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Blutrote Rosen

von

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Kapitel 1

Ich hatte beschlossen, nach Hause zu gehen.
 

Ich wusste nicht wie lange ich da gestanden hatte, über die Brüstung gelehnt und weinend. Es war ein seltsames Gefühl gewesen, die Tränen auf meinem Gesicht zu spüren. Aber springen… Springen konnte ich nicht… Ich hatte einfach nicht mehr den Mut dazu gehabt.
 

Nun steckte ich also den Schlüssel in die Haustür und drehte ihn mit einem leisen Klicken im Schloss. Die Tür sprang auf und ich trat auf den kleinen Flur, bevor ich sie wieder hinter mir schloss.
 

„Bist du das Fabian?“, tönte eine Stimme aus der Küche. „Ja Mama“, antwortete ich in gespielt lässigem Tonfall.
 

„Wo warst du?“
 

Ich zögerte „Ach ich hatte noch dies und das zu erledigen“ … Super, jetzt hatte ich noch nicht einmal gelogen… Zumindest nicht richtig…
 

„Ich habe aber jetzt kein Essen gekocht“, kam wieder die zitternde Stimme aus der Küche. Ich hängte meinen Anorak an einen Haken im Flur und zog mir umständlich die Schuhe aus.
 

„Kein Problem“, rief ich. Es war tatsächlich kein Problem für mich. Wann kochte meine Mutter schon mal? Für das Essen war ich immer selbst zuständig gewesen. Meine Mutter tauchte neben mir aus der Küche auf. Ihre Augen waren geschwollen, ihre Wangen tränennass. Sie hatte wieder geweint.
 

„Wir können uns ja eine Pizza bestellen, was meinst du?“, schniefte sie und drückte das zerknüllte Taschentuch in ihrer Hand noch ein bisschen fester zusammen.
 

„Klar“, sagte ich und lächelte sie an „das geht schon in Ordnung! Ruf mich einfach, wenn die Pizza da ist!“
 

Meine Mutter schluchzte und drückte mich an sich. „Du bist so ein lieber Junge, Fabian!“
 

Ich erwiderte ihre Umarmung kurz. „Klar Mama, ich hab dich auch lieb!“
 

Lüge!
 

„Wir werden uns schon einen schönen Abend machen“
 

Lüge!
 

„Es wird alles wieder gut“
 

Lüge!
 

Es waren alles Lügen. In Wahrheit hätte ich sie am liebsten von mir weggestoßen.
 

Ihre Art mich zu umarmen, wie sie kraftlos ihren Körper gegen meinen drückte, ihr Geruch…
 

Sie roch aus einem Gemisch aus Zigarettenqualm, Alkohol und Schweiß. Ich hasste es! Und das wusste sie auch… Aber sie war nun mal meine Mutter - und sie war depressiv…
 

Ich hatte Weißgott besseres zu tun, als mich um sie zu kümmern. Sie war… erbärmlich! Ja! Erbärmlich! Ich löste mich umständlich aus ihrem Klammergriff.
 

„Ich bin in meinem Zimmer! Sag mir Bescheid wenn das Essen da ist, ok? Ich nehme ne’ Lasagne!“ Ich versuchte aufmunternd zu lächeln, nickte meiner Mutter zu und drängelte an ihr vorbei zur Treppe.
 

„Ok“, sagte sie und ich glaubte sogar, ein flüchtiges Lächeln auf ihrem Gesicht zu erkennen. Na bitte, ging doch! Ich betrat mein Zimmer, schloss die Tür hinter mir ab und lies mich mit einem Seufzen schwer dagegen sinken.
 

Meine rechte Hand tastete über den Boden zu dem kleinen, blauen Schälchen, welches dort immer stand und förderte eine Rasierklinge zu Tage, die ich mir aus dem Badezimmerschrank meiner Mutter geklaut hatte.
 

Ich wusste, dass es dumm war, aber ich konnte nicht anders. Ich hielt diese ganze Scheiße einfach nicht aus! Wie in Trance strich ich vorsichtig mit dem kühlen Metall über meine Haut.
 

Ein kleiner Schnitt… Ein Zweiter… Ein dritter, diesmal tiefer. Der Schnitt wurde rot, begann zu bluten. Ich drückte die Klinge tiefer in die Haut.
 

Noch spürte ich nichts, außer einem leichten ziepen. Wieder und wieder zog ich die Schneide über meinen Arm, bis der erlösende Schmerz kam. Ich stöhnte auf; drückte die Klinge noch ein Stück tiefer. Hellrotes, warmes Blut lief über mein Handgelenk.
 

Mit einem letzten Aufbäumen schnitt ich noch einmal, dann lies ich mich erschöpft zurück sinken. Ich atmete tief durch. Mein Herz klopfte laut und mir war warm.
 

Eine kurze Weile lang lies ich das Blut laufen und betrachtete zufrieden mein Werk. Dann stand ich auf und verschwand in das an mein Zimmer angrenzende Bad. Ich hielt meinen linken Arm unter Wasser, während ich mit der Rechten in Schrank nach Verbandszeug suchte. Endlich hatte ich es gefunden. Ich drückte mir umständlich eine Mullbinde auf das blutende Handgelenk und wickelte dann einen Druckverband drum.
 

Meine Mutter würde nicht fragen, sie war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und falls doch, war ich eben an dem Stacheldrahtzaun hinter der Schule hängen geblieben und die Schulsanitäter hatten mich notwendig wieder zusammenflicken müssen.
 

Ich hörte die Türklingel. Entweder hatte ich verdammt lange gebraucht, oder der Pizza-Service war entscheidend schneller geworden.
 

Ich ging wieder zurück in mein Zimmer um den Gutschein, den ich meiner Mutter schenken wollte, eine Schleife zu binden.
 

Schon hörte ich von unten ihre Stimme: „Essen ist fertig!“
 

Ich schnappte mir das Geschenk, beseitigte noch schnell das Blut auf meinem Laminat und huschte dann nach unten. Super, jetzt durfte ich den ganzen Abend so tun, als wäre alles in Ordnung; als würde es mir gut gehen.
 

Mein Handgelenk pochte. Ich mochte dieses Pochen genau so sehr, wie ich den Schmerz mochte. Es beruhigte mich; lies mich meine Sorgen und Probleme vergessen oder lenkte mich zumindest für einen Moment davon ab…
 

Das Abendessen verlief recht schweigsam. Als ich aufgegessen hatte lehnte ich mich zurück und setzte ein schiefes Lächeln auf. „Hast gut gekocht“, grinste ich.
 

Meine Mutter schob den Rest ihrer Pizza von sich. „Ich weiß“, sagte sie.
 

Ich kramte mit einem hektischen „Frohe Weihnachten übrigens“ mein Geschenk hinterm Rücken hervor und überreichte es meiner Mutter. Diese betrachtete das Blatt Papier zunächst skeptisch, dann erhellte sich ihr Gesicht.
 

„Nein, Fabian, so eine Überraschung! Ein Wellnesswochenende! Wie kommst du denn dazu und woher nimmst du das Geld?“
 

Ich lächelte matt. „Naja, du sahst die letzte Zeit so gestresst aus, da dachte ich, das wäre vielleicht gut für dich! Ich habe gespart!“
 

Tatsächlich war ich die letzten Wochen arbeiten gegangen, hatte alten Damen Einkäufe erledigt, Zettel herumgebracht und sogar einem Grundschüler Nachhilfe in Mathe gegeben. Wie sehr ich es doch hasste!
 

Aber noch mehr hasste ich es, wenn meine Mutter so tat, als ginge es ihr gut und jeder sah, dass dem nicht so war. Außerdem bedeutete es für mich ein sturmfreies Wochenende.
 

„Fabian, du bist ein Engel, was würd ich nur machen, wenn ich dich nicht hätte“
 

Sie kam um den Tisch geeilt und drückte mich nun das zweite Mal an diesem Tag.
 

Ich versuchte mich auf das Pochen in meinem Handgelenk zu konzentrieren. Poch - Poch - Poch…
 

War das wirklich mein Herzschlag? Poch - Poch - Poch… Wie regelmäßig es doch schlug.
 

„Ich hab auch was für dich“, sagte meine Mutter und streckte mir ein kleines Päckchen entgegen. Oben drauf klebte ein Fünfzig-Euro-Schein. Drin war eine Cd von der Gruppe Story of the year. Ich hatte nie von ihnen gehört. Aber das Cover erweckte den Anschein, als seien sie eine Emo-Band.
 

Na super, genau das was ich momentan brauchte: Niemand-liebt-mich-ich-bin-ja-so-allein-Gesülze…!
 

Wer auch immer das sang, wusste meist gar nicht, was wirkliches Alleinsein eigentlich bedeutete; wie schrecklich es sich anfühlte…
 

„Danke Mama“, sagte ich trotzdem artig.
 

Den restlichen Abend verbrachten wir mit Fernsehen gucken. Eine wirkliche Bescherung gab es nicht. Die einzige aus meiner Verwandtschaft die sich gemeldet hatte, war meine Großmutter; und das auf eine schreckliche Weise, wie ich fand: Selbstgestrickte, rosa Socken…
 

Irgendwann hörte ich das leise Schnarchen meiner Mutter und wusste, dass sie eingeschlafen war. Ich stand auf, schaltete den Fernseher aus und verschwand in mein Zimmer. Wieder ein so langweiliger Abend der sich dem Ende zuneigte…
 

Ich saß auf meinem Bett, nestelte ein bisschen an meinem Verband und dachte nach. Wann hatte das mit meiner Mutter angefangen? So seltsam war sie erst, seit mein Vater sie verlassen hatte…
 

Nein, wenn ich es mir recht überlegte war das auch schon vor der Vergewaltigung so gewesen. Nur nicht so extrem. Aber auch davor hatte ich mich schon nicht mit meiner Mutter verstanden. Ich wusste nicht warum, aber ich hatte instinktiv immer Abstand zu ihr gehalten. Liebe… Nein, von Liebe konnte man beim besten Willen nicht sprechen. Ich liebte meine Mutter nicht…
 

Verdammt, was ist nur mit mir kaputt?
 

Ich hämmerte mir mit beiden Handballen vor den Kopf, aber vergeblich. Ich fand keine Antwort.
 

Das grelle Licht der Deckenlampe stach mir schmerzhaft in die Augen und blendete mich.
 

Ich bin nicht normal!
 

Das war der einzige klare Gedanke den ich noch fassen konnte.

Ich schloss mit einem leisen Seufzen die Augen.
 

Ich bin nicht normal…
 

Die Schwärze des Schlafes legte sich wohltuend und wie ein bleierner Umhang über meinen Geist…



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