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Die Geschichte des Shinigami Will

von

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Es war seltsam voll für diese Uhrzeit. Draußen war gerade die Sonne aufgegangen, und der Himmel färbte sich langsam grau. Es sollte wieder ein kalter, bewölkter Tag werden.

Will bahnte sich seinen Weg durch die Massen an Shinigami, bis er in der Cafeteria angekommen war. An der Theke hatte sich bereits eine längere Warteschlange gebildet, und es blieb Will nichts anderes übrig, als sich ganz hinten anzustellen. Er würde wohl eine Viertelstunde warten müssen.

Ziellos ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, und er blieb an einem silbrig schimmernden Augenpaar hängen, das ihn eingehend betrachtete. Chris.

Mit leicht zusammengekniffenen Augen und unter dem Stuhl verschränkten Beinen saß er da und zuckte nicht mit der Wimper, nicht einmal als er Will seinen Blick bemerken sah. Ohne die Augen auch nur eine Sekunde abzuwenden, schob er sich eine Gabel in den Mund, auf die er einige Walnussstücke aufgespießt hatte.

Will blinzelte und wandte sich ab. Er drehte seinen Kopf so zur Seite, dass Chris ihn nicht sehen konnte. Dieser seltsame Mann machte ihn nervös. Was hatte es mit seinen Augen auf sich? Und der fehlenden Brille? Ehe Will sich noch mehr Gedanken machen konnte, riss ihn eine sanfte Stimme aus den Gedanken. „Früh- Frühstück, was?“ Chris stand neben ihm und starrte ihn an, jetzt aber lächelnd. Es war ein seltsames Lächeln, seine Augen blieben völlig starr, nur sein Mund zeigte nach oben.

Er wusste, dass es zeimlich früh war, aber dennoch griff Will nach der kleinen goldenen Uhr in seiner Jackentasche. Sie zeigte kurz vor sieben Uhr an. Jetzt erst bemerkte er, wie müde er eigentlich war, und konnte nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken. Chris‘ Lächeln wurde zu einem Grinsen, als er fortfuhr. „Ich könnte dich ein wenig nach vorne bringen“, flüsterte er verschwörerisch. Ehe Will widersprechen konnte, hatte Chris ihn schon grob am Rücken gefasst. Er schob ihn durch die vielen Leute hindurch, die daraufhin lauthals zu schimpfen begannen. Will versuchte sich aus Chris‘ Griff zu befreien, doch der grub seine Finger nur tiefer in seinen Rücken. Es tat weh.

Nur wenige Sekunden später stand er direkt hinter dem gerade bestellenden Shinigami. Verblüfft drehte er sich nach Chris um – doch dieser saß bereits wieder auf seinem Platz, als hätte er sich kaum gerührt. Als Will ihn etwas verwirrt betrachtete, huschte ein Lächeln über seine dünnen Lippen. Dann schob er sich eine Gabel Walnüsse in den Mund und drehte den Kopf zur Seite.

Als er sich wieder gefangen und sein Frühstück bestellt hatte, setzte Will sich zu Chris.

„Was war das eben?“, fuhr er ihn an.

Chris starrte an die Decke. „Ich habe dir nur geholfen. Aber“, er beugte sich vor und sah Will direkt in die Augen, „ich habe auch ein eigenes Interesse daran. Jetzt habe ich mehr Zeit, um mit dir zu plaudern.“ Er grinste.

„Ich habe Zeit bis heute Mittag“, sagte Will.

„Oh“, sagte er schlicht, lehnte sich wieder zurück und sah, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, aus dem Fenster, „dann bist du jetzt eben ewige Warterei los. Jedenfalls“ – er zog das Wort in die Länge – „finde ich, dass du auch einmal anfangen solltest zu essen.“

Ach ja. Das, weswegen er hierher gekommen war. Will nahm sein Messer in die eine Hand und ein Stück helles Brot in die andere. Die Rinde war hart – das Messer war zu weich, um sie zu zerschneiden.

„Lass mich das machen“, meinte Chris, riss Will das Brot aus der hand und legte es auf die Mitte de Tisches. Er griff an seinen Gürtel und zog etwas heraus – seine Todessense. Aber es war keine gewöhnliche Sense, sondern... ein Schwert. Die zerkratzteKlinge war etwa zwanzig Zentimeter lang, der mahagonihölzerne Griff hatte die Form eines Kreuzes und war mit weißen und schwarzen Edelsteinen besetzt, die matt glänzten. Er holte aus, hielt sein Schwert einen Moment lang in der Luft und grinste Will an, wobei er seine perlmuttfarbenen Zähne entblößte. Dann stieß er das Schwert mit solcher Wucht in das Stück Brot, dass es zerkrümelte und die kleinen Brotstücke durch den ganzen Saal flogen. Alle Shinigami wandten sich zu ihnen um. Chris setzte sich wieder. „Ups“, sagte er, „ich habe wohl etwas zu weit ausgeholt.“

Einen Moment später drehten sich alle Leute zueinander um und spekulierten wie wild. Einige warfen ihnen immer wieder einen verstohlenen Blick zu.

„Sie haben die Abschlussprüfung bestanden?“, fragte Will ernst. Das war die Vorraussetzung um eine eigene Death Scythe zu besitzen. Und außerdem... Waren nicht ausschließlich Gartenwerkzeuge erlaubt?

„Nun ja“, erwiderte Chris und lächelte, „so könnte man es auch nennen.“ Ohne Wills Reaktion abzuwarten, fuhr er fort. „Ich bin erst vor kurzem hierher gezogen. Eigentlich bin ich in Irland geboren und habe bis vor Kurzem dort gelebt.“

„Interessant“, war alles, was Will herausbrachte. Erst, als Chris ihn fragend ansah und den Kopf neigte, antwortete er: „Ich bin hier geboren.“

„Interessant“, ahmte Chris ihn nach. „Nun, was machst du in deiner Freizeit?“

„Ich? Nun...“ Fieberhaft überlegte er, was er in seiner Freizeit machte. Aber er kam nur zu einem Schluss: Er hatte keine Freizeit. Er war eigentlich immer am Arbeiten. Er öffnete den Mund und erwartete, dass ihm etwas Schlagfertiges einfiel, aber alles, was er herausbrachte, war: „Verschiedenes.“

Chris schien ihn sofort durchschaut zu haben, denn er grinste kurz, bevor er wieder ernst fragte: „Bist du schon viel in der Welt herumgekommen? Asien und so?“

Will schüttelte nur den Kopf.

„Und sonst? Hast du andere Interressen?“

Jetzt wurde es ihm zu dumm.

„Ich bin an der Reihe“, sagte er gereizt. „Also, was sind Ihre Lieblingsbeschäftigungen?“

„Nun ja“, erwiderte Chris, „meistens spiele ich Klavier.“

Will nickte. Eine zeitlang schwiegen sie beide, dann fragte er: „Was hat es mit Ihrer Sense auf sich?“

Chris‘ Gesichtsausdruck wurde kalt. „Was soll schon damit sein“, meinte er gleichgültig.

„Es sind nur Gartenwerkzeuge erlaubt“, tadelte Will.

„Ach“, machte Chris und lachte auf, „wer kümmert sich denn schon um solche Regeln?“ Als er Wills Miene bemerkte,hörte er auf zu lachen und fügte hinzu: „Oh, tut mir Leid. Ich wusste nicht, dass du zu dieser Sorte Mensch gehörst, die das Gesetz so streng befolgen.“

„Jedes Gesetz hat seinen Grund, Corner“, sagte Will kopfschüttelnd. Er stand auf, um sich ein neues Stück Brot zu holen. Dieser Chris war wirklich seltsam. Er hatte weder Shinigami-Augen noch eine Brille noch ein geprüftes Werkzeug. Er musste etwas vor ihm verbergen. Hatte es mit seinem Wesen zu tun... oder hatte er vielleicht schwarze Geschäfte am Laufen?

Als er mit einer Semmel zu seinem Tisch zurückkam, war Chris verschwunden. Alles, was von seiner vergangenen Anwesenheit zeugte, war ein seltsames Gefühl, als hätte sich ein Nebel über den Tisch gelegt.

Ein düsterer, tödlicher Nebel.



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