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Der Sündenfall

von

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Kapitel 3

Als Marcel aus dem Klassenraum ging sah er sich kurz im Flur um. Von Stephan weit und breit nichts zu sehen. Wo war der Jüngere binnen so kurzer Zeit nur hin verschwunden? Er lehnte sich an die Wand und überlegte, ob es sich lohnen würde, Stephan zu suchen. Diesen Typen, der ihn nicht leiden konnte und sich auf ihn gestürzt hatte, als wenn er die Tollwut hätte. Würde es sich lohnen? Nein, eigentlich nicht. Marcel ging trotzdem.

Aus irgendeinem Grund interessierte sich Marcel für den Blauäugigen. Wieso genau, das wusste er immer noch nicht. Vielleicht war es aufgrund der Tatsache, dass sich der Jüngere allein mit Blicken in den Wahnsinn treiben ließ, vielleicht war es seine Art, seine Mitmenschen zu betrachten.. Oder aber es war ein ganz anderer Grund, den Marcel erst noch herausfinden sollte.

Dieser hatte das Schulgebäude inzwischen verlassen und befand sich nun vor dem großen Haupttor. Er ließ seinen Blick in der Ferne schweifen und glaubte, ein menschliches Wesen zu entdecken. Ob er das wohl war? „Was willst du?“ Marcel drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der er die leicht raue Stimme wahrnahm. Es war Stephan. Dieser lehnte – anscheinend mit eine Zigarette in der Hand – an der Wand und starrte Marcel an. Der Ältere wusste zuerst nicht, was er sagen sollte, und das erste Mal, seit sich die beiden begegnet sind, war ihm der Blick des Blauäugigen unangenehm. Aus diesem Grund brach er den Blickkontakt ab und lehnte sich mit an die Wand. „Krieg ich auch 'ne Kippe?“ Er starrte stur nach vorne. Stephans Augenbrauen gingen hoch und aus seinem Gesicht konnte man ablesen, dass er überrascht war, weswegen er auch einige Zeit länger brauchte um zu antworten, als üblich. „K-Klar.“ Er friemelte die Zigarette so hin, dass diese ein wenig aus der Schachtel hinaus guckte und Marcel sie nehmen konnte. Nachdem Stephan Marcel Feuer gegeben hatte und sie eine Zeit lang schweigend nebeneinander standen, brachte Marcel den ersten Satz hinaus. „Vielleicht bist du gar nicht so scheiße, wie ich angenommen habe.“ Er überlegte, ob er noch etwas ergänzen sollte, beließ es aber dabei. Stephan murmelte etwas, was Marcel als ein 'Dankeschön' auffasste, auch wenn es möglicherweise nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ihm entwich ein breites grinsen, ehe er sich von der Wand wegdrückte, Stephan gegen die Schulter boxte und ging. „Wir sehen uns morgen.“ Sein Blick ging über seine Schulter und er sah in Stephans Saphir blaue Augen, die ihm erst jetzt aufgefallen waren. „Scheißkerl“, ergänzte er grinsend, damit war er auch schon verschwunden. Er machte allerdings keine Anstalten in die Schule zu gehen, sondern eher nach Hause.
 

Stephan stand perplex da und starrte Marcel hinterher, ehe dieser um eine Ecke bog und somit nicht mehr im Blickwinkel des Jüngeren war. Was war das denn?, schoss es ihm durch den Kopf. Sollte das jetzt ein Friedensangebot werden? Und wenn ja, sollte er es annehmen? Eigentlich hatte Marcel gar keinen Grund dazu, schließlich – auch wenn Stephan es sich nicht eingestehen wollte – hatte er nichts getan. Alles ging von Stephan aus. Wahrscheinlich war sogar er es, der sich entschuldigen sollte. Aber er war überhaupt nicht der Typ für Entschuldigungen oder sonstige Sentimentalitäten. Sowas war ihm einfach nur zuwider.

Mittlerweile war seine Zigarette aufgebraucht und der Wind hatte zugenommen. „Scheiß Wetter“, knurrte er und zog die Jacke enger um sich. Stephan wusste nicht genau, wohin er gehen sollte, nach Hause wollte er auf jeden Fall nicht, das war klar. Und heute musste er auch nicht zur Arbeit, genau wie die nächste Woche nicht. Vielleicht sollte er trotzdem hingehen? Er seufzte und ging einfach los.

Er könnte mal wieder mit Freunden Party machen oder in eine Bar gehen und ein Mädchen aufreißen. Aber dafür war es viel zu früh, zudem hatte Stephan nicht mal viel Lust dazu. „Ach verdammt, was soll der Mist!?“

Erst jetzt fiel ihm auf, dass er in der Innenstadt war. Er ließ seinen Blick über die Geschäfte schweifen. Natürlich hatte kaum etwas auf. Da! Ein Bäcker hatte geöffnet und drinnen sah es schön warm und gemütlich aus, also betrat er das kleine Gebäude. Er bestellte sich einen Cappuccino und ein Kuchen – Stephan liebte es, morgens Kuchen zu essen – und setzte sich an einen Ecktisch auf ein Sofa. Der Tisch war aus dunkelbraunem Holz und sah noch recht neu aus, genau wie das schwarze Sofa, auf dem er saß. Sowieso, war ihm diese Bäckerei noch nie aufgefallen. Ob sie neu eröffnet haben? Konnte gut angehen, denn nicht nur Tische, Stühle und Sofas sahen neu aus, auch der Tresen, die Ablagebretter und die Fensterbänke. Eigentlich sah alles neu aus. Bis auf die Bedienung hinter dem Tresen. Sie war eine Frau in den 50ern, orange-blondes Haar mit Dauerwelle, zerknirschtem Blick und überdurchschnittlich vielen Falten. Aber sie war die Ausnahme, alle anderen Mitarbeiter – zumindest die, die sich sehen ließen – waren überaus ansehnlich. Besonders das junge Mädchen mit den hellblonden, hüftlangen Haaren. Sie war von zierlicher Statur und hatte eine wirklich interessante Stimme – wieso genau, war Stephan nicht klar. Es war einfach so.

Trotz der Arbeitskleidung war sie anders. Sie hatten einen anderen Kleidungsstil. Zudem Tattoos und Piercings, was wirklich gut aussah. Stephan schmunzelte und musste grinsen. Er wusste nicht mehr, wann er eine Frau so genau angesehen hatte und sie ihm sofort sympathisch vorkam, ganz ohne irgendwelche Hintergedanken. Stephan steckte sich einen Ohrstöpsel ins Ohr, machte Musik an und nahm die Gabel in die Hand, um seinen Kuchen zu essen. Schmandkuchen mit Mandarinen.
 

Marcel war in seine Wohnung zurückgekehrt – er war schon früh von zu Hause ausgezogen – und lag nun auf seiner Couch, den Fernseher angeschaltet, doch er machte keine Anstalten, hinzusehen. Es schien eher so, als würde er den Fernseher als Hintergrundmusik nutzen, während er verschiedene Zeitschriften durchblätterte. Er hatte eine Vorliebe für Modemagazine, allerdings nicht die für Frauen, sondern die für Männer.

Trotz der Ablenkung ging ihm Stephan nicht aus dem Kopf. Er wusste immer noch nicht genau, ob er sich mit ihm gut stellen sollte, oder nicht. Warum eigentlich nicht? Bis jetzt war eigentlich nichts negatives aufgefallen, außer dass er ihn angegriffen hatte und ihn gewürgt, aber daran war auch er schuld. Schließlich hatte er Stephan mit seinen Blicken provoziert. Ihn interessierte nun, weshalb Stephan so aggressiv reagierte, denn das kam ihm noch nie unter. Es schien, als würde es sich lohnen, sich mehr mit 'dem Neuen' zu beschäftigen. Zudem war es mal etwas anderes.



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