Ich ließ den ganzen Tag immer und immer wieder Revue passieren sowie den gestrigen Tag. Ich versuchte irgendetwas zu finden, was ich falsch gemacht haben könnte. Doch je mehr ich darüber nach dachte, desto schmerzhafter wurde es, desto mehr wurde mir bewusst, dass ich mich bereits Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Ich hörte es an meiner Tür klopfen. „Kyosuke! Komm endlich raus, du kannst dich nicht die ganze Zeit in deinem Zimmer verstecken!“, klagte Tama, sie machte sich Sorgen um mich, die ganze Zeit schon, vorhin hatte sie es immer wieder betont. Ich hörte Hime draußen reden. „Lass ihn, er will jetzt erst einmal für sich alleine sein.“
Stimmt, ich lag jetzt schon seit Stunden in meinem Zimmer, hatte alles verdunkelt und wollte einfach nur alleine sein. Ich wollte in Ruhe nachdenken über alles. Shinji sah so glücklich aus bei diesem Jungen. Nicht einmal Tama wusste wer das war und ich wollte es auch gar nicht erst wissen. Wahrscheinlich sein Freund und ich war nur ein Zeitvertreib. Es schmerzte an so etwas zu denken. Es war wie ein Stich ins Herz. Ich wollte nicht weiter darüber nachdenken. Ich wollte nicht weiter leiden. Ich wollte dass es aufhört. Ich sah ständig Shinji an der Seite dieser Person, wie er lachte, wie er einfach nur glücklich war, wie der andere seinen Arm um Shinji legte und ihn auf die Wange küsste.
Ich wünschte ich wäre diese Person gewesen. Haru meinte, ich sollte mich davon nicht runterziehen lassen, Shinji sei nur ein Kind und sei es deshalb nicht wert. Natürlich war er es wert, er war der erste Junge, den ich seit langem endlich wieder in meine Nähe gelassen habe, nachdem mich mein Exfreund verlassen hatte.
Ich stand auf und holte meine Kopfhörer, ich konnte diese Stille nicht mehr ertragen. Ich ging zum Fenster, wo ich mich hinsetzte und in die Dunkelheit raus sah. Es regnete. Ich hatte sogar das passende Lied parat. The Cascades mit „Rhythm of the Rain“.
“Listen to the rhythm of the falling rain
Telling me just what a fool I've been
I wish that it would go and let me cry in vain
And let me be alone again
[…]
I can't love another when my hearts somewhere far away
[…]”
Das Lied war zwar eine Ballade an ein Mädchen, aber trotzdem passte es gerade ziemlich gut zu meiner Situation. Mir liefen ein paar Tränen über mein Gesicht. Ich wischte sie schnell ab.
Niemand war mehr um diese Uhrzeit draußen. Alle waren in ihren Häusern, vielleicht mit ihrer Familie oder mit anderen geliebten Personen. Vielleicht war Shinji auch bei diesem Jungen oder dieser Junge bei Shinji. Ich legte meine Stirn an mein Fenster. Es war schön kühl durch den Regen. Ich dachte an gestern, als er in der Tierhandlung war, sich über die Kaninchen gefreut hatte, an seinen Gesichtsausdruck als ich ihm den Hasen schenkte.
Erneut rannen Tränen über mein Gesicht, doch dieses Mal wischte ich sie nicht weg. Ich hörte es an meiner Tür klopfen und drehte die Musik lauter. Vielleicht dachten sie so, ich würde schlafen, würden mich vielleicht in Ruhe lassen. Ich starrte weiterhin in den Regen, er hatte so etwas Beruhigendes an sich. Ich mochte den Regen. Er konnte einfach alles wegspülen, was ihm in den Weg kam, wieso kann es mit Tränen nicht genauso sein. Wieso konnten sie nicht auch einfach alles fort spülen was im Weg war, den Schmerz, die Trauer, die Einsamkeit. Die Sehnsucht nach der Person, die man liebt. Das Verlangen nach der Person, die man ins Herz geschlossen hat. Wieso konnte es das alles nicht einfach beseitigen?
Ich sah wie sich meine Tür, die sich langsam öffnete im Fenster spiegelte. Ich verhielt mich ruhig, tat so als würde ich nichts mitbekommen. Vielleicht gehen sie ja dann wieder. Doch die Tür öffnete sich immer weiter. Wieso könnt ihr mich nicht einfach alleine lassen. Ich sah wie Hime reinkam mit einem Tablett. Sie sah mich kurz an, sagte aber nichts. Sie stellte das Tablett auf meinen Tisch und ging dann wieder. Ich stand auf und wollte sehen was sie mir gebracht hatte. Ich schaltete meine Nachttischlampe an und ging zu meinem Schreibtisch. Sie hatte mir einen Tee gemacht. Sie kann wirklich lieb sein. Ich nahm die Tasse und setzte mich an mein Fenster zurück. Vorher machte ich wieder das Licht aus, so konnte man den Regen besser beobachten.
Mir ging es gleich ein bisschen besser, ich sollte mich morgen dafür bedanken, auch bei Tama, dass sie sich Sorgen um mich gemacht hat. Ich kann mich wirklich immer auf die Beiden verlassen. Aber kaum war ein kurzes Glücksgefühl da, musste ich wieder an Shinji denken. Ich hatte mich so wohl bei ihm gefühlt. Als er in meinen Armen lag, sie an mich kuschelte. Wie wir uns küssten. Wie glücklich ich einfach nur war. Sollte das alles jetzt wirklich schon vorbei sein, bevor ich überhaupt eine Chance hatte, wenn es da überhaupt eine gab?
Alles drehte sich nur um ihn, nur um diese eine Person, in die mich in so kurzer Zeit verliebt hatte. War das Ganze vielleicht beabsichtig gewesen. Er wollte, dass ich mich in ihn verliebe, nun habe ich mich in ihn verliebt, hat er was er wollte. Aber war er wirklich eine so herzlose Person? Mir liefen unentwegt Tränen über mein Gesicht, es wollte gar nicht aufhören, immer wenn ich an Shinji dachte. Ich wollte ihn nur noch einmal in den Arm nehmen, ihn an mich drücken, seine Wärme spüren, ihm einen Kuss geben.
Wieso konnte ich das jetzt nicht mehr? Sollte das alles wirklich meine Schuld gewesen sein? Sollte dies wirklich so enden? Ich wollte nicht, dass es so endet. Vielleicht sollte ich zu ihm fahren, aber wie soll ich sowas seinen Eltern erklären, wenn die noch nicht mal wussten, dass er schwul sei? Oder hat er mich schon da angelogen? Bitte nicht. Ich sollte ihn nach der Schule abfangen, aber wenn ich ihn dann wieder mit diesem Typen sehe, schaff ich es nicht und es würde nur noch mehr schmerzen.
Je mehr ich an Shinji dachte, desto leerer fühlte sich mein Körper an, als würde alles, was ich mit Shinji in Verbindung bringe aus meinem Körper gesaugt werden.
Der Regen wurde auch immer stärker und prasselte nur so gegen mein Fenster. Ich sollte mich langsam hinlegen und wenigstens ein bisschen schlafen immerhin musste ich in ein paar Stunden wahrscheinlich wieder aufstehen und im Café arbeiten, da kann ich keine Augenringe gebrauchen. Erst recht keinen Herzschmerz. Leider kann man letzteres nicht ganz so gut verbergen wie Augenringe. Auf jeden Fall sollte ich mit Hime und Tama reden, vielleicht wissen die ja was man machen könnte. Ich trank meinen Tee, von dem ich bis jetzt noch überhaupt nichts getrunken hatte, aus, stellte die leere Tasse auf das Tablett zurück und legte meine Kopfhörer samt Handy daneben hin.
Jetzt bemerkte ich auch langsam, dass ich Kopfschmerzen hatte und zwar richtig schlimme. Ich zog nur meine Jeans und legte mich dann zusammengerollt unter die Decke. Noch immer was ich in Gedanken bei Shinji, egal was ich dachte, es lief immer auf ihn raus. Es schmerzte so fürchterlich. Wieso kann ich nur an ihn denken? Ich kenne ihn doch gerade mal ein paar Tage und schon soll wegen ihm meine Welt weiter aus den Fugen geraten? Sollte sich wirklich nur noch alles um ihn drehen? Sollte wirklich nur noch alles auf ihn hinaus laufen? Ja, ich kann nur noch ihn denken, er sollte meine Welt weiter aus den Fugen geraten lassen, es dreht sich nur noch alles um ihn, es läuft alles immer auf dasselbe hinaus. Shinji.
Meine Gedanken drehten sich weiter nur um ihn, bis ich irgendwann voller Erschöpfung und unter Tränen einschlief. Trotzdem war ich in Gedanken nur bei dem einen, den ich liebe, sogar im Schlaf.
Gerade noch war er bei mir im Arm, dann verschwand er langsam. Alles wurde schwarz, als nächstes sah ich Shinji wieder mit diesem Jungen.
Es ließ mich einfach nicht los.
Ich wollte das nicht sehen.
Was ist nur los mit mir?
