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Shortstories

(Kurzgeschichten/Gedichte)
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Weihnachten

Die Flammen der Kerzen warfen zuckende Schatten an die Wand gegenüber.

Ein Duft von geschmolzenem Wachs, von Zimt und Vanille, von Lebkuchen und Tannennadeln erfüllte die Luft.

Im ganzen Raum schmückten Tannenzweige, goldene und rote Kugeln, kleine goldene Glöckchen und Schalen voller Plätzchen und Mandarinen die blassgrünen Wände und die Möbel aus dunklem Kirschholz. Auf der Kommode neben der Tür, auf der Fotos aus längst vergangenen Zeiten standen, waren Räucherstäbchen aufgestellt und am Kamin hingen drei Socken gefüllt mit Nüssen und köstlicher Schokolade.

Nyoko saß am Tisch, in einem kuschligen hellgrünen Pullover, der mit ihren ebenso grünen Augen wetteiferte, die schon seit einiger Zeit verträumt auf das Fenster gerichtet waren.

Dort draußen fiel der Schnee in kleinen Flöckchen und bedeckte die sonst immer so graue Stadt mit einer weichen weißen Decke.

Nyoko verfolgte wie gebannt, wie die kleinen Eiskristalle vom Himmel hinab schwebten.

Wie sie an ihrem Fenster vorbei wirbelten und wie einige von ihnen an der Scheibe kleben blieben und ein kunstvolles Muster bildeten, wie es nur die Natur zu tun versteht.

Neben Nyoko, die geistesabwesend mit dem Stein an ihrer Kette spielte hatte sich Hoshi, das Kätzchen, auf dem Stuhl zusammengerollt und schnurrte behaglich vor sich hin.

Plötzlich zuckte sie mit den Ohren, sprang auf und schlich – unbemerkt von dem Mädchen in dem hellgrünen Pullover – aus dem Zimmer.

Während jenes, erfüllt von Wärme, Licht und den Menschen, die dort lebten unten auf der Erde im Schnee versank, türmten sich hoch oben über der Stadt die Wolkenberge auf und Schneeflocken schwebten wie Federn zur Erde hinab und überzogen sie mit weißem Glanz.

Ein besonders schöner Eiskristall wirbelte durch die Luft.

Es war bereits dunkel und so leuchtete er im Schein der Straßenlaternen und der Lichterketten in den wenigen Bäumen, die die Straßen Willburs säumten.

Er flog auch an dem Fenster vorbei, vor dem Nyoko immer noch saß und dem Schneetreiben zusah.

Hätte er die Fähigkeit zu sprechen gehabt, hätte er zu erzählen gewusst, dass sie nun Gesellschaft von ihrem Zwillingsbruder Akiyama bekommen hatte, der gerade die Hand nach einem Schokoladenbonbon ausstreckte und dass die Großmutter Ishi ihm mahnend auf die Fingerschlug.

Der Kristall sank indes immer tiefer und näherte sich schon dem Asphalt, doch da wurde er abermals von einem Windstoß ergriffen und trudelte geradewegs in eine dunkle Gasse hinein.
 

Um ihn gab es nichts außer Dunkelheit und den Geruch verdrängte er mit Absicht.

Einsam und allein saß ein junger Mann auf einem Müllcontainer und beobachtete durch den dichten Schnee das Haus auf der anderen Straßenseite, dessen Lichter hell erleuchtet waren.

Ryan seufzte. Er fühlte sich kalt und leer.

Obwohl er nicht fror – was wirklich ein Wunder war, schließlich trug er nichts weiter als einem dünnen Hemd und einem offenen Mantel, nichts, das ihn wirklich vor der Kälte des Schnees hätte schützen können.

Allerdings war sein Körper ziemlich steif und das einzige an ihm, das sich noch wirklich lebendig anfühlte, war seine linke Hand, in der er ein warmes Fischbrötchen hielt.

Wenn er so da saß, in der dunklen Gasse, in die sich nicht einmal der Schnee verirren wollte und deren Boden nur von grauem schmutzigen Schneeklumpen bedeckt war, und er hinüber blickte, in das Fenster hinein und das flackernde Licht von Kerzen sah, wurde ihm etwas klar.

Er hatte sich sein Weihnachtsfest eigentlich ganz anders vorgestellt.

Eigentlich sollte er jetzt mit seiner besten Freundin Ruby zuhause in seinem Appartement sitzen und einen leckeren Braten verdrücken. Eigentlich.

Stattdessen hockte er hier tatenlos herum.

Auf einem Müllcontainer. Im tiefsten Winter, in einer Kleinstadt in England.

Wenigstens hatte er noch sein Fischbrötchen.

Er starrte weiter durch den dichten Schneefall hinüber zu dem Fenster.

Dort bewegten sich Menschen.

Die Zielperson musste auch dabei sein. Dies allerdings brachte Ryan auch nicht weiter.

Schließlich war sein Befehl, sie draußen abzufangen und zu überfallen.

Doch er wusste, dass er sie heute wohl kaum noch zu Gesicht bekommen würde und, wenn doch, könnte er sich wohl kaum überwinden sie anzugreifen.

Auch Killer haben ihre Grenzen.

Ein plötzliches Frösteln durchfuhr ihn. Etwas hatte sich verändert.

Er kniff die Augen zusammen. Da war ein Licht.

Während er noch saß und starrte schwebte eine einzelne kleine Schneeflocke heran.

Die Flocke flog genau auf ihn zu und landete auf seiner ausgestreckten Hand.

Aus der Nähe betrachtet fiel ihm auf, dass es sich bei der Flocke um einen einzelnen Kristall handelte.

Etwa in der Größe eines Daumennagels und von außergewöhnlicher Schönheit.

Doch das war nicht das einzig besondere an ihm.

Der Kristall leuchtete und strahlte eine Wärme aus, die Ryan vorkam wie von tausend Sonnen.

Die Schneeflocke hatte auf ihrem Weg durch die Straßen Willburs all das Licht und die Freundlichkeit der Weihnachtszeit in sich aufgenommen und gab diese nun an den nächsten, auf den sie traf.

Der Junge betrachtete fasziniert den leuchtenden Kristall, der bei dem Kontakt mit seiner Haut langsam schmolz, bis er nichts weiter war, als ein einfacher Wassertropfen.

Mit dem Kristall schwand auch das Licht, doch nicht die Wärme in Ryan und er war auch nicht mehr allein.

Ein kleines schwarzes Kätzchen mit einer weißen Blässe auf der Stirn saß neben ihm auf dem Deckel einer Mülltonne und blickte ihn aus leuchtenden grünen Augen an.

„Hallo“, sagte Ryan leise, um das Tier nicht zu erschrecken, „musst du auch allein Weihnachten feiern?“

Wie um zu antworten, setzte sich das Kätzchen auf, legte seine Pfoten auf den Arm des Jungen und rieb schnurrend sein Köpfchen daran.

Ryan, der in der anderen Hand immer noch das Fischbrötchen hielt nahm jetzt ein Stückchen Fisch und hielt es dem Kätzchen hin.

Dieses legte den Kopf schief, blinzelte und begann das Stück Fisch genüsslich zu verzehren.

Ryan musste lächeln.

„Scheint als würde ich doch noch zu meinem Weihnachtsessen zu zweit kommen.“

Die Katze leckte sich das Schnäuzchen.

Im Haus gegenüber, in dem Zimmer das nach geschmolzenem Wachs, Zimt und Vanille,

Lebkuchen und Tannennadeln duftete, roch es jetzt außerdem nach Lachs und Reis und Currysoße, nach Plumpudding und Bratäpfeln, die gerade von Yuki dem ältesten Bruder serviert wurden.

„Weihnachten ist doch einfach die schönste Zeit im Jahr!“, sagte Akiyama zwischen zwei Bissen und nahm sich noch Reis nach.

Yuki lächelte und Nyoko nickte nur.

„Das ist wahr“, sagte Ishi und mit einem verstohlenen Blick nach draußen fügte sie mit einem Schmunzeln hinzu:

„Und niemand sollte diesen besonderen Tag allein verbringen müssen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Thuja
2012-06-12T05:17:48+00:00 12.06.2012 07:17
Wunderschön geschrieben
*seufz*
da wird mir richtig warm ins Herz
draußen ist blauer Himmel und die Sonne scheint
trotzdem war ich für kurze Zeit in Weihnachtstimmung. Du hast das so schön beschrieben. Da hat man alles um sich herum vergessen.
Dein Ausdruck ist umwerfend. Sehr toll ^_^.
Die Story an sich nett, auch wenn sie einen nicht umhaut. Ishi hatte ja anscheinend damit zu tun, dass die Katze zu ihm ist. Aber irgendwie war mir Ishi zu fremd. Der erste Abschnitt hat sich so sehr mit Nyoko beschäftigt, dass sie lieber hätte die Verantwortliche dafür sein sollen oder du hättest lieber Ishi ans Fenster gesetzt.
Aber nichts desto trotz,
Aber auch wenn der Funke jetzt nicht gesprungen ist, etwas wirklich schlechtes gibt es an der Story trotzdem nicht.




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