Burn your empty rain down on me
Kapitel 4 – Burn your empty rain down on me
Ich weiß nicht genau, was du nun von mir hieltest. Klar, du wusstest, dass unsere Beziehung zerstört gewesen war, bevor sie richtig begonnen hatte. Aber noch nie habe ich diesen Schmerz in deinen Augen mit solcher Intensität gesehen, wie als ich Boris Namen ausgesprochen hatte.
Ich habe immer versucht, es dir irgendwann schonend beizubringen und gewiss war dieses Gespräch nicht der richtige Zeitpunkt gewesen. Aber was hätte es dir – was hätte es uns allen – gebracht, wenn ich es verschwiegen hätte. Bei der WM, da hättest du es doch irgendwann bemerken müssen. Immerhin versteckten wir unsere Beziehung ja nicht.
Und hätte es dir nicht viel mehr Schmerzen bereitet, hättest du es einfach irgendwann gesehen? Es war doch nötig, dass ich es dir persönlich gesagt habe, nicht?
Ach Kai, ich weiß schon lange nicht mehr, was richtig und falsch ist. Ich weiß nur, dass sich die Beziehung zu Boris richtig anfühlt. Aber immer, wenn du auftauchst, dann denke ich plötzlich, sie ist ganz falsch.
Und dann bin ich unsicher und frage mich, ob ich dich nicht noch immer genauso liebe, wie du mich liebst.
Aber was ist dann mit Boris?
Ich weiß, dass es unfair ist, dass es gemein ist, Kais Anrufe, sein Klingeln an der Tür, zu ignorieren. Aber was hätte ich noch mit ihm besprechen sollen?
Und als ich ihn dann getroffen habe? Eine Diskussion hätte meine Gefühle nur noch mehr aufgewühlt. Und dabei ist doch das einzige, was ich will, endlich mit der Vergangenheit abzuschließen und mein neues Leben glücklich und zufrieden zu leben.
Und so leid es mir tut und so schwer es auch fällt, mir das einzugestehen… Kai gehört zu meiner Vergangenheit. Er hat keinen Platz mehr in meinem jetzigen Leben.
Deshalb habe ich ihn so schroff abgewiesen, ihm klar gesagt, dass ich ihn nicht mehr liebe, auch, wenn ich mich damit zu einem gewissen Teil selbst belogen habe.
Was hätte ich schon anderes tun sollen? Was?
Während ich nun in meiner Wohnung sitze und darauf hoffe, dass Boris bald von der Arbeit nach Hause kommt, grüble ich weiter über Kai, über mich, über unsere Beziehung nach.
Wir waren die besten Freunde gewesen, damals in der Abtei. Unzertrennlich. Man konnte uns nicht auseinander reißen, so sehr man es auch versuchte.
Wir wehrten uns gegen jede Intrige und kämpften gegen das Dunkle, Böse in diesen alten, grauen Gemäuern.
Und dann war Kai plötzlich weg.
Von Heute auf Morgen war er gegangen.
Es hat so weh getan, ich konnte es kaum ertragen. Und ich verstand es auch nicht.
Warum war er einfach gegangen? Sein Geständnis vor einigen Wochen hatte mich erschrocken. Er war gegangen, weil er mich liebte?
Es klang alles so logisch und doch gleichzeitig so unsinnig. Warum ging er denn, wenn er mich doch liebte? Warum hatte er es mir nur nie gesagt? Warum zerbrach unser aller Welt an diesem unausgesprochen Worten, die vor langer, langer Zeit hätten wahr werden können?
Kai…
Ich verstehe ihn einfach nicht. Aber das ist eben Kai. Ein Mysterium. Man weiß nie wirklich, woran man bei ihm ist. Es gab eine Zeit, in der ich aus seinen Augen, seinem Ton, aus seiner Körperhaltung hatte lesen können. Aber diese Liebe zu mir, die habe selbst ich nicht erkannt.
Und ich habe immer gedacht, diese Beziehung zwischen uns wäre so besonders, dass mir alles hätte auffallen müssen…
Aber vielleicht war es das auch nie gewesen. Vielleicht war zwischen uns nur eine normale Freundschaft gewesen, die irgendwann mehr geworden war. Vielleicht hatten wir nie einen besonders guten Draht zueinander gehabt, sondern der Alltag der Abtei hatte es dazu kommen lassen.
Vielleicht hätten wir uns auch nie getroffen, einander nie gefunden, ohne die Abtei. Wir wären aneinander vorbeigelaufen, an einem regnerischen Tag auf der Strasse, hätten uns angesehen und wären stumm von dannen gezogen.
Das war die Wahrheit, die Realität. Ohne Abtei hätte es nie eine solche Beziehung zwischen uns gegeben. Und wir hätten uns nie verliebt.
Also warum grübelte ich dann hier auf meiner Couch, anstatt endlich einmal Wäsche zu waschen, was leider zu meinen Aufgaben zählte? Warum machte ich mir so viel Gedanken über eine alberne Jugendliebe, die scheinbar so unbedeutend war?
Weil ich tief in meinem Inneren wusste, dass ich mir nichts einreden konnte?
Ich verdrängte den Gedanken und machte mich an die Wäsche. Boris würde es ja eh nicht machen, wenn ich es einfach liegen ließ und bevor sich noch mehr antürmte…
Als ich gerade eine neue Maschine angeschaltet hatte, klingelte es an der Tür und ich wusste schon bevor ich an der Tür war, wer es war.
Ich hörte es an dem verheißungsvollen Klingeln, ich hörte es an der Stille, die in der Wohnung lastete. Und ich fragte mich, ob ich Kai öffnen sollte, oder lieber nicht.
Die Vernunft sprach zu mir, es einfach zu lassen. Aber dennoch trugen meine Füße mich zur Tür und ich öffnete Kai. Er sah mich an.
Ich sah ihn an.
Wir schwiegen beide.
Es war unangenehm, neben Kai auf der Couch zu sitzen, Tee zu trinken und nicht zu sprechen. Es hätte behaglich sein sollen, die Atmosphäre lud eigentlich dazu ein.
Aber das schlechte Klima zwischen uns verseuchte diese.
“Hast du es dir überlegt, dass mit der Freundschaft und so?“, wollte ich wissen, nur um dieses unangenehme Schweigen zu verbannen.
Kai zuckte nur mit den Schultern und sagte lange nichts. Als ich schon nicht mehr mit einer Antwort rechnete, sprach er dann doch:
“Ja. Und ich bin zu einem Entschluss gekommen, Yuriy,“ erläuterte er mir, stand auf und stellte sich vor mich.
Ein Instinkt in meinem tiefsten Inneren sagte mir, dass ich auch aufstehen sollte und so sprang ich schon fast zu hastig auf.
“Ich kann das nicht, wie ich schon sagte. Ich liebe dich noch immer und hingegen allem, was du mir erzählen willst, weiß ich, dass du mich noch immer liebst!“, er sagte das in einem Ton, der so zuversichtlich und gleichzeitig bitterernst klang, dass ich es selbst glaubte.
Vielleicht wollte ich es auch glauben. Es würde Boris verletzten, sehr sogar, aber es würde diese ganzen Probleme aus der Welt schaffen.
Vielleicht war das der Grund, warum ich zuließ, dass Kai mir seinen Mund aufdrängte, dass er mich an sich zog und küsste, wie mich noch nie jemand geküsst hatte.
Ich habe immer gedacht, die Küsse Boris’ wären dominant und wild, aber Kai kam da noch drüber.
Und ich begann, mich unwohl zu fühlen.
Wir konnten jetzt keinen Sex haben! Ich hatte einen festen Freund!
Aber das störte Kai nicht. Er drängte mich wieder auf die Couch und je länger er mich küsste, desto mehr schwanden meine Zweifel und Sorgen.
Plötzlich war ich gewillt, mich ihm hinzugeben oder ihn zu nehmen, je nachdem, wie er lustig war. Ich wollte ihn einfach nur halten, schmecken, fühlen… In diesem Moment war mir alles egal. Ich hätte alles getan – und alles mit mir tun lassen!
Eine geraume Zeit später stand Kai am Fenster und knöpfte sein Hemd wieder zu. Er sah ziemlich zufrieden aus und ich wusste, dass er sich nun wieder Hoffnungen machte.
Ich war aber auch zu blöd! Wieso hatte ich das zugelassen?
Auch ich zog mich an, saß auf der Couch und hüllte mich in den schützenden Stoff.
Was jetzt? Was sollte ich jetzt sagen? Was wollte ich jetzt überhaupt?
Ich blickte zu Boden, hörte, wie Kai näher trat.
“Yuriy…“, flüsterte er und brach seinen Satz ab. Nur langsam hob ich den Kopf und sah ihm in die roten Augen.
Was hatte ich mir damit beweisen wollen? Ich wusste es nicht.
Aber ich wusste jetzt, was ich selbst fühlte. Was für mich richtig war. Die Entscheidung, die ich jetzt fällte, würde mein ganzes Leben beeinflussen. Aber ich glaubte für mich zu wissen, dass es die richtige war.
“Kai, hör mir zu,“ begann ich und fühlte, wie mir wieder unwohl wurde. Ich nestelte nervös an einem hässlichen Sofakissen herum, dass Boris von seiner Großmutter geerbt hatte.
Boris…
“Ich weiß nicht genau, wieso ich es dazu habe kommen lassen. Ich hätte es verhindern müssen, okay,“ fing ich an und fühlte mich ziemlich elend. Zu dem klang ich immer mehr wie ein quengelnder Junge und das passierte mir mit meinem Ego.
Aber die Wahrheit war, dass ich einfach Angst hatte. Angst vor Kais Reaktion. Ich wusste, dass er nicht erfreut sein würde.
“Ich liebe dich wirklich noch, da hast du Recht,“ begann ich und wieder sah ich diesen Hoffnungsschimmer in den roten Augen aufblitzen, „aber ich weiß auch, dass es zwischen uns nichts mehr wird, Kai. Wir hatten unsere Chance und die ist jetzt vorbei. Wir müssen jetzt anfangen, ein neues Leben zu leben. Ich habe Boris und ich liebe ihn. Ich werde ihn nicht verlassen, auch nicht für dich. Es ist nicht richtig Kai. Es tut uns beiden nicht gut. Ich wünsche dir wirklich, dass du irgendwann jemanden findest, mit dem du glücklich wirst, aber ich bin das nicht. Mach die Augen auf und seh’ es endlich ein!“, trotz dem bitteren Ernst der Lage und der Endgültigkeit in meinem Ton, lächelte er noch. Es war ein unheimliches Lächeln und jetzt bekam ich richtig Angst. Was hatte das zu bedeuten? Was hatte er für einen perfiden Plan ausgeheckt, in seinem tiefsten Inneren?
“Ich habe dir die Chance gelassen, Yuriy, dich für das Richtige zu entscheiden,“ begann er und ich fiel ihm ins Wort. Der Ausdruck in seinen Augen gefiel mir nicht. Es war, als würde sich seine dunkle Seele darin spiegeln und ich verstand endlich, wie sehr es ihn schon zugesetzt hatte. Ich sah endlich, was ich schon viel eher hätte sehen müssen. Er war nicht mehr der Kai, den ich von früher kannte. Er war wahnsinnig. Aber das half alles nichts.
Mit dem letzten bisschen Energie, dass noch in mir war, sagte ich: „Das habe ich getan,“ dann stand ich auf und lief Richtung Tür. Er würde jetzt gehen müssen.
Sämtliche Warnsignale in meinen Inneren schrieen auf, als Kai mir nicht folgte.
ER SOLLTE GEHEN!!!
Aber er stand nur da und lächelte.
“Ich liebe dich, Yuriy,“ wiederholte er und packte mich grob, zog mich zu sich.
Ich wehrte mich nicht. Warum, weiß ich nicht. Ich war stärker, als Kai. Schon immer gewesen. Es wäre doch ein leichtes gewesen, sich zu wehren, nicht? Aber ich tat es nicht. Ich tat gar nichts. Ich stand nur da und obwohl ich es kaum glauben konnte, ich war starr vor Schreck.
Kai lächelte noch immer und küsste mich kurz, ehe er mir ins Ohr hauchte: „Du gehörst mir!“
So, dass war das letzte Kapitel! Was noch folgt, ist der Epilog!