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The bad riding hood

Wolf im Schafspelz
von

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Disclaimer: Gebrüder Grimms Rotkäppchen und Wolf

Idee: Meins :D
 

Für: Wettbewerb
 


 

Diese Geschichte beginnt nicht wie alle anderen mit einem: „Es war einmal…“.
 

So schreiben wir das Jahr 1835. In einer kleinen Bergregion am Rande der Tschechoslowakei, Tachov.
 

Der Morgen nach dem großen Unwetter. Kahles, nacktes Geäst auf weiter Flur verteilt. Hatte somit einen Großteil vieler Wege unpassierbar werden lassen.

An diesem Morgen, es war leicht nebelig und immer noch lagen die Temperaturen um den Gefrierpunkt, sah man nicht viele Einwohner Tachovs in den höher gelegenen Wäldern.

Etwas das Menschen mit Geheimnissen sehr gelegen erschien.
 

So ergab es sich, dass an jenem Morgen ein Mädchen mit braunen Haaren und von kleiner Statur rastlos durch den Wald strich. Ihre Bewegungen waren weder hektisch noch zeugten sie von dem Wissen drohender Gefahr.

Sie, ihr Name war Hanna, war eine Bewohnerin des Dorfes Tachov und ihr Vater, der Vorsitzende im Dorfältestenrat.

Ihre Mutter tot. Eine Schwester. Ebenfalls erst kürzlich verschieden.

Hanna selbst, ruhig und ein unscheinbares Kind im zarten Alter von 16. Sie konnte keiner Fliege etwas zu Leide tun.
 

Dieser Ausspruch war ihr ebenfalls vor einigen Augenblicken durch den Kopf gegangen und sie musste unwillkürlich dabei grinsen. Dann hob sie wieder ihre Schaufel und bedeckte auch den letzten Teil des toten Leichnams ihrer Schwester mit nasser Erde.

Direkt daneben, das Grab ihrer Mutter.
 

Die Dorfbewohner hatten nie die Überreste gefunden. Nach einiger Zeit war man von etwas ganz anderem ausgegangen.

Der Wolf musste die beiden getötet und gefressen haben. Der Wolf, der ihr Leben im Dorf bedrohte.

Der Wolf, den es in Wirklichkeit nicht gab.
 

Hanna kicherte leise. Sie konnte den Anblick ihrer weinenden Schwester einfach nicht vergessen. Zu süß war diese Erinnerung. Sie hatte gefleht und gebettelt nach Vergebung.

Hanna biss sich auf ihre Unterlippe, welcher vor Erregung leicht zu zittern begonnen hatte. Sie liebte es daran zurückzudenken, wie sie ihre Mutter langsam und qualvoll erwürgt und ihre Schwester fein säuberlich aufgeschnitten hatte. Das Blut war so süß und warm gewesen.

Ein weiterer Schauer freudiger Erregung kroch ihr den Rücken herunter.

Sie hatte noch nie etwas so erfüllendes getan.
 

Während sie die frisch umgegrabene Stelle fein säuberlich mit altem Holz und Laub bedeckte, dachte sie daran, wie der kommende Winter alles unter sich begraben würde und empfand einen leichten Hauch von Kummer.
 

Dann, das Geräusch eines brechenden Astes, ließ sie augenblicklich all ihre Trauer vergessen. Vorsichtig sah sie sich um, duckte sich ein wenig und dann sah sie ihn.
 

Den Wolf.
 

Zwischen zwei Bäumen, hinter einem kniehohen Gestrüpp stand er und betrachtete sie von weitem.

Argwöhnisch und abwartend.
 

Sie hatte ihn nicht zum ersten Mal gesehen. Er hatte sie dabei beobachtet wie sie ihre Mutter erdrosselte. Er schien sie dennoch nie anzugreifen oder zu fliehen. Immer stand er nur regungslos da und betrachtete sie. So lange bis ihre Arbeit verrichtet war.

Sie wusste, er konnte schon länger dort stehen und sie beobachten. Er hätte sie sogar verfolgen können.

Vielleicht hatte er es auf ein Stück ihrer Beute abgesehen. Sie drehte sich zu ihm.
 

„Hier gibt es nichts mehr für dich zu holen.“
 

Ihr Blick fixierte ihn und vorsichtig trat sie einen Schritt zurück und umschloss den Griff ihrer Schaufel fester. Sie hatte keine Angst vor ihm. So etwas wie er konnte ihr nicht gefährlich werden und dennoch bekam sie eine Gänsehaut.

Seine Augen mit denen er sie ohne zu blinzeln anstarrte, hatten etwas seltsam und schaurig schönes zu gleich. Es waren nicht die Augen eines Wolfes. Sie sahen eher aus wie die Augen eines Menschen.
 

„Ich gehe jetzt und du wirst mir nicht folgen.“
 

Sie hob die Schaufel auf Hüfthöhe und griff mit der anderen Hand nach. Beidhändig, eine Drohgebärde, sollte er es wagen etwas zu versuchen.
 

Sie grinste, als er einen Schritt zurück trat.
 

„Komm zum nächsten Vollmond wieder her, dann bekommst du etwas von meiner Beute ab.“
 

Dann war er verschwunden.
 

~*~*~*~
 

Es war einfach schrecklich. Sie verstand nicht wieso alle Dorfbewohner ihr Mitleid zusprechen mussten. Sie war glücklich ohne die beiden. Alle fassten sie an und sprachen ihr Beileid aus. Sie musste an sich halten nicht zu erbrechen.

Von diesen Menschen wurde ihr schlecht. Auch ihr Vater war kein Deut besser. Ständig wollte er mit ihr darüber reden. Über den Wolf oder auch den Werwolf. Dieses ganze Gerede über Flüche, mordende Wölfe und ihre fehlende Trauer machten die Sachen nicht einfacher.

Sie wollte den Tod genießen. Die Erregung spüren und nicht in ein tiefes Loch voller Depressionen gezogen werden. Sie trug nun schon den schönen roten Mantel ihrer Mutter. In den Augen der Dorfbewohner ein Zeichen der Trauer, in ihren ein Zeichen des Sieges. Sie hatte ihre Mutter schon immer gehasst, ihre Schwester nicht weniger. Es gab einmal einen Grund wieso dieser Hass dazu führte, dass die beiden nun kalt unter nasser Erde verrotteten. Doch an den erinnerte sie sich ungern.
 

An diesem Abend ging ihr der Wolf nicht mehr aus dem Kopf. Wie er sie angesehen hatte. Ob sie ihn wohl auch töten konnte?

Sie saß auf dem Ast einer alten Linde am Rande des Dorfes. Die Sonne war gerade untergegangen und über den Feldern stieg nasser Dampf auf und zog wie Nebel seine Schlieren in den Himmel. Der Winter kam bald und er versprach hart zu werden.
 

„Hanna.“
 

Sie zuckte zusammen. Jemand hatte ihren Namen gerufen. Jemand der unter dem Baum stand und zu ihr hinauf blickte. Es war ein Junge aus dem Dorf. Etwas älter als sie selbst. Sie hatte ihn nicht kommen sehen und sah dann belanglos zu ihm herab. Sein Name war Raik.
 

„Kommst du zu mir herab?“
 

Sie schüttelte den Kopf und blickte wieder auf die dunklen Felder und den Wald. Einige Minuten verstrichen, dann ging ein Zittern durch den Baum und Raik saß auf dem Ast unter ihr. Er blickte immer noch zu ihr hoch und sie versuchte weiterhin nicht zu ihm herab zu blicken. Früher hatte sie ihn gemocht. Sie waren einmal so etwas wie Freunde gewesen. Auch wenn immer ein bisschen mehr dahinter steckte.

Er hatte ihre Schwester zur Frau bekommen. Sie hatte ihre eigene Schwester getötet. Trotzdem waren sie nicht quitt. Er hatte nichts unternommen. Hatte die arrangierte Ehe hingenommen. Ein Verlust in ihren Augen. Er hatte seine Chancen bei ihr vertan.

Auch wenn es schmerzte.
 

Und es schmerzte auch in diesem Augenblick als er wieder von der Linde hinabkletterte und im Dorf verschwand.

Sie wünschte sich in diesem Moment, sie hätte etwas zu ihm sagen oder ihn ansehen können. Doch sie hatte weder das eine noch das andere getan.

Sie versuchte an schönere Dinge zu denken und strich über den weichen Stoff ihres roten Mantels.

Irgendwann würde diese Farbe ihr zum Verhängnis werden und das wusste sie.
 

~*~*~*~
 

Aufruhr herrschte im Dorf noch bevor die ersten Strahlen der Sonne richtig hinter den Bergen zum Vorschein kamen.

Hanna wurde geweckt von lautem Gepolter und Geschrei. Sie ahnte schlimmes.

Auf einmal wurde die Tür so stark in die Angeln geworfen, dass sie Holz splittern hörte und ihr Vater stand aufgeregt auf der Schwelle.

Seine Worte hallten immer noch in ihrem Kopf. Sie wiederholten sich und wiederholten sich immer und immer wieder. Ihr war zum Erbrechen zu mute.
 

Sie zog sich an und ging ihm nach, doch immer wieder verloren ihre Gedanken den Halt. Glitten ab und hallten neu nach. Sie konnte sich nicht konzentrieren oder antworten auf die Dinge, die er zu ihr sagte. Dann standen sie auf einmal mitten im Dorf. Sie war ihm gefolgt ohne darüber nachzudenken, wo sie hingegangen waren und erst jetzt realisierte sie erst was wirklich vorgefallen war.
 

Man hatte die Leiche ihrer Mutter gefunden.
 

Hanna glaubte jegliches Blut würde aus ihrem Gesicht weichen. Kreidebleich musste sie aussehen. Sie fing an zu zittern. Ihr Vater griff nach ihrer Hand und führt sie zu der Holzkiste, in der der Leichnam lag.

In diesem Moment wünschte sie sich wieder in den Wald zurück. Zurück zu dem Wolf, der sie ansprang und zerfleischte bevor sie ihre Mutter erdrosseln konnte.

Dann öffnete sie die Augen und hätte beinahe angefangen zu lachen. Das war nicht der Körper den sie hinterlassen hatte. Dieser, unverkennbar es war ihre Mutter, war total zerfleischt und voller Spuren eines Tierangriffes.
 

Sie fing wieder an zu zittern. Sie konnte nichts dagegen machen. Ihr Körper zitterte wie Espenlaub. Ihr Vater ließ ihre Hand los und auf einmal waren da zwei starke Arme die sie umarmten. Sie erkannte diesen Geruch und die Farbe seiner Haut, die Form seiner Hände. Raik stand hinter ihr und drückte sie an sich.

Seine Lippen an ihrem Ohr hielten sie allerdings davon ab sich aus der Umarmung herauszuwinden.
 

„Du solltest dich bei mir bedanken.“
 

Sie versteifte sich. Auf einmal war in ihrem Kopf kein Chaos mehr sondern nur noch beunruhigende Stille und ein klarer Gedanke. Er wusste es. Es gab keine andere Möglichkeit. Es musste so sein. Er musste ihr gefolgt sein und jetzt wollte er sicherlich dass sie ihm verzieh, weil er jeglichen Verdacht von ihr abgelenkt hatte.

Sie drehte sich in seiner Umarmung zu ihm herum. Sie sah ihm lange in die Augen und zwang ihn dann sie loszulassen.
 

„Bedanken, wofür?“
 

Sie schluckte hart, denn sein Blick hatte sich verändert. Seine Augen blitzten wütend. Es sah so aus als würde er sie jeden Augenblick packen und zerreißen. Diese Vorstellung raubte ihr für einen Moment die Sinne. Seine folgenden Worte drangen nur zur Hälfte zu ihr durch.
 

„… wieder sehen.“
 

Sie zuckte zusammen und ihr Sichtfeld klärte sich erst wieder als er schon hinter ihr war und mit schnellen Schritten davon ging.
 

~*~*~*~
 

An jenem späteren Tag ging sie das Risiko ein, entdeckt zu werden. Sie schlich sich aus dem Dorf. Sie musste wissen, ob die Leiche ihrer Schwester noch unentdeckt war. Das Raik wusste, dass sie es war, zumindest vermutete sie das, konnte sie in ernste Schwierigkeiten bringen. Sie musste das Versteck besser sichern. Alle Spuren verwischen.

Ihren roten Mantel hatte sie dennoch nicht ablegen können.
 

Es war ruhig im Wald. Kaum ein Tier war zu hören. Ab und an knackte es leise und das Knistern des Windes im Geäst der Bäume war zu hören. Leichtes Rauschen kündigte vom nahenden Schnee.
 

Sie versuchte so wenig wie möglich an Spuren zu hinterlassen. Es war schon später Nachmittag und es war selbst für sie schwer, den Weg wieder zu finden.

Doch dann fand sie die Stelle und alles sah noch genauso aus wie sie es verlassen hatte. Bis auf das Loch, in dem sie ihre Mutter begraben hatte. Sie hatte sich unnötige Sorgen gemacht. Raik war ein Narr. Er hatte sie nicht gefunden. Tiere hatten ihre Mutter gefunden. Das nächste Mal würde sie einfach tiefer graben.
 

Ein Knurren ließ ihr das Blut in den Andern gefrieren. Tief atmete sie ein und aus und drehte sich dann erst langsam herum.

Da stand er. Sie erkannte ihn sofort. Das Muster seines Fells, die Körperform und die bedrohlich funkelnden Augen.

Sie wurde unruhig als er Anstalten machte näher zu kommen und es auch tatsächlich tat.
 

„Du bist zu früh.“
 

Sie versuchte die Fassung zu wahren. Tiere witterten Angst.
 

„Ich kenne deine Worte.“
 

Er kam näher. Knurrte und ließ sie nicht aus den Augen. Sie atmete schneller. Ihr Herz raste und sie versuchte einen klaren Kopf zu behalten doch soeben hatte der Wolf mit ihr gesprochen!
 

„Eine Flucht ist zwecklos.“
 

Sie starrte ihn immer noch an. Ihre Knie zitterten unaufhörlich. War dass das Wesen vor dem das Dorf solche Angst hatte?

War das der Werwolf? Und hatte er sie die ganze Zeit beobachtet? Was noch viel Schlimmer war, war der Gedanke daran, dass der Wolf einer der Dorfbewohner sein könnte. So hatte sie die Geschichten verstanden. Der Werwolf war ein Mensch der sich in einen Wolf verwandeln konnte. Wölfe konnten normalerweise nicht sprechen.

Außerdem gab es weit und breit kein anderes Dorf.
 

Dann stand er plötzlich vor ihr und sie ließ sich zitternd auf die Knie herab sinken. Ihre Gesichter waren sich so nah, dass sie wirklich glaubte Menschenaugen zu sehen.

Seine Nase strich an ihrer Wange entlang. Sie war nass, kalt und jagte ihr einen eisigen Schauer den Rücken herab.

Sie versuchte sich zusammenzureißen um dennoch fliehen zu können. Sie konnte ihn gewiss abhängen und sich ins Dorf retten doch seine blitzenden und spitzen Zähne ließen ihre Gedanken zerspringen wie Glas.

Er zog sie an. Sie war nicht fähig sich zu rühren. Sie wartete ab. Jede seiner Bewegungen musste sie sehen, konnte sich nicht entziehen.
 

Dann auf einmal, saß Raik vor ihr und der ganze Zauber war wie weggeblasen. Sie blinzelte und ihre Sicht klärte sich.
 

„Hanna.“
 

Er umgriff ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.
 

„Ich will dich...“
 

Sie war wie gelähmt. Diesmal von seinen Worten. Die Gefühle, die sie so stark zu verdrängen versucht hatte, kamen wieder in ihr hoch als er seine Lippen auf ihre legte.

Sie hatten sich in all den Jahren nie geküsst und nun das erste Mal hier auf kaltem Erdreich neben dem Grab ihrer ermordeten Schwester.
 

Er war der Wolf und sie trug den roten Mantel.
 

Der Kuss dauerte nicht lang an. Ihre Lippen zitterten und als sie die Augen aufschlug, nicht in der Lage sich zu erinnern, sie geschlossen zu haben, war weder von dem Wolf noch von Raik eine Spur.
 

~*~*~*~
 

Das Dorf war in hellem Aufruhr. Immer noch oder schon wieder, das war ihr egal. Sie rotteten sich zusammen und versuchten einen Plan zu schmieden. Sie wollten den Wolf töten. Vollmond in drei Tagen sollte es sein.
 

Dann sollte er fallen, die Bestie, die ihre Mutter getötete hatte.
 

Sie schallte sich innerlich. Sie musste aufhören zu kichern, wenn sie daran dachte. Nicht das sie doch noch verdächtigt wurde. Sie konnte nicht riskieren, dass diese Idioten etwas von ihren Plänen erfuhren. Sie wollte ebenfalls in der nächsten Vollmondnacht jemanden besuchen. Ihre Großmutter. Etwas Wein und Kuchen wollte sie ihr bringen. Das war Brauch nach dem Tod eines geliebten Menschen. Doch wer brachte ihr Wein und Kuchen, wenn sie ihre Großmutter getötet hatte?

Niemand dachte daran, dass sie auch schrecklich litt. Sie litt weil diese Frau noch am Leben war aber ihr Kuchen und Wein zu bringen, daran gedachte niemand.
 

Ihr Vater hatte ihr aufgetragen, nun wo sie die einzige Frau der Familie war, die noch in diesem Dorf lebte, Wasser zu holen.

Sie hasste ihn nicht. Er war der einzige, den sie wirklich liebte. Er war immer für sie da gewesen. Als sie als Flüchtlinge in dieses Dorf kamen, wusste Niemand wieso sie wirklich geflohen waren und es durfte auch keiner wissen. Damals kamen sie nur zu zweit. Ihre jetzt tote Mutter und Großmutter sowie Schwester, das war eine Geschichte die erst in diesem Dorf begann erzählt zu werden. Davor waren sie nur Vater und Tochter.
 

Sie wusste, dass er hier war noch bevor sie sein Gesicht sah. Sie hatte den zweiten Holzeimer aus dem Brunnen gezogen da legte er seine Arme um ihren Körper. Sie fröstelte es bei seiner bloßen Berührung.
 

„Komm mit mir.“
 

Sie schüttelte den Kopf. Niemand hatte ihr vorzuschreiben, was sie tun sollte.
 

„Sie werden dich finden … und töten“
 

Sie drehte sich ruckartig herum und ihre Augen sprühten nur so vor Zorn.
 

„Sie werden bloß dich finden!“
 

Sie wollte gehen. Ihr Herz schmerzte unangenehm. Ein Blick in seine Augen war mehr als sie ertragen konnte. Dennoch verzehrte sich alles in ihr danach, sich nicht von ihm loszureißen.
 

„Du glaubst wirklich, dass du damit durchkommst?“
 

Er betrachtete sie lange und sie fühlte sich dabei sehr unbehaglich. Er war der Wolf und er wusste, was sie getan hatte. Sie musste es tun. Für sich, für ihn und für alle anderen.
 

Dann riss sie sich los und griff nach den zwei Holzeimern.
 

„Ich gehe dennoch.“
 

„Ich weiß…“
 

Sie war schon zu weit weg um diese Worte hätte verstehen zu können. Vielleicht hatte sie sie auch einfach nicht hören wollen. Sie konnte keinen Rückzieher mehr machen. Weder für den, den sie liebte noch für sich selbst. Sie hoffte er würde es verstehen. Es musste einfach geschehen. Für das Wohl aller.
 

~*~*~*~
 

Es hatte geschneit. Am Morgen des Tages an dem der Vollmond wieder sein Gesicht zeigte. Heute war es soweit.

Sie hatte sich von ihrem Vater verabschiedet. Er wusste nur, dass sie Großmutter besuchen wollte. Er sagte ihr sie solle vorsichtig sein. Sie nickte nur.
 

Nie war ein Abschied länger gewesen als dieser und irgendwie kam in ihr ein Gefühl auf, dass sie bis dahin nicht zu kennen gewagt hatte. Sie hatte Angst.

Eine Art dunkle Vorahnung schlich sich in ihren Verstand.
 

Raik war seit ihrer letzten Begegnung nicht wieder aufgetaucht. Sie hatte ihn gesucht, heimlich mit ihren Augen Ausschau nach ihm gehalten. So heimlich, dass sie sich selbst nie daran erinnern würde, es bewusst getan zu haben. Dieser Mann hatte ihr nicht nur einmal das Herz gestohlen.
 

Der Weg zu Großmutters Haus war nicht sonderlich weit doch schwer zugänglich. Der frisch gefallene Schnee ließ den unruhigen Untergrund verschwinden und machte das Gehen beschwerlicher.

Hanna musste aufpassen, sich nicht zu verletzen. Sie brauchte all ihre Kraft und Aufmerksamkeit für den finalen Akt.

Ihre Hände zitterten schon vor lauter Aufregung. Heute wäre es das letzte Mal. Heute würde sie es mehr genießen als je zuvor.
 

Sie klopfte an die alte Holztür. Nur wenige Augenblicke später sah sie in das erfreute Gesicht ihrer Großmutter.
 

„Willkommen“
 

„Ich habe dir Kuchen und Wein mitgebracht.“
 

Sie ließ Hanna passieren. In dem kleinen Haus brannte das Feuer im Kamin groß und warm und warf unruhige Schatten an die Wände.

Suppe dampfte in einem Topf darüber.
 

„Iss und trink doch liebe Großmutter.“
 

Sie setzen sich gegenüber. Der alte Schemel knarrte leise unter Hannas Gewicht.

Sie hatte die Hände ineinander gefaltet und betrachtete den Wein, der langsam in den Becher floss. Auch das Stück Kuchen, welches sie nun in der Hand hielt konnte ihren Blick nicht von dem Becher ablenken. Ihre Großmutter nickte ihr leicht zu und führte den Becher an die Lippen. Hanna erzitterte leicht. Sie durfte sich nichts anmerken lassen.

Ihre Großmutter nahm einen Schluck.
 

Hundegebell ertönte von draußen.
 

Hanna sprang auf. Ihre Großmutter fing an zu husten und zu spucken. Nein, das konnte nicht sein. Sie musste den Wein ganz trinken!
 

Das Hundegebell wurde immer lauter.
 

Hanna packte den Schemel und schlug zu. Mit einem dumpfen Schlag ging ihre Großmutter zu Boden. Hanna atmete schneller. Zu viel Adrenalin floss durch ihre Adern.

Ihre Sicht verklärte sich. Sie riss sich ihren Mantel von den Schultern und griff nach einem alten Schafsfell, welches auf dem Bett lag.
 

Ein Keuchen und Stöhnen erklang hinter hier. Sie hatte nicht fest genug zugeschlagen. Sie sah sich um und griff nach dem Kuchenmesser.
 

Ihre Hände zitterten. Sie hob das Messer an.
 

„Hanna, wieso hast …du so große Augen?“
 

Ihre Großmutter war zu schwach sich aufzurichten. Sie sah geschockt zu ihr herauf. Hanna beugte sich ein Stück zu ihr herab.
 

„Damit ich dich besser sehen kann….“
 

Sie hob das Messer noch ein Stück mehr an und beleckte ihre Lippen.
 

„Warum hast du so ….spitze Zähne?“
 

Hanna riss den Kopf in den Nacken und stieß einen gellenden Schrei aus, der immer mehr zu einem hysterischen Lachen wurde.
 

„Damit ich dich besser fressen kann!“
 

Dann stieß sie zu.
 

Immer und immer wieder und wieder.
 

Das Blut spritzte in ihre Augen, auf ihr Kleid und in ihre Haare. Doch das alles kümmerte sie nicht. Sie stach immer weiter auf sie ein.
 

Immer und immer wieder.
 

Bis die Stimme, das Betteln, das Keuchen und die Schreie ihrer Großmutter zu einem jämmerlichen Wimmern wurden und dann erstarben.
 

Dann knallte die Tür hinter ihr aus den Angeln. Sie war so benebelt, dass sie es kaum bemerkte. Sie hörte auf mit dem Messer auf sie einzustechen. Langsam führte sie die Klinge an ihr Gesicht. Das Blut war noch warm. Mit geschlossenen Augen drückte sie die flache Seite der Klinge an ihre Lippen. Schmeckte das Blut.

In ihr war nichts mehr. Vollkommene Ruhe und Wärme erfüllte ihren Körper.

Das Gebell der Hunde wurde immer lauter.
 

Erst als sie sich herum drehte und ihren Vater und einige Männer aus dem Dorf sah, zerfiel der schöne Moment.

Das Kuchenmesser landete mit einem leisen Schneppern am Boden.
 

Sie hörte Stimmen. Viele aufgeregte und wütende Stimmen. Sie konnte nicht mehr klar denken. Die Worte nicht zu ordnen.
 

Das war es. Die dunkle Vorahnung.

Seine Worte und ihre Worte.
 

Raik.
 

Er stand hinter ihrem Vater.
 

Seine Augen leuchteten wie die eines Wolfes.
 

Er hatte sie hier her geführt. Er hatte sie verraten.
 

Sie musste unwillkürlich lächeln. Sie hatte es ihm anhängen wollen und nun hatte er den Spieß einfach herum gedreht.
 

Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen.
 

Dann, ein lauter Knall.
 

Sie spürte wie das Leben aus ihr heraus floss. Es war rot, so rot wie ihr Mantel. Sie sah an sich herab und sah Raik wie er auf sie zu rannte.
 

Sie sah wie er ihre Hand nahm. Sie sah ihn reden. Worte die nicht mehr zu ihr durchdrangen.

Dann schloss sie ihre Augen und fiel zurück.
 

Umhüllt vom Schafspelz, ewig schlafend in ihrem eigenen Blut.
 

~Ende~



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2013-01-06T10:43:48+00:00 06.01.2013 11:43
... Wow!!!
Als ich den Wettbewerb aufgesetzt habe, habe ich nicht an eine solche Story gedacht. Hut ab! Ein sehr gelungener Krimi.
Mir lief ein Schauer über den Rücken!

Danke für die Einsendung!


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