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Bloodmoon

Man sieht sich immer zwei Mal im Leben
von

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Leben und Tod


 

Erinnerung eins

Lilien Helen Karion

27. Sian 2073
 

Ein schwarzgekleideter Mann stand am Rand einer tiefen Schlucht, sah hinunter auf die Ruinen einer zerstörten Stadt.

Was er wohl dachte?

Vielleicht erinnerte er sich ja an schönere Zeiten.

Irgendwann, ob nur Minuten oder gar Stunden vergangen waren, ich vermochte es nicht zu sagen, trat jemand zu dem geheimnisvollen Fremden. Ein sanftes, reines Licht umfing die Beiden, die von unbeschreiblicher Schönheit waren und doch um so vieles schrecklicher und verkommener erschienen als alles und jeder den ich je gesehen hatte.

"Und? Glaubst du mir nun? Es gibt keinen Gott, mein Freund! Oder denkst du, dass er so grausam ist, all diese Unschuldigen einfach sterben lassen würde?", fragte der weißgekleidete Neuankömmling mit vollkommen ruhiger Stimme.

Sein Freund antwortete ihm in der gleichen, fast ungerührten Tonlage, sich jedoch beinahe schon gereizt umdrehend: "Auch wenn du es nicht glauben kannst, ich bin mir sicher, dass es einen Gott gibt und dass all diese Dinge haben geschehen müssen. Sie mussten passieren um die Zukunft dieser Welt zu sichern.

Selbst wenn du es nicht verstehen kannst, doch ohne meinen Glauben... welchen Sinn würden unser unendliches Leben und dieser verfluchte Job haben, wenn sie nicht einem höheren, einem besseren Zweck dienen?"

Ein fast unhörbares Schnauben erklang und wurde durch das unwirsche zerzausen von goldblondem Haar unterstrichen.

"Verflucht? Welch sentimentales Gefasel haben dich die Sterblichen gelehrt, Bruder!

Verflucht zu sein, ist ein ebenso irrsinniger Gedanke, wie die Existenz eines Gottes!"

"Vielleicht für dich.", versuchte der Braunhaarige seinen Gesprächspartner zu beschwichtigen: "Aber ohne diese tröstliche Hoffnung wäre ich mit größter Sicherheit bereits vor Jahrtausenden dem alles verschlingenden Wahnsinn verfallen.

Und allein der Gedanke, dich verlassen zu müssen, lässt mich an diesem 'Irrsinn' festhalten."

Für einen winzigen Augenblick huschte zerstörende Trauer über das Gesicht des Weißgekleideten, doch in der nächsten Sekunde war sie wie eine Einbildung wieder verschwunden. Aus mir unerfindlichen Gründen erinnerte mich der blonde, junge Mann (zumindest dachte ich, dass er jung war) an Kai, den Bruder des kleinen Engels, der, wie meine eigene Tochter, unten in den Hütten auf mich wartete. Ich war überrascht gewesen, als mein Bruder mich darum gebeten hatte, das Kind des Königs großzuziehen... sein Kind großzuziehen. Doch mein geliebter Bruder hatte sicher seine Gründe, so wie er für all seine Taten seine eigenen, unerklärlichen Gründe hatte.

Ein frustriertes Seufzen riss mich aus meinen Gedanken.

"So habe ich das nicht gemeint und das weißt du!

Du weißt, dass das alles keine Rolle spielt! Das hat es nie getan! Wie könnte ich an deinen Worten zweifeln, selbst wenn du von höheren Aufgaben und Plänen sprichst, die unverständlich erscheinen aber nicht minder wichtig sind.", verwirrt versuchte ich zu verstehen, wovon der Weiße sprach, doch so sehr ich mich auch bemühte, die gesprochenen Worte konnte ich nicht zurückholen.

Mit einem erneuten Seufzer des Blonden setzten die Beiden sich in Bewegung und machten sich auf in Richtung meines Dorfes. Schweigend und jeder in seine eigenen, trüben Gedanken vertieft, liefen sie nebeneinander her und ich selbst konnte mir ein trauriges Lächeln nicht verkneifen, während ich ihnen folgte.

Erst war es mir nicht aufgefallen und inzwischen fragte ich mich, wie das hatte geschehen können, aber diese beiden Fremden verband etwas, das mehr war als simple Blutbande oder die Verbindung zwischen Gefährten, mehr als Liebe oder gar körperliche Begierde. Es war etwas, das ich zwar sehen, aber nicht in Worte fassen konnte. Es spiegelte sich in den ausdrucksstarken Augen, wurde durch jede noch so kleine Geste untermauert und selbst die Trauer, die für Sekunden in diesen unergründlichen blassblauen Seelenspiegeln widerhallte, war nur ein Teil des großen Ganzen, das diese Zwei verband.

Es war etwas, das ich noch bei keinem Menschen oder Neris gesehen hatte und das diese Beiden so unwirklich erscheinen ließ, wie die Figuren eines verrückten Traums.

Nur am Rande nahm ich wahr, dass wir die ersten Häuser bereits hinter uns gelassen hatten. Verwirrt registrierte ich die gravierenden Veränderungen. Es war ein erschreckendes und zugleich äußerst faszinierendes Bild, das sich mir dort bot. Überall konnte ich weiß- und schwarzgekleidete Gestalten sehen, mal verschwommen, mal deutlich zu erkennen, doch sie alle hatten eins gemeinsam, sie waren immer zu zweit... und sie waren alle männlich.

Die Gebäude waren entweder bis auf die Grundmauern niedergebrannt oder unter schwerem, schwarzem Geröll begraben.

Mir war klar, dass ich erschüttert hätte sein müssen, doch so sehr ich es auch versuchte, ich vermochte dieses Gefühl einfach nicht zu entdecken. In mir herrschte einzig und allein eine alles einnehmende Ruhe und die Gewissheit, dass diese Dinge hatten geschehen müssen.

Die Beiden, denen ich gefolgt war, blieben auf dem Marktplatz stehen und sahen hinunter auf eine reglose Gestalt.

"Das es auf diese Weise hat geschehen müssen... aber das Ende scheint immer unerwartet zu kommen, selbst für uns. Nur wenige sterben in diesen Tagen vorhersehbar."

"Nun, die Wege des Schicksals sind nicht zu ergründen. Sie sind eng, gewunden und, wie unsere Wege, immer miteinander verbunden. Nie bleibt jemand auf ewig allein. Und jeder Tod bedeutet ein neues Leben, einen neuen Anfang."

Ein freudloses Lachen erklang: "Du vermagst es, an das launische Schicksal zu glauben, aber einen gütigen Gott kannst du dir nicht vorstellen?"

Für einen Augenblick sahen sich die Beiden an, wie zwei versteinerte Statuen, die es nicht vermochten den Blick abzuwenden.

"Mir kann es egal sein an was du glaubst... solange du dich selbst nicht verlierst und an meiner Seite bleibst. Denn wenn du leidest, dann leide auch ich und wenn ich leide, dann leidest du mit mir."

"Zwei Personen, die eine sind. So unähnlich scheinen wir diesen Wesen doch nicht zu sein, diesen Neris. Verbunden. Der eine kann nicht ohne den anderen existieren!"

"Vielleicht sind wir dazu bestimmt, eines Tages wie sie zu enden."

"Zu enden? Oder wäre es ein Aufstieg?"

"Ganz gleich, wir alle werden eines Tages fallen. Ob diese Eindringlinge, die Neris oder wir... So ist unsere Bestimmung. Unser Schicksal von Beginn an festgelegt."

Das sanfte Lächeln auf den Lippen des Braunhaarigen war so beruhigend.

"Sag Nero, glaubst du an das Böse?"

Verwirrt blickte der Blauäugige... Nero... seinen Freund an.

"Was hast du genommen? Solche Sprünge in deinen Gedanken... ist der Wahnsinn dir etwa doch schon so nah?"

Erneut dieses Lächeln: "Nein... ich musste mich nur an diese Worte erinnern..."

"Die Worte?"

"Diese seltsamen Zeilen."

"Du sprichst in Rätseln!"

"Hmm... Vielleicht ist der Wahnsinn doch nah..."

Ein Seufzer. Ein schwaches Lächeln. Ein sanfter Blick.

"Was bedrückt dich? Ist es ihr Tod?"

"Nein... der Tod ist mein Leben... so wie das Leben dein Tod ist!

Es sind nur diese Worte, die mich nicht los lassen.

Diese Worte, die du einmal zu mir sprachst."

"Die Worte unseres Schützlings?"

"Die Worte des Verlustes, ja..."

Es war verwirrend den Worten von Wesen zu folgen, die sich schon eine scheinbare Ewigkeit kannten. Sie konnten unpassende Dinge sagen und doch das Passende daraus ableiten. Sie konnten ohne Worte mehr austauschen, als mit Worten je möglich gewesen wäre. Und sie konnten miteinander reden, ohne wirklich etwas Aufschlussreiches zu sagen.

Ich beneidete diese Wesen!
 

"Was ist der Tod ohne das Leben

Und was Leben ohne Tod

Ist der Vogel frei geworden

Bald er ist in großer Not

Wer kann Leben ohne Liebe

Gibt es Liebe ohne Hass

Hast du unser Spiel vergessen

Hatten wir nicht sehr viel Spaß

Wie lang könn' die Neris leben

Ohne Langeweil' zu spühr'n

Können wir dem nicht vergeben

Den wir lieben, statt zu kühln

Soll die Zeit die Neris retten

Retten Neris nicht die Zeit

Leises Ticken, laute Worte

Hundert Jahre, unser Streit

Wann kann ich die Welt verlassen

Wo liegt noch der Lebenssinn

Warum willst du mich vergessen

Wo ist uns're Liebe hin

Tausend Monde sind vergangen

Seit wir uns begegnet sind

Wenn du mich nicht kannst mehr lieben

Liebe unser beider Kind"

Stille... Schweigen... Leises Schnauben war von dem Blonden zu hören, dass jedoch in einem Schmunzeln endete. Und ich... ich konnte nicht glauben, dass diese Zwei die Worte gehört hatten, die mein Bruder mir einst im Vertrauen erzählt hatte.

Es war seine Geschichte. Sein Leid. Und sein Leben.

"Ich verstehe nicht, wie dich ausgerechnet diese Worte so sehr berühren können... oder vielleicht verstehe ich dich doch..."

Ein leichtes Lächeln lag auf den Lippen des Schwarzgewandeten als die Beiden sich zu mir umdrehten und mich mit ihren seltsamen Augen fixierten. Ich wollte sie genauer in Augenschein nehmen, doch noch während ich versuchte mir ihre Gesichter einzuprägen, vergaß ich schon wieder wie sie aussahen.

Ein trauriger Ausdruck lag in ihren Augen, als sie zur Seite traten und den Blick auf die reglose Gestalt freigaben.

Es war eine Leiche. Meine Leiche... in den Armen ein kleines, neugeborenes Baby... unser Baby!

Verzweifelt wanderte mein Blick von einer Seite des Platzes zur anderen. Wenn mein Baby hier war... wo war dann... wo war sie dann? Ich hatte doch geschworen auf sie aufzupassen.

Ein leises, verzerrtes Wimmern lenkte meine Aufmerksamkeit zurück auf die Erde. Das kleine Wesen in meinen Armen rührte sich, versuchte sich zu befreien...

Und ich verstand...!

Leben und Tod... gingen immer Hand in Hand.



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