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120 Ways of Deduction

von

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(42) Standinng Still - Stillstehen

Sein Alltag hatte sich verändert. So drastisch verändert, dass er sich oft noch nicht ganz sicher war, inwieweit diese Veränderung gut für ihn war, wie sehr sie ihn nicht doch schädigte. Ja, sein Leben hatte eine neue Bahn gefunden, durch seine Entscheidungen gelenkt und zugleich scheinbar ohne seine Gedanken zu beachten.

Es war schon erstaunlich, dass bei all diesen Veränderungen, bei all diesen neuen Situationen - den aufregenden genauso wie jene, die ihn wütend machten, oder glücklich – die Grundzüge seines Lebensinhalts gleich geblieben waren. War es nicht immer schon die Gefahr gewesen, die ihn antrieb, ihm Kraft gab, die schier unmenschlich schien? Die Herausforderung, unter diesem Druck der ständigen Bedrohung Leistung zu erbringen, sein Leben in die Hände unkontrollierbarer Mächte, unbezähmbarer Kräfte zu legen.
 

Ja, er liebte die Gefahr. Sie war es, die ihn in den Krieg trieb, sie war es, die ihm die Rückkehr erschwerte, ihn beinahe ertrinken ließ in der plötzlich so sanft wirkenden, ereignislosen Welt die ihn umfließen wollte.

Sie war es schließlich auch, die ihn in die Arme des Genies trieb, wenngleich nicht im wörtlichen Sinn. So lief ihre Beziehung nicht, wenngleich ihre Umgebung dies anders zu sehen schien.

Natürlich förderten sie eine solche Meinung durch ihr Auftreten nur, doch er war es leid geworden sich dazu zu äußern. Sollte sie doch denken, was sie wollten. Er konnte es ohnehin nicht ändern und sein Partner schien sich nicht im Geringsten darum zu kümmern. Im Gegenteil schien er beinahe eine seltsame Freude an dem Gerede zu finden.
 

Als seine Gedanken sich um Sherlock zu drehen begannen, erinnerte er sich erst wieder daran, warum er hier stand. Am Fenster der wohl etwas eigenwillig eingerichteten Wohnung, welche er zusammen mit eben diesem Genie, Sherlock Holmes, bewohnte. Sein Blick war auf die Straße vor der dunkelgrün gestrichenen Tür mit der goldenen Aufschrift „221b“ gerichtet. Wartend.

Ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigte ihm, dass Sherlock seit mehr als fünf Stunden unterwegs war. Was auch immer das heißen mochte. Schließlich war er – nicht unüblich für den selbst ernannten Consulting Detective, doch unangenehm für John – ohne ihn eines Blickes zu würdigen, nur mit einem kurzen „Muss etwas erledigen, warte nicht auf mich!“ aus der Wohnung gerauscht, wobei er sich vor Eile beinahe den Mantel in der sich schließenden Tür eingeklemmt hätte.

Ja, er sagte, dass John nicht auf ihn warten sollte, doch dieser hielt nicht viel von Aussagen wie dieser. Besonders nicht um diese Uhrzeit! Natürlich war sein Mitbewohner kein Kind, das Überwachung brauchte – auch wenn er sich oft genug so verhielt -, doch war es unüblich dass er mitten in der Nacht aufbrach um bis in die frühen Morgenstunden verschwunden zu bleiben.
 

Erneut ließ der Arzt seinen Blick über die Straße schweifen. Er hatte seit seiner Kindheit nicht mehr so viel Schnee gesehen. Damals hatten seine Eltern auf einen Familienurlaub etwas außerhalb der Stadt bestanden und so war er in den kindlichen Genuss riesig anmutender Schneeberge gekommen. Es überraschte ihn, wie viel Schnee dieser Winter hergab, ärgerte sich fast schon über den lahmgelegten Verkehr.

Im Moment allerdings genoss er den Anblick. Er gab ihm das Gefühl nicht als einziger unbewegt zu sein, nicht der einzige zu sein, der sich nicht sicher war, was Bewegung in die eine, oder in die andere Richtung bringen würde.

Weihnachten war lange vorüber, das neue Jahr gekommen. Wie es für Sherlock üblich war, hielt sich seine Feierstimmung in engen Grenzen, wobei Mycrofts Überraschungsbesuch mit Sicherheit sein Übriges tat. Alle Versuche Johns, etwas mehr ehrliche Freude aus ihm heraus zu kitzeln blieben erfolglos und so gab er seufzend und etwas hilflos auf.
 

Alles in allem waren so die LANGWEILIGSTEN Wochen in Sherlocks Leben ins Land gezogen, um bei seiner eigenen Wortwahl zu bleiben.

In Anbetracht dessen – und vor allem wenn er darüber nachdachte, dass sein Mitbewohner im Recht war – überraschte es John auch nur wenig, dass er es so eilig hatte die Wohnung zu verlassen. Beim geringsten Hinweis auf einen Fall konnte er sich gar keine andere Reaktion von seinem Partner vorstellen. Trotzdem hätte er ihn mitnehmen können. Oder zumindest freundlich nachfragen, ob er, John, nicht Interesse daran hatte, am neuen Fall mitzuwirken.

Natürlich wusste er, dass so etwas nicht geschehen würde, nicht in einer Situation wie der gegenwärtigen. So war Sherlock schon immer gewesen – er kam wann er es für richtig hielt und verschwand wenn etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte. Er band seine Gedanken nicht lang an einen Ort, eine Person, einen Gegenstand. Wahrscheinlich wäre sein Gehirn damit hoffnungslos überfordert.
 

Die Gedankengänge des Arztes wurden immer bitterer, er selbst bemerkte dies allerdings nicht und selbst wenn er es getan hätte, so wäre es ihm reichlich gleichgültig gewesen. Schließlich hatte er Recht, obwohl er sich nicht sicher war ob das ein Gewinn für ihn war, ob überhaupt jemand an diesem Wissen profitieren könnte.
 

Ein erneuter Suchender Blick über die Straße. Ein offensichtlich angetrunkenes Paar bewegte sich langsam auf eine der Türen auf der anderen Straßenseite zu. Sie kämpften damit nicht den halt auf dem unter dem Schnee verstecktem Eis zu verlieren, schafften es schließlich am Ziel anzukommen.

Verdammt, wo war er?
 

John wurde zusehends unruhiger, er wollte endlich schlafen, wollte zumindest seinen Beobachtungsposten aufgeben. Vor allem wollte er sich aber keine Sorgen mehr machen müssen. Es war beinahe lächerlich, dass er ausgerechnet jetzt diesen wahnsinnigen, an Beschützerinstinkt anmutenden Zug entwickelte, doch er konnte nichts daran ändern. Sherlock würde ihn mit Sicherheit auslachen, wenn er es bemerke würde, dachte er bitter bei sich.

Trotzdem konnte er es nicht lassen unbewegt stehen zu bleiben, brachte nicht einmal den Gedanken an eine heiße Tasse Tee zu Ende.

Über sich selbst den Kopf schüttelnd kam er zu dem Entschluss, dass etwas seltsam war. Er konnte es nicht benennen, doch etwas passte nicht ins Bild. Etwas an Sherlocks Verschwinden, seinem plötzlichen Aufbruch, dass er John zurückließ. Sich seiner momentanen, wartenden und beobachtenden Haltung bewusst, wagte er es allerdings nicht seine Vermutung weiter zu verfolgen, aus Angst sie würden sich als ersonnene Ausreden herausstellen. Er würde einfach warten. Der erste Schritt dazu würde es sein, seinen Platz am Fenster gegen einen gemütlichen Sitzplatz zu tauschen.
 

Nach einigem Zögern entschloss er sich doch etwas Tee zuzubereiten, wobei er sich mehr Zeit ließ, als nötig war. Als er seine dampfende Tasse um einen Schluck Milch erweiterte, beschloss er auch für Sherlock etwas von dem warmen Aufguss bereit zu stellen. Nur für den Fall. Es war schließlich eiskalt dort draußen und Gott wusste was er in den letzten Stunden getrieben hatte und vor allem wo er sich aufgehalten hatte.
 

Mittlerweile waren sechs Stunden seit Sherlocks Aufbruch vergangen, noch immer kein Zeichen von ihm, kein Hinweis auf eine baldige Rückkehr, Johns Handy gab keinen Lauf von sich und auch im gesamten Haus war kein Lauf zu hören.

Entgegen besseren Wissens verspürte John vermehrte Sorge, vor allem aber fühlte er sich verstärkt einsam. Er würde gerne reden, würde sich gerne mit seinem Mitbewohner austauschen, über seine teils verqueren Ansichten schmunzeln, sich vielleicht ob eines abstrusen, fehlenden Informationsstückes über ihn lustig machen, aber auch darin fortfahren ihn zu verstehen zu beginnen, sich klar zu werden wie der Kopf, das Gehirn des Genies arbeitete. Nichts faszinierte den Arzt mehr, nichts beschäftigte ihn mehr und mit nichts setzte er sich so sehr auseinander, wie er es mit der Gesamterscheinung Sherlock Holmes tat. Ab und zu hatte er Momente in denen er glaubte im Ansatz zu verstehen was vor sich ging und wie, doch schon in der nächsten Sekunde überraschte sein Partner ihn aufs Neue und John musste erneut beginnen. Es war ein ewiges Spiel, als würde er jeden Tag, jede Stunde bei null beginnen um am Ende doch wieder nicht zu lernen.
 

Es störte ihn nicht und das war vielleicht das seltsamste, das wunderlichste an der Sache. John war ein Mann der Tatsachen, er hatte sich schon vor Jahren in der Medizin verloren, weil durch Fakte klar wird, was vor sich geht. Weil er sich an Muster halten konnte, immer, selbst im Krieg verließ er bestimmte Pfade nie, weil die Medizin sie ihm vorgab.

Mit Sherlock war eine Ungewissheit in sein Leben getreten, die der Arzt nie zuvor in einem solchen Extrem erlebt hatte. Eine Unsicherheit, der Mangel von Konstante in einer sehr privaten, alltäglichen Form. Denn nichts anderes war es – er bewegte sich vorwärts, erkundete, verstand, doch alles nur scheinbar, denn am Ende, spätestens am Beginn des neuen Tages, bemerkte er, dass er doch an derselben Stelle stehen geblieben war, sich keinen Millimeter weiterbewegt hatte.

Sherlock Holmes war wie ein wandelndes Mysterium, umgeben von Spinnweben aus Rätseln und wabernden dunklen Flecken, die er wahllos mit Informationen füllte, wenn er es für gut und richtig befand.
 

Nüchtern betrachtet, zusammengebracht mit Johns Art, mit seinem bevorzugten Umfeld, war es nicht verständlich, warum er die Zeit an Sherlocks Seite überhaupt geschehen ließ, sie sogar genoss wie nichts zuvor. Er verstand es selbst nicht, was es war, das ihn vermehrt zu dem Anderen zog. Mit jedem Tag des Stillstehens, mit jeder Sekunde des erneuten Versuches, zog es ihn näher zu diesem Mann, zu dieser Persönlichkeit, zu diesem Genie. Es war eine recht seltsame Art der Anziehung, die alles verband – geistige, emotionale in erster Linie, doch auch körperliche, wie der Arzt sich selbst nur schwer eingestehen konnte. Er mochte ihn auf eine seltsame, schwer zu definierende Art. Er mochte ihn auf so vielen Ebenen, dass es schwer war zu differenzieren, sich selbst darüber klar zu werden was genau die einzelnen Schichten bedeuteten.
 

Seine Tasse war längst leer, Sherlocks Tee stand unberührt, mittlerweile sicherlich kalt, auf dem Tisch, eine weitere Stunde war vergangen, ohne dass John es registriert hätte. Zu tief versank er in seinen Gedanken, zu still war es um sich nicht ihrer Intensität hinzugeben. Sein Blick hing starr an der schon etwas schwach wirkenden, goldenen Verzierung der Tasse, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Er verstand das alles nicht, verstand Sherlock nicht, verstand vor allem sich selbst nicht mehr. An welchem Punkt war er nur hängen geblieben, bei seinem ewigen Stillstehen?
 

Er hörte nicht, wie sich die Eingangstür öffnete, die er zuvor noch mit Argusaugen beobachtet hatte, hörte nicht wie sich jemand den Schnee von den Schuhen klopfte, leise hustete. Auch die genauso leisen, doch schwer wirkenden, näherkommenden Schritte über die Treppe nahm John nicht wahr. Als sich die Tür zur Wohnung beinahe lautlos öffnete stand der Arzt kurz vor der Verzweiflung, ob seiner wirren Gedanken, doch auch diesen Laut vernahm er nicht. Seine Gedanken hielten ihn gefangen, schienen ihn verschlingen zu wollen. Ein überraschter Ausruf einer ihm wohlbekannten Stimme Riss den Arzt beinahe schmerzhaft gewaltsam aus seinen Überlegungen.

„John!“

Er konnte sich nicht mehr sammeln ehe er den Blick hob, wusste im selben Moment in dem seine Augen dem Blick Sherlocks begegneten, dass es ein Fehler war. Das Erschrecken in den Augen des Mannes war deutlich, fuhr John als zuckender Schmerz durch den Körper.

„Was ist passiert?“

Umschmeichelt von der sorgengetränkten, doch aufmerksam ruhigen Stimme seines Gegenübers schloss der Angesprochene für einen Moment die Augen. Er wollte nicht, dass Sherlock an seinen Gedanken Teil hatte, noch nicht. Er war noch bei weitem zu aufgewühlt dafür.

„Nichts, wo warst du?“, antwortete er so, versuchte nicht so vorwurfsvoll zu klingen wie er es gerne getan hätte, wie Sherlock es verdient hätte. Der Blick mit dem er John bedachte intensivierte sich bis beinahe ins unangenehme, doch er schien sich für den Moment mit seiner Aussage zufrieden zu geben. Wahrscheinlich hatte er John ohnehin bereits durchschaut, wie er es immer tat.
 

Leise seufzend ließ Sherlock sich auf das Sofa sinken, die Tasse mit dem Kalten Tee betrachtend. Von seinem Mantel tropfte halb geschmolzener Schnee und hinterließ unschöne Wasserflecken auf dem Stoff des Sitzmöbels, doch das kümmerte beide recht wenig. Den Blick immer noch auf das nun abgekühlte Heißgetränk gerichtet sagte er leise: „Ich habe gesagt, du sollst nicht warten.“

Johns Schnauben brachte ihn dazu den Anderen anzusehen, seltsam fragend, fast rätselnd – so als wüsste er nicht genau wie er Johns Verhalten interpretieren sollte. Ein absurder Gedanke, wie es schlimmer nicht sein könnte und doch weckte sein Verhalten keinen anderen Anschein.

„John, warum hast du gewartet?“ „Wo warst du?“ Sherlock schwieg auf Johns Frage hin, wie auch John nicht auf die Nachfrage des anderen reagierte. Das führte doch zu nichts!

„Verdammt, Sherlock ich bin es so leid mir deine Ausbrüche gefallen zu lassen! Du verschwindest wie es dir passt, du kommst zurück wann immer du möchtest, lässt mich mit einem hin geschmetterten ‚Warte nicht!‘ zurück und ich soll mich nicht fragen wo du warst, kann nicht auf deine Rückkehr warten um zumindest zu wissen, dass was auch immer du getrieben hast, dich nicht umgebracht hat?“
 

Erst der verwunderte Blick seines Mitbewohners machte dem Arzt seinen Ausbruch bewusst. Etwas verwundert über sich selbst strich er sich über die müden Augen. Er sollte schlafen, schon seit Stunden! Er konnte doch auch nichts dagegen tun, dass er sich um den Anderen sorgte!

Als er keine Antwort, keine Erwiderung auf seine Worte erhielt reichte es ihm allerdings. Er ließ ohnehin schon viel zu viel über sich ergehen, auch er hatte Grenzen, wenngleich er diese Sherlock reichlich selten aufzeigte. Er sollte wissen, wie ernst John seine Worte waren, wie tief die Wahrheit in ihnen griff. Vielleicht lenkten sie ihn zusätzlich davon ab genauer über Johns verhalten nachzudenken, seinen Ausdruck als er unverhofft seinen Namen Ausrief.

„Gute Nacht, Sherlock.“
 

Damit erhob er sich, stellte seine leere Tasse in der Küche ab, ehe er sich, ohne seinen Partner eines weiteren Blickes zu würdigen, zur Tür bewegte, um in sein Zimmer zu gelangen. Er hätte längst im Bett sein sollen, brauchte seinen Schlaf im Moment fast noch dringender als sonst. Sherlock ermüdete ihn, besonders wenn er, wie in den vergangenen Tagen, zu Hause saß, tatenlos, John von allem ablenkend, was dieser sich vorgenommen hatte über die Feiertage zu tun. Er mochte die Nähe des Anderen, doch ging mit ihr eine ganze Menge an Stillstehen einher und genau das ermüdete den Arzt oft so sehr.
 

Sherlocks leise gesprochenes „John“, in Verbindung mit dem Rascheln des Stoffes als er sich erhob, ließen den Angesprochenen innehalten, sich jedoch nicht umdrehen. Er kam näher, kam hinter dem Arzt zu Stehen, legte ihm leicht eine Hand auf den oberen Rücken. Diese stumme Art der Entschuldigung war schon weitaus mehr als er erwartet hatte, weitaus mehr als Sherlock für gewöhnlich zu geben bereit war. Besonders wenn er sich sicher war im Recht zu sein, oder wenn jemand sein Handeln in Frage stellte.

„Danke, dass du auf mich gewartet hast. Danke auch für den Tee, obwohl er kalt ist, ich hoffe du verzeihst mir, dass ich ihn nicht trinke.“ Seine Stimme war leise, seltsam unruhig. Dem Angesprochenen huschte ein Lächeln über die Lippen, konnte nicht verhindern dass seine Spannung abnahm, ob der plötzlichen Vertrautheit. Trotzdem musste er es wissen. „Warum willst du mir nicht sagen wo du warst?“

Ein Seufzen antwortete ihm, ehe Worte Folgten: „Weil ich weiß, dass du mehr wissen willst als ich bereit bin preiszugeben. Es tut mir Leid, dass mein Verhalten eine solche Last für dich darstellt, aber du wusstest, worauf du dich einlässt.“

„Ja, das wusste ich.“ Er wandte seinem Mitbewohner den Kopf zu, versuchte sich an einem Lächeln und unterbrach die noch immer bestehende Berührung, indem er seinen Weg fortsetzte. Etwas am Blick des Anderen irritierte ihn, doch er wollte, konnte, sich nicht darum kümmern. Nicht jetzt. Er wollte allein sein, erneut in seinen Gedanken versinken und nach einer Antwort suchen, die zufriedenstellender war als jene, die gerade in seinem Kopf herumschwirrte. „Dein Spiel lässt sich auch auf dich übertragen, weißt du?“ Verwundert blickte John seinen Partner an, wusste nicht worauf er hinaus wollte. Der Fragende Blick schien ihm deutlich genug zu sein, denn er fuhr mit beinahe gleichgültiger Stimme fort: „Warum willst du mir nicht sagen was passiert ist?“

„Du durchschaust mich mit einem einzigen Blick, Sherlock, ich denke nicht dass ich dir irgendetwas erklären muss.“ „Ich weiß, dass du lange am Fenster gestanden hast, in welche Richtung dein Blick gerichtet war. Ich weiß wann du Tee gemacht hast, dass deine Tasse einige Minuten vor meiner fertig war und wann du beschlossen hast dich zu setzten. Ich vermute, dass du lange in Gedanken versunken vor dich hingestarrt hast. Ich habe absolut keine Ahnung, was in dir vorgeht, warum du dich so sonderbar verhältst.“
 

Sonderbar – ja, so ließ sich sein Verhalten beschreiben. Er war nicht überrascht, wie genau der Andere den Verlauf des Abends Johns nachvollziehen konnte, doch verstand er nicht wieso er dieses Mal, zu dieser einen Gelegenheit, bei der er es hätte brauchen können, sein Innerstes nicht sah. Sherlock wusste immer alles bevor John es tat, warum nicht auch heute? Warum nicht auch jetzt?

Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß es auch nicht.“

Kurz blickten beide sich in die Augen, bis John sich plötzlich vollständig dem Anderen zuwandte und in umarmte. Er hatte genug von Worten, es tat ihm Leid dass er Sherlock so angefahren hatte und er wollte ihm alle Dankbarkeit und Entschuldigungen die aus den letzten Tagen noch offen waren auf diese Weise ausdrücken. Es war einfach zu viel, er brauchte diese Nähe und auch sein Mitbewohner schien nichts dagegen einzuwenden zu haben. Nach wenigen Augenblicken entspannten sich beide Parteien in dieser ungewöhnlichen Berührung, hielten aneinander fest, wollten einander nicht mehr loslassen. Beim Gedanken daran, dass dies hier doch ein recht nettes Stillstehen sei, musste John leicht schmunzeln. Es war seltsam, dass sich seine Gedanken in Sherlocks Nähe plötzlich zu ordnen schienen, viel zu schnell in klare Bahnen gelenkt wurden, viel zu intensiv an ihn herandrangen. Zögernd, um nicht den Eindruck von Flucht zu erwecken und zugleich die Nähe noch länger zu genießen, löste er sich etwas von seinem Mitbewohner. Dessen Blick huschte über das Gesicht des Arztes, eine seiner Hände legte sich sanft auf den Hinterkopf desselben. „Es tut mir Leid, John“, nur ein Hauchen, er war sich nicht sicher es gehört zu haben, bis Sherlocks Lippen seine sachte berührten. Diese Berührung als Kuss zu definieren, wäre zu viel gewesen, doch beide schätzten die Sanftheit des Moments und das vorsichtige, fast unschuldige Vorgehen des jeweils anderen. Ein weiteres Aufeinandertreffen von Blicken überzeugte John davon, noch nicht in seinem Zimmer, seinem Bett zu verschwinden.

Es dauerte nur noch Sekunden, ehe der Arzt aus eine leichten Berührung einen Kuss entstehen ließ, der beide etwas klarer sehen ließ. Nur am Rande bemerkte John wie seine Gedanken zur Ruhe kamen, sich zufrieden im Hintergrund hielten. Zugleich wusste er, dass Sherlock ihn wohl erneut durchschaut hatte, wenn auch mit etwas Mithilfe, wenngleich etwas spät.

Als sie sich von einander lösten, sich erneut anblickten, musste John lächeln. Vielleicht, aber nur vielleicht, hatte er heute die Möglichkeit, sein Stillstehen zu beenden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sisilia11
2012-09-19T20:55:01+00:00 19.09.2012 22:55
So so, da bin ich also die erste die dir einen Kommentar hinterlässt:)
Deine Geschichte fand ich total süß. Sie hat mir richtig gut gefallen und ich hoffe, dass du weitermachen wirst.
LG
Sisilia


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