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Carlisle

Tales from long ago... oder so ähnlich :-)
von

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Ohne Licht kein Schatten oder so

„... denn dein ist das Reich und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“

Der blonde Mann schloss das Buch Gottes andächtig und doch lag in seiner Bewegung etwas Aggressives.

Die Gläubigen in den Reihen schickten sich an, ihren Heimweg anzutreten.

Eine korpulente Frau neben mir stieß ihrem Gatten mit dem Ellenbogen hart gegen die rechte Seite seines Oberkörpers.

Er war schmächtig, mit schütternem Haar. Es war ein Wunder das die Rippen nicht zerbrachen.

Unsanft schreckte er aus seinem sedativen Zustand auf und blickte sich nach der Ursache dafür um, doch der Anblick seiner Gemahlin ließ ihn sich zurück in seine Traumwelt wünschen.

Ein zierliches Mädchen in tannengrüner Sonntagstracht auf meiner anderen Seite war sitzend in ein Gebet verfallen.

Ich richtete mich ebenfalls auf und wandte mich zum gehen.

Die Gemeinde wirkte so geschlossen, so aufrichtig und liebenswert, ebenso wie der Pfarrer.

Mein Vater.

Oberflächlich betrachtet konnte man dem auch Recht geben, doch in den Tiefen brodelte der Hass. Obwohl wir gerade erst einen Bürgerkrieg hinter uns gebracht hatten, war unser kleines Dorf in London nicht erpicht auf Frieden und Einklang.

Hexenverfolgung, Dämonenjagd und Teufelsaustreibungen waren hier an der Tagesordnung.

Mein Vater war, ich möchte nicht sagen fanatisch, eher eingenommen davon, das Böse auszurotten.

An und für sich ein ehrbarer Gedanke. Doch auch wenn ich ein folgsamer Sohn war und ihm tiefe Bewunderung entgegen brachte, rebellierte eine Seite von mir, welche tief unter der Oberfläche vergraben lag.

In den letzten Wochen wurden drei junge Frauen verbrannt.

Ich hielt nicht eine von ihnen für schuldig, doch mein Vater sah in jedem Schatten den Teufel.

Anfangs ging ich noch konform. Denn die Bürger beschuldigten nur mit ausreichendem Verdacht.

Doch dann wurde das ganze et absurdum geführt.

Erst waren es noch geschickte und durchdachte Begründungen.

Die Ehefrau, die die Geliebte des Mannes der Ketzerei beschuldigte. Der Teufel wäre in sie Gefahren und hätte ihren Mann betört, dieser, um sich nicht des Ehebruches schuldig zu bekennen, stimmte in die Anschuldigungen mit ein.

Eine Verhandlung. Ein Urteil. Eine Exekution.

Doch mittlerweile waren die Anschuldigungen so absurd, dass ich es teilweise nicht fassen konnte.

Die Wäsche der Nachbarin war weißer. Schuldig.

Der Kuchen der Mitarbeiterin war appetitlicher. Schuldig.

Die junge Schneiderin war zu attraktiv. Schuldig.

Nicht Einer trank Blut, hatte Bannsiegel auf dem Fußboden, oder ein Kräuterarsenal in der Speisekammer.

Ich öffnete die Tür unseres Hauses. Es war klein, spärlich eingerichtet und hatte nichts heimisches.

Es war kühl und irgendwie leblos. Die Abwesenheit einer weiblichen Seele war sichtbar.

Ein weibliches Wesen, welches Freude und Farbe in die tristen Räume brachte.

Meine Mutter war kurz nach meiner Geburt gestorben.

Manchmal fragte ich mich, ob dies der Grund war, warum mein Vater sich so in seinem Glauben verlor.
 

Ich legte den Mantel ab und krempelte die Ärmel meines Hemdes hoch.

Bald sollte ich die Passion meines alten Herren fortsetzen.

Die Gemeinde legte viel Hoffnung und Vertrauen in meine jungen Hände.

Ich nahm eine Wasserschüssel von der Anrichte und schöpfte Wasser aus dem Brunnen hinter unserem Haus.

Es war kühl geworden. Der Sommer wandte sich dem Ende zu und wir nährten uns der Erntezeit.

Ich tauchte die blanken Arme in das kühle Nass und begann sie zu reinigen.

Meine Vater hatte viel Wert auf eine strenge und christliche Erziehung gelegt, dementsprechend waren die Ansprüche die er an mich stellte hoch.

Schon im frühen Kindesalter hatte ich Lesen und Schreiben gelernt.

Die Vormittage verbrachte ich mit Theologiestudien und am Nachmittag assistierte ich meinem Vater beim verfassen seiner Predigten.

Ich formte die Hände zu einer Kelle und schaufelte mir das Wasser ins Gesicht. Es lief an meinem Hals hinab und befeuchtete den Kragen meines Hemdes.

Ein Blick in den alten Spiegel auf einem kleinen Beistelltisch neben mir.

Ich fuhr mir mit der nassen Hand durch das blonde Haar, es war derselbe Farbton wie der meines Vaters und es blieb unter der Wirkung des Wassers in seiner Form.

Unter meinen Augen lagen tiefe Schatten.

Ich hatte die Nächte über nicht gut geschlafen und auch diese Nacht schien es mir nicht vergönnt. Denn ich hörte die Bewohner unseres kleinen Dorfes sich formieren.

Wie hatte ich gehofft, sie wären Fackel und Forke mittlerweile Leid, doch dem schien nicht so. Wiedereinmal zogen sie durch die Straßen. Anscheinend hatten sie eine neue Hexe gefunden, oder einen bösartigen Vampir.

Ich entleerte die Schüssel über das geöffnete Fenster hinweg und stand auf.

Das Petroleum in der alten Lampe ging zur Neige und sie flackerte.

Ein kurzes Flackern bevor sie erstarb. Ich lachte sarkastisch auf.

Wie konnte mich diese alte Lampe an einen Scheiterhaufen erinnern?
 

In Gedanken versunken knöpfte ich mein Hemd auf und kramte in meiner spärlich bestückten Kommode nach Nachtwäsche.

Mein Vater war noch nicht daheim. Vermutlich führte er gerade die Verhandlung gegen die vermeintliche Hexe, oder räucherte den Vampir aus.

Ich füllte die Lampe auf und stellte sie auf meinen Nachttisch, danach legte ich mich auf mein Bett und zog die Decke über meinen Körper.

Sie reichte nicht mich ausreichend zu wärmen.

Nach einem Buch tastend drehte ich mich auf den Bauch. Ob lesen eine so gute Idee war?

Meine Augen brannten, der Körper zeigte Ermüdungserscheinungen und gegessen hatte ich heute auch nicht mehr als eine Scheibe trocknen Brotes.

Also gab ich die Suche auf und erlag der Müdigkeit.

Der nächste Morgen kam zu früh und zu schnell.

Der Himmel begann sich gerade aufzuhellen und ich hörte von weit entfernt einen Hahn krähen. Stöhnend richtete ich mich auf.

Noch nicht einmal zwanzig und mein Rücken vermochte den Schmerz eines alten Mannes nachzuempfinden. Ich rieb mir die Augen.

Aus dem Nachbarraum vernahm ich das dumpfe Schnarchen meines Vaters. Ich hatte ihn gar nicht Heim kommen gehört.

Wie einfach wäre es wohl mich nachts zu überfallen?

Der Schlaf raubte einem Körper jegliche Kontrolle.
 

Die kleine Kirche war am frühen Morgen so leer, dass es einem einen leichten Schauer über den Rücken jagen konnte.

Ich ging durch die Reihen und sorgte für die akkurate Lage der Gesangsbücher, füllte das Weihwasser auf und tauschte die langsam welkenden Blumen gegen Frische.

Danach setzte ich mich in die erste Reihe und ließ meinen Blick umher schweifen.

Die Kirche hatte kein Geld, das sah man. Die Wände waren alt und heruntergekommen, ebenso die Bilder die an diesen hingen.

Durch die Fensterscheiben aus buntem Glas drangen die ersten Sonnenstrahlen und ließen einen Blick auf den umherwirbelnden Staub erhaschen.

Ich seufzte und startete ein Morgengebet.

Meine Bitten an Gott waren simpel. Es sollte meiner Mutter im himmlischen Reich gut ergehen, Segen für meinen Vater und erbarmen für die Wesen, welche schier täglich auf dem Scheiterhaufen verbrannten und einen netten Mann für das Mädchen, welches neben der Bäckerei wohnte und deren Werben ich nicht erwidern konnte.

Als ich die Augen öffnete erkannte ich, dass ich nicht länger allein war.

Eine Reihe hinter mir saß das Mädchen, welches gestern neben mir gesessen und in ein inniges Gebet an Gott vertieft war.

Sie murmelte schnell und unterbrach ihr Flehen nur für vereinzeltes Schluchzen.

Ich nährte mich ihr und legte die Hand auf die warme Schulter.

„Der Herr wird dir beistehen.“, Worte die mein Vater ebenfalls gebraucht hätte.

Sie richtete den Blick auf mich. Geschwollene Augen, die Oberlippe zitterte.

„Wieso sollte er mir beistehen, wenn er meine Schwester verdammt hat?“, sie sank auf die Lehne vor sich zusammen und gab sich den Tränen hin.“Sie... sie... ich weiß, dass sie unschuldig ist.“

Ich konnte sie kaum verstehen.

„Welche Sünde hat sie begangen...?“, sollte ich „mein Kind“ hinzufügen? Ich fand es übertrieben.

Dies war keine Beichte, ich wollte ihr wahrlich helfen.

Sie hob den Kopf, Tränenspuren auf dem ganzen Gesicht. „Sie soll den Teufel in sich haben.“, es war nur ein Flüstern, doch die Angst, die Sorge und das Mitleid schallte mir gerade heraus entgegen. Wieder einmal eine Hexe.

Manchmal konnte ich den Gedanken nicht verwehren, dass sie die Frauen als Brennmaterial gegen die aufkommende Kälte nutzten.

Ich ließ mich neben ihr nieder. Was sollte ich ihr raten?

Was konnte ich ihr versprechen, ohne falsche Hoffnung zu schüren?

Trotz meiner strengen Erziehung hatte ich ein anderes Bild von dem was Gott uns geben konnte und was nicht.

Er konnte uns Leben geben, er konnte über uns wachen, auch Kraft und Vertrauen konnte er uns schenken, doch er war nicht in der Lage uns unsere Wünsche zu erfüllen. Das war auch nicht seine Aufgabe.

Jemand der wenig getan, aber viel erhalten hatte, würde das Glück nie so sehr zu schätzen wissen wie der, welcher sich durch mühevolle Arbeit seine Erträge sicherte.

„Wenn sie nichts verbrochen hat, so wird man sie nicht für schuldig befinden.“

Es war falsch, das wusste ich. Die Menschen waren zu sehr in ihrem Rausch, als das sie zu rationalen Entscheidungen in der Lage waren.

Was hatte es an sich ein verzweifeltes Mädchen an einen Stein zu binden und sie im Meer zu ertränken, nur um sicher zu gehen, dass sie nicht auftauchen und sich der Hexerei schuldig bekennen würde.

Als ob das leibhaftige Monster sich so einfach fangen und knebeln ließ.

Welch Monster war eine alte Frau, die man auf eine Streckbank spannte und ihre Gliedmaßen derart verzerrte, dass sie bereit gewesen wäre alles zu zu geben.

Der Teufel war nicht so leicht in die Knie zu zwingen.

Ich segnete das Mädchen, überflüssig wie so vieles und verließ die Kirche.
 

Es sollte der erste Hexenprozess sein den ich zu sehen bekam und danach wusste ich, warum ich bis dato keinem hatte beiwohnen wollen.

Die junge Frau, unverkennbar mit ihrer Schwester verwandt, wurde eingeführt.

Die Hände in Ketten, der Körper geschunden.

Die Beschimpfungen der Massen und der Schmerz der verletzten Füße trieben ihr die Tränen in die Augen.

Ein Blick und ich war mir sicher, diese Augen waren unschuldig.

Nichts in ihrem Schritt in ihrer Haltung war das Ebenbild des Teufels, nur das des Schmerzes den sie während der Folter über sich hatte ergehen lassen müssen.

Mein Vater saß auf einer Anhöhe mit direktem Blick auf die Angeklagte, umringt war er von einem Gremium von weiteren fünf Herren der Gemeinde. Allesamt Fanatiker.

Die Verhandlung währte eine halbe Stunde, in so fern man es eine Verhandlung nennen konnte.

Es war eher eine Demütigung der jungen Frau.

Die Befragung hatte keinen Sinn, für alle war sie von vorneherein schuldig.

Als man sie zur Exekution abführte brach ihre Schwester in der dritten Reihe zusammen.

Sie erwachte nicht mehr.
 

Noch am selben Abend befand mein Vater mich für bereit, seine Aufgabe fortzuführen.

Auch wenn ich mich mit eisernem Willen bemühte die Folter und die Exekutionen abzuschaffen, gelang es ihm trotzdem passiv in den folgenden Jahren, ab und an eine geschundene Seele den Flammen zu übergeben.

Bekräftigt wurde sein Vorhaben durch eine endlose Reihe an grausamen Morden.

Die Opfer trugen keinen Tropfen Blut mehr in sich und waren übersät von Bisswunden.

Der Eindeutige Beweis für das Wüten eines Vampires.

Mit zunehmender Opferzahl verbarrikadierten sich die Dorfbewohner mehr und mehr in ihren kleinen Häusern und waren mit ihren Anschuldigungen noch schneller bei der Sache als vorher.

Es gab für mich nur eine Möglichkeit diesem Treiben ein Ende zu bereiten.

Ich musste den wahren Täter finden.

Doch wie verfolgte man einen Vampir? Die Bücher die ich über deren Existenz erlangen konnte, waren ebenso aussagekräftig wie die Klatschgeschichten der Webersfrau um die Ecke.

Also begann ich die Fakten zusammenzutragen.

Fakt Eins: Sie tranken Blut.

Nun was sollte man von Vampiren auch Anderes erwarten?

Fakt Zwei: Sie jagten nur im Schutze der Dunkelheit.

Hierbei hatten sie mit menschlichen Übeltätern viel gemein. Ein Mord im hellen Tageslicht inmitten einer Menschentraube wäre auch eher kontraproduktiv gewesen.

Fakt Drei, und bei diesem war ich mir nicht ganz so sicher: Die Opfer mussten auf Grund persönlicher Beziehungen an die Vampire gebunden sein, oder diese hatten ein Druckmittel.

Denn sämtliche Leichen fanden wir außerhalb des Dorfes und abseits von oft genutzten Wanderwegen. Leider waren das Informationen die mir bei der Ergreifungen nicht von Vorteil waren.

Wo sollte ich anfangen?

Also begann ich mit dem Nächstliegendsten.

Der Vampir musste seine Opfer von der Masse separieren, also begann ich die Dorfbewohner zu observieren.

Der Großteil der Opfer war weiblich, spät juvenil bis früh adult, hübsch.

Genau diese Gruppe rottete sich gerade zusammen, was mir meine Arbeit angenehm erleichterte.

Ich verschanzte mich also Tag täglich in einem kleinen, abgefallenen Haus nicht weit von ihrem Treffpunkt entfernt. Jeder andere Mensch hätte mich des Voyeurismus für schuldig befunden.

Am fünften Tag fiel ein Mädchen mir besonders ins Auge.

Während die anderen scherzten und lachten, war ihr Blick abgewandt und sie schien friedlich vor sich hin zulächeln.

Ab und zu zupfte sie an ihrem Rock, rückte das Korsett zu recht und berührte mit der Hand ihr Haar um es aufzulockern.

Wäre mein Versteck nicht fernab von ihrem Blick, so hätte ich mich umworben gefühlt.

Doch ihre absonderliche Art ließ mich meine Blickrichtung ändern.

Durch ein verschanztes Fenster hatte ich eine gute Aussicht auf den abgelegenen Waldpfad in dessen Richtung sie blickte.

Erst viel er mir nicht auf, doch dann bemerkte ich einen dunkelhaarigen Mann, welcher sich an einen der düsteren Bäume gelehnt hatte und dem all zu willigem Weibe mit lüsternem Blick begegnete.

Auch wenn es mir aus dieser Entfernung schier unmöglich war, jede Faser an ihm zu erfassen, vielen mir drei sehr markante Kriterien an seinem Äußeren auf.

Die Haut war porzellanfarben, viel zu makellos und im Mondlicht glänzend wie ein Kieselstein.

Die Augen und das war erschreckend, so tief schwarz, dass sie in die Höhlen zurück treten schienen, so markant, dass ich es aus meiner derzeitigen Position ohne Zweifel erkennen konnte.

Des weiteren und wohl der auffälligste Punkt von allen, er war bildhübsch und doch so unmenschlich. Ich sah, das sich das Mädchen von der Gruppe verabschiedete und in seine Richtung ging, ich ließ sie ziehen, bis sie halbwegs aus meiner Sichtweite waren, dann folgte ich ihnen.
 

Die Reflexe des Vampirs mussten ziemlich schlecht sein. Ich fiel ihm nicht auf.

Ob er schon so ausgehungert war? Der Duft des Mädchen schien ihm die Wahrnehmung seiner Umgebung zu vernebeln.

Sie stoppten vor einem Eingang, der meines Wissens nach ins unterirdische Kanalsystem führte, in den die Exkremente der Stadt abflossen.

Hier hatten sich Vampire verschanzt? In der Kanalisation?

Sicherlich gab es da unten auch abgelegene Räume in denen Leben, oder eher dahinvegetieren möglich war.

Mein Handeln erfolgte schnell und instinktiv.

Ich tat einige Sätze nach vorn, riss das Mädchen am Arm und verfiel mit ihr in einen schnellen Sprint. Noch benebelt vom Duft und der Aura des Vampires stolperte das junge Ding neben mir her, ungeschickt wie sie war fiel sie mehrfach hin. Doch ich raffte sie auf und wir rannten weiter.

Ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, ob er uns folgte, doch ich war mir sicher dass wenn er es täte, wir schon längst nicht mehr am Leben gewesen wären.

Atemlos erreichten wir das Pfarrhaus indem mein Vater gerade eine Messe hielt.

Wir brachen durch die Tür, die Sicherheit des geweihten Bodens suchend.

Die Beine der jungen Frau gaben nach, als ich die Tür hinter mir verschloss und keuchend in gebückte Haltung verfiel.

So standen wir einige Minuten und versuchten unsere Sauerstoffzufuhr zu regulieren, unter dem entsetzten Blick der Gemeinde und meines Vaters. „Vampire...“, stöhnte ich und griff mir mit der Hand an die Taille um den beißenden Schmerz zurück zu stoßen, welcher sich durch meine Rippen fraß. „... an... in der Kanalisation. … Östlich...“

Einen ganzen Satz brachte ich nicht fertig, doch das war auch nicht nötig.

Die Beschuldigungen untereinander lösten in den Bürgen schon ein kriegerisches Verhalten aus, doch nun, da der Sohn des Pfarrers, ein Zweifler in Persona, eine Anschuldigungen laut werden ließ, rafften sie sich binnen von Sekunden auf.
 

Fackeln folgten mir. Man vernahm das Geräusch aneinanderstoßender Forken und Schaufeln.

Einige trugen Sensen, andere hatten genommen, was gerade zu Hand war.

Bratpfannen, Nudelhölzer, alles war vertreten.

Ich führte sie an, entschlossen und mutiger denn je.

Und dann bekamen wir einen Blick auf die Monster.

Sie waren zu fünft. Eine kleine Gruppe, alle mit ausgehungerten Blick und doch einer Schönheit sondergleichen.

Als sie unsere Anwesenheit vernahmen, stoben sie auseinander, wie ein Schwarm Insekten.

Ich heftete mich an die Fersen des Mannes, vor dem ich das Mädchen geschützt hatte.

Er war schnell. Geradezu schwebend bewegte er sich über den unebenen Boden.

Ich missachtete meinen Körper, welcher durch erneutes Seitenstechen Erschöpfung vernehmen ließ. Als der Vampir abrupt anhielt und sich zusammenkauerte war mir bewusst, dass er nie weggerannt war, er hatte mich von der Gruppe separiert.

Doch die Erkenntnis kam zu spät.

Ich spürte wie ich den Boden unter den Füßen verlor, sein Gewicht auf meinem Oberkörper und dann das Eindringen seiner Zähne in meine Haut.

Es war nicht schmerzhaft.

Obwohl er jeden Muskel zerriss und das warme Blut über meinen Körper glitt, war ich ich nicht in der Lage Schmerz zu empfinden.

Nun würde es bald zu Ende gehen. Ich sah nur noch verschwommen, der Tod war nicht weit entfernt. Ich sah schon seine Sense in der Ferne.

Dann spürte ich wie das Gewicht von mir wich und an meine Ohren drangen die Stimmen des wütenden Mob.

Sie rannten an mir vorbei, dem Vampir hinterher.

Keiner nahm Notiz von meinem Körper, oder sie glaubten mich nicht mehr in dieser Welt.

Es vergingen einige Minuten, in denen ich wie versteinert auf dem Boden lag und auf den Tod wartete. Er kam nicht.

Stattdessen mischte sich Angst in mein Empfinden.

Was wenn er es nicht geschafft hatte? Was wenn ich noch am Leben war? Mein Vater würde für mich keine Ausnahme machen.

Er würde seinen eigenen Sohn, sein Fleisch und Blut persönlich den Flammen übergeben.

Er würde in mein Gesicht sehen während ich lichterloh brannte und sein Gewissen würde so rein sein, wie das Herz eines kleinen Kindes.

Ein unterbewusster Reflex wurde systematisch ausgelöst.

Ohne es zu registrieren war ich auf den Beinen und schleppte mich durch das Dickicht.

„Keine Spuren. Nicht sterben.“ Eine mir fremde Stimme in meinem Kopf säuselte mir sanft ins Ohr. „Lauf. Sie dürfen dich nicht finden. Nicht sterben.“, wieder und wieder.

Mein Überlebensinstinkt nahm mich vollends ein. Jede Handlung jeder Schritt, ich tat ihn für mich. Egoistisch, stur.

Leben! Leben! Das war alles was ich wollte.

Am Ende meiner Kräfte erreichte ich ein abgelegenes Haus.

Mein Körper zwängte sich wie von selbst durch das Kellerfenster und mein Unterbewusstsein realisierte Schlupfwinkel und Verstecke in einem muffigen Keller.

Ich selbst stand neben mir und beobachtete die verzweifelte Suche nach einem geeigneten Versteck. Nichts schien einen erwachsenen Mann vollends verbergen zu können, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Nichts, bis auf einen immensen Haufen Kartoffeln. Gammlig und muffig.

Doch meine derzeitige Position ließ kein divenhaftes Verhalten zu.

Ich verschanzte mich unter den verrottenden Erdäpfeln, sollte ich es doch nicht überstehen würde zumindest der Geruch meiner verwesenden Leiche nicht auffallen.

Endlich in Sicherheit beruhigte sich mein instinktives Fluchtverhalten und mein Körper nahm einen unangenehmen Schmerz war.

Er war erst ganz sanft, durchaus erträglich, doch dann fraß sich das Feuer durch mein Gewebe.

Wie kleine Dornen grub es sich in mich und ich setzte zum Schrei an.

„Schweig still. Lebe.“

Da war es wieder, mein Inneres, das Wesen welches sich um meine jämmerliche Existenz scherte. Doch meine Körper gehorchte ihm und ich schluckte den Ton hinab.

Zitternd umfasste ich meine angewinkelten Beine. In meinem Inneren tobte ein Krieg.

Der geschundene Geist, welcher nach Erlösung trachtete und das selbstsüchtige Wesen, darauf bedachte sein Überleben zu sichern.

Ich biss mir auf die Lippe.

Der Schmerz hatte mich vollends im Griff, ich glaubte Tränen meine Wangen hinab fließen zu spüren, doch ich wagte nicht dies zu überprüfen.

Jede Faser meines Körpers schwieg still, während es mich innerlich zerriss.

Blut mischte sich unter die stummen Tränen. Ich hatte meine Lippe aufgebissen.

Stunden vergingen und mein Zustand besserte sich nicht.

Innerlich durchlebte ich die Qualen, welche eine Verurteilte auf dem Scheiterhaufen spüren musste. Jede Zelle stand in Flammen.

Ich versuchte meinem Atem zu lauschen, doch er ging zu schnell um mir Beruhigung zu verschaffen. Waren das Schritte?

Ich hielt den Atem an. Es tat gut.

Da war etwas auf das ich mich konzentrieren konnte.

Die Schritte verloren sich. Sicherheit.

Und ich konnte mich wieder vollends meinem Leiden widmen.

Obwohl mich der Schmerz wahnsinnig werden ließ verharrte ich in dieser Position.

Minuten. Stunden. Tage. Ich hatte kein Gefühl mehr für die Zeit.

Mein Versteck war so finster wie die Nacht selbst und kein Lichtstrahl drang an meine Augen.
 

Langsam kühlten die Flammen in mir aus.

Genug damit ich Veränderungen wahr nehmen konnte.

Das Gewicht meines Verstecks hatte sich schlagartig von tonnenschwerem Gestein in einen zarten Federhaufen verwandelt.

Ich blinzelte um mich zu vergewissern, dass ich mich noch immer im Schutz der vergorenen Nahrung befand.

Waren Kartoffeln schon immer so detailliert? Mir war als könne ich jede einzelne Pore erkennen.

Auch die Dunkelheit hatte sich verloren.

Der Schmerz war fast gänzlich verschwunden.

Mein inneres Wesen frohlockte. Ich schien es überstanden zu haben.

Ich holte tief Luft und... Ich hatte kein Gefühl mehr in meiner Lunge.

Kein Sauerstoffaustausch fand mehr in meinen Kapillaren statt.

War ich doch tot?

So hatte ich mir den Himmel nicht vorgestellt, oder war das die Strafe dafür, dass ich mich dem Scheiterhaufen entsagt hatte.

Nachdem ich mich in Sicherheit wog, grub ich mich wieder frei.

Es war tiefe Nacht, doch mein Blick war geschärft wie als stünde die Sonne im Zenit.

Im kleinen Keller schritt ich auf und ab.

Ich spürte weder eine Erschöpfung die das Zusammenziehen meiner Muskelfasern bei jedem Schritt zu Folge haben sollte, noch brachte mir die hektische Geste Befriedigung.

Neben den ganzen positiven Eigenschaften blieb mir jedoch das Brennen in meiner Kehle nicht verborgen.

Ich hatte es verdrängt, wollte es nicht wahr haben. Der Vampir hatte es geschafft.

Er hatte mir mein Leben nicht genommen, er hatte mich verdammt.

Ich ließ mich auf eine alte Kiste sinken und versteinerte in dieser Position.

Was für eine Schmach. Ich. Ein treuer Christ.

Hier saß ich, verwandelt, verdammt, von Kopf bis Fuß von Gott verlassen.

Ich vergrub das Gesicht in den Händen. Was sollte ich jetzt tun?

Das Brennen in meiner Kehle meldete sich zu Wort.

Was mein Körper wollte und was meine Seele, falls sie noch in mir war, war offensichtlich.

Eines von beiden musste ich verabschieden.

Was wohl stärker war? Ich stand auf. Ich musste weg. So weit weg wie möglich.

Weg von dem Ort meiner Geburt, meines Todes, meiner ewigen Verdammnis.

Weg von allem was ich kannte und an dem ich hing.

Nie wieder durfte ich heimkehren, nie wieder.

Mein früheres Ich wart tot, hatte die Erde verlassen.

Der gottesfürchtige Sohne eines Priesters, Carlisle war tot.

Sein Ich wurde von einem grauenhaften Monster ersetzt.



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