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Already Dead

von

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Die Sonne war gerade erst untergegangen und in der Ferne leuchtete der Horizont glutrot über den Berggifpeln. Würzige Gerüche hingen in der hochsommerlichen Abendluft und die dunklen Holzdielen unter seinen nackten Füßen waren angenehm warm. Seine Hand strich über die in die Jahre gekommene Brüstung der Veranda, die vor nicht allzu langer Zeit sorgfältig lackiert worden war. Wie auch der Rest des Hauses war die Veranda aus Holz erbaut. Das Gebäude fügte sich hervorragend in die abgelegene, naturbelassene Gegend ein. Er konnte die Grenze zwischen dem Garten und den Gräsern der umgebenden Prärielandschaft gar nicht ausmachen und trotzdem wirkte das Grundstück nicht ungepflegt.

Seine Schritte führten ihn um das Haus herum zum Garten. Zwei wackelige Stühle, ein kleiner Tisch und ein zusammengefalteter Sonnenschirm standen einsam auf dem vorderen, gemähten Teil des Gartens. Auf dem Tisch stand noch der Aschenbecher mit dem Inhalt von letzter Woche, der aus den Überresten von zwei schlanken Zigarren und mehreren Zigaretten bestand. Neben dem Aschenbecher eine leere Rotweinflasche, die letzte Woche noch nicht dort gestanden hatte. Ein sachtes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, es war der australische Wein gewesen, den er dem anderen geschenkt hatte.

Die Gartentür stand einen Spalt weit offen, gerade weit genug, um eine schmale Gestalt hindurch zu lassen. Oder einen Hund. Er ging in die Hocke vor die Tür und rief leise hinein: „Helga.“ Eine Bewegung im Inneren war zu hören, als die Schäferhündin erwachte und sich aus ihrem Korb erhob. Als er ein zweites Mal nach ihr rief, antwortete sie mit einem freudigen Fiepen und kam ihm schwanzwedelnd entgegen.

„Hallo Hübsche“, begrüßte er sie und tätschelte ihren Kopf, „ich hab dir was mitgebracht, schau.“ Vor Freude hätte sie ihn fast angesprungen, wäre da der schmale Spalt zwischen ihnen nicht gewesen, durch den sie sich zuerst quetschen musste. Aus seiner Tasche holte er ein Paar knackige Würstchen, die sie mit aufgeregtem Schnüffeln begutachtete. Und offenbar auch für gut befand, denn kaum hatte er sein Einverständnis begeben, machte sie sich über das Begrüßungsgeschenk des späten Besuchers her.

„Na, schmeckts?“, fragte er und kraulte ihren kräftigen Nacken, während sie sich mit Heißhunger an dem Fleisch labte. Innerhalb einer Minute war von dem Mitbringsel nichts mehr übrig und er sah den freudig glänzenden Blick ihrer schwarzen Augen. „Ich weiß doch, was du magst. Und jetzt schlaf, Schöne“, sprach er leise und strich ihr durch das Fell, bis ihre Atemzüge langsam und tief wurden.

Er stieg über die schlafende Hündin hinweg und trat hinein in das Wohnzimmer. Die warmen Diehlen wurden durch glattes Parkett und einem darauf liegenden Fell abgelöst. Das Schaffell. Er nahm sich Zeit und ließ sich darauf nieder. Mit den Fingern fuhr er durch die langen Zotteln, die weicher waren als das kurze Hundefell. Hier hatte er schon oft gesessen und die aufgehende Sonne beobachtet, wenn der Rest des Hauses noch am Schlafen war. Einmal im Winter hatte das Holz im Kamin behaglich gebrannt und er hatte sich nachts von der Couch gestohlen, um auf dem Fell vor der noch sacht glimmenden Glut schlafen zu können. Und morgens hatten ihn die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht geweckt.

Schwungvoll kam er wieder auf die Beine. Seine Zeit hier war fast zu malerisch gewesen, wenn man ihre gemeinsame Vergangenheit außer Acht ließ.

Das Haus lag noch immer im stillen Halbdunkel. Der andere schlief schon, obwohl es gerade einmal zehn Uhr abends war, das wusste er. Zielsicher setzte er seine Füße auf die Stellen der Treppe, die nicht knarrten. Sie hatten vor einiger Zeit eine Wette abgeschlossen, ob es einer von ihnen lautlos die ausgetretene Treppe hinauf schaffte. Der Portwein, um den sie gewettet hatten, hätte an Helga gehen müssen. Stattdessen hatten sie ihr ein Rindsteak serviert. Damals hatte er genug Zeit zum Üben besessen.

Der Flur im oberen Stockwerk war weiß tapeziert. An den Wänden hingen alte Fotografien, auf denen sich der glutrote Himmel spiegelte. Darauf abgebildet waren Familienmitglieder seines Freundes, dazu ein paar neuere Schnapschüsse von Helga. Keine Frau, keine Kinder. Fast hätte er ebenfalls einen Ehrenplatz hier oben bekommen, das wäre nur noch eine Frage von Wochen gewesen. Das wäre der Beweis gewesen, dass sie die Vergangenheit endgültig hinter sich gelassen hätten.

Seine Fingerkuppen strichen über die Raufasertapete, während er sich der angelehnten Schlafzimmertür näherte. Langsame, ruhige Atemzüge, durchsetzt von wenigen Ansätzen eines Schnarchens, kündeten von einem tiefen Schlaf. Mit einem letzten Blick auf die Fotografien betrat er das Schlafgemach.

Das Schlafzimmer lag im Osten, wodurch kein verirrter Strahl der Abendsonne hierher dringen konnte. Die Hitze vom Tag hatte sich noch nicht verflüchtigt und das Fenster war gekippt. Während sich seine Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte er immer mehr vertraute Konturen. Als er einmal den Sprung von der Couch in das für einen Junggesellen zu große Ehebett nach zu vielen Flaschen Wein geschafft hatte, hatte er sich morgens nach dem Aufwachen gleich zurück auf die Couch unten im Wohnzimmer verkrochen. Dennoch hatte er keinen der Schemen, die sich ihm immer schärfer im Kontrast zur Dunkelheit darstellten, vergessen. Und heute würde er das erste Mal miterleben, wie der andere in seiner Anwesenheit erwachte.

Er trat näher an das Bett heran und beobachtete fasziniert den Schlafenden. Die langen Haare ergossen sich in sanften Wellen vom Kopfkissen herab bis zu seiner breiten Brust, die sich langsam hob und senkte. Stark war sie und doch wohnte in ihr ein so empfindliches Herz. Der Mann mit dem breiten Kreuz war nie so gleichgültig gewesen, wie er sich immerzu gegeben hatte. Schon lange hatte er sie berühren wollen, die muskulöse Verkleidung mit ihrem weichen Inneren.

Leichtfüßig schwang er sich auf die Hüfte des anderen. Dünne Beine neben wohltrainierten Oberschenkel, seine zierliche Erscheinung gegenüber dem sensiblen Schrank. Keck wischte er sich die nassen, roten Strähnen aus der Stirn. Seine Hand legte er auf den sich regenden Oberkörper und erfühlte das schlagende Herz.

„Helga“, murmelte der Langhaarige verschlafen, „jetzt nicht.“ Er fühlte sich wie ein Hund an? Seine Lippen formten ein sanftes Lächeln. Da räkelte sich ein ausgesprochener Morgenmuffel unter ihm und er hatte das all die Jahre nicht bemerkt. Sacht legte er eine Hand an die Wange des anderen und beugte sich über ihn. Schade, dass er in der Dunkelheit das Blau der Augen nicht erkennen würde.

Ein Augenpaar blickte ihn erschrocken an, dann entzündete sich ein Feuer hinter den dunklen Pupillen. Mit einem Mal spürte er eine starke Hand auf seinem Oberkörper. Sie drückte ihn zur Seite weg und in die weiche Matratze hinein. Er spürte ein Bollwerk aus Muskeln arbeiten, dem er nichts entgegen zu setzen hatte. Abwehrend wollte er schon seine Arme heben, da schwand der Druck auf seine Brust.

„Zion? Was tust du hier?“ Von dem Aggressor war nichts mehr übrig.

Der Angesprochene begegnete einem verständnislosen Blick. Als sich die Hand von seiner Brust zurückzog, setzte er sich auf. Inzwischen waren so viele Jahre vergangen. Er mochte diese langen, welligen Haare, er mochte dieses markante, raue Kinn. Und er mochte diesen empfindsamen Menschen, der ihn nicht zurückweisen würde. Seine Antwort bestand darin, sich auf den Schoß des halb aufgerichteten Mannes zu schwingen.

„Zion, was-“, startete der Langhaarige einen halbherzigen Versuch, ihn mit sanfter Gewalt von seinem Schoß zu drücken. Unbeeindruckt davon legte er eine Hand in den Nacken des anderen. „Du bist so schön“, unterbrach er ihn leise und sah die Unsicherheit in seinen Augen aufglimmen. Der Körper unter ihm wurde steif, als die Anspannung zurückkehrte.

„Lass das“, murmelte der unter ihm Liegende und schlug die Augen nieder. Der Druck auf seine Hüfte wurde stärker. „Nein“, entgegnete er und klammerte sich an der fremden Schulter fest. „Zion, ich bitte dich...“, kam es erneut von unten. „Nein“, wiederholte er sich, diesmal eine Spur trotziger. Unnachgiebig hielt er sich an dem anderen fest und spürte, wie dessen Entschlossenheit schwankte. „Du überfällst mich mitten in der Nacht und-“, er unterband den schwachen Protest, indem er seine Arme um den kräftigen Oberkörper schlang. Der andere schnappte hörbar nach Luft.

Erst kam gar nichts. Dann ein leises, flehendes „Zion, ich bitte dich...“. Dann, endlich, löste sich die Anspannung und der Langhaarige ließ sich mit einem tiefen Seufzen zurück auf die Matratze sinken. Auf seinem Rücken fühlte er eine warme, große Hand ruhen. Und als er dem unsicheren Blick und dem scheuen Lächeln begegnete, wusste er, dass er am Ziel angelangt war.

Gedankenverloren blickte er auf den anderen hinab. So viele Jahre hatte es gebraucht. So viel Zeit hatten sie miteinander verbracht. Und schließlich waren sie in trauter Zweisamkeit vereint, als gäbe es sonst niemanden.

Er ließ sich in eine warme Umarmung ziehen, sein Kopf ruhte auf der Brust des anderen. Unruhig hob und senkte sich der mächtige Brustkorb und er konnte das Herz nervös pochen hören. Sanft strich ihm eine Hand durch das rote Haar. Genießend schloss er die Augen. Diese Geborgenheit. Dieses Vertrauen. Das aufgeregte Schlagen des Herzen.

Und dann zersprang es, als er die kühle Klinge an der Kehle ansetzte.
 

Ein Zittern lief durch den großen Körper. Dann begann er zu beben, erst sacht und dann immer stärker, als Andreas bitterlich zu weinen begann.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-09-06T19:23:16+00:00 06.09.2010 21:23
:]

Ich habe den Songtext vorher nicht gelesen und bin daher ganz unbefangen an die Sache ran. Dass es so ähnlich enden wird, kann man sich bereits denken, als Zion den Hund schlafen legt - zumindest ist im Folgenden klar, dass hier etwas nicht stimmt, dass es kein völlig harmloser Besuch bei einem alten Freund sein kann, denn für sowas müsste man den Hund nicht ausschalten. Danach gerät man jedoch wieder in Zweifel, da das alles so 'sanft' vonstatten geht, Zion in positiven Erinnerungen an Andreas und das Haus schwelgt und die Zweisamkeit später so ungetrübt genießt. Und dass er dann doch nichts Anderes tut, als dem Anderen das Messer an den Hals zu setzen, im Moment offensichtlich größter, EIGENER Seligkeit, das ist das Tolle an der Geschichte, denn das ist das wahrhaft psychopathische Moment. Es ist einfach krank. Kein Wort des Hasses, kein Fünkchen Aversion gegen das Opfer, im Gegenteil, Liebe, Verehrung, Bewunderung, Genuss und dann diese Tat (beziehungsweise die Andeutung, da Andreas weint, ist offen, ob Zion nun schneidet), die dem so absolut entgegengesetzt ist, ohne irgendwelche Bedenken, allein aus Krankheit heraus, aus unverbesserlicher Störung. Ich liebe sowas. Ein verdrehter Geist. Ein ultimativer Vertrauensbruch, und er denkt nicht mal ein einziges Wort darüber nach, die ganze Zeit ist in seinem Kopf nur Positives, trotzdem macht diese mordlüsterne Störung einfach, was sie möchte. Ohne jede Reue, jede Empathie, ohne das Gefühl, etwas Falsches zu tun und ohne einen Gedanken an Konsequenzen, ohne einen an Boshaftigkeit. Eben einfach so. Hrhr. Das ist es einfach. Sowas will ich lesen.

Das einzige, was mich verwirrt hat, war die chronologische Abfolge. Die Erinnerungen an das Haus - hat er da mal mit Andreas gewohnt? Davon war in deiner Vorgeschichte nicht die Rede. Ich hatte danach gemeint, sie kannten sich nur aus dem Gefängnis/Gericht.


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