Zum Inhalt der Seite

Minus 100 Grad in der Sonne

Alle Zehen noch dran?
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

~

-100 Grad in der Sonne
 


 

Mir ist so kalt, so verdammt kalt! Meine Zähne klappern und ich halte meine Arme eng um meinen eigenen Oberkörper geschlungen, der – mal so ganz nebenbei – schon in einem dicken Mantel steckt, der mit bis zu den Knien reicht. Ich stapfe neben meinem werten Freund her durch den eisigen Schnee – der mir ebenfalls bis zu den Knien reicht, nur von der anderen Seite kommend – und glaube schon meine Füße allmählich nicht mehr zu spüren. Meine Zehen muss ich schon vor unzähligen Metern (ach was Kilometern) verloren haben. Mein großer Rucksack drückt mich noch zusätzlich in den Schnee. Ich fühle mich wie ein Pfadfinder. Ich bin Musiker, verdammt! Ich sollte nicht bei circa minus 20 Grad durch eine Eiswüste stapfen!

„Mir ist kalt“, beschwere ich mich bibbernd und ziehe ausdrucksstark die Nase hoch, sodass ein nicht sonderlich sexy Schniefen zu hören ist. Jin neben mir grinst mich vergnügt aus seiner Fellkapuze heraus an.

„Wir haben’s doch bald geschafft. Komm, nur noch ein bisschen.“

Wie kann man bitteschön so verdammt guter Laune sein, wenn man gerade einen grausamen Erfriertod stirbt?! Wir werden in dieser Eiswüste drauf gehen, ich sehe schon die Schlagzeilen vor mir: Johnny’s meist Erfolg versprechende Jungkünstler im ewigen Eis verschollen! oder wie wäre es mit Wo sind sie nur geblieben? Welt trauert um Akanishi Jin und Kamenashi Kazuya, mögen sie ewig in unseren Herzen weiter leben. Okay, zu lang, ich seh’s ja ein.

„Hatschu!“ Na toll, jetzt bekomme ich auch noch einen Schnupfen. Grummelnd schniefe ich vor mich hin, fahre mir mit meinen – Gott sei Dank in Handschuhen steckenden Händen – über mein trotz Schal eingefrorenes Gesicht und stapfe Jin hinterher. Wie kommt man auch auf diese bescheuerte Idee im Winter Urlaub auf Hokkaido zu machen? Hörte sich ja erst alles ganz toll an, als Jin mich dazu überredet hat: „Komm schon, ich kenne da ein wunderbares Hotel, ganz in der Nähe des Tokachi Flusses! Ein Onsen, um genauer zu sein. Es wird unglaublich ruhig sein, wir können endlich mal in Ruhe entspannen und die Natur genießen. Komm schon Kame-chaaan.“ So und ähnlich ging das. Ich schniefe wieder und durchlöchere den Rücken meines Freundes mit mörderischen Blicken. Doch der Trottel merkt das nicht einmal.

Ich richte meinen Blick nach oben. Es dämmert schon, aber auch kein Wunder, wir haben ja auch ‚schon’ vier Uhr Nachmittags und bald wird die Luft sicherlich noch mehr abkühlen. Mit einem Mal pralle ich auf etwas Hartes, stolpere, verliere vor allem durch das Gewicht meines Rucksackes und meiner durch die Schneewehen behinderten Füße das Gleichgewicht und werde doch aufgefangen, bevor ich kopfüber in der weißen Wüste landen kann. Das hätte mir gerade noch gefehlt.

„Vorsicht, Baby… du wirst noch krank.“

„Du!“, ich schlage nach seiner Schulter, während Jin nur lacht und meine Hände sich mit einem Mal in seiner Umklammerung befinden. Immer noch grinst er mich an und drückt mir einen unglaublich warmen Kuss auf den Nasenrücken. Wie kann man eigentlich eine so hohe Körpertemperatur haben? Ich schmelze sprichwörtlich unter seiner kurzen Zuwendung, ehe er mich wieder richtig auf meine Eisklumpen (ich meine meine Füße) stellt und noch wartet, bis ich sicher stehe, ehe er mich loslässt. Zum Glück nicht ganz, er nimmt meine Hände und zieht mich eng an sich. Bringt zwar nichts mit all den Schichten an Kleidung, die ich an habe, aber alleine die Geste lässt mich glücklich lächeln, so sehr ich das eben noch kann, mit meinen eingefrorenen Gesichtsmuskeln. Jin beugt sich vor und ich spüre das zarte Kitzeln seines Pelzes auf meinen kalten Wangen, während er seine warmen Lippen auf meine linke Wange drückt.

„Halt noch ein bisschen durch, Schatz. Ich kann doch auch nichts dafür, dass die Züge wegen diesem Mistwetter nicht fahren und wir zu Fuß laufen müssen.“

„Wir hätten uns da ein Hotel nehmen können“, maule ich verhalten unter meinem Schal hervor, genieße seinen warmen Atem auf meiner Haut, auch wenn die eiskalte Luft sie sogleich wieder auf Minusgrade herab kühlt. Wenn ich nicht wüsste, dass das schon längst meinen Tod bedeutet hätte… ich würde schwören, mein Körper ist in der Zwischenzeit auf minus 30 Grad abgekühlt.

Jin lächelt sein liebenswürdigstes Lächeln, das zumindest mein Herz Wort wörtlich wieder zum schmelzen bringt.

„Ich wollte doch aber, dass du diesen wunderbaren Onsen kennen lernst, in dem meine Eltern früher immer mit mir waren.“ Ich seufze leidend, beuge mich vor und drücke meine Lippen gegen seine, nachdem ich meinen Schal ungelenk mit meiner behandschuhten Hand herab gezogen habe. Ein Gutes hat diese einsame Gegend ja immerhin. Doch anstatt meinen Kuss so zu würdigen, wie ich seinen, macht Jin einen Schritt zurück und zieht seine Nase kraus.

„Deine Lippen sind kalt“, wagt er doch tatsächlich, sich zu beschweren und mir fällt für einen Augenblick einfach nichts ein auf diese Dreistigkeit hin. Meine Augen sind einfach nur groß, während Jin immer breiter zu grinsen beginnt.

„DU!“, zische ich zum zweiten Mal innerhalb nur weniger, eiskalter Minuten und jage meinem giggelnden Freund durch den viel zu tiefen Schnee nach, als er sich einfach auf und davon macht. Wer ist denn schuld daran, dass ich hier durch mindestens minus 40 Grad kalte Luft rennen muss?!

„Bleib stehen!“, rufe ich ihm schon bald außer Atem durch die zum Sport ungeeignete Kleidung, diesen verdammten Rucksack hinterher. Er hat längere Beine als ich, das ist nicht fair! Die tragen ihn viel leichter durch den tiefen Schnee. Irgendwann stolpere ich und lande – wie schon zuvor befürchtet – das Gesicht voran, wild mit den Armen rudernd im Schnee. Fluchend kämpfe ich mich wieder frei und knie bald in der weißen, verhassten Masse, wische mir das bald zu Eis werdende Zeug aus meinen langen Haaren, während ich versuche mich gegen das Gewicht meines Gepäcks wieder auf die Beine zu stemmen.

„Verdammte Scheiße, Arschloch, elendes! Nicht einmal warten kann er auf mich“, fluche ich verbissen und schüttele angewidert das Pulverzeugs aus meiner Kleidung, während ich mich zitternd aufrichte. Jetzt reicht es mir wirklich! Ich gehe wieder zurück! Soll der doch bleiben, wo der Pfeffer wächst! Aber hier herrschen ja selbst in der Sonne mindestens minus 50 Grad. Da wächst nichts! Ich knurre angefressen, und stapfe schon los, meiner – jetzt sehe ich es erst – in Schlangenlinien verlaufenden Spur nach, wieder zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind, als ich zwei starke Arme um mich spüre, die mich sicher festhalten. Jin drückt mich an seine Brust und ich balle die Hände zu Fäusten in meinen nassen Handschuhen. Meine Finger frieren mir auch gerade ab! Toll!

„Kame-chan“, höre ich seine warme Stimme in meinem Ohr. Oh nein, mein Herr! Du hast heute verschissen!

„Komm schon, du willst doch nicht wirklich den ganzen Weg zurück laufen… Wir sind schon fast eine Stunde unterwegs, das heißt, du würdest mindestens so lange zurück brauchen… es kann wirklich nicht mehr weit sein bis zum Takochigawa-Onsen. Schatz~…“

Wer könnte seiner Quengelstimme schon widerstehen? Ich seufze leidend und spüre, wie sich seine Arme fester um meinen Körper schlingen. Aber damit ist das noch lange nicht ausdiskutiert!

„Komm schon Kamee~“, brummelt er gegen mein Ohr, den Mund gegen meine Kapuze gedrückt, sodass ich die Vibrationen spüren kann. Ich kann nichts gegen das Glucksen tun, das in meinem Hals aufsteigt und schließlich zu hören ist.

„Na siehst du, mein kleiner Schneehase“, grinst Jin verspielt und ich knuffe ihn für den bescheuertesten aller Kosenamen, den er sich je ausgedacht hat in die Seite. Leider ist sie viel zu gut gepolstert, als dass es ihm mehr als ein Lachen entlocken könnte.

„Süß~“ höre ich noch und schnaube. Ich drehe mich in seinen Armen um, presse meine Hände gegen seine Brust und sehe sein Strahlen gerade so noch, ehe er seine Lippen für einen zärtlichen Kuss auf meine drückt. Und als er sich – nach Ewigkeiten, wie es mir scheint – von mir löst, spüre ich nur wieder diese unglaubliche Kälte. Sogleich fangen meine Zähne wieder unschön an zu klappern.

„Ich wette, ich bin am Boden festgefroren“, murmel ich, mich gegen Jin schmiegend. Er grinst mich vergnügt an, zieht fürsorglich meinen Schal wieder über meinen Mund und meine Nase, ehe er seine Arme wieder um mich schlingt und mich… hoch hebt! Ich quietsche leise, da ich meine Arme nicht so schnell aus einander lösen kann, um sie um Jins Nacken zu schlingen.

„Nein, noch nicht angefroren“, grinst er, stupst mir dann auf die verhüllte Nasenspitze und ich sehe auf seiner Handschuhspitze eine Schneeflocke. Beide blicken wir in den immer dunkler werdenden Himmel auf, aus dem nun kleine, weiße Flöckchen auf uns herab rieseln.

„Aber bald vielleicht schon, wenn wir uns nicht beeilen“, murmelt mein Freund dann. Ich höre die leichte Sorge nun auch aus seiner Stimme.

„Oh nein“, ein leises Stöhnen meinerseits und er schnappt nach meiner Hand und zieht mich hinter sich her. Woher er überhaupt noch weiß, wo wir hin müssen, frage ich mich schon eine geraume Weile.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Weiter stapfen wir durch das immer dichter werdende Schneechaos und die Sicht wird immer schlechter, meine Zähne klappern immer lauter. Vielleicht findet man uns ja immerhin anhand dieser Geräusche. Wieder kehre ich mit meinen Gedanken zurück zu meinen grausigen Schlagzeilen (Jahr 3031: Neuste Funde! Wunderschöne Urzeitmenschen im Eis gefunden – Versuche sie wieder aufzutauen beginnen – oh ja bitte, taut uns wieder auf! Gefühlte minus 60 Grad sind nicht mehr lustig!), während Jin meine Hand fest in seiner hält, damit wir uns nicht in dem Gestöber verlieren. Taub vor Kälte, lasse ich mich einfach nur noch hinter ihm her ziehen, stolpere ihm nach und verliere nicht nur einmal beinahe das Gleichgewicht. Wie kann er so entspannt all das Gepäck tragen, das er dabei hat? Ich weiß, dass er mindestens genau so schlimm ist in Sachen ‚Klamotten einpacken’, wie ich.

„Jin, ich kann nicht meh-aaaaaaaaah~!“

Mit einem Mal verlieren wir beide die Balance, meine Füße rutschen mir einfach unter meinem Körper weg und auch Jin kämpft mit seinem Gleichgewicht. Ich jedoch ziehe ihn einfach mit zu Boden, sodass er endlich (ein wenig Schadenfroh bin ich doch) auch einmal schmeckt wie das ist, im Schnee zu landen. Ich probiere die ganze Sache nur leider auch ein weiteres Mal aus und ich muss sagen: Es wird nicht besser!

„Unf.“ Ich liege auf dem Rücken, meine Hand immer noch fest in Jins, während nun die Flöckchen auf mich herab segeln. Leicht drehe ich meinen Kopf zur Seite, spüre ekelhaft den Schnee in meine Kapuze in den Nacken rieseln und blickte zu Jin, der neben mir im Schnee liegt und sich leicht windet, versucht sich wieder aufzurichten.

„Gott, was war das?“, höre ich seine Stimme in einem Stöhnen aus dem Haufen aus Weiß und Kleidung dringen, der sich allmählich regt. Jin schafft es irgendwie sich auf die Seite zu drehen, lässt meine Hand los und kommt auf alle Viere. Er kriecht schwer atmend zu mir, da ich wie ein Käfer auf meinem schweren Gepäck liege und Schnee rieselt mir aus seinem weiß bepulverten Kapuzenpelz entgegen. Ich kneife die Augen zusammen, lasse mir von ihm schwerfällig in eine sitzende Position helfen. Meine Hose ist klatsch nass. Wenn ich mich nicht erkälte, kommt das eigentlich einem Wunder gleich!

„Alles klar?“, murmele ich, klopfe mir dabei den Schnee von meinem schmerzenden Körper.

„Ja, passt schon“, gibt er zurück. „Und bei dir?“

„Hm, alles klar.“ Ich sehe zu ihm, wie er mit den Händen über den Boden wischt.

„Oh.“

„Was?“

„Eis.“

Ich blinzle ihn an.

„Was?“

„Eis“, wiederholt er, klopft leicht darauf und blickt zu mir auf, den Kopf leicht schief legend.

„Das kann nur heißen, dass wir…“

„… an dem Fluss sind!“ Ich grinse leicht, auch wenn meine tauben Gesichtsmuskeln kaum noch wissen, wie das geht.

„Und das heißt, dass wir bald da sind“, grinst Jin zurück, steht behände auf und hält mir seine Hände hin. Er zieht mich hoch und blickt sich suchend um.

„Hm?“

„Ich überlege gerade, wo die Brücke sein könnte. Ich weiß nicht, wie dick das Eis-“

„Vergiss es! Ich gehe jetzt straight über diesen Bach, mir scheiß egal, ob wir einbrechen oder nicht“, gebe ich schroff von mir.

„Fluss.“

WAS?!

„Es ist ein Fluss, Schatz.“

„Klugscheißer“, knurre ich. „Jedenfalls erfriere ich so oder so bald.“ Meine Zähne klappern wieder auf einander, dass ich beinahe Angst haben muss, dass sie mir bald zerspringen.

„Okay.“

„Okay?“

„Okay. Wir gehen über den Fluss.“

„Bach.“

„Was?“, mein Freund starrt mich verwirrt an, ich winke ab.

„Meinst du, du kannst meinen Rucksack noch auf den Rücken nehmen?“ Nun starre ich ihn an. Will der mich verarschen?

„Du bist doch wohl ver-“

„Reg dich nicht auf, ich will dich tragen, du Hornochse.“ Ich blinzle leicht verwirrt, noch während er hinter mich tritt und mir seinen Rucksack über meinen packt, sodass ich leicht strauchle, versuche mein Gleichgewicht wieder zu finden. Dann mit einem Mal ist Jin wieder vor mir und geht in die Knie, blickt mich über seine Schulter hinweg an.

„Na komm, ich will hier nicht festfrieren.“ Anscheinend wird auch ihm allmählich kalt. Ha! Aber dazu braucht es erst gefühlte minus 70 Grad? Bewundernswert, wo ich schon bei minus 20 schnattere wie eine alte Gans.

Vorsichtig lege ich meine Hände auf seine Schultern, ich spüre sofort seine Hände an meine halb eingefrorenen Beine gleiten und zittere, als er die klamme Hose gegen meine ausgekühlte Haut drückt. Mit einem Mal sitze ich, hänge eher auf seinem Rücken, meine Arme um seine Brust geschlungen. Ich weiß wirklich nicht, wie er das gemacht hat, aber dieser Kerl hat beneidenswerte Kräfte. Oder ich bin einfach nur zu leicht. Vielleicht ist mir deshalb auch so kalt, zu Hölle. Oh ja, da wäre ich jetzt gerne… an einem schönen Feuerchen.

„Kame, du würgst mich“, keucht es unter mir und ich versuche sofort – aus meinen Gedanken geschreckt – meinen Griff ein wenig zu ändern, während Jin schon halb über den zugefrorenen Fluss sprintet. Meine Oberschenkel bekommen dort, wo sie an Jins Seiten gepresst liegen immerhin wieder eine Idee davon warm zu werden, ebenso wie mein Oberkörper an Jins Rücken.

Obwohl ich meinen Griff gelöst habe, keucht mein Freund weiterhin angestrengt, was ja auch kein Wunder ist. Wir – eh er – brauchen nicht lange, bis wir uns über den Fluss gekämpft und dabei Gott sei Dank nicht noch einen kleinen Abstecher zum Schwimmen gemacht haben. Auf einen Triathlon kann ich heute ausnahmsweise gerade noch mal so verzichten.

Ein kleiner Hügel erhebt sich vor uns und Jin schafft es auch noch diesen schnaufend mit mir auf dem Rücken hinauf. Ich liebe diesen Mann gerade immer mehr, obwohl er mich in dieses Gefrierfach mit höchstens minus 80 Grad verschleppt hat.

„Guck mal Kame“, keucht er unter mir und ich blicke auf, öffne meine Augen, die ich zum Schutz gegen die immer scharfkantiger scheinenden Schneeflocken geschlossen habe. Zunächst sehe ich nicht, was Jin meint, dann erkenne auch ich die Schemen.

„Was…“

„Häuser“, gibt er außer Atem von sich, wirft mich mit einem leichten Ruck höher auf seinem Rücken. Ich umklammere ihn fester mit meinen Beinen, um es ihm leichter zu machen. Ehrlich, jetzt wo er mich trägt habe ich das Gefühl, keinen Schritt mehr tun zu können. Meine Beine fühlen sich an wie Wassereis und Wackelpudding in einem.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Jins Schritte werden allmählich immer langsamer, träger, während er mich durch die Straßen der kleinen Stadt schleppt. Ich bin müde und mir ist so verdammt kalt. Mein erfrorenes Gesicht habe ich an seiner Halsbeuge vergraben, auch wenn es dort in seinem nassen Schal liegt. Ich kann meinen Kopf einfach nicht mehr oben halten. Meinem Gefühl nach ist es noch kälter geworden. Zehn Grad mindestens, wenn nicht sogar zwanzig. Minus 100 Grad. Brr… alleine die Vorstellung.

Mit einem Mal bleibt Jin stehen, wackelig und ich schaffe es doch noch meinen Kopf leicht anzuheben und blicke nach vorne. Wir stehen windgeschützt, direkt vor dem Eingang eines riesigen Gebäudes - hell erleuchtet -, unter dem Vordach. Ich blinzle, kann nicht wirklich glauben, was ich da sehe. Wir sind… da?

Jins Griff um meine Beine löst sich allmählich und ich gleite von seinem Rücken, halte mich jedoch rasch an ihm fest, da das unerwartete Gewicht der zwei Taschen mich nach hinten zu ziehen droht. Jins Schultern heben und senken sich heftig und ich schlinge meine Arme um ihn, ziehe ihn an meine Brust und drücke ihn einfach an mich.

Nur langsam löse ich mich wieder von ihm und Jin hilft mir den Rucksack los zu werden und sich selbst wieder auf den Rücken zu schnallen, sodass wir kurz darauf tropfend in die, mir nun viel zu warm scheinende Lobby treten können. Schniefend stapfen wir beide nebeneinander, nasse Spuren hinterlassend auf die Rezeption zu, hinter der eine junge Japanerin sitzt und uns besorgt ansieht.

„Ja?“

„Eine – hatschu – Reservierung auf Akanishi“, näselt mein Freund, während er sich die nasse Kaputze von den Haaren zieht, ebenso wie ich und seinen Ausweis auf den Tisch legt. Wir stehen beide da, absolut fertig und wie die begossenen Pudel. Die junge Dame tippt auf ihrer Tastatur herum, schüttelt dann jedoch entschuldigend den Kopf.

„Was?“, frage ich entsetzt, starre erst sie, dann meinen Freund an. Wäre ja nicht das erste mal, dass…

„Für wann hatten sie Gebucht?“, fragt die nette Frau.

„Wir wollten eigentlich vor etwa einer Stunde hier sein“, erklärt Jin und ich höre ihm deutlich an, dass er gerade innerlich betet, dass es sich nur um ein Missverständnis handelt. Wäre auch besser. Wieder sucht die junge Frau.

„Ah, ihre Reservierung wurde storniert, weil sie nicht rechtzeitig hier waren.“ Mir entgleisen meine eingefrorenen Gesichtszüge.

„Aber, sie haben Glück, wir sind momentan nicht ausgebucht, ich kann ihnen das gleiche Zimmer trotzdem geben.“ Jin atmet neben mir hörbar auf, niest dann erneut. Die junge Frau sieht uns mitleidig an, dreht sich rasch nach hinten und sucht nach einem Schlüssel, schiebt ihn Jin dann über den Tisch, ohne weitere nervige Fragen zu stellen.

„Soll ich ihnen gleich den Zimmerservice mit etwas heißen zu Essen nach oben schicken?“, fragt sie dann jedoch doch noch nett und Jin nickt leicht ermattet. Ich greife nach seinem Arm, nachdem Jin seine Sachen wieder in seine nassen Taschen geschoben hat, dann begeben wir uns gemeinsam auf den Weg zu den Fahrstühlen. Endlich in ein warmes, kuscheliges Bett… nach einer heißen, wundervollen Badewanne.

Meine Zehen beginnen zu schmerzen, da sie allmählich in meinen durchnässten Stiefeln auftauen.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Mein nasser Rucksack liegt in einer Ecke des Zimmers, wo er am wenigsten stört, ebenso wie Jins. Er steht mit dem Rücken zu mir vor dem Fenster und blickt nach draußen. Leicht lächelnd trete ich zu ihm und kuschele mich an ihn. Er schaudert in meiner Umarmung.

„Kame… du bist nass“, brummt er müde, dreht sich zu mir um und zieht sich die nassen Handschuhe von den Händen, packt sie kurzer Hand hinter sich auf die Fensterbank, ehe er sich wieder zu mir dreht und mit steifen Händen an dem Reisverschluss meines Mantels herum zu hantieren beginnt. Ich muss leicht lächeln, auch wenn das mit dem nach wie vor eingefrorenen Gesicht nicht eben leicht fällt. Ich streife meine Handschuhe ebenfalls von meinen klammen Händen, lasse sie einfach auf den Boden fallen, ehe ich mit Jins Reisverschluss kämpfe.

Bald darauf haben wir zumindest die nassen Jacken aus bekommen. Jin zieht mir die Mütze von den Haaren, lässt den Schal ebenfalls zu den anderen Sachen auf den Boden fallen, so wie ich seinen. Er greift nach meinem nassen Pullover, schiebt seine Hände gleich mit unter das T-Shirt, sodass ich aufschreiend zurück zucke.

„Fuck hast du kalte Hände“, atme ich und sehe das dreiste Grinsen auf seinem Gesicht.

„Ach komm schon Kame-chan, du willst doch die nassen Sachen los werden, oder? Du willst dich doch nicht – hatschu… ach Scheiße“, brummt er nach dem Niesen und nun lache ich vergnügt, mache einen raschen Schritt auf ihn zu und schiebe meine klammen, kalten Finger unter seine Sachen, sodass er deutlich zittert.

„Tja, nach dir“, flöte ich und bin doch ein wenig überrascht, dass er es wehrlos über sich ergehen lässt. Ich lasse seine nassen Sachen zu Boden gleiten und hocke mich steifbeinig vor ihm auf den Boden.

„Eh… Kame? Ich bin müde“, murmelt er und ich spüre seine vor Kälte ungelenken Finger in meinen Haaren, verdrehe die Augen.

„Idiot, als ob ich gerade an so etwas denken würde“, brumme ich, öffne seine Hose mit einigen Schwierigkeiten und ziehe sie ihm ebenso von den Beinen, da sie durch die Nässe unglaublich kleben. Jin stützt sich auf meinen Schultern ab und steigt aus der Hose.

„Ab ins Bad, ich komm gleich nach, ja?“ Sanft lächelte ich ihn an, nachdem ich mich wieder aufgerichtet habe und er nickt müde ohne zu widersprechen und verschwindet.

Ich ziehe mich selbst leicht ungelenk aus und folge ihm kurz darauf in das riesige, helle Bad.

„Immerhin Luxus nach dieser Tortur“, seufze ich, drehe das Wasser – doch recht kühl, damit wir uns nicht verbrühen – auf, grinse schief, als ich zu meinem, in der Zwischenzeit nackten Freund blicke.

„Nach dir~.“

Er grinst, patscht mir im Vorbeigehen seine kalte Pfote auf den Hintern, sodass ich zusammen zucke. Nichts jedoch im vergleich zu Jin, der wohl die Schmerzen in seinen auftauenden Gliedmaßen unterschätzt hat.

„Ha! Selbst Schuld! Erwarte jetzt bloß kein Mitleid“, lache ich und strecke ihm die Zunge heraus, während ich uns Handtücher zurecht lege, ehe ich zu ihm in die Wanne steige, wo uns das allmählich wärmer werdende Wasser langsam auftaut.
 


 

Ende Minus 100 Grad in der Sonne.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Kate
2011-07-01T18:01:20+00:00 01.07.2011 20:01
oooh, du hast es tatsächlich geschrieben! ^^
ich finds toll :) und sehr süß ^^
du solltest unbedingt wieder öfter schreiben ;)
Von:  SKH_Ludwig_2
2011-07-01T14:49:14+00:00 01.07.2011 16:49
*_________*
Wie cool^^ Ich kanns mir so richtig vorstellen wie Kame und Jin durch den Schnee tapsen XDD
Tolle Story^^
Freu mich auf mehr^^

LG


Zurück