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Drachengarde

Vergangenheit
von

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Tagwache

Serra stand hoch oben auf der Mauer. Sie langweilte sich. Ihr Körpergewicht stützte sie auf den Speer, den sie mit beiden Händen umklammerte. Nähme man ihn ihr weg, sie würde unweigerlich wie ein gefällter Baum umkippen. Ihre Augen fielen immer wieder zu und lediglich der scharfe, kalte Wind hinderte sie am Einschlafen.

Trüb schauten ihre Augen gen Horizont. Wenn die Sonne unterging, hatte sie es fast geschafft.

Sie hasste den Wachdienst am äußeren Ring und das wusste auch ihr Kommandant. Niemand mochte ihn. Vom Eisigen Weg, dem Pass, der über die Feuerberge führte, blies immer dieser eisige Wind. Den Namen „Feuerberge“ hatte die Gebirgskette keineswegs verdient. Sie waren einfach nur kalt. Doch wenn es nur der Wind gewesen wäre! Mit Kälte konnte Serra gut umgehen, aber sich zwölf Stunden lang die Beine in den Bauch stehen, dass konnte sie nur schwerlich aushalten. Sie brauchte Bewegung und jetzt benötigte sie vor allem Schlaf. Der war in der letzten Nacht zu kurz gekommen, darum stand sie auch hier. Eigentlich hätte sie jetzt wohlverdientes Wochenende, aber das Schicksal spielte einen bösen Streich.

Gestern, nach ihrer sechsstündigen Schicht auf Straßenpatrouille, hatte sie sich von ihrem Kammeraden Lars breitschlagen lassen mit in eine Kneipe zu gehen. Lars war noch nicht lange bei der Drachengarde. Er war erst 17 und seine Mutter vor einem halben Jahr an der schwarzen Seuche gestorben. Jungen wie er hatten selten eine andere Wahl, als sich bei der Armee zu melden und nur die Wenigsten wurden tatsächlich angenommen. Ein Wunder also, dass Lars bei der Drachengarde, der Eliteeinheit des Landes mitspielen durfte. Serra hatte ihn irgendwie adoptiert. Nur darum kam sie mit, um auf ihn „aufzupassen“. Die Kneipe, die er sich ausgesucht hatte, war berühmt für den rauen Umgangston und Serra wollte den Burschen nicht den Raubtieren dort ausliefern. Sie hatte so schon alle Hände voll zu tun Lars vor dem Spott seiner Kammeraden zu bewahren. Wenn er dann auch noch in einer Kneipe verprügelt würde… Nicht auszudenken! Der Kleine hatte in der Armee nichts zu suchen. Warum in allen Teufelsnamen war er in der Drachengarde? Irgendwas Besonderes musste an ihm sein, dass ihr noch nicht aufgefallen war. Vermutlich hatte sie deshalb ein wachsames Auge auf ihn.

In der Spelunke jedenfalls kam es dann tatsächlich zu einer Auseinandersetzung, die, zu ihrer eigenen Schande, nicht auf Lars zurückzuführen war (er wurde einfach ignoriert), sondern auf sie. Einige besonders witzige Scherzbolde waren wohl der Meinung, sie sei leichte weibliche Beute. Die Rechnung machten sie ohne ihre überzeugende Schlagfertigkeit. Prompt artete das Desaster zu einer ausgewachsenen Kneipenschlägerei aus, bei der auch Stich- und Schusswaffen nicht fehlten und die von der Drachengarde beendet werden musste. Serra wurde unter Arrest gestellt, da sie angefangen hatte und kam die ganze Nacht nicht zum Schlafen. Den ersten Teil verbrachte sie im Kerker. Die Zelle kannte sie gut. Lange war es her, da war sie in genau dieser Zelle Dauergast und noch immer hielt man sie für sie reserviert, als Erinnerung. Das war vor ihrer Zeit in der Drachengarde.

Als sie in der Zelle saß fühlte sie sich plötzlich alt, so als hätte sie bereits unzählige Leben gelebt. In Erinnerungen schwelgend konnte sie nicht einschlafen. Dann, kurz nach drei Uhr morgens schätzte sie, holte man sie raus und führte sie zum Kommandanten. Auch die Gespräche mit ihm waren ihr aus vergangenen Tagen nicht fremd, der Verlauf allerdings schon. Damals belehrte er sie lediglich über die Stadtordnung und hielt eine Rede an ihre Moral und ließ sie danach laufen. Er wusste, das was sie tat, tat sie nicht aus Bosheit, sondern aus Notwendigkeit. Lieber eine Diebin, als eine Hure, war ihr Leitfaden und das respektierte er, auch wenn er es nicht gut hieß.

Dieses Mal fiel das Gespräch kurz aus und die Enttäuschung in dem Blick ihres alten Freundes, war schlimmer, als jedes Wort, dass er hätte sagen können. Ein Mitglied der Drachengarde sollte allen Bürgern ein Vorbild sein und sich nicht wie jeder dahergelaufene Lump in der nächstbesten Kneipe raufen. Eine Disziplinarmaßnahme war die Folge. Von dem Zimmer des Kommandanten aus ging es direkt in die Ankleidekammer, um sich die Rüstung anzulegen und ab zum äußeren Ring, der gut fünf Kilometer von der eigentlichen Stadtmauer entfernt lag.

Serra hatte einen Fehler gemacht und sie sah ein, dass sie bestraft wurde, doch, dass auch Lars dieses Schicksal teilte, der sich nichts zu Schulden kommen ließ, nagte an ihr und dann der Schlafmangel. Wenn sie nicht langsam die Augen schließen durfte, dann… Dann würde gewiss etwas ganz schlimmes geschehen.

Während der Wache schlafen, das war ein unaussprechliches Tabu. Wenn man sie erwischte, dürfte sie gewiss die Nachtschicht noch dranhängen. Wie lange war sie schon wach? Sechsunddreißig Stunden waren eine gute Schätzung, zu mehr sah sich Serras aufgeweichtes Hirn nicht mehr in der Lage. Einst gab es Zeiten, da schlief sie weniger als sechs Stunden in einer Woche, doch da befand sie sich in körperlicher Höchstform, hatte keinen Alkohol intus und war stets mit Adrenalin vollgepumpt. Sie erwischte sich beim Sekundenschlaf.

Sie musste ein jämmerliches Bild abgeben, wie sie wie ein Schluck Wasser in der Kurve an ihrem Speer hing. Die Wachen des äußeren Ringes sollten Stolz und Wachsamkeit ausstrahlen. Diszipliniert mussten sie Stunden regungslos ausharren wie Statuen. Selbst furchtlos, aber Eindringlingen Angst einflößend, wie die blinden Wächter in… Serra verdrängte die Erinnerungen an jenen Ort, bevor ihr ein Schauer über den Rücken laufen konnte.

Seufzend zog sie sich an dem Speer hoch und richtete sich zu voller Größe auf. Es wäre doch gelacht, wenn sie es nicht schaffte aufrecht stehen zu bleiben, bis die Sonne ihre letzten Strahlen verschenkte.

Serra hätte die Vorzeichen bemerken können, doch sie war zu schläfrig und in Gedanken bei der Wachablösung. Sie und nur sie, hätte gewusst, was es bedeutete, dass die Luft in der Abenddämmerung nicht abkühlte und unter null sank, wie sie es für gewöhnlich tat. Alle anderen hielten es für die Laune des Wetters und freuten sich darüber, ebenso wie über das ferne Leuchten am Horizont, jenseits der Einöde. Serra hingegen nahm diese Dinge nicht einmal wahr.

Sie starrte hinaus auf das Land und sah es doch nicht, ihre Gedanken waren in Nebelwolken gehüllt. Erst das ferne Grollen des Donners ließ ihre Alarmglocken schrillen. Wie vom Blitz getroffen schreckten ihre Lebensgeister auf und alle Müdigkeit fiel von ihr ab. Das Grollen, noch schien es in weiter Ferne, wiederholte sich und nun war sich Serra ganz sicher, dass es real und keine Gaukelei ihrer Erinnerung war. Starr vor Schreck ließ sie wertvolle Sekunden verstreichen, ehe sie sich so weit fasste, dass sie das Alarmfeuer entzünden konnte. Das Leuchten am Horizont hielt ihren Blick gefangen, sodass sie nicht mitbekam, wie in einhundert Schritt Entfernung ebenfalls Alarmfeuer entfacht wurden. Sicher, ihre Kameraden verstanden nicht wieso, sie sahen keine Bedrohung, doch Signale mussten weitergegeben werden. Es würde gut eine viertel Stunde dauern, bis das Feuer seine Runde gemacht hatte, vorausgesetzt niemand schlief und in etwa sieben Minuten, bis es den zuständigen Kommandanten erreichte, der sich auf sein Pferd schwingen und zu ihr reiten würde. Er brauchte zehn Minuten, bis er hier war. Das dauerte zu lange! Sie würden hier sein, ehe Serra auch nur die Chance hätte zu berichten, warum sie alle in Alarm versetzte. Ihren Posten durfte sie nicht verlassen, auch wenn ihr ganzer Körper ihr riet die Beine in die Hand zu nehmen. Allein würde ihr die Flucht gelingen, noch war Zeit, sie konnte es schaffen. Alles in ihr schrie: „LAUF!“. Doch sie blieb stehen. Nicht noch einmal! Nie wieder würde sie jemanden im Stich lassen und irgendwo auf dieser Mauer stand Lars und das war ihre Schuld!

Serra versuchte sich zu beruhigen. Ihre Augen ließen den flammenden Himmel nicht los. Noch konnte sie nichts sehen, außer dem feurigen Licht, dort wo der Himmel die Erde berührte, doch wie schnell mochte sich das ändern?

Zu schnell! Serra ging vor Schreck einige Schritte zurück und wäre fast achtzig Meter tief die Mauer hinuntergestürzt. Diese Silhouetten wollte sie nicht mehr sehen. Noch waren es kleine schwarze Punkte, am Horizont, nicht mehr als Fliegenkacke an der Fensterscheibe, doch sie sah sie vor ihrem inneren Auge größer werden. Fast hätte sie vor Angst geschrien. Doch etwas Gutes hatte ihre Panik, sie war wie gelähmt. Sie würde nicht wegrennen, nicht bevor sie ihre Schreckensstarre überwand.

Es grollte erneut, dieses Mal lauter und keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen. Serra wünschte sich eine. Selten hatte sie sich in ihrem Leben eine gigantische, schwarze Gewitterwolke gewünscht, die in Sturmfluten Wasser auf die Erde schüttete, sodass kein Staubkorn trocken blieb. Doch der Himmel blieb klar, fast als wollte er sie verhöhnen.

Als sie Hufe hörte, die mit rasender Geschwindigkeit heraneilten fiel ihr ein, dass sie ganz vergessen hatte die Signalflagge zu hissen, die anzeigte, wer für den Notruf verantwortlich war. Eilig holte sie das Versäumnis nach und das keine Sekunde zu früh, sie sah ihn, den Kommandanten. Es war ein anderer, als der, den sie aus ihren jungen Jahren kannte. Dieser hier war kaum älter als sie damals. Sie wusste nicht, wie sie das hier erklären sollte. Bestimmt hielt er sie dann für verrückt.

Sie warf einen Blick zum Horizont. Ihnen blieben vielleicht noch fünf Minuten. Sie rutschte die Stange zum Boden hinab. Es würde zu lange dauern, wenn er hinaufkam. Es war ein Wunder, dass die schwarzen Punkte noch so weit entfernt waren. Zeitgleich wie der Kommandant sein Pferd zügelte erreichte sie den Boden. Serra salutierte.

„Was soll dieser Aufwand?“, schnauzte er. Serra war viel zu aufgeregt, als das sie sich wunderte, dass er sie nicht zurechtwies, weil sie unerlaubt den Posten verlassen hatte.

„Gefahr in Verzug, Sir!“, meldete sie.

„Was für eine Gefahr?“, fragte er. Serra zögerte. Wie würde er darauf reagieren? „Drachen, Sir?!“, sagte sie unsicher. Für einen Augenblick blieb die Welt stehen. Ihr Vorgesetzter starrte sie an, als wisse er nichts mit ihr und der neuen Information anzufangen. Dann runzelte er die Stirn und Serra wusste, er glaubte ihr nicht.

„Drachen?“, vergewisserte er sich, als hätte er sich verhört.

„Ja, Sir!“, bestätigte sie mit fester Stimme.

Der Kommandant seufzte. „Ich weiß nicht, was du gestern außer Alkohol noch zu dir genommen hast und ich glaube, ich sollte es auch nicht wissen. Wusstest du, dass seit hunderten von Jahren keine Drachen mehr gesichtet wurden? Diese Bestien gehören in Märchen, nicht aber in die Realität! Ich werde von einer Bestrafung wegen deines Verstoßes gegen die Wachordnung absehen.“, sagte er großzügig „Jetzt geh wieder auf deinen Posten!“. Er riss sein Pferd herum und bedeutete auch seinen beiden Begleitern, die nun endlich ankamen ebenfalls wieder kehrt zu machen.

„Bei allem gebührenden Respekt Sir!“, rief Serra „Erscheint es Ihnen nicht merkwürdig, dass es um diese Tageszeit noch so mild ist und es nicht wirklich dunkel wird?“. Sie klammerte sich an die Hoffnung, dass dieser junge Kommandant nicht einfach seinen Posten bekommen hatte, weil Papa reich war, sondern, dass er tatsächlich zu etwas taugte. Er hielt inne.

„Eine Laune der Natur!“, sagte er „Nichts weiter!“.

Ein markerschütterndes Brüllen ließ alle zusammenfahren. Die Pferde erschreckten sich. Eines stieg und warf den Reiter ab. Es verschwand in Richtung Stadt. Nachdem der Kommandant und sein zweiter Begleiter ihre Pferde in den Griff bekommen hatten, sah ersterer zu Serra. Seine Augen schauten sie nachdenklich an. „Ein Blick über die Mauer kann nicht schaden!“, sagte er und gab Handzeichen, dass sie voran die Leiter hinaufklettern sollte.

Doch die Soldatin bekam nichts mit. Ihr ganzer Körper zitterte wie Espenlaub und die Augen waren schreckensweit geöffnet.

„Nein!“, flüsterte sie verzweifelt und ungläubig. Sie konnte die Schwingen hören, wie sie die Luft kraftvoll zerteilten. Ihr Kopf ruckte in Richtung Mauer, als ein zweites Brüllen antwortete. Sie machte einen Schritt in Richtung Mauer, doch dann gaben ihre Beine unter ihr nach und sie sank zu Boden. Den Kommandanten, der sie inzwischen anschrie, überhörte sie schlichtweg. Sie ließ ihren Speer zu Boden fallen, als sie die Hände zu den Ohren hob, um das Geräusch der Schwingen auszublenden. Zusätzlich kniff sie die Augen zu, als könnte sie sich so an einen anderen, sicheren Ort teleportieren. In ihrem Kopf war sie tatsächlich woanders, nur sicher war es auch dort nicht. Dunkel war es, auf der anderen Seite der Berge und gefährlich. Hinter jedem Stein und jedem harmlosen Grashalm lauerte etwas, dass darauf aus war zu töten. Serra musste hier weg. Sie schrie auf und schlug um sich, als sie etwas an der Schulter packte. Sie traf etwas Hartes und ein lautes Stöhnen drang an ihr Ohr. Sie wurde losgelassen. Zögerlich öffnete sie die Augen und um sie herum herrschte Abenddämmerung und milde Luft umgab sie. Einige Meter entfernt stand der Kommandant und hielt sich den Bauch. Sie saß auf dem Boden, ein Schwert berührte sachte ihre Kehle. Hatte sie so fest zugeschlagen?

Bemüht kämpfte sie die Panik herunter. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Der Soldat, der ihr sein Schwert an die Kehle hielt wartete geduldig auf weitere Anweisungen und auch Serra war sehr gespannt darauf. Doch der Kommandant kam nicht mehr dazu sich über den Ungehorsam seiner Untergebenen den Kopf zu zerbrechen. Der Himmel verdunkelte sich. Ein großer Schatten legte sich über die Erde. Wie in Zeitlupe hoben die Mitglieder der Drachengarde die Köpfe gen Himmel, nur, dass er da nicht mehr war. Statt dem rosa der Abenddämmerung entgegenzuschauen, betrachteten sie das schlammfarbige Schuppenkleid einer fliegenden Echse. Dabei erzielte dieser Anblick unterschiedliche Wirkung. Einer der Soldaten ließ sein Schwert sinken und murrte „In einem schönen Märchen leben wir hier, Kommandant…“. Der Angesprochene war viel zu perplex, um diese respektlose Bemerkung zu hören. Ein zweiter Soldat tat es seinem Pferd gleich und rannte in Richtung Stadt. Die einzige Frau unter ihnen stand auf und verbannte die Angst aus ihren Gedanken, nicht aber aus ihren Gliedern.

Es gab da etwas, dass Serra zu Denken gab. Die ganze Zeit über hatten sich die Drachen nicht genähert und ganz plötzlich, innerhalb einer Minute waren sie hier. Dem ersten Schatten folgten weitere. Serra zählte fünf. Schnell überschlug sie eine Rechnung in ihrem Kopf. Das war die Vorhut. Drachen jagten immer im Rudel. Wenn die Vorhut aus fünf Tieren bestand, dann mussten ihnen zwanzig bis dreißig Bestien folgen. Sie wurde kreidebleich. Selbst in den dunklen Landen gab es kein so großes Rudel!

„Kommandant!“, rief sie mit fester Stimme. Keine Reaktion. „Kommandant! Wie lauten Ihre Befehle?“. Er reagierte einfach nicht. Eine Flammenzunge ließ die Umgebung aufleuchten. Serra hatte das Gefühl bei lebendigem Leib zu verbrennen. So nah war sie einem Drachen nur einmal gekommen und damals schwor sie nie wieder eine solche Erfahrung machen zu wollen.

Harschen Schrittes ging sie zu ihm und verpasste ihm eine Ohrfeige, um ihn wieder in das Hier und Jetzt zu befördern.

„Kommandant!“, wiederholte sie „Wie lauten Ihre Befehle?“. Verwirrt sah er sie an.

„Wir müssen hier weg! Die Stadt muss evakuiert werden!“, erklärte sie und betonte jedes Wort. Und meine Staubwolke seht ihr als erstes!, fügte sie in Gedanken hinzu. Ich werde mir Lars schnappen und dann nichts wie weg! Endlich kam Bewegung in dem Burschen vor ihr.

„Du hast mich geschlagen!“, sagte er entsetzt. War denn das zu fassen?

„Verzeiht Sir!“, sagte sie schwer beherrscht „Doch bitte ich darum meine Bestrafung zu verschieben, bis das Problem am Himmel beseitigt ist!“, demonstrativ deutete sie nach oben. Wind peitschte über das Land. Diese Echsen waren gigantisch und ein Blick zur Seite genügte und Serra wusste, dass die Erste die Stadt erreichte.

Zu ihrer Erleichterung nickte der Kommandant. „Hattest du schon einmal mit Drachen zu tun?“, fragte er. Zögernd nickte Serra. Sie dachte nicht gern daran.

„Wie bekommen wir diese Biester vom Himmel? Ich meine, wie tötet man sie?“, ging die Befragung weiter.

„Gar nicht, Sir!“, antwortete Serra nach bestem Wissen und Gewissen.

„Was empfiehlst du dann?“, fragte er.

„Nehmen Sie die Beine in die Hand und verfrachten Sie Ihren Arsch so weit weg von hier, wie nur irgend möglich, Sir! Am besten verstecken Sie sich in den Bergen!“

Wieder erscholl ein tiefes Brüllen, fegte über das Land und ließ ihren Körper vibrieren. Dem Kommandanten und dem verbliebenem Soldaten erging es genauso.

„Ausgeschlossen!“, sagte der Angesprochene als es wieder ruhig war „Wir sind die Drachengarde und werden diese Stadt mit unserem Leben verteidigen!“. Licht flackerte auf und eine heiße Luftwelle fegte über das Land, gefolgt von Schreien aus der Stadt. Serra wollte ihm viel Glück bei dem Unterfangen wünschen, doch sie riss sich zusammen. Bevor sie sich Lars nicht über die Schulter geworfen und einige Kilometer zwischen sich und der Stadt gelassen hatte, erschien es ihr ratsam nicht respektlos zu sein, oder zumindest nicht mehr, als bisher.

„Dann sollten Sie wissen, dass diese fünf Exemplare lediglich eine Vorhut sind und das eigentliche Rudel nicht mehr lange auf sich warten lässt!“, erklärte Serra. Sie schwitzte. Es war heiß.

„Wie viele?“, fragte der Kommandant und sah so aus, als wollte er es eigentlich nicht wissen. Die Soldatin nannte ihm ihre Schätzung und aus seinem Gesicht wich jegliche Farbe. Er sah so übel aus, am liebsten hätte sie ihn zum Lazarett geschickt.

„Wie lauten Ihre Befehle?“, fragte sie stattdessen. Ihr Vorgesetzter überlegte einen Augenblick. „Ruben!“, sagte er dann laut und deutlich „Reite in die Stadt und erkläre dort Kommandant Merton unsere derzeitige Situation und sage ihm, dass ich eine Evakuierung empfehle!“. Der Soldat, der bis jetzt nur stumm das Geschehen beobachtet hatte, nickte, saß auf und spornte sein Pferd zu Höchsttempo an.

Es ist zu spät!, dachte Serra Das werden wir nie schaffen! Jeder muss sehen, wo er mit seinem eigenen Arsch bleibt! Doch allein die Tatsache, dass sie noch hier stand, statt auf ihren eigenen Rat zu hören, strafte ihre Gedanken Lügen. Ein Summen füllte die Geräuschkulisse aus, überdeckte die Schreie von der Stadt und setzte sich in ihren Ohren fest.

„Was ist das?“, fragte der Kommandant, dessen Namen Serra noch immer nicht einfiel. Sie antwortete nicht, jedenfalls nicht direkt.

„So hört es sich also an, wenn zwanzig bis dreißig Drachen auf einmal fliegen!“, dachte sie laut und der Junge vor ihr gab einen erstickten Laut von sich. Das gab Serra Anlass sich über sich selbst zu wundern. Wie kam es, dass sie plötzlich die Ruhe selbst war? Sogar ihre Gedanken hatten aufgehört zu rasen.

„Kommandant?!“, sagte sie und spähte gen Himmel „Wenn Sie die Stadt evakuieren, dann empfehle ich den Abzug über den Pass.“

„Das kommt einem Selbstmordkommando gleich!“, erwiderte er erschrocken.

„Nicht so sehr, wie über ungeschütztes Feld zu fliehen. Meilenweit gibt es um uns herum nichts als kurzes Steppengras und Kieselsteine. Das ist ein gefundenes Fressen für die Biester und so ganz nebenbei würden wir sie auch noch zu den anderen Siedlungen und Städten führen! Drachen sind gefräßig. Ihr Hunger ist unstillbar. Auf dem Pass haben wir immerhin die Chance uns zwischen den Felsen zu verstecken!“.

Serra beobachtete, wie die kleinen grauen Zellen des Kommandanten arbeiteten und nach und nach zum richtigen Schluss kamen. Langsam nickte er, als sich der Himmel erneut verdunkelte. Diese Schattenperiode dauerte länger und der Wind, der aufkam drückte die Soldaten nach unten. Entsetzte Schreie verdrängten das Rauschen der ledrigen Schwingen. Das restliche Rudel traf ein und sie ignorierten die Soldaten des äußeren Ringes nicht. Einige Wachhabende wurden einfach von der Mauer gefegt, andere geröstet oder mit einem Happs verschlungen.

„Lars!“, sagte Serra erschrocken und sprang auf. Es fiel ihr schwer gegen den Luftdruck anzukämpfen. Ihr Kommandant rief etwas, doch Serra rannte einfach los. Vermutlich würde er diesen Tag nicht überleben und sie auch nicht. Warum sich also wegen Befehlsverweigerung Sorgen machen? Sie hielt inne und verwünschte sich für ihre Unentschlossenheit. Sie war Mitglied der Drachengarde! Eine Befehlsverweigerung kam nicht in Frage! Verflucht sei dieser Tag! Sie drehte sich um und sah, wie der Kommandant von einem gigantischen paar Krallen gepackt wurde. Ihr wurde übel bei dem Anblick. Ihren Instinkten sei Dank, warf sie sich noch rechtzeitig zur Seite, um einem weiteren Paar zu entkommen. Nur der Himmel wusste woher diese gerade kamen. Trotzdem wurde sie an der Seite erwischt und die scharfe Kralle riss ihre Rüstung mit einem hässlichen Geräusch auf. Serra spürte Hitze und wieder war es nur ihren Instinkten zu verdanken, dass sie überlebte, wenn auch mit angesengtem Haar und dem Gefühl zu verbrennen, obwohl wenn sie nicht getroffen wurde. Sie vermied es nach oben zu sehen, denn sie befürchtete sonst vor Angst zu erstarren. Der Kommandant war weg! Jetzt rasten ihre Gedanken doch. Wer hatte nun das sagen? Solange sie das nicht wusste, konnte sie auch zu Lars gehen, das war kein Verbrechen. Wenn sie nur wüsste, wo er Wache hielt!

Wie durch ein Wunder stand das Pferd des Kommandanten noch immer da. Es zitterte und schwitzte vor Angst, galoppierte aber nicht davon. Das Tier war gut ausgebildet. Serra überlegte nicht mehr lange. Es wäre unverantwortlich den Schimmel allein zu lassen. Sie stieg auf und ließ ihn angaloppieren. Leider mussten sie noch immer gegen die Winde ankämpfen, die die Monster über ihnen produzierten.

Serra konnte sich erinnern, dass Lars der siebten Gruppe zugeordnet worden war. Sie war in der Fünften. Das hieß, wenn sie und er Glück hatten, dann war Lars im Moment noch außerhalb der Reichweite der Drachen. Hätte Serra den Glauben nicht schon längst verloren, sie hätte gebetet, was das Zeug hielt, doch so bleib ihr nur das Zählen der Posten. Der Wind nahm ab und auch das Rauschen, doch die Schreie aus der Stadt wurden wieder lauter. Serra vermied weiterhin jeden Blick, der ihr ein geschupptes Etwas hätte zeigen können.

Als sie glaubte bei der Siebten angekommen zu sein, zügelte sie das Pferd. Die Soldatin hätte um einiges gewettet, dass das Tier erleichtert war zumindest ein Stück aus der Gefahrenzone heraus zu sein. Sie tätschelte ihm den Hals und stieg ab. Sie rannte zur nächsten Leiter und kletterte hinauf. Den letzten Meter half ihr jemand. Sie wurde auf die Mauer gezogen und blickte in das Gesicht eines bärtigen Kammeraden.

„Der Kommandant bist du nicht!“, stellte er fest. Was für eine schlaue Bemerkung!, dachte Serra. „Nein!“, sagte sie und stand auf.

„Was geht hier vor sich?“

„Der Kommandant ist tot. Ich habe mir sein Pferd geliehen!“, erklärte sie unumwunden. Ein ungläubiger Blick quittierte diese Aussage.

„Das da“, die Soldatin wedelte in Richtung Stadt „sind Drachen! Einer von ihnen hat sich den Kommandanten als Apparativ geschnappt und ich bin hier, weil ich einen gewissen Lars suche!“. Noch immer starte der alte Soldat sie an. Sie schnaubte. „Weißt du, wo Lars…“, sie stockte, sie kannte den Familiennamen ihres Freundes gar nicht „Kennst du einen Lars, der heute hier mit Schicht hatte, als Disziplinarmaßnahme?“. Endlich kam Leben in den Burschen. Er zuckte mit den Schultern „Vielleicht, vielleicht auch nicht…“, brummte er unbestimmt „Warum ist das so wichtig?“. War denn das zu fassen? Hinter ihnen ging die Stadt in Flammen auf und der da hatte die Ruhe weg! Serra warf ihm einen tiefbösen Blick zu.

„Vergiss es!“, fauchte sie und schritt an ihm vorbei. Wenn es sein musste, lief sie die ganze Mauer ab! Sie war nicht viele Schritte gegangen, als der Bärtige hinter ihr rief: „Warte!“. Serra blieb stehen und hoffte, dass der Kerl doch etwas von Lars wusste. Sie wurde enttäuscht.

„Wie lauten unsere Befehle?“, fragte er.

„Der letzte Befehl des Kommandanten lautete, die Stadt zu evakuieren. Welche Rolle wir dabei spielen sollten, sagte er nicht.“. Serra lachte freudlos und rannte los, um Lars zu finden.
 

Kommandant Merton stand auf dem Innenhof der Kaserne. Alle erwarteten, dass er die Situation unter Kontrolle hatte, doch die Wahrheit war, er wusste nicht einmal, was hier vor sich ging. Er ließ alle Truppen aufmarschieren und schweres Geschütz auffahren, doch im Grunde brachte das gar nichts. Sie waren wie Schneeflocken, die in einem Sturm umhergewirbelt wurden. Die Stadt brannte und Gebäude wurden eingerissen und die Drachengarde war machtlos. Der Name der Elitetruppe, auf die alle vertrauten, schien ihn zu verhöhnen. Drachengarde…

„Die Ballisten sind zu träge!“, berichtete ein Laufbursche. Er salutierte vor seinem Kommandanten „Ehe sie ausgerichtet sind, sind die Monster schon wieder woanders und die Geschosse, die treffen, prallen einfach ab.“. Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit „Wir müssen größere Geschosse auffahren, Sir!“, fügte er hinzu.

„Willst du mir erzählen, wie ich meinen Job zu machen habe, Junge?“, blaffte er den Burschen an „Schwerere Geschütze wie? Wenn du mit Katapulten auf die Biester schießen willst, können wir die Stadt auch gleich selbst anzünden!“. Wir sollten die Bewohner evakuieren… , dachte er bei sich. In genau diesem Augenblick kam ein Reiter durchs Tor gesprengt. Es war ein Wachhabender des äußeren Ringes, dass erkannte Merton an der Uniform.

„Wurde aber auch Zeit, dass die Meldung machen!“, murrte er. Der Soldat sprang ab und salutierte. „Sir!“, sagte er „Ich bringe eine dringende Nachricht von Kommandant Ellron vom äußeren Ring!“. Ungeduldig bedeutete Merton, dass er fortfahren sollte. „Kommandant Ellron empfiehlt, die Stadt zu evakuieren, da man die Drachen nicht aufhalten kann!“

„Stell dir vor, so weit war ich auch schon…“, Merton wandte sich ab, um entsprechende Befehle zu erteilen, als der Bote noch etwas sagte „Sir! Die Soldatin, die Alarm gegeben hat, sagte auch, dass dies nur die Vorhut sei und wir mit weiteren zwanzig bis dreißig Monstern rechnen sollten!“

Wie angewurzelt blieb Merton stehen. „Was für eine Soldatin?“, fragte er.

„Na die, die wegen der Schlägerei gestern an den äußeren Ring strafversetzt wurde, Sir!“, antwortete der Soldat.

„Serra!“, murmelte der Kommandant. Also war an den Gerüchten um ihre Person tatsächlich etwas dran.

„Sir?“, fragte der Bote nach.

„Sie soll hierher kommen. Reite zurück und bring sie unverzüglich hier her! Wenn sie zicken macht, dann schlag sie meinetwegen bewusstlos!“.

Der Soldat öffnete den Mund, aber Merton trieb ihn zur Eile an. Serra könnte womöglich wichtige Informationen liefern, wenn man ihren feigen Arsch hierher bekam.



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