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Apocalypse

Bevor Der Morgen Graut
von

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Räuber und Gendarm

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Huhu allerseits! Hier jetzt endlich Kapitel 4. Viel Spaß beim lesen. ;-)

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Ich blicke aus dem Fenster. Eine Woche ist vergangen. Das Seufzen entfährt meinem Mund wie von selbst. Sieben Tage. Sieben Tage ohne ein Aufeinandertreffen oder eines gewechselten Wortes. 168 Stunden habe ich nun nicht mehr diese Stimme gehört, 10080 Minuten nicht mehr in diese tiefblauen Augen geschaut.
 

604800 Sekunden kein Adam Wellert.
 

Erneut seufze ich. Ein Luftzug geht an meinem Ohr vorbei.

„Willst du heute auch noch mal arbeiten, anstatt nur aus dem Fenster zu starren.“

Ich schrecke aus meinen Gedanken hoch. Tatsächlich, ich stand im Café!

„Entschuldigung“, stammle ich. Mein Chef begutachtet mich nur – wie so oft in letzter Zeit – mit kritischem Blick und Kopfschütteln.

Ich fülle Kaffeebohnen in die Mahlmaschine, gleite mit einem feuchten Tuch über die Profikaffeemaschine, die sämtliche Formen dieses köstlichen aromatischen Getränks herstellen kann. Danach schichte ich die Kuchenauslagen um und bringe die leeren Tabletts nach hinten. Als ich zurückkehre, betritt ein Kunde das Café. Endlich! Heute ist wirklich kaum etwas los gewesen. Dementsprechend abgelenkt bin ich auch. Andauernd denke ich…
 

!!!
 

Schluss damit!

Ich gehe zu dem Tisch, an dem das junge Mädchen in Schuluniform Platz genommen hat.

„Was darf es für dich sein?“

„ Ähm…ein Stück Erdbeertorte und…und einen Cappuccino?“

Das Mädchen lächelt mir scheu zu. Sie hat ganz rote Wangen.

„Kommt sofort.“

Ich lächle zurück – aus reiner Höflichkeit natürlich.

Auf meinem Weg zurück hinter die Theke muss ich grinsen. Dass ich eine Verehrerin habe, ist schon lange nicht mehr vorgekommen.

Ich kann damit nichts anfangen, konnte ich noch nie. Ich hatte noch nie eine Beziehung. Ich lasse Menschen nicht nah genug an mich heran, ich mag es nicht, wenn sie mich anfassen. Das ist schon so seit….
 

Verdammt!
 

Was war heute nur los mit mir? Diese ganzen sinnlosen Gedanken – vor allem an die Vergangenheit. An jene Vergangenheit, die ich so sorgsam in meinem tiefsten Innersten verschlossen habe.

Ich kehre zurück an den Tisch und serviere die Bestellung.

„D…danke“, stottert sie.

„Gern geschehen.“

Ich zwinkere ihr zu. Niedlich, denke ich.

Zurück hinterm Tresen trockne ich die frisch gespülten Tassen ab. Der heutige Arbeitstag war anstrengend, weil ich mich einfach nicht auf die Arbeit konzentrieren konnte. Am liebsten wäre ich einfach Zuhause, in meinem Bett. Hoffentlich war der Tag bald vorbei.
 


 

Ich schließe meine Haustür auf, werfe meine Tasche in die Ecke und lass mich auf das Bett plumpsen. Schnell streife ich mir die Schuhe ab und strecke mich auf der Matratze aus. Mein Rücken schmerzt also kugle ich mich in Seitenlage ein. Ich bin viel zu müde, um mich noch umzuziehen und so penne ich einfach ein.
 

Haut, ich sehe Haut. Diese Farbe. Das muss doch Haut sein, nicht wahr? Sich schnell bewegende Haut… . Sie trifft aufeinander und produziert ein klatschendes Geräusch. Es ist wie eine enorm vergrößerte Nahaufnahme. Ich kann es nicht genau erkennen. Das Bild ist verschwommen. Ich weiß nicht warum, aber irgendetwas daran verursacht mir extreme Übelkeit.


 

Ich schrecke auf. Die ersten Strahlen des neuen Morgen scheinen durch mein schmutziges Zimmerfenster. Im Sitzen bemerke ich, dass meine Kleidung nass geschwitzt ist. Ich rapple mich aus den Laken, erhebe mich träge und schlurfe dann ins Badezimmer, wo ich mich langsam aus meinen Kleidern schäle und in die schmale, schmutzige Dusche steige. Obwohl ich etliche Stunden geschlafen habe, bin ich noch immer erschöpft. Welcher Tag ist heute? Ich denke kurz nach und komme zur Erkenntnis, dass es gerade erst Mittwoch ist – die Mitte der Woche.

Also schon wieder ein Tag voller Arbeit. Mein Leben war ja sonst auch nicht besonders aufregend – obwohl so mancher einen Nebenjob als Drogenkurier und Kleinkrimineller wohl durchaus als spannend bezeichnen würde – aber nur das Tagwerk eines Kellners? Der Klang eines Seufzens dringt an meine Ohren. Herrgott, was für ein verweichlichtes Waschweib bin ich in letzter Zeit eigentlich? Ständig am seufzen. Ungläubig schüttle ich den Kopf über mich selbst.
 

Ich stehe schon wieder an dieser verdammten Theke des Cafés und trockne Tassen ab. In letzter Zeit ist diese Arbeit ziemlich eintönig, besonders wenn nicht viel los ist. Genauso wie heute. Mein Chef kommt aus dem angrenzenden Flur, einen dampfenden Apfelkuchen in den Händen haltend.

„Victor, geh und hol’ die Himbeertorte.“

Ich stelle die Kaffeetasse an ihren Platz unter den Tresen, ehe ich mich auf den Weg mache. In der kleinen Backstube duftet es nach Kuchen. Ich öffne den Kühlschrank und entnehme ihm die gigantische Himbeertorte. Vorsichtig balanciere ich sie nach vorne und lasse sie beinahe fallen, als ich erkenne, wer dort an der Theke steht.

Adrenalin pumpt durch meinen Körper, mein Atem kommt schneller und meine Handinnenfächen werden eine Spur feucht. Ich gebe mir alle Mühe unaufgeregt zu wirken, stelle die Torte auf den Tresen und beginne ihn in schmale gleichgroße Dreiecke zu schneiden.

Ohne ihn anzusehen, sage ich:

„Hallo.“

Keine Antwort, nur das Trippeln von Fingerkuppen auf der polierten Fläche.

„Wir müssen reden!“, höre ich ihn nur sagen.

„Ach ja?“

„Ja. Sofort.“ Er klingt ungeduldig.

„Ich arbeite.“

Ich spüre eine Hand an meinem Arm, die mich mit gezieltem Druck hinter der Theke hervor- und in den hinteren Bereich des Cafés zieht.

Wir bleiben abrupt stehen.

„Setz dich.“

Widerwillig lasse ich mich auf den Stuhl sinken.

„Was soll das?“ Ärger schwingt in meiner Stimme mit. „Ich bekomme deinetwegen noch Probleme. Das ist meine Arbeit und ich bin verdammt noch mal auf sie angewiesen.“

Er beachtet meinen Miniaturausbruch nicht.

„Es dauert nicht lange.“

Täusche ich mich, oder ist auch er eine Spur aufgebracht? Adam wirkt irgendwie angespannt und … müde? Sind das etwa dunkle Schatten unter seinen Augen? Ich komme nicht dazu eine Antwort auf meine Gedanken zu formulieren, da er sie vehement unterbricht.

„Also, wo warst du vergangenen Freitagabend?“

„Häh?“ Das Wort entgleitet meinen Lippen einfach – bescheuerter ging’s nun wirklich nicht mehr.

Adam blickt mich an – konzentriert, wachsam. Irgendetwas ist anders heute. Seine Augen scheinen noch dunkler als sie es sonst sind. Durch seine Anspannung, Ungeduld und den Anflug von Verärgerung in der Gesichtsmimik wirkt Adam bedrohlich – wie eine Zeitbombe, die jeden Moment hochgehen kann.

„Naja, bei deinen Freunden warst du ja nicht und scheinbar auch nicht an der kleinen Aktion beteiligt.“

Woher weiß er davon?

„Bitte?“, ist alles was mir spontan einfällt.

Was zur Hölle wird das hier….?

„Du warst nicht dabei, nein. Ich habe deine kleinen schmutzigen Drogenfreunde genau beobachtet.“

Ich sehe ihn an als hätte jemand eine Kokosnuss an seinen Kopf geworfen.

„Aha“, entgegne ich trocken.

Scheinbar erheiterten meine Antworten seinen Gemütszustand nicht sonderlich, denn Adam ist wieder dazu übergegangen mit seinen Fingern auf den Tisch zu trippeln.

„Wenn das das nächste Mal wieder vorkommt, werde ich deine Freunde einfach festnehmen.“

Langsam dämmerte es mir.
 

„Das ist alles wirklich nur ein Spiel für dich, nicht wahr? Das ist krank!
 

Ich habe ihn nicht kommen sehen, aber wie aus heiterem Himmel steht Mr. Levine neben unserem Tisch. Er schaut erst mich und dann Adam an.

„Was wird das hier, Saxtra? Ich bezahle dich nicht dafür, dass du es dir hier gemütlich machst.“

Ich will ihm gerade antworten, als Adam das für mich tut:

Er zeigt meinem Chef – ohne ihn eines Blickes zu würdigen wohlgemerkt – seine Polizeimarke und entgegnet gelassen: „Ich muss ihm ein paar Fragen stellen. Wir sind gleich fertig hier.“

Levine schaut mich an, als versuche er mich zu durchleuchten. Na super! Wahrscheinlich denkt er jetzt ich hätte etwas ausgefressen und überlegt sich, was er mit einem kriminellen Angestellten tun würde – mein Tipp: entlassen.

Ich schaue zurück und zucke nur kurz mit den Achseln.

Mit einem lauten „Hmpf!“ zieht er von dannen.
 

„Hmm, wo waren wir stehen geblieben?“, setzt Adam an, „ach ja! Spielen.“

Seine Augen binden mich in seinen Blick.

„Ja, man könnte durchaus behaupten, dass wir Räuber und Gendarm spielen. Für Erwachsene.“

Diese Stimme – heute voller Versprechen und bedrohlich.

„Also erstens: Ich bin davon suspendiert worden, sozusagen. Und zweitens: Du tickst nicht mehr richtig!“

Statt Verärgerung über meine Beleidigung, huscht jetzt der Anflug eines Grinsens über sein Gesicht.

„Es tut mir leid, Victor. Ich weiß, ich spiele nicht fair. Aber es macht doch so viel Spaß. Also, du hast die Wahl: Entweder du lässt dir was einfallen und kehrst zurück zu deiner Familie oder ich buchte sie ein.“

„Und was sollten deine Worte, Verstoße nicht wieder gegen das Gesetz?“

Zunehmend bin ich verärgert. Diese Situation ist doch absurd!

„ Ah ja. Du meinst meine leeren Worte. Ich gebe zu, sie sind selten gestreut. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du dich an sie halten würdest.“

Ich habe das Gefühl, ein Knoten bildet sich in meinem Kopf. Ehrlich: Das Ganze ergibt noch immer nicht wirklich einen Sinn.

Ich versuche mich innerlich zu beruhigen, um die direkte Frage zu formulieren:
 

„Adam, was soll das Ganze?“
 

Etwas blitzt in seinen Ozeanen auf. Er sieht mich an. Seine Augen – so dunkel. Sein Lächeln – so selbstsicher.

Ich begreife, dass einer jener Momente mir bevorsteht, der dein ganzes Leben verändert. Ein entscheidender Augenblick – eine entscheidende Aussage. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, aber man weiß es. Es liegt etwas in der Luft, zum greifen nahe.
 

„Ich jage meine Beute gerne, bevor ich sie niederstrecke.“
 

Heißkalte Schauer rieseln meinen Rücken hinab. Ein Vulkan bricht in meinem Inneren aus und füllt jede Ader mit Adrenalin und lässt mein Herz rasen. Mir wird warm.

Ich kann ihn nur entgeistert anstarren, während er mich anlächelt. Adam macht sich noch nicht einmal die Mühe zu verbergen, was er will und mit jeder Sekunde die verstreicht wird mir immer klarer was das ist.

Mein Adamsapfel bewegt sich merklich, als ich schlucke.

Der erste Versuch ihm zu antworten, schlägt fehl. Ich öffne den Mund und schließe ihn gleich wieder. Der Nächste gelingt. Meine Stimme klingt atemlos – ein bisschen gehetzt:

„Ich…ich muss arbeiten.“

Schnell erhebe ich mich und ergreife beinahe schon die Flucht – peinlich.
 

Als ich den Tresen erreiche, wartet dort schon mein Chef auf mich. Sein Blick behagt mir ganz und gar nicht.

„Victor, auf ein Wort.“

Ich seufze, straffe meine Schultern und trete Levine gegenüber.

„Ja?“, frage ich als sei nichts passiert.

„Was war das da gerade?“

Ich bemühe mich möglichst gelassen zu klingen, obwohl ich befürchte, dass meine Stimme zittern wird, wenn ich sie ertönen lasse:

„Achso, das. Ich kenne den Polizisten, er war schon mal hier. Privat. Er hat mir abermals ein paar Fragen wegen des Überfalls auf mich gestellt. Sie haben die Typen noch nicht gefunden.“

Ich weiß, dass Levine sich an mein grün- blaues Gesicht bestens erinnern wird.

Einen Moment lang beäugt er mich kritisch, aber ich halte seinem Blick stand. Dann nickt er einfach – auf seine althergebrachte mürrische Art und Weise.

Und jetzt?
 

Ich drehe mich um und bemerke, dass Adam genau vor mir steht. Er grinst mich für einen Augenblick frech und äußerst selbstsicher an. Dann spüre ich zwei Hände an meinen Schultern. Adam beugt sich langsam vor. Nur noch Millimeter trennen uns. Sein Mund dicht an meinem Ohr. Ich spüre seinen Atem, er streift meine Haut. Sie wird heiß und kribbelt. Seine Worte sind nicht mehr als ein Hauch:

„Wir sehen uns, … Kleiner .“

Wie erstarrt stehe ich da und das auch noch Minuten nachdem Adam das Café verlassen hat.
 


 

Ich rühre lustlos in dem kleinen Topf auf dem winzigen Herd. Tomatensauce. Die Nudeln sieden direkt daneben.
 

Ich jage meine Beute gerne, bevor ich sie niederstrecke.


 

Ich pfeffere den Holzlöffel in den Topf.

„Der hat sie doch nicht mehr alle!“

Ein Polizist, ein POLIZIST verlangt von mir kriminell zu sein, nur damit ER eine reale Begebenheit hat um mich zu jagen!!!

Das ist doch absurd! Der Typ hat wirklich einen an der Waffel!

Ich nehme den Holzlöffel wieder in die Hand und rühre weiter.

Minuten vergehen, in denen ich versuche meine Wut hinunterzuschlucken.
 

Und was, wenn er mich gefangen hat?
 

Ich jage meine Beute gerne, bevor ich sie niederstrecke.
 

……
 

Jetzt entgleitet der Löffel einfach meiner Hand. Ich starre ins Leere. Ein Keuchen entfährt meiner Kehle.

Ich wage es nicht es laut auszusprechen geschweige denn auch nur zu denken.

Es ist ein schlechter Traum, aber ich weiß, dass ich morgen noch zu denselben Gegebenheiten erwachen werde.
 

Macht Adam sich nicht auch strafbar? Wer war er, dass er so mit den Regeln spielen konnte? Er ist ein Polizist, er vertritt das Gesetz. Er jagt Menschen wie uns und bringt sie hinter Gitter. Und er hatte bereits die Chance dazu, hat es aber nicht getan. Stattdessen das jetzt.

Ich frage mich, ob ich etwas gegen ihn in der Hand habe. Wahrscheinlich würden mich seine Kollegen auf dem Revier auslachen, wenn ich ihnen erzählen würde, was Adam treibt. Um es glaubwürdiger zu gestalten müsste ich mich selbst belasten und selbst dann würden sie kein Wort glauben. Adam weiß das, sonst hätte er mir seine Absichten nicht so offen gestanden. Aber ist das wirklich alles? Steckt da vielleicht nicht noch mehr dahinter?

Es hat keinen Sinn darüber nachzudenken. Ich habe keine Wahl, außer ich lasse meine Freunde ins offene Messer laufen. Aber das würde ich nicht tun und auch das weiß Adam. Schon seit der Nacht im Revier. Ich frage mich wirklich was er nicht weiß.

Adam ist Polizist. Er hat Zugang zu Informationen und kann auch leicht neue generieren. Wahrscheinlich ist er ein guter Bulle – wie sonst weiß er immer wo ich mich aufhalte und was um mich herum geschieht?

Habe ich überhaupt eine Chance gegen ihn? Wahrscheinlich nicht. Er bestimmt die Regeln dieses Spiels. Aber warum jagt er mich dann nicht in seinem privatem Leben. So wie das – im übertragenden Sinne – normale Menschen tun. Ist dieses ganze Du-bist-der-Kriminelle-auf-der-Flucht-und-ich-jage-dich-ehe-ich-dich-niederstrecke-und-dann-in-mein-B…-verschleppe-Ding vielleicht so eine Art Fetisch von ihm? Ums einbuchten ging es ihm auf jeden Fall nicht. Das ist klar.
 

Ich nehme die Soße vom Herd und gieße die Nudeln ab. Von beidem tue ich mir etwas auf einen Teller, setze mich auf einen Stuhl und beginne zu essen.

Ich bin immer wieder überrascht, wie gut ich kochen kann. Keine Ahnung woher ich das habe

Nach knapp fünf Minuten ruhigen Genießens – die Hälfte meiner Portion verspeist – klopft es an der Tür.

Ich horche auf, frage mich, wer das sein könnte. Vorsichtig schleiche ich zur Tür, schaue durch den Spion und erkenne auf der anderen Seite Rick.

Prompt öffne ich die Tür.

Ohne ein Wort drängelt er sich an mir vorbei in meine Wohnung.

„Hallo“, sage ich nur.

Ohne mich zu begrüßen sieht Rick sich im Zimmer um. Sein Blick fällt auf die dampfenden Nudeln und den Topf mit Tomatensauce.

„Ich habe gerade gekocht. Möchtest du etwas?“

Er schüttelt den Kopf. Ich hingegen nehme wieder meinen Teller auf, setze mich und esse weiter.

„Ich habe Informationen für dich.“

Erst jetzt fällt mir auf, dass Rick einen braunen Papierumschlag in Händen hält.

„Informationen?“

„Über deinen Polizisten.“

Mein Polizist. Aha.

„Und was für Informationen sind das?“

Rick hatte Kontakte, zweifelsohne.

„Ziemlich geringhaltige und nicht sonderlich umfangreiche. Daten zu seiner Person und zu seiner Berufslaufbahn. Das Übliche. Allerdings“ , Rick sendete mir einen bedeutungsvollen Blick, „gibt es doch etwas Interessantes, das du erfahren solltest.“

Er wirft den Umschlag auf mein Bett.

„Adam Wellert ist im selben Viertel aufgewachsen wie du. Und in der Gegend, in der deine letzte Pflegefamilie wohnte, war er am Anfang seiner Karriere Streifenpolizist. Das war vor genau acht Jahren.“

Als ich von Zuhause weggelaufen bin. Ich begreife, worauf er hinaus will.

„Tut mir leid, Rick, aber ich bin ihm noch nie zuvor begegnet. Der Abend an dem er mich erwischt und aufs Revier geschafft hat, war das erste Mal.“

Rick sieht mir einen Moment in die Augen, dann bricht er das Schweigen:

„Ein Zufall also.“

„So ist es.“
 

Die Erinnerung kehrt zurück: Warum ich damals getürmt bin. Alles erschien mir zu dieser Zeit besser, als in dieser Familie zu bleiben. Es ist wohl etwas Wahres daran, dass man zwar unliebsame Erinnerungen tief in sein Unterbewusstsein verbannen kann, aber früher oder später wieder mit ihnen konfrontiert wird und sich ihnen stellen muss. Plötzlich ergibt der Traum von letzter Nacht einen Sinn. Das Unterbewusstsein lässt sich wirklich nicht austricksen und die Vergangenheit ruht niemals – nicht bevor man sich ihr stellt.
 

„Rick?“

Er sieht mich an. Schweigend. Auf meinen nächsten Satz wartend.

„Ich kehre zurück.“

Kein Ausdruck der Überraschung auf seinem Gesicht. Stattdessen fragt er mich ruhig:

„Nenne mir einen guten Grund weshalb ich das zulassen sollte. Schon jetzt und so kurzfristig?“

„Vertrau mir, bitte.“

„Ich sehe keinen Grund, warum. Erkläre es mir.“

„Das kann ich nicht.“

„Dann kannst du auch nicht zurückkommen. Zumindest nicht jetzt.“

„Ich bitte dich!“

„Vertrauen muss man sich verdienen, Vic. Ich gebe zu, du hast es mehr als irgendeiner der Jungs genossen. Aber in der Zwischenzeit ist viel geschehen. Dinge, die keinen Sinn ergeben und die mich nachdenklich stimmen.“ Er deutete mit dem Kopf auf den Papierumschlag.

Ich weiß, ich habe keine Wahl. Ich muss es ihm irgendwie erklären. Aber wie? Ich kann Rick wohl schlecht sagen, dass Adam mich …. .

„Hör zu! Dieser Bulle hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Er hat es sich scheinbar in den Kopf gesetzt ein perfides Spiel mit uns zu spielen. Er weiß mehr als du denkst. Er hat euch beobachtet, vergangenen Freitag. Und er hat scheinbar kein wirkliches Interesse uns einzubuchten. Vielleicht langweilt ihn sein Job, ich weiß es nicht. Er hat mir zumindest gedroht, wenn ich nicht wieder in das Spiel einsteige, dann kriegt er euch dran.“

Rick überlegt einen Augenblick.

„Was du da sagst macht keinen Sinn.“

Ich seufze.

„Ich weiß. Und hier liegt der Knackpunkt: Um es herauszufinden, muss ich mich darauf einlassen. Zumindest ein Stück weit. Ich weiß nur, dass er ein gesondertes Interesse an mir hat. Und in Bezug auf das da“, dieses Mal deute ich auf den Umschlag, „macht das irgendwo einen Sinn.“

Wieder denkt Rick nach. Es vergeht eine Minute, dann nickt er.

„Ich denke du hast Recht. Aber ich begreife nicht wohin das führt.“

„Ich auch nicht, aber ich muss es riskieren. Dann bekommen wir ihn an den Eiern.“

„Und weißt du, was ich denke?“

Ich schüttle zaghaft den Kopf.

„Das wir diesen Bullen loswerden sollten.“

Ich habe es geahnt, dass es wieder darauf hinauslaufen würde. Ich schüttle wieder den Kopf – dieses Mal jedoch energisch.

„Nein, Rick, das sollten wir nicht. Die Polizei dieser Stadt hat nur mäßiges Interesse an uns. Die wollen die großen Fische. Wenn wir einen der ihren aus dem Weg räumen, wird sich das schlagartig ändern. Sie werden dann keine Ruhe mehr geben, ehe sie die Polizistenmörder gefunden haben. Außerdem glaube ich kaum, dass Adam sich so einfach ausschalten lässt, auch wenn er wahrscheinlich nicht mit so etwas rechnet. Vertraue mir, bitte!“

Wieder sieht Rick mir genau in die Augen, dann schließt er sie.

„Na gut, du bekommst deine Chance. Enttäusche mich nicht, Vic. Du würdest es bereuen, wenn du unkluge Wege einschlägst.“

Mit diesen Worten verlässt er meine Bruchbude.
 

Ich stelle den leeren Teller in die Spüle, betrete das angrenzende Bad und putze mir die Zähne. Dann lösche ich die Lichter der Deckenlampen. Nur meine kleine Nachtischlampe leuchtet noch. Nachdem ich mich entkleidet und meine Schlabbersachen zum schlafen angezogen habe, greife ich nach dem Umschlag, lege mich hin und ziehe die wenigen Blätter heraus.

Ich überfliege die Seiten. Wirklich nichts sehr Interessantes dabei. Mein Blick fliegt wieder zur ersten Seite. Ich streiche mit meinen Fingern über das Foto, das den – man muss es einfach sagen - schönen Polizisten zeigt.

Daneben steht sein Name und darunter sein Alter. 32 Jahre. Das hatte ich nicht erwartet. Ich habe bislang gedacht er sei jünger. In den Zwanzigern.

Ein paar Zeilen weiter unten steht auch seine aktuelle Wohnadresse.

Ich lege die losen Blätter auf den Nachtisch und lösche das Licht.
 

Meine Gedanken lassen den Tag Revue passieren:
 

Ja, man könnte durchaus behaupten, dass wir Räuber und Gendarm spielen. Für Erwachsene.

Du hast die Wahl: Entweder du lässt dir was einfallen und kehrst zurück zu deiner Familie oder ich buchte sie ein.

Ich jage meine Beute gerne, bevor ich sie niederstrecke.
 

Wäre ich ihm doch bloß nie über den Weg gelaufen. Aber noch im selben Moment denke ich trotzig: Er will spielen? Gut, dann spielen wir!
 

In dieser Nacht sollte ich wieder träumen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  jyorie
2014-07-16T09:41:57+00:00 16.07.2014 11:41
Hey ´・ᴗ・`

So schnell wie Rick geschalten hat, ist unglaublich, aber
für einen Außenstehenden ist es natürlich immer leichter
Schlüsse zu ziehen, als wenn Viktor da selbst mit drine
steckt und er hat ja auch Angst, da kann man eh nicht
denken. Außerdem dachte ich wirklich, das es ihm an den
Kragen geht, als Rick das entdeckt hat, daher war ich angenehm
überrascht, das Rick sogar für ihn in die Presche gesprungen ist,
und ihn vor den anderen Verteidigt hat. Hoffentlich bleibt das
auch noch so, nicht das er jetzt von Rick gejagt wird (heimlich)
und ihm zusätzlich noch Adam im Genick sitzt.

CuCu Jyorie

Von:  SummoningIsis
2010-04-20T07:44:57+00:00 20.04.2010 09:44
"Ich jage meine Beute gerne, bevor ich sie niederstrecke." - Ich habe noch immer eine Gänsehaut! Wie schon face-to-face bemerkt: Ich liebe deinen Schreibstil. Gerade diese Vorhebungen bestimmter Sätze und Wörter passen und unterstreichen noch einmal die Atmosphäre, die du hier aufbaust.

Auch das Ende, in dem Vic (im Übrigen liebe ich diesen Namen!)sich auf dieses "Spiel" einlässt. *schauder*

Und Gott sei Dank wartet schon ein weiteres Kapitel auf mich, mal sehen, was da so passiert; denn die Geschichte ist nicht nur gut geschrieben, die Handlung ist bist jetzt auch klasse!
Von:  Tali
2010-02-22T18:11:56+00:00 22.02.2010 19:11
Ich will MEHR! Umbedingt! Am Besten s.o.f.o.r.t! Mir gefällt die Richtung, die du einschlägst und ich freue mich jetzt schon, wenn es richtig losgeht. Ich glaube, du kannst es richtig spannend erzählen und der Nervenkitzel wird spührbar sein! Allein schon bei diesem einen bedeutenden Satz von Adam... Hammer!!!


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