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Nach der Schlacht von Mohács

von

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„Man bringe ihn her!“

„Er ist geflohen, mein Herr.“

„Es ist mir egal wo er ist. Ich habe die Schlacht gewonnen und ihn werde ich als Gefangenen mitnehmen! Legt ihn in Ketten und schafft ihn her – und wenn Ihr hinter jeder Wurzel und unter jedem Stein suchen müsst!“

„Sehr wohl, mein Herr.“

Ein junger Mann hockte an den Stamm eines alten Baumes gelehnt. Am nahegelegenen Ufer eines Teiches zogen Libellen ihre Kreise und Fische schnappten nach Mücken, die in der kühler werdenden Abendluft über dem Gewässer tanzten. Doch all dem schenkte Ungarn keine Aufmerksamkeit. Feinsäuberlich riss er gleich breite Streifen von einem Stück Stoff und umwickelte damit die klaffenden Wunden an seinen Armen und Beinen. Er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht jedes Mal, wenn er einen Verband auf eine Verletzung aufbrachte, laut aufzustöhnen. Er hatte sich geweigert einem fremden Herren Tribut zu entrichten. Und vor allem vor dem Osmanischen Reich, das seinen Einflussbereich immer weiter nach Europa hinein ausdehnte, war er nicht bereit gewesen sich zu beugen. Es hatte so kommen müssen. Sultan Süleyman war mit seiner Streitmacht heraufgezogen, sodass sich schließlich das ungarische und das osmanische Heer in der Ebene, nahe dem Dorf Mohács, gegenüberstanden waren. Ungarn, der auf seine starke Reiterei vertraut hatte, hatte vorschnell einen Angriff gewagt, doch die osmanische Artillerie hatte er unterschätzt. Die feindliche Armee hatte ihn eingekesselt und unter Beschuss genommen. Mohács war die verheerendste Niederlage, die er jemals erlebt hatte.

Wenn es nur seine Verwundungen wären, die er zu beklagen hätte; damit könnte er sich abfinden – sie würden wieder heilen. Nein, was ihm wirklich Kummer bereitete war, dass nicht nur seine gesamte Armee aufgerieben wurde und sämtliche seiner Feldherren gefallen waren -auch sein König, Lajos II, war tot. Und nun sollte er – wie schon etliche Länder vor ihm – osmanisches Territorium werden. Dániel grub sein Gesicht in seine Hände. Er hatte Angst. Ja, der stolze Magyar fürchtete sich der Dinge, die noch auf ihn zukommen würden.

Seine Gedanken wurden unterbrochen, denn ganz in der Nähe waren die dumpfen Tritte von Hufen auf dem Waldboden zu vernehmen. Er blickte auf und sah zwischen den Bäumen farbenprächtige Kleidung hervorblitzen. Das musste das Osmanische Reich sein. Nichts wie weg von hier! Ungarn raffte sich auf, um im Dickicht Schutz zu suchen.

„Ungarn, bist du das?“ hörte er schon ein Rufen hinter sich. – „Bleib stehen, sei vernünftig!“

Doch Ungarn dachte gar nicht daran sich, fassen zu lassen. Ohne zurückzublicken lief er wie von Sinnen in die entgegengesetzte Richtung. Die hereinbrechende Dunkelheit machte es schwer, sich im Unterholz zurechtzufinden. Dániel schlugen Zweige ins Gesicht und er stolperte über moosbewachsene Steine und knorrige Wurzeln. Er mobilisierte seine letzten Kraftreserven für diesen verzweifelten Fluchtversuch, doch es sollte ihm nicht glücken. Sadiq sprang von seinem Pferd und eilte dem Verletzen mit großen Schritten hinterher. Einem jungen Hirschen gleich bewegte er sich flink zwischen den Bäumen hindurch. Schnell holte er auf und schon nach wenigen hundert Metern war der Osmane hinter Dániel, packte ihn und warf ihn zu Boden. Gleichsam vor Schreck wie vor Schmerz schrie der Gefangene auf, doch seine Stimme wurde sogleich vom weichen, duftenden Laub, in dem er der Länge nach hinschlug, gedämpft. Hätte er doch für immer so liegen bleiben können: Das Antlitz ins Laub gebettet, nichts sehend, nichts hörend von seiner Umwelt. Doch lange durfte er nicht so liegen bleiben, denn der feste Griff seines Kontrahenten, der auf seiner rechten Schulter und dem Arm ruhte, zwang Dániel, sich herumzudrehen.

Da war das Osmanische Reich. Außer Atem, auf dem Waldboden kniend, blickte er auf Ungarn herab. In dem spärlichen Rest von Licht, dessen rot-violetter Schein, der immer mehr einem undurchdringlichen Blau-Schwarz wich, war kaum mehr Sadiqs Silhouette auszunehmen. Dániel zucke vor Schreck zusammen, als er in das Gesicht des Osmanischen Reichs schaute. Bis auf eine weiße Maske, die dessen Augen verhüllte, konnte er nichts erkennen. Sadiq spürte die Angst, die in Dániels Glieder fuhr, und lockerte seinen Griff. „Lass uns gehen“, sagte er tonlos und richtete seinen unterworfenen Gegner auf. Ob aus seiner Stimme nun unterdrückter Ärger oder Gleichgültigkeit sprach, darüber war sich der Gefangene nicht im Klaren. Doch nun war für ihn ohnehin schon alles verloren. Wortlos und ohne Gegenwehr zu leisten, ließ er sich zu den Pferden führen. Er wurde in den Sattel eines davon verfrachtet und darauf festgebunden - wohl mehr zum Schutz vor dem Herunterfallen, als einen Fluchtversuch zu verhindern.

Sadiq brachte Ungarn geradewegs ins osmanische Heerlager. Schon von weiten wurden sie vom warmen Schein dutzender Fackeln empfangen. Zum ersten Mal erblickte Dániel die prächtigen osmanischen Zelte aus nächster Nähe. Er musst sich eingestehen, dass die, in leuchtenden Farben gewebten und mit üppigen Quasten versehenen Stoffe, von einer beeindruckenden Kunstfertigkeit zeugten. Sadiq führte Dániel in eine, von exotischem Duft erfüllte, und im Inneren noch kostbarer ausgestattete Unterkunft. Mit dem Hinweis, er solle sich bald zu Bett begeben, weil man am nächsten Tag zeitig zur Reise nach Konstantinopel aufbrechen wolle, verabschiedete er sich noch mit „Ich wünsche eine geruhsame Nacht.“ und war in nächsten Moment an der schweren Decke, die vor dem Eingang hing, vorbeigeschlüpft. Ungarn kroch auf das ihm bereitgestellte Lager und fiel bald in einen tiefen traumlosen Schlaf.

An nächsten Morgen, als die ersten Vögel schon zu singen begonnen hatten, erwachte Dániel und wollte sich leise aus dem Zelt schleichen. Doch als er den ersten Schritt ins Freie tat, landete sein Fuß auf etwas großem, weichen – das sich bewegte.

„Uuuh, wer ist da?“, murrte eine verschlafene Stimme, auf deren Sprecher der Magyar wohl gerade draufgetreten war.

„Herr Sadiq? Ihr liegt am Boden vor meinem Zelt?“

Der Osmane richtete sich auf und gähnte herzhaft. „Naja, irgendjemand muss ja schließlich aufpassen, dass dich nicht die Wölfe fressen“, gab er grinsend zur Antwort, während er seine Schultern streckte.

„Ihr entschuldigt mich jetzt bitte“, erwiderte Ungarn, ohne auf das Gesagte einzugehen. „Ich muss mal wohin.“

„Ist ja gut, ich bin schon wach!“ Sadiq folgte Dániel, der schon an ihm vorbei Richtung Gebüsch unterwegs war.

Ungarn fuhr herum. „Wollt ihr mich etwa begleiten, wenn ich meine Notdurft verrichte?!“

„Okay, okay“, das Osmanische Reich hob mit einer beschwichtigenden Geste seine Hände in die Luft, „aber komm bloß nicht auf dumme Gedanken, sonst macht mich mein Boss einen Kopf kürzer. Klar?“

Ungarn glaubte ihm das sogar schließlich hatte er Sultan Süleyman, ja in der vergangenen Schlacht erlebt. Mit dem war nicht zu spaßen.

Wieder zurück im Lager winkte Sadiq Dániel gleich zu sich. „Komm hier rüber, ich werde mir mal deine Verletzungen anschauen!“ Ungarn ließ sich auf dem Platz fallen, dem ihm das Osmanische Reich zuwies.

„Zieh doch dein Hemd aus, dann kann ich deine Wunden besser versorgen!“

Doch Dániel wies ihn mit einem „Ich will nicht!“ ab.

„Ach, hab dich nicht so, wir sind hier eh nur unter Männern“. Sadiq wollte sich schon an Dániels Gewand zu schaffen machen, doch dieser stieß ihn weg. Das Verhalten seines Gegenübers irritierte ihn zwar, aber er fragte nicht weiter nach. Behutsam schob er die Kleidung an den verwundeten Stellen zurück und reinigte sie. Die Salben, die er auftrug, dufteten nach vielerlei Kräutern und linderten wunderbar den Schmerz. Ungarn betrachtete eingehend das Gesicht den Fremden, während dieser, ohne aufzublicken, sorgfältig seine Arbeit ausführte. Er machte nicht mehr so einen beängstigenden Eindruck auf ihn, als noch am Abend zuvor. Seine Haut war dunkel und glatt und seinen Bart trug er zu einer schmalen Linie getrimmt, die von seinem Kinn aus am Rand seines Unterkiefers entlanglief. Dániel musste sich eingestehen, dass er sehr elegant wirkte. Doch warum verbarg er seine Augen hinter einer Maske? Dafür hatte er keine Erklärung, doch zu fragen traute er sich auch nicht.

„Sie sieht gut aus, diese Kleidung, die ihr Europäer neuerdings tragt. Ich meine, wie ihr in euer Obergewand Schlitze macht, durch die dann das Unterkleid hervorscheint“, Sadiq versuchte ein Gespräch in Gang zu bringen.

„Wenigstens tragen wir keine zweihundert Meter Stoff auf unserm Kopf durch die Gegend.“ – erwiderte der Magyar frech. Es schien als habe er inzwischen sein Selbstvertrauen vollends zurückgewonnen. Doch Sadiq ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er lachte und plauderte munter weiter, bis er den letzten Verband angelegt hatte.

Inzwischen war das ganze Lager aufgewacht. Hier sammelte man sich um Feuerstellen, dort begann man schon damit, die Zelte abzubrechen und auf Wagen zu verladen. Ungarn wurde neu eingekleidet, doch so ganz überzeugt war er nicht von dem langen Mantel und den eigenartigen weiten Hosen. Doch bequem waren sie, dagegen konnte man nichts sagen. Womit sich Dániel aber überhaupt nicht anfreunden konnte, war diese widerliche schwarze Suppe, die hier jedermann trank. Eine stinkende Brühe war das! Wie nannte sich das Zeug noch gleich? Ach ja: Kaffee.

Bald war alles bereit zum Aufbruch. Die Männer bestiegen die Pferde und langsam setzte sich der Zug in südöstlicher Richtung in Bewegung. Man durchquerte die weiten Ebenen von Ungarns Heimat und ritt durch Steppen und Sümpfe. Immer tiefer und tiefer kam man in osmanisch beherrschtes Gebiet. Dániel hatte auf der langen Reise viel Zeit zum Nachdenken. Immer wieder blickte er zurück und frage sich, wie es wohl dem Heiligen Römischen Reich und Litauen ergehen würde. Und seine Kindheitsfreunde, Österreich und Preußen, würden sie ihn sehr vermissen? Nun ging es in ein fernes Land mit einer fremden Sprache und Kultur. Doch, was auch immer ihm dort begegnen würde, niemals dürfte Dániel sein Geheimnis preisgeben. Nicht auszudenken, was ihm andernfalls widerfahren könnte!

Bis jetzt war der Zug des osmanischen Heeres ohne größere Schwierigkeiten vorangekommen. Nun war man bald am Ziel der Reise angekommen. Nach Konstantinopel waren es nur noch ein oder zwei Tagesreisen weit.

An jenem Morgen ging Dániel – so wie er es stets zu tun pflegte – abseits von den anderen Männern baden. Er suchte sich eine abgelegene Stelle flussaufwärts, hängte seine Kleidung über nahegelegene Büsche und wartete ins kalte Nass. Plötzlich hörte er etwas am Ufer rascheln. Er fuhr herum. War da jemand? Hatte ihn jemand gesehen? Doch er konnte niemanden entdecken. „Ich mache mir zu viele Sorgen. Das war sicherlich nur ein Reh, das durch das Dickicht gehuscht ist“, murmelte Ungarn, um sich zu beruhigen. Er legte wieder seine Kleider an und ging zurück ins Lager. Der Magyar blickte von Gesicht zu Gesicht, aber alles war wie eh und je. Niemand tuschelte, oder starrte ihn an.

Bald hatte man wieder gesattelt und nahm das letzte Stück des Weges in Angriff. Sofort ritt Sadiq an Dániels Seite. „Ungarn “, sagte er zögernd, worauf dem Magyaren das Blut in den Kopf schoss. Doch der Osmane fuhr fort: „Deine Haare sind ganz nass. Sieh zu, dass du dich nicht erkältest“, worauf er eins der Tücher, die er hinter sich auf das Pferd gepackt hatte, herauszog und ihm zuwarf. Dániel war ungemein erleichtert.

Doch nach wenigen Minuten ritt das Osmanische Reich erneut auf seine Höhe. „Ungarn, weshalb hast du es nicht gesagt?“ Dieses Mal war seine Stimme fest und ernst.

„Wovon sprecht Ihr?“ Ungarns Herz raste und er versuchte in Sadiqs dunklen Augen die Antwort zu lesen. Im Gegensatz zu seiner Stimme lag in ihnen etwas Weiches und Mitfühlendes. Aber wie konnte er sich dessen sicher sein, wenn das Gegenüber eine Maske trug?

Es kam Sadiq nicht leicht über die Lippen. „Du bist ein Mädchen… Schon Anfangs ist mir deine feminine Gestalt aufgefallen, doch heute Morgen habe ich dich gesehen, als du dich im Fluss gewaschen hast.“

Ungarn ließ den Kopf hängen. Sie hatte es mit allen Mitteln zu verbergen versucht, doch nun war alles umsonst. Was würde nun mit ihr geschehen? Sie gab keine Antwort, sondern starrte nur auf die Mähne ihres Pferdes.

Der Osmane berührte ihre Schulter: „Warum hast du dich als Mann ausgegeben, Ungarn? Sieh, mich an!“

Das Mädchen hob ihren Kopf und blickte mit ihren sonst so stolzen, grünen Augen, die nun feucht schimmerten in das Antlitz von Sadiq und stammelte: „Ich hatte Angst.“

„Niemals, NIEMALS würde ich dir so etwas antun! Du brauchst dich nicht zu fürchten, Ungarn! Wenn wir erst einmal in Konstantinopel sind, werden wir dich neu einkleiden. Hier tragen die Frauen Ringe, Ketten und Geschmeide; seidene Kleider, und Schuhe, die mit feinen Perlen bestickt sind.“

Ungarn schöpfte neuen Mut. Ihre Sorgen hatten sich aufgelöst, wie morgendlicher Nebel, wenn die Sonne aufsteigt. Nun blickte sie zuversichtlich auf das, was vor ihr lag. Plötzlich rief ihr Sadiq, der wieder vorausgeritten war, zu: „Ungarn! Wie würde dir der Name Elizabeta gefallen?“



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