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Shinigami Haken Kyoukai desu - Shinigami Dispatch Society

von

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Perspektive

Der Garten des Hyde Parks war der einzige Zufluchtsort für Emily.

Zwischen den hohen Bäumen und gestutzten Rosenbüschen konnte sie ihren Gedanken nachhängen und brauchte sich keine Sorgen über ihren jüngsten Bruder Viktor oder ihren Vater zu machen. Hier konnte sie Kind sein und herumtoben und lachen.

Leider waren es nur wenige Momente in ihrem Leben, in denen sie hierher kommen konnte. Die meiste Zeit brachte sie damit zu, sich um ihren Bruder zu kümmern und im Haushalt zu helfen.

Es war oft schwer, erwachsener zu sein, als es dem Alter entsprach, doch so war das Leben nun einmal, wenn man nicht viel besaß und von der Hand in den Mund lebte.

Selbst das Kleid, das sie am Körper trug, war ihr zu klein und reichte gerade so bis zu den Knien. Eigentlich bräuchte sie ein Neues, da sich ein so kurzes Kleid nicht für ein heranwachsendes Mädchen ziemte, jedoch war dies ihre geringste Sorge. Viel wichtiger war es, dass etwas zu essen auf den Tisch kam, aber wenn ihre Familie sich das schon kaum leisten konnte, war etwas Neues zum Anziehen lediglich ein Traum, an den sie nicht denken mochte. Ihr blieben folglich nur die abgetragenen Kleider, die inzwischen aus mehr Flicken als Stoff bestanden.

Oft dachte Emily an den freundlichen Bestatter zurück und fragte sich, ob sie ihn nicht besuchen sollte. Leider fehlte ihr jedes Mal, wenn sie Zeit hatte, der Mut, in sein Geschäft zu gehen. Sie wollte ihm nicht zur Last fallen und ihn von seiner Arbeit abhalten. Innerlich wusste sie, dass es nur ein Vorwand war, doch den wahren Grund konnte sie selbst nicht definieren. Es war ein merkwürdiges Gefühl, in seiner Nähe zu sein, so als ob sie etwas miteinander teilten und eine Verbindung hätten, die sie nicht benennen konnte. Gleichzeitig fühlte sie ihm gegenüber auch eine gewisse Scham für ihre Situation. Er sollte nicht den Eindruck bekommen, dass sie ihn zur Hilfe nötigte, nur weil sie ein Kind war.

Emily hielt sich also von seinem Geschäft fern und verbrachte ihre Zeit mit den anderen Kindern, die auf der Straße aufgewachsen waren. Sie verstanden ihre Gefühle und Gedanken, denn ihnen erging es ähnlich.

Es war ein warmer und sonniger Tag in London. Eine Seltenheit in der Stadt, die im Frühling meist verregnet und neblig war.

Der Hyde Park bot bei diesem Wetter nicht nur die perfekte Gelegenheit zum Spielen für die Kinder, sondern auch für ein Picknick der vornehmeren Gesellschaft im Grünen.

Selbstverständlich befand sich der Adel im gepflegteren Bereich des Parks, während die Kinder in dem leicht heruntergekommenen und ungepflegten Teil spielten, in dem auch Hunde und Katzen ihre Geschäfte verrichteten. Selbst Diener des Adels brachten die feinen Hunde hierher, damit sie dort ihre Bedürfnisse verrichten konnten und nicht im gepflegten Teil.

Natürlich gab es auch Wachmänner, die ihren Rundgang machten und dafür sorgten, dass niemand die feinen Herren und Damen störte.

So war es auch an diesem Tag nicht anders.

Emily spielte mit den anderen Kindern in dem heruntergekommenen Teil des Parks.

Im Staub waren Kästchen gezeichnet worden, auf die die Mädchen abwechselnd einen kleinen Stein warfen, bevor sie zu dem Feld, auf dem er gelandet war, hin und wieder zurück hüpften.

Die Jungen spielten Bockspringen.

Auch gab es zwei Gruppen von jüngeren Kindern, die Verstecken und Fangen spielten.

Der Teil des Parks war erfüllt von fröhlichem Kinderjauchzen und Lachen.

Der Geruch von den Hinterlassenschaften der Hunde und Katzen war schnell vergessen und wurde nach wenigen Minuten auch nicht mehr wahrgenommen.

Nur kurz wurde es ruhig in dem Park.

Dies geschah in den Momenten, wenn ein Butler mit gerümpfter Nase und angewidertem Blick mit einem Hund oder gar mehreren durch diesen Teil gehen musste.

Sie alle schenkten den Kindern nur angeekelte Blicke und gingen schnell weiter.

Jeder wusste, dass sie die Sorge hatten, sie würden sich zusammentun und dem Dienstboten die Kleidung vom Leibe oder gar der Herrin liebsten Hund das mit Juwelen besetzte Halsband stehlen.

So war es auch in diesem Moment.

Ein Butler ging mit einem Hund durch die Gruppe Kinder, die sofort aufgehört hatten zu spielen.

Der Hund, den der Butler durch den Park führte, war nicht besonders groß, aber auch nicht sonderlich klein. Sein gepflegtes Fell glänzte und an jedem Baum oder Gebüsch blieb er stehen und schnüffelte ausgiebig, während der Butler an der Leine zog.

Missmutig folgten die Kinder dem Butler mit Blicken und warteten, bis er außer Hörweite war. Der Hund hob gerade das Bein und urinierte an den Stamm eines Baumes, wie viele andere vor ihm auch. Nur wenige Schritte weiter blieb er erneut stehen und es sah aus, als würde er sich hinknien. Der Schwanz hob sich und im nächsten Moment zierte ein weiterer Hundehaufen das Gras.

Der Butler machte einen erleichterten Gesichtsausdruck und ging mit schnellen Schritten aus dem Teil des Parks.

„Ist ja mal wieder typisch“, sagte ein Junge, „Die Köter aus der Oberschicht kommen her, um sich auszuscheißen!“

„Damit wird uns gezeigt, wo wir uns in der Gesellschaf befinden“, sagte ein älteres Mädchen, doch schon bald war dieser Vorfall vergessen und das Spielen ging weiter.

Emily verstand die Worte nicht ganz, wusste aber, dass es damit zu tun hatte, dass sie arm waren und die anderen reich. Es war eben normal und niemand konnte etwas dagegen tun.

Lange hielt das Spielen wieder nicht an.

Ein weiterer Butler betrat den heruntergekommenen Teil und ging direkt auf die Gruppe von Kindern zu.

Seine Kleidung war schwarz und aus teuren Stoffen genäht worden. Sein Mantel war hoch geschlossen und sein Gesicht zeigte keinerlei Emotionen. Selbst der beißende Geruch in dieser Gegend schien ihn nicht zu interessieren. Sein rötliches Haar war ordentlich geschnitten und frisiert. Lediglich die Spitzen bewegten sich im Wind und bei jedem Schritt.

Das merkwürdigste war jedoch, dass dieser Butler keinen Hund oder dergleichen bei sich hatte, welchen er ausführen sollte.

Er war alleine und kam dennoch in diesen Teil.

Vor der Gruppe der Kinder blieb er stehen und drehte den Kopf stumm herum.

Natürlich folgten die Kinder neugierig den Blick des Butlers.

Ganz am Rand des Parks, wo sich der Eingang für den Adel befand, stand eine große prunkvolle Kutsche.

Sie war aus einem hellen Holz gefertigt und vier schwarze Pferde waren vor sie gespannt. Auf der Tür war ein goldenes Wappen zu sehen. Es bestand aus einer Art Ritterhelm mit viel Federschmuck und dem Abbild eines Löwen.

Vor der Kutsche stand ein kleines Mädchen mit blonden Locken und blauen Schleifen in den Haaren. Ihr Kleid war in einem hellen gelb gehalten und knielang. Selbst von weitem konnte jeder sehen, wie edel der Stoff davon war. Die Strümpfe des Mädchens waren weiß wie Schnee und die Schuhe glänzten wie neu. In der Hand hielt das Mädchen eine Puppe, sicherlich aus Porzellan. Die Haare der Puppe waren genauso gepflegt und auch das Kleid wirkte teuer.

Der Adel konnte sich eben alles leisten.

Das Mädchen nickte dem Butler nachdrücklich zu und er drehte sich wieder zu den Kindern herum.

Sein Blick heftete sich auf Emily, die ängstlich zurückwich.

„Das Fräulein Tochter meines Herren wünscht Sie zu sehen. Sie werden mich jetzt begleiten, kleine Lady.“

Emily sah den Butler nur entgeistert an und schüttelte den Kopf, während die anderen Kinder, die die Worte vernommen hatten, laut lachten.

„Emily, eine Lady?!“

„Die ist doch keine Lady!“

Ein Junge trat neben sie und machte einen übertriebenen Knicks. Seine Stimme verstellte er um einige Töne höher. „Oh, junge Lady, Sie sehen heute ja sehr bezaubernd aus.“

Emily schupste ihn grob an der Schulter zu Boden.

„Miss, ich fürchte, das war keine Bitte, sondern ein ausdrücklicher Befehl“, sagte der Butler. „Ich werde Sie jetzt mitnehmen.“

Emily schüttelte energisch den Kopf und trat einen Schritt zurück.

Der Butler streckte seine Hand aus, umfasste ihr Handgelenk und zog sie mit.

„Nein!“, schrie Emily und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, „Lass mich los! Ich will nicht!“

Der Butler drehte sich jedoch nur wortlos herum und zog sie mit sich.

Emily versuchte, ihn zu kratzen und wehrte sich mit allen Mitteln, doch der Mann zog sie einfach weiter. Ihn interessierte es nicht, wie laut sie schrie und dass die anderen Adeligen sie anstarrten. Sie wollte nur fort und zurück zu den anderen Kindern. Emily wollte nicht wieder fort geschleppt werden. Ihr Herz schlug schnell, während sie einfach nur schrie, weinte und Versuche unternahm, sich zu befreien.

Die anderen Kinder standen abseits und wussten genau, dass sie ihr nicht helfen konnten.

„Su!“, schrie Emily mit Tränen überströmtem Gesicht, als der Butler mit ihr fast die Kutsche erreicht hatte. „Sag Maria wo ich bin!“

Ein Mädchen nickte, während Emily in die Kutsche gezerrt wurde.

Das blonde Mädchen hüpfte fröhlich um den Butler und Emily herum, als sie näher gekommen waren und strahlte über das ganze Gesicht.

Kaum war Emily in der Kutsche, stieg auch sie ein und der Butler setzte sich auf den Kutschbock und fuhr los.

Emily registrierte kaum, was gesagt wurde oder wohin die Kutsche fuhr. Der einzige Gedanke, der sie einnahm, war der, dass sie erneut von ihrer Familie getrennt wurde.

Selbst die hohe und laute Stimme des jungen Mädchens vermochte sie nicht aus den Gedanken zu holen. Auch interessierte sie nicht, wer der Mann neben dem Mädchen war. Sie wollte einfach nur fort.

Erst als die Kutsche anhielt und das Mädchen sie mit ihrer freudigen lauten Stimme ansprach, wachte Emily aus ihren Gedanken auf.

„Steig schon aus, du dummes Ding!“, sagte sie lachend. „Komm schon! Hier wirst du ab jetzt leben!“

Emily stieg nur widerwillig aus der Kutsche aus. Sie wollte doch nur nach Hause. Das Mädchen sprach von leben. Wenn Emily noch Tränen gehabt hätte, hätte sie wieder angefangen zu weinen.

„Jetzt guck nicht so traurig!“, flötete das Mädchen und zog sie an der Hand zum Eingang der Villa, „Komm mit! Dustin zeigt dir das Haus!“

Emily hatte nur einen kurzen Blick auf die Fassade geworfen.

Sie war weiß gewesen und das Anwesen schien unendlich groß.

Wo war sie? War sie eigentlich noch in London?

Doch viel Zeit, sich umzusehen hatte sie nicht, denn das Mädchen zog sie die Stufen hinauf zum Eingang.

„Rebecca, Liebes, mach langsam“, sagte der Mann, der ebenfalls in der Kutsche saß. „Wir sollten deine neue Spielgefährtin doch erst einmal baden und neu einkleiden. Denkst du nicht auch?“

Das Mädchen, das offenbar Rebecca hieß, blieb vor der Eingangstür stehen und sah den Mann mit schmollendem und trotzigem Blick an. Sie schob die Unterlippe vor und stampfte mit dem Fuß auf.

„Ich will ihr aber das Haus zeigen!“, rief sie wütend, „Ich will! Ich will! Ich will!“

„Rebecca, Liebes, das läuft doch nicht weg“, sagte der Mann ruhig und schon fast liebevoll.

Emily verstand nicht, wieso sich dieses Mädchen so aufregte. Aber es war sicherlich etwas, was man nur verstand, wenn man reich war.

„Daddy! Ich will aber!“, schrie sie und im nächsten Moment beugte sie sich nach vorne und fing an zu husten. Es war ein sehr tiefer und schwerer Husten.

„Rebecca, Liebes!“, rief der Mann besorgt und eilte die Stufen hinauf zu seiner Tochter, „Du weißt doch, du darfst dich nicht aufregen, sonst bekommst du wieder einen Anfall.“

„Dann sorge dafür, dass ich mich nicht aufrege!“, stieß Rebecca hervor und hustete erneut, „Daddy, es tut weh, wenn ich huste…“

Emily wusste nicht, was sie von dieser Szene halten sollte. Auf der einen Seite war dieses Kind verwöhnt und auf der anderen tat sie so hilflos.

„Schon gut, mein Liebling. Dann führe deine neue Freundin eben mit Dustin durch das Haus. Aber anschließend baden, frisieren wir sie und kleiden sie neu ein. Du willst doch, dass deine Freundin gut aussieht, oder?“ Er stupste ihr mit dem Finger liebevoll gegen die Nase.

Das Mädchen hörte mit dem Husten auf und sah ihren Vater an. Sie richtete sich auf und lächelte siegreich. Ihre ganze Haltung ließ nichts darauf schließen, dass sie eben einen angeblichen Anfall hatte. Emily kannte dieses Mädchen zwar nicht, war sich aber sicher, dass sie die Anfälle oft nur vortäuschte, um ihren Willen zu bekommen.

Rebecca war blass, sehr blass und sie schien auch wirklich krank zu sein, dachte Emily und fragte sich, was noch auf sie zukommen würde.

Die große Eingangstür öffnete sich und sofort kamen zwei junge Beagle auf Rebecca zu.

Ihr Kläffen war fröhlich und ihr Schwanz schwang freudig hin und her. Das Fell war sauber und glänzend. Die beiden Hundewelpen waren weiß und hatten braune Flecken. Sie sahen sich sehr ähnlich. Mit großen braunen Augen sahen sie Rebecca erwartungsvoll an.

Emily hätte am liebsten aufgequiekt und die beiden Hunde sofort gestreichelt, doch sie gehörten ihr nicht und wer wusste schon, was passieren würde, wenn sie die beiden ohne Erlaubnis streichelte.

Rebecca neben ihr stieß einen kurzen Schrei aus.

„Geht weg!“, schrie sie und stieß die Hunde mit den Füßen weg. Auch als sich die beiden Hunde erwartungsvoll an Emily wandten, trat sie mit dem Fuß nach den Welpen. „Geht weg, ihr garstigen Biester! Haut schon ab!“

Die beiden Tiere taten Emily leid, doch sie schwieg und ein Dienstmädchen eilte herbei. Sie führte die Hunde sofort aus dem Eingangsbereich.

Emily sah sich nun abermals in der Eingangshalle mit schachbrettartigem Boden und schwebendem Kronleuchter um. Zwischen dicken, dunkelblauen Vorhängen drang trübes Tageslicht in den Raum. An jeder Seite führte eine Treppe nach oben zum Ost- und zum Westflügel. Eine große Standuhr stand neben der Treppe und das Messingpendel schwang träge hin und her. Das Klacken schien laut in dem Raum widerzuhallen.

Emily folgte dem Butler und Rebecca durch das Haus. In jedem Zimmer hielten sie an und jedes hatte seinen Namen und sein eigenes Thema.

„Hier sehen Sie die von-Canter-Bibliothek“, sagte er, als sie einen achteckigen Raum mit einem dunklen Holzfußboden und endlosen Regalen voller Lederbände betraten. Sie gingen weiter zum Roten Salon, einem mit Samt ausgekleidetem Wohnzimmer, offensichtlich für Damen. Der Butler hielt die Tür auf, während die beiden Mädchen hineingingen und er draußen wartete. Es gab plüschige Sofas und winzige Beistelltische, auf denen gerade Mal eine Teetasse Platz hätte.

Danach kam das Pergamentzimmer, ein Arbeitszimmer. Auf dem dunklen Schreibtisch lagen Pergamentpapiere, ein Gefäß mit einer Schreibfeder und einem Tintenfass. Es ging weiter durch ein Labyrinth von Räumen, einer prächtiger als der andere. Emily versuchte, sie auseinander zu halten, aber in ihrem Kopf schwirrten die Namen ebenso schnell durcheinander wie der Butler sie verkündete:

„Der Spielsalon.“

„Der Kristall- und Mamorsaal.“

„Die Gemäldegalerie.“

„Der Rauchsalon.“

„Der Weinkeller zur Einkehr.“

Und schließlich: „Das Wohnzimmer.“

Der Butler führte die Mädchen zurück in die Eingangshalle.

„Nun wirst du gebadet! Dann kleiden wir dich ein!“, sang Rebecca und tanzte um Emily herum als wäre sie ein Maibaum. „Du wirst danach zauberhaft aussehen! Wie eine Puppe!“

„Wo bin ich eigentlich?“, wagte Emily nun zu fragen.

„Das weißt du nicht?“, fragte Rebecca. „Im Haus meines Vaters! Baron von Canter! Ich bin Rebecca von Canter!“

Der Name von Cater sagte ihr gar nichts. Aber sicherlich war es eine reiche Familie, die in den Adelskreisen bekannt war.

„Oh...ähm…ich bin Emily.“

„Ich weiß, wer du bist! Und endlich habe ich dich gefunden! Wir werden viel Spaß zusammen haben! Wir werden Teepartys machen, reiten, zusammen im Unterricht sein!“

Der Butler achtete wenig auf die Worte und führte sie zu einer Tür links vom Eingang.

„Papa erlaubt mir leider nicht, dass du eines der größeren Bäder benutzt, solange du noch so schmutzig bist. Deshalb wirst du im Bad der Dienstboten gewaschen. Aber keine Sorge! Ich werde dich unterhalten, dann fällt dir sicherlich nicht auf, wie unkomfortabel das Bad ist!“

„Rebecca!“, unterbrach die Stimme des Herren die beiden Mädchen, „Du musst deine Medizin nehmen. Der Doktor kommt auch jeden Moment. Du musst dich fertig machen.“

„Aber Daddy!“, protestierte Rebecca. „Ich will dabei sein!“

„Keine Widerworte!“, sagte er diesmal streng. „Das Dienstmädchen wird deine kleine Gefährtin schon herrichten.“

Rebecca schob trotzig die Unterlippe vor. „Sehr wohl, Daddy“, sagte sie und wandte sich noch kurz an Emily. „Ich muss leider zu dieser Untersuchung. Ich bin sehr erfreut, dich später erneut zu treffen.“

Emily sah noch zu, wie Rebecca von ihrem Vater und einem Dienstmädchen fortgebracht wurde, ehe sie dem Butler durch einen Gang folgte, der die Unterkunft der Dienstboten beherbergte.

Er öffnete eine Tür zu einem Badezimmer mit weißen Kacheln.

Kalte Luft strömte ihr entgegen und in dem Raum stand ein Dienstmädchen bereit. In der Mitte stand eine Wanne gefüllt mit klarem Wasser. An der Seite des Raumes waren kleine Schränke, auf denen Seife, Schwämme, Bürsten und Handtücher lagen. Ein Spiegel stand auf einem der Schränke und in einer Ecke stand ein kleiner Hocker.

Der Butler schob sie in den kalten Raum hinein und schloss die Tür.

Emily war nun mit dem Dienstmädchen alleine, das die Nase rümpfte und auf sie zukam. Ohne zimperlich zu sein, zog sie ihr das Kleid aus, während sich Emily dagegen wehrte. Sie wollte nicht in einem kalten Raum stehen ohne Kleider und das auch noch vor einer fremden Frau. Doch es half nichts.

Nur wenige Minuten später stand sie ohne Kleidung in dem Badezimmer und umklammerte ihren Körper. Ihre Zähne klapperten und das Dienstmädchen schob sie zur Wanne. Ein Hocker stand davor, der ihr half, hinein zu steigen.

Das Wasser war kalt und brachte Emily noch mehr zum Zittern.

Ungeduldig griff das Dienstmädchen nach ihrem Arm und fing an, sie mit einer Bürste, welche rau und hart war, zu schrubben. Nach wenigen Sekunden war ihre Haut gerötet. Plötzlich wurde von einem zweiten Dienstmädchen ein Eimer Wasser über ihrem Kopf geleert. Es war genauso kalt wie das Wasser in der Wanne und es ließ sie noch mehr zittern.

Emily presste die Augen fest zu und ließ die Prozedur stumm über sich ergehen. Sie biss sich auf die Unterlippe, während sich neue Tränen einen Weg über ihr Gesicht bahnten. Es war einfach nur schrecklich.
 

Mitten in der Nacht erwachte Ronald Knox und sofort war ihm klar, dass es nicht sein eigenes Zimmer war, in dem er schlief.

Sein erster Gedanke war, dass er bei einer seiner Verabredungen war und dort eingeschlafen war. Schnell fiel ihm aber ein, dass er bei der Verwaltung gewesen war und darum gebeten hatte, im Zimmer seiner Schülerin wohnen zu dürfen, um ein Auge auf sie zu haben.

Die Umrisse des Zimmers waren nur schwer zu erkennen. Es roch fremd und nach einer Frau. Ronald mochte den Duft. Er war anders und er grub seine Nase tiefer in das Kissen. Wohlig seufzte er auf und drehte sich auf die Seite.

Es war also nicht der Geruch von einem seiner Dates, sondern der von Lily. Ronald war es egal. Dann mochte er eben den Geruch seiner Schülerin. Es war nichts dabei, solange er nichts für sie empfand und das würde auch nicht passieren.

Nun wo sein Gehirn angefangen hatte zu denken, war Ronald wach und seine Gedanken folgten ihrem eigenen Weg. Er konnte nicht schlafen, wenn sein Kopf dachte. Aber wer konnte das schon?

Seine Gedanken wanderten zurück zu dem Streit mit Nakatsu.

Er war wirklich lächerlich gewesen und auch unnötig.

So ungern Ronald es auch zugab, aber es wäre wirklich besser gewesen, wenn er nicht das Bett mit Lily geteilte hätte. Er war immerhin ihr Mentor und sie seine Schülerin. Eine gewisse Distanz sollte gewahrt bleiben. Doch immer, wenn er daran dachte, wie Nakatsu hier neben ihr liegen würde, machte sich ein ungutes Gefühl in seiner Brust breit und ein Risiko wollte er auf keinen Fall eingehen.

Gerne hätte er sich vorhin bei ihr entschuldigt, als sie sich im Bett herumgedreht und sich gegenseitig eine gute Nacht gewünscht hatten. Seine Hand hatte fast ihre Schulter berührt und die Worte hatten bereits auf seiner Zunge gelegen, doch im letzten Moment hatte er einen Rückzieher gemacht.

Ronald wollte vor ihr nicht als nachgiebig dastehen oder schwach. Aber innerlich wusste er, dass dies nur ein Vorwand für etwas anderes gewesen war, was er selbst nicht benennen konnte.

Plötzlich spürte er neben sich eine Bewegung.

Es war Lily, die sich bewegte, doch dann hörte er leise tapsende Schritte und Sekunden später war das Geräusch der sich öffnenden Tür zu hören.

Gerade wollte er etwas sagen und ihr nachgehen, als ihm Alans Worte einfielen und Ronald schwieg.

Er durfte seine Schülerin nicht in Watte packen und sich wie ein Babysitter aufführen! Außerdem würde sie sicherlich keinen Gefallen daran finden, wenn er sie auf Schritt und Tritt verfolgte und beobachtete. Was sollte sie obendrein in der Nacht schon großartig tun, außer auf die Toilette zu gehen?

Tief atmete der Shinigami ein und aus und lauschte. Er zählte die Sekunden, die zu Minuten wurden und wartete, dass Lily zurück ins Bett kam.

In der Stille und Dunkelheit zog sich das Warten endlos in die Länge und er fragte sich, wie man nur so lange auf der Toilette bleiben konnte.

Nach weiteren Minuten des Wartens und das Gefühl, seit Stunden wach zu sein, hörte er wieder leise Schritte und das Geräusch der Tür, wie sie wieder abgeschlossen wurde. Weitere gedämpfte Schritte und dann merkte er, wie sich die Matratze bewegte und hörte ein ersticktes Geräusch.

„Was haben Sie solange gemacht? Waren Sie so lange auf der Toilette?“, fragte er leise in die Dunkelheit.

„Mr. Knox…“, brachte seine Schülerin hervor. Ihre Stimme klang ein wenig erstickt und im nächsten Moment hustete sie kurz. „Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht wecken.“, flüsterte sie zurück mit noch immer leicht kratzig klingender Stimme.

„Sie haben mich nicht geweckt. Ich war schon vorher wach.“, gab er zur Antwort.

„Oh…na dann. Ich war nur noch etwas trinken.“, hörte er sie sagen, „Wir sollten weiter schlafen.“

Ronald brummte zustimmend und hörte die Decke rascheln.

Dann war es wieder still. Er hörte seinen Atmen und den von Lily.

Seine Stirn zog sich in Falten. Etwas stimmte nicht.

Die Atmung seiner Schülerin war unregelmäßig, nicht so wie es sich für eine entspannte Person anhören sollte. Im Gegenteil. Es klang eher so, als würde sie versuchen, lautere Geräusche zu unterdrücken.

„Miss McNeil?“, fragte er vorsichtig und drehte sich zu ihr herum.

Sie gab keine Antwort und blieb ruhig. Auch hörte die unregelmäßige Atmung auf.

„Alles in Ordnung?“, fragte Ronald weiter und versuchte, in der Dunkelheit ihre Konturen zu erkennen. Er legte seine Hand auf die Stelle, an der er ihre Schulter vermutete. Zum Glück hatte er richtig geraten.

Der Körper seiner Schülerin bebte und sie war unter seiner Berührung zusammengezuckt.

„Was ist los? Reden Sie mit mir!“, bat er und es wunderte ihn selbst, wie viel Besorgnis in seiner Stimme mitschwang.

„Es ist nichts. Ich hatte eben nur schlecht geträumt“, krächzte sie leise.

„Soll ich das Licht anmachen?“, fragte er und wandte sich kurz ab. Seine Hand tastete bereits nach dem Lichtschalter der kleinen Lampe, die auf dem Nachttisch stand, als sie ihn zurückhielt.

„Nein…bitte nicht.“

Ronald nickte, was sie in der Dunkelheit nicht sehen konnte, weshalb er schnell hinzufügte: „In Ordnung.“

Was sollte er tun? Neben ihm lag seine Schülerin und schien offenbar vor etwas Angst zu haben und den Tränen nahe zu sein.

Er war damit vollkommen überfordert!

Durfte er sie denn als Mentor tröstend in den Arm nehmen oder überschritt das seine Befugnisse? Aber er konnte sie auch nicht einfach so neben sich liegen lassen und tun als wäre nichts. Allzu nahe sollte er ihr allerdings auch nicht kommen. Die Distanz sollte gewahrt bleiben!

Es war eine Zwickmühle.

„Wollen…wollen Sie darüber reden?“, wagte Ronald einen erneuten Vorstoß.

„Nein“, brachte sie hervor und ihre Stimme klang noch schlimmer als vor wenigen Sekunden. Auch ließ sich ein Schluchzen von ihr nicht mehr unterdrücken.

Fieberhaft überlegte Ronald, was das Richtige war. Er wollte gegen keine Regel verstoßen oder sonstiges.

„Darf ich?“, fragte er vorsichtig und doch wartete er keine Antwort ab. Er legte einen Arm um die Hüfte seiner Schülerin und zog sie eng an seinen Körper. Sicherlich überschritt er damit seine Autorität, aber wenn sie und er darüber schwiegen, würde niemand etwas jemals davon erfahren.

„Mr. Knox…nicht…“, sagte sie und versuchte, sich aus seiner Umarmung zu befreien.

„Alles ist gut“, unterbrach er leise ihren Protest und schob seinen anderen Arm unter ihren Körper durch, um sie mit beiden Armen festhalten zu können.

Lily war nun so dicht an ihm, dass er jede Regung ihres Körpers spüren konnte. Besonders deutlich konnte er ihre Atmung fühlen. Seine Hände lagen auf ihrem Bauch und dieser bewegte sich bei der schnellen Atmung mit.

Für Ronald Knox war es ein befremdliches Gefühl, ihr so nahe zu sein, gleichzeitig aber auch sehr angenehm.

Er verstand, dass sie sich nach Nähe und Wärme sehnte, auch wenn er nicht wusste, was genau in ihr vorging.

Es war angenehm, den Duft ihrer Haare zu riechen, die leicht an seiner Nase kitzelten.

Ronald wusste kaum etwas über Lily, hatte er doch nur erst ein paar Tage mit ihr gearbeitet und zu Mittag gegessen. Die meiste Zeit hatten sie über die Ausbildung oder die Arbeit geredet, aber nie über etwas Privates.

Vorsichtig umfasste er ihre Hand und strich beruhigend über ihren Handrücken.

Diese kleine Berührung reicht aus, um die restlichen Hemmungen von ihr fallen zu lassen und sie fing an zu weinen. Ronald drückte sie ein wenig enger an sich und flüsterte ihr beruhigende Worte zu.

Es schien nur wenig zu helfen, denn das Mädchen in seinen Armen beruhigte sich nur langsam. Aber er war froh, dass er so gehandelt hatte. Es ignorieren zu müssen, wäre schrecklich für ihn gewesen und für Lily sicherlich auch. So hatte sie wenigstens eine tröstende Schulter.

Ronald lauschte den Geräuschen und wartete geduldig. Er war müde und wollte schlafen, doch Lily jetzt alleine lassen konnte er nicht, auch wenn ihr Körper ruhig war und ihre Atmung gleichmäßig.

Erschöpft schloss auch er die Augen. Nur für einen kurzen Augenblick, um Kraft zu sammeln. Seine Hand hatte schon längst aufgehört, ihren Handrücken zu streicheln und hielt sie nur weiterhin fest.

Die Atmung des Shinigami wurde langsamer und tiefer, während sein Geist in den Schlaf abtauchte.
 

Der nächste Morgen brach wie immer viel zu früh an.

Müde drehte sich Ronald herum und legte seinen Arm über das restliche Bett, doch anstatt in die Leere zu greifen, umschlang sein Arm einen warmen Körper.

Es war merkwürdig. Seit wann hatte er denn ein Heizkissen? Noch dazu ein so schön warmes und weiches?

Sofort schmiegte er sich näher heran und zog die Person zu sich.

„Du riechst so gut“, seufzte er und fuhr mit der Hand zärtlich über den Rücken des Mädchens in seinen Armen. Ronald genoss diesen Moment und fuhr vorsichtig mit den Fingern über ihren Hals.

Das Mädchen brummte verschlafen und schmiegte sich an ihn.

Er richtete sich etwas auf, beugte sich über das Mädchen und küsste ihren Hals. Seine Lippen berührten ihre Haut nur flüchtig und verführerisch.

„Guten Morgen, mein süßer kleiner Todesengel“, flüsterte er verschlafen und biss zärtlich in den Hals.

„Mr. Knox, ich unterbreche Sie nur ungern, aber…“ Das Mädchen räusperte sich und Ronald hielt sofort in seinem Tun inne.

Seine Augen öffneten sich schlagartig und er wich schnell von dem Körper neben sich zurück.

Ronald bemühte sich um eine ruhige Atmung, obwohl sich seine Brust stark hob und senkte. Sein Gesicht fühlte sich warm an, aber gleichzeitig hatte er das Gefühl, sich in einem schrecklichen Alptraum zu befinden.

Was hatte er getan? Was sollte er sagen? Es gab nichts, was sein Verhalten rechtfertigen würde.

Nur ungern sah er seine Schülerin an, die die Decke fest an sich gepresst hatte und mit hochrotem Gesicht auf das weiße Laken sah.

Dieser Anblick war einfach nur schrecklich und Ronald konnte ihn kaum ertragen. Dabei wollte er sie vor Nakatsu schützen und jetzt hatte er sich tatsächlich selbst an sie rangemacht.

Wenn William davon erfuhr, würde er seine Stelle als Mentor sofort verlieren.

„Miss McNeil…“, brachte er mit zitternder Stimme hervor, „Ich…ähm…ich wusste nicht…ich wollte nicht…“

Das war vielleicht ein Schlamassel und er wusste keinen Ausweg daraus.

Ronald überlegte, was er tun sollte, fand aber keine passenden Worte. Vorsichtig hob er die Hand und Lily zuckte zurück.

Sofort ließ er sie wieder sinken und fuhr sich unschlüssig durch die zerzausten Haare.

„Miss McNeil…“, fing er wieder an, „Ich wollte wirklich nicht…es…es tut mir leid…“

Ronald erkannte jedoch deutlich an ihrem Blick, dass egal, was er sagte, es keinen Sinn haben würde.

„Ich…werde dann eben duschen gehen und mich anziehen“, sagte er und stand auf. Ronald ging schnell um das Bett herum und schloss die Tür auf, hielt jedoch noch mal kurz inne.

„Es tut mir wirklich leid“, sagte er noch einmal und verließ das Schlafzimmer.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  AkaiOkami
2013-09-03T15:22:59+00:00 03.09.2013 17:22
Soo möchte ich auch mal geweckt werden "Guten Morgen, mein süßer kleiner Todesengel"....*träum*.....Ach ja und das ist mal wieder richtig gut gelungen XD

Antwort von:  Frigg
03.09.2013 17:23
nicht nur du XD
Von: abgemeldet
2012-07-26T15:36:59+00:00 26.07.2012 17:36
Bei allen Shigamis und Todesengel, ich liebe diese FF <3 Allein schon wegen meinen neuen lieblings chara William ;) Und ich finde man kann sich gut in die Personen rein verasetzen und Spannend ist es auch und der Humor kommt auch nicht zu kurz. Das wird 1000% meine lieblings Kuro FF *.* Omg so genial * schwärm*
Von:  fahnm
2012-07-17T21:50:04+00:00 17.07.2012 23:50
Klasse Kapi^^


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