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In allen Herbstfarben

von

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Aus irgendeinem Grund konnte Lana nicht einschlafen. Das Gewitter war, kurz nachdem sie und Felix das Haus erreicht hatten, ausgebrochen. Es hatte gestürmt, geblitzt und gedonnert und zwischenzeitlich gab es auch einen kleinen Stromausfall, der allerdings nur einige Minuten gedauert hatte. Tante Julia hatte schon ihre Kerzen und Streichhölzer herausgeholt und Onkel Thomas, Lana's Patenonkel, hatte sich furchtbar darüber aufgeregt, dass er seine Lieblingskrimiserie nicht mehr gucken konnte.

Irgendwann im Laufe des Tumults hatte Lana sich entschuldigt und in ihr Zimmer verzogen, ihren Schlafanzug angezogen, sich die Zähne geputzt und sich ins Bett gelegt. Und da lag sie nun... seit gefühlten fünf Stunden, während der Wind draußen die Äste der Bäume gegen das Haus peitschte und der Regen gegen das Dach und die Fenster trommelte. Ihr war kalt, und sie beschloss, die Heizung noch etwas mehr aufzudrehen, und dann wurde ihr schlecht, und sie wollte es schon als Heimweh abtun, bis sie sich dagegen entschied. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie kaum etwas zu Abend gegessen hatte, beschloss sie, aber nun war es zu spät, sich noch in die Küche zu schleichen und sich etwas zu holen. Außerdem wollte sie nicht nachts in Tante Julia's Kühlschrank herumstöbern wie ein Dieb - das kam ihr nicht richtig vor.

Sie hörte Musik auf ihrem Mp3-Player,doch als die Lieder wieder von vorn anfingen, machte sie ihn aus, seufzte und setzt sich auf. Ihr Blick fiel auf den Blätterberg auf dem Schreibtisch. Die Blätter, die Felix und sie gesammelt hatten, also sie vorhin im Wald waren. Sie dachte daran, wie es sich angefühlt hatte, als er über ihr gelegen und sie siegessicher angegrinst hatte und ihr wurde ein wenig warm, doch dann schüttelte sie auch diesen Gedanken ab und gab sich alle Mühe, nicht mehr an diese Bilder zu denken, die immer mal wieder in ihrem Kopf auftauchten.

Stattdessen schlüpfte sie in ihre warmen Hausschuhe und holte aus ihrem Koffer den Wasserfarbkasten hervor. Nebenan im Badezimmer füllte sie ihr Trinkglas mit Wasser und begann sogleich mit ihrer Arbeit. Sie musste sich irgendwie ablenken.
 

Wenige Minuten später klopfte es und überrascht blickte Lana auf. Felix trat, ohne ihre Antwort abzuwarten, ins Zimmer und runzelte die Stirn, als er sie auf dem Boden sitzen und Blätter bemalen sah. Er blinzelte.

"Was machst du?"

Irgendwie war Lana das ein wenig peinlich. Sie war schließlich nicht mehr acht Jahre alt. "Nichts..."

"Sieht nicht nach nichts aus", kommentierte er, sein Blick blieb an ihren bunten Werken hängen, doch dann riss er sich davon los und schaute Lana an. "Ich hab noch Licht gesehen und mich gewundert, ob du noch wach bist."

"Mh." Lana zuckte mit den Schultern und steckte einen Pinsel in das Wasserglas. "Ich konnte nicht schlafen."

Felix trat näher. "Wegen dem Gewitter?"

Sie errötete. "Nein, Quatsch", stritt sie heftig ab, "einfach nur so."

"Hey." Er lächelte sie plötzlich an. "Ich wollte mir gerade ein Sandwich machen. Willst du auch eins?"

Lana hörte beim Wort "Sandwich" ihren Magen leise knurren, als verlangte er endlich seinen Tribut. Sie nickte, und Felix streckte grinsend seine Daumen in die Höhe und verschwand mit den Worten "Kommt sofort!" wieder aus ihrem Zimmer.

Als er wiederkam, hatte er einen Teller mit einem Berg von Butterbroten in der einen Hand, und ein Glas Wasser in der anderen. Das Getränk stellte er auf ihren Tisch und deutete dann auf die Wasserfarben. "Damit du nicht diese Brühe trinken musst."

Lana schnappte sich ein Käsebrot vom Teller, den er ihr hinhielt, und Felix setzte sich im Schneidersitz auf ihr zerwühltes Bett. Er hatte ein graues T-Shirt und eine Boxershorts an und während er von seinem Brot abbiss, betrachtete er aufmerksam ihr Tun.

Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, den er nachdenklich erwiderte.

"Ich hab mich gerade gefragt", fing er langsam an und runzelte die Stirn, "wie lange es her ist, dass wir uns gesehen haben? Das letzte Mal war ich nach dem Abi im Urlaub, als muss es schon mindestens fünf Jahre her sein, oder? Ziemlich lange Zeit."

Lana schüttelte den Kopf. Sie musste nicht großartig überlegen, um es zu wissen. "Nein, das war vor drei Jahren, aber ich weiß nicht, ob du überhaupt mitbekommen hast, dass wir hier waren."

Felix ließ überrascht sein Sandwich sinken. "Vor drei Jahren?"

Sie nickte, kaute andächtig, legte das Brot beiseite und tunkte den Pinsel routiniert in das Wasserglas und dann in den Farbkasten, um rote Farbe aufzunehmen. "Du hattest diese Freundin und ihr wart unzertrennlich. Irgendwas mit A... Anja? Annika? Oder so."

"Oh." Felix starrte sie an. "Annelie. Ich erinnere mich."

"Ach ja?"

"Nicht an dich", beteuerte er schnell, als hätte er etwas Falsches gesagt, und Lana blinzelte verwirrt. "Ich meine, wart ihr in dem Sommer echt da?"

"Nur ein paar Tage. Mama ist dann nach Hause gefahren und ich bin zu Papa in die Eifel gefahren für den Rest der Sommeferien. Aber der Anblick von euch zwei Turteltäubchen, wild knutschend auf der Terrasse, verfolgt mich manchmal immer noch bis in meine Alpträume", erklärte sie ironisch und malte ungerührt das getrocknete Ahornblatt mit leuchtend roter Farbe an.

Felix kratzte sich am Hinterkopf. "Oh man. Ich fass es nicht. Das war wohl keine Glanzleistung, was?"

Lana lachte trocken. "Deine Freundin sah das sicher anders."

Er biss wieder von seinem Bot ab. "Keine Ahnung. Sie war ziemlich anhänglich. Aber damals war es ja noch frisch. Es war dann ziemlich schnell vorbei", sagte er mit vollem Mund und deutete dann auf Lana's Arbeit. "Warum machst du das?"

Sie zuckte mit den Schultern. "Wir haben das mal in der Grundschule gemacht, glaube ich. Kurz, nachdem ich umgezogen bin. Ich hab damals tonnenweise Blätter bemalt. Oma hat dann immer gesagt, mein Zimmer gleicht einem Wald."

"Ich bin noch nie umgezogen. Muss hart gewesen sein."

Sie hielt kurz inne und dachte nach. Dann fuhrt sie fort, mit dem Pinsel das Blatt zu bearbeiten. "Es geht. Wenn man noch klein ist, ist das halb so schlimm. Das unangenehmste sind die ersten paar Wochen, wenn man die Neue ist. Ich hab jeden Morgen vor der Schule geheult und gehofft, dass du plötzlich auf wundersame Weise im Klassenzimmer sitzt, wenn ich reinkomme, damit ich nicht mehr so alleine bin. Aber dann hab ich mich mit anderen Kindern angefreundet. Es war also okay." Sie grinste ihn leicht verlegen an ob diesem Geständnis und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.

"Und ich sollte da sitzen, obwohl ich zwei Klassen über dir war?", hakte er zweifelnd nach.

"In meiner Fantasie war eben alles möglich", rechtfertigte Lana sich. Sie erinnerte sich, wie viel Zeit sie damals mit Tagträumen verbracht hatte. Die verschiedensten Situationen hatte sie sich ausgemalt, in denen sie plötzlich auf Felix und seine Eltern traf. Am schönsten waren aber die Vorstellungen, wieder zurück nach Hause zu ziehen. Ein Kind findet schnell Zerstreuung, und so war es letztendlich auch bei ihr gewesen. Aber in der Zwischenzeit, für nur ganz kurze Zeit, war ihr alles wie ein ganz persönlicher Weltuntergang vorgekommen.

Sie hörte es rascheln und wandte sich Felix zu, der sich auf ihrem Bett ausstreckte und den Kopf ins Kissen sinken ließ, doch seine Augen waren noch immer auf ihre Arbeitsunterlage gerichtet. Schweigend betrachtete er, wie sie ein Blatt nach dem anderen mit verschiedenen herbstlichen Farben bemalte.

Nach einer ganzen Weile, in der Stille herrschte und Lana fast vergessen hatte, dass er sich ebenfalls im Zimmer befand, lachte er leise und Lana, von diesem Geräusch aus ihren Gedanken gerissen, richtete sich gerade auf und warf ihm einen fragenden Blick zu.

"Du summst 'Can you feel the love tonight'", erklärte er ihr amüsiert. Er lag auf der Seite und hatte einen Arm unter seinen Kopf geklemmt, um es bequemer zu haben. "Und das ziemlich schief."

"Hab ich nicht", protestierte Lana, während ihre Wangen leicht erröteten. Sie hatte schon öfter von ihrer Mutter gehört, dass sie anfing zu summen, wenn sie tief in Gedanken war, aber bewusst mitbekommen hatte sie es noch nie. "Außerdem kann man gar nicht schief summen."

"Hab ich bis eben auch gedacht, aber so ist es. War es wenigstens die Disney-Version oder die von Elton John?"

"Elton John", murrte sie missmutig. "Die finde ich besser."

Felix gähnte und drehte sich auf den Rücken. "Sind beide kitschig", konstatierte er, wie nur ein Mann es konnte, und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf, schloss die Augen.

Lana seufzte. Sie verteilte die noch feuchten, bemalten Blätter auf dem Schreibtisch, damit sie dort trocknen konnten. Dann nahm sie die Pinsel und das Wasserglas, das mittlerweile mit rot-oranger Brühe gefüllt war, und brachte sie ins Bad, um die Sachen auszuspülen.

Als sie wieder zurückkam, hatte Felix sich kaum vom Fleck bewegt und atmete nun regelmäßig. Sie runzelte die Stirn und trat näher.

"Felix?"

Er rührte sich nicht, also berührte sie ihn sanft an der Schulter. "Felix. Geh in dein eigenes Bett, wenn du schlafen willst. Hier schlafe ich."

Er murmelte etwas vor sich hin und rückte dann zur Seite, drehte sich mit dem Gesicht zur Wand und ihr damit den Rücken zu.

Lana stemmte die Arme empört in die Hüften. "Das ist nicht dein Ernst, du Riesenbaby. Wenn deine Mutter..." Sie brach abrupt ab und malte sich das Szenario aus, wie Tante Julia Felix und sie am nächsten Morgen zusammen in einem Bett vorfinden würde. Der Horror. Sie schluckte. "Komm schon", flehte sie dann leicht verzweifelt.

"Mach nicht so'nen Aufstand", brummte er dann schläfrig. "...'s genug Platz..."

Einen Moment lang stand sie unschlüssig vor dem Bett. Sie könnte ihn rausschmeißen. Ihn so lange nerven, bis er die Nase voll hatte und ging. Aber irgendetweas hielt sie davon ab.

Dann zerrte sie - nicht gerade sanft - die Decke unter Felix hervor, wobei ihn das noch näher zur Wand beförderte. Er knurrte protestierend, ließ sich dadurch aber auch nicht dazu bewegen, zu verschwinden.

Um irgendwelche Missverständnisse zu vermeiden, schlich sie zur Tür und drehte den Schlüssel herum. Sie hoffte bloß, dass Tante Julia sie nicht am Sonntagmorgen wecken würde, denn das wäre... schlimm. Lana stellte den Teller, der immer noch auf ihrem Bett, zu Felix' Füßen, stand, auf den Schreibtisch, dann löschte sie das Licht und schlüpfte unter die Decke. Mit dem Ellbogen schob sie Felix noch weiter zur Wand, nur, um ihn ein bisschen zu ärgern, und dann, als sie die ganze Decke und genug Platz für sich beanspruchen konnte, blieb sie still liegen und lauschte auf seine gleichmäßigen Atemzüge.

Sie nahm den Geruch nach Seife wahr und spürte die Wärme seines Rückens an ihrer rechten Körperseite und mit weit geöffneten Augen starrte sie noch eine lange Zeit die dunkle Zimmerdecke an.
 

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Danke für's Lesen erstmal. :)

Ich wollte nur mal sagen, um irgendwelche Missverständnisse zu vermeiden: Lana's Paten sind nicht mit ihr verwandt! Sie nennt sie zwar Tante und Onkel, aber sie sind wirklich ganz ehrlich wahr 100%ig nicht miteinander verwandt. Aber das habt ihr sicherlich alle gewusst, gell? ;)



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  basta
2012-05-31T05:48:48+00:00 31.05.2012 07:48
Eine sehr tolle Geschichte..ich hoffe es geht hier irgendwann noch weiter :)
Von:  -Nami
2011-02-13T15:58:01+00:00 13.02.2011 16:58
also mal wieder eine klasse story von dir :)
ich mag felix i-wie und lana ist sehr angespannt in seiner nähe fällt mir gerade so auf.
warum sperrt die ab? dann denkt ihre tante erst recht was!XD

Von:  Tweetl
2011-02-13T09:59:28+00:00 13.02.2011 10:59
Hallo.^_^
Erstmal..., die zwei sind wirklich niedlich. Wie Felix sich unverschämterweise einfach in ihr Bett legt und nicht mehr aufstehen will. - Ich kenne auch einen Felix, der würde das bei manchen sicherlich auch glatt bringen. x'D Nun gut..., aber ich glaube, sie hätte lieber nicht absperren sollen. Da denkt sich Tantchen sicherlich eher was.

Deinen Schreibstil empfinde ich ebenfalls als recht angenehm. Weiter so.^_^

Grüße



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