Der Grund, wieso wir sie gefangen halten.
Ich wachte mit der bulligen Sommerhitze auf, musste husten und stand notgedrungen auf, um schnell zu einer Flasche Wasser zu greifen. Die ersten Schlucke waren ganz und gar nicht so erfrischend, wie ich gehofft hatte, denn das Wasser hatte sich in den ersten Morgenstunden schon erheblich erhitzt, sodass ich es lauwarm trinken musste.
Zu allem Übel schüttete ich mir aus diesem Grund auch noch ein wenig Wasser über die Kleidung – was aber auch wenig ausmachte, denn mein Körper war auch so schon vom Schweiß feucht geworden.
Ich konnte mich nicht daran erinnern, damals so geschwitzt zu haben und das, bevor ich mich überhaupt körperlich betätigen konnte...!
Mit einem kurzen Griff hatte ich mein T-Shirt entfernt und wollte mich in meinen kurzen Hosen wieder auf die lieblose und kratzige Heumatratze legen, als ich einen Blick zum zugeklebten Fenster warf. Ein rundes, rotes und freundliches Gesicht blickte durch, als würde es mich seit einigen Minuten schon beobachten.
„Guten Tag!“, grunzte eine dunkle Stimme mit gewaltigem, kehligen Ton und übertraf damit jede mögliche Vorstellung der Stimme, wenn man rein vom Aussehen ging, „Ich hab mir doch gedacht, dass sie in den nächsten Tagen kommen..!“
Keine Ahnung, wer das war und wovon er redete, aber er sollte doch bitte draußen warten, bis ich wenigstens angezogen und geduscht sei.
„Verstehe..“, der ältere Herr räusperte sich, „Ich warte dann draußen.“ und mit einem Ruck zog er seinen Kopf zurück, woraufhin die sorgfältig angebrachte Decke vorm Fenster zurückfiel und schließlich runterkrachte. Ich sah dem überraschten Mann ins dicke Gesicht und seufzte. Beim darauf folgenden Einatmen reizte die dicke Luft schon wieder meine Atemwege und ich war für ein paar Sekunden zu, dass durch das 'offenen' Fenster nun ein wenig Luft reinzog. Allerdings war auch diese nicht gerade kühler.
Die Suche nach fließendem Wasser war mühsam, denn aus der uralten Dusche kam kein Tropfen mehr. Als ich in dem Haus schließlich einen Wasseranschluss entdeckte (wozu auch immer dieser innerhalb des Hauses gut sein sollte) beugte ich mich glücklich mit dem Kopf darunter um einen erneuten warm-Wasser-Schock zu bekommen. Auch hier musste die Sonne schon ordentlich geheizt haben, bevor ich dazu fähig gewesen war aufzustehen und ich beließ es bei den dampfenden Tropfen, die mir auf den Kopf gefallen waren. Mürrisch und nur mit einer Jeans bekleidet stolperte ich also nach draußen und traf den wartenden Mann wieder. Am Kopf kratzend und mit zu schlitzen verkleinerten, verschlafenen Augen blickte ich ihn an. Kurz fuhr ich über mein Kinn und merkte, dass der Bart anfing zu sprießen.
„Ja?“, fragte ich nun.
„Matthias..! ..Das sind Sie doch?“, fragte der Bürgermeister vorsichtig und langsam hatte ich das Gefühl, ihn irgendwie schonmal gesehen zu haben.
Ich nickte und sah ihn verwirrt an, doch bevor ich Fragen stellen konnte, redete er erhitzt schon weiter.
„Lassen Sie uns schnell in den Schatten.“, er legte eine Hand an meinen Arm und schob mich an ein geeignetes Plätzchen. Ich ließ mich kraft- und willenlos führen.
„Zunächst mein herzliches Beileid! Die Nachricht vom Tod ihres werten Großvaters hat uns alle zutiefst betroffen!“, er machte auch ein sehr betroffenes Gesicht, eben deswegen konnte ich zumindest seine Betroffenheit nicht für voll nehmen.
„Er war schon ein lieber, anständiger Mann...hat sich nett um den Hof gekümmert...naja, im Alter dann eher nicht mehr, aber er war ja auch nicht mehr ganz so fit..hat dafür immer geholfen, wenn irgendwelche Geräte im Dorf kaputt gingen. War der Einzige mit Erfahrung für die Maschinen..“
Der gute Mann schien noch länger in Erinnerungen zu schwelgen und Dinge aufzuzählen, die mein Großvater wohl getan haben musste. Ich konnte mir aber nun wirklich nicht alles merken und fing nach einer Weile auch an, andere Dinge mir durch den Kopf gehen zu lassen, bis er es schaffte, wieder meine Aufmerksamkeit zu bekommen.
„...und deswegen müssen Sie die Farm wieder herrichten..!“
Stopp. Wie bitte, was?
„Nunja, wir wollen ihnen natürlich keine Schwierigkeiten machen..“
„Reden Sie weiter.“, forderte ich. Keine Schwierigkeiten klangen nämlich gut.
„Allerdings gibt es Probleme, wenn sie das Grundstück verkaufen.“
„Wo soll es da Probleme geben?“, fragte ich und zuckte mit den Achseln, „Irgendwer kriegt das Grundstück, wir kriegen das Geld, alle sind glücklich.“, erklärte ich.
„Aber wie ich schon sagte, sie werden bei diesem Zustand keinen Käufer finden..höchstens eine große Firma, die hier alles plattmacht und dann ein riesiges Einkaufscenter baut!!“ Der Bürgermeister wurde am Ende seines Satzes laut und holte sich ein Taschentuch aus der Hosentasche, um sich den Schweiß von der Stirn zu tupfen.
„Ein Einkaufscenter hier? Klingt grandios. Sie müssen nie mehr den weiten Weg nach Mineraltown machen, um etwas Bestimmtes zu besorgen.“
„Aber wir machen gerne den Weg nach Mineral Town!“, er schimpfte laut und eine Ader an seinem Hals pulsierte heftig. Ich sah ja ein, dass man hier lieber unzivilisiert und wie die Affen lebte, aber das war ja wohl kaum mein Problem. Dachte ich zumindest.
„Wenn der Dorfrat einstimmig ablehnt, werden sie das Grundstück nicht los.“, er lächelte, trotz seines erröteten Gesichts, denn er hatte soeben sein Ass aus dem Ärmel gezogen. Ich wurde hellhörig.
„Blödsinn, wer soll uns daran hindern, zu verkaufen?“, ich pfiff eindruckslos durch die Zähne, doch innerlich befürchtete ich das Schlimmste.
„Wir.“, erwiderte der alte Sack breit grinsend und ich wollte ihm mit seiner Spitzhacke eins überziehen.
„Und wie lange sollte das dauern, bis ich verkaufen kann?“
„Nunja.“, sprach er gedehnt und genoss es sichtlich, die Überhand zu haben, „1-2 Monate dürften reichen.“
Ich atmete geräuschvoll aus. 1-2 Monate. So lange konnte ich wohl Urlaub machen. Ich ahnte so langsam, dass meine Mutter wusste, worauf der Besuch hinaus lief, aber sicher sein konnte ich nicht.
Eins war nur klar: Ich konnte nun kaum ablehnen. Das Grundstück würde vergammeln und uns einen Haufen kosten – wenn wir verkaufen würden, gäbe es zumindest die Möglichkeit mir noch ein bisschen was zu finanzieren...
„Ich kenne mich mit Farmarbeit nicht aus.“, warf ich einen letzten Anker in Richtung Festland.
„Kein Problem. Ich zeige ihnen alles. Und der Rest des Dorfes ist natürlich immer dazu bereit, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.“
Wir gingen zusammen über den Acker, wobei ich mich ungefähr in Zeitlupengeschwindigkeit fortbwegte, während der beleibte Mann neben mir schwitzte und keuchte.
Geräte, die halb verschimmelt in irgendwelchen Schuppen rumstanden, Futtersilos, Zäune, die gerichtet werden mussten, Quellen, mit welchen ich bewässern konnte. Es war halb vier, bis er mir alles gezeigt zu haben schien und endlich verschwand. Völlig fertig und mit einem Hitzeschlag saß ich gegen einen alten Baum gelehnt im Schatten, um mich auszuruhen. Mein Kopf glühte und ich war nicht weit davon entfernt, sogleich das Bewusstsein zu verlieren, als mir ein Eimer Wasser über den Kopf geschüttet wurde – woraufhin ein helles Lachen erklang.