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Fear & Insanity

Songfiction
von

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Fear & Insanity
 

Mike gab gerne vor, keine schwerwiegenden Fehler in seinem Leben gemacht zu haben. Und wenn er doch die eine oder andere Fehlentscheidung getroffen hatte, dann sah er zumindest das Positive darin. Auch Fehlentscheidungen konnten ihn weiterbringen und bloß weil es in einem Moment aussah, als habe er das Falsche getan, konnte sich dies wieder ändern. Aus der Distanz der Zeit betrachtet meinte Mike, dass er letzen Endes keine seiner Entscheidungen bereuen musste, das sie samt und sonders seinen Weg an die Spitze beeinflusst und vorangetrieben hatten.
 

Zurückblickend vertrat er die Meinung, dass er sein Leben in einem zweiten Versuch noch einmal genauso gelebt hätte. Er brauchte nichts anders zu machen, da er zufrieden mit dem Lauf des Schicksals war.
 

Allerdings betrachtete Mike seinen Erfolg und sein Leben nicht als schicksalsbedingte Fügung, sondern einfach als Resultat seiner Arbeit, als Resultat seiner Entscheidungen und als zufällig entstandene Chancen.
 

Doch an was es auch lag, er befand die Entwicklung, die er gemeistert hatte, als zufrieden stellend. Er hatte das erreicht, was er angestrebt hatte. Er hatte sich selbst verwirklicht, konnte stolz auf das sein was er erreicht hatte. Er war an der Spitze des Musik-Genres, ein bedeutender Name im Musikbusiness. Auch seine ‚grafische’ Kunst fand Beachtung, fast alles was er tat, war von Erfolg gekrönt. Zumindest hätte er theoretisch zufrieden sein können. War er aber nicht.
 

Eigentlich hätte er sich längst zur Ruhe setzen können oder zumindest sein Leben etwas ruhiger gestalten, die Arbeit ruhiger angehen lassen. Doch das kam für ihn nicht in Frage. Ein Motor, stark und immerfort auf Hochtouren laufend, trieb ihn an, trieb ihn zu immer mehr Projekten, verlangte von ihm neue Aufgaben ab. Mike stürzte sich in Arbeit, war fast überall dabei, probierte alles aus und meisterte alles mit Bravour. Es war ihm ein inneres Bedürfnis, immer wieder etwas Neues zu machen.
 

Doch woher stammte dieser Drang, dieser zwanghafte Trieb?
 

Meistens verdrängte Mike, dass er sich in diesem Bezug nicht bremsen konnte und dass er wie fremdgesteuert keinen Einfluss mehr auf sich hatte.
 

Der Grund für dieses Verhalten lag wohl in den Abgründen von Mikes Seele begründet. Abgründe, die Mike niemanden zeigen konnte und wollte. Abgründe, die er noch nicht einmal sich selbst eingestehen konnte und wollte. Doch tief in sich spürte er die Wahrheit: Er fürchtete sich. Fürchtete sich vor Stillstand. Er fürchtete sich davor, irgendwann keinen Einfluss mehr auf sein Leben zu haben, er hatte Angst davor, keine Entscheidungen mehr treffen zu können. Ob gut oder schlecht, Mike brauchte dieses Instrument zur Veränderung und Koordinierung seines Schicksals, seines Weges. Er brauchte diese Macht über sich selbst, über sein Leben.

Und er fürchtete sich davor, von anderen Menschen in vordefinierte Kategorien geschoben zu werden, die ihm nicht gerecht wurden. Er selbst wollte seinen Ruf bestimmen, niemand anderes hatte ein Recht darauf.
 

Tief im Inneren war er doch ein verängstigter, sich an seine Macht klammernder, alternder Monarch, der seine Zeit überlebt hatte.
 

Und wie ein Monarch mehrte Mike seine Macht fortwährend. Zumindest dachte er, dass er dies tun würde, wenn er sich an neue Aufgaben setzte, neue Projekte begann und von sich reden machte. Sein Ruf als begnadeter Musiker schien in Stein geritzt, sein Image als Ausnahmekünstler fest verwurzelt. Und dennoch machte er immer weiter, steigerte seinen Ruhm, vergrößerte den Erfolg von Linkin Park.
 

Doch warum schmeckte dieser Ruhm, dieser Erfolg so schal und lasch? Warum gab er Mike nicht das erhoffte Gefühl der Zufriedenheit? Er hatte instinktiv registriert, dass er sich nur etwas vormachte, wenn er nach außen hin sein perfektes image zeigte. Er war nicht zufrieden. Niemals.
 

Und er hatte mehr als eine falsche Entscheidung getroffen, die er bereute und von der er sich wünschte, er könne sie ungeschehen machen.
 

Die Gedanken über vergebene Chancen quälten ihn, ließen ihn nicht ruhig schlafen, die höhnischen Gesichter vertrauter Menschen verfolgten ihn bis in seine Träume. Erinnerungen, die er verdrängt hatte, kamen wieder hoch aus den tiefen seines Geistes, spielten sich vor seinem inneren Auge ab.
 

Und irgendwann hatte Mike es aufgegeben, sich selbst zu belügen. Er hatte die Wahrheit erkannt. Sie war festgeschrieben und unveränderlich. Es war Zeit, sie zu akzeptieren.
 

Die Erkenntnisse hatten sich ihm eröffnet, als er am Meer gestanden hatte, die leicht schäumende Gischt und den feuchten Wind in seinem Gesicht spürend.
 

“Looked in the ocean,

Looked in the sea“
 

Das Meer war dunkel, tief und fast still. Niemand konnte auf den Grund sehen, niemand die Geheimnisse erkennen, die der Ozean barg. Der Grund lag außerhalb der Reichweite der Menschen. Er blieb allen verborgen.
 

Mike fühlte eine Gemeinsamkeit zwischen dem undurchdringlichen Ozean und seiner Seele, die ebenfalls Geheimnisse barg, die nie jemand erfahren durfte. Er musste seine Fassade aufrecht halten, nicht, weil er es wollte, sondern weil er es gar nicht anders konnte. Die Entscheidung über diesen Teils seines Lebens war ihm aus der Hand genommen. Er bedauerte es. Doch noch konnte er sich mit seiner Fassade zurechtfinden, da das äußere Bild, das er abgab, dem entsprach, wie er wahrgenommen werden wollte.
 

Noch mehr bedauerte er es aber, überhaupt diesen einen Fehler, der ihn in die jetzige Situation geführt hatte, begangnen zu haben. Er wusste, dass er nun damit leben musste, gleichzeitig hatte er Angst davor, dass sich dies eines Tages doch ändern könnte.
 

Und er bedauerte, dass er lügen musste. Er bedauerte, dass er ‚Sie’ belügen musste.
 

“Found her laughing,

Watching for me“
 

Anna. Seine Ehefrau und Mutter seiner zwei Kinder. Wo früher einmal Stolz seine Brust anschwellen lassen hatte, wenn er sie seinen Freunden und Bekannten vorstellte, befand sich nun nur noch Kälte an diesem Fleck in ihm.
 

Es fühlte sich falsch an zu wissen, dass Anna ihn liebte, er jedoch keine solchen Gefühle empfinden konnte. Er wollte sie ja lieben. Er wollte, dass sie eine perfekte Familie waren. Doch er konnte es nicht. Anna war außerstande, ihn zufrieden zu stellen. Eine harmonische Ehe war nicht das, was er suchte und was ihm Erfüllung bringen konnte. Sein innerer Trieb nach Neuem hatte ihm das Zusammenleben mit ihr bald überdrüssig werden lassen. Zum Glück hatte er immer Gründe für seine Flucht von ihr gefunden. Und sie hatte ihm immer geglaubt.
 

“Left the door open,

Left the door wide”
 

Trotzdem war er dankbar dafür, dass sie da war. Er brauchte sie ja doch, von Zeit zu Zeit. Bisher hatte sie ihn immer mit offenen Armen empfangen, doch trotz dieser Tatsache und Mikes Wissen darüber, das sie ihn nie enttäuschen würde, regte sich in ihm erneut die Angst. Er wollte es nicht zugeben, doch er fürchtete den Tag, an dem sie ihn abweisen würde. Er konnte sie nicht verlieren. Nur die Hoffung darauf, dass sie ihre Tür immer für ihn offen halten würde, beruhigte ihn.
 

Er hatte sie nicht verdient. Er war kein guter Ehemann mehr, so oft wie er sie nun abwies. Er konnte ruhig zugeben, das er ihre Beziehung zerstört hatte und das ihre ehe nur noch auf dem Papier und in Anwesenheit der Kinder existierte.
 

+++++++++++
 

Es war sonntags, was vermutlich der Grund dafür war, warum Anna Mike nicht in Ruhe arbeiten ließ wie sonst auch, sondern unaufgefordert in sein Arbeitszimmer eintrat und den Laptop, auf den ihr Mann starrte, sanft herunterdrückte, sodass er in den Ruhezustand wechselte. Mikes Blick ruckte nach oben, eine steile Falte erschien auf seiner Stirn.

„Was soll das?“, stellte er sie leise zur Rede. In seiner Stimme schwang unterdrückter Ärger mit. Noch hatte er ihn unter Kontrolle, doch das konnte sich jederzeit ändern.

„Liebling, du hast heute genug gearbeitet. Lass uns mal wieder zusammen ausgehen. Taly hat mir von einem neuen Restaurant erzählt, das einen Besuch wert sein muss…“, schlug Anna mit weicher Stimme vor und strich ihm leicht über die Schulter.

Erst jetzt registrierte Mike, das sie sich geschminkt und ein hübsches kleid angezogen hatte.

„Aber nicht heute, ich muss noch etwas erledigen.“

Beiläufig schüttelte er ihre Berührung ab.

„Ach Michael…“, wollte Anna einwenden, doch er stoppte sie mit einer rüden Handbewegung und ergänzte sich „… außerdem hab ich keine Lust. Geh doch mit Talinda dort hin.“
 

„Ich wollte aber mit dir. Was ist nur los mit dir?“, erwiderte Anna und fing an, seine angespannten Schultern zu massieren. Mike ließ es für einen kurzen Zeitpunkt zu, dann zuckte er mit den Schultern und gab sich betont gleichgültig.

„Was soll los sein? Nichts.“

„Du verhältst dich so komisch. Du kannst doch nicht nur für deine Arbeit leben. Du warst doch früher nicht so. Wo ist der Mann hin, in den ich mich verliebt habe?“, fragte seine Frau unsicher, ganz leise meinte sie schließlich: „Ich will ihn zurück.“

Ungehalten polterte er nun los, mit der Ruhe war es vorbei. Er wandte sich aus Annas Griff und funkelte sie wütend an.

„Was redest du da für einen Unsinn. Ich bin immer noch derselbe. Und jetzt geh bitte.“

„Du hast dich verändert, Mike. Und diese Veränderung ist nicht gut.“, sprach sie einfach weiter, ohne auf ihn zu reagieren. Mike stand auf und blickte auf sie herab.

„Ich bitte dich: Geh. Jetzt.“

„Ich will den alten Mike zurück.“, jammerte sie, wollte ihn berühren, doch Mike stieß sie weg, sodass sie hart gegen den Schreibtisch stolperte und der Laptop hinunterfiel. „Ich sagte: Geh!“, donnerte er, bückte sich nach dem Computer und hieb ihn vorsichtig auf.

„Geh!“, schrie er am Ende, und als sie immer noch keine Anstalten machte zu verschwinden, schob er sie selber in Richtung Tür und schmiss sie mit Schwung ins Schloss. Der Knall übertönte das leise Schluchzen seiner Frau.
 

+++++++++++
 

Er kannte den Grund für sein Verhalten. Er ließ wieder einmal an seinen Mitmenschen seine schlechte Laune aus. Dabei konnte Anna gar nichts wissen und erst recht nichts dafür oder dagegen tun. Nein, die Schuld lag bei Mike selber. Und bei Chester.
 

“Unintelligible,

Kept it inside.”
 

Mike wunderte sich wirklich, warum er nicht schon eher darauf gekommen war, dass seine Beziehung zu Chester mehr war als diese platonische Freundschaft. Und jetzt, wo er sich auf dieses mehr eingelassen hatte, eröffneten sich ihm so viele Möglichkeiten, so viel Neues wartete hinter den bisher verschlossenen Türen und Chester war begierig, dieses Neuland mit ihm zu erforschen.
 

Doch letzten Endes gab es selbst für Mike wichtigere Dinge als das kompromisslose Erfüllen seiner Begierden. Auch wenn es sich im Moment der Erfüllung gut anfühlte, so blieb am Ende doch die Verzweiflung, die bittere Erkenntnis der eigenen Fehler.
 

„Don't trust if you don't then you're fightin' for what?”
 

Und Anna gehörte zu den eigentlich wichtigen Dingen, seine Kinder gehörten zu den wichtigen Dingen. Das waren die Werte, an denen er sich festhalten musste. Die Werte, für die er kämpfen musste. Sein Anstand verlangte es. Und vielleicht musste Mike diesen Kampf gegen sich ausführen. Vorstellbar war es.
 

“Fightin' for a place,

We can call home.”
 

Manchmal wünschte sich Mike, er wäre nicht er, sondern ein anderer Mensch, der mit einer Beziehung, wie er es in der Anfangszeit mit Anna hatte, zufrieden war und der sich nicht so anstrengen musste, um den Schein aufrecht zu erhalten. Mike wollte ja mit Anna glücklich sein, er wollte sie lieben. Das sagte er sich jeden Tag. Er erinnerte sich noch an die Zeit, wo es ihm leichter gefallen war, ihre Gegenwart zu ertragen, wo er sie sogar genossen hatte. Hatte er sie damals geliebt oder war es auch nur eine Lüge gewesen?
 

“Lookin' for a way,

Not be alone.”
 

Dennoch schaffte er es, die Beziehung am Leben zu erhalten. Er schaffte es, Anna hin und wieder ein Lächeln zu schenken. Er schaffte es, sie zu küssen ohne seine Abneigung zu verraten. Er schauspielerte meisterhaft, schaffte es sogar, sich selbst, ab und zu, zu überzeugen.
 

“I'm fightin' for a place,

We can call home.”
 

Er verfluchte sich, dass er es nicht schaffte, sich dauerhaft selbst zu belügen. Er wünschte es sich. Wollte in dieser Traumwelt leben, in der er glücklich war mit Anna, in der er sie liebte. In der Öffentlichkeit zeigten sie ein Bild des perfekten Paares, zwanglos, doch innerlich fühlte sich Mike gefangen in einem engen Netz, er wollte ausbrechen, doch konnte es nicht. Es war ihm unmöglich. Er wurde gezwungen, den Schein aufrecht zu erhalten. Gezwungen von einer tief sitzenden Angst.
 

“Lookin' for a way,

Not to be alone,

Not to be alone.”
 

Die Angst, dass seine Fassade, die er so mühselig aufgebaut hatte und die nun seinen Rum und Erfolg stütze, bröckeln und in sich zusammenfallen würde. Das alle Welt erfahren würde, was er tatsächlich tat und was ihn beschäftigte. Das die Welt erfahren würde, dass er keineswegs der liebende Ehemann war, sondern ein von Angst und Unzufriedenheit zerfressener, oft verbitterter Mann. Er konnte es sich nicht erlauben, dass sein sauberes Image einen solchen Schaden nehmen würde. Er wollte es nicht in Kauf nehmen, das dieser Imageschaden einhergehen würde mit den Lästereien und Vorurteilen der Menschen um ihn herum.
 

Es gab nur eine Person, der Mike mehr über sich offenbart hatte. Unfreiwillig natürlich. Aber seltsamerweise hatte er es bis jetzt noch nicht bereut. Es war eine dieser falschen Entscheidungen, die einen im Leben vorantrieben.
 

Dass dieser Weg auch in einer Sackgasse enden konnte, hatte Mike nicht bedacht, als er sich auf Chester einließ.
 

Begonnen hatte es mit Wortgefechten, zweideutigen Kommentaren und angedeutete Absichten vonseiten Chester, der Mike auch sehr bald nach ihrem Kennen lernen gesteckt hatte, bisexuell zu sein. Nach diesem Outing war Mike kurz verwirrt gewesen, hatte nicht gewusst, wie er damit umgehen sollte. Doch dann hatte er entschieden, dass das alleinige Wissen keinerlei Unterschied machte. Der Sänger war immer noch derselbe. Und so verhielt sich Mike ihm gegenüber genauso wie früher, vor Chesters Geständnis.
 

Als er dann begonnen hatte, diese Anzüglichkeiten gegenüber Mike zu machen, war dieser erst nicht darauf eingegangen, doch mit der Zeit begann es Mike Spaß zu machen, auf Chester einzugehen. Und woran er tags nicht dachte, ereilte seine Gedanken in der Nacht, während er grübelnd wach lag. Mike begann sich vorzustellen, wie es wohl wäre, sich auf Chester einzulassen. Diese Gedanken, die er zuvörderst schnell wieder verbannte, begannen ihm zu gefallen. In seinen Träumen fühlte es sich angenehm an, befriedigend. Noch viel befriedigender musste es sich real anfühlen. Dies war ein unerforschtes Gebiet, das Mike lockte, ihm Genuss versprach.
 

“Fightin' for a place,

We can call home.”
 

Und er begann, deutlichere Signale auszusenden - zuerst unbewusst, doch dann verstärkter und bewusster.
 

“Lookin' for a way,

Not be alone.”
 

Scheue Berührungen, länger als er es unter freundschaftlichen Bedingungen zugelassen hätte, zeigten Chester, dass er durchaus Chancen hatte, Mike, der von sich behauptete, Liebe und Lust nur gegenüber einer Frau empfinden zu können, umzudrehen.
 

Und er setzte seinen Weg fort. Mit Erfolg. Auch wenn beide sich weigerten, das zwischen ihnen in Worte zu fassen und darüber zu reden, so vollzog sich auf körperlicher Ebene ein rascher Fortschritt.
 

Aus scheinbar zufälligen Berührungen wurden zärtliche Gesten. In der Einsamkeit des Studios kamen sich beide näher, schon bald lockten sie sich durch aufreizende Blicke gegenseitig zu mehr. Vom ersten Kuss war es nur ein Wimpernschlag bis zum ersten Sex.
 

“I'm fightin' for a place,

We can call home.“
 

Schon sehr bald wurde es zum Ritual der beiden, nach getaner Arbeit sich gegenseitig Befriedigung zu verschaffen. Die Frage nach dem Richtig oder Falsch ausblendend, ließ sich Mike fallen. Chester wusste, was ihm gefiel und bediente sein Verlangen. Das alles geschah fast immer ohne große Worte, nach wie vor vermieden es beide, darüber zu sprechen.
 

Bis Chester eines Tages das Schweigen brach.
 

+++++++++++
 

Schweiß, in der Luft der Geruch von Sex, die stickige Luft warm und angenehm auf der empfindlichen Haut. Ein atmender, bebebender Körper an seinem Rücken, bis vor kurzen noch verbunden mit Mikes erschöpftem Leib. Schwere Arme, die ihn umfassten, ihn an Chesters sich hebende und senkende Brust drückten. Sie waren eins gewesen, miteinander, gegeneinander. Mike spürte immer noch den leisen Schmerz, doch er wusste, dass Chester eine intensivere Erinnerung von ihrem Zusammensein davontragen würde. Im Gegensatz zu dem Sänger konnte sich Mike nie zurückhalten und hatte seinem Partner durchaus schon schlimmere Schmerzen beschert. Doch beschwert hatte dieser sich noch nie.
 

Mike spürte, das die Zeit gekommen war, aus dem Bett des Sängers zu verschwinden und nach einer Dusche nach Hause zu fahren, doch der Mann, der ihn fest umarmt hatte, ließ nicht los. Die schmalen Arme hielten ihn ähnlich fest wie in einem Schraubstock, sodass Mike nach einem kurzen Versuch, sich zu befreien, aufgab und sich wieder fallen ließ.
 

Er lauschte dem Atem des Sängers, der gleichsam hektisch wie sein eigener ging. Sonst konnten Mikes Ohren nichts vernehmen außer seinem eigenen Herzschlag. Das heilsame Schweigen wurde jedoch nach einigen verstrichenen Minuten gebrochen.
 

„Mike?“, fragte eine ängstlich klingende Stimme an seinem Ohr.
 

„Hmmm…?“, murmelte er schwerfällig.
 

„Weißt du, manchmal denke ich über uns nach…“, setzte Chester zum Erklären an. Mike runzelte die Stirn. Warum hatte Chester darüber nachgedacht? Sie waren doch bisher ohne unnötiges Gedankenverschwenden klargekommen. Er blieb still, wartete auf die Worte, die noch kommen würden.
 

„Du bedeutest mir so viel. Und ich… ich… ich liebe dich, Mikey.“, flüsterte Chester heiser, drückte ihn zur Verstärkung seiner Worte noch etwas fester an sich.
 

„Hmmm…“
 

+++++++++++
 

Mike glaubte ihm nicht. Er kannte den Sänger, der viel erzählte wenn der Tag lang war. Meistens war auch viel Müll dabei. Das hier war sicherlich mal wieder so eine fixe Idee Chesters, der man nicht so viel Beachtung schenken sollte. Und so verdrängte Mike das Gesagte sogleich wieder und da Chester auch nie wieder etwas Derartiges von sich gab, war die Sache für Mike erledigt.
 

“Lookin' for a way,

Not to be alone,

Not to be alone.”
 

Für Chester jedoch nicht. Der Sänger behielt seine Meinung zwar zuerst für sich und kam nicht noch einmal auf das Thema zurück, doch er bedachte Mike öfters prüfender Blicke, die dieser jedoch nicht zu bemerken schien.
 

Und schließlich rang sich der ewig zaudernde Sänger dazu durch, etwas zu verändern. Er glaubte, Mike zu kennen und hoffte, dieser würde ihn verstehen und zu ihm halten. Doch wie sich zeigte, kannte er ihn doch schlechter als angenommen.

+++++++++++
 

Mike und Chester waren allein im Studio - nichts Seltenes bei ihnen. Sie verabredeten sich sehr oft hier, um zuerst - gewissermaßen als Alibi - etwas zu arbeiten und dann das zu tun, das die Außenwelt nicht zu wissen hatte.
 

Das geschah in dieser Reihenfolge immer so. Doch diesmal lag etwas in der Luft, dass Mike nervös werden ließ. Er spürte das Herannahen von Veränderung. Es war nicht näher zu beschreiben, doch etwas würde sich verändern, das wusste er instinktiv. Ob diese Veränderung, dieser Wechsel etwas Gutes war, wusste er nicht. Doch die leise Furcht in seinem Herzen wies ihn darauf hin, das es durchaus nichts gutes sein konnte. Und zum ersten Mal bereute er es, alleine mit Chester zu sein.
 

„Mike? Ich… ich glaube, wir kriegen das heute nicht mehr hin.“, kommentierte der Sänger ängstlich, als der Angesprochene bereits ungezählte Male versucht hatte, eine passende Zeile zu verfassen, aber schon wieder nicht mit den Worten zufrieden war.
 

„Allerdings. Ich kann heute nicht arbeiten. Fuck up!”

Mike warf den Stift weg und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Chester betrachtete ihn lange, seine Augen wirkten seltsam verletzlich. Auch wenn dieser Blick Mike unruhig werden ließ, so hielt er ihm stand und ließ sich nichts anmerken.
 

„Hmm…“, Chesters Blick wanderte von Mike weiter unstet durch das Studio, kam dann wieder zu dem auf dem Stuhl fläzenden Mann zurück.
 

„Ich will mich von Talinda scheiden lassen.“, ließ Chester dann die Bombe platzen, erzählte endlich, was ihm unter den Nägeln gebrannt hatte.
 

“Fightin' for a place,

We can call home.”
 

“Aha. Wieso? Gibt es einen bestimmten Grund?”, fragte Mike, ohne es wirklich wissen zu wollen. Es verwunderte ihn zwar, das Chester jetzt plötzlich eine Scheidung wollte, doch woran das liegen konnte, war unwichtig für den Emcee. Er hatte bereits genug Probleme mit Anna, der eine harmonische Ehe vorzugaukeln immer schwerer fiel. Ebenso wie Mike es auch immer schwerer fiel.
 

„Kannst du dir das nicht denken?“, flüsterte Chester und ließ seine Hand über die Schulter des Mannes wandern, mit dem er gestern um diese Zeit noch geschlafen hatte. In seinen Augen konnte Mike sich selbst erkennen, langsam nahm er seine Hände herunter und beugte sich in Chesters Richtung.
 

„Nein? “

Es klang eher nach einer Frage, musste Mike feststellen. Der Sänger lächelte ihn an, hauchte ihm einen zarten Kuss auf die Lippen und strahlte ähnlich dümmlich wie ein verliebter Teenager.
 

“Lookin' for a way,

Not be alone.”
 

„Ich liebe dich, Mike. Mehr als ich Talinda jemals geliebt habe. Das ist mir klar geworden. Du bist es, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen will. Du bist es, dem mein Herz gehört. Ich will…”
 

“Was?”, entfuhr es dem Emcee entgeistert. Er erinnerte sich daran, das Chester bereits einmal so etwas zu ihm gesagt hatte, er aber damals nicht darauf reagiert hatte. Das war offensichtlich ein Fehler gewesen. Mike hatte damals klarstellen müssen, das Chester diesen Schwachsinn sein lassen sollte. Mike wusste nicht, was er tun sollte, doch eins war sicher: Chester ging hier eindeutig zu weit.
 

„Was willst du, Chester?“, fragte er ruppig, stand auf, das Lächeln auf seinen Lippen, das sich durch den Kuss kurzzeitig eingestellt hatte, war wie fortgewischt. Rüde schupste er den Sänger von sich weg, drehte ihm den Rücken zu.
 

„Mike… ich weiß ja, das du mit Anna verheiratet bist. Aber denkst du nicht, es wäre besser, ihr die Wahrheit zu sagen?
 

„Die Wahrheit?“

Mike starrte ihn an als käme er von einem anderen Stern. Er konnte nicht glauben, das Chester dies gerade gesagt hatte.
 

„I'm fightin' for a place,

We can call home.”
 

“Warum sollte ich das tun?”, wollte er wissen, seine Stimme schwankte vor Aufregung.
 

Chester legte den Kopf schief und schluckte. „Auch wenn du nie etwas gesagt hast, weiß ich doch, was in dir vorgeht, Mike. Du hast Angst… das verstehe ich. Aber…“
 

„Du verstehst gar nichts, Chester, gar nichts.“, grollte der Angesprochene.

„Warum sollte ich das tun? Ich habe keinen Grund.“
 

„Aber Mike. Ich liebe dich doch und du liebst doch…“, flüsterte Chester mit erstickender Stimme, immer leiser werdend. Mike baute sich drohend vor ihm auf, seine Augen spieen Blitze. „Was? Dich? Nein, ich liebe dich nicht. Du weißt gar nichts, Chester. Wie kommst du darauf, dass ich dich lieben würde? Das tue ich nicht.“
 

„Lookin' for a way,

Not to be alone”
 

„Aber…“, stammelte Chester, sein Blick suchte Mikes. Doch der sah weg, verschränkte gezwungen ruhig die Arme vor der Brust. Ein Bollwerk, an dem Chesters bitten ohne Spuren zu hinterlassen oder Mike näher zu berühren, abprallten.
 

„Das zwischen uns war nur Zeitvertreib. Ich bin mit Anna zusammen. Und ich liebe Anna.“, stellte Mike die Tatsachen heraus. Er schaffte es tatsächlich, sich anzuhören als glaube er die selber. Innerlich jedoch wuchs die Angst davor, Chester würde auf die Idee kommen, etwas von ihrer verschwiegenen Beziehung auszuplaudern. Das wäre fatal. Das durfte er nicht. auf keinen Fall. Schon spürte Mike die Panik in sich aufwallen, die seine Wut zusätzlich anheizte. Und Chester dachte nicht daran, auf Mike zu hören.
 

„Lookin' for a way,

Not to be alone”
 

„Nein, nein, das glaube ich nicht. du musst…“, bearbeitete er Mike weiter mit heiserer, weinerlicher Stimme. Mike unterbrach ihn erneut brutal, löste die Verschränkung seiner Arme und stieß den ihm schon wieder näher gekommenen Sänger weg.
 

„Ich empfinde nichts für dich. Hör auf damit.“ Das besonders stark betonte ‚nichts’ dominierte Mikes gesamten Ausspruch. Doch selbst das konnte Chester nicht bremsen, der mittlerweile, um Mikes Schupsern besser begegnen zu können, halb auf die Knie gefallen war.
 

„Lookin' for a way,

Not to be alone”
 

„Ich kenne dich besser, Mike.“, flüsterte er, machte einen weiteren sinnlosen Versuch, zu seinem Freund zu gelangen. Doch der ließ das nicht zu. Stattdessen flackerten Mikes Augen wild und in größerer Lautstärke, an der man seine Angst erkennen konnte, fuhr er Chester erneut an.
 

„Hör auf, ich liebe dich nicht. Habe ich nie.“ Mike wusste sich langsam nicht mehr zu helfen. wie sollte er Chester nur klarmachen, das da zwischen ihnen nichts war? Warum klammerte sich der idiotische Sänger so an diese fixe Idee? Er musste ihn davon abbringen, koste es, was es wolle. Denn sollte Chester das tatsächlich verbreiten - das wäre Mikes ende. Kalte Panik stieg in ihm auf, ließ ihn immer fuchsiger und angsterfüllter werden.
 

„Lookin' for a way,

Not to be alone”
 

„Du lügst.“, schrie Chester nun selber, Tränen rannen ihm über die Wangen, eine Hand hatte er auf Mikes Hüfte gelegt, die er aus seiner knienden Position noch erreichen konnte. Und dieser Schrei war der ausschlaggebende Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Mike brannten sämtliche Sicherungen durch, seine Hand umfasste die Kehle des Sängers, den er unbedingt zum Schweigen bringen musste. Und mit einem verzweifelten Aufschrei drückte er zu.
 

„NEIN!“
 

„Lookin' for a way,

Not to be alone…”
 

Er bemerkte in seiner Rage nicht, wie sich der Körper des Sängers aufbäumte, wie dieser versuchte, sich aus Mikes Stahlgriff zu winden. Der rasende emcee war zu stark für den eher grazilen Sänger sodass nach einiger Zeit die Gegenwehr erlahmte und schließlich überhaupt keine Reaktion mehr zu spüren war. Und noch immer schrie Mike, drückte zu und wünschte sich nur, das Chester still sein würde. In seinen Ohren wurde aus seinem eigenen Schrei der von Chester, der sich schon längst nicht mehr rührte.
 

„NEINEINEINEIN!“
 

Wann Mike bewusst wurde, das Chester kein Geräusch, keine Bewegung mehr von sich gab, daran konnte er sich im Nachhinein nicht mehr erinnern. Er wusste nur noch, wie ihn ein eiskalter Schrecken und eine Angst, die die vorherige Angst, die ihn zu dieser Aktion getrieben hatte, vielfach überragte, durchfuhr. Sofort suchte er nach Lebenszeichen, schlug den Sänger ins Gesicht, versuchte ihn zu reanimieren, beatmete ihn. Nichts funktionierte. Noch nicht einmal sein verzweifelter Schrei half.
 

„Chester, komm zurück! Das habe ich nicht gewollt. Nein! Komm zurück! Du verdammter Idiot darfst nicht …”, unterbrach er sich schließlich selber, starrte auf die Würgemale am weißen Hals des Sängers und sah ihn die blicklosen Augen.
 

„Nein! Nicht So! Nein, du darfst nicht tot sein! Das habe ich nicht gewollt.“
 

Sein Schreien wurde zu Schluchzen, dicke Tränen kullerten alsbald über Mikes Wangen. Doch er konnte nichts mehr ändern. Das Werk war vollendet. Chester würde schweigen, für immer. Mikes immerfort geschluchztes “Das wollte ich nicht - das wollte ich doch nicht.”, verhallte ungehört im fast leeren Studio.
 


 

„ …to be alone.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Cro-chan
2012-09-25T10:55:30+00:00 25.09.2012 12:55
Das ist echt schön. Wie du die Story geschrieben hast. Die Wörter wie du Chester Bennington beschrieben hast, hat mich zum weinen gebracht. Er ist so süß...und Mike! Du hast ihn echt gut hingekriegt. Er ist wie in meiner Vorstellung (er lag oben, er war der Mann) Hehe...ich finde es echt toll und konnte gar nicht mehr aufhören weiterzulesen. Ich würde mich freuen wenn du noch eine Bennoda-Story veröfentlichen würdest. Gut gemacht :D


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