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Replika - Preis der Wahrheit

Feder & Stift - Rundumwichteln für AgentAya
von

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Wer einen Blick auf die Geschicke der meinen und auch auf mein eigenes Leben wirft, bevor eine Kette von Ereignissen, die niemals hätten sein dürfen, es in schier undenkbare Bahnen lenkte, der wird gewiss vieles in Frage stellen. Zumindest mir ging es so, sobald ich gesehen hatte, was sich jenseits dessen befand, das wir für die Welt hielten.

Warum wir zuließen, dass all das geschah. Warum uns all die Unstimmigkeiten nicht auffielen, die im Nachhinein betrachtet offensichtlich waren. Wir waren so viele. Warum also ließen wir zu, dass jene Dinge geschahen, von denen niemand sprach? Die Antwort ist einfach und bietet doch keine Entschuldigung. Wir wussten es nicht besser.

Keiner von uns hatte je gelernt, dass es eine Alternative zu dem Leben gab, das wir führten. Wir wussten nicht, dass Kinder bei ihren Eltern aufwuchsen, im Kreis der Familie, weil keiner von uns Eltern hatte. Wir wären nie auf den Gedanken gekommen, dass wir anders hätten aufwachsen können, als in den großen Häusern mit ihren weitläufigen Grundstücken, fern vom Rest unserer Welt.

Wir wurden nicht misstrauisch, weil niemand uns das Gefühl gab, dass etwas fehlte. Wir vermissten die Freiheit nicht, von deren wahrer Bedeutung wir nichts wussten, weil es so gut wie keine Tabus zu geben schien.

Da waren Bücher und Filme, gewiss, doch das waren nur Relikte aus einer vergangenen Zeit, als die Dinge noch anders lagen. Die Betreuer waren freundlich und sie beantworteten all unsere Fragen so überzeugend, dass niemand je auf den Gedanken gekommen wäre, sie könnten lügen. Sie mussten keine Angst davor haben, dass jemand die falschen Fragen stellte, weil es auf jede Frage eine Antwort zu geben schien und weil sie keinen Grund hatten, Angst vor uns zu haben.

Menschen sind in ihren Gewohnheiten fixiert und nicht anders war es für uns. Unser Leben lang daran gewöhnt, folgten wir dem straff geplanten Tageslauf, der es in seiner Eintönigkeit schwer machte, den Fluss der Zeit zu verfolgen. Wir lernten, übernahmen später verschiedene leichte Tätigkeiten, die der Gesellschaft Nutzen brachten, ohne uns selbst nur der geringsten Gefahr auszusetzen. Denn nichts war ihnen wichtiger als unsere Gesundheit.

Es mochte kaum noch schwerwiegende Krankheiten geben, weil die Notwendigkeit des Überlebens zu zahlreichen medizinischen Entdeckungen geführt hatte und weil der Klimaumschwung und die damit einhergehende Flutung großer Landmassen und die Vereisung der Regionen um die Erdpole herum einen Großteil der Fauna und Flora unserer Welt vernichtet hatten. Und mit ihnen das Reservoir für zahlreiche Infektionskrankheiten. Die menschlichen Siedlungen waren fast vollständig autonom, sorgten für die Sauberkeit des Wassers, die zumeist rekombinante Nahrungsproduktion und schotteten sich vor den gefährlichen Einflüssen des Planeten ab, so gut sie konnten.

Doch die Welt, in der wir lebten, war durchsetzt von Strahlung. Von radioaktiver Strahlung, die Überrest der alten Zivilisation und vor allem ihrer Kriege war, von UV-B- und kosmischer Strahlung, die ohne die längst zerstörten Schutzhüllen der Erdatmosphäre ungebremst dorthin reichte, wo Leben noch möglich war. Gesundheit ist ein hohes, wertvolles Gut und niemand hätte es in Frage gestellt. Deshalb waren die einzigen Verbote jene, die uns und andere in Gefahr brachten.

Sie achteten auf unsere Ernährung und darauf, dass wir ausreichend Sport trieben ohne uns dabei zu schaden. Darauf, dass wir ausreichend schliefen und etwa monatlich erfolgten verschiedene Untersuchungen, die Schäden frühzeitig aufdecken sollten.

Sie wollten, dass wir gesund waren und deshalb wollten sie auch, dass wir glücklich waren. Es hielt uns niemand davon ab, nach unseren Interessen zu suchen und ihnen in angemessener Weise nachzugehen. Und weil der Bestand an Möglichkeiten zuvor von ihnen ausgewählt worden war, hatten sie keinen Grund zur Sorge.

Niemand versuchte uns daran zu hindern die Nähe anderer zu suchen. Sie sorgten nur dafür, dass wir die Gefahren kannten und uns davor schützen würden. Wer die Regeln brach, die unser aller Überleben sichern sollten, musste gehen und heute frage ich mich, ob das Ausreden waren, um das Verschwinden mancher zu vertuschen und was mit denen geschah, die nicht mehr tragbar waren, noch ehe ihre Zeit gekommen war. Sie zu töten hätte man als Verschwendung betrachten müssen, wurden sie also isoliert?

Dinge, die ich mich zuvor nie gefragt hatte. Keiner von uns. Wir kannten die Regeln und sie galten für jeden. Außerdem waren es nur wenige, die aus diesen Gründen verschwanden. Für die meisten gab es die gleichen Erklärungen, wie für jede andere Unstimmigkeit. Erklärungen, die vollkommen plausibel schienen und im höchsten Maße über alle Zweifel erhaben. Ja, tatsächlich kam ich mir zumeist dumm vor, wenn ich diese Dinge in Frage stellte und anschließend die Erklärung dafür vernahm.

Viele seien trotz allem krank geworden, an andere Orte geschickt, um sie zu isolieren und uns zu schützen. Um ihnen dort zu helfen. Manche starben. Wahrscheinlich so viele, dass es uns hätte auffallen sollen. Aber wie sollten wir wissen, dass diese Art des Todes, der von einem Augenblick auf den anderen geschehen konnte, unrealistisch war? Wir kannten es von klein auf nicht anders.

Wieder andere wurden versetzt, sollten an anderer Stelle arbeiten oder ähnliches. Tatsache ist, dass sie verschwanden und Tatsache ist auch, dass niemand es in Frage stellte, so sehr wir sie auch vermissen mochten.

Fragten wir nach denen, die fortgezogen oder krank waren, dann erhielten wir stets Auskunft nach besten Vermögen und wir wurden sogar ermuntert Briefe zu schreiben und den Kontakt zu suchen, doch zugleich ermahnt, wie schwierig es sein konnte, Nachrichten zwischen den einzelnen Kolonien zu übermitteln.

Es gab uns eine Vorstellung der Welt, in der sich unzählige Häuser wie unseres in einer weiten, erbarmungslosen Öde befanden. Es war kein falsches Bild, darin fehlte nur ein wesentlicher Aspekt. Das tatsächliche Zentrum dieser Welt.

Von außen betrachtet schien die Situation eine absurde Tragik in sich zu bergen. Weil wir meistens glücklich waren. Glücklich, weil wir nichts wussten und weil wir es nicht gewesen wären, hätten wir die Wahrheit gekannt. Wenn Glück eine solche Frage der Perspektive ist, welchen Wert birgt es dann? Und bedeutete das, dass es grausam war, etwas an der Situation ändern zu wollen? Dass es falsch war, die Wahrheit zu sagen, weil sie jene unglücklich machen würde, die ohne Schuld waren? Das war eine schwierige Frage und selbst als ich es tat, wusste ich nicht, ob es die richtige Entscheidung war. Ich wusste nur, dass die Welt wie sie war, das glückliche Lügenkonstrukt, falsch war. Dass eine Veränderung auch eine Besserung mit sich bringen würde, das konnte ich nur hoffen.

Doch zu Beginn dieser Geschichte war ich nicht weniger glücklich als all die anderen, es gab nichts, was mich von ihnen unterschied, mit Ausnahme meiner DNS.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Chimi-mimi
2013-03-18T16:19:53+00:00 18.03.2013 17:19
Das ist ein sehr nachdenkliches Kapitel. Viele interessante Gedankengänge, die der Protagonist da hat. Schön formuliert.
Von:  Wintersoldier
2013-02-22T18:27:01+00:00 22.02.2013 19:27
Ist was dazwischen gekommen, daher konnte ich erst jetzt weiterlesen. :)

Jedenfalls bin ich gerade an diesem Satz hängen geblieben: Wenn Glück eine solche Frage der Perspektive ist, welchen Wert birgt es dann? Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie finde ich, ist das ein sehr starker und aussagekräftiger Satz und ich finde ihn einfach nur toll (warum ich mich so über einen einfachen Satz freuen kann, sei mal dahingestellt... ich schiebe es auf meinen Schnupfen |P).

So, und bevor ich mich wieder verhasple, lese ich lieber weiter. ;)

Liebe Grüße
Aya


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