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Nachbarn

Anderer Leute Sachen
von

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Anderer Leute Sachen

Er näherte sich ihr, wie man sich einem jungen Pferd näherte, bei dem man noch nicht wusste, welchen Teil einer Sekunde es brauchte, um die vor kurzem gewonnene Zahmheit wieder zu vergessen.

Eine Weile stand er an der Tür und sah sie an, reglos, als fürchtete er, sie würde seine Angst riechen können.

Mr. John würde ihn umbringen, so viel war klar.

Wenn er allein in seiner Wohnung saß, weit weg von ihr, kreisten seine Gedanken nur um sie, aber jetzt, da er vor ihr stand, hingen sie in der Ferne, wanderten sie immer wieder zu dieser einen unangenehmen Tatsache zurück, dass, wenn er nicht aufpasste, er seine Innereien morgen von seinen Zimmerwänden würde kratzen müssen.

Um sich zu beruhigen, spielte er den größten anzunehmenden Unfall im Kopf durch. Wenn Mr. John jetzt hereinkäme, was würde geschehen?

Er würde seinen Kollegen fragen, was er hier triebe. Ja, in der Realität würde er das tun.

In Kiskils Gedanken jedoch wusste der andere bereits, was er vorhatte. Er würde hereinkommen, ihn hier stehen sehen, sofort begreifen, was vor sich ging, und Kiskils Kopf achtmal gegen die Wand und neunmal draußen gegen das Kopfsteinpflaster schlagen. Wenn er gut drauf war, ansonsten zehnmal.

Aber er würde nicht kommen, nicht jetzt.

Kiskils Blick wanderte noch einmal vom Objekt seiner Begierde zur Tür hinüber, aber eigentlich war ihm das klar.

Momentan flößte ihm nur eine Sache Respekt ein, und die ruhte da vor ihm.

Er hatte sie oft gesehen, meist in Mr. Johns Gegenwart, aber er hatte ihr nie so gegenübergestanden. Nie Zeit gehabt, sie zu betrachten.

Weil er das beständige Surren der Lampen nicht mehr hörte, war es für ihn vollkommen still im Raum. Es war kein Ort, an dem man lange blieb.

Die schmucklosen Wände waren wie aus Trostlosigkeit gemacht, ihm gefielen die aufdringlichen Lichter nicht, und der Geruch, der schwer im ganzen Raum lag, ließ eine leichte Übelkeit in ihm aufsteigen, obwohl er ihn hätte gewohnt sein müssen.

Vielleicht war es diese bedrückende Atmosphäre, die ihn letztendlich in Bewegung versetzte.

Je näher er ihr kam, desto lauter warfen die Wände seine Schritte zurück. Selbst wenn er nichts Verbotenes getan hätte, wäre es beunruhigend gewesen, die eigenen Schritte von den Wänden, aus den Ecken, sogar von der Decke hallen zu hören, hatte er die Hälfte seiner Tage doch nur ob derer Lautlosigkeit überlebt.

Aber er ignorierte den Schall, der sich auf seinen Körper legte, schritt um sie herum und beobachtete, wie der Schatten, den sein Kopf im fahlen Neonlicht warf, über ihre Gestalt wanderte.

Hätte sie ihm gehört, so hätte er über ihre in Schwarz gekleideten Rundungen gestrichen. Aber sie gehörte ihm nicht, sie gehörte Mr. John, und er würde sie nicht mehr berühren als nötig.

Sie war perfekt. Er hatte es immer gewusst, aber jetzt, wo er ihr so nahe war, war es die einzige Wahrheit, die Platz in seinem Kopf fand.

Viele Männer wären auf der Straße an ihr vorübergegangen, ohne sich auch nur nach ihr umzudrehen, von solcher Schlichtheit war ihre in all den Jahren, in denen sie schon für John arbeitete, nicht vergangene Eleganz.

Aber es war nicht ihr Äußeres, das ihn faszinierte.

Obschon reglos, wirkte sie keinesfalls harmlos; selbst im Ruhen strahlte sie diese kontrollierte Kraft aus, die der Grund dafür war, dass sie ihre Dienste nun in den oberen Reihen leistete.

Sie war wie Mr. John. Sie gehörten einfach zusammen.

Ihm fiel auf, dass John viel größer war als er.

Natürlich hatte er das gewusst, sie hatten schon oft nebeneinander gestanden, aber jetzt, wo er neben dessen Gefährtin stand, war es ihm klarer denn je.

Sie war zu groß für ihn, in jeder Hinsicht. Er war ihr nicht gewachsen.

Darum gehörte sie auch Mr. John und nicht ihm. Der andere hätte wohl mit genau diesen Worten gespottet, wenn er den Blick seines Kollegen gesehen hätte, den Blick, mit dem er ihr hinterhersah, wenn sie und John nachts zusammen verschwanden.

Aber er hatte die Blicke nicht gesehen, keinen davon, darauf hatte er geachtet.

Sie gehörte Mr. John. Und das sollte auch so bleiben. Er wollte sie nur für eine Nacht.

Für eine Stunde vielleicht.

Er würde es einfach versuchen, und wenn sie nicht mitspielte, würde er sich zurückziehen, und Mr. John würde es nie erfahren. Er würde sich einfach zurückziehen. Vielleicht.

Es war kein Verrat, allein sein Zögern, sein Bedacht zeugten von dem Respekt, den er seinem Kollegen, seinem Vorgesetzten, seinem Mentor entgegenbrachte.

Vielleicht spielte auch ein wenig Angst mit.

Er konzentrierte sich wieder auf den Moment. Es würde nicht einfach werden. Für ihre Widerspenstigkeit war sie in der ganzen Organisation bekannt. Würde Mr. John am nächsten Morgen jedoch nur einen Kratzer auf seiner Angebeteten entdecken, wäre es aus mit Kiskil, da würde selbst der Boss nicht mehr schnell genug eingreifen können.

„Denk nicht darüber nach“, schalt sich Kiskil im Flüstern. Wichtig war nur, keine Spuren zu hinterlassen.

Er zog seine Handschuhe an. Und weil seine Worte weniger laut im Raum widergehallt waren, als er erwartet hatte, sprach er auch die nächsten aus, wenn auch nur so leise, dass der Schall die Wände kaum erreichte.

„Ich weiß, ich bin nicht Dein Boss und auch nicht Dein Partner. Aber ich hoffe, dass wir für diese eine Nacht miteinander auskommen werden.“

Ganz langsam, lautlos, ohne dass die Wände seine Schritte auf ihn zurückwarfen, schritt er zu ihr. Ließ seine Hand über ihre Kurven gleiten. Setzte sich in einer vorsichtigen Bewegung auf sie.

Sie war hübsch. Vielleicht zu groß für seinen Geschmack. Größer als jede, die er je unter sich gehabt hatte. Vielleicht reizte ihn gerade das. Aber das war es nicht. Nein, es schüchterte ihn eher ein, dass sie um so vieles stärker war als er.

Aber man hatte ihn gelehrt, damit umzugehen. Mr. John hatte es getan. Wie hätte er ahnen können, dass Kiskil es für die Entführung seiner Teuersten nutzen würde.

Erst jetzt begriff er, warum sie seinem Vorgesetzten so teuer war. Warum keiner der anderen Männer je gewagt hätte, sie auch nur zu berühren.

Wenn sein Kollege jetzt zur Tür hereinkäme und ihn auf seiner Gefährtin sähe, Kiskil würde wahrscheinlich sterben, aber er wäre glücklich dabei.

Doch nur kurz genoss er das Gefühl, ihre reglose Gestalt unter sich zu spüren. Gleich würde sie aufwachen, anfangen zu zittern und einen Lärm veranstalten, der die ganze Nachbarschaft aufwecken würde.

Und dann würde sich zeigen, ob er ihr gewachsen war.

Er versuchte, sich zu lockern. Spannte nur seine Beine, dann die Arme an. Verstärkte den Griff seiner Hände.

„Aufwachen, Lady. Wir machen jetzt eine Reise.“

Mit diesen Worten drehte er den Schlüssel im Zündschloss und startete den Motor.

Er war ja so tot.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Tentakel
2012-04-03T23:36:15+00:00 04.04.2012 01:36
>und Kiskils Kopf achtmal gegen die Wand und neunmal draußen gegen das Kopfsteinpflaster schlagen

LOL sehr präzise Todesverostellung :D Ich glaube JETZT habe ich mit meinem Lachanfall sämtliche Kaninchen geweckt.

Also es mag an der nächtlichen Uhrzeit liegen oder an mir - wie formuliere ich das jetzt ohne den anderen Lesern zu viel zu verraten? - sage ichs mal so: Es geht NICHT im engsten Sinne um eine Frau?

Jedenfalls finde ich Deine Forumulierungen toll - und Deinem Protagonisten wünsche ich viel Spass - also bevor er leider tot ist ^-^
Von: abgemeldet
2011-04-30T23:46:54+00:00 01.05.2011 01:46
Schöne Geschichte :)
Du hast die Figurenkonstellation gut beschrieben ohne zu viel von den Charakteren zu verraten. Vorallem die Dame ist eine äußerst gehimnisvolle Person. Ich würde mich über eine Fortsetzung freuen
PS. Dein steckbrief ist genial. Ich habe mich an manchen Stellen krank lachen müssen :D Meine Mutter dachte, ich würde den Verstand verlieren


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