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Qononilut - Die Farben Sterben

Nicht jeder Drache ist ein Norbert!
von

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Jahr 4, Kapitel 3: Der Name


 

Vorwort

Da ich hier nicht sehe, wie beliebt die Geschichte ist, weiß ich jetzt nicht, ob ich jemanden mit dem verspäteten Upload hab warten lassen. Falls ja, tut es mir sehr leid, aber ohne Rückmeldung weiß ich hier nicht, ob meine Geschichte gefällt D: Pardon.

Tatsache ist, dass eben Kapitel fünf vollendet wurde und ich mich mit dem Uploaden beeile. Mehr bleibt mir momentan nicht zu sagen, ich wünsche viel Vergnügen beim Lesen.
 


 

Qononilut – Die Farben Sterben

Jahr vier: Die Kammer des Schreckens

- Kapitel 3 -

Der Name
 

In einem zarten Aprikot lugte die Sonne an diesem zweiten September über den von Berggipfeln durchbohrten Horizont, der Hogwarts und seine Ländereien vom Rest der Welt abschirmte. Nebelschleier hingen zerrissen und dunstig über dem taunassen Gras, dessen Bewohner zu so früher Stunde noch viel zu träge waren, um die saftig grünen Halme zum Rascheln zu bringen.

An einem gewöhnlichen zweiten September, wie dem im Jahr zuvor, wäre Ruby um diese Uhrzeit vielleicht aus dem Bett geschlüpft und hätte sich in Windeseile für den Tag vorbereitet, um noch vor dem Unterricht einen kleinen Abstecher auf die Wiesen und in den Wald zu machen.

Da dies aber kein gewöhnlicher Septembertag war, lagen sämtliche Viertklässler Gryffindors genau dort, wo man nach einem bombastischen Festmahl am liebsten ist: In einem warmen, weichen Bett. Aber nicht nur die.

Rubys Drache lag unverändert in seinem Drachenkörbchen, die geschlossenen Augen auf seine Ziehmutter gerichtet und den Schwanz mit dem schwarzen Kamm um den Körper geschlungen. Satt und zufrieden, wie die beiden Bettgenossen waren, ließen sie sich nicht im Geringsten von der alltäglichen Faszination, die einem Sonnenaufgang eigen ist, aus der Ruhe bringen. Und das wäre sicher auch bis zum entscheidenden Weckerklingeln so geblieben, hätte nicht ein besonders frecher Sonnenstrahl beschlossen, sich durch einen Spalt in den schweren Samtvorhängen zu schleichen und den Staub zu ein wenig Morgengymnastik zu bewegen. Die Vorstellung wurde mit einem abrupten Niesen beendet, das der dreiste Sonnenstrahl dem kleinen Drachenkind entlockte. Verschlafen blinzelte es und blähte die Nüstern, um das lästige Kitzeln loszuwerden. Nun erst einmal wach, gähnte es ausgiebig und richtete sich auf, um zuerst die Vorderbeine und dann die Hinterbeine bis in die winzigen Krallen zu recken und zu strecken. Der freche Sonnenstrahl erleuchtete mittlerweile einen schmalen Streifen, der ungerechterweise genau das Gesicht unseres Drachen teilte und ihn unangenehm blendete, nicht zuletzt dank der scharfen Drachenaugen, die alles viel kotrastreicher und gestochener sehen, als unsere es tun. Der arme kleine Drache, durch die feiste Sonne nun endgültig zum Aufstehen gezwungen, krabbelte aus der Öffnung seines flauschigen Körbchens und bahnte sich seinen Weg über Rubys ausgestreckte Gliedmaßen bis zu ihrem Kopf, der leise schnarchend zwischen zwei Kopfkissen vergraben lag. Diese Kissen waren dem Kleinen wirklich ein Dorn im Auge, immerhin war er nun wach und das Mädchen mit dem Essen schlief und bemerkte ihn nicht, weil es genau genommen nichts außer ihrem Laken hätte sehen können, würde es die Augen aufschlagen. Kurzerhand packte er eine Ecke des oberen Kissens mit seinen nadelspitzen Fängen und zerrte es weg vom Gesicht seiner Ziehmutter. Mit einem Seufzen drehte sie den Kopf, schlief aber weiter tief und fest. Empört fauchte ihr Zögling und ehe Ruby sich versah oder auch nur die Augen öffnen konnte, hatten sich die spitzen Zähne in ihrem Fleisch versenkt. Erschrocken riss sie die Augen auf, zu ihrem Glück, denn so sah sie den winzigen blauen Drachen am anderen Ende ihrer Nase hängen und konnte es vermeiden, sämtliche Schlafsäle mit einem Schrei zu wecken. Mit Daumen und Zeigefinger klappte sie die Kiefer des Kurzschnäuzlers auseinander und befreite sich, bevor sie den Schaden betastete und ihr Drachenkind strafend anblickte.

„Das fandest du lustig, was?“, murrte Ruby, als der Zwerg vergnügt krähte und seine Flügel ein wenig aufspannte. Tatsächlich waren diese erstaunlich groß, viel größer noch, als sie es gestern Morgen vor der Abfahrt nach King’s Cross gewesen waren.

„Sag mal, bist du gewachsen?“, fragte sie, und der Drache stieß erneut ein runzliges Krächzen aus, seine Regenbogenaugen glühten in der Morgensonne und blickten schelmisch zu ihr auf. Lächelnd schüttelte sie den Kopf. „Und das kannst du nicht verschieben, bis ich dich allein im Wald lassen kann?“ Zu ihrer Verwunderung schüttelte er den Kopf. Sie seufzte ergeben. „Dann muss ich dich wohl oder übel bei Hagrid lassen, was?“ Diesmal erhielt sie keine Antwort, nur die Trinkflasche wurde mit einem begehrenden Blick taxiert.

Eine große Portion Kamillenmilch später verschwand Ruby im Bad, um sich fertig zu machen. Ihr Schützling machte seinen antipodischen Vorfahren alle Ehre und blieb ruhig auf ihrem Bett liegen, ohne die Anderen zu wecken oder sich selbst zu verraten. Zwar glaubte Ruby nicht, dass eines der Mädchen große Angst vor ihrem Drachenjungen haben könnte, aber das war es nun mal. Es war ihr Drache. Sie hatte ihn doch ausgebrütet. Also sollte vorerst auch nur sie allein von seiner Existenz wissen.

Womit wir bei der nächsten Frage wären, dachte Ruby. Ist es überhaupt ein Er? Ein weiterer Grund, heute Abend Hagrid aufzusuchen.

Sie zog sich an und verfrachtete den Drachen in sein Körbchen, dessen Tür sie vorsichtshalber verschloss. Als ihre Mitschülerinnen aufwachten, saß sie schon beim Frühstück, schlang einige Toasts herunter und schmuggelte gleichzeitig so viel Schonkost wie möglich unter ihren Umhang. Am Porträtloch passten Alicia und Angelina sie ab, doch Ruby stammelte nur etwas von vergessenen Unterlagen und hetzte hinauf zu ihrem Drachen, um nicht wegen seines Frühstücks zu spät zu ihrer ersten Stunde heute zu kommen. Auf dem Weg die Treppe herunter kramte sie den Stundenplan, der ihr am Haustisch ausgeteilt worden war, hervor. Verwandlung. Na wunderbar.
 

Professor McGonagall begann die Stunde mit einem kurzen Vortrag über die ZAGs, die sie schon im nächsten Schuljahr bestehen mussten, bevor sie eine lange und knifflige Definition an der Tafel erscheinen ließ. Nachdem sie diese abgeschrieben hatten, wurde jedem Schüler ein Igel zugeteilt, den es in ein Nadelkissen zu verwandeln galt.

Ob es nun an ihren Hemmungen, einen Igel einfach zu verwandeln, oder aber an dem kniffligen Spruch lag: Am Ende der Doppelstunde war ihr Igel rosa und flauschig, aber definitiv kein Nadelkissen. Besonders die Weasley-Zwillinge hatten noch weniger zustande gebracht, und trotzdem bekamen sie am Ende der Doppelstunde allesamt einen Berg Hausaufgaben und mussten zusätzlich den Spruch üben.

Nach einer erholsamen Stunde Geschichte der Zauberei hechtete Ruby in die große Halle zum Mittagessen. Sie war sofort nach dem Klingeln aus dem Klassenzimmer gestürmt und somit eine der Ersten, die sich am langen Haustisch der Gryffindors die Teller beluden. Wie üblich gab es Massen an Hähnchenschenkeln, und zwischen zwei Bissen Bratkartoffeln stopfte sie sich so viele wie ungesehen möglich in die Tasche. Als ihre Klassenkameraden sich schließlich ebenfalls am Tisch niederließen, leerte sie schon ihren Teller, schnappte sich noch ein paar Scheiben Brot und flitzte durch die hungrigen Massen hinauf zum Gryffindor-Turm

Eins steht fest, keuchte sie in Gedanken, als sie mit schmerzenden Seiten vor der fetten Dame zum Stehen kam und das Passwort nannte, länger als eine Woche halte ich das so nicht durch.

Ihr Drachenkind hatte die Stunden ohne Ruby damit verbracht, eines ihrer Kopfkissen zu zerfetzen und es mit einem großen Haufen zu krönen. Außerdem schien es erneut einige Zentimeter gewachsen zu sein. Sie ließ den Haufen verschwinden und beschwor eine große Schüssel herauf, in die sie die in eine Serviette gehüllten Schenkel und das Brot leerte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass sie noch zwanzig Minuten hatte, bis Pflege magischer Geschöpfe begann, also mischte sie noch eine große Portion Kamillenmilch in eine weitere große Schüssel. Das Drachenkind sah nicht von den Schenkeln auf, schmatzte aber zufrieden und wedelte kurz mit seinem Schwanz, bevor es mit einem lauten Knacken einen Knochen entzwei brach und diesen verschlang. Ruby reparierte noch ihr Kissen, bevor sie die Umhänge schloss und ein wenig entspannter nach unten ging.
 

Die überdurchschnittlich große Holztür öffnete sich und ein strahlender Hagrid erschien im Türspalt.

„Hab mir schon gedacht, dass du’s bist, Ruby“, polterte er und ließ sie ein. Fang schoss von seinem Platz unter dem mächtigen Holztisch hervor und tollte um sie herum, wobei er ihr und sich selbst vor Freude auf die Füße trat. Hagrid stellte einen weiteren Becher Tee auf den Tisch und Ruby setzte sich, Fangs sabbernden Kopf auf dem Schoß.

„Un’, schöne Ferien gehabt?“, fragte Hagrid, während er ihr seine berüchtigten Kekse anbot.

„Nicht schlecht“, antwortete sie, tunkte den Keks in ihren Tee und biss unter großer Mühe ein Stück ab. „Hagrid, ich muss dir was erzählen.“

„Nur zu“, brummte er freundlich und lehnte sich zurück. Sich Hagrid anzuvertrauen, war für Ruby die einzig richtige Lösung. Professor Kesselbrand, ihr Lehrer für Pflege magischer Geschöpfe, wäre zwar zweifellos beeindruckt gewesen, aber er hätte es allein gesetzestechnisch Professor Dumbledore und dem Zaubereiministerium verraten müssen. Hagrid würde dicht halten, so viel war klar.

„Du weißt doch, dass meine Mutter- übrigens, hier sind noch Salben, die ich dir mitbringen sollte“, unterbracht sie sich und holte aus der vorderen Tasche ihres Rucksacks die sorgfältig eingewickelten Gefäße und Tuben. Während Hagrid sie freudig inspizierte, erzählte sie weiter: „Jedenfalls bekommt meine Mutter die Schalen der Dracheneier aus Rumänien, und vor einigen Wochen hat der Lieferant auch ein Drachenei mitgebracht.“ Hagrid blickte von einer Hufsalbe für Thestrale auf und seine buschigen Augenbrauen hoben sich. Fang hinter den Ohren kraulend, fuhr sie fort.

„Mum meinte, dass die Forscher das Ei für tot oder unbefruchtet hielten, also haben sie es ihr verkauft, mit unbefruchteten Eiern ist das Gesetz nicht so streng.“ Sie machte eine kurze Pause und hob ihren Rucksack auf den Schoß, sodass Fang empört grunzte. „Jedenfalls habe ich das Ei bekommen, und es ist geschlüpft.“ Ruby zog den Rucksack auf und der kleine Drache erschien in der Öffnung; er krähte empört, als würde es ihm ganz und gar nicht gefallen, ständig in einem Rucksack zu wohnen. Hagrid stieß einen überraschten Laut aus und beugte sich über den Tisch, um den Drachen genauer zu betrachten. Der Kleine fauchte und schnappte gereizt nach ihm.

„Himmel, das is’ ja mal ’n Prachtbursche!“, rief er und störte sich gar nicht an den kleinen Zähnen, die seinen Finger umklammerten und sich in sein Fleisch bohrten. „Welche Rasse? Ich würd’ ja sagen, Kurzschnäuzler, aber die Augen sin’ nich grau.“

„Dem Ei nach schon Kurzschnäuzler“, antwortete sie und wich den Spitzen Dornen an den Flügeln aus, „aber die Augen sind vom Opalauge, nur mit Pupille.“ Das Drachenjunge beruhigte sich allmählich und ließ sich sogar von Hagrid den Kopf tätscheln. Fang war auf Hagrids Seite des Tisches geflüchtet und äugte misstrauisch zu Ruby und ihrem Zögling hoch. Hagrid indes kriegte sich gar nicht mehr ein und lamentierte über diese und jene Drachenweisheit, bis Ruby sich räusperte.

„Hagrid, eigentlich hab ich ihn hergebracht, weil ich ihn nicht oben im Schlafsaal lassen kann. Er wächst zu schnell, und wie zahm er auch sein mag, ein Haustier ist er eben nicht.“ Hagrids Blick verdüsterte sich.

„So gern ich ihn nehm’ würd, ich kann nich, Ruby. Letztes Jahr mit Norbert“, sein Blick wurde liebevoll und er tätschelte den Drachen, „da bin ich schon haarscharf an ’ner Katastrophe vorbeigeschrammt.“

„Aber Norbert war auch ein zickiger Stachelbuckel!“, erwiderte sie. „Ihm konnte man nicht einmal gefahrlos den Rücken zukehren, meinen Drachen kannst du streicheln!“ Hagrid seufzte. Er schwieg und betrachtete das Drachenkind, das sich die Zeit damit vertrieb, abwechselnd Fang anzuknurren und Ruby anzustupsen. Tatsächlich war der Kleine sehr zahm im Vergleich zu Norbert. Ruby wusste um den inneren Kampf, den Hagrid ausfocht, und sie ließ ihren Drachen auch nicht gerne bei ihm, wo ein illegal ausgebrütetes Drachenei schwere Strafen mit sich ziehen konnte, aber bis er fähig war, allein im Wald zu leben, musste er irgendwo untergebracht werden, wo er nicht jeden Moment von arglosen Schülern entdeckt werden konnte. Schließlich seufzte Hagrid resigniert. „Kannst ihn ja schlecht im Schloss lassen, hm?“ Ruby strahlte.

„Danke, Hagrid“, sagte sie und lächelte ihn an, bevor sie das Drachenkind aus dem Rucksack befreite und auf den Tisch setze. Der Drache blökte entsetzt und flüchtete sich wieder zu Ruby, wo er einige Minuten sitzen blieb, bis die Neugierde siegte und er Fang, der dem Kleinen bloß nicht zu nahe kommen wollte, durch die ganze Hütte verfolgte.

„Eigentlich soll man den Jungen Ziegenmilch vermischt mit einem Sud aus Bergenienwurzeln geben, aber Kuhmilch und Kamillentee haben sich bis jetzt bewährt. Außerdem frisst er schon Fleisch und Brot“, erklärte Ruby, während ihr Schützling einen von Hagrids riesigen Stiefeln quer durch den Raum schleifte. Hagrid gluckste bei dem Anblick. „Un’, wie haste ihn genannt?“

„Äh- über einen Namen hab ich mir, ehrlich gesagt, noch keine Gedanken gemacht“, gab sie zu. „Ich weiß nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.“

„’n Männchen“, brummte Hagrid, nachdem er den kleinen Kerl einfach am Schwanz hochgehoben und sich vergewissert hatte. Der Drachenjunge flüchtete sich beleidigt unter das riesige Bett. Fang ließ sich wieder zu Rubys Füßen nieder, den Blick ununterbrochen auf den Kleinen unter dem Bett gerichtet. Ruby sah auf die Uhr. „Gleich ist Nachtruhe, ich muss dann.“ Sie verabschiedete sich von Hagrid, Fang und dem Drachen, der sie nur äußerst widerwillig gehen ließ und stolperte über die im Dämmerlicht glutrot schimmernden Ländereien hinauf zum Schlossportal.
 

Der nächste Tag war ein Freitag. Ohne das Drachenbaby in ihrem Himmelbett war Ruby gleich viel entspannter und konzentrierter. In Zauberkunst schaffte sie den Verscheuchezauber nach dem fünften Anlauf, und nachdem sie Fred und George Weasley den Dreh verraten hatte, sah sie den beiden zu, wie sie Montague Sachen gegen den Kopf fliegen ließen. Ihr Nadelkissen war immer noch igelförmig, allerdings hörte es auf, sich zusammenzurollen, sobald man es berührte, und so musste sie nur fünf statt zehn Zoll Pergament über die Unterschiede beim Verwandeln von Säugetieren und Reptilien schreiben. Der krönende Abschluss nach zwei Stunden Dösen waren die fünfzehn Punkte für Gryffindor, die sie für die Aufzählung aller Verwendungsarten von Kupferglöckchen bekam.

Als die Glocke das Ende des Schultages ankündigte, packte sie ihre Sachen zusammen, klopfte sich die Erde vom Umhang und ging hinter Alicia und Angelina in die große Halle zum Abendessen. Da das Wochenende bevorstand, hatte sie eine Stunde länger, bis sie im Gemeinschaftsraum sein musste; Ruby besuchte Hagrid und ihren Drachen, der sich prächtig amüsierte, und stapfte dann nach oben in die Bibliothek. Der Aufsatz für Verwandlung und die Zusammenfassung für Geschichte der Zauberei waren schnell geschrieben, was sich von Kräuterkunde und Pflege magischer Geschöpfe nicht sagen ließ. Nachdem sie die letzte Eigenschaft des Erumpenten aufgeschrieben hatte, ging Ruby in die Abteilung für Magische Geschöpfe; vielleicht gab es ja ein Buch mit schönen Drachennamen. Tatsächlich fand sie in einem der oberen Regale Drachenlegenden des Neunzehnten Jahrhunderts, zog es heraus und liess sich an einem Tisch nieder. Gedankenverloren blätterte sie durch das Kapitel über Rasputin, das Rumänische Langhorn, als Fred und George Weasley sich ihr gegenüber an den Tisch setzten und sie so lange anstarrten, bis sie aufsah und ihre Hausaufgaben über den Tisch reichte.

„Danke“, sagten sie unisono, während Fred (zumindest glaubte sie, dass es Fred war) die Verwandlungs-Hausaufgabe ausbreitete und George die Überschrift des Kräuterkunde-Aufsatzes auf einem frischen Bogen Pergament unterstrich. Ruby zuckte die Schultern und blätterte weiter zu Chin Lao dem Chinesischen Feuerball, der sich als erster Drache der östlichen Hemisphäre hatte reiten lassen, bevor er seinen Reiter verschlang.

„Was suchst du?“, fragte George. Ruby sah auf.

„Einen Namen.“

„Wofür?“, kam es unisono.

„Nichts Bestimmtes. Wie ist Sven?“

„Bescheuert. Wofür?“, hakte Fred nach und legte den Verwandlungsaufsatz beiseite, um sich Geschichte der Zauberei zu widmen.

„Nichts, das für dich von irgendeinem Interesse wäre. Außerdem, ihr müsst in Verwandlung doppelt so viel schreiben wie ich, schon vergessen?“ Fred zog eine Grimasse.

„Aber wir haben morgen Quidditchtraining!“, jammerte er und sein Bruder nickte bestätigend. „Ruby, kannst du nicht- “

„Niemals. Ich lass euch schon ständig abschreiben. Was ist mit Henk?“ George schnaubte.

„Da hört sich Hector ja besser an, und so heißt unser schizophrener Onkel. Komm schon Ruby, du hast auch was gut bei uns!“

„Hätte ich eigentlich sowieso schon. Hm, aber Hector klingt wirklich nicht schlecht. Hey, so hieß der größte skandinavische Flugdrache.“

„Warum suchst du ausgerechnet in einem Drachenbuch nach Namen?“ Fred hatte ihr das Buch weggezogen und es gegen seinen halbfertigen Aufsatz getauscht.

„Wenn du aufhörst du fragen, schreib ich dir die andere Hälfte“, brummte sie und versuchte, ihr Buch zurück zu bekommen, aber die Zwillinge ignorierten sie.

„Hey George, der griechische Greifdrache mit der größten Flügelspannweite hieß Georgus!“

„Zeig her!“

„Georgus bedeutet Bauer, aber das verrate ich euch nicht.“ Ruby sammelte ihre Hausaufgaben ein und verstaute sie, dann langte sie nach dem Buch, aber Fred hielt es hoch und machte es so unerreichbar für kleine Menschen wie sie. Entnervt seufzte sie.

„Also, so wie ich das sehe, hast du zwei Möglichkeiten, Ruby: Entweder du schreibst uns die zweite Hälfte des Aufsatzes und wir geben dir das Buch wieder und fragen nicht weiter nach, oder du lässt es bleiben, wir leihen uns das Buch aus damit du es nicht kriegst und löchern dich morgen mit Fragen.“ Fred und George grinsten sie identisch an.

„Und so wie ich das sehe, hört ihr jetzt auf, solche Freundschaftsdienste von mir zu erpressen, sonst schleich ich mich in euren Saal, wenn ihr schlaft und hex euch die Sinne durcheinander“, schnappte sie, stand auf und ließ die beiden mitsamt Buch zurück. Fred und George schwiegen einige Zeit, dann seufzte George und räumte die Sachen zusammen. Fred jedoch blieb regungslos und schaute auf das Buch in seinen Händen, dann grinste er.

„Was heckst du aus, Bruderherz?“, fragte George mit erwartungsvollem Grinsen. Fred wandte sich ihm zu.

„Die gute Ruby verheimlicht uns was, und ich wüsste einfach zu gern, was das ist.“ Er warf einen letzten entnervten Blick auf seinen halbfertigen Aufsatz, bevor er ihn in seine Tasche stopfte und das Buch über Drachenlegenden bei Madam Pince auslieh.
 

Im Schulstress verflogen die Tage, und bald war Rubys Drachenkind knapp vier Wochen alt und etwas größer als ein Motorroller. Hagrid, der ihn beim besten Willen nicht mehr in seiner Hütte versorgen konnte, brachte ihn schweren Herzens in den Verbotenen Wald. Anfangs jammerte der junge Drache, doch er gewöhnte sich schnell ein, vor allem, da ihn Ruby beinahe täglich besuchte.

So auch an einem stürmischen Samstagmorgen. Gerade wollte sie in den Wald hinein, als Hagrid aus einer nahen Baumgruppe trat.

„Moin, Ruby! Ihm geht’s prächtig, hält die Knarle ziemlich auf Trab.“ Ruby grinste und trat näher zu Hagrid. Er beugte sich zu ihr hinunter. „Haste dir eigentlich schon ’n Namen überlegt?“

„Jaah“, antwortete sie; die Sache mit dem Namen hatte sie über die vielen Hausaufgaben komplett verdrängt. Außerdem hatte Fred immer noch das Buch, fiel es ihr siedend heiß wieder ein. „Ich wollte was Nordisches nehmen, aber das klang alles recht bescheiden. Was hältst du von Hector?“

„Mmh, nich schlecht. Wette, der gefällt ihm. Also, wir seh’n uns“, grunzte Hagrid. Er ging zurück zu seiner Hütte, während Ruby mit einer großen Tasche voller Reste, die sie den Hauselfen abgenommen hatte, durch die Bäume zu der Lichtung stapfte, auf der sie ihren Drachen versteckt hatten. Es war nicht weit, aber sie nahm jeden Tag einen anderen Weg, um keine Trampelpfade zu hinterlassen und neugierige Nasen (wie etwa die Weasley-Zwillinge) in den Wald zu locken.

Ihr Drache brummte schon freudig, als sie sich noch durch den letzten Wildbeerenstrauch kämpfte.

„Morgen, Hector“, rief sie und beobachtete, wie er auf den Namen reagierte. Er wiegte den Kopf hin und her und ließ sie nicht aus den Augen. Eilig trat sie näher und löste das lange Tau, mit dem er vorsichtshalber festgemacht war, wenn weder sie noch Hagrid bei ihm waren. Freudig reckte er die riesigen Flügel und trabte eine eilige Runde um sie herum, bevor er sich erwartungsvoll auf die Hinterbeine plumpsen ließ und die Tasche fixierte. Es war eine lange Prozedur gewesen, ihm das Jagen und Fangen anzugewöhnen, statt aus dem Napf zu fressen, doch er hatte recht schnell begriffen und seitdem warf sie ihm sein Frühstück Happenweise zu, um seine Reflexe zu trainieren. Hin und wieder durfte er auch Hagrid begleiten und riss das eine oder andere Wild, aber er bevorzugte Rubys Mitbringsel, und das war in Ordnung, solange es nicht zur Gewohnheit wurde. Denn irgendwann, dachte sie traurig und warf ein großes Stück Schwein in seinen Schlund, werde ich ihn wohl hergeben müssen, und dann muss er sich allein versorgen können.

Die Tasche war schnell geleert und ihr Zögling rülpste zufrieden, bevor er sich genüsslich auf dem Boden ausstreckte, die Regenbogenaugen unverwandt auf Ruby gerichtet. Vorsichtig trat sie näher. Sie vertraute ihm, aber jeder Ratgeber warnte vor der Pubertät, die ab dem ersten Monat eintrat und schlimmstenfalls bis zur Vollendung des ersten Lebensjahrs andauern konnte. Wutanfälle und grobe Raufereien waren nun nicht mehr auszuschließen. Sie ließ sich neben ihrem Drachen ins spärliche Gras fallen und er drehte den Kopf zu ihr.

„Wie gefällt dir der Name Hector, mein Junge? Gibst du dich damit zufrieden?“, fragte sie leise und kraulte die raue, schuppige Haut an seinen Wangen. Er brummte wieder und schloss die Augen ein wenig, bevor er sie anblinzelte und sich mit der gespaltenen Zunge über die Nüstern leckte.

„Ich deute das als ein Ja. Also gut, Hector.“

Hector gähnte und legte das spitze Kinn auf ihren Oberschenkel, damit sie an die Hornauswüchse an seinem Hinterkopf kam, die ihn schrecklich juckten. Vorsichtig kratzte sie über die eng liegenden Schuppen, die im Dämmerlicht des Waldes grau schimmerten. Einzelne Sonnenstrahlen brachen sich hier und da auf den feinen Hornplatten, die sein Gesicht bedeckten und strahlten mit seinen Iriden um die Wette. Hector gähnte wieder und entblößte dabei seine mittlerweile messerlangen Zähne, die feucht glänzten und vor tödlicher Präzision nur so strotzten.

„Eigentlich ist es schon merkwürdig, nicht?“, sagte Ruby in die Stille hinein. Hector hörte auf zu brummen und öffnete ein Auge als Zeichen, dass er ihr zuhörte. „Normalerweise würdest du mich schon in diesem Alter töten und fressen können, stattdessen füttere ich dich mit Hühnchen und kratze dir die juckenden Schuppen.“ Er stieß einen kehligen Laut aus. Ruby beendete die Schuppenpflege und lehnte sich zurück. „Und normalerweise verstehen einen die Tiere auch nicht so genau.“ Hector brummte wieder. Eine Bö fand ihren Weg durch die dichten Bäume und ließ Rubys rostfarbenes Haar hoch wehen wie die Blätter um sie herum. Auf den Wiesen hätte sie gefroren, doch hier neben Hector war es mollig warm, auch, wenn er noch kein Feuer speien konnte. Sie seufzte und ihr Drachenkind antwortete mit einem lauten Schnaufen. Sie richtete sich wieder auf und strich abwesend über Hectors langen Kopf. Er hatte starke Ähnlichkeit mit einem Pferdekopf, gemischt mit dem eines Krokodils, nur dass dort, wo die Ohren hätten sein müssen, dunkelblau glänzende Hörner schräg in die Höhe wuchsen. Sie waren mit Abstand das am langsamsten wachsende Körperteil. Die Fläche seiner Flügel hatte sich mehr als verfünffacht und würde noch weiter wachsen; seine Beine waren fast so lang wie ihre Arme, und der zackige schwarze Kamm, der sich seine Wirbelsäule entlang zog, war so breit wie ihre Hand. Nur die Hörner waren, bei seiner Geburt noch stumpfe kleine Knubbel, etwa fünf Zentimeter gewachsen und spitzer geworden. Sie strich über das warme, glatte Horn und fühlte das Blut pulsieren. Stolz musterte sie den kräftigen Hals, der in einen kompakten, muskulösen, aber schlanken Körper überging. Der Kamm unterbrach sich an seinem Genick, seinem Widerrist und der Hüfte.

„Glaubst du irgendwann könnte ich dich reiten?“, fragte sie Hector leise. Er schielte zu ihr hinauf und lies ein Krähen hören, das nun viel dumpfer und grollender klang. Schließlich hob er den Kopf, um sich ausgiebig mit einem großen Hinterlauf zu kratzen. Die dunklen Klauen kratzten hörbar über die Schuppen, während er zufrieden grunzte. Plötzlich sprang er auf und schüttelte sich heftig, bevor er zur anderen Seite der Lichtung trottete und sich dort niederließ. Ein wenig enttäuscht stand Ruby ebenfalls auf und befestigte das Tau wieder an Hectors provisorischem Halsband, das einst einem von Fluffys Köpfen gehört hatte. Fluffy selbst war in Griechenland, wo ihm ein passionierter Züchter ein artgerechtes Zuhause bot.

Sie winkte Hector noch, doch er sah nicht hin. Nun geht es wohl los mit der Pubertät, dachte Ruby, als sie sich den Weg zurück zum Schlossgelände bahnte. Ein zwölf Zoll langer Aufsatz über Gift- und Schimmelpilze und ihr Gebrauch bei Heiltränken wartete auf sie; und, aber das wusste sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, zwei sehr neugierige Rotschöpfe.



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