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Andys Jugendsünden I

von

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Gescheiterte Annäherungsversuche

Ein Monat war vergangen, seit Tobs nach London geflogen war und mit jedem Tag, den sie sich nicht sahen, wuchs die Sehnsucht in Andys Herzen weiter. Er vermisste ihn mehr denn je.

Der junge Mann saß im Englischunterricht, als er gerade dabei war, einen Brief an seinen Liebling aufzusetzen, als er haltlos in Tränen ausbrach. Er stürmte aus dem Zimmer und lehnte mit dem Kopf an der gegenüberliegenden Wand. Sie war schön kühl und linderte seine auftretenden Kopfschmerzen ein wenig. Zu viel denken war eben nicht immer das gesündeste. Er konnte nicht mehr. Andy fuhr sich durch die Haare und bettete seinen Kopf auf seine angezogenen Knie.

„Was ist denn…“, fragte Frau Anigris, welche perplex mit der weißen Kreide in der Hand vor der Tafel stand und zur Türe blickte.

„Ich geh schon.“, meinte Krissy, erhob sich und ging aus dem Raum. „Hey, was ist denn los?“ fragte die junge Frau besorgt. Blieb ein wenig entfernt von ihm stehen und sah, wie Andy sich langsam umdrehte und an der Mauer hinabrutschte.

„Ich… ich kann nicht mehr.“, schluchzte er.

„Oh Mensch.“ Sie legte ihm einen Arm um die Schultern und zog ihn zu sich heran. Mit der rechten Hand langte sie nach Andys Gesicht, wischte ihm eine Träne von der Wange und drückte ihn an sich um ihn zu beruhigen.

„Ich krieg das nicht auf die Reihe…“, schüttelte er den Kopf und schluchzte immer weiter. Er hielt diese bedrückende Einsamkeit nicht mehr aus.

„Du bekommst des schon auf die Reihe.“

„Ich vermiss ihn einfach so…“, hickste er.

„Erzähl es mir. Was vermisst du an ihm?“ Sie versuchte beruhigend auf ihn einzureden, was langsam anschlug.

„Alles. Seine ganze Art. Die Art mit mir zu reden, mich zu berühren, einfach alles.“, seufzte er leise. „Kennst du das, wenn du dich wie ein häufchen Elend fühlst, nur weil eine bestimmte Person nicht bei dir ist? So geht’s mir im Moment. Weist du, seine Küsse, du müsstest es ja auch wissen, sind, ja, so zärtlich. In mir explodiert schon ein kleines Feuerwerk, wenn er mir nur durch die Haare fährt.“, flüsterte er.

„Jaa, ich weis was du meinst.“, nickte sie zustimmend. „Mir ging es auch mal mit jemandem so. Nur dass damals alles aus war. Nur, schau, sei froh, dass es bei euch nicht so ist. Ihr seht euch in ein paar Monaten wieder. Ich hatte damals nicht das Glück, dass er wieder zurückgekommen ist.“, meinte sie traurig. „Ich hab damals gedacht, dass die Welt untergeht, dass mein Leben keinen Sinn mehr hätte. Doch im Nachhinein hab ich erkannt, dass es genügend Leute auf der Welt gibt, die mich lieben. Die Zeit hab und werde ich nie vergessen und das solltest du, so lange Tobs nicht da ist, auch nicht machen. Darf ich dir was sagen?“

„Ja natürlich.“

„Es ist unglaublich schön euch beide zu sehen. Ihr strahlt ein Glück aus, wenn ihr zusammen seid, dass es die Traurigkeit der Umstehenden wegblasen könnte.“, lächelte sie ihm munter zu. „Hey, wir schaffen das schon. Wenn du reden willst, dann komm.“, bot Krissy ihm an.

„Danke. Wird wohl noch öfter vorkommen.“, lachte er hohl.

Krissy lächelte ihm verständnisvoll zu. „Dann wird es eben noch öfter vorkommen. Mein Angebot steht, das weist du hoffentlich. Gehen wir wieder rein?“

„Hm, okay.“, nickte Andy.

„Warte, du musst dich noch hübsch machen.“, zwinkerte sie und wischte dem jungen Mann die verlaufene Schminke von den Wangen. „So, jetzt ist der Bursche sauber.“, grinste die junge Frau.

„Hach, wir sind so toll.“, lachte Andy auf und traten zurück in den Raum. Seine Klassenkammeraden musterten ihn neugierig, doch das ignorierte er getrost. Und auch als Marcel ihn darauf ansprach, warf er ihm gelangweilten Blick zu und schrieb an Tobs Brief weiter.
 

Es waren schon ein paar Monate vergangen, dass Marcel in sein Leben getreten war. Der junge Mann war, so weit er ihn bis jetzt kennen gelernt hatte, umgänglich, höflich, allerdings auch wahnsinnig anstrengend, was seine Neugierde anging. Manche Dinge gingen ihn nun mal nichts an und wenn er nicht endlich begriff, dass eben diese Sachen niemals aus Andy heraus zu bekommen waren, würde er wirklich ein paar unfreundliche Worte mit ihm reden müssen.

„Wenn du willst, dann zeig ich dir den unseren Platz an der Isar.“, meinte Andy abwesend, als der Unterricht, an einem sonnigen Mittwoch, zu Ende war.

„Ist das beste Wetter dafür.“, nickte Marcel lächelnd.
 

Es war halb drei, als die beiden aufbrachen.

„Ist ja genial.“, freute sich der Neue und drehte sich einmal um die eigene Achse. „Herrlich.“, grinste er.

„Hm, hier lässt es sich aushalten.“, stimmte Andy ihm zu. Mit traurigem Blick sah er sich um.

Viele Erinnerungen waren mit diesem Ort verbunden. Irgendwie erinnerte ihn alles an seine Zeit mit Tobs. Aber hauptsächlich die Weide. Den Tag würde er wohl nie vergessen.

Wie er selbst dort gesessen hatte in mitten eines Gewitters. Zwischen wütenden Naturgewalten und dem eigenen Selbstmitleid. Bis sein Freund gekommen war. Er hatte ihn, fast nach Hause tragen müssen, da er durch den Regen und die Kälte zu schwach gewesen war. Wenn er nicht gewesen wäre, würde er wohl immer noch hier sitzen bzw. tot herum liegen. Es war eine nicht sonderlich schöne Zeit gewesen und doch eine besondere. Noch nie hatte sich jemand so um ihn gesorgt. Ihn gesund gepflegt.

„Hey, alles klar?“ Marcel gab ihm einen Klaps auf die Schulter und ging breit grinsend zu der Weide hinüber. Andy kam ihm langsam hinterher. Irgendwie war ihm das alles nicht geheuer. Doch warum, wusste er sich komischerweise auch nicht zu erklären. Marcel an diesen Ort mit zu nehmen, an dem Andy sonst immer mit seiner Liebe gesessen hatte. Ein Bild, das ihm auf gewisse Weise nicht zusagte. Marcel drang damit unbewusst in seine Erinnerung ein.

„Kommst du mit ins Wasser?“, fragte sein Zimmergenosse.

„Nein…“, verneinte er gedehnt, breitete sein Handtuch aus und ließ sich darauf sinken. Er stöpselte sich die Ohren zu und schrieb an Tobs Brief weiter, welcher mittlerweile schon vier Seiten umfasste. Der junge Mann war so in Gedanken vertieft, dass er nicht bemerkte, dass Marcel zurück war. Er hatte sich neben ihn gelegt und beobachtete ihn von der Seite aus.

Andy merkte zwar, wie er ihm flüchtig durch die Haare strich, doch er machte keinerlei Anstalten sich darüber zu äußern. Wahrscheinlich dachte der Neuankömmling deshalb, dass es Andy recht wäre, denn am selben Abend ging er noch einen Schritt weiter.
 

Der Schwarzhaarige kam gerade aus der Dusche, wie immer nur mit Unterwäsche bekleidet, als etwas so Unerwartetes geschah, dass es ihn fast umgehauen hätte. Er streckte sich ausgiebig und ehe er es sich versah, hatte ihm jemand Arme um die Hüfte geschlungen.

„Was…“ Er drehte sich erschrocken um und sah in Marcels lächelndes Gesicht. „Ähm, was wird das?“, fragte er nervös. Er fand es nicht korrekt, dass er in den Armen dieses Mannes stand.

„Was das wird? Ich zeig’s dir…“, flüsterte er. Sein Antlitz näherte sich Andys immer weiter und einen Wimpernschlag später berührten sich ihre Lippen. Der Schwarzhaarige riss entsetzt seine Augen auf und krallte seine Finger in Marcels Brust, dessen Zunge in seine Mundhöhle vordrang und ihn in einen vor Verlangen triefenden Kuss ziehen wollte. Doch Andy konnte das um alles in der Welt nicht zulassen. Er zitterte leicht, als sich seine Hand zu dem Kinn seines Gegenübers schlich und ihn grob von sich weg drückte.

„Mach das noch einmal und du liegst unter der Erde.“, drohte er ihm. Seine Augen bohrten sich in ihn hinein und seine Worte kannten kein Erbarmen.

„Aber ich hatte gedacht…“, stotterte er.

„Denk nicht so viel. Das bekommt dir nicht.“, knurrte der Schwarzhaarige. „Denkst du, nur weil Tobs nicht hier ist, kannst du dich an mich ranschmeißen wie es dir gefällt? Süßer, da hast du dich kräftig in den Finger geschnitten. Ich weis nicht ob dir das Wort ´Treue´ etwas sagt, aber ich bin es und werde es auch bleiben. Merks dir.“, zischte er wütend und verschwand unter seiner Decke. Andy war außer sich. Wie konnte sich dieser Arsch selbst die Erlaubnis erteilen und ihn einfach küssen?! Marcel wusste, dass er vergeben war und trotzdem hatte er es versucht. Nein! Nicht nur versucht, es sondern auch getan.

Am liebsten hätte er ihm eine heruntergehauen. So wie die Frauen in den Filmen es machen, wenn man ihnen an den Hintern tatscht. Er verstand warum sie es taten. So etwas, musste sich niemand gefallen lassen.

Er hatte immer gedacht, dass nur Frauen als Objekt der Begierde angesehen wurden, doch genau so, war es bei ihm im Moment. Wenn er noch länger darüber grübeln würde, würde er wohl noch ausflippen und das wollte er nicht.

Andy musste nur in sich hinein forschen und sich fragen, ob er es Tobs erzählen sollte. Doch es blieben noch andere Fragen offen. Zum Beispiel, wie würde er reagieren? Würde er es als abgeharkt ansehen oder total ausrasten? Es war ja nicht mehr gewesen und trotzdem war er sich nicht sicher, was er tun sollte. Spätestens, wenn Tobs wieder anrufen würde, würde er es wissen. Nur war die Ungewissheit da, wann das nächste Mal sein würde?

Kaum das er seinen Gedanken zu Ende geführt hatte, klingelte sein Handy.

„Ja?“, gähnte er.

„Hi Süßer.“, meldete sich eine fröhliche Stimme am anderen Ende.

„Ui, hab grad an dich gedacht.“ Nur in einem anderen Sinn, als Tobs dachte.

„Echt, wie süß. Ich komm hier gerade überhaupt nicht zum denken. Wie geht’s dir?“, fragte er.

„Wo bist du gerade? Ist ja ganz schön was los.“, lachte Andy, denn im Hintergrund war lautes Gemurmel und Kreischen zu hören.

„Ja, Amy hat heute Geburtstag. Ist ein richtiges Tohuwabohu. Deshalb hab ich mich etwas abgesetzt.“, kicherte er.

„Gehörschaden, soll ich lauter reden?“

„Mensch, geh raus.“, knurrte Marcel.

„Halt die Klappe.“, zischte der Schwarzhaarige und ging auf den Gang hinaus.

„Wer soll die Klappe halten?“

„Marcel, der regt sich immer so auf, wenn du anrufst.“ Und er wusste jetzt auch warum.

„Ach mei. Aber jetzt sag, wie geht’s dir?“

„Naa ja… eben ist was passiert, was mir ziemlich gegen den Strich geht.“ Andy wurde schwer ums Herz. Er hatte keine Ahnung wie er es Tobs beibringen sollte.

„Was ist denn passier?“, hakte er nach und klang immer noch recht fröhlich.

„Ich… oh man. Ich wette, dass du total ausflippst.“

„Wieso? Bin ich jemals ausgeflippt?“

„Nein, aber schau… Ich hab Marcel heute den See gezeigt da hat er schon so beschissen rumgetan…“ Er wurde unterbrochen.

„Was hat er denn gemacht?“ Tobs hörte sich nervös an, obwohl das im Moment eher zu Andy gepasst hätte.

„Nun, ich lag auf meinem Handtuch, hab Musik gehört und an deinem Brief geschrieben. Ich war zwar ziemlich darin vertieft, aber ich hab das, was um mich herum passiert war, schon noch mitbekommen. Jedenfalls, hat er mir, dacht wohl ich würde es nicht merken, durch die Haare gestrichen. Hab ich mir gedacht, gut sagst halt erstmal nichts. Nur dann ist er noch einen Schritt weitergegangen…“

„Komm auf den Punkt.“, drängte ihn sein Freund.

„O… okay. Ich bin dann, vor ungefähr zehn Minuten unter der Dusche gewesen und du weist ja wie ich danach immer rumlaufe.“

„Oh jaa. Hach, wie ich das vermisse.“, kicherte er.

„Nja… jedenfalls kommt der dann von hinten und umarmt mich. Warte… es kommt ja noch besser. Er hat mich zu sich rumgedreht und was denkst du, was passiert ist? Er hat mich geküsst dieses Arschloch.“

Unangenehmes Schweigen.

„Das – ist – nicht – dein – Ernst.“, zischte Tobs ungehalten. „Sag, dass das verdammt noch mal nicht wahr ist!“ schrie er.

„Es ist so. Aber bitte, glaub mir, ich hab ihn weggestoßen.“, beschwichtigte er seinen Freund.

„Hast du das, ja? Kaum bin ich einen Monat nicht da, angelst du dir den nächsten. Ich glaub’s nicht.“, knirschte der junge Mann mit den Zähnen. Andy wusste, dass sein Schatz wohl im Moment auf und ab schreiten würde.

„Bitte, glaub’s mir. Ich hab ihn nicht erwidert, gar nichts…“ verteidigte sich der Schwarzhaarige. Er fühlte sich hundsmiserabel. Er wünschte, dass er diesen ungewollten Kuss rückgängig machen könnte, doch es ging leider nicht.

„Gut, du sagst dass da nicht mehr gewesen wäre. Dann gib ihn mir kurz. Das will ich von ihm hören.“, knurrte Tobs.

„Wie du meinst.“ Er ging zurück in sein Zimmer. „Marcel dich will jemand sprechen.“, murrte er und hielt ihm sein Handy hin.

„Wer?“

„Ein Person, welche liebendgerne wissen möchte, was vorher gewesen war.“, fauchte er ungehalten.

„Ähm, hallo?“ fragte er nervös, da er nicht wusste, was ihn am anderen Ende erwarten würde.

„Du bist also dieser Marcel, ja?“

„Ähm, ja. Scheint so. Wer sind Sie?“ Er biss sich auf die Unterlippe. Tobs rauer Tonfall machte ihm sichtlich zu schaffen und seine dunkle Stimme machte es auch nicht besser.

„Tobs. Freund von deinem Zimmergenossen.“, stellte er sich vor.

„Ach, das sind Sie?“

„Allerdings. Eine Frage“ Der junge Mann hielt inne. „Was um alles in der Welt fällt dir ein, dich an meinen Freund ranzuschmeißen!“, brüllte er, sodass Marcel das Telefon ein paar Zentimeter von seinem Ohr weghalten musste.

„Na ja, es hat mich so überkommen…“

„Es hat dich so überkommen! Du wusstest ganz genau, dass er einen Freund hat!“ das wusste Tobs deshalb, da Andy ihm die Unterhaltung, mit dem Neuen, damals berichtet hatte. „Und trotzdem hast du es getan! Wie kann man nur so hinterlistig sein.“

Marcel sackte wie ein getretener Hund in sich zusammen, so angeschrieen hatte ihn bis jetzt noch niemand. Er war so perplex von dem verbalen Angriff, dass er nicht mehr dazu kam zu kontern.

„Ist mehr gewesen oder nicht?“, fragte Tobs knurrend. Wenn Andys Zimmergenosse vor ihm gestanden wäre, hätte er ihm wohl eine gescheuert.

„N… nein. Er hatte gemeint, dass, wenn ich so was noch mal wagen würde, unter der Erde liegen würde.“ Seine Stimme, sowie sein gesamter Körper zitterten.

„Jaa, das sieht ihm ähnlich. Er spricht gerne Drohungen aus, und wenn ich dir einen Rat geben dürfte, sie sind bis jetzt immer wahr geworden. Gib ihn mir bitte noch mal.“

„Hier.“ Marcels Lippen bebten und er zog seine Hand sofort wieder zurück, als der junge Mann das Handy an sich nahm.

„Danke.“, lächelte Andy, und verschwand wieder im Flur. „Glaubst du es mir jetzt?“

„Ja. Tut mir leid nur… das hat mich irgendwie total wütend und, ja ich gebe es zu, unheimlich eifersüchtig gemacht.“, gab Tobs zu.

„Eifersüchtig? Aber warum?“ Andy konnte sich das nicht vorstellen.

„Jaa. Weil, er dich geküsst hat und ich hier hocke, und dich nicht einmal in die Arme schließen darf beziehungsweise kann. Das macht mich noch ganz verrückt. Es tut mir echt leid, dass ich dir nicht geglaubt hab.“, erklärte er.

„Ist okay. Mich macht’s auch noch mal verrückt. Weist du was…“

„Was weis ich denn?“

„Ich hab dir doch gesagt, dass ich grad an einem Brief für dich schreibe…“

„Ja und was ist mit dem?“

„In dem Sinn nichts. Aber, du wirst es nicht glauben, ich bin heulend aus dem Klassenzimmer gerannt.“ Andys Lippen bebten so, wie Marcels eben. Seine Augen brannten ungeheuerlich und seine Stimme drohte ihm zu versagen.

„Wieso dass denn schon wieder?“ Tobs hörte sich traurig und besorgt an. Ihm ging es nicht anders. Er spürte ein unangenehmes Stechen in seinem Hals.

„Ich bin voll auf Entzug. Ich vermiss dich einfach… es ist einfach, ätzend. Diese Leere in sich zu spüren, welche einfach nicht vergehen möchte. Eine so unglaublich schmerzende Leere, dass es einem das Herz in der Brust gefrieren lässt.“, flüsterte Andy erstickt. Eine einzelne Träne trat ihm aus dem Augenwinkel und er schloss für ein paar Minuten die Augen.

„Leer… das Gefühl kenn ich nur zu gut, mein Schatz. Weist du, ich sitz abends manchmal auf dem Fensterbrett und stell mir vor, wie es wäre, genau in dem Moment bei dir zu sein. Einfach nur bei dir sein. Mehr würde ich in dem Augenblick gar nicht wollen.“ Er seufzte schwer und Andy hörte im Hintergrund wie Tobs jemand fragte, ob mit ihm alles okay sei. Er hörte nur ein ersticktes ´yes´ und dann war er wieder an der Strippe.

„Ich würd am liebsten den nächsten Flieger nehmen, und dich besuchen kommen.“, murmelte Andy und starrte in eine sternenklare Nacht hinaus.

„Dann sind wir schon zwei.“ Er hörte einen leisen, fröhlichen Unterton in Tobs Stimme mitschwanken.

„Was machst du jetzt dann noch?“, fragte der Schwarzhaarige.

„Weis noch nicht. Mir vielleicht die volle Dröhnung im Wohnzimmer geben, oder einfach ins Bett gehen.“, meinte der junge Mann und wahrscheinlich, dachte Andy, würde er genau in diesem Moment die Augen gen Himmel drehen. Damit lag er genau richtig.

„Ja, okay. Schatz, ich vermiss dich über alles.“, murmelte er.

„Ich dich auch Süßer. Lieb dich.“

„Ich liebe dich auch.“ Andy lächelte matt.

„Bye.“, verabschiedete sich Tobs.

Stille am anderen Ende.

Betrübt ging der junge Mann zurück in sein Zimmer.

„Hey, hat er noch Stress gemacht?“, fragte Marcel.

„Wie? Nein, hat er nicht.“, murmelte er und legte sich, müde wie er war, in sein Bett. Seine Gedanken waren die ganze Zeit bei seinem Schatz. Er vermisste ihn unendlich. Er wusste sich langsam nicht mehr zu helfen. Er hatte keine Ahnung, was er gegen diese unbeschreiblich, bedrückende Leere in sich, machen sollte.
 

Andy lag noch lange wach, während Marcel schon munter schnarchte. Wann er einschlief, wusste er nicht, doch am nächsten Morgen fühlte er sich so beschissen wie seit langem nicht mehr. So schnell er konnte setzte er den letzten Satz unter den Brief, beschriftete und beklebte das Kuvert und steckte es, noch vor dem Frühstück, in den nahe gelegenen Briefkasten.

Mit Marcel war nichts Weiteres passiert. Andy hatte zwar das ungute Gefühl die ganze Zeit beobachtete zu werden, doch solange er nicht noch einmal auf den Gedanken kam, ihn zu küssen, war das egal.
 

//Ein paar Tage später bei Tobs in London//
 

Es war halb neun Uhr Abends, als Tobs in das Reihenhaus seiner Gastfamilie trat. Er wurde mit einer herzlichen Umarmung von der etwas rundlichen Frau begrüßt. Sie hatte ein rundes Gesicht, eine Stupsnase, wachsame, dunkelbraune Augen und dunkelrotes, zu einem Knoten zusammengebundenes Haar. Dem jungen Mann blieb fast die Luft weg, als er an die üppige Brust seiner Gastmutter gedrückt wurde.

„Hi Schätzchen.“, trällerte sie und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Wo warst du denn die ganze Zeit? Hast du Hunger?“, fragte sie fürsorglich.

„Hi. Hunger, na ja, ein bisschen.“, nickte er und nahm dankend an dem reichlich gedeckten Tisch platz. Mrs Anderson tischte ihm eine ordentliche Portion Eier und Speck auf.

Mr Anderson hatte sich in sein Arbeitszimmer im ersten Stock zurückgezogen und war anscheinend dabei, einen Artikel für die Klatschpresse zu schreiben. Doch um was es dort ging, wusste Tobs nicht und er war auch nicht sonderlich daran interessiert.

„Wo hast du denn nun gesteckt?“, fragte Annie.

„Ich war unten an der Themse und bin ein bisschen spazieren gegangen.“, mampfte der junge Mann. „Ist was für mich gekommen?“

„Oh, jaa. Ein Brief aus Deutschland.“ Sie zuckte die Schultern. „Wer schreibt dir denn da so ausgiebig? Fühlt sich ziemlich schwer an.“, meinte sie neugierig.

„Wer mir schreibt… mein Freund.“, grinste er verlegen und schaufelte weiter. Seit er hier war, hatte er bestimmt schon ein bis zwei Kilo zugenommen, denn bei Annies Küche, war das kaum zu vermeiden.

„Dein Freund also.“ Sie lächelte ihm mütterlich zu.

„Danke Annie, ich bin dann oben.“

„Wenn du noch was brauchst sag bescheid.“, bot sie ihm an.

„Mach ich.“, nickte er fröhlich, schnappte sich den Brief und trappelte die Treppe in den zweiten Stock empor. „Hi Amie.“, begrüßte er das 14 -jährige Mädchen.

Sie war, im Gegensatz zu ihrer Mutter, sehr schlank. Hatte eine undefinierbare Augenfarbe und hellblondes Haar.

„Hey Tobs. Wie geht’s?“, fragte sie. Der junge Mann blieb grinsend an ihrer Zimmertüre stehen und wedelte mit dem Brief in seiner Hand herum.

„Bestens.“, trällerte er vergnügt und verschwand eine Türe weiter in seinem Zimmer. Er ließ sich bäuchlings auf sein Bett fallen, riss den Umschlag auf und begann zu lesen.
 

Hi mein Schatz,
 

Wie geht’s Dir? Hoffe doch, dass soweit alles okay und in der Schule alles in Ordnung ist.

Du meintest, dass Du auf so nem College bist. Wie läuft das da eigentlich ab?? Ich mein von den Fächern her. Wie lange musst Du da eigentlich jeden Tag die Schulbank drücken?

Würde mich echt mal interessieren und wie Deine Gastfamilie so ist, musst Du mir natürlich auch noch seehr ausführlich erzählen, ja?
 

Tja, bei uns ist eigentlich alles beim Alten geblieben. Die Lehrer stressen wegen den beschissenen Schulaufgaben und Exen herum. Das geht mir langsam echt auf den Senkel. Der Unterricht ist immer noch ewig langweilig. Vor allem Mathe und Latein. Die Magensia brabbelt vorne irgendetwas von einem 5. Fall und ich hab keinen blassen Schimmer, was die jetzt eigentlich von mir will. Ich blick echt überhaupt nicht mehr durch, aber ich denk, dass das nicht nur mir so geht. Krissy und ich hocken die halbe Zeit im Kollegraum und büffeln wie die Verrückten, nur irgendwie, scheint das nicht wirklich etwas zu bringen. Spätestens bei der nächsten Schulze werden wir ´s erfahren.

Englisch ist, wie soll ich sagen, auch nicht mehr dasselbe. Langweilig und es zieht sich so unendlich in die Länge, dass man am liebsten einschlafen würde.

Ich hoffe, dass es Dir da besser ergeht.

Wie ist das eigentlich bei Dir mit dem Unterricht? Auch so langatmig, oder ist des da alles ein bisschen flotter?

Erzählst mir ja auch nicht wirklich was...
 

Tjoa, was kann man noch so erzählen.

Krissy vermisst Dich auch total. Ist sie ja nicht die einzige. Apropos, was war da jetzt eigentlich in dem großen Päckchen von ihr drinnen?? Scheint ja ziemlich schwer gewesen zu sein. Mir wollten sie es natürlich mal wieder nicht verraten. Immer diese Geheimnistuerei, pff... find ich gar nicht nett. Nein. Ich bin ja schon froh, dass Du mir Deine Adresse gesagt hast. *zwinker*

Genau, ich bin jetzt voll beleidigt, weil mir nieee jemand etwas sagt. Jawohl. Da hast Du ´s.

Was machst du eigentlich den lieben langen Tag so? Außer vielleicht in der Schule sitzen?

Ich jedenfalls nicht viel.

Bin die meiste Zeit, entweder mit Krissy und den anderen am See unten oder bin in meinem bzw. unserem Zimmer, hör Musik und denk nach. Irgendwie ein bisschen viel, kommt es mir so vor. Aber ich kann ja auch nichts machen. Wenn eine bestimmte Person nicht bei mir ist, kann das schon mal vorkommen. In dem Fall wünschte ich, dass es ich Jedenfalls hat mich die Muse geküsst, welche das war, keine Ahnung.

Tja, jetzt wirst Du Dich vielleicht fragen, über was ich eigentlich die ganze Zeit nachdenke. So ein Tag ist ja nicht gerade kurz, da bleibt einem dann schon recht viel Zeit über.
 

„Jaa, das würde ich wirklich gerne wissen, was du zum nachdenken hast.“ Schmunzelte er amüsiert, denn er fand, dass der Brief äußerst lustig war.
 

Ich denk über so viel nach, dass ich manchmal überhaupt nicht weis, wo mir der Kopf steht. Oder ich fang grundlos an zu heulen.

Mensch, ich bin eine richtig sentimentale Heulsuse geworden. Gefällt mir irgendwie nicht, aber vielleicht ist das genau der Zeitpunkt, an dem alles raus muss, was ich Jahrelang in mich reingefressen hab.

Damals, als Du mich gefragt hattest, was mit mir los sei – ich weis nicht, ob Du Dich noch daran erinnern kannst – da hab ich über, ja, längst vergangene Sachen nachgedacht, die mich trotz allem einfach nicht loslassen. Weist Du, ich hab mich damals irgendwie im Stich gelassen gefühlt. Ich mein, es ist nicht das tollste Gefühl, von der eigenen Familie nicht mehr gewollt zu werden. Wie ein stinkender Köter vor die Türe gesetzt zu werden.

Damals ist das einfach alles hochgekommen, weil ich gemerkt hab, dass es doch jemanden gibt, dem ich wichtig bin. Ich wollte es am Anfang nicht wirklich wahrhaben, da ich so ein Interesse an meiner Person, einfach nicht gewohnt war. Doch je länger ich mit Dir zusammen war umso mehr ist mir das klar geworden. Du warst der beste Freund den ich niemals zuvor gehabt hatte und ich war zu der Zeit so unglaublich froh, dass du gekommen warst. Es war wirklich, als wäre ein rettender Engel aus dem Himmel zu mir herabgestiegen um mich aus meinem geistigen Elend zu befreien. Es mag sich vielleicht hart anhören, aber so kam es mir ehrlich vor.

Und weist Du, worüber ich unendlich glücklich bin?

Wahrscheinlich nicht. Ich werde ´s Dir sagen.

Dass Du nicht mehr gegangen bist. Dass Du geblieben bist. Dass ich Dich in meine Arme schließen konnte. Dass ich endlich wieder richtige Gefühle hatte. Gefühle, die ich dachte, längst verloren zu haben. Das ich gar nicht mehr im Stande wäre, so etwas zu empfinden.

Früher war ich kalt. Es ist wirklich so.

Ich bin jedem der mir zunahe gekommen war, mit uneingeschränktem Misstrauen entgegengekommen. Ich habe so gut wie niemandem vertraut, vielleicht nicht einmal mir selbst.

Ich weis es nicht mehr und ich will es auch nicht wissen. Ich will versuchen, die ganzen Geschichten zu vergessen. Endlich zur Ruhe zu kommen. Ruhe vor der Suche nach Antworten, welche ich wohl nie finden würde.

Du hast mich, in dem Sinne, aufgetaut. Es mag sich komisch anhören, aber es ist einfach so.

Die Wärme, welche von Dir ausging und es immer noch tut, hat mich aufgetaut. Und du glaubst nicht, wie froh ich darüber bin.

Durch Dich hatte ich erst erfahren, wie schön es eigentlich sein kann jemandem Vertrauen entgegen zu bringen. Wie einfach dass alles sein kann, wenn man über seine steinharte Mauer klettert und die frische Luft der Freiheit einatmet.

Ich weis nicht, wie oft ich das jetzt schon gesagt hab, aber ich bin, seit ich Dich getroffen hab, der glücklichste Mensch der Welt.

Na ja, jetzt weist Du, warum ich damals heulend aus dem Klassenzimmer gerannt bin.

In dem Fall...

Es tut mir wirklich super leid, dass wir uns damals so in die Haare gekriegt haben. Wenn ich könnte, würde ich es rückgängig machen, doch das wird wohl nicht gehen.
 

Nun, ich weis auch nicht mehr wirklich, was ich noch schreiben soll. Meine Hand tut weh und ich bin hundemüde. Am liebsten würd ich auf der Stelle einschlafen, doch die Gedanken an Dich werden mich wohl die nächsten Stunden nicht zur Ruhe kommen lassen.
 

Ich sehne den Tag herbei, an dem Du endlich wieder hier bist. Den Tag, an dem ich Dich in meine Arme schließen kann und dann nie mehr gehen lassen werde.
 

Ich liebe Dich mein Schatz.

Dickes Bussi und liebe Grüße auch von Krissy und Konsorten.
 

In Liebe

Andy
 


 

„Du bist wirklich ein sentimentaler Brocken.“, lächelte Tobs mit Tränen in den Augen.

Diese Briefe brachten ihn ständig aus der Fassung. Andys Worte brannten sich in sein Herz, wie ein Brandzeichen auf einer Pferdeflanke. Sie ließen ihn Nächte lang nicht los und machten ihn unerträglich. Nicht weil er wütend war, sondern wegen dem überschwänglichem Glücksgefühl, welches ihn danach noch Tage lang begleitete. Er hatte ein breites Dauergrinsen im Gesicht und würde am liebsten jeden umarmen, der ihm über den Weg lief. Doch wenn er dann in seinem Bett lag und darüber nachdachte, was sein Freund da eigentlich schrieb, wurde er aus der heilen Welt herausgerissen und wanderte hinüber in einen kleinen, dunklen, schaurigen Kosmos, welcher außerhalb der menschlichen Sinneswahrnehmungen lag. Nur wer so in Trauer versunken an etwas dachte, konnte diese Welt, wenn auch ungewollt, betreten.

Andys Worte schrieen nach ihm. Das merkte Tobs. In jeder Silbe, in jedem Buchstaben lag ein Flehen, welches ihn heimsuchte und versuchte ihn zu seinem Schatz zu bringen. Doch, so gerne er es auch wollte, dieses Unterfangen konnte und wollte er auf eine bestimmte Weise, nicht aufgeben. Er war in einer unausweichlichen Zwickmühle gefangen, die nicht aufzulösen war.

Wie er es auch drehte und wendete. Es kam immer dazu, dass er etwas zurücklassen musste, was er nicht wollte. Er wollte Andy wieder sehen und das mehr als alles andere, doch auf der anderen Seite wollte er hier bleiben. Wegen der Andersons, welche er unheimlich in sein Herz geschlossen hatte und wegen seiner eigenen, beruflichen Zukunft.

Doch ein Lichtblick war in Sichtweite. Das erste halbe Jahr hatte er fast schon überstanden und dann nur noch ein paar Monate und er war wieder da, wo er hingehörte. Und auf diesen Moment freute er sich so sehr, wie ein kleines Kind an Weihnachten und Geburtstage in seinem ganzen Leben.

Seine Tränen nahmen kein Ende auch dann nicht, als es zwei Mal an seiner Türe klopfte.

„Ja?“

„Tobs, kann ich rein?“, fragte Amie.

„Sicher.“ Das Mädchen kam in das Zimmer getrappelt und setzte sich neben den Liegenden. „Was gibt’s?“, wollte er wissen und blickte sie freundlich an. Er hatte sie wirklich sehr ins Herz geschlossen. Sie hatten ihn in ihrem Haus so liebevoll aufgenommen, wie er es nie erwartete hätte.

„Ich wollt dir eigentlich nur ein bisschen Gesellschaft leisten. Du sitzt hier immer ganz allein und das finde ich irgendwie schade.“, lächelte sie. „Was liest du da?“

„Lieb von dir.“, grinste er. „Das ist ein Brief von meinem Freund.“ Allein wenn er an ihn dachte, stiegen in ihm Heimwehgefühle auf.

„Und warum weinst du dann?“, wollte das Mädchen in Erfahrung bringen, denn selbst wenn das Licht etwas gedämmt war, konnte man die Tränenspuren immer noch genau erkennen.

„Weil ich ihn unheimlich vermisse und er mir etwas ziemlich, na ja, rührendes geschrieben hat.“, erklärte er und drehte sich auf den Rücken, damit er sich, während er mit ihr sprach, nicht das Genick verrenken musste.

„Etwas Rührendes. Was denn zum Beispiel?“ Sie lugte neugierig auf die Blätter welche vor ihm lagen, doch konnte sie nur ihr unbekannte Buchstaben entziffern und Worte erkennen, welche für sie keinen Sinn ergaben.

„Soll ich ihn dir vorlesen?“

Etwas zögerlich blickte sie ihn an und nickte nach kurzem überlegen.

„Wenn du willst.“

„Okay, ich versuchs mal.“ Tobs hatte zwar schon unzählige Briefe und Texte übersetzt, aber ein solcher, war ihm noch nicht zugestoßen. Anfangs lief es noch etwas stockend, doch dann ging es richtig gut. Bei einzelnen Worten musste er eine ausgiebige Umschreibung starten, da ihm das Englische nicht einfiel, oder es kein Wort dafür gab.

Während er las wurden Amies Augen immer größer und größer. Und langsam füllten sich ihre Bernsteine mit salzigen Diamanten.

„Er liebt dich.“, schniefte sie gerührt.

„Hm, ja.“, nickte der junge Mann langsam. So auf Englisch, hörte sich der Brief noch um einiges sentimentaler an, als er sowieso schon war.

„Liebst du ihn auch?“ Amie blickte ihn an und entdeckte ein leises Lächeln auf seinen Lippen.

„Mehr als mein eigenes Leben.“, antwortete er etwas abwesend. Das Mädchen ließ sich neben ihn auf den Rücken fallen, verschränkte ihre Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke, welche, so schien es, Hundertmeter über ihnen wachte.

„Du, wie ist es eigentlich, wenn man verliebt ist? Ich mein so richtig. Nicht nur eine milde Schwärmerei, sondern so, wie er es in seinem Brief geschrieben hat?“, murmelte sie.

„Wie es ist… ich denk, dass das ganz unterschiedlich sein kann. Eines kann ich dir sagen, es ist wohl das schönste Gefühl auf der Welt.“ Seufzte er.

„Beschreib es mal.“, bat sie den jungen Mann. Tobs sah Amie einen Moment lang von der Seite an und begann zu erzählen. Wie er sich fühlte, wenn er in Andys Nähe war. Eigentlich, offenbarte er dem Mädchen seine innigsten Gefühle, von denen er nicht gedacht hatte, sie jemals jemand anderen außer seinem Freund zu sagen. Er fühlte sich jedoch gut dabei, denn Amie kannte Andy ja nicht, dass war anders, als wenn er es Krissy mitteilen würde.

Amie hörte ihm aufmerksam zu. Ihre Ohren waren gespitzt wie bei einem Wolf, welcher eine Gefahr in seiner Nähe witterte. Sie unterbrach ihn kein einziges Mal, bis er aufgehört hatte zu reden.

„Hört sich romantisch an.“, lächelte die Jugendliche. „Ich will so was auch mal erleben.“

„Wirst du vielleicht auch. Ich will es für dich hoffen, beziehungsweise ich wünsche es mir für dich. Jeder hat es verdient glücklich zu sein.“, flüsterte Tobs.

„Hmh. Und du bist es schon.“, grinste Amie.

„Oh ja…“, nickte der junge Mann.

Es klopfte an der Türe.

„Ja?“

„Amie, Liebes. Es ist schon spät, Abmarsch ins Bett.“, scheuchte ihre Mutter sie.

„Gute Nacht, Tobs.“ Das Mädchen verschwand aus dem Raum.

„Schlaf gut.“, lächelte Annie und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Du auch.“

„Alles in Ordnung?“, fragte sie noch einmal nach und musterte ihren Pflegesohn aufmerksam. Seine Augen waren gerötet.

„Ja, alles okay.“, log Tobs.

„Na gut.“ Die Frau schloss die Türe nachdem sie hinausgegangen war und der junge Mann setzte sich auf die Fensterbank, wie so oft in letzter Zeit. Der Vollmond schien ihm direkt ins Gesicht.
 

Er fragte sich, ob Andy diesen Mond im Moment auch sah. Vielleicht lag er auch schon wieder im Bett. Oder er war mit Krissy unterwegs. Oder er musste sich, zu seinem Pech, wieder mit Marcel herumplagen, obwohl er es ihm natürlich nicht wünschte. Und morgen, was würde er morgen machen?

Er müsste dann schon wieder in die Schule. Musste sich das nervtötende Gebrabbel von Mandy, Alex und Frank anhören. Sie waren nett, aber diese hohen piepsigen Stimmen, die sich überschlugen wenn sie lachten und sie somit immer mehr mit einem Schwein, welches geschlachtete werden sollte, annahmen. Aber was sollte er machen? Sie waren die einzigen Menschen auf der gesamten Highschool, welche sich für ihn und die deutsche Kultur interessierten.

Sie hatten ihn, genau wie die Andersons, sehr liebevoll und voller Respekt aufgenommen. Wahrscheinlich lag es auch daran, dass sie, wie er, von den Modepüppchen, als so genannte Freaks abgestempelt wurden. Und das nur, weil sie sich nicht so modern kleideten. Richtig flippig, wie er dachte. Sie waren nicht wie er, aber sie waren auch keine Punks. Sie waren einfach sie selbst. Einfach anders. Und genau deshalb, verstanden sich die vier auch so gut. Sie kannten das Gefühl, ausgeschlossen zu werden. Weniger nette Zurufe und Mobbing gehörten bei ihnen sozusagen zum Tagesablauf, nur darüber standen sie schon lange.

Manchmal, seitdem er hier war, hatten sie etwas gemeinsam unternommen. Doch am liebsten war er einfach alleine.

Er setzte sich manchmal auf eine Bank an der Themse und hing seinen Gedanken nach. Schönen, aber auch traurigen. Er blieb lange dort sitzen und betrachtete den wunderschönen Sonnenuntergang. Er tauchte ganz London in einen blutroten Schimmer, welcher sich wie ein Tuch über die Stadt legte. Es sah einfach berauschend aus.

Der untergehende Feuerball inspirierte ihn zu den verschiedensten Sachen. Er hatte noch nie seine Gedanken, Gefühle oder Wünsche aufgeschrieben. Doch wenn er dort so saß waren nach einer halben Stunde gut fünf Blätter voll geschrieben. Ganz unterschiedlich, fielen die Texte und Gedichte aus. Wie seine Gemütslage in dem Augenblick war.

Manchmal sehr melancholisch, dann wieder etwas fröhlich und zu guter letzt so romantisch, dass er hin und wieder einfach anfing zu weinen. Vielleicht weil ihn das Geschrieben an seine Zeit mit Andy erinnerte? Er fühlte sich gut danach, da er seinem Frust Luft gemacht hatte.
 

Tobs starrte noch eine Weile in die sternklare Nacht über ihm und es schien so, als würde ihm ein verglühter Plante, in einer weit entfernten Galaxis zuzwinkern. Er blitze ihm zu, wie ein Diamant, welcher mit seiner Schönheit und Reinheit protzte.

Anrufen wollte er Andy jetzt nicht, obwohl er gerne seine Stimme gehört hätte, doch er war zu müde. Der junge Mann machte sich flott bettfertig, legte sich in sein Nachtlager und schlief nach einigen Minuten ein. Er war froh, dass er mit Amie geredet und sie ihm so aufmerksam zugehört hatte. Es hatte unheimlich gut getan.
 

Die restlichen Monate vergingen wie im Fluge.

Tobs wurde immer aufgeregter. Das Ende des Schuljahres, die restlichen Prüfungen und seine Abreise kamen immer näher. Seine Nerven waren zum zerreisen gespannt. Seine Gedanken waren immer dort, wo sie nicht sein sollten. Im Unterricht wurde er unaufmerksamer und er bekam mindestens einmal in der Woche Nachsitzen aufgebrummt. Doch das war ihm auch egal. So ging die Zeit wenigstens schneller vorbei, dachte er sich wieder und wieder.
 

Es war drei Tage vor seiner eigentlichen Abreise.

Es war ein sonniger Samstagmorgen. Tobs blinzelte ein paar Mal, um sich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen, blickte neben sich und fand keine zerwurschtelte Decke neben sich. Es war reine Angewohnheit, denn normalerweise schlief Andy immer bei ihm, doch das war seit fast einem Jahr schon nicht mehr so.

Er vermisste es, in das engelsgleiche Gesicht seines Freundes zu sehen und ihn beim Schlafen zu beobachten. Wie ihm seine zerzausten Haare immer weiter ins Gesicht fielen. Seinem gleichmäßigen Atem zuzuhören. Ihn zu betrachten, wenn er verschlafen seine Augen öffnete und Tobs ein süßes Lächeln schenkte. Meistens strich der Schwarzhaarige ihm über die Wange und zog ihn zu sich heran um Tobs´ Wärme in sich aufzunehmen. Wie gerne würde er das wieder erleben?

Ein bisschen verpeilt stieg er aus seinem Bett und eine Stunde später saß er mit den Andersons beim Frühstück.

Amie sah ziemlich fertig aus, doch Tobs wusste sich nicht zu erklären warum.

„Morgen.“, gähnte er und setzte sich zu seiner Gastfamilie. Obwohl Samstag war, stand Mr. Anderson ziemlich hurtig auf, da die Uhr halb zehn anzeigte. Er stopfte sich den Rest seines Toasts in den Mund und eine Minute später brauste er mit dem braunen Opel zu seiner Arbeitsstelle.
 

Um halb elf klingelten Alex, Mandy und Frank an der Türe.

„Tobs! Deine Freunde sind hier!“, rief Annie ihm aus dem Flur zu.

„Komm schon…,“ grummelte er. Eigentlich war er jetzt nicht gerade dazu aufgelegt, etwas mit ihnen zu unternehmen, doch vielleicht brauchte er einfach nur einen Anstoß, damit er auf die Beine kam. Der junge Mann stolperte die Treppe nach unten, da der Teppich an einer Stelle Falten warf, und lief Mandy direkt in die Arme.

„Hey, Hey. Was für eine Begrüßung.“, lächelte sie.
 

Er zog seine Schuhe an, verabschiedete sich von seiner Gastmutter und verließ mit den jungen Leuten das Haus.

Die vier schlenderten ein wenig durch ein nahe gelegenes Wäldchen, falls man es so nennen konnte. Es war nur eine große Gruppe von Nadelbäumen, welche an eine beliebige Stelle gepflanzt worden war, doch Tobs fühlte sich hier wohl. Es herrschte eine angenehme Ruhe um sie herum. Nur vereinzelt hörte man ein paar Vögel in den Wipfeln zwitschern. Doch sonst war es ganz und gar ruhig.

„Hey? Alles klar?“, fragte Frank und beäugte ihn etwas misstrauisch.

„Was?“ Der junge Mann wurde schlagartig aus seinen Gedanken gerissen und blickte ihn perplex an.

„Ob alles okay ist? Du schaust aus, als wärst du irgendwo nur nicht hier.“, kicherte Mandy und hakte sich fröhlich bei ihm ein.

„Passt schon.“, meinte er leise und die jungen Leute traten aus dem improvisierten Wald heraus. Sie kamen auf eine wunderschöne Allee, wie sie Tobs noch nicht gesehen hatte. Links und rechts von ihm standen meterhohe Kirschbäume. Der Wind blies die Blüten von den Kronen und es schien so, als würde es schneien. Sie verfingen sich in ihren Haaren. Es erinnerte ihn stark an den großen Kirschbaum im Hof des Internats. Und schon verkrampfte sich sein Herz schmerzhaft in seiner Brust. Der Gedanke an Deutschland, das Internat und vor allem an Andy, ließen sein Innerstes aufschreien. Es tat so unendlich weh. Alles tat weh. Er wollte nicht dass es ihn schmerzte, doch er konnte es einfach nicht verhindern. Die Sehnsucht nach seinem Schatz war zu groß. Zu groß um sie einfach abzuschalten.

Er musste sich auf irgendeine Art ablenken, doch wie? Das war die Preisfrage. Und die Antwort würde er, wie immer, niemals herausfinden.

„Tohooobs!“ Alex rüttelte ihn an den Schultern. Er hatte große Augen und starrte ihn etwas ungläubig an.

„Was?!“ Er verstand nicht was er von ihm wollte. Doch dann wusste er, um was es ging. Er spürte etwas Kaltes seine Wangen hinunter laufen. Er tastete nach dem Nass und ihm fiel auf, dass es Tränen waren. Er hatte es überhaupt nicht bemerkt. Und wenn er ehrlich war, hatte er nichts um sich herum wahrgenommen. Tobs war so in seinen Gedanken vertieft gewesen, dass er nichts mehr mitbekommen hatte.

„Mensch, was ist denn mit dir los? Du bist schon die letzten Tage so drauf gewesen.“, meinte Frank. Es stimmte. Der junge Mann hatte wirklich die meiste Zeit aus trüben Augen vor sich hin gestarrt, sich nicht an den Gesprächen beteiligt und hatte ihnen, gestand er sich ein, nicht einmal zugehört.

„Erzähl ich euch vielleicht wann anders.“, meinte er geknickt und ließ sich auf eine Bank in der Nähe des Flusses nieder. Der Wind wehte ihm seine Haare ins Gesicht. Er war zu faul gewesen um sie sich zu machen, wenn er recht überlegte, hatte er der Zeit zu überhaupt nichts mehr Lust.

„Wie du meinst.“, zuckte Mandy die Schultern, setzte sich neben ihn und legte einen Arm um seine Hüfte. Doch er merkte es nicht einmal.
 

Seine Gedanken kreisten schon wieder bei seinem Freund. Er fragte sich, was er wohl gerade machen würde.

Plötzlich kam ihm etwas in den Sinn, was er nicht erwartet hatte. Tobs machte sich doch gerade wirklich Sorgen, dass Andy mit Marcel im Bett lag! Wie kam er auf etwas Derartiges? Wieso sollte sein Freund so etwas machen? Sein Zimmergenosse hatte es selbst gesagt, dass Andy ihm gedroht hatte. Doch vielleicht hatte er es sich ja anders überlegt? Vielleicht war er wirklich so auf Entzug, dass er sich mir nichts dir nichts einfach einen anleiert?

„Scheiße! Was denk ich für nen Scheiß!“, brüllte er in Deutsch auf. Keiner der vier hatte ihn verstanden und starrte ihn nur etwas verdattert an. Tobs konnte es sich einfach nicht erklären. War er auf Marcel eifersüchtig? Er und eifersüchtig? Das war wirklich noch nie vorgekommen. Aber warum jetzt? Aus heiterem Himmel? Er wurde wirklich langsam verrückt…

„Ähm, was hast du gemeint?“, wollte Mandy wissen und kuschelte sich an ihn.

„Nicht so wichtig.“, grummelte er.

„Sicher?“

„Hm…“, nickte er abwesend. Er grübelte immer noch über seinem überaus beunruhigenden Verhalten. Das kannte er von sich überhaupt nicht. Er versuchte es sich irgendwie zu erklären, doch er schaffte es einfach nicht.

„Wir sind weg.“, meinten Alex und Frank nach etwa zwei Stunden. Sie hatten nicht viel gemacht. Sie waren nur auf dieser Bank gesessen und haben über Sachen geredet, die Tobs nicht mitbekommen hatte. Er hatte nur abwesend vor sich hin gestarrt…

„Ciao.“, verabschiedeten sich Mandy und Tobs wie im Chor.
 

Die beiden machten sich nach gut einer halben Stunde auch auf den Weg. Die junge Frau begleitete ihn noch bis nach Hause. Sie hielt ihn an der Hand zurück als er aufsperren wollte.

„Wart bitte einen Moment.“, bat sie ihn und zog Tobs zu sich. Sie hatte einen komischen, undefinierbaren Gesichtsausdruck. Mandy blickte ihm einen Augenblick in Augen, schlang ihre Arme um seinen Nacken, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.

Damit hatte er überhaupt nicht gerechnet. Doch irgendwie fühlte es sich gut an. Nicht wissend was er tat umfasste er die Hüfte der jungen Frau und ging langsam auf den zarten Kuss ein.

Da kam ihm in den Sinn, dass da alles andere als okay war. Er hob die Innigkeit zwischen ihnen auf und schob Mandy eine Handbreit von sich weg.

„Das… das geht nicht.“ Schüttelte er etwas benebelt den Kopf. Ihm war auf komische Weise schlecht.

„Wieso nicht?“, fragte sie enttäuscht.

„Ich hätte es dir wohl früher sagen müssen, aber… aber ich steh nicht auf Frauen und ich hab einen Freund in Deutschland sitzen.“, verkündete er ihr mit einem schlechten Gewissen.

„Du bist… du bist schwul?“ Es war nur ein leises Flüstern ihrer zu vernehmen gewesen.

„Ja… tut mir leid.“, nickte er.

„Oh man… muss dir nicht leid tun.“ Sie schüttelte ihr Haupt und lächelte verlegen.

„Ich wollt dir nicht vor den Kopf stoßen.“, entschuldigte sich Tobs und blickte ihr in die Augen.

„Ist schon okay. Schade für die Frauenwelt.“, grinste sie. „Ist ja eh schon egal was ich sag… aber du siehst einfach verdammt geil aus.“, kicherte die junge Frau.

„Ähm…“ Er wusste nicht was er darauf antworten sollte.

„Wir sehen uns, Süßer.“, lachte sie auf, umarmte ihn abermals, küsste ihn auf die Wange und verschwand hinter der nächsten Straßenecke.

„Oha…“, seufzte er. Dass musste er Andy wohl jetzt auch beichten, etwas anderes blieb ihm nicht übrig. Er hoffte nur, dass sein Schatz es einigermaßen gelassen auffassen würde. Immer noch verwirrt über das Geschehene schloss er die Haustüre auf und trat in die Diele. Er zog seine Jacke und Stiefel aus und ging in die Küche.

Annie stand schon wieder am Herd und werkelte voller Elan am Abendessen herum. Sie bemerkte ihn, drehte sich zu ihm herum und strahlte über das ganze Gesicht.

„Hi Schätzchen!“, trällerte sie vergnügt und war schon wieder dabei Tobs mit ihrem üppigen Vorbau zu ersticken.

„Hey Anny.“, hustete er heiser.

„Hast du Hunger?“, fragte sie fröhlich.

„Nein danke, Anny. Nichts für ungut, aber ich will einfach nichts.“, schüttelte er betrübt den Kopf. „Bin oben.“

„Tobs? Ist alles in Ordnung?“ Sie wirkte besorgt und musterte ihn eindringlich.

„Ja, ist alles okay.“, log er und rang sich ein gequältes Lächeln ab.

„Bist du dir sicher?“

„Ja.“, nickte er, drehte sich um, verschwand in seinem Zimmer und ließ sich bäuchlings auf sein Bett fallen. Unmengen von Tränen kullerten über seine Wange und tränkten das dunkelblaue Bettlaken.
 

Er wollte weg. Endlich weg von diesem Ort! Er hielt es einfach nicht mehr länger aus. Die Sehnsucht nach Andy wurde unerträglich. Er musste zu ihm! So schnell es ging.

Sein Herz fing wieder zu schmerzen an. Schon die ganze letzte Woche war es ihm so gegangen. Je näher die Abreise kam, desto schlimmer wurde der Schmerz in seiner Brust. Er verzehrte sich mehr denn je nach seinem Freund. Nach dessen Küssen, den Berührungen und nach seiner Stimme. Nach dieser Wärme!

Er konnte nicht mehr!
 

Tobs lag noch eine ganze Zeit lang so in seinem Bett. Seine Augen brannten und sein Hals schmerzte.

Er wollte hier nicht mehr länger bleiben. So gerne er die Andersons auch mochte, das Verlangen nach seinem Schatz war zu groß. Unberechenbar war sein Heimweh.

Der junge Mann ließ sich den Gedanken an eine frühere Abreise ausführlich durch den Kopf gehen. Und fasste einen Entschluss.

Mit immer noch tränenden Augen erhob sich Tobs und ging hinunter in die Küche, wo die Andersons schon allesamt am Tisch saßen und ordentlich spachtelten.

„Hast du es dir doch anders überlegt.“, lächelte Anny liebevoll.

„Hm… nicht wirklich.“, verneinte er. Der junge Mann hatte immer noch keinen Hunger, doch er setzte sich zu ihnen an den Tisch.

Tobs überlegte sich, wie er es ihnen beibringen sollte, doch er wusste schon in etwa was er sagen wollte. Er wartete, bis die drei mit dem Essen fertig waren und erhob etwas die Stimme.

„Ich muss euch etwas sagen.“, fing er langsam an. Er war nervös.

„Was gibt es denn?“, fragte Hank, während er die Tageszeitung über den Tisch ausbreitete.

„Na ja… ich weis nicht wo ich anfangen soll…“ Er überlegte einen Moment und fing dann schweren Herzens an, den Andersons seine Gefühle zu offenbaren. Es fiel ihm nicht einfach, da er nicht wusste, wie sie darauf reagieren würden, wenn sie erfuhren, dass er mit einem Mann zusammen war. Die Erwachsenen waren anfangs etwas verblüfft und wollten es nicht so recht glauben, doch sie stellten keine weiteren Fragen, da sie merkten, dass er sich schwer tat, ihnen sein Innerstes darzubieten.
 

Tobs erzählte ihnen, wie er sich seit ein paar Wochen fühlte und auch, wie sehr er Andy vermisste. All das, was auf den unzähligen Blockblättern geschrieben stand, versuchte er ihnen zu erklären. Amie saß nur da und hörte zu. Sie wusste es ja schon und gab ihm, durch die bloße Anwesenheit ein bisschen Mut.

Anny schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund, als er ungewollt in Tränen ausbrach. Er hielt diesen Druck einfach nicht mehr aus. Die Leere in seinem Herzen hatte weiter zugenommen und drohte, ihn ein für alle mal zu verschlingen. Er zitterte am ganzen Körper, als sie zu ihm ging und ihre Arme beruhigend um ihn legte. Sie redete leise auf ihn ein, doch es half alles nichts. Tobs war am Boden zerstört. Er wollte einfach nur noch zurück.

„Wisst ihr… des… deshalb ka… kann ich nicht länger h… hier bleiben.“, hickste er. Augerechnet jetzt bekam er einen unaufhaltsamen Schluckauf.
 

Die vier kauten das Thema lange und ausdauernd durch, doch die Überredungskünste der drei schlugen fehl. Tobs wollte und konnte sich nicht davon abbringen lassen.

„Ich kann das nicht mehr ertragen.“, meinte Anny betrübt. „Ich kann dieses traurige Gesicht nicht mehr ertragen. Es tut mir weh dich so zu sehen und vielleicht ist es wirklich das Beste, wenn du zurückfliegst.“

„Aber Anny, es sind doch nur noch zwei Tage…“, räumte Hank ein.

„Hank, sieh dir den Jungen doch mal an. Er ist seelisch am Ende. Verstehst du das nicht? Es ist eine Qual für ihn, länger hier zu bleiben! Ich finde es ja auch nicht toll, wenn Tobs fliegt, doch es ist wirklich das einzig Gute.“, versuchte sie das Anliegen des jungen Mannes zu unterstützen.

„Dad, Mum hat Recht. Wenn Tobs hier noch länger bleibt…“ Sie unterbrach sich und schluckte hart, „das kann einfach nicht gut gehen.“

Es war noch ein langes hin und her, doch zu guter letzt war Hank davon überzeugt, dass es das Beste wäre, wenn Tobs nach Deutschland zurückkehren würde. So war das beschlossene Sache.

Jetzt war es nur noch daran, es seinen Freunden zu sagen. Doch wie, das wusste er noch nicht. Jedenfalls konnte er ihnen nicht das erzählen, was er den Andersons erzählt hatte. Sie würden es, so dachte Tobs, nicht verstehen.

Am nächsten Morgen in der Schule meinte er, dass er zurückfliegen müsste, da jemand, der ihm sehr nahe stand, gestorben sei. Sie fassten es mit leiser Empörung und Traurigkeit auf. Denn keiner der vier wollte, dass der junge Mann fort ging.
 

Am Donnerstagmorgen veranstalteten die Andersons eine kleine Abschiedsparty. Es herrschte eine bedrückende Stimmung. Auch bei Tobs Abreise, war es nicht anders.

Es wurden literweise Tränen vergossen. Amie, Mandy und Anny konnten sich gar nicht mehr beruhigen.

„Du schreibst uns okay?“ schluchzte Amie in seinen Armen. Ihre Augen waren stark gerötet und sie zitterte ein wenig.

„Natürlich, jede Woche. Und ich ruf euch an.“, versprach er. Tobs musste auch mit den Tränen kämpfen.

Er hatte diese Familie und seine neu gewonnen Freunde unheimlich ins Herz geschlossen. Doch Andy war ihm wichtiger. Er konnte nicht noch länger warten. Am liebsten hätte er die Andersons, Mandy, Frank und Alex mit nach Deutschland genommen, allerdings ging das natürlich nicht. Er musste sich also für eines entscheiden und er hatte sich für seinen Freund entschieden.

„Vergiss uns nicht.“ Mandy schlang seine Arme um ihn und küsste ihn flüchtig auf die Wange. Sie lief rot an, als Tobs sie leise anlächelte.

„Werde ich niemals.“, schüttelte er den Kopf. Er küsste sie auf die Stirn. Jetzt brachen endgültig seine Gefühle aus ihm heraus. Eine glitzernde Perle nach der anderen rann ihm von der Wange hinunter und zerplatzte auf Mandys schönem Haar.

„Wie gesagt. Du rufst an und wehe dir wenn nicht.“, meinten Frank und Alex im Chor. Die beiden hatten etwas glasige Augen und Tobs merkte, dass sie etwas bibberten, als er sie kurz umarmte.

„Versprochen.“, zwinkerte der junge Mann aus seinen verquollenen Edelsteinen.

Er verabschiedete sich noch von Anny, welche ihn am liebsten gar nicht mehr losgelassen hätte. Doch Tobs bekam wie immer keine Luft mehr.

Ihre Tränen rührten den jungen Mann noch mehr, doch er konnte nicht anders.

Hank wartete währenddessen im Auto. Er hatte sich extra frei genommen, damit er ihn zum Flughafen fahren konnte. Normalerweise hätte er das nicht gemacht, denn ihm war seine Zeitung sehr wichtig, doch um seinen Ziehsohn zu verabschieden, hatte er seine kleine Firma einem Kollegen übergeben, welchem er sein größtes Vertrauen entgegenbrachte.

Nach dieser wässrigen Verabschiedung, stieg er in den braunen Opel, winkte allen noch einmal zu und das Fahrzeug brauste davon.
 

Am Heathrower Flughafen angekommen, begleitete Hank seinen Pflegesohn bis zu seinem Gate.

„Hey, meld dich, ja?“ Er klang leicht erstickt, was man von ihm sonst überhaupt nicht kannte.

„Mach ich.“, nickte Tobs umarmte den Mann vor sich, lächelte ihm zu, schulterte seine Reisetasche und verschwand. Er blieb noch einmal einen Augenblick stehen und blickte sich um. Frank stand immer noch an Ort und Stelle und der junge Schwarze bemerkte, wie er sich die Nase putze.
 

Sein Herz schlug einen Looping nach dem anderen, als sich das Flugzeug zehn Minuten später in die Luft erhob. Zu seinem Pech saß er, wie bei seinem Hinflug, neben einem Mann, der unerträglich nach Alkohol roch.

Es tat ihm direkt in der Nase weh und ihm schnürte es die Lunge zu. Ein etwas übles Gefühl machte sich in seinem Magen breit, doch als er daran dachte, dass er in 2 Stunden seinen Schatz endlich wieder sehen würde, war die Übelkeit einem überschwänglichen Glücksgefühl gewichen.

Er war müde und er wollte schon einmal vorschlafen, damit er, wenn er ankam, nicht in Andys Armen einschlief. Der junge Mann schloss lächelnd seine Augen und war zu seinem Glück ein paar Minuten später eingeschlafen.

Er träumte nichts, jeden falls konnte er sich nicht mehr daran erinnern. Seine Gedanken kreisten nur noch um Andy, als er aufgewacht war.

Was mochte er im Moment machen? Und wie würde er reagieren, wenn er in der Zimmertüre auftauchen würde? Er war auch schon sehr gespannt darauf, Marcel kennen zu lernen. Sein Freund hatte ihm zwar schon so einiges über ihn erzählt, doch er musste sich eingestehen, dass er ihn auf eine gewisse Weise schon interessierte.

Der restliche Flug war ziemlich ereignislos. Ein kleiner Junge rannte den Stewardessen ständig vor die Füße. Sie mussten immer freundlich sein, doch man merkte es der jungen Frau an, dass sie kurz davor stand, ihn zu packen und anzuschreien. Stattdessen bat sie ihn höflich sich auf seinen Platz zu setzten, da sie bald landen würden. Zu ihrem Glück gehorchte der Bengel und setzte sich neben seine schlafende Mutter.

Mit großen Schritten marschierte er eine Stunde später durch die Schalterhalle des Münchner Flughafens. Er wollte nicht, dass die Rektorin von seinem Auftauchen wusste, denn eigentlich würde er ja erst in zwei Tagen ankommen, deshalb rief er sich ein Taxi, welches ihn zum Internat bringen sollte.

„Zum Hans-Manuel-Gymnasium bitte.“, lächelte er freundlich. Sein Gepäck wurde verladen und die Fahrt begann.

Es war komisch die unzähligen blauen Verkehrsschilder wieder zu sehen. Grün würde irgendwie besser zur Umgebung passen, dachte er, als er sich an die Grünen auf den Autobahnen erinnerte.
 

Er war froh, dass das Auto eine Klimaanlage hatte, denn ohne wer man darin wohl eingegangen. Es war ein brütend heißer Sommertag. Die Menschen auf den Straßen liefen alle in kurzen Röcken oder Hosen herum. Der Schweiß stand ihnen auf der Stirn und bei vielen Bankiers klebte das Hemd an dem Oberkörper. Es sah ziemlich unangenehm aus doch sie taten ihm leid.

Tobs war klar, dass es im Sommer heiß war und die schwarze Kleidung machte es auch nicht besser doch es war Gewohnheitssache, wie er gerne zu sagen pflegte.

Der junge Mann wurde immer aufgeregter, je weiter sie dem Internat kamen.

„Was sind Sie denn so aufgeregt?“, fragte der Taxifahrer belustigt, als er die zappelnde Gestalt auf dem Rücksitz durch den Rückspiegel betrachtete.

„Na ja, ich freu mich nur wieder hier zu sein.“, grinste er etwas verlegen.

„Wieso, waren Sie so lange schon nicht mehr hier?“, wollte er weiter wissen.

„Jaa, ein gutes Jahr.“, nickte Tobs und sein Blick huschte von einer Seite zur anderen.

„Das ist allerdings eine lange Zeit.“, stimmte der Herr mittleren Alters nickend zu.

„Oh… ja.“, seufzte der junge Mann etwas traurig und erinnerte sich an den recht tränenreichen Abschied vor seiner Abreise. Schon von weitem sah er das sechsstöckige, beige farbene Haus, das von außen her ziemlich an den Barock erinnerte. Es war sein zu Hause, obwohl er sich ein schöneres vorstellen konnte. Doch solange Andy bei ihm war, war es ihm egal wo er wohnte.

„Wir sind da.“, meinte der Taxifahrer freundlich.

„Danke ihnen.“, bedankte sich der Rothaarige lächelnd, bezahlte ihn, schulterte seine Reisetasche und machte sich auf den Weg.

Er war endlich wieder da, wo er hingehörte.



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