With you, with me
Ruki sass im Wagen. Es war nicht sein Wagen, denn dieser lag ein wenig tiefer und die Scheiben waren kaum angedunkelt. Doch er stand im Schatten von defekten Laternen, so dass man nicht hinein sehen konnte und er auch nicht weiter auffiel.
Reita stand wie immer an seiner Wand. Wie immer trug er sein Nasentanga, korrekte, eigentlich fast sorgfältige Kleidung und sah umwerfend aus.
Wie oft kam ab und zu ein Kollege vorbei, wechselte ein paar Worte mit ihm, scherzte und verschwand dann wieder lachend.
Eigentlich war alles wie immer. Nur dass Ruki in einem fremden Wagen fast hundert Meter von Reita entfernt sass und keine Anstalten machte, zu dem Stricher zu gehen.
Die Nacht war noch blutjung und nur langsam erhöhte sich die Anzahl der Autos, die durch die Gasse schlichen.
Da! Da hielt das Erste vor den rot prangenden Lettern. Ruki konnte beobachten, wie Reita nur müssig den Kopf hob. Da seine eigenen Scheiben oben war, hörte er nicht, was er wohl sagte, doch es war nur kurz. Dann fuhr der Wagen weiter und Reita schien sich wieder ganz für sich selbst zu interessieren.
Leicht lächelnd lehnte sich Ruki zurück und saugte am Strohhalm seines Pappbechergetränks. Das würde eine interessante Nacht werden.
Eine halbe Stunde später ging es richtig los. Ein roter untersetzter Wagen hielt zuerst vor Reita. Wieder reichten zwei Sätze und das Auto fuhr fort, ohne dass der Stricher sich von der Stelle bewegt hätte.
Darauf folgten noch ein blauer und kurz darauf ein schwarzer Wagen, doch alle wurden von Reita abgelehnt.
Inzwischen war die Zeit, um die Ruki normalerweise auftauchte, überschritten und der Kleine konnte immer öfters bemerken, wie Reita sich umsah.
Ob er wohl nach ihm Ausschau hielt? Ruki hielt es durchaus für möglich und grinste in sich hinein.
Ruki war bereits zwei Stunden über der Zeit als ein dunkler Wagen hielt, nach all den vielen weiteren die abgelehnt worden waren. Die Nacht war bereits sehr kalt geworden. Einige der Stricher waren verschwunden, andere sogar schon wieder zurück von ihrem ersten Kunden.
Dieses Mal stiess sich Reita von der Wand ab, blieb noch einmal stehen, sah die Strasse rauf und runter und Ruki lief ein Schauer über den Rücken als der Blick ihn streifte, obwohl er ihn nicht sehen konnte und auch gleich weiterschweifte.
Dann ging der Stricher zum heruntergelassenen Fenster.
Der Kleine hatte sich aufgesetzt und liess seine Scheibe ein wenig runter, doch die Worte wurden vom Wind zerfetzt und nur unverständliche Brocken wurden bis zu Ruki geweht. Er verstand nicht was sie sagten, doch das Gespräch dauerte eindeutig länger als die vorigen.
Der Blonde nahm zur Notiz, dass sein Herz kräftig klopfte. Würde der Stricher einsteigen und mit diesem Kunden davon fahren?
Ging es ihn denn etwas an? Schliesslich war er mehr als verspätet und Reita musste ja schliesslich an sein Geld kommen. Auch wenn er die letzten Wochen mehr verdient hatte, als jemals zuvor und sicher ohne weiteres eine Pause von mehreren Tagen hätte einlegen können.
Ruki ertappte sich dabei, wie er auf dem Strohhalm herumkaute und ihn mit seinen Zähnen unbarmherzig bearbeitete. Erst als Reita sich plötzlich abstiess, schwungvoll umdrehte und zur Wand zurück ging, worauf der Fahrer anscheinend sauer davon brauste, hörte er auf damit.
Der Stricher schien mittlerweile die Geduld verloren zu haben, doch noch ging er nicht.
Ruki dachte nach. So spät war es noch nie gewesen. Deshalb liess er sich nicht allzu viel Zeit und drehte den Zündschlüssel um.
Der Motor startete und der Wagen glitt ins Licht hinein.
Nach einigen Meter entdeckte Reita ihn und richtete sich wieder zu seiner vollen Grösse auf. Er schien nicht angetan zu sein und eigentlich gehen zu wollen.
Er wusste ja auch nicht, wer sich hinter dem Steuerrad befand.
Ruki hielt und liess die Scheibe runter. Reitas entnervter Gesichtsausdruck, der verriet, dass er dem Fremden gerade die letzte Absage, oder vielleicht im letzten Moment doch eine rächende Zusage machen wollte, wandelte sich in Misstrauen, als er Ruki entdeckte. Die Hände hatte er tief in den wärmenden Taschen seiner Hose vergraben und er musterte in einigem Abstand bleibend die Silhouette des Fahrzeugs.
"Was ist das denn? Seit wann fährst du so ne Reisschüssel?", fing er unfreundlich an. "Wo ist dein Wagen?"
Der kleine Blonde zögerte, sah nach vorn. "Steigst du ein?" Es war diesmal wirklich eine Frage und keine Aufforderung.
Reita schnaubte, doch öffnete die Tür und liess sie hinter sich zuknallen.
Einen Moment war es still.
"Du bist spät.", stellte Reita dann leise fest.
"Ja."
Ruki lächelte leicht. Ja, aber es hatte sich gelohnt.
"Schnall dich an." Ruki fuhr an und dieses Mal fuhren sie eine ganze Weile in einen völlig anderen Stadtteil Tokyos. Aus dem Augenwinkel gewahrte Ruki wie Reita etwas irritiert aus dem Fenster starrte und heraus zu finden versuchte, wohin sie gingen.
Heute würde noch einiges anders sein.
Schlussendlich hielt Ruki in einer sauberen Strasse, wo sich Mehrfamilienhäuser ordentlich aneinander reihten und zu dieser späten Stunde kaum jemand draussen war.
Die Autotüren klackten leicht und Reita blickte den Block hoch.
"Wo sind wir hier?" Seine Stimme hatte den ungemütlichen Klang abgelegt und war einfach nur noch etwas verwundert, ansonsten aber gewohnt warm, wie Ruki fand.
"Wir sind bei mir.", antwortete dieser und schloss die untere Glastür auf.
Schweigen herrschte, als sie mit dem Aufzug nach oben fuhren, im Gang kurz verweilten bis auch die Wohnungstür offen war und dann eintraten.
Die Wohnung sah vereinsamt aus, da nur der Mond durch die Wohnzimmerfenster bis in den Flur schienen. Reita sah sich um, während sie gewohnheitsmässig aus den Schuhen schlüpften und Ruki das Licht anstellte.
Auch jetzt war die Einrichtung etwas spärlich und nur wenige persönliche Sachen standen auf den Regalen. Der Stricher wandte sich zu Ruki um. "Wie lange wohnst du hier schon?"
Ruki lächelte etwas karg. "Ich bin erst vor wenigen Wochen nach Tokyo gezogen. Eigentlich ziemlich genau so lange wie du mich kennst."
Ihre Blicke lagen ineinander, bis Ruki den Kopf wand. "Möchtest du vielleicht was trinken?"
Reita streckte sich leicht, sein Körper war klamm vor Kälte. "Wenn du wärmenden Sake da hast, sag ich nicht Nein!", grinste er etwas und das Blitzen trat zurück in seine Augen. Ruki erwiderte das Grinsen.
"Japaner haben immer Sake da!" So holte er auch gleich schon eine Flasche und die dazu gehörigen Ochoko hervor.
Sie stiessen gemeinsam an und leerten die erste Portion. Dann schenkte Ruki Reita nach und Reita Ruki, so wie es sich nach der Tradition des O-shakus gehörte. Wieder stiessen sie an und bald schon waren sie erheitert.
Lachend leckte sich Ruki verschütteten Sake von der Handseite und bemerkte mit der Klarheit eines angetrunkenen wie Reita ihn mit einem Ausdruck ansah, den er nur zu gerne darin hatte.
Ruki hickste leicht und biss sich auf die feuchten Lippen vor Scham. Doch dann beugte er sich zu Reita rüber, ihre Gesichter schwebten ganz nah voreinander und Reita roch den warmen, alkoholigen Atem. Fast...noch ein kleines...fast...bisschen...und ihre Lippen würden sich berühren.
Der Grössere starrte auf das Lippenpaar und bewegte sich nicht. Sein Kunde war nicht wirklich betrunken...nur eben etwas beschwipst, das sah man an den glasigen Augen und der anmachenden Art wie er sich anbot.
"Weisst du...mein Bett wurde noch nicht eingeweiht..." Die Worte wurden über die vollen Lippen des Strichers gehaucht. "Hilfst du mir dabei~?"
Reita sah ihm wieder in die dunklen Augen und lächelte. Ganz sanft streichelte er mit seinen Lippen über Rukis. Es war kein richtiger Kuss. Es war nur eine...eine weiche Berührung.
Darauf hob er ihn hoch, der Kleine schlang sich um ihn, hielt sich fest.
"Dann wollen wir mal eine kleine Einweihungsparty feiern~", schmunzelte er leicht und fand von alleine das Schlafzimmer, wo sie gemeinsam die Nacht verbrachten...
In dieser Nacht hatte Ruki etwas sehr Wichtiges gelernt.