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Die Kinder der Schatten ihrer Selbst

von

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Moth to the flame

Regen trommelte gegen die Fensterscheibe. Draußen war es so düster, dass das Zimmer nur mit schwachem Zwielicht, das durch die Scheibe drang, beleuchtet wurde. Trotzdem dachte er gar nicht daran, das Licht einzuschalten.

Die Dunkelheit hatte etwas beruhigendes an sich. In ihr kannte er sich aus, denn was hätte dunkler sein können, als seine Gedanken?

Sasha stand von seinem Bett auf, klappte das Buch zu, das er grade gelesen hatte und stellte es ins Regal zurück, der einzige Gegenstand in seinem Zimmer, in seinem Leben, in dem Ordnung herrschte. Die Buchrücken kündeten von düsteren Themen, etwas, was seine Eltern nie verstehen würden,...wie auch, sie verstanden ihn ja nicht mal. Das hatten sie noch nie getan und das würde sich auch nie in seinem Leben ändern. Sie beließen es einfachhalber bei dem „normalen“ Alltag, ohne sich ansonsten groß um ihn zu kümmern. Es interessierte sie nicht mal groß, dass er nicht mal mehr zur Schule ging. Sie wussten es zwar, doch sie ignorierten diese Tatsache, genauso wie sie zu leugnen bereit waren, dass sie überhaupt einen Sohn hatten. Doch es machte ja keinen guten Eindruck, wenn man den eigenen Sohn ins Kinderheim abschob oder dem Jugendamt übergab, vor allem weil beides so seine Konsequenzen für sie hatte.

Er seufzte, ließ sich auf der Fensterbank nieder und starrte nach draußen, mit der Stirn gegen die Scheibe gelehnt.
 

„SASHA!“

Die ätzende Stimme seines Vaters riss ihn aus den Gedanken. Was war jetzt schon wieder? Wichtig würde es nicht sein. Wahrscheinlich wieder irgendetwas banales,..oder sein Vater wollte einfach nur wieder seine Wut an ihm auslassen, wie immer, wenn irgendwas nicht so lief, wie er es geplant hatte. Das war ja schon nichts Neues mehr, das ging schon seit Jahren so. Es war einfach besser, die Prügel zu kassieren, gar nichts dazu zu sagen und dann wieder im Zimmer oder nach draußen zu verschwinden, dann hatte er danach wenigstens seine Ruhe.

Noch ein paar Minuten lang sah er den Regentropfen zu, wie sie sich wie die Lemminge in die Pfützen auf den Straßen stürzten, bevor er aufstand, zur Tür schlurfte, gerade als sein Vater zum zweiten Mal nach ihm brüllte.

„Was?!“ meinte er, als er die Tür geöffnet hatte, gerade mal so laut, dass sein Vater ihn hören konnte, was diesen wohl noch wütender machte. Es gab nichts, was seinen Vater noch weiter auf die Palme bringen konnte, wenn der eh schon aufgebracht war, als Sashas ruhige Art. Noch nie hatte er sich über die Aggressionen seines Vaters aufgeregt und das war wohl der springende Punkt und somit auch ein Grund für die Ohrfeigen, die er täglich bezog...ihm war es sowieso egal. Ein kurzer Augenblick des Schmerzes. Das war nicht im Gegensatz zu den Schmerzen, die er wirklich litt.

„KOMM SOFORT RUNTER!“ tobte sein Vater weiter. Sasha fragte sich nicht mal, warum der immer noch schrie. Er hätte ihn auch gut hören können, wenn er leiser gesprochen hätte. Aber das war eben so eine Macke von seinem Vater. Lieber groß rum pöbeln, damit man groß und mächtig wirkte und genau das war es, was sein Vater nie war und sein würde. Er war eine kleine Persönlichkeit, die sich eben besser fühlte, wenn andere unter seinem ständigen Rumgeschreie zusammenzuckten.

„Ist ja gut...“ murmelte Sasha, kam die Treppe schlurfend hinunter und blieb vor seinem Vater stehen, der am Fuße der Treppe gewartet hatte. In seinen Augen funkelte die blanke Abneigung gepaart mit einer immerwährenden Wut, die sich nur gegen seinen eigenen Sohn richtete. Sein Vater konnte es einfach nicht ertragen, ihn anzusehen, ohne darüber wütend zu sein, wie der Bengel aussah. Was er in der Erziehung falsch gemacht hatte, war ein überflüssige Frage, das wusste Sashas Vater selbst.

Ein paar Sekunden schwiegen die beiden sich an, dann atmete der Vater einmal tief durch, damit er der Verlockung weiter rumzuschreien, widerstand.
 

Wenn man es genau nahm, war das Gespräch sogar normaler verlaufen als sonst. Er hatte zwar wirklich eine Ohrfeige kassiert, als er, nach der Meinung seines Vaters, mal wieder Frech geworden war, doch zu weiteren Handgreiflichkeiten war es nicht gekommen- ein Wunder.

Jetzt saß Sasha auf der Couch, dazu verdonnert unten zu bleiben, sein Vater hatte sein Zimmer abgeschlossen (nicht, dass er nicht wüsste, auf welchem anderen Weg er in sein Zimmer kam). Seine Eltern wollten ausgehen, auf irgendein Fest und wie in letzter Zeit häufig wurde ihm verboten, das Haus zu verlassen oder irgendwelchen Unsinn anzustellen.

Auch den Grund dafür konnte Sasha sich erahnen. Seine Eltern glaubten nämlich, dass er sich jede Minute irgendetwas antun könnte und würde. Das entsprach sogar der Wahrheit. Sein Zustand stand immer auf Messers Schneide...und auch das konnte man wortwörtlich nehmen. Aber es war nicht so, als ob sich seine Eltern darüber Sorgen machen würden. Nein. Die Sorge galt der Schlechten Publicity. Wenn die Presse erfuhr, dass der Sohn eines angesehenen Architekten und einer großartigen Schauspielerin sich selbst umgebracht hatte oder nur kurz davor gewesen war, dann würde das so prunkvolle Leben fürs Erste vorbei sein. Nicht nur das. Es würden bestimmt auch irgendwelche Ermittlungen laufen und dann würden sich alle Beweise gegen die Eltern richten, denn die hätten so etwas locker verhindern können. Dann war´s das auch mit den großen Ansehen seiner Eltern.

Alleine deswegen hatte Sasha schon öfter an Selbstmord gedacht. Nur damit er seinen Eltern Schaden zufügen konnte, so wie sie es immer mit ihm taten.

So saß er also da, von allem fern, womit er sich hätte verletzen können. Wenn auch nur zum Teil. Seine Eltern hatten eben keine Ahnung, mit welchen Gedankengängen sich ihr Sohn umwarb oder was für Bücher er manchmal las. Er könnte sich auch locker umbringen, indem er eine Batterie aus der Fernbedienung aufknackte und den Inhalt einfach wie Alkohol wegkippte. Das wäre sogar mal etwas, was spektakulärer war, als sich vom Laster überfahren zu lassen oder von einer Brücke zu springen.

Der Gedanke wurde verworfen.

Es gab wichtigeres, um das er sich zu kümmern hatte, als seinen eigenen Tod. Obwohl er sich sicher war, dass er nie eines natürlichen Todes sterben würde, aber auch nicht umgebracht. Sasha war eben schon länger der Überzeugung, dass er sich schlichtweg selbst das Leben nehmen würde.

Momentan war ihm einfach nicht danach. Es gab da immerhin zwei Personen in seinem Leben und das waren eben nicht seine Eltern. Man konnte aber auch nicht sagen, es wären Freunde...Freunde hatten Spaß zusammen. Freunde erzählten sich Witze. Freunde gingen zusammen Eis essen oder so etwas. All das, würde Sasha wohl kaum mit den beiden Personen machen können, weil sie eben genauso schlecht mit dem Leben dran waren wie er. Eine von den beiden Personen hatte es leichter etwas leichter, aber die andere Person hatte es vielleicht sogar noch schwerer als Sasha.

Genau deshalb konnte er nicht einfach den Löffel abgeben. Sie waren zwar keine wirklichen Freunde, aber eben eine Zweckgesellschaft.

Eine Stunde verstrich. Die nächste folgte.

Schließlich hielt es Sasha, der sich bis dato keinen Zentimeter weiter gerührt hatte, nicht mehr auf der Couch. Er stand also auf, durchsuchte die Schränke nach etwas, womit er die Wohnungstür knacken konnte und fand tatsächlich ein Taschenmesser, weit unten in einer vollgestopften Schublade. Wie unachtsam sein Vater doch war. Wenn schon nicht mit Batteriesäure, dann halt mit einem Messer, schoss es ihm unweigerlich durch den Kopf. Doch auch dieser Gedanke wurde weggeschoben, auch wenn die Klinge, die er rausgezogen hatte, eine sichtliche Faszination auf ihn ausübte.

Mit dem Messer war es einfach, das Schloss der Wohnungstür zu knacken. Bestimmt wussten seine Eltern nicht mal, dass er überhaupt in der Lage war, sich so aus seinem Gefängnis zu befreien. Das war auch ganz gut so. Sicherlich würden sie sich fragen, wo er abgeblieben war, wenn sie nach Hause kamen und ihn nicht im Wohnzimmer vorfinden konnten. Sie würden das Haus durchsuchen, sein Vater würde tobend seinen Namen rufen, aber trotzdem nicht fündig werden. Wenn Sasha dann nach Hause kommen würde, dann würde ihm sein Vater wohl oder übel den Kopf abreißen oder ihn zumindest so eine verpassen, dass er davon ein Veilchen überbehalten würde...und wenn schon. Sasha war´s egal, solange er bis dahin nicht eingesperrt im Wohnzimmer hockte.
 

Kaum draußen ließ er die Tür ins Schloss zurückfallen. Die Tür hatte er angelehnt, das Messer zurück in die Schublade getan, damit seine Eltern nicht rausfinden konnten, wie er raus gekommen war. Erst dann hatte er das verhasste Elternhaus verlassen und fand sich in angenehmer, kühler Dunkelheit wieder.

Motten schwirrten um eine Straßenlaterne nahe des Hauses. Das Licht hatte sie angezogen. Ein Licht, was sie töten würde, wäre da nicht das Plexiglas um die Lampe herum. Wäre es nicht so, dann würden die Motten sterben, weil sie einfach verbrennen würden an der heißen Glühlampe. Allerdings gab es dann doch noch einige Motten, die Abstand hielten, so als wüssten sie, was passieren könnte, wäre das Glas nicht da.

Eigentlich konnte man die Motten mit Sasha vergleichen. Sie wussten, dass das, was sie anzog durchaus im Stande war, sie zu töten. So ging es Sasha eben auch, nur dass das Licht bei ihm ein Messer sein würde...oder eben ein Seil...egal was...es musste sich nur selbst damit umbringen können.



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