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Götterhauch

Löwenherz Chroniken III
von

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Im Internet

Marc blieb an diesem Abend nicht lange und als er ging, kam es Anthony so vor als wäre ihm irgendetwas äußerst unangenehm. Er warf noch einmal einen skeptischen Blick durch den Raum, ehe er sich verabschiedete, aber Anthony konnte nicht sagen, was ihm nicht gefiel. Ihm kam alles normal vor, so wie eh und je. Alles stand an seinem Platz, einige der Kartons waren sogar noch gar nicht vollständig ausgepackt und außer ihm befand sich auch niemand in der Wohnung, weswegen er sich keine weiteren Gedanken darum machte und es vorzog, seine neuerworbenen Internet-Fähigkeiten auszutesten, indem er erst einmal etwas über das Märchen herausfand aus dem Joels beschworene Monster stammten.

Das erforderte ihn sogar nicht einmal viel Mühe, da es offenbar ein recht berühmtes Märchen war und Marc ihn am Beispiel dieser Erzählung auch den Umgang mit dem Internet beigebracht hatte. Das dazugehörige Bild war genau dasselbe wie jenes auf dem Cover des Buches, weswegen er davon überzeugt war, dass es sich um das richtige handelte und begann zu lesen.
 

Es lebte einst ein junger Mann in einem Dorf in der Nähe einer Klippe. Es hieß, dass eine Hexe bei seiner Geburt einen Fluch auf ihn gelegt hätte, der es ihm unmöglich machte, Schmerzen zu spüren, weswegen keiner der von ihm verängstigten Dorfbewohner sich seiner annahm; mit Ausnahme eines hübschen Mädchens, das ihm Obdach gab und ihn mit Essen versorgte, entgegen des Willens seiner Eltern.

Beide mochten sich sehr, doch stand ihre Beziehung unter keinem guten Stern, denn niemand aus dem Dorf konnte das akzeptieren. Selbst die Drohung, dass sie beide verbannt werden würden, schreckte sie nicht ab. Aber der Mann konnte den Gedanken nicht ertragen, dass seine Liebste ihre Familie nie wiedersehen dürfte, sofern sie bei ihm bliebe und auch die Furcht, dass der Hexenfluch ihr schaden könnte, nagte an seinem Gewissen.

In einer stürmischen Nacht verließ er heimlich das Dorf, in der Hoffnung, dass es ihr ohne ihn besser gehen würde. Alsbald fand er Obdach in der Hütte eines alten Holzfällers mit einem goldenen Herzen, der ihn bei sich aufnahm und ihm alles lehrte, was es über den Wald zu wissen gab. Er verlebte eine schöne Zeit bei dem Mann, aber schon bald quälte ihn die Sehnsucht nach seiner Liebsten und er beschloss, unerkannt ins Dorf zurückzukehren.

Was er dort hörte, ließ allerdings sein Herz schwer werden: Nicht lange nach seiner Abreise, war das Mädchen vor Kummer krank geworden. Um dem Schmerz zu entfliehen, hatte es sich von der nahegelegenen Klippe ins Meer gestürzt.

Von Schuldgefühlen geplagt wollte er seinen Körper ebenfalls dem Ozean übergeben, doch statt zu versinken, wurde er wieder an den Strand gespült. Die Hexe, der er seinen Fluch verdankte, erschien vor ihm und verkündete ihm, dass sie ihn nicht einfach sterben lassen würde. Vorerst sollte er büßen und die Schmerzen, die er dem Mädchen – wenngleich aus einer guten Gesinnung heraus – beigebracht hatte, tausendfach selbst spüren. Würde er diese Pein aushalten, so versprach sie ihm, würde sie nicht nur den Fluch von ihm nehmen, sondern ihm auch seinen sehnlichsten Wunsch nach Glück erfüllen.

Da ihm keine andere Wahl blieb, akzeptierte er diesen Handel und aus den Tiefen des Ozeans stiegen Wesen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Ihre Körper erinnerten an Skorpione, aber an ihren überraschend elastischen Schwänzen waren Dolche angebracht, die vorschossen, um dem Mann tiefe Wunden ins Fleisch zu reißen. Doch durch den Fluch der Hexe war es ihm nicht möglich, Schmerzen zu spüren, so dass er niemals das bekam, was er sich wünschte und selbst am heutigen Tag noch dem Nagen seines schlechten Gewissens ausgesetzt ist.
 

Anthony konnte sich nicht erinnern, jemals ein Märchen gehört zu haben, aber er war sich ziemlich sicher, dass sie meist nicht so abliefen – und sie vor allem gut endeten. Dieses aber schien noch unbeendet als ob derjenige, der es aufgeschrieben hatte, vergessen hatte, dass man es beenden musste oder wie es überhaupt endete. Und es ließ ihn ebenfalls mit Fragen zurück, wobei er sich denken konnte, dass einige von diesen mit logischem Nachdenken zu beantworten wären.

Die meisten der Fragen bezogen sich auf das Märchen selbst. Warum war der Mann bei seiner Geburt mit diesem Fluch belegt worden? Was war mit seinen Eltern geschehen? Und warum war die Hexe derart wütend auf ihn, dass sie nicht einmal zuließ, dass er sich selbst umbrachte?

Auf diese Fragen gab es wohl keine Antwort, immerhin handelte es sich lediglich um ein Märchen, aber es gab auch etwas bezüglich Joel, das er nicht verstand: Wenn diese Wesen den Mann quälen sollten, um ihn büßen zu lassen, warum beschwor der Lehrer sie? Tat er das einfach so oder versteckte sich ein tieferer Sinn dahinter? Litt Joel etwa ebenfalls an einem schlechten Gewissen? War jemand wegen ihm gestorben?

Warum müssen sich immer so viele Fragen auftun, wenn ich Antworten suche? Kai...

Der Andere schwieg, vermutlich schlief er immer noch und sparte sich seine Kräfte für irgendetwas, das in naher Zukunft kommen würde. Aber es war ohnehin äußerst wahrscheinlich, dass er auch keine Antworten liefern könnte. Er lebte immerhin im Inneren von Anthony und kannte mit Sicherheit auch nicht die Antworten auf alle Geheimnisse dieser Welt, auch wenn er um einiges weiser schien.

Da das Märchen ihm nicht weiterhalf, beschloss er, die Verbindung zwischen Mimikry und den beschworenen Wesen zu suchen – oder es zumindest zu versuchen. Allerdings führte ihn die Suche nach diesen Monstern lediglich zu alten Filmeinträgen oder zu Seiten, die sich mit Biologie beschäftigten. Immerhin lernte er so, dass Mimikry eigentlich ein Begriff war, den man verwendete, wenn Tiere es schafften, Aussehen und Verhalten einer anderen Art zu imitieren. Alexander hatte erwähnt, dass Mimikry sich dem Aussehen von Menschen näherten, dementsprechend wusste er nun, wie sie auf den Namen gekommen waren.

Desinteressiert klickte er sich durch die restlichen Ergebnisse, die alle lediglich auf die biologische Bedeutung eingingen – bis er plötzlich auf einer gänzlich anderen Art von Seite landete.

Der Hintergrund war in einem schlichten Grau gehalten, lediglich ein schwarzes Logo, das entfernt an den Kopf eines Wolfs erinnerte, der gerade sein Maul aufriss und seine Reißzähne bleckte, war ebenfalls noch hinter den Buchstaben zu sehen. Die Worte davor verrieten Anthony, dass man, was auch immer sich dahinter verbarg, Garou Society nannte, GS. Offenbar ein traditionsreiches Unternehmen, das vollmundig von sich behauptete sich um alle Mimikry-Angelegenheiten zu kümmern.

Anthony neigte den Kopf ein wenig. Ihm schien, dass es sich bei diesem GS um einen Söldnerservice handelte, der auf Mimikry spezialisiert war. Sie waren wohl in weitaus mehr Städten als nur Lanchest ein Problem. Aber in dieser Stadt wurden diese Söldner nicht eingesetzt.

Vermutlich, weil die Lanchest Akademie selbst welche ausbildet. Es würde wohl auch ziemlich teuer werden... oder es gibt noch andere Gründe.

Aber es war ihm zu müßig, darüber nachzudenken, deswegen klickte er sich relativ ziellos durch die Seite, in der Hoffnung, noch etwas Interessantes zu finden, wenn diese Leute sich schon derart mit Mimikry auszukennen schienen. Vielleicht sammelten sie ja Wissenswertes über diese Wesen und führten es auf ihrer Seite auf, nur zur Orientierung für mögliche Kunden.

Die Seiten Über uns, gefolgt von Mitarbeiter brachte ihm diesem Ziel zwar nicht näher, aber vielleicht, so glaubte er, würde er dort jemanden finden, der ihm helfen könnte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit eher gering war. In seinem jetzigen Zustand der Ratlosigkeit war ihm allerdings jeder Strohhalm recht, den er finden konnte.

Aber sämtliche Mitarbeiter, die unter Verfügbar standen, kannte er nicht, weder vom Namen noch vom Gesicht – jeder Name war von einem Bild begleitet – und er glaubte auch nicht, dass sich einer von ihnen in der Nähe befand, zumindest kannte er die aufgeführten Wohnorte nicht.

Also ging er weiter zu Aus dem Dienst ausgeschieden, wo er auch fast sofort jemanden erkannte – oder das zumindest glaubte.

Die junge Frau auf dem Bild hatte durchaus Ähnlichkeit mit Alona, lediglich ihr Pony war anders geschnitten und ihre Augen waren golden statt braun, außerdem blickte sie ernst und verbittert drein, was er nicht im Mindesten mit der liebevollen Ehefrau des Direktors in Verbindung bringen konnte. Der Name dazu lautete Alona Leigh und in wesentlich kleineren Buchstaben stand Aus dem Dienst ausgetreten darunter.

Ob er es wagen und sie auf Mimikry ansprechen sollte? Vielleicht, wenn er sie einmal allein antraf.

Er besah sich die anderen Namen und Bilder und hielt schließlich noch einmal überrascht und gleichzeitig verwundert inne.

Er zog an dem schwarzen Haar des Mannes, immer und immer wieder, bis dieser ihm schließlich den Kopf zuwandte. Die blauen Augen blickten besorgt und müde, auch wenn der Mann zu lächeln versuchte. „Was ist los, Tony?“

„Papa, wann gehen wir nach Hause? Es ist langweilig und mir ist kalt.“

„Bald. Versuch zu schlafen. Wenn du aufwachst, werden wir mit Sicherheit schon da sein.“

Undeutliche Bilder vor seinen Augen, begleitet von Stimmen. Eine Erinnerung? Möglicherweise an früher?

Ein leises Pochen hatte sich hinter seiner Stirn ausgebreitet, worauf er sich an diese griff als würde das irgendwie dazu beitragen, dass es ihm wieder besser ging. „Papa...?“

Seine Augen wanderten von dem viel zu vertraut wirkenden Bild zu dem Namen des Mannes.

„Adam... ich glaube, wir kommen so nicht weit.“

Der Mann wandte seine Aufmerksamkeit einer Frau zu, die im Dunkeln zu sitzen schien. „Eve, sei nicht so pessimistisch, wenn Tony dabei ist.“

„Ja, Mama!“, bekräftige er sofort. „Sei nicht pessi... mestetisch!“

Die beiden Erwachsenen sahen ihn verdutzt an, ehe sie leise zu lachen begannen.

Eine weitere Erinnerung, ein Fetzen nur und doch schien er so viele Schatten in seinem Gedächtnis zu lüften, die bislang undurchdringlich gewirkt hatten.

„Mama... Papa...“

Der Name des Mannes war Adam Branch. Wären die Erinnerungsfetzen nicht gewesen, hätte er geglaubt, dass es nur ein Zufall war, doch so war er davon überzeugt, dass dieser Mann wirklich sein Vater war. Aber wo war er nun? Wo könnte er ihn finden?

Unter dem Namen stand MIA. Es schien nicht der Name einer Stadt zu sein, aber was sollte es dann bedeuten?

Noch ein Grund, mit Mrs. Lionheart zu sprechen. Sie weiß es vielleicht, wenn sie auch einmal dazugehört hat.

Vorerst schien ihn die Seite aber auch nicht weiterzubringen. Vor allem fand er nirgends jemanden mit dem Namen Eve.

Seine Konzentration war noch dazu seit dem ersten Erinnerungsfetzen eingebrochen, er hatte das Gefühl, die Buchstaben, die er las, nicht mehr richtig aufnehmen und verarbeiten zu können.

Da es bereits spät geworden war, beschloss er, es gut sein zu lassen und am nächsten Tag mit Alona zu sprechen, auch wenn er versuchte, seine Hoffnung nicht zu sehr in die Höhe zu treiben, damit die Enttäuschung nicht zu groß werden würde, falls sie doch nichts wusste.

Aber vorerst sollte er wirklich ins Bett. Es brachte nichts, wenn er übermüdet oder gar nicht zum Unterricht erschien – außerdem konnte er im Nachhinein direkt mit Alona sprechen, wenn er dort die Kinderstätte fand, wo die Erzieher arbeiteten.

Deswegen schloss er das Browserfenster – wie Marc es genannt hatte – und fuhr auch den PC wieder herunter.

Seine Gedanken drehten sich dabei nach wie vor um diese beiden Menschen, die er nun als seine Eltern identifiziert hatte, nur dass er nach wie vor absolut nichts über sie wusste außer ihre Namen. Nicht einmal das Gesicht seiner Mutter kam ihm in den Sinn, es lag absolut im Dunkeln.

Er lag noch überraschend lange wach und glaubte plötzlich zu verstehen, weswegen Marc sich zuvor so unwohl gefühlt hatte, ehe er gegangen war. Er fühlte sich als würde er beobachtet werden, als wäre er nicht allein – aber wann immer er in die entsprechende Ecke sah in der sein Beobachter stehen musste, entdeckte er niemanden. Erst als er aufstand, um physisch festzustellen, ob dort jemand stand, den er nur nicht sehen konnte, schwand das Gefühl und kehrte auch nicht wieder, so dass er endlich schlafen konnte.

So tief wie er schlief, bemerkte er nicht, dass sich seine Balkontür öffnete und die Vorhänge sich sacht im überraschend warmen Nachtwind bauschten. Schritte näherten sich dem Bett, obwohl niemand zu sehen war, es schien, dass sich jemand über den Schlafenden beugte und ihn neugierig musterte. Ein leises, zufriedenes Lachen erklang und wäre Anthony wach gewesen, hätte er dieses möglicherweise wiedererkannt, auch wenn sich jemand alle Mühe gegeben hatte, seine Erinnerungen diesbezüglich zu unterdrücken.

So aber schlief er einfach weiter, selbst als sein nicht zu sehender Gast die Wohnung wieder genauso verließ, wie er hereingekommen war.

Am nächsten Morgen würde Anthony sich nach dem Aufstehen verwirrt fragen, ob er vergessen hatte die Balkontür zu schließen. Nur um dann mit den Schultern zu zucken, die Tür zu schließen und das zu vergessen, da seine Gedanken sich um ganz andere Themen drehten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2012-09-01T16:31:41+00:00 01.09.2012 18:31
Weeeh *_*
Das war ein schönes Kapitel! Es war herzig, beinahe erfrischend, wie Anthony gelernt hat, sich im Internet zu bewegen. Und das er dann auch noch diesen "Erinnerungsfetzen" hatte... vor allem, das er sich dabei gleich an seine Eltern erinnert.

Ich hoffe, das er eines Tages zu seinen Wurzeln zurückkehren kann und sich alles auflöst. Er tut mir ja schon ein bisschen leid! ⊙﹏⊙
Von:  MarySae
2011-10-12T08:04:45+00:00 12.10.2011 10:04
Ein neues Kapitel! Yay :3

Mein erster Gedanke war: und für dieses Märchen gibt es ein ganzes Buch? xD
Nein, Scherz ^^'
Das Märchen hat mir echt gut gefallen. Da hast du dir was nettes ausgedacht ^^
Auch wenn der arme Kerl mir ziemlich leid tut ._.
Schon mieß, was ihm da passiert ist...

Tony erinnert sich plötzlich wieder an seine Eltern? O.o (Zumindest ein bisschen)
Und Alona war auch in dieser Organisation?
Woah, interessant.
Aber ob sie ihm so einfach was sagt? Warum hat sie sich wohl so verändert? Auf dem Foto schien sie ja noch anders drauf gewesen zu sein, als sie es heute ist.
Ich würde an Tonys Stelle mal vorsichtig nachhaken. Wer weiß, was er damit für alte Wunden aufreißt?

Bin jedenfalls sehr gespannt ^^
lg, Linami

(EDIT: böser rechtschreibfehler ^^' Das erste Kommi nochmal gelöscht, nicht wundern! ^///^)


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