Zum Inhalt der Seite

Black - White

Türchen Nummer 18 beim Adventskalender
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Schwarz - Weiß

Entstehungsjahr: 2010 (11.12.2010)

Autor: Justy
 

------------
 

In wenigen Minuten war Mitternacht. Dann würde bereits der sechste Dezember anbrechen, die wohl meist gefürchtetste Nacht des Jahres wie einem die Nachrichten weißmachen wollen. Auch dieses Mal sah man auf fast jedem Sender ausgesprochene Warnungen gepaart mit gezeigten Vorfällen der vergangenen Jahre. Kein Wunder, das sich niemand mehr auf die Straße traute, wenn aufgeregte Nachrichtensprecher darauf hinwiesen, das man auch dieses Jahr wieder seine Türen verschlossen halten und gut auf seine Kinder aufpassen soll.
 

Unsinn.

Sowas würde ihn doch nicht davon abhalten eine kurze Runde ums Dorf zu ziehen, um sich ein wenig an der Nachtluft abzukühlen. Also schob er die ausgesprochenen Warnungen gedanklich fürs Erste zur Seite, zumal ihm langsam Gewahr wurde, dass er sich doch eine Jacke hätte überziehen sollen. Vor einigen Tagen hatte es das erste Mal in diesem Jahr geschneit und der Schnee war in solch' einer Massen heruntergekommen, dass sich jetzt schon die Laune der Leute ins Negative veränderte. So ziemlich jeder träumte zwar von weißer Weihnacht', aber wenn das Wetter schon einige Wochen vorher sich dazu entschied für winterliche Stimmung zu sorgen, wird sich meist nur ungehalten darüber beschwert.
 

Der junge Mann versuchte, die bestehenden Minusgrade zu ignorieren und steckte seufzend seine Hände in die Hosentaschen. Jetzt wieder umkehren wollte er auch nicht, zuhause war es ohnehin langweilig. Außerdem war seine Mutter bereits auf Weihnachten eingestimmt und hatten vor kurzem begonnen, passende Dekorationen für das Haus vorzubereiten. Es half zwar nicht viel die Flucht nach draußen anzutreten, weil er überall von blinkenden Lichterketten in den Fenstern der Häuser begrüßt wurde, aber wenigstens konnte man ihn so nicht ununterbrochen in irgendwelche Planungen mit einbeschließen, die natürlich mit Weihnachten zu tun hatten - wie konnte es anders sein. Ihm reichte es schon wenn sein Namen ihn ständig an das bevorstehende Fest erinnerte.
 

Santa. Wie in Santa Claus, dem Weihnachtsmann.

Eltern konnten ja so kreativ sein, auch wenn man als Resultat daraus solche Fragen wie ‚Ist Santa nicht eigentlich ein Mädchenname?‘ über sich ergehen lassen musste. So wirklich störte es ihn nicht mehr, was aber auch nichts daran änderte, dass er von Weihnachten und alles was damit zu tun hatte, nicht sonderlich angetan war.
 

Aufblickend bemerkte Santa, das er in Gedanken versunken wohl einen anderen Weg eingeschlagen haben musste, als er ursprünglich vorgesehen hatte. Das Dorf in dem er wohnte lag weit hinter ihm. Hell erleuchtet und weihnachtlich. Dieser Pfad war nicht vom gefallenen Schnee befreit worden, wurde aber trotzdem in regelmäßigen Abständen von einer Straßenlaterne beleuchtet. Seine Schuhe sanken fast gänzlich in das weiße Material ein und hinterließen tiefe Abdrücke im Schnee. In der näheren Umgebung wurde die Landschaft von einem vollkommenen Weiß beherrscht, das sich unberührt über Wiesen und Felder erstreckte.
 

Santa entschloss sich dazu wieder umzukehren, doch bevor er die Bewegung ausführen konnte, forderte etwas anderes seine Aufmerksamkeit ein. Etwas, was nicht ins Bild passen wollte und in fast schon neonfarbenem Pink im Schein einer Laterne hervorstach. War das nicht eine Person, die dort in einiger Entfernung am Rande des Weges hockte? Wer war denn ausgerechnet in dieser Nacht noch unterwegs? Noch jemand, der wahrscheinlich die bestehende Gefahr bewusst ignorierte...

Vielleicht sollte er sich das einfach mal aus der Nähe ansehen.
 

Das pinke Etwas stellte sich sobald als ein einfaches Mädchen heraus, was mit einem Fernglas bewaffnet ihr Umfeld genau im Auge behielt. Sie war so in ihrer Tätigkeit vertieft, dass sie gar nicht bemerkte, dass sie nicht mehr alleine war. Was wohl auch der Grund dafür sein mochte, dass sie kurz darauf einen regelrechten Schock erlitt, als sie mit vorgehaltendem Feldstecher in Richtung Santa sah. Jener gehaltene Gegenstand fiel mit kaum zu vernehmenden Aufprall in den Schnee.
 

Sie hatte sich schnell wieder gefangen und der anfangs erschrockene Gesichtsausdruck wich einem der nach Verwirrung aussah. Santa konnte diesen nicht wirklich deuten, aber er sollte wohl ausdrücken, dass sie nicht damit gerechnet hatte, hier jemanden anzutreffen.
 

„Bist du etwa Mr. Nick in Verkleidung?“, brachte sie schließlich heraus. Santa runzelte die Stirn. War das irgendeine neue Art von Begrüßung, die an ihm vorübergezogen war oder hatte er es hier gerade mit einer dieser gefürchteten Anmachen zu tun? Sicherlich nicht, bei der Ernsthaftigkeit, die gerade das Gesicht des Mädchens bestimmte.
 

„Wer oder was ist Mr. Nick?“, fragte er gleich geradeheraus.

„Ah sorry, dumme Frage“, entschuldigte sie sich gleich darauf, als sie Santa genauer betrachtete und zu dem Entschluss kam, dass sie sich ihn ihrer Vermutung geirrt hatte. Sie stand auf und klopfte sich den haftenden Schnee von den Beinen, ehe sie sich dazu entschied weiterzureden: „Ich meine den Nikolaus. Bin mir ziemlich sicher, dass er hier vorbeikommen wird.“
 

„Was?!“ So schnell brachte Santa ja nichts aus der Fassung, aber das Gesagte aus dem Mund eines Mädchen zu vernehmen, welche aussah, als würde sie schon bald auf das Erwachsenenalter zugehen, war völlig absurd. Waren es sonst nicht immer die kleinen Kinder, die des Nachts nicht schlafen wollen und unentwegt aus dem Fenster gucken, um jenen Süßigkeitengeber ja nicht zu verpassen?
 

Erst jetzt bemerkte er, dass noch weitere Sachen rund um sie herum im Schnee angeordnet waren. Zum einem eine Tasche, in der sie wohl ihr Proviant aufbewahrte, dann etwas, was starke Ähnlichkeit mit einer Taschenlampe aufwies und...

...eine Axt?!

Santa bewegte sich einige Schritte nach rechts, um den Gegenstand genauer betrachten zu können. Ohne Zweifel, dort lag tatsächlich eine Art Beil wie man es im Normalfall zum Holzfällen benutzte. Langsam wurde ihm das Mädchen unheimlich. Was hatte sie bloß vor?

Sie schien seinen irritierten Blick zu bemerken und schnappte sich schnellstmöglichst jene Waffe, um sie hinter ihrem Rücken zu verstecken.

„Das ist wirklich nicht das, wonach es aussieht, ehrlich nicht.“
 

„Und was ist es dann, wenn keine Axt?“

Man hörte sie laut aufseufzen. Dabei wand sie für kurze Zeit den Blick ab und kaute nervös wirkend auf ihrer Unterlippe herum. Erst eine gefühlte Ewigkeit später begann sie wieder zu reden: „Okay okay, ich erzähle dir alles, aber versprich es nicht weiterzusagen, in Ordnung?“

Santa nickte ihr als Antwort nur zu, was sie als Einwilligung zu verstehen schien, denn sogleich begann sie, ihn in ihr Vorhaben einzuweihen.
 

Wenn er es richtig mitbekommen hatte, wollte sie Rache an diesen gewissen Mr. Nick verüben, der letztes Jahr ihre Schwester umgebracht haben soll - deswegen lauerte sie ihm dieses Jahr mit einer Waffe auf. Soll heißen, sie wollte den Nikolaus abmurksen.

Na super, so viel Blödsinn auf einen Haufen hatte er noch nie gehört. Vielleicht hatte sie ja Fieber und bildete sich nicht existierende Dinge ein. Kein Wunder, wenn man ohne ordentliche Winterkleidung, dazu auch noch mitten in der Nacht, draußen herumlief. Das mit der Kleidung könnte zwar auch auf ihn zutreffen, aber er hatte in dem Punkt einfach die Kälte unterschätzt, sie hingegen sah ohnehin schon wie ein einziger Eiszapfen aus. Bis vor kurzem hatte sie sich zwar noch zusammengerissen, doch jetzt zitterte sie ununterbrochen und schlang die Arme fest um ihren schlanken Körper.

Sie schaute ihn fragend an, durchbohrte ihn förmlich mit ihrem Blick.
 

„Wo wohnst du?“, erkundigte sich Santa dann. „Ich kann dich nach Hause bringen. So verfroren wie du aussiehst, holst dir hier nur irgendwann den Tod.“

„Du glaubst mir nicht? Du hältst mich für verrückt, oder? Genauso wie meine Eltern, die meinten, das mit Tina wäre ein Unfall gewesen, und ich wüsste genau das es keine Nikoläuse gibt die Kinder umbringen.“

Santa kratzte sich am Kopf und versuchte darüber nachzudenken, inwiefern er seine Antwort ausformulieren sollte, ohne sie gleich zu verletzen. Sie mochte zwar ein wenig verrückt sein, aber trotzdem sah sie ungemein süß aus.
 

„Es ist nur schwer, so eine Geschichte für Wahr zu halten. Zumal ich nicht an den Nikolaus glaube, genauso wenig übrigens an den Weihnachtsmann.“

Ihr stand die Empörung ins Gesicht geschrieben und er befürchtete schon, sie würde gleich mit der Waffe ausholen und ihn damit erschlagen. Zur Sicherheit entfernte er sich einige Schritte von ihr, um im entscheidenden Moment die Flucht antreten zu können. Anderseits war da immer noch eine Spur Neugier in ihm, die mehr über dieses seltsame Mädchen in Erfahrungen bringen wollte.

Er schluckte.
 

„Es gibt den Nikolaus und auch den Weihnachtsmann!“

Ups, jetzt hatte er sie verärgert.

„Der Weihnachtsmann hat mir extra einen Besuch abgestattet, um sich im Namen seines unfähigen Gehilfen zu entschuldigen. Seitdem der Nikolaus außer Kontrolle geraten ist, versucht er schon auf ihn einzureden, bisher aber ohne Erfolg.“
 

„Moment...!“

Eher unbewusst holte Santa in dem Zusammenhang wieder gedanklich die Meldungen hervor, die sicherlich immer noch ununterbrochen im Fernsehen gezeigt wurden.

„Willst du damit sagen, der Nikolaus ist dafür verantwortlich, dass seit einigen Jahren immer wieder Kinder in der Nacht zum sechsten Dezember zu Schaden kommen?“

„Genau. Die Leute haben doch keine Ahnung. Sagen immer, sie würden den Mörder dieses Jahr fassen, aber haben noch nicht einmal den geringsten Anhaltspunkt. Auf die Hilfe der Polizei kann ich mich da ohnehin nicht verlassen, die erklären mich für verrückt, wenn ich sage, sie sollen den Nikolaus festnehmen.“

Santas Gesichtszüge entgleisten für eine kurzen Augenblick. Er senkte flugs den Kopf und tat so als müsste er husten, in der Hoffnung, sie hatte seinen Ausdruck nicht so schnell erfassen können.
 

In ihm herrschte immer noch der Gedanke, dass sie ihm eine glatte Lüge auftischte oder wirklich einen Besuch beim nächsten Psychiater brauchte. Trotzdem schienen sich da gerade einige Puzzlestücke zusammengefügt zu haben, was den Fall um den geheimnisvollen Mörder betraf. Wenn man diesem Glauben schenkte, dann ergab es schon einen gewissen Sinn, aber er war sich sicher, dass es keinen Nikolaus gab. Es gab ihn vielleicht früher mal, aber das ist Ewigkeiten her und dann wurde der Brauch einfach übernommen, um den Kindern eine Freude zu bereiten.
 

„Und deswegen hast du dich dazu entschlossen, das Ganze mal eben selbst in die Hand zu nehmen. Damit der Nikolaus in seinem schrecklichen Tun gestoppt wird, verstehe ich das richtig?“
 

„Ganz genau. Soll heißen, du glaubst mir jetzt doch? Ich könnte noch Hilfe gebrauchen.“

Das erste Mal, seitdem er sie gesehen hatte, stahl sich auf ihren Lippen ein Lächeln. Oh man, auf was ließ er sich da überhaupt gerade ein? Sollte er da wirklich mitmachen und zusammen mit einer bewaffneten Verrückten im vollkommen in Pink gestaltenden Outfit auf einen vermeintlichen Kindermörder namens Nikolaus warten? Oder sollte man ihn in diesem Falle Nikigraus nennen?

Er glaubte nicht daran, dass je ein Nikigraus auftauchen würde. Sie war sich dagegen ihrer Sache ziemlich sicher.
 

„Okay, ich werde aushelfen, aber nur um dir zu zeigen, das ich im Recht bin und...“

Er zögerte einen Moment, ehe er auch den Rest seines Satzes aussprach. „...um auf dich aufzupassen. Schließlich läuft hier ja wirklich ein Irrer herum.“
 

Das schien sie zufrieden zu stellen. Sie vollführte einen Luftsprung und schien sich zu freuen, dass sie nicht mehr alleine hier zu warten hatte. Wahrscheinlich hatte sie, nachdem sie das Wort ‚aushelfen‘ gehört hatte, sowieso den Rest seines Gesagten nicht mehr wahrgenommen.
 

„Ich bin Nicola“, meinte sie schließlich und reichte ihm ihre rechte Hand, ihre Andere umschloss immer noch das Beil. Sie ließ es aber glücklicherweise sogleich zurück in den Schnee sinken, da es ihr anscheinend zu schwer wurde.

„Santa“, sagte er nur und machte keine Anstalten danach, seine Hände aus den warmen Hosentaschen zu nehmen, deswegen musste sie sich mit einen kurzem Nicken begnügen, was sie herzlich wenig zu stören schien. Kaum hatte er seinen Namen genannt, begann ihre Freude nämlich von normal zu überfreudig hinüberzuwechseln.

„Du heißt wirklich Santa? Wie cool ist das denn?“
 

Er wusste nicht ob er darüber glücklich sein sollte, dass ausgerechnet diese Nicola die Erste war, die seinen Namen nicht seltsam, sondern ‚cool‘ fand.
 

Ihm entwich ein Seufzer.

Wir sind jetzt also die, die ausziehen um den Nikolaus...nein, vielmehr um den Nikigraus dem Gar auszumachen. Man klingt das vielversprechend.
 

***
 

Und dann sah Santa ihn wirklich!
 

Es war eine fast schon dürre Gestalt, eingehüllt in einen tiefschwarzen Mantel. Würde er nicht von dem Schein einer Straßenlaterne beleuchtet werden, so hätte man ihn sicherlich nicht bemerkt. Er wäre eins mit der Dunkelheit gewesen. Einzig seine Haut stach hervor, die fast schon Schnee glich.

An sich hatte Santa keine Ahnung wer oder was es war, aber er konnte sich unbemerkt an Nicola und ihn heranschleichen und schien keine guten Absichten zu verfolgen. Ehe er sie auf den neuen ungewollten Besuch aufmerksam machen konnte – sie stand mit den Rücken zu diesen – war dieser schon daran, sich die Axt zu schnappen.

Nicola schrie auf, als sie die fremde Person sah.

„Das ist der! Das ist Mr. Nick!“, wiederholte sie immer wieder in einem viel zu lauten Tonfall, bevor sie mit einem ‚Lauf um dein Leben‘ Ausruf die Flucht ergriff. Santa brauchte etwas um das zu verarbeiten, was Nicola da gerade von sich gegeben hatte und starrte die als Nikolaus enttarnte Gestalt nur ungläubig an.

Das konnte jetzt nicht wahr sein, dachte er schluckend...

Nur dummerweise war es wahr, genauso war es Tatsache, das dieser Nikigraus geradewegs dazu ansetzte, die Waffe zu erheben und Santa wurde das Gefühl nicht los, dass er das Ziel des Angriffes sein sollte.

Das war überhaupt nicht gut.
 

Etwas später als Nicola erwachte auch Santa aus seiner plötzlich eingetretenen Starre und sah zu, dass er das Weite suchte. Was auch gerade noch rechtzeitig war, denn verfehlte die Axt ihm nur um Haaresbreite und hätte ihn sicherlich erwischt, wenn er sich in den Moment nicht in Bewegung gesetzt hätte. Santa wusste nicht wohin Nicola sich gerettet hatte, er war ohnehin nicht dazu imstande jetzt noch einen klaren Gedanken zu fassen. Die Situation hatte sich so schnell zum absolut negativen geändert, dass er immer noch nicht glaube konnte, dass der Nikolaus ihn gerade verfolgte. Und das mit der Absicht, ihn umzubringen!

Die Hoffnung, das Dorf zu erreichen, schwand genauso schnell wieder dahin, sowie sie aufgekommen war, denn baute sich jener schwarzgekleideter Mann unerwartet vor ihm auf, die Waffe zum erneuten Schlag erhoben. Santa stoppte, konnte sich aber nicht erklären, wann er überholt worden war. Mit Entsetzen stellte er fest, dass der Mann immer und immer wieder ein und denselben Satz wiederholte. In einem so leisen Tonfall, das er es jetzt erst verstehen könnte.
 

„Unartige Kinder gehören bestraft.“
 

Und Santa dachte, Nicola wäre verrückt gewesen, nun wurde er eines Besseren belehrt. Leider würde er wohl nicht mehr die Gelegenheit dazu bekommen, ihr zu sagen, dass sie allem Anschein nach doch Recht hatte. Das war es dann wohl…
 

Doch im gleichen Moment riss ihn etwas zur Seite, so heftig, dass er sich mehrere Mal auf den schneebedeckten Untergrund überschlug und benommen liegen blieb. Irgendetwas hatte ihn gerade gerettet, wenn auch auf einer eher unsanften Art und Weise. Aber er war so der Axt entgangen.

Santa versuchte aufzublicken und spuckte beiläufig den Schnee wieder aus, der bei dem Sturz in seinen Mund geraten war. Er erkannte nicht wirklich, was an der Stelle vor sich ging, an der er gerade noch gestanden hatte. Nur zwei Gestalten ließen sich erahnen, eine davon wohl der Nikolaus, die andere war eine Person mit dickerem Bauchumfang und für einen kurzen Augenblick musste er an den Weihnachtsmann denken.

Quatsch, warum kam ihm gerade dieser Begriff in den Sinn?

Das konnte nicht sein, oder doch?

Stöhnend richtete Santa sich wieder auf. Seine Glieder schmerzten und seine Kleidung war völlig vom Schnee durchnässt. Ihm war schwindlig, wahrscheinlich hatte er sich den Kopf an irgendetwas angeschlagen und deswegen fiel es ihm auch schwer klar zu sehen.

Es war einfach zu viel gewesen, viel zu viel.

Keine Sekunde später entglitt ihm sein Bewusstsein endgültig und er sank zurück auf den kalten Untergrund.
 

***
 

„Und sie sind wirklich der Weihnachtsmann?“

Santa wärmte sich, eingehüllt in einer Decke, am brennenden Kaminfeuer und versuchte an den immer noch viel zu heißen Kakao zu nippen, den man ihm eben überreicht hatte. Der Mann im komplett weißen Gewand hatte ihm trockene Ersatzkleidung gegeben, die Santa zwar viel zu groß, aber allemal besser war als seine alte nasse Kleidung, die gerade verteilt auf zwei Stuhllehnen vor sich hin trocknete. Die Hütte, in der er sich befand, war nicht sehr groß und bestand nur aus einem einzigen Raum, der mit einer Küche ausgestattet war und ansonsten noch mit einem Bereich daherkam, den man als Wohnzimmer bezeichnen könnte.

An dem aus Holz bestehenden Tisch saß Nicola, die ihre volle Aufmerksamkeit der süßen Flüssigkeit in ihrem Becher widmete. Kam es ihm nur so vor oder wirkte sie traurig?
 

„Natürlich bin ich der Weihnachtsmann, mein Junge“, erwiderte der weißgekleidete Mann mit einem verschmitzten Lächeln. Dann verdüsterte sich seine Miene. „Und ihr habt Glück gehabt, dass ich noch rechtzeitig erschienen bin.“

Santa schluckte und versuchte sich an das zurück zu erinnern, was vor einigen Stunden vorgefallen war. Nicola hatte es sich in den Kopf gesetzt, sich an den Nikolaus zu rächen, wurde aber ihrer Waffe beraubt. Dann waren sie die Gejagten und Santa sah schon wie es mit ihm zu Ende ging, als der Weihnachtsmann eingriff und den Nikolaus außer Gefecht setzte. Den Rest der Geschichte kannte er nur vom Erzählen, da er irgendwann dazwischen das Bewusstsein verloren haben musste.
 

„Ich weiß, das war ziemlich blöd, was?“, meldete sich Nicola zu Wort, die mittlerweile mit ihren Finger den Kakao umrührte. Santa fragte sich wie sie das schaffte, ohne sich dabei zu verbrennen.

„Nennen wir es einfach unüberlegt“, meinte der Weihnachtsmann daraufhin und richtete sein Blick auf Nicola. „Es war nicht wirklich schlau gegen meinen Gehilfen vorgehen zu wollen, du darfst ihn nicht unterschätzen. Wenn jemand ihm Einhalt gebieten kann, dann bin ich das.“

„Und warum tun sie nichts dagegen?“

Sie klang fast schon verzweifelt und Santa meinte, einzelne Tränen in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Nicola musste sich schuldig fühlen, bei all dem was vorgefallen war. Oder war er etwa daran Schuld, dass alles nicht so lief wie es sollte, weil er sie abgelenkt hatte? Könnte angehen, aber zwei Teenager hätten eh nicht den Hauch einer Chance gegen so einen Wahnsinnigen gehabt.
 

Der Weihnachtsmann schwieg und machte sich in aller Ruhe daran, sich einen Tee aufzusetzen. Erst dann wandte er sich wieder Nicola zu.

„Es ist leichter gesagt als getan. Du musst wissen er war nicht immer so...böse...“

Für einen Augenaufschlag schien er nach weiteren Worten zu suchen.

„Der Nikolaus erfüllte ursprünglich die Aufgabe die guten Kinder zu beschenken und den unartigen Kindern eine kleine Strafe zu erteilen, auf das sie sich hoffentlich bessern. Aber irgendwann lief das Ganze aus dem Ruder und entwickelte sich zu einem nur Streiche spielen hin und die artigen Kinder wurden einfach vergessen. Seine Scherze wurden dabei immer makaberer, sodass er nicht mehr nur Leute zum Weinen brachte, sondern zum Schluss sogar zum Mörder wurde.“
 

„Das ist ja schrecklich.“

„Kann man wohl sagen“, stimmte Santa Nicola zu. Er musste an den Zeitpunkt denken, als sie von ihrer kleinen Schwester erzählte, die vom Nikigraus hereingelegt wurde. Nicolas Schwester war noch jung gewesen, hatte es dem schwarzgekleideten Mann abgekauft, dass sie dank seinem Geschenk nun fliegen könnte und war daraufhin aus dem Fenster im oberen Stock ihres Hauses gesprungen. Was zur Folge hatte, dass sie einige Tage später im Krankenhaus an ihren Verletzungen starb.

Das musste Nicola wirklich schwer zu schaffen machen.
 

„Nicola, Santa.“

Huch? Woher kannte der Weihnachtsmann seinen Namen, kam es Santa unvermittelt in den Sinn. Entsprach es etwa auch der Wahrheit, dass dieser sich alle Namen der Kinder notierte, die es zu beschenken galt?

„Versprecht mir, dass ihr alles vergesst, was heute vorgefallen ist und lebt euer normales Leben weiter. Ich werde dem jetzt ein Ende setzen.“

Mit den Worten machte sich der rundliche Mann auf, die Hütte, die als einer seiner vielen Unterschlüpfe galt, zu verlassen.

Nicola stoppte ihn.

„Was haben sie vor?“

Er antwortete ihr nicht mehr, sondern schob da Mädchen nur zur Seite, um im Anschluss durch die Tür ins Freie zu treten.

Santa und Nicola ließ er zurück.
 

Einige Minuten verstrichen, in dem keiner von den beiden es wagte auch nur einen Ton von sich zu geben, dann stand Santa auf.

„Lass uns hinter ihm her.“

Nicola nickte nur.
 

***
 

Als sie nach draußen traten, merkten sie, dass der Morgen bereits angebrochen war und erstes Tageslicht, der Dunkelheit der Nacht wich.

Die Stiefel des Weihnachtsmannes hatten tiefe Spuren im Schnee hinterlassen, sodasx Santa und Nicola ihm ohne Probleme folgen konnten. Nicola schaute ziemlich betreten drein, während er versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass er fror. Die Kleidung, die er vorübergehend trug, war so dünn, dass sich die Kälte in sekundenschnelle durch den Stoff fraß. Aber da musste er nun durch.
 

Sie folgten den Stiefelabdrücken eine ganze Weile, bis sie endlich auf das trafen, was sie gesucht hatten. Der Weihnachtsmann war nur nicht alleine, ihm gegenüber stand dieser Nikigraus.

Santa ahnte schreckliches, hielt sich aber davon ab, sich einzumischen. Nicola hatte ebenfalls angehalten und beobachtete die Gestalten aus sicherer Entfernung.

Mit Entsetzen stellten die beiden fest, dass der Weihnachtsmann Nicolas Axt wieder an sich genommen hatte und das sicherlich nicht um damit eine passende Tanne zu fällen, die als Weihnachtsbaum dienen soll.
 

„Dies hier ist mein Tag, meiner alleine. Wie kannst du es wagen, mir meinen Spaß zu verderben. Immer, aber auch immer wieder funkst du mir dazwischen“, meldete sich der schwarzgekleidete Nikolaus zu Wort. Sie hörten seine Stimme deutlich genug, um alles verstehen zu können, was gesagt wurde.

„Du weiß genau, warum ich das mache. Es ist meine Pflicht, die Kinder zu beschützen, egal welcher Natur sie sind. Was nur ist aus meinen alten treuen Helfer geworden? Eine Schauergestalt, die die Menschen in Angst und Schrecken versetzt.“

Der Weihnachtsmann senkte den Blick, was seinem Gegenüber aber nur ein abfälliges Lachen entlockte.

„Du kannst mich nicht loswerden. Wir sind Freunde.“

„Wir sind schon lange keine Freunde mehr. Dank Nicola bringe ich endlich den Mut dazu auf, dem Spuk ein Ende zu setzen. Ich kenne keine Gnade mehr.“
 

Das war das Stichwort gewesen, das die beiden einstmaligen Freunde aufeinanderhetzen ließ. Eher gesagt, war es der Weihnachtsmann, der auf seinen Gegner losging, denn der Nikolaus selbst rechnete nicht damit, dass man ihm wirklich Schaden zufügen würde. Dummerweise hatte er sich da ziemlich vertan, was ihm aber erst dadurch Gewahr wurde, als plötzlich eine Axt in seiner Brust steckte. Ungläubig sah er an sich herunter, um darauffolgend dem Weihnachtsmann einen vernichtenden Blick zu schenken.

Da es mit einem Schlag anscheinend noch nicht getan war, dauerte es nicht lange bis der weißgekleidete Mann erneut ausholte und dieses Mal ertönten die Schmerzensschreie seines Opfers laut durch die ganze Umgebung. Als Resultat spritzte das Blut des Nikolauses auf die Tracht des Täters und färbte den weißen Mantel tiefrot.
 

Santa konnte den Blick nicht abwenden. Er wusste nicht warum. Ebenso wenig wusste er, warum er nicht wie Nicola heulend zusammengebrochen war. Dabei war sie diejenige die die Tat zu Anfang geplant hatte. Santa hingegen fühlte sich einfach nur taub, von jeglichen Gefühlsregungen befreit. Selbst die Kälte konnte ihm nichts mehr anhaben.
 

War es normal, dass der Weihnachtsmann den Nikolaus umbrachte, nur weil diese ein Nikigraus war? Was für eine abstruse Frage. Nicola rief seinen Namen. In ersten Moment registrierte er es gar nicht, sah dann aber ihn ihr vorheultest, aschfahles Gesicht.

„Der Weihnachtsmann tut mir so leid“, brachte sie nur heraus. Ihre Stimme klang unwirklich.

Als Santa erneut dorthin schaute, wo sich die Tat ereignet hatte, sah er ihn bittere Tränen weinen. Den Mann, den alle nur im komplett weißen Mantel kannten, war nun rot.

Rot vom Blut.

Blutrot.
 

Santa fiel merkwürdigerweise eine Geschichte ein, die ihm jemand mal erzählt hatte.

Vor langer Zeit waren sowohl das Gewand des Nikolauses, als auch das des Weihnachtsmannes in einem einheitlichen Rot gehalten, bis es zu einem Streit zwischen den beiden kam. So entschieden sie sich dazu, die Farben ihrer Kleidung zu ändern. So wurde der Mantel des Nikolauses schwarz und der des Weihnachtsmannes weiß.
 

Das Blut. Das Blut seines Opfers, hatte dem Gewand des Weihnachtsmannes seine ursprüngliche Farbe zurückgegeben. Wie verrückt es auch klingen mochte, aber es war so.

Selbst der Weihnachtsmann hatte nie eine weiße Weste, nun war auch der schwarze Nikolaus ein Teil von ihm geworden.
 

Sie waren die Einzigen, die das Ganze mit angesehen hatten.
 

Santa und Nicola.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Yuufa
2010-12-21T19:55:51+00:00 21.12.2010 20:55
Ich schnappe mir jetzt den ersten Kommentar zu dieser Fanfiction! :3~ Zu allererst finde ich sie wirklich klasse - die ganzen kleinen Hints zu 999: Nine Hours, Nine Persons, Nine Doors sind einfach klasse eingebaut. Ich denke da nur an "Santa" oder an das "pinke" Mädchen Nicola... Wirklich toll umgesetzt, wobei ich nicht wusste, dass diese eine Santa-Geschichte in 999 erzählt wurde... damn, hab ich das irgendwo verpasst? |D"
Der Anfang ist gut geschrieben, da er einen neugierig auf die weitere Handlung macht. 6. Dezember, meist gefürchteste Nacht? Da bin ich sofort neugierig geworden und habe weitergelesen! Auch wie du Santa vorgestellt hast fand ich gut eingebaut, vorallem wie du seinen Namen enthüllt hast. Dann der Zusammentreff mit Nicola, die warum auch immer, den Nikolaus töten möchte. Der Grund, warum sie diese Tat (mit einer Axt *giggle*) begehen will, schockt den Leser auch mal. Da man ja immer wissen will, warum, liest man halt weiter. Der "Nikolaus" war jedenfalls... whoa, richtig angsteinflößend, als er sich einfach die Axt schnappt und die Kinder hier töten will. Dann kommt der Weihnachtsmann und rettet sie. Danach sitzen sie in einer Hütte herum und er erzählt ihnen eben, dass "Nick" nicht immer so war und zieht dann aus, um dem Spuk endlich ein Ende zu bereiten... und ich weiß nicht, ich fand das Ende passte gut zu der gesamten Fanfic. Schauriges Weihnachtsfest! |D~
So, die ganzen Fehler, die ich gefunden habe, schicke ich dir per ENS. Ansonsten, mach weiter so ^.~


Zurück