Initium mortis
Leise, gerade zu lautlos stand ich auf, als mich eine Hand festhielt. Kurz blickte ich zu der Frau runter, die mich verschlafen aber fragend anschaute.
„Felix?“, drang mein Name fast unverständlich an mein Ohr. Kurz lächelte ich, bevor ich mich zurück zu ihr beugte und ihr sanft einen Kuss auf die Wange drückte.
Es war nicht so, dass ich die Frau liebte, allerdings schätzte ich sie trotzdem. Sie war eine gute Ehefrau. So gut es nun einmal ging, wenn man sich gerade einmal 24 Stunden kannte und gleich darauf von der eigenen Familie verheiratet wurde, um sich einen Platz in der Gesellschaft zu sichern. Selbst nach zehn Tage hatten wir uns noch immer nicht aneinander gewöhnt, aber dies würde bald kommen; das hoffte ich zumindest.
„Ich muss aufs Feld. Die Arbeiter machen Probleme“, flüsterte ich ihr zu, bevor ich mich sanft aus ihrem Griff löste und das Ehebett nun endgültig verließ. Draußen wartete bereits mein Diener, der mir die Nachricht vor Kurzem gebracht und sich danach sofort wieder hierher zurückgezogen hatte und half mir beim Anziehen. Es war nicht so, dass ich dies nötig hätte, doch erwartete man von einem Römer meines Standes, dass ich mich hier und dort bedienen ließ.
Meine Familie hatte, vor meiner Heirat, gerade zwei Sklaven besessen. Dass ich mich mit einer Frau vermählen konnte, die eine so hohe Mitgift mitbrachte, wie Lucia, war ein wahrer Glücksfall gewesen.
Als ich endlich angezogen war, lief ich, meinen Diener im Gefolge, in Richtung des Außenhofes. Der Tag zeigte gerade erst seine ersten Strahlen, als ich diesen betrat und mich nun in Richtung des Tores und des dahinter liegenden Feldes wandte.
Während der Himmel langsam in einem Blassrosa erstrahlte und das dunkelblau der Nacht zurückwich, schritt ich durch das noch feuchte Gras des Wegrandes auf die Olivenbäume der Plantage zu. Schon von weitem hörte ich die Stimmen der aufgebrachten Männer, die sich mit ihren Aufsehern stritten. Dem Klang nach waren diese bereits teilweise handgreiflich geworden. Augenblicklich beschleunigte ich meine Schritte, sodass ich kaum eine Minute später auf dem Platz ankam, auf dem die aufständigen Sklaven mittlerweile mit den Aufsehern kämpften.
Leise fluchte ich, bevor ich meinem Diener, der mir noch immer folgte, befahl zurück ins Haus zu gehen und meine Frau in Sicherheit zu bringen, sowie die Soldaten in der Kaserne nahe der Stadt zu informieren. Kurz sah ich ihm nach, als er nickte und verschwand, um meinem Befehl Folge zu leisten, bevor ich mich meinen Untergebenen anschloss. Es hatte keinen Sinn mehr nun noch mit den Sklaven reden zu wollen, auch wenn ich nicht glaubte, dass dies überhaupt einen Sinn ergab. Es brachte wahrscheinlich genauso viel mit einem Pferd über philosophische Probleme zu sprechen, wie mit einem Sklaven über seine Rechte. Mit einer schnellen Handbewegung entzog ich einem meiner Untergebenen seine Waffe und griff nun selbst ins Geschehen ein. Auch wenn die Sklaven keinerlei Waffen bei sich trugen und deswegen nur mit Steinen und Stöcken gerüstet in den Kampf gingen, oder versuchten ihre Bewacher mit bloßen Händen zu überwältigen, war es ein ein ausgeglichener Kampf, da sie klar in der Überzahl waren. Das war scheinbar die Schattenseite des Reichtums. Auf einen Aufseher kamen vier Sklaven, sodass sie bald sogar die Oberhand gewannen, nachdem sie den ersten überwältigt und entwaffnet hatten. Fluchend verstärkte ich mein Bemühen den Aufstand niederzuschlagen, oder zumindest solange auszuhalten, bis die Soldaten der nächsten Stadt, Volterra, eintrafen, um uns zu unterstützen.
Erneut schlug ich mit der breiten Kante meines Kurzschwertes gegen den Kopf eines Sklaven, sodass dieser bewusstlos zu Boden fiel. Es war nicht so, dass ich Bedenken hatte ein Lebewesen zu ermorden, doch wollte ich mir so wenig Geldverlust wie möglich einhandeln. Sie würden bestraft werden, hart, doch würde ich sie nicht umbringen, da es mir mehr schadete, als brachte. Laut brüllte ich den Aufsehern zu, dass sie mir kein Verlustgeschäft einbringen sollten, während ich dem Nächsten den Knauf an die Halsschlagader hieb, sodass dieser ebenfalls zusammensackte. Es dauerte, doch bald schien es so, dass wir wieder an Oberhand gewannen und die Sklaven, deren Mut mit jedem Gefallenen zu sinken schien, zurücktrieben, als ich plötzlich einen brennenden Schmerz in meiner linken Seite spürte.
Wie in Zeitlupe wanderte mein Blick auf die betroffen Stelle. Es dauerte, bis ich Begriff, dass dort eine Klinge, die einer der Sklaven erobert hatte, bis zum Heft in meinem Körper steckte. Langsam hob sich mein Blick wieder und ich sah in die Augen des Unfreien, der mich getroffen hatte. Sie waren verzerrt in einem Ausdruck blinder Wut, Angst und Erschöpfung. Kurz hob ich meinen Schwertarm, bevor ich ihn auf den Unglücklichen hinunterschnellen ließ und ihn somit niederstreckte. Bevor ich jedoch auf den Nächsten losgehen konnte, spürte ich einen stumpfen Schlag auf den Kopf, der mich endgültig in die Knie brechen ließ. Kurz sah ich noch das verzerrte Bild der Sklaven, wie sie nun – weiter ermutigt – auf die Aufseher losgingen, bevor die Ränder meines Sichtfeldes sich in Schwarz hüllten und kurz danach mein ganzen Bewusstsein umhüllte.
Langsam ging der schwarzhaarige Mann durch die Reihen der Opfer des Gefechts. Von Weitem hatten er und seine Brüder das Geschehen beobachtet, ohne einzugreifen. Diese dummen Menschen bekämpften sich gegenseitig schon seit Jahrhunderten und jedes Mal war es dasselbe Ergebnis.
Diesmal hatten die Unfreien gewonnen, doch sie würden nicht weit kommen. Dazu hatten ihre Peiniger sie viel zu sehr dezimiert, bevor sie ihnen erlegen waren. Plötzlich stockte er, als er an einem Mann mittleren Alters in zerrissenen Kleidern hielt, dessen Herz noch immer hartnäckig gegen das Unvermeidliche ankämpfte. Eigentlich hätte er schon längst das Zeitliche gesegnet haben müssen, wenn man von der Blutlache, die ihn umgab ausging. Zwar war der Boden des Platzes insgesamt mit Rot durchtränkt doch war das Blut dieses Menschen hier eindeutig überwiegend.
Vorsichtig wandte er den Mann mit dem Fuß um, um sein Gesicht betrachten zu können, als er die genervte Stimme seines Bruders hinter sich vernahm. Er wollte endlich weiter, verstand nicht, was der Schwarzhaarige überhaupt hier wollte. Es seien doch nur wertlose Menschen, deren Blut jetzt, wo es auskühlte, ungenießbar sein würde. Doch deswegen war dieser nicht da. Wenn er Durst bekam, nahm er ausschließlich Frisches zu sich. Der Gedanke, sich von Aas zu ernähren, widerte ihn genauso an wie wahrscheinlich seine Brüder.
Trotz des Protestes des Blonden ließ er sich in aller Ruhe in die Hocke nieder und betrachtete den Mann genauer. Wenn er ihn verwandeln wollte, musste er schnell handeln, da das Herz nicht mehr lange gegen den Tod würde ankämpfen müssen. Obwohl er noch immer mit sich haderte, senkte der Mann schließlich seinen Kopf an die Halsschlagader und versenkte letztendlich seine Zähne in ihr, die Augen seiner Brüder angewidert auf sich gerichtet, erhob er sich kurze Zeit später wieder, befreite das Opfer von der Waffe, die immer noch in seinem Oberkörper steckte und hob ihn hoch. Bei jedem seiner Schritte stöhnte der Mann auf, doch diese Schmerzen waren nichts im Vergleich zu dem, was ihm noch bevorstand. Wenn er sich als wertlos herausstellte, könnte er ihn immer noch töten. Mit diesem Gedanken wandte er sich wieder zu seinen Brüdern um und stimmte endlich zu, zurückzukehren.
Wenn er sich jedoch als nützlich erwies, würde dies für ihn der Anfang eines unsterblichen Lebens bedeuten.