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All Hallow's Love

Eine Halloween-Story
von

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2009

Have you ever thought about what protects our hearts?

Just a cage of rib bones and other various parts

So it's fairly simple to cut right through the mess,

And to stop the muscle that makes us confess

And we are so fragile; and our cracking bones make noise,

And we are just breakable, breakable, breakable girls and boys

Ingrid Michaelson, “Breakable”
 

Beltane.

Es war eigentlich kein Anlass, um Geschenke zu machen, schließlich hatte niemand wirklich Geburtstag an jenem Tag, aber… Fye glaubte, dass er etwas gutzumachen hatte. In dem halben Jahr zwischen dem letzten Beltane-Fest und Samhain – jener Zeitraum, den er ganz und gar in der Menschenwelt verbracht hatte – hatte er herausgefunden, dass Sterbliche den Tag feierten, an dem sie geboren worden waren. Oder, in Kuroganes Fall, der Tag an dem er als Neugeborenes in das Waisenhaus kam. Zwar hatte Fye niemand erklären können warum man diesen Tag so feierte (indem man sich von geliebten Menschen beschenken ließ und sie im Gegenzug beköstigte), aber er hatte die starke Vermutung, dass es daran lag, dass sie so zerbrechlich waren. Dass die Geschenke ein Weg waren zu zeigen, dass man sich freute, dass das Geburtstagskind noch am Leben war. Oder dass man sich freute, dass dieser spezielle Mensch überhaupt erst geboren worden war.

Da Fye selbst nicht recht wusste, wann er geboren worden war, konnte er seinen Geburtstag natürlich nicht feiern. Das machte ihm nichts aus, er wollte keine Geschenke. (Außer vielleicht etwas Süßes hin und wieder, aber dazu brauchte man keinen Geburtstag, nicht?)

Er wollte beschenken.

Er wollte einen besonderen Jemand beschenken um genau zu sein, auch wenn dieser Jemand zu der seltenen Sorte Sterblicher gehörte, die keine Geschenke zu ihrem Geburtstag wollten. Nicht, dass Fye jemals Kuroganes Zustimmung für etwas gebraucht hätte; wenn es um den Schwarzhaarigen ging, tat der Dannan immer genau das, was er wollte. Nichtsdestotrotz blieb ein Problem: Was sollte er schenken? Er hatte kein Geld – in der Zeit, in der er in der Menschenwelt lebte, wohnte er bei seinem grummeligen Freund und arbeitete unentgeltlich für das Waisenhaus. Außerdem sollte es etwas sein, das persönlich war und über das sich der zu Beschenkende auch freuen würde. Es musste also etwas nützliches sein, schließlich hasste Kurogane nutzlose Dinge.

Und so beschloss Fye, ihm Ingrid zu schenken.

Er köderte sie mit verwirrten Gedanken, fing sie an der dunkelsten Stelle der Anderswelt und überreichte sie an Beltane mit einem Gefühl, dass er noch nie so stark empfunden hatte: Stolz. Das sich fast zu groß für seine schlanke Gestalt anfühlte.

„Alles Gute nachträglich zum Geburtstag!“, jubelte er, als er dem Größeren Ingrid in ihrem gläsernen Gefängnis überreichte; ein Einmachglas, das einst Marmelade beherbergt hatte. Anstatt des Metalldeckels wurde es nun mit einem rot-weiß-karierten Tuch abgedeckt, das mit einem schwarzen Schleifenband fixiert worden war.

Kurogane hob fragend eine Augenbraue ob des Objektes, das ihm da gereicht wurde. Aber er beschwerte sich nicht, dass sein Geburtstag ganze neun Monate zurück lag oder dass er gar kein Geschenk gewollt hatte und das war – wie Fye persönlich fand – schon eine deutliche Verbesserung im Benehmen des Anderen.

„Was zur Hölle ist das?“

Okay, so viel zum Thema Verbesserung.

„Das ist Ingrid. Sie ist ein Irrlicht.“

Blutrote Augen wurden zu einem zweifelnden Starren verengt, als der Ältere das wabernde grünlich schimmernde Etwas musterte, das mehr Ähnlichkeit mit Nebel hatte als mit einem Licht. „Und wozu ist so ein Irrlicht gut?“

Der Blonde stellte das Marmeladenglas auf die nächstbeste Parkbank und fuhr sich dann durch die Haare. „Na ja, meistens führen sie Wanderer in sumpfigen Gegenden in die Irre, bis sie im Morast versinken und ertrinken.“

„Du willst mich also umbringen.“

„Jetzt unterbrich mich doch nicht Kuro-sama!“, schimpfte Fye und erklärte dann weiter: „Ingrid ist etwas besonderes, weil sie aus der Anderswelt ist. Wenn ein Dannan ein Irrlicht wie sie einfängt und es in die Menschenwelt bringt, dann ist es durch einen Zauber in dieser Welt so lange gefangen, bis es von dem wieder frei gesprochen wurde, der es hierher gebracht hat. Ein solches Irrlicht wird also, egal, wo es ist, auf dem schnellsten Wege denjenigen suchen, der es hierher gebracht hat.“

Er wartete. Musterte Kurogane um zu sehen, ob der verstand, worauf er hinaus wollte. Der Schwarzhaarige verschränkte die Arme und sagte: „Wer sagt, dass ich dich suchen würde, wenn du verloren gehst?“

Fye warf die Arme in die Luft und rief aus: „Bitte! Dann eben nicht. Weißt du was, vergiss es einfach.“ Und schmollend wollte er auf dem Absatz kehrt machen um den unsensiblen Trottel einfach stehen zu lassen, als er (ebenfalls nicht gerade sensibel) am Arm fest gehalten und zurück gezogen wurde. Der Blonde taumelte etwas und fand sich plötzlich aber nicht unwillkommen in den Armen des Größeren wieder. Er errötete. Schwieg. Und machte keine Anstalten, sich zu bewegen.

„Wieso musst du eigentlich jedes Mal gleich weg laufen? Du weißt genau, dass ich es nicht so gemeint habe“ beschwerte sich Kurogane, aber seine Stimme klang sanft.

Geborgen und behütet lauschte Fye dem Schlagen von Kuroganes Herzen, dass in seinem Käfig aus Knochen ebenso gefangen war wie Ingrid in ihrem Glas. Und zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass es nicht nur die Menschen waren, die zerbrechlich waren. Dass sein eigenes Herz genauso schnell aufhören konnte zu schlagen. Dass sie tatsächlich mal etwas gemein hatten.

Er schmunzelte gegen des Stoff des schwarzen T-Shirts und murmelte: „Keine Ahnung. Vielleicht weil ich ein Idiot bin?“

„Allerdings.“ Und dieser Idiot hätte eigentlich eine Kopfnuss verdient, aber wenn der Blonde schien im Moment etwas emo-mäßig drauf zu sein. Nun, da gab es ein Mittel dagegen. Kurogane grinste heimtückisch. „Hey, Blödmann.“

„Höh?“ Fye blinzelte und löste sich mit einigem Widerwillen aus der Umarmung… nur um im nächsten Moment in einem Kuss gefangen zu sein.

Nicht, dass er sich beschweren wollte.

Gegen die Lippen des Größeren lächelnd, schlang er seinen Arm um den Hals der Person, die schon seit geraumer Zeit den größten Teil seines Denkens und seines Herzens ausfüllte. Jene Person, die dafür sorgte, dass er sich weniger unvollkommen vorkam.
 

~*+*~

Er seufzte laut und ärgerlich. So hatte er sich den ersten Oktober aber nicht vorgestellt. Normalerweise war der Anfang dieses Monats ein freudiges Ereignis, überall lag dann die Vorfreude in der Luft, während die ersten Sterblichen begannen, ihre Häuser und Wohnungen für Halloween zu dekorieren... und was machte er? Saß in einer Bibliothek und ließ sich ignorieren. Er mochte es ganz und gar nicht, ignoriert zu werden, doch leider befanden sie sich an einem Ort, an dem er seinen Ärger nicht Luft machen konnte, ohne dass zehn Leute „schhhht!“ riefen. Also musste er sich damit begnügen, den attraktiven schwarzhaarigen Studenten neben ihm anzustarren. Genauer gesagt beobachtete er die fein definierte Linie von Kuroganes Augenbraue und die Tänze, die diese vollführte, während der junge Mann las.
 

Es ist das herrlichste Land von allen unter der Sonne; die Bäume beugen sich unter der Last der Früchte, der Blätter und Blüten. Honig und Wein sind im Überfluß vorhanden; kein Vergehen kommt über dich mit dem Vergehen der Zeit; du siehst weder Tod noch Verfall. Du wirst schmausen, spielen und trinken; du wirst süße Saitenmusik hören; du wirst Silber und Gold und viele Edelsteine bekommen…[1]
 

Genau. Kurogane schnaubte ungläubig. Wenn auch nur ein Bruchteil dessen stimmte, was in dieser blöden Überlieferung stand, dann war es ein reines Wunder, dass nicht schon längst jeder in die Anderswelt gezogen war. Langsam aber sicher merkte der Sportstudent, dass es eine Zeitverschwendung gewesen war, hierher zu kommen. Die Universitätsbibliothek der Piffle Academy hatte nur wenige Bücher über keltische Religion und noch weniger über keltische Mythologie parat und dabei war es die größte Bibliothek der Stadt. Und nicht viel von dem, was er bis jetzt gefunden hatte passte zu dem, was der blonde Idiot ihm erzählt hatte.
 

Das Leben in der Anderswelt bestand vor allem darin, nach Herzenslust zu jagen und zu schlemmen und ihre Bewohner kannten weder Krankheit noch Schmerz. Auch alterten sie nicht, weshalb die Anderswelt auch Tir na n-Og hieß, „Land der Jugend“.
 

Auf den Namen Tir na n-Og stieß er nicht zum ersten Mal, aber wenigstens war er in seinen Recherchen so weit gekommen, dass das der irische Name für diese Welt war, während der Name, den Fye ihm genannt hatte – Annwn – der walisischen Mythologie entsprang.

... kannten weder Krankheit noch Schmerz...

Nun, er konnte sich noch ziemlich genau an einen kleinen Jungen erinnern, der ganz schön geheult hatte, nur weil er sich verlaufen hatte. War das etwa kein Schmerz, nur weil man ihn mit ein wenig Schokolade stillen konnte? A propos... wo genau war dieser schüchterne kleine Junge eigentlich abgeblieben? Wann genau hatte er angefangen, sich in dieses hibbelige, blonde Etwas zu verwandeln, das da neben ihm an der Tischplatte lümmelte?

„Hey!“, flüsterte Kurogane und schlagartig saß Fye wieder aufrecht.

„Was denn?“, flüsterte er zurück.

„Wieso wird die Anderswelt eigentlich wie das reinste Paradies beschrieben und im nächsten Wälzer steht, dass einen dort Ungeheuer erwarten, wenn man sie uneingeladen betritt?“

„Kuro-pii, Glaubst du wirklich, dass die Dannan sich über Besuch freuen? Hey, wir mögen vielleicht keine Götter sein, aber so einige magische Fähigkeiten haben wir schon. Wenn sich Menschen nach Annwn verirren, werden sie entweder gegessen oder ihr Geist wird manipuliert und auf einen Trip geschickt, gegen den jede Droge, die ihr Sterblichen kennt, gar nichts ist.“

Kurogane grummelte. Er mochte es überhaupt nicht, wenn die Grinsebacke mit ihm redete, als wäre es grundlegendes Wissen, das er einfach nicht mitbekommen hatte. Obwohl... für Fye mochte war es wohl ganz natürlich sein so etwas zu wissen, dafür hatte er Schwierigkeiten, das Konzept eines Toasters zu begreifen. Was nicht hieß, dass Kurogane ihm diese Arroganz verziehen wurde.

„Ihr seid also keine Götter?“, hakte der Schwarzhaarige nach und war gleichzeitig erleichtert darüber. Der Gedanke, dass das menschliche Handeln von Wesen gesteuert wurden, die so waren wie Fye... na dann, gute Nacht. Außerdem musste er sich dann sehr viel weniger schuldig fühlen, wenn er dem Idioten mal wieder einen verdienten Klaps auf den Hinterkopf verpasste.

„Nein, natürlich nicht. Ich meine, im höchsten Falle kann man uns als höhere Wesen bezeichnen, aber wir bestehen auch nur aus Fleisch und Blut und wir können sterben. Nur eben nicht an Altersschwäche. Aber da die anderen so einen Spaß hatten, die Sterblichen zu veralbern, haben sie sich als Götter ausgegeben und verehren lassen, weil ihnen langweilig war. Ein wenig wie die Goa’Uld in Stargate... nur ohne den ekligen, parasitären Schlange-im-Kopf-Teil.“

„Aha.“ Mit einem zufriedenen Grunzen überflog er die Buchseiten, bis ihm etwas einfiel: „Moment Mal... heißt das, du könntest meinen Verstand manipulieren, wenn du wolltest?“

Fye lächelte auf ziemlich verschlagene Art. „Sicher. Aber das würde ich nie tun.“

„Und wieso sollte ich dir das glauben?“

„Weil...“ Der Jüngere stand auf und schlang seine Arme von hinten um die Schultern des Anderen und hauchte ihm einen federleichten Kuss auf den Nacken „... du mein Lieblingsmensch bist, Kuro-rin.“

Kuroganes Gesichtsfarbe nahm einen Rotton an, den man noch am ehesten mit Tomaten vergleichen konnte. Musste das denn ausgerechnet in der Öffentlichkeit sein? In einer Bibliothek, wo man jeden Moment damit rechnen konnte, von anderen Studenten gesehen zu werden? Er konnte den Blonden kichern hören, offenbar höchst zufrieden über die Reaktion, die er in dem Größeren ausgelöst hatte. Der konnte was erleben, wenn sie erst zu Hause waren.

Noch immer mit dem ungewollten Erröten kämpfend, schlug der Schwarzhaarige das Buch zu und stellte es zurück in das Regal, aus dem er es her hatte.

„Hey, Kuro-darling, als was wollen wir uns denn dieses Jahr verkleiden?“

„Was heißt denn hier wir? Wenn du dich zum Affen machen willst, meinetwegen, aber-“

Ein „Shhh“ aus mehreren Ecken des Lesesaals ermahnte die beiden, dass sie zu laut geworden waren und Kurogane begegnete jedem vorwurfsvollen Blick mit einem giftigen Starren. „- ich mache das ganz sicher nicht mit“, fuhr er leise murmelnd fort.

„Aber so macht es doch viel mehr Spaß. Ich meine, dann brauchst du auch gar nicht erst mit zu gehen, nicht wahr?“

„Und dich mit den Gören allein lassen? Vergiss es.“

Das Jahr zuvor waren sie in getrennten Gruppen unterwegs gewesen – Fye mit Sakura, Kobato und Kohane; Kurogane mit den Zwillingen. Das Problem war nur gewesen, dass der Dannan alles andere als einschüchternd wirkte und mit drei niedlichen Mädchen im Schlepptau waren sie natürlich von einer Gruppe Jugendlicher angepöbelt worden. Für die Rohlinge hatte die Nacht in der Notaufnahme geendet, was Fye in ziemliche Erklärungsnot gebracht hatte; denn wie erklärte man vier Opfer eines Blitzschlages in einer wolkenlosen Nacht? Sein... nun ja, sein Partner hatte daraus die Lehre gezogen, sich niemals mit einem Wesen aus der Anderswelt anzulegen, wenn es nicht sein musste. Wütende Bärenmütter waren ein Scheißdreck dagegen. Außerdem – auch wenn es das nie laut aussprechen würde – wurde er unruhig, wenn er nicht wusste, wo der blonde Wirbelwind steckte.

„Du würdest als Geheimagent eine gute Figur machen!“, schlug Fye vor, offensichtlich ganz aus dem Häuschen über die Idee. „Oder Tropenforscher.“

Der Ältere stöhnte genervt.

Okay, zugegeben, möglicherweise liebte er ja diesen Kerl, aber er würde ihn definitiv lieber mögen, wenn er irgendwo einen Stummschalter hätte.
 

~*+*~

„Okay, seid ihr alle bereit?“, fragte Sayaka-san in die Runde.

Zwei Marienkäfer, ein Sterntaler, Snoopy, ein Frosch, drei Chewbaccas, Charlie Brown, zwei Darth Vader, ein Cowboy, fünf Spiderman, vier Feen und sechs Prinzessinnen riefen laut im Chor: „JA!“

„Fein, na dann teilt euch mal auf.“

Ein Teil der Gruppe rannte begeistert zu Fye, der dieses Jahr als verrückter Wissenschaftler verkleidet war. Ausgestattet mit einem weißen Laborkittel und einer Schutzbrille empfing er die Kinder, die quasi schon sein Stammgrüppchen geworden waren. Kohane stand bereits neben ihm, ebenfalls ihm Forscher-Look. Die restlichen Kinder verteilten sich auf Sayaka-san und einen lustlos aussehenden Teenager mit Brille und langen rotbraunen Haaren, die er zu einem Zopf trug. Nur Kobato-chan (dieses Jahr als Pocahontas unterwegs und daher unter die Kategorie „Prinzessin“ zählend) stand unschlüssig herum.

„Kobato-chan, was ist denn?“, fragte Sterntalerchen Sakura-chan.

Das brünette Mädchen wurde rot und wand sich ein wenig. „I-ist es okay, wenn ich mit Fujimoto-san mitgehe?“

Fye blickte zu dem lustlosen Teenager, der das ganze mit einem Achselzucken quittierte. „Meinetwegen“, sagte Fujimoto.

„Natürlich Herzchen, geh ruhig“, bekräftigte Fye die Kleine, „Wir sind dir nicht böse, nur weil du mal die Nase voll von uns hast. Hab Spaß.“

Sie nickte energisch und rannte auf die Gruppe zu, die sich kurz darauf in Bewegung setzte. Kaum waren sie außer Sicht, konnte man eines der Kinder rufen hören: „Fujimoto-san, Kobato-chan ist hingefallen.“

Fye schmunzelte. Diesen Satz würde Fujimoto an diesem Abend noch oft hören müssen.

„Fye-san, wo steckt denn Kurogane-nii-san?“, fragte Syaoran, der passend zu seinem Namen („kleines Hündchen“) als Snoopy verkleidet war. Sein Bruder trug im Partnerlook dazu eine schwarze Hose und ein gelbes T-Shirt mit einem schwarz gezackten Streifen darauf.

„Er stand noch unter der Dusche, als ich Kohane abholen gegangen bin. Er wollte nachkommen“, erklärte der Blonde und Syaoron meinte, Ärgernis aus der Stimme des Älteren heraus zu hören. Irgendwie schafften die Beiden es immer wieder, sich kurz vor Halloween so richtig zu verkrachen. Das Streitthema war dabei immer dasselbe: dass Kurogane sich standhaft weigerte, sich zu Halloween zu verkleiden, weil er dazu einfach zu pragmatisch veranlagt war.

Als der Schwarzhaarige sollte wenige Minuten später zu ihnen stieß, konnte man sehen, dass Fyes Überredungskünste auch dieses Jahr keinen Erfolg gehabt hatten. Wenigstens hatte der Andere dieses Jahr auf das ’This is my Costume’-Shirt verzichtet, das Fye noch immer als Beleidigung an diesen Feiertag empfand. Der Sportstudent trug stattdessen ein einfaches schwarzes T-Shirt und eine gleichfarbige Lederjacke darüber, die ihn noch bedrohlicher, gleichzeitig aber auch attraktiver aussehen ließ.
 

Sie brachen auf.

Es war noch früher Abend, nicht mal wirklich dunkel, der Himmel war eine Masse aus tristem Grau, was der Freude der Kinder aber keinen Abbruch tat, auch wenn ihre Gruppe mittlerweile zu Teens heran gereift war. Sakura und Syaoran konnte man Hand in Hand gehen sehen. Das junge Paar bildete damit den Kontrast zu ihren beiden Aufpassern, die sich stur anschwiegen und es tunlichst vermieden, sich gegenseitig anzusehen.

Als an der vierten Haustür, an der sie klingelten, ein altes Mütterchen öffnete, fürchteten die Kinder ein neues Aufflammen des Streits.

„Na, und wen stellen sie denn da, junger Mann?“, fragte die Dame an Kurogane gewandt und hatte keine Ahnung, welch empfindliches Thema sie damit anschnitt. Peinliche Stille machte sich breit und die Augenpaare der Kinder beobachteten nicht den Angesprochenen, sondern den Blonden, der neben ihm stand. Und der merkwürdigerweise grinste. „Erkennen Sie ihn denn nicht?“, fragte er.

Die Kinder waren verwirrt. Kurogane war verwirrt. Nur Kohane ließ es etwas kalt.

Das Mütterchen rätselte. „Nein, tut mir Leid.“

„Oh, kommen sie. Ich gebe ihnen einen Tipp: Die Lederjacke. Die schicke, leicht stachelige Frisur. Naaa?“

„Hm, nein. Nein, das sagt mir nichts.“

„Er ist Lt. Col. John Sheppard aus Stargate Atlantis!“, log Fye. Er machte plötzlich einen quietschvergnügten Eindruck.

„Oh, von der Serie habe ich schon gehört. Meine Enkel sind ganz verrückt danach.“

„Nein, wirklich?“

Die nächsten fünf Minuten lang konnte man einer zwischen-Tür-und-Angel Diskussion lauschen, die sich um das Für und Wider von SciFi-Serien drehte, dann zogen sie weiter, reichlich mit Bonbons beschenkt. Kurogane starrte den großen bunten Lutscher an, den die alte Frau ihm in die Hände gedrückt hatte, als könnte die Süßspeise ihn beißen. „Bist du jetzt zufrieden, hä?“ Die Worte waren an den blonden ’Wissenschaftler’ gerichtet.

„Fast. Weißt du, das hätte dir erspart bleiben können, wenn du nicht immer so stur wärst.“

„Ich? Wer hat denn hier den Dickschädel?“

Und damit zofften sie sich wieder. Auf die alltägliche, harmlose Art, die den größten Teil ihrer Konversation ausmachte und die durch ihre schiere Gegensätzlichkeit begründet war. Syaoron, Verzeihung, Charlie Brown blickte zwischen dem ungleichen Pärchen und seinem Bruder und dessen (fast fester) Freundin hin und her. Der brünette Junge rollte über so viel Liebe in der Luft nur mit den Augen und strauchelte fast, als er ein ungewohntes Geräusch hörte. Es war ein Kichern. Das an sich war ja gar nicht so ungewöhnlich, aber es war Kohane, die kicherte. Syaoron hatte sie höchstens mal lächeln sehen, aber nur ganz selten.

„Was ist denn so witzig?“, fragte er und hätte beinahe ’Alles in Ordnung mit dir?’ gesagt.

„Die Beiden erinnern mich nur an Watanuki und Doumeki.“

„Ich erinnere mich.“ Kohanes Beschützer waren mehr als nur ’wie Hund und Katz’. „Moment, heißt das, Doumeki-kun und Watanuki-kun sind auch…“

Die Dannan zuckte mit den Schultern. „Doumeki mag Watanuki schon ganz gern, aber Watanuki regt sich ständig über ihn auf.“

„Kommandiert ihn herum wie eine gestresste Hausfrau.“, ergänzte Syaoron.

„Genau. Ich glaube, Watanukis Reaktion rührt von Zuneigung her, aber das scheint er selbst nicht zu begreifen. Und…“ Plötzlich blieb das Mädchen stehen. Ihre entspannten Gesichtszüge wandelten sich in eine Sorgenmiene, als sie ihre Augen gen Himmel richtete. Syaoron blickte ebenfalls nach oben um herauszufinden, was sie so irritierte.

„Das ist nur ein Rabe“, stellte er fest.

Aber es war mehr als nur ein Rabe, es war ein fliegender Rabe und für Kohane, die ihr linkes Augenlicht gegen eine andere Gabe des Sehens eingetauscht hatte, zeigte der Flug des Vogels alles, was sie wissen musste. Der Rabe flog unstet, strauchelte und sackte ab. Es kostete ihn einige Anstrengung, wieder auf seinen Kurs zurück zu finden.

„Eine Prüfung wird uns bevor stehen“, murmelte die Blonde.
 

~*+*~

Das menschliche Herz ist leicht zu erfreuen. Meist sind es die kleinen Dinge, die ausreichen um uns glücklich zu machen.

Gemeinsames Plätzchenbacken mit Freunden.

Zu sehen, wie sich ein anderer über die Schokolade freute, die man ihm geschenkt hatte.

Oder am morgen des ersten Novembers aufzuwachen und festzustellen, dass die andere Seite des Bettes nicht leer ist. Obwohl man damit gerechnet hatte, dass es leer sein würde; leer bis auf den Duft des Anderen, der noch am Bezug des Bettes haftete.

Wenn man glücklich ist, dass die Trennung um ein weiteres halbes Jahr aufgeschoben wurde, denkt man nicht darüber nach, welchen Preis man für dieses Zusammensein bezahlen muss. Noch dazu war es Fyes Entscheidung gewesen, und Kurogane ging davon aus, dass der Blonde alt genug war um zu wissen, was er tat.

Fye hingegen dachte höchstens darüber nach, was die Konsequenzen für seinen Bruder sein würden. Selbst wenn ein Halbblut in der Anderswelt nicht viel Wert war, so gab es doch zumindest einen, der ihn vermissen würde. Die Bedenken hielten etwa so lange an, bis Fye sich wieder ins Gedächtnis rief, dass Yuuis Lebensspanne nicht begrenzt war. Die von Kurogane schon. Yuui würde also warten müssen; aber was waren so fünfzig, sechzig Jahre denn schon im Leben eines Dannan?

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[1] Zitate entnommen aus: „Die Kelten – Reisen in die Anderswelt“ F. Fleming, S. Husain, C. S. Littleton und L. A. Malcon; Duncan Baird Publishers 1996, London



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-11-07T22:51:43+00:00 07.11.2010 23:51
Sooo, mit etwas Verspätung komm ich jetzt endlich zum kommentieren ^^
Auch wenn ich mich ja frage, warum ich die Einzige zu sein scheine die das tut...oô
Naaaaaja.

Ein Irrlicht namens Ingrid. Irgendwie find ich das süß XD
Und Kuroganes trockenes "Du willst mich also umbringen." war Situationskomik pur XD Ich kann mir das so richtig vorstellen XP Obwohl ich mich ja frag, ob er Fyes versteckten Hinweis mit dem Geschenk absichtlich nicht verstehen wollte oô Vermutlich, mh?

"[...]dann ist es durch einen Zauber in dieser Welt so lange gefangen, bis es von dem wieder frei gesprochen wurde, der es hierher gebracht wurde."
Irgendwie stimmt der Satz nicht o.o Oder ich krieg die Grammatik um die Zeit nicht mehr auf die Reihe, was durchaus sein kann XD"

"Für die Rohlinge hatte die Nacht in der Notaufnahme geendet, was Fye in ziemliche Ernährungsnot gebracht hatte;[...]"
Ich nehme an, du meinst 'Erklärungsnot' XDD
Aber ich kann Kurogane verstehen, dass er sich mit Fyes Volk nicht unbedingt anlegen will xD"

Hach ja und selbstverständlich wieder die übliche Kabbelei xD"
Irgendwann muss Kurogane ihm doch mal nachgeben...also als Geheimagent kann ich ihn mir gut vorstellen~

Bin gespannt aufs nächste Kapi ^-^
Grüssle, Puffie~


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