuyyanern zu tun hatte.

Meoran hatte kein gutes Gefühl, als er auf seinem Pferd zurück nach Osten ritt. Senol mit der Sache alleine zu lassen war fahrlässige Tötung, fand er. Vermutlich war es besser, auf Nummer sicher zu gehen. Was immer Emo für eine Rolle spielen mochte, viel wichtiger war eigentlich die Frage, was der Mann namens Ulan Manha auf Ghia trieb, hinter ihren Rücken, und ob es irgendetwas gab, das sie tun konnten, um ihn aufzuhalten.

Ghia war so weit weg…
 

Die Nächte im Spätsommer waren schwül und brachten kaum Abkühlung. Selbst Leyya, die sonst sehr nachsichtig mit der Hitze in Thalurien war, verwünschte sie in dieser Zeit, wenn sie morgens verschwitzt und klebend aufwachte; egal, wie dünn die Decke gewesen war, die sie auf sich gehabt hatte, und egal, ob alle Fenster sperrangelweit offen gestanden hatten, sie klebten morgens trotzdem alle. Jetzt konnte sie ihrem Mann wirklich nicht verübeln, dass er fluchte und meckerte, wenn er aufstand, sich den Schweiß aus dem Gesicht wischte und sich dann nackt wie er war zum Badezimmer aufmachte, um sich gründlich zu waschen. Leyya schüttelte die Laken aus, die sie im Sommer als Decken benutzten, und klopfte die Kissen auf der Fensterbank aus. Der Morgen graute gerade erst, es war noch sehr früh. Die Kinder schliefen noch; Leyya würde sie später wecken, damit sie zur Schule gingen.

Die Frau war unruhig gewesen in der Nacht. Sie hatte kaum Schlaf gefunden, hatte sich hin und her gewälzt und sehr lange wach gelegen. Jetzt fühlte sie sich elend, sie war verschwitzt und ihr Unterleib schmerzte. Die Zeit im Mond war wieder gekommen, und es stimmte sie jedes Mal unglücklicher, wenn sie wieder ihre Blutung bekam. Und nicht nur, weil es unangenehm war (im Sommer noch mehr als ohnehin schon), sondern, weil es zeigte, dass sie wieder nicht schwanger geworden war.

Seit sie Neisa vor Jahren abgestillt hatte, versuchten sie, ein drittes (oder viertes, wenn man Simu mitzählte) Kind zu zeugen. Bislang erfolglos, was die Heilerin extrem frustrierte. Neisa war schon sechs, es wurde langsam wirklich Zeit für ein neues Baby, fand sie. Aber Mond um Mond verstrich und jedes Mal bekam sie wieder ihre Blutung, die zeigte, dass sie nicht schwanger war.

Unglücklich legte sie die Kissen zurück ins Bett und strich sich über den schmerzenden Unterleib, ehe sie das Schlafzimmer verließ und zu ihrem Gemahl ins Bad kam. Puran hatte sich inzwischen gewaschen und seine Unterwäsche angezogen, jetzt stand er vor dem Spiegel und rasierte sein Gesicht.

„Du siehst fertig aus, Liebes.“, murmelte er, ohne sie angesehen zu haben, und sie war für einen Moment verblüfft – dann fiel ihr ein, dass er ein Geisterjäger war und durchaus fähig, durch bloße Gedanken zu erkennen, wenn es ihr schlecht ging.

„Ja… du weißt ja, diese Zeit im Mond, die alle Frauen krank macht.“ Er seufzte leise, als sie die Tür hinter sich schloss, mit dem Zauber Alara Wasser in die Badewanne füllte und sich hineinsetzte, um sich auch zu waschen. Sie fühlte sich eklig und unrein, wenn sie ihre Blutung hatte, und das Schwitzen der vergangenen Nacht machte es auch nicht besser.

„Tut mir leid.“, murmelte Puran hinter ihr, „Ich… habe auch kaum geschlafen. Die Geister sind nervös, ich frage mich, was das bedeuten mag. Irgendwie habe ich ein mieses Gefühl… als würde irgendetwas Schlimmes kommen.“ Leyya sagte nichts und wusch sich schweigend mit einem Lappen den Schmutz von der Haut. Je länger sie da saß und sich wusch, desto schlimmer wurden ihre Unterleibsschmerzen und desto heftiger wurde die Trauer in ihr ob des nicht vorhandenen Kindeskeims. Sie unterdrückte ein Schluchzen, spürte aber, dass ihr Hals brannte von dem Verlangen, zu weinen. „Ich werde ein paar Tage weg sein.“, sagte Puran dann, „Das habe ich dir ja gesagt. Ich habe Termine in Aleu, das ist ein Stück weg… ich hoffe bis Ende der Woche wieder hier zu sein. Ach, mit dieser depperten Hitze passt mir das gerade überhaupt nicht, verflucht! Ich weiß es schon, wenn ich in Aleu ankomme, sehe ich wieder aus wie ein Penner, weil ich wie ein Schwein schwitze und meine Haare in alle Richtungen abstehen! Himmel, das ist doch nicht auszuhalten.“ Er wusch sich das Gesicht und fuhr dann plötzlich alarmiert herum, als er seine Frau hinter sich schluchzen hörte. Seine Augen wurden vor Besorgnis groß. „L-Leyya? Was… was hast du denn?“

„Ich wünsche mir so sehr ein Kind…“, schluchzte die Frau, die noch immer in der Wanne saß, und sie fuhr sich über die tränenden Augen. Puran zog die Brauen hoch und hockte sich vor die Wanne, strich seiner Frau sanft über die nassen Haare und den Rücken.

„Ach, Liebes… es tut… mir leid, dass ich offenbar unfähig bin, dir diesen Wunsch zu erfüllen…“ Er errötete etwas beschämt. Die Aussicht, aus irgendwelchen ihm unbekannten Gründen zeugungsunfähig geworden zu sein, war grauenhaft; was war denn ein Mann ohne das Vermögen, Leben zu zeugen? Aber so oft, wie sie sich vereinten, wenn sie denn beide mal Zeit hatten, kam es ihm seltsam vor, dass Leyyas Bauch immer noch nicht wieder von neuem Leben anschwoll. Das Problem war, dass Leyya seine Befürchtung nicht richtig teilte.

„Wieso du?“, schniefte sie, „Es liegt bestimmt nicht an dir, sondern an mir, dass es nicht klappt! Vielleicht bin ich kaputt gegangen, irgendwie, und mein Körper kann keine Kinder mehr empfangen…“ Puran wollte ihr widersprechen, dass die Möglichkeit viel größer war, dass es an ihm lag – aber er war kein Heiler. Er hatte keine Ahnung, ob es wirklich so war. Er wollte keinen Schwachsinn reden, vermutlich wusste sie es besser als er.

„Hast du mal mit Chitra gesprochen? Ich meine, hast du dich denn untersucht?“

„Natürlich habe ich das… aber ich habe nichts feststellen können, das ungewöhnlich wäre…“

„Na, schau, dann liegt es ja wohl doch an mir.“, sagte er mit einem Trost in der Stimme, den er nicht empfand; auch, wenn er viel dafür gab, seine Frau zu trösten, machte es ihn auch nicht gerade glücklich, dass er zukünftig wohl ein Versager im Bett sein sollte. Wobei, vielleicht urteilten sie einfach zu früh. „Gib nicht auf.“, sagte er und beugte sich vor, im Leyyas zitternde Lippen zu küssen. „Ich gebe auch nicht auf. Vielleicht spielen die Geister uns böse Streiche… vielleicht bekommen wir eines Tages noch ein Baby! Sei nicht so traurig, Leyyachen… ich liebe dich, und ich werde die Erdgeister weiterhin um das Geschenk bitten, das wir uns so sehr wünschen.“ Er lächelte sie an und sie tat es ihm gerührt gleich, bevor sie einen weiteren, innigen Kuss teilten. Die Frau hob zitternd eine nasse Hand und strich ihm über die Brust, als seine Zunge zwischen ihre Lippen drang, und sie seufzte wohlig beim angenehmen Gefühl des tiefen, verlangenden Kusses…

Dann löste er sich von ihr und räusperte sich verlegen.

„Nicht… ich… ich bekomme gerade tierische Lust, mit dir zu schlafen, und ich… muss jetzt eigentlich arbeiten…“ Leyya sah ihn erst enttäuscht an, weil er sich von ihr gelöst hatte, dann musste sie doch lächeln und linste auf seine Hose, der man deutlich sein Verlangen ansehen konnte.

„Ja, so ein Jammer.“, seufzte sie dann und kicherte leicht, als er sich brummend umdrehte und versuchte, seine Erregung wieder loszuwerden. „Ich werde dich vermissen, Puran… ich werde jede Nacht alleine im Bett liegen, auf dich warten und hoffen, dass wir beide in den nächsten Tagen etwas mehr Schlaf finden.“

„Ja… und ich werde alleine in irgendeiner Pension in Aleu liegen und mich darauf freuen, bald nicht mehr nur meine Hände zur Verfügung zu haben.“ Er räusperte sich und sie musste leicht grinsen. „Pass auf die Kinder auf, Liebes. Ich bin bald wieder zurück.“
 

Neisa ging jetzt seit kurzer Zeit auch zur Schule. Ihre Brüder waren ganz stolz, sie jetzt jeden Tag mitnehmen zu können ins Dorf Mitonha, wo die Schule lag. Und das kleine Mädchen war noch stolzer, zusammen mit ihren Brüdern in die Schule gehen zu können. Neisa mochte ihre Brüder. Auch sie wusste, dass Simu nicht ihr biologischer Bruder war, aber das änderte ihre Gefühle für ihn überhaupt nicht. Genau wie Karana war Simu ihr Bruder und sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass er nicht bei ihnen sein könnte.

Schule war aufregend, fand die Kleine, als sie an jenem Morgen mit ihren Brüder in Mitonha ankam und auf dem Hof der Dorfschule schon viele andere Kinder herum tollten. Ihre Lehrerin war nett und die Kinder in ihrer Klasse größtenteils auch. Aber an sich noch aufregender waren die älteren Kinder, die in Karanas und Simus Klasse gingen, denn es gab einige sehr komische Gestalten darunter. Und eine davon war Loron Zinca, der selbsternannte Prinz von Holia.

Alleine schon Prinz von Holia zu sein machte ihn lächerlich; sogar die kleine Neisa wusste, dass Holia ein absolutes Kuhkaff war, in dem es nichts gab aus Sand und vielleicht eine magere Ziege. Wer stolz darauf war, Prinz eines solchen Lochs zu sein, konnte ja nur komisch sein, behauptete Karana. Ihr Bruder warnte Neisa immer davor, sich ja vor Loron in acht zu nehmen.

„Er ist zwar etwas plemplem, aber das macht ihn nicht ungefährlich. Er verhaut dich ganz einfach, also halte dich von ihm fern.“, erklärte er immer wieder, und Neisa kicherte darauf meistens. Sie hatte keine Angst vor dem Herrn über Sand und eine magere Ziege. Auch nicht vor seinem Schlägertrupp, der aus molligen Drillingen bestand, die ebenfalls aus Holia waren. Als die drei an diesem Tag den Schulhof betraten, stellten sich die Schläger aus Holia gemeinsam mit dem selbsternannten Prinz in ihren Weg. Die Drillinge waren wie immer am Essen und sahen mit den vollen Backen noch dämlicher aus als ohnehin schon. Loron, der Prinz, war im Gegensatz zu seinen Kumpels überhaupt nicht dick. Er war sehr groß und schlank, seine Haare waren eigentlich dunkel, aber meistens staubig und daher leicht gräulich, außerdem schien der Kerl noch nie einen Kamm gesehen zu haben.

„Was ist?“, fragte Karana ungehalten, als die Bande vor ihnen stand und der Prinz von Holia ihn herablassend angrinste, „Hast du etwas zu sagen, Loron?“ Unwillkürlich griff Karana nach Neisas Hand, was diese als überflüssig empfand; sie hatte keine Angst! Aber sie wehrte sich nicht und sah trotzig hinauf zu dem großen, hässlichen Kerl.

„Geh aus dem Weg, Loron!“, sagte sie dann vorlaut, „Wir wollen durch!“

„Sieh an, ein freches Mundwerk hast du für ein Mädchen.“, erklärte der Ältere süffisant, „Du hältst dich wohl für klug, was?“ Er wandte sich an Karana und sein Grinsen wurde breiter. „Oh, ich habe eine gute Nachricht für dich! – Obwohl, nein, für dich ist sie eigentlich schlecht.“

„Wenn du doch noch willst, dass ich euch Regen rufe, halte dich an mein Angebot, du Made.“, sagte der Schamane und streckte den rechten Fuß vor, „Kriech im Staub und küss meinen Fuß, Loron, dann erhöre ich deine Bitte vielleicht.“

„Alter, hör dich mal reden.“, gackerte der Prinz von Holia, „Auch, wenn dein Vater Geisterkönig ist oder so, spiel dich hier nicht so auf! Dein Hochmut wird bald ein Ende finden, du wirst dein blaues Wunder erleben! Ich habe jetzt nämlich die perfekte Lösung, wie ich Prinz Karana zu Fall bringen kann. Und dann wirst du im Staub kriechen und mich anflehen, aufzuhören, haha!“ Neisa zog die Brauen hoch, ebenso wie Simu. Karana war sehr unbeeindruckt.

„Aha.“, sagte er monoton, „Ist das alles oder hast du noch mehr kleingeistigen Müll, mit dem du mein Hirn blockieren willst, Loron? Tut mir leid, wenn ich deinen Frohmut an dieser Stelle beenden muss. Mein Vater ist kein Geisterkönig, sondern der Herr der Geister. Hast du deine… tolle Lösung, mich, wie war das, zu fall zu bringen, denn mitgebracht? Oder soll ich Wurzeln schlagen und darauf warten, dass du dir was Tolles einfallen lässt?“ Loron wurde sonst wütend, wenn Karana so mit ihm redete, aber dieses Mal grinste er einfach weiter. Neisa fragte sich, was er wohl im Schilde führte; offenbar hatte er tatsächlich irgendetwas, was beunruhigend war.

Oder aufregend, wie Neisa eher fand.

„Du wirst in einigen Tagen nicht mehr lachen, Karana.“, feixte der Junge aus Holia selbstbewusst und verschränkte die Arme, „Und deinen albernen Regen habe ich nicht mehr nötig. Finde jemanden anderes, der dir bestätigt, dass du ein Gott bist, wie du offenbar selbst glaubst. Ich bin so gespannt auf dein Gesicht… das wird toll!“ Er lachte schäbig und die Drillinge lachten doof mit, ehe der Prinz von Holia sich zum Gehen wandte. Karana zischte.

„Verpiss dich einfach, du bist ja nur neidisch, weil du genau weißt, dass du immer in meinem Schatten stehen wirst! Eines Tages werde ich Herr der Geister sein wie mein Vater, und oh, bete, dass ich den Zorn des Himmels nicht aus einer Laune heraus über dein Königreich lenke, Prinz Loron! Eines Tages werde ich dir mehr Regen geben als du jemals brauchen würdest und werde dein Land wegspülen wie eine zappelnde Ameise!“ Loron lachte nur dumm.

„Du bist so geisteskrank, Karana… du bist doch echt voll behindert! Aber eigentlich dürfte es mich nicht wundern, vielleicht schlägst du ja nach deinem Vater, dem Kinderschänder.“

Karana war drauf und dran, sich auf Loron zu stürzen, und er zischte und entblößte wie ein geiferndes Raubtier vor Wut seine spitzen Zähne, während Simu ihn hastig packte und zurückriss.

„Lass ihn!“, rief der Blonde laut, „Verdammt, er verdient deinen Zorn gar nicht, Karana!“ Der Ältere spuckte Loron verachtungsvoll vor die Füße und fletschte die Zähne. Die erwünschte Wirkung zeigte sich auch sofort, als der andere Junge jetzt doch zu grinsen aufhörte und einen Schritt rückwärts trat. Er schien sich aber schnell wieder zu fangen und kicherte.

„Was denn, ist doch wahr. Ich hab gehört, deine Mutter war noch ein kleines Mädchen, als er sie gefickt hat und du in ihrem Bauch gelandet bist.“ Der Magier hatte sich jetzt ebenfalls wieder gefasst; zumindest halbwegs, denn seine Stimme bebte vor Zorn und Verachtung, als er Loron erneut vor die Füße spuckte.

„Vielleicht. Aber mein Vater hat meine Mutter wenigstens nicht zu Tode gefickt, wie deiner es offenbar gemacht hat.“

Simu war froh, dass in dem Moment die Lehrerin über den Hof kam und sie aufrief, in die Klassen zu gehen, und damit den Streit der Jungen unterbrach, bevor er noch tiefer unter die Gürtellinie sinken konnte.
 

Der Sommer endete plötzlich mit einem fürchterlichen Unwetter, das sich über Thalurien ergoss. Es war, als würden die Geister die vorangegangene Dürre ausgleichen wollen, indem sie jetzt allen versäumten Regen nachholten. Es ging schon los, als Puran mit den Vertretern aus Aleu beim Essen saß, und es goss den Rest des Tages und auch fast den gesamten folgenden Tag durch wie aus Kübeln. Der Himmel grollte zornig und während Puran zusammen mit den Vorsitzenden der Kleinstadt die Statistiken durchging, wurde der Sturm draußen wirklich beunruhigend. Er war sich nicht sicher, ob es das Wetter an sich war, das ihn beunruhigte. Die Nervosität der Geister schlug immer auf ihn über, wenn etwas passierte, und in diesem Moment ließ es ihm gar keine Ruhe. Die Geister zischten in seinem Kopf und sprachen von Tod und Unheil, und als er das Lachen von Ulan Manha aus dem Nichts hörte und plötzlich fürchtete, der Koch aus Holia würde gleich hinter ihm auftauchen, erhob er sich plötzlich und fing die verblüfften Blicke der Vertreter.

„Herr? Stimmt etwas nicht?“, fragte der Bürgermeister von Aleu, und Puran fasste nach seinem pochenden Schädel, als vor seinen Augen die Traumbilder von den scharfen Eckzähnen seines Großvaters und dem blutigen, zornigen Himmel mit dem wirklichen Raum verschmolzen, in dem er stand.

„Nein-… ich… vergebt mir, bitte, ich muss… nur einen ganz kurzen Moment an die frische Luft, fürchte ich.“ Sein Gegenüber nickte verständnisvoll und ließ ihn das Amtsgebäude verlassen. Draußen goss es noch immer, aber die Veranda vor dem Haus war überdacht, so lehnte der Mann sich neben der Haustür gegen die Wand und fuhr sich zitternd mit den Händen über das blasse Gesicht. Die Vertreter aus Aleu waren Nichtmagier; sie hatten keine Ahnung, was er durchmachte und wie es sich anfühlte, wenn die Himmelsgeister Warnungen sendeten.

„Warnungen wovor?“, murmelte er beunruhigt, zog aus seiner Hosentasche eine zerknautschte Zigarette und steckte sie sich zwischen die Lippen, um sie mit Vaira anzuzünden. Seit er in Lorana lebte, rauchte er seltener als früher; zu Hause tat er es aus Prinzip nicht, immerhin war es ungesund für die Kinder, und bei der Arbeit hatte er nie Zeit dafür.

Die Geister wisperten in seinem Kopf und er wusste nicht, was es war, das ihn beunruhigte.

„Fürchte dich, Lyra…“, zischte die Stimme des verhassten Mannes Manha in seinem Kopf und der Herr der Geister fuhr zusammen. „Ich habe dich gewarnt, oder? Nur ein Wort, Lyra. Macht. Weißt du… wie sie sich anfühlt? Du weißt es genau, nicht wahr…? Ich weiß es auch… und ich werde sie bekommen, genauso wie du sie bekommen hast. Ich werde dafür sorgen, Lyra… ihr werdet mir nicht im Weg stehen!“

„D-dieser… dieser elende…!“, keuchte Puran und fasste abermals nach seinem Kopf, als der Schmerz darin heftiger wurde und er von einer Flut aus Bildern der Vergangenheit fast in den Wahnsinn gespült wurde. Ulan Manha, der seine geliebte Ruja getötet hatte, die gesamte Familie Kohdar und letztlich auch seine Mutter, Nalani. Er sah das höhnische Grinsen, das Gesicht, das seinem eigenen gar nicht unähnlich war, die spitzen Zähne, die auch Karana hatte – und er hörte das kehlige Lachen seines gefürchteten Großvaters. Vor seinen inneren Augen ging die Stadt Vialla in lodernden Flammen auf und Puran keuchte, als über ihm der Himmel einzubrechen schien.

Ein gewaltiges Krachen aus dem realen Himmel riss den Magier zurück zur Besinnung und er schnappte fassungslos erbleichend nach Luft.

„Ulan Manha…“, zischte er grantig, „Oder auch Scharan, König der Lianer… du grausame Bestie, was treibst du, dass mir von deinen Scharaden der Kopf platzt?“

Etwas Furchtbares würde geschehen… er wusste es.

Und Vialla würde lichterloh brennen.

Er hatte keine Zeit für die Männer aus Aleu. Er brauchte sein Pferd, und zwar schnell, und die Straße, die hinauf führte in die Hauptstadt des Zentralreiches.
 

Saidah starrte aus dem Fenster in den Regen hinaus, der das Panorama der D’anbahr-Berge verschwimmen ließ. Das Wasser spülte die schwüle Hitze des Sommers davon, was eigentlich angenehm war. Aber die Kälte, die folgen würde, war auch keine sehr angenehme Aussicht; im Gebirge konnte es eisig werden. Im vergangenen Winter war Tanuq unerwartet krank geworden; das war nicht das Hauptproblem gewesen, denn die da schon junge Frau hatte sich rührend um ihr männliches Kindermädchen gekümmert, dummerweise hatte ihr Vater darüber vergessen, dass niemand Holz hackte, wenn Tanuq es nicht tat, und so war ihnen das Brennholz ausgegangen und sie waren beinahe erfroren. Mitunter belächelte Saidah die Zerstreutheit ihres Vaters. Er wurde eben älter und er hatte viel um die Ohren, es war nicht verwunderlich, dass ihm da so etwas Banales wie Brennholz entging. Er war Führer der Sicherheitstruppe, das war Verantwortung genug, wie die junge Frau wusste. Sie begegnete mitunter den seltsamen Gestalten, die versuchten, sich oder ihre Familie über die Grenze zu schmuggeln; das große Problem der Zuwanderer, die Janamis Herrscherhaus gerne fern halten wollte. Meistens waren es Leute aus Fann, die irgendwie ungesehen ins Land vorzudringen versuchten und spätestens hier scheiterten. Die Späher in Form von Krähen und Kondoren waren dafür sehr nützlich, Leute aufzuspüren, und dass jemand entwischt war, war ihrer Erinnerung nach noch nie vorgekommen. Wer dabei ertappt wurde, ohne Erlaubnis ins Land zu wollen, erst recht fernab jedes Grenzpostens auf illegale Weise, weil es so billiger war, dem blühte Böses.

Saidah wusste, dass ihr Vater ein gutmütiger Mann war, der nicht aus Spaß Menschen schikanierte. Was er tat, war seine Arbeit und es waren die Befehle aus Minh-În, die es zu befolgen galt. Für einen gebürtigen Ausländer war Meoran Chimalis erstaunlich schnell an einen derart hohen und geschätzten Posten geraten, und Saidah wusste, dass der Herr von Minh-În ihm seine Gunst wegen seiner Fähigkeiten und vor allem wegen der Späher-Vögel zukommen ließ. Die junge Frau war den hohen Tieren der Großstadt schon das eine ums andere Mal begegnet, wenn sie ihren Vater begleitet hatte. Der Herrscher der Stadt war ein Vetter des Königs von Janami, stand also in direkter Verbindung zum Herrscherhaus und hatte deswegen einiges zu sagen. Minh-În war der wichtigste, größte und mächtigste Posten des Landes im Westen und so etwas wie die Kontrollstelle bezüglich der anderen Länder, die westlich von Janami lagen. Von Minh-În aus konnte man Kisara, Senjo und Kuyala beobachten und in Schach halten, wenn es Ärger geben sollte. Kein Land Tharrs war so auf seine Sicherheit versessen wie Janami. Nach außen hin versuchte der König in Dan-morough, es so aussehen zu lassen, als bemühte er sich um eine relative Kooperation mit seinen Nachbarn, vor allem Kisara; aber eigentlich waren es pures Misstrauen und Skepsis, die hinter allen angeblich guten Bestrebungen lagen. In der letzten Zeit pflegte der Herr von Minh-În seinen Sicherheitstruppenführer als Gesandten nach Kisara zu schicken, um das Verhältnis zwischen dem Reichskapital und der zweiten Hauptstadt von Janami in Sicherheit zu wissen; dass er ohnehin viermal im Jahr nach Vialla reisen musste, um seinen Ratssitzungen beizuwohnen, hatte sich für die Regierung als praktischer erwiesen als zuerst angenommen. In den vergangenen Wochen war ihr Vater oft nach Minh-În zum Palast eingeladen worden, um anschließend nach Vialla geschickt zu werden und so den Vermittler zwischen dem König von Kisara und dem Herrscher von Minh-În zu spielen. Währenddessen führte ein Stellvertreter die Truppe im Gebirge, und wie es die Truppe unter Meorans Führung ab und zu machte, kamen die Soldaten jetzt auch ohne den eigentlichen Truppenführer mitunter zu dessen Haus und ließen sich mit ein bisschen Wein und Brot versorgen. Die Männer mochten Saidahs Gesellschaft, und sie wusste auch genau wieso – ebenso wusste sie aber, dass niemand der Kerle es jemals wagen würde, ihr auch nur zu nahe zu kommen, wenn er keine ausdrückliche Erlaubnis ihres Vaters bekäme. Und Meoran konnte ziemlich garstig werden, wenn es um seine Tochter ging.

Es war weder das Wetter noch waren es die Krieger, die Saidah besorgten, als sie jetzt am grauen Vormittag in den Regen starrte. In der Küche klapperte das Geschirr, das Tanuq abwusch, das noch vom vergangenen Besuch der Truppe benutzt war. Saidah zog auf dem Stuhl die Beine an und umschlang sie mit ihren schlanken Armen, während sie weiter hinaus starrte. Draußen grollte der Himmel bösartig vor sich hin. Sie war müde… es hatte nicht viel Schlaf gegeben für sie in der vergangenen Nacht. Das Gewitter war heftig gewesen, das über den Bergen gehangen hatte, und als die Unruhe der Geister in ihrem Kopf zu viel Angst heraufbeschworen hatte, war sie zu ihrem Vater ins Bett gekommen und hatte die Nacht dort verbracht. Sie war schon über dreizehn, es war gewiss ungewöhnlich in ihrem Alter, das wusste sie selbst. Und dennoch war ihr Vater doch alles, was sie hatte, und er war auch der Einzige, der ihre Unruhe verstand. Er empfand sie ja selbst… auch ihm berichteten die Geister von Unheil. Und er hatte genauso wenig geschlafen wie sie.

„Sag mal.“, riss Tanuq sie aus ihren Gedanken, der aus der Küche lugte, „Wann hat dein Vater vor, zurückzukommen? Ich habe ihn heute früh gar nicht gesehen, er muss irre früh weg gegangen sein. Ist er wieder nach Vialla?“

„Nein, nach Minh-În.“, erwiderte die junge Frau und strich sich gedankenverloren durch ein paar schwarze Haarsträhnen, die ihr widerspenstig aus den geflochtenen Zöpfen hingen. „Aber ja, er ist noch vor dem Morgengrauen weggegangen, du hast noch geschlafen. Er war sehr durcheinander heute Morgen und… es hat mir ziemliche Sorgen gemacht. Ich weiß nicht genau, was los war, nur, dass die Geister in der Nacht die ganze Zeit geflüstert haben. Ich habe sie nicht verstanden, aber ich habe ein schreckliches Gefühl… ich… weiß nicht, woran es liegt.“ Tanuq sah sie besorgt an.

Schatten und Tod… wohin sie nur sah. Das Ende der Welt war nicht das, was ihr am meisten Sorgen machte. Es war viel mehr eine schleichende Bosheit, die sich aufbaute wie eine Gewitterwolke, die um einiges verheerender sein würde als das Ende der Welt, das sie in ihren Träumen sah.

„Meinst du, seine Verwirrung lag an den Geisterstimmen?“, fragte das Kindermädchen kleinlaut, als wagte er nicht, es laut auszusprechen. Saidah seufzte.

„Also, er war schon zurechnungsfähig, wenn du das meinst. Du weißt… das, was ich am meisten auf der ganzen Welt fürchte, ist dass er wieder einen Schlaganfall bekommt. Wenn so etwas noch mal passiert, verliert er vermutlich mehr als nur ein Auge und… ich will gar nicht daran denken.“ Tanuq stimmte ihr verhalten nickend zu. Sie beide wussten, dass Meoran schon bei besserer Gesundheit gewesen war, und je älter er wurde, desto mehr Angst bekam seine Tochter, ihn zu verlieren. Das Trauma vom Tod ihrer Mutter saß ihr noch nach all den Jahren unweigerlich in den Gliedern und noch immer nagten die Alpträume an ihr von jener Nacht, in der Ruja einen grauenhaften Tod gestorben war.

Die junge Frau drehte den Kopf wieder zum Fenster und schauderte.

„Nein, es war irgendetwas anderes, was ihm Sorgen machte. Ich glaube, es hatte mit Ulan Manha zu tun… mit diesem Mann, der meine Mutter und Tante Nalani ermordet hat. Ich glaube, Vater wollte einen Späher nach Vialla schicken, um den Schattenmann zu überwachen.“
 

An dem Morgen, an dem Puran noch in Aleu mit den Vertretern saß, nur wenig beunruhigt vom starken Unwetter, das über dem Südwesten von Kisara wütete, saß Shiva Kita, Senols Frau, in ihrer Küche in Vialla und kochte Gemüse. In Vialla regnete es auch, allerdings war es mehr ein fader Nieselregen, der die Stadt überzog und die Temperaturen des Sommers deutlich herunterkühlte. Die Telepathin fragte sich, wo ihr Mann blieb; er war am vergangenen Spätnachmittag weggegangen und hatte gemeint, er müsste etwas Wichtiges für den Rat erledigen. Dummerweise war er nicht zurückgekommen, was die Frau ungemein beunruhigte. Nicht etwa, weil sie ihm vorwarf, sich heimlich mit einer anderen Frau zu treffen; Shiva kannte ihren Mann. Er wäre vermutlich der Letzte, der jemals fremdgehen würde, in dieser Beziehung vertraute sie ihm blind. Es war mehr etwas anderes, das ihr Sorgen machte… in seinem Eifer bei der Arbeit machte er mitunter Dinge, die nicht besonders klug waren, ohne es böse zu meinen. Aber solange sie diesen Mann kannte, neigte er irgendwie dazu, in Schwierigkeiten zu geraten – vermutlich hatte ihre dusselige Tochter das von ihm, die sich dauernd den Kopf stieß, dachte die Frau mit einem Lächeln. Auf Sora wartete sie auch, wenn auch nicht ganz so lange. Sie hatte die Kleine zuvor zum Einkaufen geschickt, ihr fehlten noch Rüben für ihren Eintopf.

Als sich die Haustür öffnete, schnellte die Frau aus der Küche und fragte sich, wen sie mehr erwartete, ihren Mann oder ihre Tochter – jedenfalls war es tatsächlich ihr tot geglaubter Gemahl, der herein schneite, die Tür hastig hinter sich zu warf und sich keuchend dagegen lehnte, als wäre er vor jemandem geflüchtet.

„Du liebe Zeit!“, keuchte sie, „W-was ist denn mit dir geschehen, hast du im Abwassergraben übernachtet?!“ Senol keuchte auch.

„Nein – vergib mir, dass ich die Nacht über weg war… und dass ich so dreckig bin liegt daran, dass es nicht leicht ist, Leute zu verfolgen, ohne sie merken zu lassen, dass man sie verfolgt – Himmel, Shiva, ich habe mich doch nicht getäuscht mit den Lianern, die zufällig Henac Emo besuchen kommen! Ich… ich kann noch gar nicht fassen, was der Kerl da treibt!“

„Was meinst du damit?“, fragte sie beunruhigt, während sie in die Küche eilte und ihren Eintopf umrührte, „Was ist mit denen?“

„Emo!“, japste Senol Kita und riss sich seinen schwarzen Umhang vom Leib, um ihn ungestüm über den Haken an der wand zu hängen, „Der Kerl, er hat den Rat belogen, er führt Briefverkehr mit Scharan auf Ghia – und diese Lianer sind die Briefträger, die von einem zum andere wandern.“ Shiva ließ ihren Kochlöffel fallen.

„Was? – B-bist du dir sicher?!“

„Ich habe den Typen ja extra deshalb verfolgt, den Lianer, meine ich. Und – Überraschung – er ist tatsächlich zum Flughafen gegangen, wenn auch auf Umwegen, vermutlich hat er gedacht, er könnte so mögliche Misstrauische abhängen. Ich bin durch Büsche gekrochen und habe im Sand gewühlt, und bin ihm über jeden noch so komischen Weg um die halbe Stadt herum gefolgt. Als ich sicher war, dass er zum Flughafen wollte, hab ich ihn dann angehalten und ihm den Brief abgenommen. Also, ich wusste natürlich vorher nicht, dass er etwas bei sich hatte, aber ich habe einen Brief gefunden, schau!“ Seine Frau weitete die Augen, als er aus seiner Hosentasche ein zerknülltes Pergament zog. „Er berichtet diesem Bastard auf Ghia, was hier so abgeht, und, verdammt, wo wir leben, bei jedem einzelnen von uns, als hätte er vor, Attentäter von Ghia schicken zu lassen – Himmel, Shiva, weißt du, was das bedeutet? Der Kerl ist nur deshalb wieder in den Rat gekommen, damit er Scharan den Weg ebnen kann, uns einen nach dem anderen umzulegen… w-wie er es schon mit Kohdars und Nalani getan hat!“ Shiva erbleichte und riss ihm den Brief aus der Hand, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

„Senol, bist du noch zu retten, das Ding mitzunehmen? D-du kannst doch den Kerl nicht zusammenschlagen und den Brief mitnehmen, was denkst du, wird Scharan – oder Henac Emo, oder wer auch immer – tun, wenn der Brief nicht ankommt und sie wissen, dass jemand um sie Bescheid weiß? H-hast du es den anderen gesagt?“

„Ich habe vor ein paar Tagen mit Meoran gesprochen, er weiß, was ich zu tun hatte – Shiva, ich bin nun mal der Einzige, der regelmäßig genug hier ist, um sich darum zu kümmern, den Kerl im Auge zu behalten…“

„So edelmütig das von dir ist, aber damit bist du auch der Einzige, den sie verdächtigen werden, dahinter gekommen zu sein, du Idiot!“ Darauf starrte er sie nur groß an und sagte lange keinen Ton. Als er wieder sprach, schien ihm zu dämmern, was sie da sagte, und die Frau begriff es selbst er in dem Moment, in dem er fortfuhr.

„Wo ist Sora?“

Shiva Kita kam nicht dazu, zu antworten. Mit einem lauten Krachen flog die Haustür auf, sprang aus den Angeln und kippte zu Boden, und die Telepathin schrie vor Schreck, während Senol sie hinter sich schob und sich japsend zum Flur umdrehte. Und er erstarrte, als er den Mann erkannte, der jetzt herein schneite, die kaputte Tür zur Seite trat und sich vor ihm und Shiva in der Küche aufbaute. Dass der Eintopf überkochte, interessierte gerade keinen.

„Emo!“
 

Henac Emo schnaufte und sah sich gehässig grinsend um.

„Tag auch, ich dachte mir, ich statte dir einen kleinen Besuch ab. Wir sind ja fast Nachbarn, du wohnst nur zwei Blocks weiter südlich, welche passender Zufall! Und ich habe gedacht, Ei, geh doch mal Herrn Kita besuchen, seine Frau macht sicher gerade leckeres Essen. Und, siehe da, Eintopf, mein Leibgericht. Wirklich, so ein passender Zufall!“ Senol Kita erbleichte und fragte sich, was das sollte.

„Du bist doch… nicht wegen des Eintopfs hier!“, entfuhr es ihm, und Henac Emo lachte lauthals los, ehe er plötzlich ernst wurde und brüllte:

„Nein, du Hornochse, dein Eintopf kann mich mal am Arsch lecken, du weißt genau, warum ich hier bin!“ Ehe der Blonde sich versah, hatte er einen so saftigen Schlag ins Gesicht geerntet, dass er zu Boden ging. Shiva kreischte und der Schwarzhaarige schleuderte sie mit einer unsichtbaren Druckwelle zurück gegen die Wand, wo sie keuchend zu Boden sank.

„Nicht!“, schrie Senol am Boden, der nach seiner Nase fasste, „B-bitte! Bitte verschone Shiva, sie hat dir nichts getan!“

„Weißt du, wie egal mir das ist, du Schnüffler? Sei froh, dass ich sie hässlich finde, sonst hätte ich sie vor deinen Augen besudelt, einfach so zum Spaß. Wo ist er, Kita? Raus damit, und zwar auf der Stelle!“

„I-ich weiß nicht, wovon du redest!“ Senol erntete einen weiteren Schlag ins Gesicht.

„Oh, lüg mich nicht an, Lügen ist mein Fachgebiet, du hirnloser Affe! – Was hast du gedacht, dass ich blind und taub wäre, oder so? Dass ich nicht merke, dass du Tag und Nacht vor meinem Haus herum hockst und meinen Besuch beschattest?“

„Wenn du nichts zu verbergen hättest, wäre dir das völlig egal.“, bemerkte der Geisterjäger, spuckte Blut und rappelte sich halb auf – dann packte der Ältere ihn unsanft am Kragen.

„Hör mir mal gut zu, du Klugscheißer. Du bist noch nicht lange genug Geisterjäger, um zu wissen, wie grausam wir sein können. Und das gilt nicht nur für mich persönlich, sondern für alle von uns. Auch für Puran, den pazifistischen Häuptling Zitterhand, der vermutlich tausende Zuyyaner geschlachtet hat im Krieg, und auch für Meoran, der unschuldige Menschen aus Fann hinter dem Rücken der Öffentlichkeit meuchelt, wenn sie die Berge passieren wollen, und das mit dem Siegel des Fürsten von Minh-În. Was du nicht kannst, Kita, ist, einschätzen, wann du richtig tief in der Scheiße steckst. Nämlich jetzt, zum Beispiel! Wo ist der verdammte Brief?!“

„Welcher Brief?!“, fauchte Senol, obwohl er nicht wirklich daran glaubte, dass er eine Chance hatte, wenn er log. Er wusste nicht, was er machen sollte, und sah keuchend zu Shiva, die sich benommen aufrappelte. Er wünschte, sie würde weglaufen… und wo war Sora? Himmel, wenn sie jetzt die Treppe herab kam…

„Du dachtest doch wohl nicht, dass ich nicht wüsste, wer meinen Brief geklaut hat, wenn der Lianer eingefroren am Flughafen liegt! Wer ist denn hier der Eisdepp?! – Ja, glotz mich nur verblüfft an, das verrät dich ohnehin. Du tust jetzt besser daran, mir den vermaledeiten Brief zu geben, Kita. Wenn ich herausfinde, dass jemand davon weiß, wird jeder verdammte Mensch, der dir jemals am Herzen lag, brutal sterben. Und dieses Mal sage ich die Wahrheit…“ Er grinste böse und der Jüngere schauderte. „Haben wir uns verstanden?“ Der Blonde schloss zitternd die Augen. Er wollte ihn wegstoßen. Er wollte die Hände hochreißen und ihn ebenfalls einfrieren, genau wie den Boten, der Scharan die Nachricht bringen sollte. Aber er fürchtete zu sehr um das Lebens einer Frau und seiner Tochter, um sich richtig zu wehren… es würde Emo nur eine Handbewegung kosten, seine Frau zu töten. Als er die Augen wieder öffnete, sah er in die pechschwarzen seines Kollegen. Es war in diesem Moment, dass Senol Kita wusste, dass nur einer von ihnen diesen Tag überleben würde.

„Dein wertvoller Brief liegt da am Boden, Emo.“ Es war kaum mehr als ein krächzen, das aus seiner Kehle kam, und erleichtert seufzte er, als der Ältre ihn wirklich losließ und das Stück Papier aufhob, das Shiva bei seinem Angriff fallen gelassen hatte.

„Sehr schön. Dann weiß noch niemand der anderen Geisterjäger davon, hoffe ich für dich?“

„Nein, niemand. Ich schwöre.“

„Senol…!“, japste seine Frau panisch, weil er jetzt unweigerlich alle Schuld auf sich zog, und sie wurde noch bleicher, als der Schwarzhaarige sie süffisant angrinste.

„Was denn? Ist es nicht edelmütig von deinem Gatten, seine Kollegen so zu schützen? Du solltest stolz auf ihn sein… er ist wirklich tapfer, wenn er glaubt, er könnte jetzt noch etwas ändern…“ Senol Kita hob jetzt kampfbereit die Arme und der Ältere trat glucksend zurück.

„Scher dich fort!“, rief der Blonde, „Raus aus meiner Küche, und wenn du meiner Frau ein Haar krümmst, sorge ich dafür, dass du eine neue Art von Schmerzen kennenlernst!“

„Klingt interessant. Ich frage mich, was für eine Art von Schmerzen das sein soll, ich denke, ich kenne alle. Ausnahmslos alle. Wobei mich keine wirklich beeindruckt hat, weißt du?“ Der Blonde fuhr zurück, als Emo die Hand hob und mit einem einfachen Schwenk die ganze Küchenzeile in Flammen aufgehen ließ. Shiva schrie und ihr Mann schob sie in Richtung Tür, sie hinter sich behaltend, damit Emo nicht an sie heran kam.

„Um Himmels Willen, Senol!“, jammerte die Frau, und Henac Emo grinste diabolisch. Er warf den Brief ins Feuer, worauf der Blonde die Augen weitete.

„D-du hast doch gerade…?“

„Denkst du, ich lasse Beweismaterial übrig? Das wäre töricht, Kita. Und, bevor ihr weglauft, haben wir ein kleines Problem. Ihr wisst Dinge, die ihr nicht wissen solltet. Wenn ich euch laufen lasse, bekomme ich Ärger und das passt mir nicht. Wo ist denn deine reizende Tochter eigentlich? Die habe ich gar nicht gesehen…“

„Nicht, bitte!“, schrie Senol Kita, und Shiva japste:

„S-sie schläft oben! Was immer du vorhast, lass sie in Ruhe, ich flehe dich an!“ Ihr Mann starrte sie fassungslos an, dass sie preiszugeben schien, wo das Kind war – Shiva schloss bebend die Augen und wusste, dass es nicht mehr wichtig war, dass sie ihren Mann anlog. Sora war nicht im Haus. Und es war besser, wenn Emo dachte, sie wäre es.

Der Schwarzhaarige fragte sich, ob sie wirklich so ruhig hier stehen würde, wenn das Kind oben schlief. Wohlgemerkt am helllichten Tage. Aber wo immer die kleine Göre war, eigentlich konnte es ihm völlig egal sein. Sie war ein kleines Kind, ohne ihre Eltern würde sie nicht lange leben und sie war zu klein, um zu begreifen, was geschah. Er ließ es also gut sein und seufzte theatralisch.

„Einverstanden, Weib. Ich werde deiner Tochter kein Haar krümmen. Vorerst.“ Senol zischte und hob die Arme drohend höher.

„Ich warne dich ein letztes Mal, Emo!“, sagte er, „Verschwinde, wenn du willst, dass ich den Mund halte über das, was ich weiß über diene Machenschaften mit Ghia! Mit Scharan, besser gesagt!“

„Du kannst so heldenhaft klingen.“, grinste der andere, „Schade nur, dass du absolut in der falschen Position bist, um Bedingungen zu stellen, Kita. Für wie dumm hältst du mich? Die Würfel sind längst gefallen.“ Und das Grinsen in seinem Gesicht ließ keinen Zweifel am Schicksal des Geisterjägers und seiner arglosen Frau.
 

Eine Krähe flog schreiend über sie hinweg und verleitete die kleine Sora, verblüfft in den wolkigen Himmel zu starren. Dummerweise achtete sie dabei nicht auf ihre Füße und stolperte, wobei die Einkaufstasche aus ihren Armen flog und ihren Inhalt auf der Straße verteilte.

„Oh nein!“, jammerte die Kleine, rappelte sich auf und begann, die Rüben einzusammeln – eine wurde gerade von einer daher rasenden Kutsche zerquetscht und die kleine Magierin schimpfte. „Du blödes Ding! Roll doch nicht über meine Rüben! Ach, verdammt!“ Sie hatte die übrigen Rüben eingesammelt und hastete weiter in Richtung Heim – sie war spät dran. Das kam alles nur daher, dass sie so unaufmerksam war und sich immerzu umsehen musste… wie bei dem schwarzen Vogel, den sie gesehen hatte. Krähen waren Aasfresser und unschöne Vögel, aber Sora hatte keine Angst vor ihnen, hatte sie festgestellt. Als ziemlich einziges Mädchen ihrer Schule, worauf sie stolz war. Ihr Vater sagte, sie würde sicher einmal eine gute Geisterjägerin sein. Sie hoffte es sehr… sie war zwar erst sieben, aber wenn sie einmal erwachsen war, wollte sie unbedingt auch in den Rat und für das Gute sein, wie eine richtige Heldin. Ihre Mutter lachte sie immer liebevoll aus, wenn sie so sprach… aber Sora fand, dass die Geisterjäger Helden waren.

Dass etwas nicht stimmte, spürte sie instinktiv lange, bevor sie das brennende Haus sah. Als sie um die Ecke bog, ließ sie die Tasche achtlos fallen und fing an, wie am Spieß zu schreien – es war ihr Elternhaus, das da brannte! Es war ein bösartiges, grausames Feuer, das trotz der Nässe schon auf die anderen Häuser überschlug, als die Kleine näher hastete. Die Menschen der Straße schrien und versuchten, das Feuer mit Wasser zu löschen, aber es schien nicht richtig zu wirken.

„Mutti, Vati! Oh nein, wo seid ihr?!“, schrie das kleine Mädchen verzweifelt, und sie hastete zwischen den rufenden Menschen hindurch, um ihre Eltern zu suchen. Was war denn passiert? Wieso brannte es plötzlich? Das war ein schlechter Traum… sie fand ihre Eltern nicht, sie rief, so laut sie konnte, aber das Tosen der Flammen erstickte ihre Schreie in der Menge. Dann spürte sie mit einem Mal, wie jemand sie an der Schulter packte, doch als sie sich umdrehen wollte, griff ihr jemand auf den Mund, um ihre Stimme zu ersticken, und sie fühlte einen betäubenden, harten Schmerz in ihrem Nacken, ehe die Welt um sie herum dunkel wurde.
 

Der Himmel grollte finster über dem Land und die Geister versetzten Puran einen schmerzhaften Stich im Kopf, als er die Stadt Vialla in der Ferne erkannte. Und die Rauchschwaden, die im Süden der Stadt zu sehen waren.

Es ist wie in meinem Traum – s-sie brennt tatsächlich!

„Verdammt noch mal!“, fluchte er ungehalten und rammte dem armen Gaul die Hacken in den Bauch, damit er lospreschte und auf die Stadt zu. Was immer hier geschah – die Geister hatten gewusst, dass es geschehen würde. Er fragte sich, wieso sie es ihm erst so spät gesagt hatten… was war das für ein furchtbares Feuer in der Stadt? Dazu bei dem Regen?

Je näher er der Stadt kam, desto schlimmer wurde das üble Gefühl in seinem Magen, als er genau zu wissen begann, wo es tatsächlich gebrannt hatte. In welcher Gegend… er kannte die Blöcke im Süden. Die Blöcke, in denen unter anderem die Kitas lebten. Er wusste nicht, ob es seine Paranoia oder die grausamen Instinkte waren, die ihm sagten, dass er genau das Richtige dachte.

„Kitas – verdammt, Kitas!“ Mehr brachte er nicht hervor, als er schließlich die Straße erreichte, in der das Haus seines Kollegen stand – gestanden hatte. Hier stand nichts mehr, nur eine Reihe verkohlter Ruinen, die jetzt zu brennen aufgehört hatten. Die dicken Rauchschwaden hingen wie schwarzer Nebel über dem Viertel, und Puran hustete, als er von seinem Pferd sprang, es am Ende der Straße stehen ließ und zu Fuß vorwärts hastete.

„Was ist hier passiert?!“, fragte er laut, als er einen Trupp Menschen sichtete, die jammernd herum standen.

„Was passiert ist?!“, fuhr ein Mann ihn erbost an, „Siehst du das nicht, du reicher Lackaffe?! Mein Haus ist weg, ja?! Einfach weg, plötzlich hat es gebrannt! Einfach so! Was für eine Laune der Geister! Ich habe alles verloren, alles ist hin! Mein Sohn ist da drin verbrannt, ja?! Hast du auch einen Sohn, du Schnösel?! Weißt du, wie das ist?!“

„Was ist mit den Leuten aus dem Eckhaus passiert?!“, fragte Puran gegen an und ignorierte die Beleidigungen – er konnte es dem armen Schlucker nicht verübeln.

„Weißt du, wie scheißegal mir das ist?! Keine Ahnung, wer hat da gewohnt?! – Ah, warte, der Blonde mit dem Umhang! Äh, weiß nicht, hab ihn nicht gesehen!“ Puran schnappte verzweifelt nach Luft, atmete dabei Rauch ein und hustete erneut. „Ich verfluche die Himmelsgeister für diesen Zorn, den wir nicht verdient haben! Ich werde sie umbringen!“, heulte der Mann neben ihm, dann zerrte er an Purans schwarzem Umhang und schrie ihn an. „Mach was, du Schnösel! Du hast sicher das Geld, unsere Häuser zu bezahlen! Los, mach was, oder verschwinde von hier, wenn du nur gaffen willst! Begaffst das Elend anderer, wirklich nett!“ Puran zischte, da bekam er unerwartete Unterstützung, als hinter ihm plötzlich eine sehr bekannte Stimme zu vernehmen war.

„Scher dich weg, du Lümmel, er ist es nicht, dem du dein Elend zu verdanken hast, du Hurensohn! Eigentlich solltest du vor Senator Lyra im Staub kriechen, wenn du willst, dass er dich überhaupt mit dem Hintern ansieht!“ Puran fuhr herum und erblickte verblüffenderweise Dasan Sagal hinter sich. Auf seinen Gehstock gestützt und in schwerem Regenmantel machte er tatsächlich einen ziemlich imposanten Eindruck, und der Obdachlose vor Puran ließ ihn rasch los und trat zaudernd zurück.

„Ihr Barbaren!“, heulte er, „Mein Sohn ist tot!“

„Ja, ich weiß. Es tut mir leid, ich habe auch schon mal einen Sohn verloren.“, sagte Herr Sagal barsch, „Das ist aber jetzt nicht unser Problem, vergebt uns. Dann sieht Senator Lyra vielleicht über die Belästigung hinweg.“ Er warf dem Jüngeren einen scharfen Blick zu, der ihm bedeutete, ja nichts einzuwenden, und Puran schnappte nur ratlos nach Luft. „So. Kommt mit, Herr, wenn wir noch etwas über Kitas Verbleib erfahren wollen, gehen wir zwei Haufen Trauernder weiter.“ Der Senator sah nur hilflos nach den elenden Opfern der Brände, die sie jetzt hinter sich ließen und sie ihnen nur teils empört, teils weinend nachstarrten.
 

Emo stand auf der Stadtmauer und sah in der Ferne die verkohlte Straße. Er zischte, während er Puran und Dasan Sagal beobachtete, die da durch den Regen und die Obdachlosen stapften. Zu schade… was musste der Telepath jetzt hier auftauchen? Er hatte gar nicht damit gerechnet, dass der Herr der Geister plötzlich in Vialla auftauchte. Und zuerst hatte es ihm auch nicht in den Kram gepasst… aber eigentlich war es egal. Kitas waren tot, und auch Puran würde sie nicht wiederbeleben können. Er sollte froh sein, wenn er ihre Reste identifizieren konnte. Dann, als er ihn so im Regen bei den Armen beobachtete hatte, war Emo der Gedanke gekommen, ihn unerwartet und rein zufällig gleich mit umzulegen. Puran war viel mächtiger als er selbst, aber wenn er einen Überraschungsangriff startete, hatte er vielleicht eine Chance… und man konnte es so tarnen, dass er leider im Inferno umgekommen war, bei dem heldenhaften Versuch, die Menschen zu retten, die dann leider alle mit ihm krepiert waren… aber dann war Sagal aufgetaucht und hatte Emos Pläne vernichtet. Mit zwei solchen Kronjuwelen der Schamanen zugleich konnte er es selbst als Geisterjäger nicht aufnehmen. Telepathen waren für ihn als Schattenmagier gefährliche Gegner. Ein Mann von Sagals Kaliber konnte vorhersehen, was Emo machen würde, bevor er es selbst wüsste. Nein… da hatte der Herr der Geister und ehrenwerte Senator von Thalurien noch einmal Glück gehabt, dachte der Verräter gehässig, und er wandte der Straße den Rücken zu. Er hatte jetzt genug zu tun. Er musste einen neuen Brief schrieben, den Lianer ersetzen und außerdem brauchte er ein Alibi – bei Purans elendigem Misstrauen und Sagals Scharfsinn war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich fragten, ob er damit zu tun hatte.

Er seufzte und beschloss, sich im nächsten Bordell eine Hure zu leihen. Nach all dem Tumult brauchte er jetzt dringend Erleichterung.
 

„Was macht Ihr hier?“, wagte Puran Herrn Sagal verblüfft zu fragen, obwohl das eigentlich eher eines der letzten Dinge war, die ihn momentan wirklich brennend interessierten. Die Panik schnürte ihm noch immer den Hals zu, gemeinsam mit dem beißenden Rauch, als die beiden Männer die Straße hinab eilten (so schnell Dasan Sagal mit seinem Hinkebein konnte), vorbei an weiteren, verzweifelten Überlebenden, die in einem kurzen Moment alles verloren hatten, was sie jemals besessen hatten.

„Ich kam per Teleport, weil die Geister mich gewarnt haben.“, knurrte der Ältere vor ihm, und Puran senkte den Kopf. „Allerdings – wie man sieht – ist das Chaos schon vorbei, diese Verräter haben mich etwas zu spät gewarnt.“

„Nicht nur Euch, Herr… ich war ja kaum einen Moment vor Euch hier. Ich habe ebenfalls ein schlechtes Gefühl gehabt und habe deshalb die Politiker in Aleu hängen lassen-… ich habe nicht geahnt, dass Kitas Haus-… verdammt, w-wo steckt der Sack?! Das kann doch nicht wahr sein!“

„Die Politiker in Aleu übernimmt dann mein Sohn.“, erklärte der Kopf des Spionageclans, der einfach überall seine Finger drin hatte, „Er wohnt in Aleu, er wird die alten Säcke schon darüber vertrösten, dass Ihr weggelaufen seid. Sofern Ihr vorhabt, demnächst zurückzukehren.“ Puran fragte sich, was er damit meinte, aber zum Fragen kam er nicht. Der hinkende Mann blieb vor einer anderen Rotte von Trauernden stehen, verneigte sich höflich und zeigte auf das Eckhaus, das Kitas gehört hatte.

„Was ist mit der Familie Kita passiert? Hat sie irgendjemand gesehen?“

„Nein!“, keuchte eine aufgelöste Frau und verbeugte sich ebenfalls rasch, als ihr gewahr wurde, dass sie vor offenbar ziemlich wichtigen Männern stand, „Nein, Herr, aber das Feuer hat in ihrem Haus angefangen! Danach ist es auf unseres übergegangen… ich habe niemanden aus dem Haus kommen sehen, aber als es bei uns anfing zu brennen, rannten wir hinaus… und bei Kitas war die Tür eingetreten, vielleicht sind sie weggelaufen.“

„Es gab Geschrei im Haus, bevor das Feuer kam.“, addierte ein Mann kleinlaut, „Ich glaube, sie haben sich gestritten, oder so.“

„Was?“, fragte Puran, „D-das glaube ich nicht, Senol und seine Frau sind doch ein Herz und eine Seele!“ Dasan Sagal seufzte und sah zu den Trümmern des verbrannten Hauses, als etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Ein Vogel war auf der Spitze der Ruine gelandet und krähte kläglich, dabei mit den schwarzen Flügeln schlagend. Herr Sagal zerrte an Purans Arm.

„Nein, ich wage auch zu bezweifeln, dass sie das Feuer selbst gelegt haben. Und dass sie weg sind, bezweifle ich auch.“ Puran keuchte und taumelte zu dem Haus herüber, oder dem, was davon übrig war, während Dasan Sagal den Trauernden Unterstützung zusprach, damit sie bald ein neues Heim fanden. Der Herr der Geister stolperte über die Reste der Haustür, die quer im Flur lag. Die Reste des Gebäudes waren jetzt brüchig und er musste aufpassen, dass er nicht lebendig begraben wurde, als er ohne große Hoffnung nach seinem Kollegen rief. Niemand antwortete, und er tastete sich durch das stinkende, verkohlte Haus, um Senol, Shiva und die kleine Sora zu finden. Es war ein grauslicher Anblick, und der Mann schauderte, als die Krähe oben auf dem Dach erneut krächzte.

Warte… Krähe?

Er fuhr zusammen, als er die Reste der Küche betrat. Hier musste das Feuer ausgebrochen sein, denn es war nichts mehr übrig von der Einrichtung. Und am Boden erkannte er die Reste zweier Menschen, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Er schnappte nach Luft und ein übler Brechreiz erfüllte ihn bei dem Anblick und der plötzlichen, instinktiven Gewissheit, dass sein Kollege und seine Frau hier im Feuer ums Leben gekommen waren.

„N-nein-…!“, stammelte er und strauchelte – Dasan Sagal tauchte hinter ihm auf und stützte ihn rechtzeitig.

„Ich fürchte fast, dass sie das sind.“, murmelte der Telepath beklommen. „Es… tut mir leid, Herr.“

„D-das – das fasse ich nicht!“, japste der Jüngere und sank jetzt doch zu Boden, kämpfte mit aller Macht gegen den Brechreiz an, um den Toten nicht noch vor die Füße zu kotzen. Nicht, dass die das gestört hätte… Er streckte zitternd die Hand aus und wühlte aus dem verkohlten Schrott vor ihm den Pentagramm-Anstecker, den Senol getragen hatte. Dass er hier, halb angesengt, im Ruß lag, ließ wenig Zweifel offen, um wen es sich bei den beiden Gestalten hier handelte. Er umklammerte das Schmuckstück zitternd und schnappte atemlos in der rauchigen Bude nach Luft, unfähig, wieder aufzustehen, obwohl sein Kamerad an ihm zerrte.

„Steht auf, Herr. Jetzt, sofort. Das Haus kann jeden Moment zusammenfallen, wir müssen hier raus. Wir können nichts mehr für sie tun, fürchte ich.“

„Aber – aber gestern… war noch alles in Ordnung!“, jammerte Puran und fing vor Verzweiflung hemmungslos an zu heulen. Es war ihm völlig egal, wie ehrlos und demütig er hier im Ruß flennend am Boden hockte, es war ihm völlig egal, wer ihn jetzt hinterrücks als Heulsuse beschimpfen würde… verdammt, Senol Kita war tot!

„Ich weiß. Wir müssen hier raus, Herr, jetzt. Sofort.“ Der Ältere verlieh seinen Worten unweigerlichen Nachdruck und Puran kam stolpernd auf die Beine, dabei den angesengten Anstecker in der Hand behaltend. Die beiden Männer hatten das Haus gerade eben verlassen, als ein unschönes Knarren durch die Ruine dröhnte und das obere Stockwerk krachend herab stürzte, die Leichen und die restlichen Trümmer unter sich begrabend. Puran fuhr herum und erschauderte bei dem Anblick, der ihm durch Mark und Bein ging. Vor kurzer Zeit hatte hier noch ein Haus gestanden, in dem eine Familie gelebt hatte. Moment, Familie – wo war eigentlich die kleine Sora? In der Küche hatte er nur zwei Leichen gesehen…

Der Senator beobachtete fassungslos, wie das Haus in sich zusammenfiel, während die Krähe sich in die Luft erhob und davon flatterte.

„Die Geister haben mich verraten…“, stöhnte er kraftlos, „Sie… sie hätten mir sagen sollen, dass so etwas geschieht! Wie… wie konnte es nur zu so etwas kommen?!“

„Die Geister spielen… seltsame Spielchen, Herr.“, sagte Dasan Sagal monoton, während er den Kopf drehte, den Vogel ebenfalls verfolgend, der jetzt hinab stürzte und landete; auf dem ausgestreckten Arm eines Mannes, der aus der Seitengasse gekommen war und jetzt apathisch auf die Ruine starrte, die von Kitas Heim übrig war. Als Puran Herrn Sagals Blick nach Südosten folgte, fuhr er gleichzeitig verblüfft und irgendwie auch erleichtert zusammen.

„Meister!“
 

Meoran sah hundeelend aus. Abgesehen vom Moment seines Schlaganfalls in Kadoh hatte Puran ihn nie derart fürchterlich gesehen. Die Krähe flog nach einem müden Blick aus den Augen ihres Herrn wieder davon, während die beiden anderen Männer zu ihm herüber eilten.

„Meoran!“, fuhr Puran auf und keuchte, „W-was… was machst du hier? Was… ist hier eigentlich los?! Kitas… Kitas sind tot und… d-das Haus-… die Geister haben kein Wort gesagt!“

„Die Unruhe haben wir alle gespürt.“, stöhnte Meoran verzweifelt, „Es ist meine Schuld, verdammt… ich hätte auf das üble Gefühl hören müssen, von Anfang an. Ich – Himmel, ich habe Kitas getötet!“

Was?!“

„Na ja, n-nicht… ich direkt… aber wenn ich anders gesprochen hätte neulich, als ich Senol getroffen habe, wäre alles anders gewesen…“ Er vergrub bebend das Gesicht in den Händen, fuhr sich dann ein paar Mal zerstreut durch die Haare und sah die fassungslosen Gesichter von Puran und Dasan Sagal vor sich. „Ich bin heute Morgen mit der scheußlichen Gewissheit aufgewacht… dass jemand sterben würde. Ich habe… ich habe es die ganze Zeit gewusst, und dennoch war ich in Minh-În und… ich konnte nicht rechtzeitig kommen… ich hätte es wissen müssen… der Bote, den ich auf der Stelle geschickt habe, um Kitas rauszuholen, kam zu spät, wie ich fürchte… ich – ich habe sie verdammt noch mal in den Tod gejagt, alle drei! Himmel, was bin ich eigentlich für ein abscheulicher Kerl?!“ Puran konnte nicht fassen, was er hörte, und er verstand kein Wort.

„Meoran – sieh mich an! Was faselst du, wieso bist du Schuld?! Was ist passiert? Wie bist du hergekommen?“

„Ich habe einen Mann in Minh-În dafür bezahlt, dass er mich her teleportiert…“, keuchte der Ältere und fuhr sich abermals durch die Haare, „Als das Gefühl zu grausam wurde und ich wusste, dass der Bote niemals rechtzeitig kommen würde… ich habe heute Morgen geahnt, dass sie… sterben würden. Verdammt, ich hätte einfach herkommen sollen!“

„Nun mal langsam.“, schärfte Herr Sagal ihm ein, „Immer der Reihe nach. Verdammt, wir können nicht hier sprechen, wo alle uns hören. Ihr wisst, was mit Kitas geschehen ist, Chimalis? Dann sprecht.“

„Ich weiß… einen Ort, an dem wir ungehindert reden können. Ich… erwarte den gescheiterten Botschafter dort, der eigentlich versuchen sollte, die Familie hier rauszuholen, bevor er sie platt machen kann.“

P-platt machen?!“, rief Puran lauter als nötig, „Wer, Himmel noch mal?!“

„Unser Busenfreund Henac Emo. Wer sonst?“
 

Die Taverne am Südtor schien Puran ein sehr seltsamer Ort für ungehinderte Gespräche, aber trotz seiner durchaus merkbaren Geistesabwesenheit wirkte Meoran in diesem Punkt zuversichtlich, was die Möglichkeit ausschloss, dass er nur vor Verwirrung den falschen Weg genommen hatte. Jetzt, nach dem Unwetter – es regnete immer noch – war es nicht so muffig drinnen, wie es von außen den Anschein gemacht hatte.

„Ich habe hier mit Senol noch gesprochen.“, stöhnte Meoran, der sich achtlos auf einen Hocker am nächsten Tisch plumpsen ließ und dann da hing wie ein nasser Sack Kartoffeln. Puran konnte ihm das nicht verdenken, er fühlte sich ähnlich. „Hier gibt es nur Verrückte und Besoffene, auf ein komisches Gespräch mehr oder weniger kommt es hier auch nicht an.“

„Raffiniert.“, bemerkte Dasan Sagal und sah sich um, „Ich hoffe, dass dein Verdächtiger bei all den zwielichtigen Genossen hier nicht auch heimlich Stammgast ist. Also, dazu passen würde er jedenfalls.“ Er klopfte Puran kurz auf die Schulter, ehe er sich aufmachte, um Getränke zu ordern. Die beiden Geisterjäger blieben sitzen und schwiegen eine kurze Weile, in der der Senator seinen Lehrmeister besorgt anblickte, während der sich wieder durch die inzwischen völlig zerzausten und obendrein nassen Haare fuhr.

„Was ist passiert, Meoran?“, fragte er dann und zwang sich, den Schock über Kitas Tod zur Seite zu schieben – es gab hier Wichtiges zu klären, dafür brauchte er einen klaren Kopf.

„Neulich hat Senol mich hergebeten, als ich als… Laufbursche von Minh-În quasi zum König kam, um mit ihm zu sprechen über die Verhältnisse an der Grenze. Er hat mir erzählt, Emo bekäme Besuch von Lianern, was uns etwas stutzig gemacht hat…“ Er brach unschlüssig ab, fuhr sich wieder durch die Haare und erschauderte in einem Schwall von Elend, der ihn wohl überkam, und Puran fühlte sich gleich mit elend, weil er das Gefühl hatte, sein Freund finge gleich an zu weinen.

„Ganz ruhig.“, versuchte er es mit einer Zuversicht, die er nicht empfand; er war doch selbst kaum weniger aufgewühlt. „Ruhig, stress dich nicht. Das heißt, Senol hat Emo nachspioniert?“

„Es war seine eigene Idee.“, wimmerte Meoran, beugte sich vor und ließ den Kopf wie ein Betrunkener auf den Tisch fallen, was ein unschönes Rumms gab. „Es war seine Idee, ich hätte – ich hätte ihn daran hindern sollen, ich habe von Anfang an kein gutes Gefühl gehabt… u-und… und dennoch habe ich ihn noch bestärkt, wir müssten herausfinden, was der Sack treibt, und… damit habe ich Senols Todesurteil unterzeichnet! Himmel, ich begreife noch gar nicht, was ich angerichtet habe, ich bin ein Familienmörder!“

„Nun macht aber mal kein größeres Drama als nötig, Herr.“, unterbrach Dasan Sagals Stimme Meorans Heulen, „Das wart Ihr doch schon vorher, soweit ich weiß, oder waren die Flüchtlinge aus Fann etwa keine Familien?“ Puran schnappte nach Luft über diese Taktlosigkeit.

„Sagal, das reicht!“, machte er seinen Standpunkt klar, doch der Ältere stellte die Getränke auf den Tisch und seufzte schwermütig.

„Vergebt mir, ich habe es nicht böse gemeint. Ich bin nur nach all den Jahren, die ich schon lebe, etwas zu pragmatisch für diese Gefühlsduseleien.“ Meoran hob seinen Kopf wieder und wischte sich hastig über die glänzenden Augen, ehe er sich räusperte und nach dem Schnapsglas griff.

„Vielleicht hilft das.“, seufzte er, „Sagal hat ja recht, Puran. Wir haben keine Zeit dafür, mit meinen Schuldgefühlen muss ich selbst klar kommen. Auf dein Wohl, Puran.“ Puran sagte nichts und senkte nur bedrückt den Kopf, während sein Lehrer den Schnaps in einem Zug austrank und das Glas mit unnötiger Heftigkeit zurück auf den Tisch knallte. Da sagte er so tapfer, er musste selbst klar kommen, davon sah der Herr der Geister aber noch nicht viel; der arme Kerl war ja vollkommen psychisch im Keller.

„Dann meinst du, Emo hat Kitas Haus angezündet?“, fragte er, um das Thema wieder auf den Punkt zu bringen, „Weil er gemerkt hat, dass Senol ihn bespitzelt?“

„Vielleicht hat er etwas herausgefunden bezüglich der Lianer.“, orakelte Herr Sagal, „Wenn der Typ wirklich Lianer bei sich hat – die sind Mangelware seit einigen Jahren, wie wir wissen – könnte es entweder ein dummer Zufall sein, ich meine, bestimmte Vorlieben gibt es überall, oder es sind tatsächlich Botschafter, die von Scharan kommen. Allerdings erscheint mir das Senden von Boten, die dauernd zwischen Ghia und Tharr pendeln, als sehr umständlich.“

„Davon abgesehen, dass Scharan ziemlich dumm wäre, gerade auffällige Lianer als Boten zu nehmen.“, erklärte Puran und versuchte mit einem Schluck Alkohol, ebenfalls so pragmatisch denken zu können.

„Nicht unbedingt, vielleicht hat er es vorsätzlich getan. Wenn er überhaupt etwas damit zu tun hat, das wird schwer zu beweisen sein. Wenn Henac Emo damit zu tun hat, wäre es vielleicht am besten, den Schurken einzufangen und zur Rede zu stellen. Je länger wir damit warten, desto mehr Zeit hat er, sich eine Geschichte auszudenken, um die Wahrheit zu vertuschen.“ Dasan Sagal trank seinen Schnaps ebenfalls und addierte dann: „Sofern es tatsächlich etwas zu vertuschen gibt.“

„Ihr denkt also, Emo ist nicht daran beteiligt?“, wunderte Meoran sich, „Wer soll sie sonst umgebracht haben? Senol war zwar etwas trottelig, aber deshalb hätte er noch lange nicht sein eigenes Haus angezündet.“

„Unterschätzt Emo besser nicht.“, meinte Sagal nur und räusperte sich, „Er ist ein zwielichtiger Typ und seine wahren Ziele und Absichten weiß er offenbar vor jedem zu verschleiern. Kann sein, dass er Euch anlügt. Dass er in Wahrheit Scharans treuer Hofhund ist und Kitas getötet hat, weil sie irgendetwas wussten, was sie nicht sollten. Kann auch sein, dass er Scharan anlügt und tut, als wäre er sein Gefolgsmann, um irgendetwas anderes zu erreichen, und um ihm seine Treue zu beweisen hat er Kitas getötet. Oder er lügt alle Beteiligten an und hat vollkommen andere Ziele im Kopf, die nicht zwingend etwas mit Euch oder Scharan zu tun haben müssen. Welche Rolle Kitas Tod dabei spielt, wissen wir nicht; wir wissen nicht, ob und was Senol herausgefunden hat. Wir wissen auch nicht, ob Emo wirklich Kitas getötet hat. Vielleicht hatte Herr Kita ja in anderen Kreisen Feinde, und dass sie jetzt zuschlagen war eben Zufall. Oder Wille der Geister, wie man es nimmt.“

„Wille der Geister?“, fauchte Puran, dem der Pragmatismus jetzt zu weit ging, „Die Geister können doch nicht wollen, dass Senol und seine Familie im Feuer grausam sterben!“

„Oh, die können schon.“, erwiderte Dasan Sagal kaltblütig und dem Jüngeren lief es den Rücken herunter vor Entsetzen. „Wir reden hier nicht von einem unsterblichen Wohltätigkeitsverein, Senator Lyra. Sie können und sie tun es, glaubt mir. Ihr selbst solltet das doch am besten wissen. Die Geister sind sadistische Bastarde und sie spielen mit uns wie mit Schachfiguren, weil ihnen langweilig ist.“

Das hektische Öffnen der Tür unterbrach das Gespräch, und Meoran fuhr abrupt von seinem Platz hoch, als ein Mann mit Kapuzenumhang durch die Tür schneite, der den komischen Gestalten in der Taverne in nichts nachstand.

„Wer ist denn das?“, wollte Puran wissen, alarmiert, wer da kommen mochte, doch sein Meister schien nicht beunruhigt zu sein, als der Mann seine Kapuze zurückschlug und zu ihnen herüber eilte.

„Herr, das Haus stand in Flammen und die Familie war hin.“, erklärte er mit einer hastigen, steifen Verbeugung vor Meoran, „Aber das Mädchen habe ich schnappen können.“ Sofort war die Frage nach seiner Identität egal und Puran japste.

„Moment, Sora?! Sora lebt?!“ Meoran seufzte und nickte dem Neuankömmling zu.

„Er gehört zu meiner Sicherheitstruppe in Janami.“, klärte er die anderen zwei auf, „Ich habe ihn hergeschickt, um die Kitas aus Vialla zu bringen, leider war das etwas zu spät… wie wir wissen. Aber das Kind ist noch am Leben? Wo?“

„Ich habe sie in einen Sack gesteckt, sie ist ohnmächtig, Herr.“, berichtete der Soldat, „Ich wollte nicht, dass sie schreit und zappelt, weil ein fremder Mann sie verschleppt, das hätte nur Aufsehen erregt; ich hoffe, ich habe ihr nicht wehgetan.“

„Schon gut, das war schlau.“, meinte Meoran, „Wo ist sie?“

„Auf dem Wagen im Sack, ich will sie auch nicht lange alleine lassen, Herr. Sie sollte so schnell wie möglich hier weg.“

„Du bist nicht in der Position, mir Befehle zu erteilen, Kerl.“, sagte Meoran und trat vom Tisch weg, „Das weiß ich selbst. Wir bringen sie nach Janami, jetzt sofort.“

„Ihr wollt sie zu dir bringen?“, fragte Puran, „Und dann?“

„Von dort aus weg, weit weg, und sie darf nicht mehr zurückkommen, wenn sie am Leben bleiben will. Ich weiß, was ich tue, Puran, vertrau mir. Ihr beide solltet lieber Emo suchen, jetzt sofort.“ Die anderen Männer standen auch auf und Dasan Sagal zahlte die Getränke beim Wirt.

„Dann komme ich nach.“, antwortete Puran mit einem Nicken, „Soll ich Tare und Shais Bescheid sagen?“

„Ich schicke ihnen schon selbst eine Nachricht. Sorge lieber dafür, dass deine Politiker in Thalurien dich nicht vermissen, wenn du noch ganz nach Minh-În willst.“

Die vier Männer verließen rasch die Taverne, und während Meoran und sein Untergebener sich in dem Wagen eilig nach Osten aufmachten, machten die beiden andere sich auf den Weg zu Emos Wohnung.
 

Die Wohnung des Kollegen war nicht sehr weit weg von Kitas nicht mehr vorhandenem Haus. Weil Herr Sagal schlecht zu Fuß war, teleportierten sie sich. Als Puran wild an die Haustür hämmerte, spürte er zum ersten Mal den Zorn in sich aufflammen. Wenn der Kerl tatsächlich verantwortlich war für den Tod der Kitas, wäre das übel. Er hatte noch keine Zeit für ein schlechtes Gewissen darüber, dass er so dumm gewesen war, Emo wieder in den Rat zu lassen. Es war keine richtige Überraschung, dass er offenbar doch noch Ulan Manha kontaktierte, aber dass es so enden würde, hätte er ebenfalls ahnen müssen.

„Verdammt, Emo!“, brüllte der Herr der Geister wutentbrannt, als niemand öffnete, „Mach deine verdammte Tür auf, oder ich tue es und das wird teuer für dich!“

„Herr, beruhigt Euch doch.“, seufzte der alte Sagal hinter ihm und verengte die Augen zu Schlitzen. Puran fuhr schnaubend herum.

„Ich soll mich beruhigen?! Verflucht noch mal, ich war blind und naiv, verdammt! Das liegt wohl in der Familie, mein Vater war auch dumm genug, um jahrelang weder zu schnallen, dass sein Vater ein machtgeiler Arschsack war, noch dass seine Mutter verdammt noch mal Sex mit Zoras Chimalis hatte! Und ich werde gerade wahnsinnig darüber, dass alles, was ich in den Händen halten und kontrollieren sollte, mir gerade entgleitet wie schmelzendes Fett! Ich verfluche die Himmelsgeister, diese elenden, dreckigen, grausamen Verräter, die Kitas nicht rechtzeitig gewarnt haben oder-…!“ Ihm war nicht bewusst, dass er während seiner Schimpferei immer weiter gegen die Tür gehämmert hatte, so erschrak er sich zu Tode, als diese plötzlich doch geöffnet wurde und sein Kollege ihn anfauchte:

„Willst du einen Tritt in die Eier, du verdammter Penner, dass-… oh, na sowas, Häuptling Zitterhand!“ Er machte ein verblüfftes Gesicht, als er seinen Ratsführer vor der Tür erkannte, und Puran sah ihn jetzt auch an und musterte ihn pikiert, weil er nicht mehr anhatte als ein Handtuch um seinen Lenden.

„Du bist wohl gerade aus dem Bett gefallen.“, bemerkte er grimmig, „Hallo, Emo. Dass ich es überhaupt wage, deinen schmutzigen Namen in den Mund zu nehmen, du Hurensohn!“ Henac Emo lachte verwirrt, als Puran ihn rückwärts in die Wohnung stieß und gefolgt von Sagal ebenfalls eintrat.

„Ähm, nichts für ungut, Euer Besuch ehrt mich natürlich über alle maßen, aber es passt wirklich gerade nicht so gut, weißt du?“, versuchte er es etwas ungalant, „Ich habe nicht mir euch gerechnet, Puran.“

„Spare dir dein Gesülze!“, schrie der Herr der Geister ihn an, „Du verdammter Heuchler, du Lügner, ich glaube dir kein einziges Wort! Du hast Senol ermordet, ich werde dich verdammt noch mal zur Rechenschaft ziehen!“ Henac Emo erstarrte und seine Gesichtszüge entgleisten völlig. Puran stutzte und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihn das auch überraschte; er fragte sich, ob Emo das vortäuschte oder ob er es wirklich nicht gewusst hatte.

Was?!“, japste der Schwarzhaarige da, „Wie, tot? Senol ist tot?!“

„Verwirrt mich, dass Ihr nichts von dem Brand mitbekommen habt, die Rauchschwaden ziehen doch bis hierher.“, bemerkte Dasan Sagal, „Und zieht Euch endlich etwas an.“

„Brand? Was zum Geier? Ich war den ganzen Tag nicht außer Haus, verflucht, woher soll ich sowas wissen? Wieso ist Senol plötzlich tot?“

„Ja, das fragen wir uns auch.“, sagte Puran und stampfte an seinem unfreiwilligen Gastgeber vorbei in die kleine Stube der Wohnung. Die Fenster waren geschlossen und der Wohnraum wurde nur von einer Talglampe auf dem Schrank erleuchtet. Auf dem Schlaflager hockte eine nackte junge Frau und machte ein perplexes Gesicht, als die drei Männer herein kamen. Puran räusperte sich. „Bedeck dich, du Hure, ich bin verheiratet und habe kein Bedürfnis, deine Titten zu sehen!“ Emo lachte hinter ihm und warf der Hure, die er sich geliehen hatte, ein Laken über den Kopf, sodass sie nicht mehr zu sehen war. Sie quiekte, wehrte sich aber ansonsten nicht.

„So obszön heute, na, du hast aber einen sehr schlechten Tag, Puran, was? Im Gegensatz zu dir bin ich nicht verheiratet, kann mir also jeder Zeit so viele Nutten holen, wie ich will, und gegen Titten habe ich – abermals im Gegensatz zu dir, wenn man deine Frau so sieht – auch nichts.“

„Ich bin nicht hier, um mit dir über deine Vorlieben bei Huren zu sprechen.“, zischte der Herr der Geister und würdigte dem Haufen unter dem Laken in der Ecke keines Blickes mehr. „Du warst also den gesamten Tag nicht außer Haus?“

„Nein, frag die Kleine, sie wird es dir auch sagen.“, machte der Mann, der sein Handtuch jetzt weglegte und anfing, sich hektisch die Hosen anzuziehen.

„Ich bin schon seit gestern Nacht hier.“, jammerte die Nutte unter dem Laken, „Dieser lüsterne Kerl kriegt gar nicht genug, Himmel.“ Der Schwarzhaarige blaffte sie an:

„Halt den Rand, du elende Schlampe, sonst kriegst du keinen einzigen Krümel von mir!“ Er wandte sich den beiden Besuchern zu, jetzt immerhin in Hosen. „Was ist jetzt mit Senol?! Und wieso zum Geier soll ich ihn ermordet haben?!“ Dasan Sagal, der sich besser kontrollieren konnte als Puran, der vor Zorn zitterte, erzählte kurz, dass es gebrannt hatte und dass die Familie Kita dabei augenscheinlich ums Leben gekommen war, von Soras Überleben sagte er nichts. „Was, alle sind tot? Sogar die Kleine? Was für ein Jammer.“, machte Emo und fuhr sich durch die strähnigen, ungekämmten Haare.

„Als ob dir das nicht am Arsch vorbei ginge.“, grummelte der Herr der Geister.

„Ja – ja, du hast recht, an sich kümmert es mich wenig. Ich hatte keinen Bezug zu Senol, so lange kenne ich ihn ja noch nicht. Wie auch immer, und was soll ich jetzt damit zu tun haben?“ Puran beherrschte sich mit aller Macht, um nicht unüberlegt drauf los zu reden – Meoran sollte er am besten gar nicht erwähnen.

„Ich habe mich umgehört.“, sagte er so, „Ich habe aus vertraulichen Quellen entnommen, dass Senol wohl bei dir Lianer gesehen haben soll. Und wenn diese Lianer dein Draht zu Ulan Manha nach Ghia sind, rein zufällig, wäre es nicht unlogisch, wenn du ihn zum Schweigen bringen wollen würdest.“ Der Ältere starrte ihn an und fing dann an zu lachen. In seinem Gesicht erkannte Puran keine Geheimnisse, keine Lügen… aber das war leicht gesagt. Emo war der geborene Lügner. Er wusste genau, wie er aussehen musste, wenn er nicht auffallen wollte.

„Was, Lianer? Ja, das ist wahr.“, gab er verblüffenderweise zu und Puran stutzte. Moment, er gab es zu?

„Was soll das heißen?“

„Hast du mir nicht zugehört, seit ich wieder im Rat bin? Ich rede natürlich mit Manha, du Horst! Er soll doch schließlich glauben, ich würde für ihn arbeiten, und ohne Kontakt zu ihm kann ich schlecht Informationen über ihn für euch besorgen. Deswegen bin ich doch hier. Senol hat offenbar auch nicht zugehört. Wie auch immer, ich habe damit nichts zu tun. Vielleicht hat Manha, oder sein Bote, ja gemerkt, dass Senol sie beobachtet, und hat es deswegen selbst beendet. Er ist gut mit dem Feuer, soweit ich das aus meiner Zeit von Ghia weiß.“ Puran und Dasan Sagal sahen sich schweigend an und der Senator runzelte die Stirn. Ja, er erinnerte sich an Ulan Manha. An die Begegnung, die sie gehabt hatten, direkt nachdem Nalani gestorben war.

Er war tatsächlich gut mit Feuer.

„Aber ist es nicht reichlich umständlich, wenn Manha selbst nach Tharr reist, um solche Leute zum Schweigen zu bringen?“, hakte der alte Sagal dann nach, „Und außerdem, wenn diese Lianerboten kein Geheimnis waren, wozu musste Senol Kita dann überhaupt sterben? Dass er irgendetwas wusste, was er nicht wissen sollte, ist das einzige, was mir in den Sinn kommen mag. Und dass er jetzt tot ist kann nur heißen, dass irgendjemand nicht damit einverstanden war, dass er etwas gewusst hat.“

„Und was sollte er gewusst haben?“, stöhnte Henac Emo und suchte in dem Chaos der Stube nach einem Hemd, „Was sollte es Spannendes von einem Lianerboten zu erfahren geben, das irgendwem schaden könnte?“

„Wie wäre es mit Fakten über Manha selbst? Seine Herkunft und seine… Abstammung?“, fragte Dasan Sagal, dabei blickte er nur Emo an, doch sein innerer Blick galt Puran, obwohl dieser es in seinem Zorn nicht merkte. Henac Emo sah den Telepathen eine Weile schweigend an.

Abstammung? Der Kerl weiß viel. Mehr, als gesund für ihn ist. Es ist besser, wenn niemand weiß, wessen Enkel Ulan Manha tatsächlich ist… genau aus diesem Grund musste ja Nalani sterben, die Nutte, die das herausgefunden hat.

Der Geisterjäger senkte die Brauen ein wenig, ohne dabei mit seiner Mimik seine Besorgnis zu verraten. Er war ein Lügner. Er hatte schon sein Leben lang gelogen und sein Geist war fähig, sich so zu verschließen, dass nicht einmal der Kopf der Sagal fähig wäre, seine Gedanken zu lesen, sofern er sich nicht ausdrücklich extrem viel Mühe gäbe.

Ja… und wo hat sie das herausgefunden? In Thalurien, zumindest teilweise. Warum wundert es mich dann, dass dieser Mann, der quasi Herr über ganz Thalurien ist, wenn er nur will, das auch weiß? Sein Blick schweifte unwillkürlich auf Puran. Komisch, dass unser Blitzmerker vom Dienst es immer noch nicht geschnallt hat. Nun, die Zeit wird kommen, Puran, da wirst du es erfahren und dir vor Angst in die Hose machen, ganz sicher. Und bis dahin muss ich mit eurem dämlichen Rat herumhängen.

„Was soll es da geben?“, fragte Emo, „Ich weiß nicht viel über seine Abstammung. Er kommt aus Holia und hatte eine große Familie, das ist alles, was ich weiß. Und, dass die Lianer seinen Bruder ermordet haben, deswegen verabscheut er sie ja so. Ich weiß ja auch nicht, was Kita gewusst haben soll, aber was immer es war, wenn er dem Lianertypen nachspioniert hat, macht es für mich den größten Sinn, dass Manha selbst ihn ausgeschaltet hat; ob nun persönlich oder durch einen Mittelmann.“

„Mittelmann, ja.“, zischte der Senator vor ihm, „Und der bist nicht zufällig du, was?“

„Ich?! Alter, Puran, was hast du für Drogen genommen, dass du so auf Krieg aus bist gerade?! Ich habe nichts damit zu tun, verdammt, und Manha denkt, dass ich euch für ihn ausspioniere, wäre es da nicht sehr kontraproduktiv, ausgerechnet mich ihn töten zu lassen, wenn das bei euch doch Misstrauen weckt? Also wirklich, als erfolgreicher Absolvent der Akademie für Politikwissenschaften hatte ich dich für schlauer gehalten, Häuptling.“

„Senator Lyra, immer noch.“ Dass der Verräter so offen über Manha sprach, war verwirrend und was ihn noch mehr beunruhigte, war die Logik in seinen Worten. Was, wenn er tatsächlich nicht an Kitas Tod Schuld war? Zumindest wirkte der Schwarzhaarige absolut nicht, als würde er sich seine Gründe gerade aus den Fingern saugen. Entweder hatte er dieses Netz aus Lügen seit vielen Wochen oder gar Monden und Jahren gesponnen und eingeübt, oder er sprach wirklich einmal die Wahrheit. Puran hatte ein furchtbares Gefühl, dass er irgendeinen Fehler begehen würde, egal, was er tat. Und dass die Geister ihm dabei nicht helfen würden.

Sprecht zu mir… befahl er ihnen in Gedanken, Was soll ich tun?

Und die Geister verrieten ihn abermals, weil sie kein Wort sagten. Als sie es nach etlichen Momenten doch taten, war es nicht hilfreich.

„Das Ende der Welt wird bald kommen, Lyra. Und es wird Schlimmeres mit sich bringen als bloß Chaos.“
 

Der Abend war hereingebrochen, aber in Lorana war es noch hell. Im Sommer ging die Sonne spät unter. Der Regen hatte das Klima erträglicher gemacht – dabei hatte den Kindern die Hitze nur wenig ausgemacht.

„Versuch es noch mal. Du musst dich einfach auf das Feuer konzentrieren!“

„Verdammt, das tue ich doch!“ Karana stampfte wutentbrannt mit dem Fuß auf, ehe er seinen Freund empört ansah, der eine kleine, aber deutlich sichtbare, magische Flamme auf seiner Hand balancierte. Tilan Sagal war nur einige Monde älter als Karana, aber er konnte die Grundzauber zaubern – und der Sohn des Herrn der Geister nicht, was ihn zutiefst erzürnte. Ja, er konnte das Wetter rufen… aber so etwas Simples wie die Grundzauber verwehrten die Geister ihm. Ihm, obwohl er doch der Sohn des Herrn der Geister war!

„Offensichtlich tust du es nicht. Dein Geist ist nicht stabil genug dafür, glaube ich. Das heißt, du bist aufgewühlt, deswegen geht es auch nicht. Sei nicht so wütend, dann geht es besser!“ Es war nicht Tilan, sondern sein großer Bruder Azan, der geantwortet hatte. Der Älteste der vier anwesenden Jungen war schon elf und kannte sich natürlich besser aus. Jetzt saß er zusammen mit Simu auf der Türschwelle von Lyras Haus und sah dem Zauberunterricht interessiert zu. Es war seine Idee gewesen, Karana überhaupt die Grundzauber beizubringen, der Kleinere war nur offenbar kein besonders lernfähiger Schüler. Azan wusste, dass es nicht am Talent lag, sondern mehr am Fingerspitzengefühl. Er selbst war Telepath wie sein Vater und sein Großvater; an elementaren Zaubern würde er nicht mehr als die Grundzauber können, aber die konnte er relativ gut.

„Mein Geist hat stabil zu sein, wenn ich es ihm befehle!“, zischte Karana aufmüpfig, „In der Klasse sind viele andere Schamanen, und fast alle von denen können die Grundzauber! Nur ich nicht!“

„Du kannst dafür das Wetter beeinflussen, das ist doch viel schwerer!“, behauptete Tilan, „Jetzt reg dich nicht so auf, versuch es noch mal, Karana. Du lernst das schon noch. Wie früh oder spät jemand diese Grundzauber lernt, hat gar nichts zu heißen.“

„Ja, ein Onkel dritten Grades von mir hat sie erst mit zwölf gekonnt.“, sagte Azan schulternzuckend und Simu neben ihm sah ihn blöd an.

„Du redest schon wie dein Großvater! Kennt ihr eure ganze Familie persönlich?“

„Natürlich nicht, Himmel bewahre, das müssen hunderte sein, auf ganz Tharr verstreut!“

„Ich dachte, ein, äh, Ururonkel oder so wäre sogar mal nach Ghia ausgewandert.“, widersprach Tilan, und Simu keuchte.

„Himmel und Erde, ihr seid ja eine Seuche.“

Karana halfen die weit verbreiteten zweige der Sagals überhaupt nicht. Er brannte darauf, die stinknormalen Zauber zu lernen – gerade, wenn er Loron mal wieder verhauen wollte, war es nützlich, Zauber zu können, die nicht so gefährlich waren wie das Wetter; dann konnte er zaubern und damit angeben, ohne seinem Vater Ärger zu machen. Karana vermisste seinen Vater… er war jetzt schon einige Tage weg in Aleu. Der Junge seufzte und versuchte, sich auf das Feuer zu konzentrieren, um Vaira zu zaubern. Doch er wurde unsanft unterbrochen, als er seine kleine Schwester und Niarih johlen hörte, die gemeinsam mit ihren Müttern vom Brunnen zurückkehrten. Der Junge fluchte ungehalten und fuhr zu den kleinen Mädchen herum.

„Seid doch still, ihr dummen Gänse, ich kann mich so nicht konzentrieren!“ Niarih fuhr sofort eingeschüchtert zurück, doch Neisa streckte ihm nur die Zunge heraus.

„Dann streng dich mehr an, du Verlierer.“, sagte sie frech, und er zischte wütend, kurz davor, sie zu schlagen. Doch seine Mutter warf ihm einen strengen Blick zu, sodass er es ließ.

„Reiß dich am Riemen, Karana.“, sagte sie, „Auch, wenn du der Erbe deines Vaters bist, macht dich das noch lange nicht zu seinem Stellvertreter in seiner Abwesenheit, solange du nicht größer bist als ich.“ Der Junge murrte und schluckte seinen Frust tapfer herunter; einen Moment später erschrak er sich beinahe zu Tode, als Niarihs Großvater plötzlich hinter Chitra aus dem nichts auftauchte, in seinem Regenmantel und wie gewohnt mit seinem Gehstock, der sowohl sein Statussymbol als einflussreicher Mann als auch seine Stütze darstellte. Die anderen fuhren ebenfalls herum, Azan erhob sich rasch wie ein salutierender Soldat.

„Großvater!“, sagte er dabei, und seine Cousine Niarih klebte sofort an Dasan Sagals Beinen. Sie schien sich als einzige nicht erschrocken zu haben.

„Willkommen zurück, ich hab dich lieb.“, sagte sie dabei, und der Ältere fand einen winzigen Moment Zeit, um gerührt zu lächeln. Niarih hing mehr als alle seine anderen Enkel an ihm; was wohl daran lag, dass sie mit ihrer Mutter in seinem Haus lebte. Und da sie keinen Vater hatte, war ihr Großvater eben ihre liebste männliche Bezugsperson.

„Ich habe dich auch lieb, Niarih.“, seufzte er, ehe er Chitra und Leyya und am Ende auch Azan anblickte.

„Vater.“, sagte die Tochter überrascht, „Du bist zurück? Was ist geschehen, weswegen du so überstürzt nach Vialla gereist bist?“

„Ich soll Leyya von Puran eine Nachricht überbringen.“, sagte der Telepath steif, „Sorge dich nicht, es geht ihm gut. Er wird noch etwas länger weg sein, weil er jetzt auf dem Weg nach Minh-În ist.“

„Minh-În?“, keuchte Leyya und schlug die Hände vor den Mund, „Oh nein, i-ist etwa was mit Meoran passiert…?!“

„Nein, Meoran geht es gut. Es geht um Kitas. Es sind schlimme Dinge passiert… wir sollten das drinnen besprechen.“ Dann wandte er sich an Azan. „Pass gut auf die anderen auf, sei artig.“ Der braunhaarige Junge verneigte sich ehrfürchtig und stolz, dass er vom Großvater die Verantwortung bekam, auf die Jüngeren aufzupassen. Er würde ihn sicherlich nicht enttäuschen.
 


 

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buahaha. Ich mag Emo xD Mit dem zu schreiben bockt sich ja sowas von xD Er ist ja so ein dermaßener Arsch! xD Und Karana ist auch so ein Arschkind, muahahaha xD



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  -Izumi-
2010-07-10T11:34:22+00:00 10.07.2010 13:34
Fast hätte ich geschrieben, viel Herz, aber ne, die Kitas sind tot oô
Sie sidn tot Q___Q
Aber das war auch pure Deppigkeit... ich meine... er FRIERT den Lianer ein! XD Spast!
Na ja, das hat er nun davon... aww. Er war zwar random, aber irgendwie lieb, ich fand ihn nett ._.
Immerhin darf Sora weiterleben <3
Und Emo. EMOOOO, ich will drei Kinder von diiiiir XDDDD Er ist so derart cool XDD Ich meine, er kann so geil lügen, wahnsinn XDD
Ich bin so ein Fan von ihm XD *gackert*
UND! Und von dem kleinen Porno-Karana. Sorry, mir fällt kein anderes Wort ein, aber er ist porno XDDD Fehlt nur noch, dass Puran ihn haut und er haut zurück... das wäre wohl echt zu viel des Guten, aber ich würde es ihm zutrauen XD Zumindest im Efer des Gefechts, wenn er sauer ist oder so... XD
Er ist so... ach! Ich mag ihn! XDD Oh, oh, und Loron war da! LOROOON! Von dir will ich auch noch ein paar hässliche Kindchen! ^O^ (ich habe ja so einen guten Geschmack) Wobei, noch ist Loron vielleicht... ETWAS jung, wobei, früh übt sich XD
Was war noch? Ähm. Ähm. Saidah! SAIDAAAAH <3 Von der will ich natürlich keine Kinder XDDD Ich wollte nur mal ausdrücken, dass ich sie anherze, sie ist cool, obwohl sie jetzt nicht wirklich viel gemacht hat oô
Und awwww, Meoran. .__. Meoran, der eigentliche Held von Fm, er ist so traurig... er tut mir so Leid.
Ach! ú_ù Ich kann aber auch keinem deiner Charas böse sein oder so, ich liebe sie einfach alle (und will Kinder von allem, was männlich ist...).
Na ja. HEAZ XD
Herz des Tages btw. an die Sagals. *kicher*
Von:  Decken-Diebin
2010-07-10T11:12:34+00:00 10.07.2010 13:12
Oh man Ó.o Da freue ich mich zuerst, weil eine Szene mit Shiva kommt und dann artet das alles so aus. Ich hätte nicht gedacht, dass die Kitas in diesem Kapitel sterben, als ich angefangen habe zu lesen ö___ö
Und die arme Sora. Mal sehen, wo sie jetzt wirklich hinkommt und so... aber auf Zuyya dürften sie sie ja wieder treffen xD
Oh Gott, das war so viel, dass ich gerade nicht weiß, was ich schreiben soll xD Ach ja, Leyya, die Arme tut mir leid, dass sie so fertig ist, nur weil sie kein Kind mehr bekommt ó____Ò
Die kurze Szene mit Saidah war irgendwie schön ö.ö Sie muss zwischendurch auch mal auftauchen, find ich <3
Ach ja, und unser kleiner Karana, der Arsch xDDD Gott, er ist wirklich schlimm... wie kann man sich nur so viel einbilden XD Mal sehen, was er dann zu Lorons "Supergeheimwaffe" sagt xDDD
Neisa war auch zu geil xD' "Bekomme ich einen Keks?"... xDDDD


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