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Sehnsüchtiges Herz

(Zorrobin)
von

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Zivillist

Zorro
 

New Jersey

10. Mai 2012, 23:18 Uhr

„Alles okay?“

Völlig übermüdet – sowohl physisch als auch psychisch – blicke ich in die besorgten blauen Augen meines langjährigen Freundes und Kameraden. In dem hellen weißen Licht des Eingangsbereiches zeichnen sich tiefe dunkle Ringe unter seinen Augen ab. Die anstrengende Reise ist auch bei ihm nicht spurlos vorüber gezogen. Aber wen wundert es? Ein Blick auf meine Armbanduhr und ein kurzes Rechnen besagt mir, dass wir seit nun mehr drei Tagen unterwegs sind. In dieser ganzen Zeit haben wir immer mal wieder für ein paar Stündchen schlafen können, ob nun im Flugzeug oder im Auto.

„Jetlag“, antworte ich schließlich, wobei es ja noch nicht einmal gelogen ist. Mal abgesehen vom Nordatlantik sind wir bestimmt über zwölf oder dreizehn Länder hinweg geflogen. Doch der wahre Grund, warum ich in den letzten sieben Stunden kaum einen Mucks von mir gegeben habe und nun – mehr oder weniger – zögere in eines der Taxis zu steigen, die vor dem Newark International Airport auf Reisende warten, ist die ungewisse Zukunft, die vor mir liegt.

„Weißt du denn, wo du für heute Nacht unterkommen kannst?“

Und da ist sie – die im Augenblick dringlichere Frage.

Bereits auf dem Weg von Fort Hood nach Houston habe ich mir schon Gedanken dazu gemacht, da es für Sanji außer Frage stand wieder nach New York zurückzukehren. Denn hier leben seine Schwester und sein Schwager sowie unsere Freunde. Aber im Gegensatz zu ihm weiß ich nicht mit Sicherheit, wo ich die nächsten paar Tage bleiben könnte, bis ich eine Unterkunft für mich gefunden habe.

Vor vier Jahren noch hatte ich zusammen mit meiner damaligen Freundin in einem Lagerhaus am New York Harbor gewohnt, dass wir mit vereinten Kräften in ein großräumiges Loft umgebaut hatten. Die Gegend macht zwar mit ihren vielen Lagerhäusern, Containern und Kränen nicht viel her, dafür aber war die Miete immer recht günstig. Auch war das Loft stets immer Dreh- und Angelpunkt, wenn es hieß eine Party zu veranstalten. Da war es immer egal, wie laut die Musik aufgedreht war oder wie viel Lärm wir selber veranstaltet hatten – es gab schließlich keine Nachbarn, die sich daran stören konnten.

„Vielleicht“, antworte ich leise, während sich mein Blick wie magisch nach Südosten richtet. Irgendwo hinter der Skyline von New Jersey, die mit ihren zahllosen Lichtern mit den nächtlichen Sternen wetteifert, liegt der Hafen – und für mich das einzige Zuhause, das seinem Namen auch wirklich gerecht wurde. Doch ob ich heute noch mit einem warmen Lächeln und einem strahlenden Funkeln in den Augen begrüßt werde, wage ich mal stark zu bezweifeln, wenn ich an die Art und Weise denke, wie ich die Beziehung beendet habe.

„Wenn es nicht klappen sollte“, reißt Sanji mich aus meinen Gedanken heraus, „dann melde dich bei mir. Für eine Nacht wird Nami mit Sicherheit noch Platz für dich haben.“

Ein kleiner Schimmer von Verständnis blickt mir aus seinen Augen entgegen.

Die wortlose Verständigung zwischen uns war auf unseren Missionen stets unsere größte Stärke. Selbst wenn wir außer Sichtweite waren und sich uns irgendwelche Hindernisse in den Weg stellten, wussten wir beide immer, was dem anderen gerade durch den Kopf ging. Von daher überrascht es mich absolut nicht, dass Sanji über mein – zugegeben – hirnrissiges Vorhaben Bescheid weiß.

„Sollte sie mir die Tür vor der Nase zuschlagen“, versuche ich die Situation ein wenig in die Komik zu ziehen, „geh´ ich zu Franky. Er hat bestimmt einen Platz für mich.“

Und selbst wenn nicht, füge ich noch in Gedanken hinzu, gibt es immer noch billige Absteigen. Ich würde nur ungern darauf zugreifen wollen, da ich schließlich nur allzu gut weiß, dass mich neben Schimmel, Kakerlaken, Wanzen und Flöhe auch Junkies und Huren erwarten würden. Aber die kleine 2-Zimmer-Wohnung von Nami und Ruffy würde bei vier Personen aus allen Nähten platzen.

„Okay, dann werde ich mich jetzt mal auf die Socken machen, bevor es noch später wird und Nami mir die Ohren lang zieht. Ruf mich an, sobald du ausgeschlafen hast.“

Umarmungen unter Männern sind nicht wirklich so unser Ding, weshalb wir uns mit einem freundschaftlichen Shakehands und einem kurzen Schlag auf die Schulter verabschieden, bevor Sanji mit seinem Armeerucksack in eines der Taxis steigt. Mir innerlich einen Ruck gebend, wende ich mich schließlich auch eines der wartenden Autos zu.
 

New York

11. Mai 2012, 00:13 Uhr

Normalerweise würde eine Fahrt vom Newark International Airport zur Columbia Street in New York etwa dreißig Minuten dauern … normalerweise. Aber New York trägt nicht umsonst den Titel „Die Stadt, die niemals schläft“. Obwohl es bereits nach Mitternacht ist, tummeln sich immer noch etliche Leute auf den Bürgersteigen herum. Bei den Meisten von ihnen handelt es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um Touristen, die die Stadt bei Nacht erleben wollen – bei dem Rest eher um Partygänger, die von einer Diskothek zur anderen tingeln.

Den Titel trägt die Stadt aber wohl kaum wegen der Touristen, sondern eher wegen des nächtlichen Verkehrs. Rund um die Uhr sind auf den Straßen Taxis, Busse, Lieferanten und Müllabfuhren unterwegs. Und neben der großen Vielzahl an Ampelanlagen erschweren die etlichen Baustellen, die scheinbar an jeder Kreuzung zu finden sind und an denen auch nachts noch gearbeitet wird, das Weiterkommen. Dadurch erreichen wir auch erst nach einer halben Stunde mein Wunschziel.

Dem Namen nach würde jeder Mensch wahrscheinlich von der Columbia Street moderne Wohnhäuser oder Apartments erwarten mit einer Vielzahl an luxuriösen und vornehmen Geschäften. Doch dem ist nicht so. Stattdessen reihen sich diverse Lagerhäuser von zig Import-Export-Firmen, hiesigen Fischhändlern und Container-Händler aneinander. Darüber hinaus stehen überall verteilt einzelne Container und LKWs herum. Es ist also ein typisches Bild eines Hafengebietes – also ein Ort, an dem man nicht wirklich gerne wohnen möchte. Und doch ist es allemal besser, als über einer Diskothek zu wohnen, die ihre Türen bis morgens um sechs Uhr noch geöffnet hat.

Als wir damals auf der Suche nach einer neuen Wohnung waren, sind wir eher durch Zufall auf das Lagerhaus gestoßen. Es hatte bereits einige Monate leer gestanden bis ein paar Jugendliche auf die dumme Idee kamen dort einen Rave zu veranstalten. Das Ende vom Lied war dann allerdings, dass die Feuerwehr ausrücken musste, um noch einen Großbrand zu verhindern, und dass ein Sachschaden von insgesamt 310.000$ entstanden war. Dummerweise – und wie es bei einem Großteil der unteren Bevölkerungsschicht nun mal üblich ist – war von den Schadensverursachern kein Geld zu holen. Aus diesem Grunde hatten wir der Firma den Vorschlag gemacht, dass wir einen Teil der Sanierungskosten – wofür wir einen Kredit aufnehmen mussten – übernehmen und monatlich einen festen Mietpreis zahlen würden, wenn wir das Lagerhaus als Wohnung nutzen dürften. Zwar war Mr. Hammond, Besitzer von Hammonds Lagerhäuser und Container, zunächst nicht sehr angetan von dieser Idee. Doch die Aussicht auf regelmäßige monatliche Einnahmen war dagegen immer noch besser, als wenn das Lagerhaus wieder in Stand gesetzt werden würde, um womöglich danach weiter leerzustehen. Und mit der Zeit wurde Mr. Hammond zu einem angenehmen Vermieter, der immer mal wieder bei uns auf eine Tasse Kaffee vorbeikam und wir dann über Gott und Welt sprachen.

Mehrere Wochen völliger Eigenarbeit hatten anschließend die Sanierung und die Renovierung gedauert. Außenwände wurden isoliert; Fenster wurden eingebaut; neue Wände im Inneren wurden hochgezogen; Böden wurden verlegt; beide Badezimmer sowie die Hälfte der Küche wurden gefliest; Leitungen und Anschlüsse wurden installiert; Wasserrohre wurden neu verlegt und, und, und. Zwischenzeitlich hatten wir schon gedacht, dass die Arbeiten nie ein Ende nehmen würden. Aber zusammen mit unseren Freunden hatten wir es dann schließlich doch geschafft und das Loft mit einer riesigen Party anschließend würdig eingeweiht.

Die Erinnerungen an diese Zeit kommen mir vor, als seien diese aus einem ganz anderen Leben. Und im Grunde genommen ist es auch so, denn damals war ich noch kein Soldat. Damals hatte ich bislang noch nie eine Waffe in der Hand gehalten oder ein Armeemesser im Schaft meiner Schuhe getragen. Damals hatte ich meine Umgebung nicht nach verdächtigen Individuen abgesucht oder einem Menschen mit einer kräftigen Bewegung meiner Hände das Genick gebrochen. Kurz gesagt, damals war ich noch keine Tötungsmaschine.

Wenn man als Soldat ausgebildet wird und regelmäßig in Krisengebieten zum Einsatz kommt, bekommt man eine völlig neue Sichtweise von der Welt und man legt sich automatisch gewisse Angewohnheiten zu. So ist zum Beispiel der Nachbar von nebenan für viele einfach nur nett und hilfsbereit. Ich jedoch sehe in ihm eine potenzielle Gefahr, da er ja eventuell für irgendeine Mafia-Organisation arbeiten könnte. Ebenso könnte auch der Apotheker an der Ecke in seinem Hinterzimmer ein geheimes Drogenlabor führen oder die Oma, der man über die Straße hilft, könnte ein Spitzel irgendeiner terroristischen Gruppierung sein. Überall gibt es dann als Soldat nur noch Schwarzseherei. Und deshalb ist es auch kaum verwunderlich, dass meine Augen völlig unbewusst über all die schwarzen Schatten von Haus- und Containerwänden wandern, die sich als Versteck bestens eignen, während ich die Autotür hinter mir leise zuschlage. Es geschieht mehr aus einem Reflex heraus, dass ich meine Umgebung beobachte, wobei ich die Warnung von Major Thomas immer noch gut im Gedächtnis habe.

Es vergehen ein paar Minuten, in denen die Rücklichter des Taxis und das Motorenbrummen des Wagens in der Ferne verschwinden und ich den im Dunkeln liegenden Eingang vor mir einfach nur betrachte. Zweifel steigen in mir auf und lassen mich zögern. Unter anderen Umständen in einem anderen Land würde mich dieses Zögern wahrscheinlich das Leben kosten. Doch jetzt bin ich kein Soldat mehr, sondern nur ein einfacher Zivillist, der sich vorgenommen hat die Nacht über bei seiner Exfreundin zu schlafen, die wahrscheinlich – nebenbei bemerkt – nichts von meiner Rückkehr ahnt.

Was also nun?

Da hinter den großen Fabrikfenstern nicht der kleinste Schimmer zu sehen ist, gehe ich davon aus, dass sie schon längst am Schlafen ist. Soll ich also kurz mit dem Handy anrufen oder doch die Türklingel betätigen? Oder sollte ich vielleicht doch den Schlüssel benutzen, der noch immer neben den anderen diversen Schlüsseln an meinem Bund hängt? Aber was ist, wenn sie nicht alleine ist? Wenn sie mittlerweile einen neuen Partner hat, der mit ihr zusammen in diesem großen Eisenungetüm von Himmelbett liegt?

Allein schon der Gedanke daran, dass ein anderer Mann neben ihr liegen könnte – dass seine Hände über ihre weiche Haut streichen oder seine Lippen die empfindliche Stelle an ihrem Nacken küssen – presst mein Herz qualvoll zusammen, als würde es sich in einem Würgegriff befinden. Niemand außer mir selbst sollte eigentlich das Privileg ihres Körpers genießen dürfen … das Strahlen in ihren Augen, das Lächeln auf ihren sanften Lippen, das zarte Streicheln ihrer Hände, die Wärme in ihrer Stimme und in ihrem Lachen.

„Scheiße, verdammt!“, fluche ich halblaut in die Stille hinein, während ich mich innerlich noch als Idioten beschimpfe. Es war ein Fehler … ein verdammt großer Fehler hier aufzutauchen und darauf zu hoffen, dass sie mich empfängt. Was habe ich eigentlich erwartet? Dass sie nun ein Leben ohne einen Mann an ihrer Seite führen würde? Oder dass sie auf den Tag warten soll, an dem ich wieder zurückkehren würde?

„Vergiss´ mich einfach“, waren meine letzten Worte an sie. Und damals am Telefon habe ich es auch so gemeint. Mein Leben war zu gefährlich geworden – auch für sie. Aus diesem Grunde hatte ich es auch für sinnvoller gehalten, sämtliche Kontakte zu ihr abzubrechen und jede Verbindung, die zu ihr führt, zu verwischen. Nur die monatlichen Zahlungen auf ihr Konto hatte ich nicht eingestellt. Den Grund dafür hatte ich mir so eingeredet, dass es nicht fair von mir wäre, sie mit den ganzen Kosten für das Loft alleine zu lassen. In Wahrheit jedoch habe ich es nicht übers Herz bringen können auch die letzte Verbindung zwischen uns zu kappen. Sie ist – damals wie heute – immer noch mein Ein-und-Alles.
 

Ohne Vorwarnung geht plötzlich das Licht der kleinen Wandlaterne neben der Tür an und taucht den Eingangsbereich in ein grelles Licht. Mehrmals muss ich gegen die Helligkeit anblinzeln, da meine Augen noch an die Dunkelheit gewohnt sind, währenddessen ich ein mehrfaches dumpfes Klicken höre. Überrascht bemerke ich, wie sich daraufhin die Tür öffnet. Mein Herz vollführt vor Freude mehrere Saltosprünge, während ich den Anblick vor mir einfach nur sehnsuchtsvoll in mich aufnehme.

Nur mit einer kurzen weißen Pyjamahose und einem losen weißen Trägertop bekleidet, steht Robin unter dem Türrahmen und blickt mir entgegen. Ihr Lieblingsnachtzeug, wird mir sofort bewusst und es läuft mir heiß und kalt den Rücken herunter. Diese Sachen hatte sie immer nur dann getragen, wenn wir uns ein paar DVDs anschauten oder sie mit einer dicken Grippe im Bett liegen bleiben musste.

Äußerlich scheint sich Robin kaum verändert zu haben. Noch immer hat sie dieselbe sportliche Figur wie noch vor vier Jahren. Noch immer diese endloslangen Beine, die mich stets zu Höchstleistungen angespornt haben, sobald sie sich um meine Hüften geschlungen hatten. Noch immer dieselben schlanken Arme, deren Wärme ich heute noch auf meiner Haut spüren kann, wenn sie sich um meinen Nacken gelegt hatten. Und noch immer hat sie dieselben ausdrucksstarken graublauen Augen, die so dunkel werden können wie der Himmel bei drohendem Unwetter oder so hell wie der Ozean vor den Küsten Hawaiis. Nur ihre Haare trägt sie jetzt länger und ohne Ponyfransen in der Stirn. Auch wenn der Anblick ein wenig gewöhnungsbedürftig ist, so gefällt mir ihr neuer Look ausgesprochen gut, so dass ich den starken Wunsch verspüre mit den Händen durch die langen Strähnen zu streichen.

„Willst du noch lange hier draußen stehen bleiben?“

Beim Klang ihrer Stimme durchfährt ein leises Zittern meinen Körper und ich balle meine Hände zu Fäusten, um dem Drang zu widerstehen auf sie zuzupreschen und sie in meine Arme zu reißen. Eigentlich ist dies das Einzige, woran ich noch denken kann: sie in meine Arme zu ziehen, um ihren Körper und ihre Nähe zu spüren … um die Erinnerungen an das Leben ohne sie in meinen Gedächtnis auszulöschen. Stattdessen aber gehe ich langsam auf sie zu, wobei ich jede Regung in ihrem Gesicht aufmerksam registriere, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob ich nun willkommen bin oder nicht. Aus ihrer Stimme konnte ich leider nichts heraushören, weder Wut noch Freude.

„Wenn es dir lieber ist, dass ich wieder gehe …“, fange ich mit behutsamer Stimme an, um erst einmal das fremde Terrain zu sondieren, wie man so schön beim Militär sagt.

„… soll ich es einfach sagen?“, beendet Robin meine Frage, bevor sie mit einem Schulterzucken den Wohnraum betritt. „Mit deinem Anteil an der Miete hast du ebenfalls das Recht hier zu wohnen wie ich auch.“

Dass mich kein herzlicher Empfang erwarten würde, war mir ja bereits von Anfang an klar. Trotzdem wäre es mir lieber, Robin würde mich anschreien oder irgendwelche Sachen nach mir werfen, denn damit könnte ich umgehen. Aber mit solch einer kalten Gleichgültigkeit habe ich nicht gerechnet. Dennoch sagt dieses Verhalten viel aus … über sie … über mich … über uns.

Ich habe sie sehr tief verletzt – so tief, dass sie nun eine Mauer zwischen uns aufgebaut hat, um mich von ihrem Herzen und von ihrer Seele fern zu halten, was wiederum heißt, dass ich ihr noch immer etwas bedeute.
 

Irgendwo am Fluss Kwe Kwe, südlich von Redcliff, Simbabwe

18. August 2009, 11:27 Uhr

Ungeduldig lausche ich dem Knacken und Rauschen am anderen Ende der Leitung, während ich darauf warte, dass die Verbindung nach New York endlich steht. Unruhig scharre ich dabei mit der Fußspitze über den trockenen Boden, der aufgrund des Feuchtigkeitsmangels einige Risse aufzeigt. So ganz wohl ist mir bei der ganzen Sache überhaupt nicht, zumal mein Herz sich vehement gegen mein Vorhaben wehrt. Aber rein von der Logik her habe ich keine andere Wahl, weshalb mein Verstand – für den Augenblick zumindest – noch die Oberhand behält. Doch die Wartezeit und der stechende Blick Sanjis in meinem Rücken lassen mich von Sekunde zu Sekunde immer mehr in meinem Entschluss wanken.

„Die Verbindung steht jetzt, Sir“, antwortet mir schließlich eine unbekannte Frauenstimme, woraufhin ich kurz zusammen zucke, da ich mit meinen Gedanken so beschäftigt bin, dass ich die Stimme nicht erwartet habe. Und kaum, dass sie geendet hat, höre ich auch schon das Freizeichen. Mein Mund fühlt sich mit einem Male staubtrocken an – so trocken, wie die ganze Umgebung hier. Mit dem Handrücken wische ich mir die Schweißtropfen von der Stirn, die allerdings mehr aus der Hitze herrühren als aus Nervosität. Selbst hier im Schatten unter dem provisorischen Zelt beträgt die Temperatur bereits 45 Grad – und dabei ist die Sonne noch nicht einmal an ihrem höchsten Zenit angelangt.

„Hier bei Lorenor und Nico“, höre ich schließlich die verschlafene Stimme Robins. Innerlich stöhne ich auf, habe ich den sechsstündigen Zeitunterschied völlig vergessen. Ein kurzer Blick auf die Digitalanzeige meiner Uhr sagt mir, dass es in New York gerade mal halb sechs morgens ist.

„Entschuldige, dass ich dich geweckt habe“, murmle ich schuldbewusst in den Hörer.

Vor wenigen Minuten noch wusste ich, welche Worte ich Robin sagen wollte, die ich mir wie in einer endlosen Litanei in Gedanken zurechtgelegt hatte. Doch jetzt fühlt sich in meinem Kopf alles so schwammig an, dass mir keine dieser Worte einfallen wollen. Stattdessen verspüre ich eher den Wunsch ihr zu sagen, dass ich bald wieder nach Hause komme, obwohl diese Tatsache sehr weit von der Wahrheit entfernt ist.

„Das ist doch nicht schlimm. Du weißt doch, du darfst mich zu jeder Zeit wecken.“

An ihrer Stimme kann ich ganz klar erkennen, dass ihre Worte von einem sanften Lächeln begleitet werden. Das Schlucken fällt mir immer schwerer, während ihre Worte gleichzeitig immer tiefer in mein Fleisch schneiden.

„Wie geht es dir und wo bist du?“

„Sanji und ich sind momentan in Afrika“, antworte ich ihr mit rauer Stimme, während meine Kehle sich immer mehr und mehr verengt. „Hör zu, wir … ähm … wir müssen Schluss machen.“

„Oh, ich dachte, wir hätten mehr Zeit.“

Gequält schließe ich die Augen. Nicht nur wegen der Tatsache, dass sie mich falsch verstanden hat oder besser gesagt, ich mich falsch ausgedrückt habe, sondern auch angesichts der Enttäuschung, die in ihren Worten deutlich mitschwingt. Nie hätte ich gedacht, dass es so schwer werden würde.

„Nein … nein, du verstehst nicht“, antworte ich schnell, beinahe schon panisch, wobei ich Sanjis flehendes Kopfschütteln geflissentlich übersehe. „Ich meine, wir beide müssen Schluss machen … also, unsere Beziehung meine ich damit.“

Entsetztes Schweigen kommt mir vom anderen Ende der Leitung entgegen. In einem Anfall von Selbstgeißelung stelle ich mir im Geiste Robin vor, wie sie völlig erstarrt in unserem … nein! … in ihrem Bett sitzt und ungläubig einen Punkt an der Wand vor sich anstarrt, während sie das eben Gehörte zu verarbeiten sucht. Als ich schon im Glauben bin, sie hätte wortlos einfach aufgelegt – was ich ihr nicht einmal verübelt hätte -, vernehme ich schließlich einen zittrigen Seufzer, der solch einen heftigen Schmerz in meiner Brust explodieren lässt wie es nicht einmal das volle Magazin einer Ruger-M14 es schaffen könnten.

„Vergiss´ mich einfach“, wandern die Worte einfach über meine trockenen Lippen, als ich auch schon mit zitternden Fingern die Verbindung unterbreche, bevor Robin noch irgendwas darauf erwidern kann.

Feigling!, höre ich eine innere Stimme in meinem Kopf sagen, während meine Sicht zu beiden Seiten vollkommen schwarz wird, als würde ich Scheuklappen tragen. Nur den Boden zu meinen Füßen kann ich noch sehen.

Feigling, Feigling, Feigling. Ununterbrochen hallt dieses eine Wort durch meine Gedanken. Und tatsächlich bin ich das auch – ein Feigling. Anstatt Robin vor vollendeten Tatsachen zu stellen und einfach aufzulegen, hätte ich ihr zumindest eine Erklärung geben müssen … irgendeine – selbst wenn es eine Lüge gewesen wäre. Doch der Schmerz, den ich ihr gezwungenermaßen zufügen musste, ist zugleich auch mein Schmerz, den ich nicht nur seelisch sondern auch körperlich spüre. Die Qual über mein Handeln und das Wissen Robin endgültig verloren zu haben, wären weiter ins Unermessliche gestiegen, hätte das Gespräch noch länger angedauert – und mich hätte es zerrissen.

„Verdammter Hundesohn!“, höre ich Sanji halblaut in meine Richtung fluchen.

Niedergeschlagen blicke ich zu meinem Kameraden auf, der ruhelos und wie ein gefangenes Tier in seinem Käfig unter dem Zelt hin und her läuft. Wir wissen beide um die Gefahr, die unser jetziges Leben mit sich gebracht hat. Und dennoch schafft Sanji es nicht Verständnis für mein Handeln aufzubringen. Doch hatte ich keine andere Wahl, als das Beste, was mir in meinem Leben je widerfahren ist, von meiner Seite wegzustoßen. Denn sollte auch nur eine unserer Missionen auffliegen oder wir selber, ist jeder in Gefahr, der mit uns in Verbindung steht.

Auch wenn ich Robin wehgetan habe, versuche ich mich innerlich zu rechtfertigen, so wird der Schmerz über die Zurückweisung vergehen. Und lieber nehme ich ihren Hass auf mich in Kauf als ihren Tod.
 

New York

11. Mai 2012, 00:26 Uhr

„Es tut mir wirklich Leid, dass ich dich verletzt habe“, murmle ich schließlich leise, ohne meinen Blick von ihr abzuwenden. Jemand, der Robin nicht gut kennt, wäre die Veränderung an ihr nicht aufgefallen, doch mir hingegen entgeht es nicht, dass sich ihre Augen bei meinen Worten ein wenig schmälern.

„Du weißt ja, wo du alles finden kannst. Fühl dich also ganz wie zu Hause.“

Blitzschnell umfasse ich ihr Handgelenk, bevor Robin wortlos an mir vorbeigehen kann. Entweder ist ihr Zusammenzucken ein Resultat dessen, dass meine Berührung so unerwartet kam oder ein Zeichen von Abscheu. Doch aus welchem Grund auch immer, solcherlei Gedanken schiebe ich vorerst von mir, da ich mich zunächst auf das Nahe liegende konzentrieren will: ihr nämlich endlich den Respekt entgegenzubringen, den sie auch verdient hat.

„Wenn es in meiner Macht stehen würde, würde ich es gerne rückgängig machen.“

„Was rückgängig machen? Etwa die Art und Weise, wie du unsere Beziehung beendet hast?“

Im Geiste atme ich erleichtert auf, da ich die aggressive Herausforderung in ihren Worten als gutes Zeichen dafür werte, dass zwischen uns nicht alles zerstört ist. Auch wenn mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit nie wieder diese intime Nähe zwischen uns existieren wird, die weit über das Körperliche hinausging, so stößt sich mich wenigstens nicht von sich. Es gibt also noch Hoffnung, dass wir zumindest unsere Freundschaft wieder kitten können.

„Ich meine alles damit – den kompletten Anruf mitsamt dessen, was ich zu dir gesagt habe und was ich nicht gesagt habe“, antworte ich ihr mit fester und bestimmter Stimme, um ihr die Ernsthaftigkeit zu versichern, mit denen ich meine Worte auch meine. Unverwandt blicke ich ihr dabei in die Augen, die ruhelos über mein Gesicht wandern.

„Und was erwartest du jetzt von mir? Dass ich einfach vergessen soll, dass es dieses Telefonat überhaupt gegeben hat und ich dich mit offenen Armen empfangen soll?“

„Ich habe dich mehr als nur mies behandelt, das weiß ich. Von daher erwarte ich gar nichts.“

Beim Anblick der ungeweinten Tränen, die sich in ihren Augen ansammeln, schließe ich gequält die meinen. Nur allzu gerne würde ich Robin in meine Arme ziehen und ihr den Trost spenden, den sie braucht. Doch angesichts unserer derzeitigen Situation bin ich dafür wohl eher die falsche Person.

„Vor drei Jahren bekam ich frühmorgens einen Anruf von dir“, beginnt Robin plötzlich mit leiser Stimme an zu erzählen, nachdem sie ihren Kopf von mir abgewendet hat und ihre Augen sich auf einen Punkt irgendwo auf den Couchtisch gerichtet haben. „Wie aus heiterem Himmel sagst du mir, dass unsere Beziehung vorbei ist. Einfach so – ohne eine weitere Erklärung abzugeben. Und heute stehst du plötzlich vor meiner Tür und erzählst mir, dass du alles nicht so gemeint hast?“

„Ich habe es auch damals nicht so gemeint, aber ich hatte keine andere Wahl.“

„Man hat immer eine Wahl“, kontert Robin augenblicklich, als hätte sie meine Antwort bereits erwartet. Doch ich schüttle nur den Kopf.

„Die andere Wahl wäre gewesen, deinen Tod in Kauf zu nehmen. Und das war eine Option, die für mich nicht in Frage kam.“

„Und als nächstes erzählt du mir, dass du mir nicht mehr dazu sagen kannst, nicht wahr?“

Wissende Augen blicken mir herausfordernd entgegen, weshalb ich ihr eine Antwort aus bleibe, während ich innerlich jedoch überrascht, aber auch erschrocken zugleich bin, und mich frage, wie viel Robin wirklich von meiner Arbeit weiß.

Als ich auch nach weiteren verstrichenen Sekunden stumm bleibe, lacht sie einmal bar jeglichen Humors kurz auf, als hätte sie mit solch einer Reaktion gerechnet. Ihren Mund presst sie teils enttäuscht, teils verbittert zu zwei schmalen Strichen zusammen.

„Wahrscheinlich handelt es sich dabei um irgendeine militärische Geheimoperation, hab´ ich Recht? Dass du nicht einfach nur ein einfacher Soldat bist, ist mir nicht erst seit gestern bewusst. Sanjis Anrufe bei Nami kamen aus Thailand, Peru, Italien, Nigeria, Serbien, Indien, Chile, England – ja, selbst aus der Antarktis. Meinst du nicht, dass ich da vielleicht stutzig werden würde?“

Nami – natürlich. Daran hätte ich denken sollen. Es ist doch klar, dass Nami ihr von Sanjis Anrufen erzählen würde. Ich habe Sanji immer darauf hingewiesen seiner Schwester nicht allzu viel zu erzählen. Wobei es bei Leuten wie Nami, die sich nicht viel für Politik und Militär interessieren, ein leichtes ist sie weiter in dem Glauben zu belassen, wir wären einfache Soldaten. Robin dagegen ist das komplette Gegenteil davon – und daran hätte ich denken müssen. Sie ist stets auf den Laufenden. Eine Zeitung ist für sie wie ein gutes Buch, das es aufmerksam zu lesen gilt – jede Zeile, jede Spalte – selbst wenn es sich dabei auch nur um Klatsch und Tratsch handelt. So wird sie sich natürlich auch gefragt haben, was wir in all den Ländern getan haben, die sie aufgezählt hat. Denn welchen Grund könnte es schon geben US amerikanische Soldaten nach Chile zu schicken – oder in die Antarktis?

„Ich kann dir nichts dazu sagen.“

„Natürlich nicht – weil das alles natürlich Top Secret ist und du zur absoluten Geheimhaltung verpflichtet bist.“

Die tiefe Ironie in ihrer Stimme ist nicht zu überhören, und es gibt nichts, was ich dagegen sagen könnte. Schließlich hat sie ja nicht einmal Unrecht mit dem Gesagten. Trotz meines Status als Zivillist unterliege ich weiterhin der Geheimhaltung, da von all dem Wissen Menschenleben abhängen, die nicht an die Öffentlichkeit geraten dürfen. Zwar bedeutet das nicht, dass ich Robin nicht vertraue, aber je weniger sie weiß, umso geringer ist auch die Gefahr, dass sie zwischen die Fronten geraten könnte.

„Ehrlich gesagt, habe ich im Augenblick nicht mehr wirklich noch den Nerv dazu mich mit dir auseinanderzusetzen. Von daher – und wenn du nichts dagegen hast – würde ich jetzt gerne wieder ins Bett gehen.“

Mit dem Gefühl völlig Fehl am Platze zu sein, blicke ich ihr stumm nach. Mit gebeugtem Rücken, hängenden Schultern und gesenktem Kopf steigt sie die Treppe hinauf zu den Schlafräumen. Dieses Aufeinandertreffen hat sie ebenfalls nicht kalt gelassen, doch kann ich nicht sagen, ob ich darüber erleichtert sein soll oder nicht. Ich habe ihr unwahrscheinliche Schmerzen zugefügt, sowohl heute als auch vor drei Jahren. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich gar nicht erst nach New York zurückgekehrt wäre. Irgendwo auf dem Flug zwischen Mississippi und Kentucky war mir dieser Gedanke auch für einen Moment gekommen. Doch der Wunsch Robin endlich wieder zu sehen und mit ihr zu reden … ihre Stimme nach so langer Zeit wieder zu hören … war einfach viel stärker.
 

Fort Hood, Texas

10. Mai 2012, 14:17 Uhr

Es ist ein kleines, aber doch imposantes Büro, in das wir von einem Kadetten hineingeführt werden. Der Blick wird dabei automatisch auf den massiven Eichenholzschreibtisch gezogen, der inmitten des Raumes auf einem großen Teppich steht, auf dem das „Große Siegel der Vereinigten Staaten“ abgebildet ist. An der Wand dahinter hängen zahlreiche Urkunden und Auszeichnungen sowie Fotos von hochrangigen Personen.

Vor dem Schreibtisch angekommen, salutieren Sanji und ich vor Major Thomas – unserem Vorgesetzen. Ebenso imposant wie das Büro selber ist auch der Mann vor uns. Obwohl er mit seinem muskelgestähltem Oberkörper und dem wettergegerbten Gesicht mit dem dunklem Schnauzbart einen eher grobschlächtigen Eindruck macht, so durfte ich bereits mehrfach in der Vergangenheit die Erfahrung machen, dass auf den breiten Schultern ein ausgesprochen kluger Kopf mit einem Blick fürs Detail sitzt.

Bei unserem Eintreten blickt er von einem Dokument vor sich auf. Die grauen Augen wirken dabei recht grimmig, wobei ich nicht sagen kann, ob es etwas mit dem Schreiben zu tun hat oder ob wir selber der Grund dafür sind.

„Setzen!“

Major Thomas war noch nie ein Mann für viele Worte – es sei denn, die Situation hat es erfordert. Und so kommen Sanji und ich dem Befehl augenblicklich nach. Die grauen Augen mustern uns dabei sehr aufmerksam und insgeheim frage ich mich, was er in uns sehen mag.

„Ihr beide habt eine außergewöhnliche Akte vorzuweisen“, meint Major Thomas nach einer endlos langen Zeit und wirft die besagte Akte vor uns auf den Schreibtisch, bevor er sich dann in seinem Stuhl nach hinten lehnt. Ich werfe nur einen kurzen Blick auf die Akte, die etwa fünf Zentimeter dick ist, um dann sofort meine Augen wieder auf den Major zu richten. Mich interessiert es im Grunde genommen herzlich wenig, was in dem Ordner alles aufgelistet ist, da ich vielmehr daran interessiert bin zu erfahren, warum wir so plötzlich aus Bagdad abgezogen wurden und nach Fort Hood zurückkehren mussten. Normalerweise erfolgt bei einer fehlgeschlagenen Operation der sofortige Rückzug zum Notfallstützpunkt, was in unserem Fall bedeutet hätte, dass wir uns schleunigst auf den Weg nach Mahmudiyah hätten machen müssen. Stattdessen aber wurde die komplette Einheit zurück nach Fort Hood beordert.

„Nur die Wenigsten schaffen es in so kurzer Zeit so viele Erfolge vorzuweisen. Ihr hättet eine gute Laufbahn einschlagen können.“

Einerseits bin ich über den Stolz in der tiefen Stimme des Majors überrascht, da er eigentlich recht sparsam mit Lob umgeht. Andererseits machen mich seine letzten Worte hellhörig, da es sich so anhört, als hätten wir irgendeinen ziemlichen Bockmist verzapft. Waren wir vielleicht bei unserer letzten Mission nachlässig? Haben wir irgendwelche Hinweise hinterlassen?

„Um aber auf den Punkt zu kommen: durch die massive Neuverschuldung des Staates ist der Präsident dazu gezwungen erhebliche Sparmaßnahmen vorzunehmen. In allen möglichen Bereichen werden Stellen und Posten wegrationalisiert, was leider auch bedeutet, dass der Präsident dabei auch vor dem Militär keinen Halt macht.“

„Und was soll das genau heißen, Sir?“

Auf Sanjis Gesicht erkenne ich dieselbe Ratlosigkeit, die auch mich bei den Worten überkommen hat.

„Das bedeutet, dass eure Einheit jetzt auch inoffiziell nicht mehr existiert. Ihr seid jetzt alle Zivillisten. Morgen findet zwar eine Feier zu Ehren der Soldaten statt, die ebenfalls entlassen werden. Aber angesichts eurer speziellen Einheit muss ich euch leider die gebührende Verabschiedung verwehren. Ihr und eure Männer könnt eure Papiere draußen am Empfang abholen – sie liegen dort bereit.“

„Und das war´s dann, Sir?“, frage ich mit scharfer Stimme, da mich eine unbändige Wut überkommen hat. Papiere … pah. Nichts als ein Haufen Lügen stehen darin. Von dem, was wir wirklich – aber auch wirklich – geleistet haben, davon wird nichts darüber stehen. Das weiß ich, auch ohne diese Papiere gesehen zu haben. Denn das, was wir in all den Jahren getan haben, unterliegt strengster Geheimhaltung.

„Glaube ja nicht, dass ich nicht versucht habe mich für euch einzusetzen, Junge“, antwortet Major Thomas mir mit schneidender Stimme, während er sich in seinem Stuhl vorbeugt. Nur wenige Sekunden darauf werden seine Gesichtszüge dann plötzlich sanfter und verleihen den harten Kanten in seinem Gesicht weichere Züge.

„Ich würde euch beide gerne in meiner Truppe behalten, aber das liegt nicht in meiner Macht. Ihr habt eure Arbeit gut gemacht – verdammt gut sogar. Und ich kann nur sagen, dass es eine verfluchte Schweinerei ist, solch hervorragende Männer zu verlieren. Aber es lässt sich nun einmal nichts daran ändern. Von daher kann ich euch nur den Rat geben: lasst euch irgendwo nieder, sucht euch eine Arbeit und macht das Beste aus eurem Leben.“

Mit diesen Worten steht er von seinem Stuhl auf, womit wir das Zeichen bekommen, dass die Unterhaltung beendet ist, und tun es ihm gleich.

„Es war mir eine Ehre mit euch zusammen gearbeitet zu haben“, meint der Major mit feierlicher Stimme und salutiert vor uns, bevor er Sanji und mich mit einem festen Händedruck verabschiedet. Obwohl diese Unterredung mehr als nur einen faden Beigeschmack bei mir hinterlassen hat und die Verabschiedung sich alles andere als ehrenhaft darstellt, so bin ich Major Thomas dennoch dankbar für den Respekt, den er uns entgegen bringt. Genauso gut hätte auch irgendein Offizier oder Kommandant in unsere Baracke kommen können, der uns unsere Papiere nur in die Hände gedrückt hätte. So aber haben wir nicht nur eine Erklärung für unsere Entlassung erhalten, sondern uns wurde auch Stolz, Respekt, Ehre und Lob zuteil.

„Eine Sache noch, bevor ihr geht“, hält uns Major Thomas´ Stimme auf. Hoch aufgerichtet und die Hände hinter dem Rücken verschränkt, blickt er uns aus strengen Augen mahnend an. „Ihr habt viele Organisationen infiltriert, zersprengt und ausgelöscht. Organisationen, hinter denen sehr mächtige Leute standen. Dieselben Feinde, die ihr als Soldat hattet, werdet ihr jetzt auch weiterhin als Zivillist haben. Seid also auf der Hut.“
 

New York

11. Mai 2012, 00:31 Uhr

Noch immer pulsiert das Adrenalin durch meine Blutbahnen, weshalb an Schlaf im Augenblick noch nicht zu denken ist. Deshalb werfe ich meinen Armeerucksack mit einem lockeren Schwung aus dem Handgelenk auf die Couch und gehe auf Erkundungstour. Da draußen am Eingang noch immer die kleine Wandlaterne brennt, schalte ich sie über den kleinen Kippschalter neben der Tür aus. Anschließend richte ich meine Augen auf die Schlösser an der Tür. Wie ich zu meiner eigenen Zufriedenheit erkenne, hat Robin während meiner Abwesenheit noch zwei weitere Schlösser anbringen lassen – sowohl oben als auch unten an der Tür -, die ich mit schnellen Handgriffen verriegle, bevor ich zum Schluss dann noch die Türkette vorschiebe.

Tagsüber herrscht am Hafen absoluter Hochbetrieb. Dann ist die Luft erfüllt von dem tiefen Brummen der LKWs, die an den Lagerhäusern mit unzähligen Waren beladen werden, von den Rufen und Schreien der Hafenarbeitern und den unartikulierten Lauten aus den etlichen Radios, mit denen sich die Arbeiter nebenbei noch beschäftigen, sowie von dem Rattern und Quietschen der Hubwagen, die zwischen den Anlegestellen und Lagerhäusern hin und her fahren, und den dröhnenden Signalhörnern der Containerschiffen, sobald sie An- oder Ablegen. Doch nachts herrscht hier ein völlig anderes Bild. Dann ist es so still hier, dass das Rollen einer Blechbüchse über den löchrigen Asphalt beinahe schon wie ein Pistolenschuss klingt.

Und gerade in solch ruhigen Gegenden, wo der nächste Nachbar meilenweit entfernt ist, ist es von höchster Priorität für die eigenen Sicherheitsmaßnahmen zu sorgen. Bereits bei der Sanierung hatten wir damals schon dafür Sorge getragen, dass die hohen Fabrikfenster außen von Gitterstäben so einigermaßen geschützt sind. Zwar kann man das Gitter mit Hilfe eines Schweißbrenners durchschneiden, doch würde dies einiges an Zeit erfordern, was also potenzielle Einbrecher von diesem Vorhaben abbringen sollte. Die Tür dagegen war aber eher schwach über das Hauptschloss sowie über die Türkette abgesichert. Mal abgesehen davon, dass man das Hauptschloss mit Dietrichen hätte knacken können, hätte auch ein gezielter Tritt auf Höhe des Türschlosses ausgereicht, um die Tür problemlos aus dem Schloss zu reißen. Mit den beiden zusätzlichen Schlössern, die von außen nicht zu sehen sind, braucht es jetzt jedoch mehr als nur einen Tritt.

Eine Alarmanlage wäre nicht schlecht, denke ich so bei mir und mache mir im Geiste einen Vermerk bei Gelegenheit mal im Internet einige Sicherheitsfirmen rauszusuchen.

Als ich mich umdrehe und meinen Blick über den großzügig bemessenen Wohnraum wandern lasse, fällt mir eines auf: es hat sich nichts verändert. Sämtliches Mobiliar steht noch immer an Ort und Stelle, wo sie auch schon vor vier Jahren gestanden haben.

Als wäre die Zeit stehen geblieben, geht es mir durch Kopf, während ich auf das Sideboard zugehe, das neben der alten Fabriktreppe steht. In einer liebevollen Anordnung stehen dort auf einer weißen Spitzendecke eingerahmte Fotos in verschiedenen Größen und Formen. Das größte Foto davon hat ungefähr die Maße eines Blatt Papiers und zeigt eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von Olvia, Robins Mutter. Vorsichtig nehme ich den nussbraunen Rahmen in die Hand und betrachte das lächelnde Gesicht auf dem Foto. In der linken unteren Ecke bemrke ich das Datum, an dem die Aufnahme gemacht wurde – 06. Februar 2010.

Sie sieht so fit und gesund aus, denke ich bei mir, während mein Herz sich qualvoll zusammen zieht. Denn nur drei Monate später war Olvia Nico an den Folgen eines aggressiven Gehirntumors verstorben.
 

Saint-Cyr-les-Champagnes, Frankreich

28. Juni 2010, 17:45 Uhr

Regen, Regen, Regen – nichts als Regen und das schon seit fünf Tagen. Und wir können nichts anderes tun, als in diesem elenden Zimmer zu hocken und auf Nachricht zu warten.

„Das kann doch nicht so lange dauern“, höre ich hinter mir Sanji murmeln. Gelangweilt blicke ich kurz zu ihm hinüber, der ungeduldig im Zimmer hin und her wandert, während er darauf wartet, dass endlich die abhörsichere Telefonverbindung nach New York aufgebaut wird. Wobei – von abhörsicher kann man nicht wirklich reden, da sowohl das FBI, die CIA als auch die NSA mithören werden. Denn immerhin steht die nationale und internationale Sicherheit an erster Stelle. Und es wäre nicht das erste Mal, dass ein terroristischer Angriff aus den eigenen Reihen kommt. Also muss man auf Nummer Sicher gehen und sämtliche Anrufe der eigenen Leute mithören und aufzeichnen, um so eventuelle faule Äpfel auszusondieren.

Schließlich wende ich wieder meinen Blick zum Fenster hinaus auf das nicht vorhandene Treiben auf der Straße, die einsam und verlassen daliegt – so wie beinahe alles in dieser Gegend. Nur ab und zu erhasche ich mal einen Blick auf einen schwarzen, gelben oder roten Regenschirm, unter denen sich ein Passant vor dem Regen zu schützen versucht. Ansonsten gibt es eigentlich so gut wie nichts zu sehen, nicht einmal ein vorbeifahrendes Auto.

„Das wird aber auch Zeit!“, ruft Sanji wütend aus, wobei ich angesichts der unerwarteten Lautstärke kurz zusammenzucke. Anscheinend steht die Verbindung endlich – oder sollte ich lieber sagen, alle Zuhörer sind jetzt anwesend?

„Hey, Schwesterchen, rate mal, wer dran ist.“

Als wenn das so schwer zu erraten wäre, denke ich so bei mir, während sich meine Laune immer weiter verschlechtert. Sanjis fröhliche Stimme geht mir dabei ganz gehörig auf den Keks. Ich gebe es nur ungern zu, aber ich beneide ihn. Er hat sich über den gesunden Menschenverstand hinweg gesetzt und bleibt trotz aller möglichen Gefahren weiter in Kontakt mit seiner Schwester, so dass er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit bei ihr melden kann. Ich dagegen habe alle Brücken hinter mir zum Einsturz gebracht, um ja kein Druckmittel zu hinterlassen, mit dem man mich weich klopfen könnte. Und dabei würde ich nur allzu gerne wieder ihre Stimme hören.

„Uns geht es gut. Nur im Augenblick versauern wir ein bisschen, weil es hier wie aus Eimern schüttet. … Ja, ja, ich weiß, dass ich kein Mitleid von dir zu erwarten habe. Aber wie geht es euch so? … Hey, das ist ja super! Zorro, Chopper hat endlich seine Approbation.“

„Toll“, murmle ich nur, da mir im Augenblick mehr der Sinn danach steht mich in meinem eigenen Selbstmitleid zu suhlen. Aber insgeheim freue ich mich natürlich für Tony. Denn jetzt kann er sich endlich seinen Traum von einer eigenen Arztpraxis erfüllen und das über lange Jahre hinweg erlernte Wissen nicht nur in der Theorie anwenden.

„Gratuliere ihm bitte ganz herzlich von uns“, meint Sanji, während er mich mit gerunzelter Stirn mustert. Ich ignoriere seine Missbilligung und wende mich wieder einmal dieser ach so faszinierenden Aussicht aus dem Fenster zu – schließlich habe ich ja auch sonst nichts zu tun.

„Was? Was ist passiert?“

Für einige Minuten war es bis auf das dumpfe Tröpfeln des Regens an der Scheibe und das leise Rascheln von Sanjis Kleidung, sobald er sich bewegte, völlig still im Zimmer. Doch seine plötzlich alarmierte Stimme reißt mich aus meiner Lethargie und lässt mich sämtliche Muskeln im Körper anspannen, als würde jeden Moment ein Feind durch die Tür herein kommen.

„Und wie geht es Robin?“

Robin!

Wie von der Tarantel gestochen, springe ich von der Fensterbank auf und reiße einem verdutzten Sanji den Telefonhörer aus der Hand. Mein Herz klopft mir bis zum Hals, als wolle es mir jeden Moment aus der Brust springen, während ich gleichzeitig das Gefühl habe, dass pures Eiswasser durch meine Blutbahnen läuft. Alle möglichen Gedanken, was mit Robin passiert sein könnte, gehen mir durch den Kopf und vor meinem geistigen Auge sehe ich sie schon blutüberströmt auf der Straße liegen.

„Was ist mit Robin?“, brülle ich schon beinahe panisch in den Hörer, den ich mit klammen Fingern fest an mein Ohr presse.

„Ganz ruhig, Zorro“, höre ich Namis Stimme am anderen Ende der Leitung, in der ich trotz meiner Panik eine leise Überraschung heraushören kann. Genauso wenig wie Sanji hat auch sie wohl nicht damit gerechnet, dass ich mir plötzlich das Telefon schnappen würde.

„Mit Robin ist alles in Ordnung“, spricht sie mit ruhiger und sanfter Stimme weiter. „Nur ihre Mutter ist vergangenen Monat gestorben.“

Meine Beine fühlen sich mit einem Male wie Pudding an, so dass ich mich kraftlos auf die Kante des Bettes hinter mir fallen lassen. Einerseits spüre ich große Erleichterung darüber, dass Robin nichts passiert ist, andererseits aber habe ich das Gefühl, als hätte mir jemand ein riesiges Loch in die Brust gerissen.

Olvia kenne ich mittlerweile genau so lange, wie ich schon Robin kenne, und ich habe mich immer sehr gut mit ihr verstanden. Sie war eine lebenslustige Frau und eine liebevolle Mutter, die mich wie ihren eigenen Sohn behandelt hatte. Ich kann mich gut daran erinnern, wie sie immer gesagt hatte, dass, wenn ihre bereits graumelierten Haare nicht wären, sie und Robin gut als Zwillinge hätten durchgehen können. Und darin muss ich ihr Recht geben. Robin kommt äußerlich tatsächlich ganz nach ihrer Mutter.

„Wie geht es Robin?“, frage ich nach einiger Zeit der Stille, wobei meine Stimme so rau von unterdrückten Tränen ist, dass ich mich erst ein paar Mal räuspern muss.

„Na, was glaubst du wohl? Es geht ihr natürlich beschissen, was denn sonst?“

Ja – was denn sonst? Etwas anderes habe ich auch eigentlich nicht erwartet. Robin und Olvia waren nicht einfach nur Tochter und Mutter, sondern auch Freundinnen. Sie hatten immer viel Zeit miteinander verbracht – sind zusammen shoppen gegangen oder haben sich in einem Wellnessstudio verwöhnen lassen oder haben zusammen irgendwelche Kurse wie Basteln oder Kochen belegt. Für Robin muss es sich irgendwie so anfühlen, als sei ihre ganze Welt über sie zusammen gebrochen. Denn mit dem Tod ihrer Mutter hat sie nun keinen lebenden Verwandten mehr – zumindest keinen von dem sie wüsste, da über ihren Vater nichts bekannt ist und Olvia nie etwas über ihn erzählen wollte.

„Wenn dir Robin immer noch so sehr am Herzen liegt, warum bewegst du dann deinen gottverdammten Arsch nicht hierher?“

„Du weißt, dass ich das nicht kann“, antworte ich Nami leise, obwohl alles in meinem Inneren nur danach schreit, mich sofort ins nächste Flugzeug zu setzen und zurück nach New York zu fliegen, um Robin den nötigen Halt zu geben, den sie jetzt braucht, um mit dieser Last der Trauer fertig zu werden.

„Eine andere Antwort habe ich auch nicht von dir erwartet. Echt, manchmal glaube ich wirklich, euch ist das Militär wichtiger als eure Familie und Freunde.“

Dieser Schlag hat gesessen, so dass ich Sanji den Hörer einfach nur noch hinhalten kann. Als ich es mehr spüre als sehe, dass er mir das Gerät aus der Hand nimmt, blende ich alles um mich herum aus. Nichts um mich herum nehme ich noch wahr – nicht, wie ich von der Bettkante aufstehe und die Zimmertür öffne; wie ich mit langsamen, torkelnden Schritten die Treppe hinabsteige; wie ich zombiegleich in den Regen hinaustrete und die Straße ziellos entlang wandere. Einzig den Schmerz über das, was ich verloren habe, verspüre ich noch sowie den Stachel der Wahrheit über Namis Worte, war mir meine Arbeit doch wichtiger als Robin.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2016-04-24T22:05:41+00:00 25.04.2016 00:05
Wahnsinn, echt tolle Story ... Schade das es nicht weiter geht
Von:  Sunshine_Schiffer
2013-06-10T06:06:49+00:00 10.06.2013 08:06
Huhu

Bin gestern Abend zufällig über dein FF gefallen XD
und hab gleich Angefangen sie zu lesen.
Das erste Kapitel ist einfach der Hammer.
Sobald ich zeit zum lesen habe mach ich mich auch über die beiden andern und hoffenlich bald mehr folgenden her XD
Aber jetzt muss ich erstmal weiter arbeiten sonst wird die Chefin böse.
Lg Sunshine
Von: abgemeldet
2012-08-27T22:36:57+00:00 28.08.2012 00:36
OMG! Das war rcihtig, richtig, richtig gut!
Du schreibst echt total flüssig und kannst Dinge echt gut beschreiben.
Und dann auch noch ZoroxRobin <333
Hoffe es geht bald weiter :)
Von: abgemeldet
2012-08-24T18:43:26+00:00 24.08.2012 20:43
Hey :)
Ich finde das erste Kapitel deiner Fanfic wirklich gut! Du schreibst echt toll. Richtig fließend, verständlich und die Wortwahl gefällt mir auch voll gut! Außerdem bin ich ein großer Fan vom Pair ZorroxRobin, weshalb die Story einen weiteren fetten Pluspunkt von mir bekommt :D
Freu mich schon auf mehr!




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