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Das Zusammenfügen

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Im Freien Fall

Es waren viele Jahre vergangen, seitdem ich das letzte Mal auf einer Bühne gestanden hatte. Wie viele, konnte ich nicht genau sagen, das Gefühl für Vergangenheit und Gegenwart war mir schon seit längerer Zeit abhanden gekommen.

Tatsache war, dass ich nun hier stand. Schon seit einer Stunde stand ich hier und starrte auf diesen Namen, traute mich nicht, etwas anderes zu tun.

Tom Kaulitz
 

Er war mein Bruder, immer noch mein Bruder. War mal mein Zwilling gewesen, war das gewesen, was ich meine bessere Hälfte genannt hatte. Der Mensch, der mich gesehen hatte, hinter allen Maskeraden. Das hatte er bei jedem von uns getan. Doch letztendlich hat es ihm nichts gebracht, denn wir sind trotz seinem Kampf für uns zerbrochen.

Für einen Moment schloss ich die Augen und dachte an Vergangenes.

Ich hatte lange gebraucht um alles zu verstehen, was passiert war. Um zu realisieren, dass es niemals glatt gelaufen ist und so schön war, wie ich geglaubt hatte.
 

Was hatten wir getan?

Wir hatten uns verführen lassen, von diesem leuchtenden Wunsch nach Freiheit und Ehre. Nach Geld? Ja, das wohl auch.

Und ich hatte mich betrunken an diesem Wunsch, an all diesen giftigen Säuren von Macht und Habgier und Geld und Berühmtheit. So viele Lügen, so unendlich viele Lügen.

Ich konnte nicht sagen, was mich aufgeweckt hatte. Was mir „die Augen geöffnet“ hatte.
 

Irgendwann hatte ich in den Spiegel gesehen und gewusst, dass ich etwas tun musste. Erkannt, dass ich Fehler begangen hatte, so viele, viele schreckliche Fehler. Es war eine harte Zeit gewesen, die zwischen diesem Moment und meiner Gegenwart lag.

Therapien, Psychologen, Kliniken...und immer, immer wieder die Medien, die Lügen, die Verführer die mich so oft wieder in den Abgrund zurück geworfen hatten.

Aber ich hatte wieder aufstehen können, woher ich die Kraft dazu gehabt hatte, würde mir nie klar sein.

Klar jedoch war – das hier war der letzte Schritt den ich tun musste. Der letzte Schritt, der nötig war, um...wieder frei zu sein. Wieder „in Ordnung“ sein.

Nichts von beidem. Vielleicht beides. Nicht mit Worten beschreibbar.
 

Immer noch starrte ich auf dieses Namensschild, konnte mich nicht dazu durchringen auf den weißen Knopf daneben zu drücken, damit es läutete. Ich hatte Angst.

Fürchterliche Angst.

Es hatte lange gedauert, bis ich Toms Adresse herausgefunden hatte. Er war ausgewandert, in einen abgelegenen Winkel und von einem Tag zum nächsten hatte man nichts mehr über ihn gehört.

Er wollte von all dem Wahnsinn damals nichts mehr wissen, noch mal neu anfangen. Irgendwo, wo ihn keiner kannte.
 

Die Frau, die mir die Adresse genannt hatte, hatte mir gesagt dass er eine kleine Band aufbaute. Den Namen hatte sie vergessen und sie waren auch nicht sonderlich erfolgreich. Aber sie hatte mir gesagt, dass man bei jedem Auftritt diese besondere Atmosphäre spürte, die von Tom ausging. Dieses bestimmte Leuchten in seinen Augen und die Art wie er Musik machte.

Ich hatte gewusst, was sie meinte, auch wenn sie es nicht in Worte gefasst hatte.
 

Das Gefühl etwas zu suchen, was man lange verloren hatte, der Ausdruck eines Besiegten der immer noch den Kampfeswillen in sich trug, aber keine Möglichkeit hatte, ihn auszuleben.
 

Weitere Minuten verstrichen, weiter stand ich hier, wartete und schwieg. Der Himmel zog sich zu und verdeckte die Sonne, die mir zuvor in den Nacken geschienen hatte. Meine Haare waren kürzer als früher und auch nicht länger schwarz gefärbt.

Ich trug keinen silbernen Schmuck mehr, abgesehen von einem Knopfohrring, keine schwarze Schminke mehr und keine schwarzen Klamotten mehr.

Ich sah normal aus, relativ zumindest.

Ich hätte nicht gedacht, dass es mir so leicht fallen würde, mein altes Äußeres hinter mir zu lassen. Doch kurz nachdem ich die Kraft gefunden hatte, wieder aufzustehen, war dies das Erste gewesen, was ich verändert hatte.

All dieser Kram, dieser Schnickschnack, diese Eitelkeit...hatte wahre Übelkeit in mir ausgelöst.
 

Plötzlich regte sich etwas an dem Fenster des Hauses und ich zuckte zusammen, ging einige Schritte rückwärts. Aber schon stand er da. Stand einfach nur da und sah mich an.

Toms Augen waren vor Schreck geweitet, er hielt starr eine leere Packung Chips in der Hand, die er wohl gerade wegwerfen wollte, unfähig sich zu bewegen.

Ich wusste nicht was ich tun sollte. Dann regte sich Tom, ich sah wie seine Lippen ein Wort formten. Meinen Namen.
 

Er legte die Packung ab, glitt aus dem Sichtfeld des Fensters. Und in diesem Moment ergriff mich eine Panik, eine derartig große Panik, dass ich nicht anders konnte als mich umzudrehen und zu laufen.

Ich hörte nicht, wie sich hinter mir die Tür öffnete, wie mein Name laut gerufen wurde, lief weiter, die Straße entlang die ich gekommen war, an den Häusern vorbei, in Straßen die ich noch nie zuvor gesehen hatte, weiter, weiter immer weiter...

Irgendwann konnte ich nicht mehr, blieb stehen und hielt mich an einer Straßenlaterne fest, damit ich nicht umkippte. Eine Weile stand ich dort, schnaufend und um Atem ringend. Dann ließ ich mich langsam hinunter gleiten, setzte mich auf den harten Asphalt, kniff meine Augen zusammen und drückte meine Faust gegen mein Gesicht.

Ich konnte nicht vermeiden, dass einige Tränen über mein Gesicht liefen.
 

Ich hatte versagt. Ich hatte diesen letzten Schritt nicht tun können, auf den ich mich so lange vorbereitet hatte, um den ich sogar gekämpft hatte. Ich hatte ihn gesucht, Tom, meinen Bruder, alles was mir geblieben war, alles was für mich noch eine Bedeutung hatte, hatte alles auf den Kopf gestellt damit ich ihn nur finden konnte, ihn nur ansehen konnte und wieder seine Nähe spüren konnte.

Doch letztendlich war ich zu schwach gewesen. Ich hatte mir nicht einmal seine Worte anhören können und war bei seinem bloßen Anblick einfach fort gerannt.

Ich spürte, wie die schmerzhaften Erinnerungen auf mich einprasselten und mich von innen zerstachen und fühlte mich, als ob sich diese ganze, giftige Geschichte noch einmal in wenigen Sekunden in meinem Inneren abspielen würde.
 

Und dann hörte ich eine Stimme...
 


 

Ω



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