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Esme

Weil sie auch eine eigene Geschichte verdient hat
von

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Zukunft oder so ähnlich

Ich zupfte ungeduldig an dem Sofakissen, rutschte nach links und rechts und stand mehrfach auf um mich wieder zu setzen. Nicht das ich das alles nötig hatte.

Ich hätte Stunden in der Position verharren können, in der mich meine neue Familie zurück gelassen hatte, ohne mich dabei unwohl zu fühlen, aber ich ging der menschlichen Hoffnung nach, dass die Zeit schneller vergehen würde wenn ich mich mit Irgendetwas beschäftigte.

Ich hatte Beide förmlich gezwungen mich alleine zu lassen, auch wenn ich genau das Gegenteil wollte.

Doch es war nun auch mal an mir zurückzustecken und meiner neuen, kleinen Familie die Chance zu geben sich Nahrung zu beschaffen.

Ich beobachtete die grauen Wolken aus denen sich pausenlos Regen ergoss und unbarmherzig auf die kleinen Grashalme knallte. Der Geruch war herrlich.

Nicht vergleichbar mit dem den ich früher bei Regen wahrgenommen hatte.

Zum zehntausendsten Mal sah ich auf die Uhr. Sie waren seit zwei Stunden dreiundfünfzig Minuten und einundzwanzig Sekunden fort.

Es war nicht leicht gewesen mich gerade jetzt von Carlisle zu trennen und sein strahlender Blick machte es mir nicht einfacher, doch ich bestand darauf. Winkend und mit einen Lächeln sah ich ihnen nach während sie im Dickicht verschwanden.

Von da an war ich allein und ich konnte mich mit meinen Gedanken auseinander setzen.

Es war nicht das erste Mal das ich mich verliebt hatte.

Ich versuchte mich an meine Jugend zu erinnern. War ich bei den Männern beliebt gewesen? Irgendwie fehlte mir jegliche Erinnerungen.

Dann versuchte ich mir den Vater meines verstorbenen Kindes ins Gedächtnis zu rufen.

Doch ein richtiges Bild bekam ich nicht. Hatte ich ihn geliebt?

Ich spürte etwas unangenehmes wenn ich an ihn dachte.

Obwohl da kein Bild war, war da Schmerz.

Es war als würde ich verschwommene Bilder vor mir sehen. Von mir.

Der Körper übersät von blauen Flecken. Ein Veilchen am Auge. Meine Mutter die mir sagte ich sollte mich nicht so haben. Männer waren aufbrausend.

War das wirklich mal passiert. Ich war mir nicht sicher.

Worüber ich mir hundertprozentig sicher sein konnte war, dass eine derartige Liebe wie ich sie gerade empfand meinen menschlichen Körper in tausend kleine Stückchen zerrissen hätte.

Nicht das es mir nicht egal gewesen wäre.

Ich hätte es hingenommen, mich in Staub aufzulösen wenn ich nur einmal diese Empfindung hätte spüren dürfen, doch jetzt wo ich sie mit meinem ganzen Körper, mit meinem unendlich kapazitären Gehirn aufnehmen konnte war ich dankbar, dass es mich nicht zerriss.

Ich wollte dieses Gefühl nie wieder hergeben.

Doch so schön auch der Moment war umso mehr hatte ich Angst vor der Zukunft.

Nicht die, die in der Ferne lag. Diese war mir relativ egal, ich bezweifelte, dass ich von diesem Gefühl jemals genug haben würde.

Es war eher das nahe liegende, was mir Angst bereitete. Wie sollte es nun weiter gehen.

Würde ich ihn verletzen wenn ich nachher einfach in mein Zimmer gehen würde und mich verhielt wie sonst auch. Und wenn ich dies nicht tat?

Wir könnten ewig lang nebeneinander auf dem Sofa sitzen und es würde uns nicht stören zu schweigen.

Einfach nur nebeneinander in endloser Vollkommenheit.

Doch wenn er mir wirklich gestatten sollte mit in sein Zimmer zu gehen, was sollte ich dann tun. Schlafen konnte ich nicht um der Zwickmühle zu entgehen.

Nicht das ich nicht wusste was ein Mann und eine Frau miteinander anstellen konnten, schließlich war ich nicht durch das bloße Betrachten eines männlichen Wesens schwanger geworden.

Oder? Wieder ein stechender Schmerz. Wollte ich an frühere körperliche Beziehungen denken? Irgendwie wurde mir schlecht davon. Was war passiert, ich hatte keine Erinnerung.

Doch mit ihm konnte es nicht schrecklich sein.

Aber war es nicht zu früh?

Wenn ich auf mein Innerstes hörte, wollte ich nichts anderes und dafür schämte ich mich.

So war ich nicht erzogen worden. Wie war ich überhaupt erzogen worden?

Außerdem musste ich daran denken das wir nicht alleine waren.

Nicht nur das dass Gehör von Vampiren geschärft war, nein Edward war in der Lage jeden Gedanken zu erfassen. Ich vergrub mein Gesicht vor Scham.

Nicht nur das ich so explizit darüber nach dachte, ich musste die Gedanken mit jemanden teilen.

Ich nahm ein Kissen vom Sofa und zog es mir beschämt über den Kopf um meine Gedanken zu schützen. Es war sinnlos. Ich musste an etwas anderes denken.

An etwas Koscheres und nicht an die Fantasien die gerade in mir hoch krochen.

„Nein, nein, nein.“ Das waren MEINE Gedanken. Sie gehörten mir.

Ich entschloss mich abzulenken.

Also ging ich in mein Zimmer und schaute in den Spiegel. Ich trug ein Hemd und eine alte Hose von Edward.

Mein Kleid, welches ich am Tag meines Todes getragen hatte, war nicht nur zerschlissen sondern auch blutbefleckt. Es lag im Wäschekorb und wartete darauf gewaschen zu werden, oder weggeschmissen, je nach Grad der Beschädigung.

Ich hatte mir keine großen Gedanken über mein Aussehen gemacht in den letzten Tagen.

Zum einen lag es daran, dass ich einfach nicht darüber nachgedacht hatte, zum anderen musste ich körperlich nichts an mir verschönern.

Meine Wimpern waren voller als zu Lebzeiten, ebenso wie meine Haare.

Gedankenverloren griff ich nach eine Bürste und fuhr mir damit durchs Haar. Ich drückte sie hinunter und sie sprangen wieder in die perfekte Form zurück, die sie zuvor auch schon hatten.

So wie sie es auch taten, wenn ich aus dem Bett aufstand, oder mir ein Oberteil über den Kopf streifte.

Mein Gesicht war makellos. Kein Make Up hätte eine solche Wirkung gehabt.

Ich seufzte. In diesem Haushalt gab es nichts weibliches und bis jetzt hatte es mich nicht gekümmert.

Ich musste unbedingt einen Einkaufszettel schreiben.

Ein bis zwei Kleider. Einige Blusen, einen Pullover. Vielleicht auch zwei Hosen und ein paar Schuhe. Haarnadeln, Zopfgummies und ein oder zwei Spangen.

Ob das zu viel war? Ich würde es selbst kaufen, doch ich fürchtete mich davor Fehler zu machen. Also zupfte ich ein wenig an meinem Hemd. Krempelte die Ärmel hoch und drehte meine Haare zusammen, nur um sie im selben Atemzug wieder fallen zu lassen.

Wann würde ich wohl aus dem Haus können. Was wenn ich mich nie beherrschen konnte.

Was wenn ich jemanden tötete. Ich setzte mich aufs Bett und versteinerte in dieser Position.

Eine weitere Stunde verging und ich vermisste es schlafen zu können.

Wie viel Zeit man als Mensch mit Schlaf vergeuden konnte.

Als ich endlich Schritte hörte verfiel ich in eine unbekannte Euphorie.

Ich wirbelte die Treppe hinunter. Sie waren zurück.

Es schien sich endlos hinzuziehen bis sich die Wohnungstür öffnete.

Ich schwor mir das sich meine Füße nicht einen Millimeter vom Platz bewegen würden. Contenance Madame dachte ich mir.

Und doch verbrauchte ich sämtliche Willenskraft damit,dem Mann der gerade durch die Tür trat nicht um den Hals zu fallen.

Ich widerstand dem umwerfenden Lächeln, den nun strahlenden goldenen Augen und verweilte auf meinem Platz. Wo war Edward? Wieso war er allein?

Mein Mutterinstinkt brach durch und paralysierte mich.

War etwas geschehen, hatte er sich verletzt. Mir entglitten die Gesichtszüge und meine Stirn zog falten.

Mein Gegenüber lächelte unentwegt, trat auf mich zu, und schloss mich in die Arme.

Als er seine Lippen sanft auf meine Haare drückte entspannte ich mich wieder.

Er würde nicht so gelassen sein, wenn Edward etwas passiert wäre.

Auch wenn ich das Ausmaß des Vertrauens und des Verständnisses, dass die Beiden teilten nicht ermessen konnte, war ich mir dieser Tatsache bewusst.

„Er nimmt Rücksicht.“, Carlisle lächelte mich an.

Jetzt fühlte ich mich schuldig. Hatte ich Edward jetzt aus dem Haus vertrieben.

Was wenn ihm etwas zustieß, nur weil er uns einen Moment der Zweisamkeit geben wollte.

Er nahm zu viel Rücksicht.

Der blonde Mann sah mich immer noch strahlend an und gab mir ein kleines Päckchen.

Wann hatte er das denn besorgt? „Ich hoffe es gefällt dir.“

Ich war sprachlos. Ein Geschenk? Womit hatte ich das verdient.

„D..danke.“ Ich öffnete den Deckel und etwas Beiges kam zum Vorschein.

Ich strich mit dem Finger über den Stoff. Es war Seide und fühlte sich wundervoll an.

Er hatte mir etwas zum Anziehen gekauft. War das Zufall oder hatte man mal wieder meine Gedanken durchforstet. Es war egal, ich freute mich.

Ich nahm es aus der Schachtel und hielt es an meinem Körper. Das Kleid war knielang und hatte zarte Ärmel. Es war nicht tief eingeschnitten und nicht vulgär und was viel besser war es traf genau meinen Geschmack. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen um mich mit einem Kuss auf die Wange zu bedanken.

Innerhalb von 3 Sekunden war ich im Nachbarzimmer, hatte mich umgezogen und stand wieder im Wohnzimmer.

Carlisle hatte sich nicht einen Millimeter bewegt und bewunderte lächelnd das Kleid.

„Es steht dir hervorragend.“ Für eine Sekunde war ich mir sicher Selbstgefälligkeit in seinem Blick erkennen zu können doch dann war sein Gesicht wieder das perfekte Ebenbild des gütigen Gottes der mich erschaffen hatte.

Er schloss mich in die Arme und wir verharrten in dieser Umarmung. Eine Sekunde, eine Minute und vielleicht noch länger. Keiner von uns sprach.

Wenn unsere Zeit nicht schon angehalten geworden wäre, dann würde sie jetzt still stehen.

„Ich musste lange auf dich warten.“ Seine Stimme war leise, ein Flüstern nicht mehr, doch ich verstand jedes einzelne Wort so klar und deutlich als spräche er laut.

Ich seufzte und fuhr mit den Fingern durch sein Haar. Es war so weich und er roch fantastisch.

Mein Verstand funktionierte in diesem Moment unglaublich einfach. Ich fragte mich wer von uns beiden gerade eine maskulinere Denkweise einnahm. Doch so musste es sich anfühlen wenn jede Bewegung, jeder Reflex auf simple Bedürfnisse heruntergestuft wurde.

Ich versuchte mich selbst zur Besinnung zu rufen während seine Lippen an meinem Hals entlang glitten.

War das falsch? Meine Mutter würde mich ein Flittchen nennen. Eine Schlampe.

Erst heiraten, dann das Vergnügen. Ich glaubte das war ihr wichtig gewesen.

Das Erscheinungsbild nach außen war ihr wichtig gewesen, aber sie hatte sich nicht gekümmert als mein Ehemann mich verprügelte.

Hatte er das? Ich verdrängte die Erinnerung.

Andere Gefühle nahmen Oberhand. Konnte ich mich vergessen ohne das er mich für eine Frau hielt die billig und leicht zu haben war?

Es war ein Kuss der meine Zweifel verjagte und auch jeglichen rationalen Verstand.
 

Ich hielt die Augen geschlossen. Er schlief nicht und ich schlief nicht. Das wussten wir beide.

Doch es war gut so. Es hatte etwas harmonisches so dazuliegen. Arm in Arm. Ohne Kleidung ohne irgendetwas.

Es war Wochenende. Es gab keine Verpflichtungen und wir könnten Stundenlang einfach nebeneinander liegen, oder das fortführen was wir unterbrochen hatten.

Der Gedanke machte mich glücklich und verlegen zu gleich und ich vergrub mein Gesicht in seinem Oberkörper.

Seine Hand strich über meinen Rücken.

Es war alles so einfach. Ich hatte alles verloren und doch so viel gewonnen.

Ich war dankbar. Dankbar für jede Sekunde jede Minute und es würde nie enden.

Solange er mich wollte.

Es mussten Stunden vergangen sein, als jemand das Haus betrat.

Ich war froh darüber, dass es Edward gut ging, doch auch enttäuscht das mein Traum so abrupt enden musste. Ich seufzte und wollte mich aufrichten.

Doch Carlisle hielt mich an den Schultern fest und zog mich zurück in seine Arme.

Nur zu gerne gab ich nach. Meine Gedanken schweiften ab und ich verlor mich in seinem makellosen Körper.

Dann stockte ich. Meine Gedanken waren jetzt nicht mehr „sicher“.

Jede noch so kleine Fantasie teilte ich mit Edward, ob wir wollten oder nicht.

Ich versuchte an Blumen zu denken, oder an irgendetwas harmloses.

Kleine süße Häschen, oder fröhliche Fische.

Jede Berührung brachte mich aus der Fassung und ich versuchte sie wieder zu erlangen.

Armer Edward. Er sollte das nicht sehen. Es war gemein.

Ich versuchte mich erneut aufzurichten und es wurde mir gewährt. Ich streifte mir mein Kleid über, der Rest saß perfekt wie immer. Carlisle brauchte nicht länger bis er angezogen und lächelnd neben mir stand.

Wir gingen ins Wohnzimmer wo Edward saß und den Nichtsahnenden mimte.

Die Zeitung ausgebreitet, mit wachen Blick darüber.

Er grüßte uns ganz ungezwungen.

Was für ein Gentleman. So ein fantastischer Junge.

Mein Brust schwoll voll Mutterstolz an, obwohl ich diesen wundervollen Jungen nicht in die Welt gesetzt hatte.

Er lächelte dankend über meinen Gedanken.

Ich beschloss meiner Arbeit nachzugehen.

Ich brauchte etwas Anspruchsvolles, also begann ich den Dachboden aufzuräumen.

Edward und Carlisle waren wieder in ein stummes Gespräch verfallen und ich konnte mein Glück in Ruhe genießen.
 

Mein Dasein verging harmonisch. Ich hatte meinen Einklang gefunden.

Ich konnte Tagsüber Hausfrau und Mutter sein und Nachts Geliebte.

Mein Leben viel mir leichter. Nicht zuletzt auf Grund der großartigen Liebe die ich von meiner Familie erfuhr.

Ein Jahr verstrich.

Ich hatte gemerkt wie sich das Verlangen nach Blut leichter unterdrücken ließ, und war froh das andere Empfindungen somit verstärkt werden konnten. Doch ich traute mich nicht die Bitte zustellen, endlich unter Menschen zu dürfen.

Die Abgeschiedenheit und Ruhe hatten mir Frieden gegeben, doch sie hatten innerlich die Angst in mir geschürt.

Ich versuchte mich regelmäßig auf die Probe zu stellen, in dem ich an Carlisles Arbeitskleidung roch bevor ich sie wusch, doch sein herrlicher Geruch schien alles andere zu überlagern.

Verpassen tat ich nicht viel. Zumindest dachte ich das.

Edward spielte jedes seiner Stücke aus dem Theater für mich.

Carlisle erzählte mir jeden Tag von seiner Arbeit. Von der sich verändernden Welt.

Doch erleben tat ich es nicht.

Es schien mich nicht zu kümmern, ich hatte alles was ich wollte.

Auch wenn es mir immer noch unangenehm war allzu intim zu werden wenn Edward im Haus war, gestaltete sich das Leben mit Carlisle als Mann einfacher als gedacht.

Wir brauchten nicht zwangsläufig eine tiefe Intimität um unsere Liebe auszudrücken.

Es waren kleine Sachen. Ein Kuss in den Nacken während ich Wäsche bügelte. Das Sanfte berühren unserer Hände wenn wir aneinander vorbei gingen, oder das Gefühl wenn ich ihm eine Strähne aus dem Gesicht strich, wenn er über einem Buch saß. Oder einfach nur ein Lächeln. Ein endloses, friedliches, erfülltes Lächeln.

Mir fiel auf das Edward uns oft beobachtete und er tat mir Leid.

Wie gönnte ich ihm unser Glück. Er war so ein lieber und fantastischer Junge.

Er haderte sehr mit sich und konnte sich innerlich nicht damit abfinden was aus ihm geworden war, dass er seine Seele verloren hatte. Zumindest glaubte er das. Ich war anderer Meinung.

Ich versuchte ihm zuzusprechen wie es eine Mutter tat. Fuhr ihm durch die strubbeligen Haare und versicherte ihm, dass niemand den Segen Gottes mehr verdient hatte als er. Dann lächelte er dieses seelige Lächeln, doch ich wusste das er ein guter Lügner war.

Ich hatte nun auch einen eigenen Kleiderschrank.

Manchmal zog ich mich täglich mehrfach um.

Ich hatte adrettes, einfaches, lässiges und auch ein paar laszive Stücke. Sie gefielen mir alle.
 

War es tatsächlich schon ein Jahr her? Sollte ich Carlisle fragen ob wir es testen konnten.

Es musste ja kein Jahrmarkt sein. Eine abgelegene Gegend mit zwei, drei Menschen. Ich traute mich nicht.

Edward hatte heute morgen für sein neues Stück geprobt. Die Töne erfüllten das Haus mit einem angenehmen Klang und umgaben mich mit Seeligkeit.

Er hatte mir vor ein paar Wochen ein Lied gewidmet. Was für ein guter Junge.

Es klang so herrlich, dass ich es nicht in Worten ausdrücken konnte. Wie vieles was ich seit meinem neuen Lebens wahr nahm. Mein Vokabular reichte nicht aus.

Also hatte ich es versucht in Bildern auszudrücken.

Farbkompositionen die alle mein Leben wieder spiegelten.

Es klopfte an meine Tür und im selben Augenblick trat mein Mann ein.

Mein Mann.

Wir waren nicht verheiratet, aber immer wenn er mit seinen Arbeitskollegen sprach nannte er mich seine Frau und es hatte sich wundervoll angefühlt.

Carlisle übergab mir ein Paket. Ein Geschenk. Wieder einmal.

Wie sollte ich mich nur für diese ganzen Sachen revangieren.

„Das wäre doch nicht nötig gewesen.“ Ich wünschte ich könnte erröten.

„Du hast heute quasi Geburtstag.“, er lächelte. „Außerdem ist es nur ein Teil des Geschenks.“

Ein Teil? Wie viel wollte er mir noch geben. Ich öffnete die Schachtel.

Sie war größer als die Schachteln die ich sonst bekam, wenn sie mir Kleidung schenkten.

Darin lagen Ton in Ton ein paar hochhackige Schuhe und ein Kleid.

Ich stellte die Schuhe vorsichtig ab und nahm das Kleid heraus.

Im Kleid befand sich eine weiter kleine Schachtel, welche heraus fiel als ich es entfaltete.

Carlisle fing sie mit einer leichten Handbewegung auf.

Das Kleid war schwarz. Ein sattes, schönes schwarz. Der Stoff war weich und fühlte sich teuer an. Das ganze Kleid sah von oben bis unten prunkvoll aus. Ein Abendkleid.

Vorne war es gerade geschnitten. Wahrscheinlich schlüsselbeinfrei. Der Ausschnitt hinten war tief, vielleicht zu tief. Aber es war in sich komplett stimmig.

Ich sah den blonden Mann mit offenem Mund an. Wann sollte ich ein solches Kleid tragen.

War es nicht zu schade, es nur zu Hause zu tragen?

Er nahm mich in den Arm. „Zieh es bitte an. Wir gehen aus.“

Wir gingen aus? Wohin? Wann? Zitterten meine Hände?

Ich schwebte ins Bad. Meine Gedanken waren gefüllt mit Angst.

Wohin gingen wir? Was wenn ich es nicht schaffte?

Ich zwang mich, mich zusammen zu reißen.

Das war doch was ich wollte. Ich wollte wieder in die Öffentlichkeit. Raus aus meinem Exil.

So sehr ich es hasste, so sehr gab es mir auch Sicherheit. Was wenn ich ihn enttäuschte.

Er hatte so viel Vertrauen in mich.

Das Kleid stand mir wirklich, auch wenn der Ausschnitt hinten ziemlich tief ging.

Ich betrachtete die schwarzen Handschuhe und steckte mir die Haare hoch bevor ich sie anzog. Hochgesteckte Haare? War das überhaupt noch Mode? Ich fühlte mich nicht wie ein Jahr verbannt, sondern wie zehn.

Ich holte tief Luft als ich aus der Tür trat. Carlisle wartete schon auf mich.

Der Anzug den er trug war ebenfalls schwarz. Er stand ihm hervorragend. Sein Gesicht strahlte. „Ich hatte es mir wundervoll an dir vorgestellt. Aber das ist.... umwerfend.“

Er öffnete die Schachtel die er vorhin gefangen hatte und legte mir ein Collier um den Hals.

Mit roten Steinen. Sie erinnerten mich an meine Augen vor einem Jahr.

Es war keine schlimme Erinnerung. Ich fand die Steine schön.

Meine Augen waren mittlerweile ebenfalls honigfarben.

Sie hatten nach drei Monaten begonnen sich zu verändern, von da an wurden sie Stück für Stück goldener. Ein Zeichen meiner strengen Diät. Ob ich heute Abend einen Fehler machen würde? Carlisle bemerkte meine Angst. Wie konnte man sie nicht bemerken.

„Keine Sorge.“, flüsterte er mir ins Ohr.

„Und wenn ich etwas falsch mache?“, die Angst klang in meiner Stimme mit.

„Du wirst perfekt sein... Wir müssen los. Die Vorstellung beginnt bald.“

Die Vorstellung?

Edward probt seit Tagen an einem neuen Stück von einem noch unbekannten Schreiber.

Eine Liebesgeschichte, soweit ich es aus den Skripten herauslesen konnte.

Ein voller Saal? So viel Vertrauen setzten sie in mich?

Wenige später saßen wir im Auto. Ein Auto. Vielleicht sollte ich auch lernen zu fahren.

Während der Fahrt hörten wir Radio. Ich war fasziniert. Nicht weil ich Radios nicht kannte, es war nur alles so neu und gleichzeitig vertraut.

Nach dem ersten Weltkrieg hatte sich viel verändert.

Ich versuchte irgendwelche Erinnerungen an damals zu fassen, doch etwas in mir gab mir zu verstehen das es besser wäre wenn nicht.

Von draußen drang der Geruch von Menschen an mich heran. Es war nicht so schlimm wie ich es mir gedacht hatte. Ganz im Gegenteil. Es war erträglich.

Ich entspannte mich zunehmend. Carlisle entging dies nicht und er lächelte in sich hinein.
 

Als wir ausstiegen kamen uns drei Männer entgegen, welche Carlisle begrüßten.

Wahrscheinlich Arbeitskollegen, sie gingen zumindest so mit ihm um.

„Das hier ist Esme, meine Frau.“, stellte er mich vor. Mein Name. Er sprach ihn mit so viel Stolz und Güte aus.

Die Männer wandten sich mir zu und ich setzte das schönste Lächeln auf zu dem ich fähig war und versuchte mich an meine Kinderstube zu erinnern.

Meine Mutter hatte viel Wert darauf gelegt, dass ich unter die Haube kam. Der Gedanke daran versetzte mir einen Stich.

Seit dem ich verwandelt worden war hatte ich nur an die positiven Seiten meines Vorlebens gedacht. Als ob mein Körper das Schlechte verdrängen wollte. Also tat ich ihm den Gefallen.

Die Männer nahmen nacheinander meine Hand und küssten sie. Ihre Berührung war warm.

Nicht unangenehm, aber ein deutlicher Unterschied zu der Temperatur die ich gewöhnt war. Menschen mussten eine höhere Temperatur haben als wir. Hoffentlich viel es ihnen nicht all zu sehr auf.

Lächelnd lösten wir uns von ihnen und gingen in den Saal.

Sie folgten uns und obwohl sie sich flüsternd unterhielten verstanden wir sie.

„Wie unglaublich hübsch.“, sagte der eine. „Warum er sie uns so lange vorenthalten hat...“, antwortete der andere. „Vielleicht weil er nicht teilen will.“, fiel der nächste lachend ein.

Mich teilen? Ich wollte nicht geteilt werden. Für immer und ewig würde ich nur einem Mann gehören. Carlisle lachte leise. Zu leise für menschliche Ohren.
 

Die Sitze waren samten und gefüttert. Weich und wohlig.

Wir hatten nicht viele Menschen um uns. Wir hatten ja auch die besten Plätze.

Ich sah mich um. Es wirkte alles so anders. Viel intensiver. Viel klarer als ich es von früheren Theaterbesuchen kannte.

Als das Stück begann konnte ich Edward erkennen. Die Musiker saßen eine Etage tiefer als die Schauspieler, doch obwohl wir so weit oben waren und weit weg von der Bühne konnte ich jeden Gesichtszug genau erkennen.

Edward erblickte mich und lächelte mir zu, ich lächelte zurück und ließ mich von der Musik einnehmen.

Eine alte Frau neben uns hing fast über der Brüstung und versuchte mit ihrem Opernglas etwas zu erkennen. Ihre Augen sahen einen Bruchteil von dem was ich sah. Meine Sicht war klar.

Ich konnte sogar die überschminkten Schauspieler ganz genau erkennen.

Die Wangen viel zu rot, ebenso wie die Lippen.

Carlisle legte den Arm um meine Hüfte. Er genoss den Moment, als hätte er ewig darauf gewartet. Am gesellschaftlichen Leben teil zu haben war der letzte Punkt für unser unendliches Glück.

Ich konnte endlich normal sein. So normal es ging.

Vielleicht sollte ich mir eine Arbeit suchen. Etwas künstlerisches vielleicht. Egal was. Solange meine Familie bei mir war, war alles perfekt.



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