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Das Versprechen

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Das Versprechen

Das Versprechen
 

Ich weiß nicht, wie lange ich bereits auf dem kalten, moosbedeckten Boden liege, inmitten der giftigen Büsche, vor deren Gefahr du mich vor wenigen Stunden noch so eindringlich gewarnt hattest. Mit glasigem, tränenverschleiertem Blick sehe ich hinauf, versuche den Himmel und die winzigen Sterne durch das Blätterdach hindurch zu erkennen, doch ich sehe nichts. Ich sehe nur dein Gesicht. Dein blasses Gesicht, die geschlossenen Augen und den fast schon zufriedenen, glücklichen Ausdruck auf deinen Zügen. Es zerreißt mir das Herz.
 

Ich sehe, wie du auf dem schmutzigen Boden liegst, in der Mine, in der wir uns nach der Flucht verstecken wollten. Nach der Flucht, die uns Basta mit seinen Männern beinahe durchkreuzt hätte, nachdem der Natternkopf die Gefangenen überraschenderweise hatte gehen lassen, Meggie und Zauberzunge, durch dessen Handwerk er schließlich die lang ersehnte Unsterblichkeit erlangt hatte, eingeschlossen. Doch du warst da, du, Staubfinger, der du trotz des fallenden Regens die Macht über das Feuer hattest. Du hast uns gerettet. Und jetzt bist du nicht mehr da.

Warum nicht?
 

Meggie hat mir bereits erzählt, was passiert ist. Hätte ich deinen leblosen Körper nicht mit eigenen Augen gesehen, deine kalte Haut nicht unter den eigenen Fingern gespürt, ich würde es nicht glauben – denn ich erinnere mich nicht an Bastas Messer, das mir zwischen die Schultern gefahren war und mein Herz durchbohrt hatte. Ich erinnere mich auch nicht mehr an den Schmerz, an Meggies Schrei oder an dein entsetztes Gesicht. Es scheint, als hätte ich für kurze Zeit geschlafen, einen traumlosen Schlaf, der wohl nie geendet hätte, wenn dein Leben nicht für das meine verwirkt wäre.
 

Doch du hast es geschehen lassen. Warum? Ich verstehe dich nicht. Du warst so glücklich, wieder bei Roxane zu sein, ich habe deinen warmen Blick gesehen, mit dem du sie zärtlich gemustert hast, in Augenblicken, in denen du dich unbeobachtet fühltest. Doch ich habe dich nie aus den Augen gelassen. Nie, nicht eine einzige Minute. Ich habe deinem Gesicht angesehen, dass du ihr gefolgt wärst, in ihr Haus vor den Mauern Ombras, das ihr vor vielen Jahren bereits gemeinsam bewohnt habt. Dass du mich allein gelassen hättest, weil du sie so sehr liebst. Liebtest. Denn nun lebst du nicht mehr, Staubfinger. Nun hast du mich verlassen, ebenso wie Roxane, die über deinem Körper kauerte und weinte, als hätte es ihr das Herz zerrissen. Und wahrscheinlich hatte es das auch.
 

Also, warum? Warum, Staubfinger? Ich weiß, du kannst mir keine Antwort mehr geben, so sehr ich mich auch nach einer sehne, weil du jetzt bei den Weißen Frauen bist und ihnen wahrscheinlich, wie in der Geschichte, die du mir nie erzählt hast, bis in alle Ewigkeit das Feuer schenken musst, weil du einen Handel eingegangen bist: Dein Leben gegen das meine. Und nun bist du einsam, allein. Ohne jegliche Wärme oder Liebe.
 

Meggie hat mir ebenfalls erzählt, dass du niemanden, nicht einmal Roxane, an dich herangelassen hast, als du meinen leblosen Körper in den menschenleeren Stollen der Mine gebracht hast. Du warst es auch, der mich den ganzen Weg bis dahin getragen hat, ohne mich ein einziges Mal loszulassen. Lediglich Meggie hast du in deiner Nähe geduldet, wahrscheinlich, weil du denselben Schmerz, der dich durchbohrte, auch in ihrem Gesicht gesehen hattest.
 

Ihre Lippen verließ auch die Beschreibung deines Verhaltens mir gegenüber. Wie zärtlich du mit mir umgegangen bist, als hättest du etwas sehr, sehr Wertvolles verloren. Und ich glaube, das bin ich auch für dich – wertvoll. Auch, wenn du so gut wie nie jemand anderem deine Gefühle gezeigt hast, so weiß ich doch, dass du mich geliebt hast, Staubfinger. Auf deine eigene Art und Weise, ich weiß es. Tief in meinem Herzen konnte ich es immer spüren, auch jetzt noch – deine Tat beweist es deutlich.
 

Ich fahre mir mit dem Handrücken über das Gesicht, wische die letzten Spuren der Tränen fort, die immer noch salzig auf meiner Haut kleben. Ein trockenes Schluchzen entweicht meiner Brust und ich schließe die Augen, gebe es auf, in die Baumkronen zu starren und sehe stattdessen erneut dein Gesicht, als stündest du hier, direkt neben mir. Ich sehe das Feuer, wie es dich umschmeichelt, dir aufs Wort gehorcht, wie du es auf deiner Hand tanzen lässt. Dein Lächeln, eines deiner viel zu seltenen, ehrlichen Lächeln, die du nur in meiner Nähe gelächelt hast. Ich weiß es, Staubfinger. Ich habe es immer gesehen, auch wenn du dachtest, ich würde das Feuer zu zähmen versuchen, den Blick stets auf die leckenden Flammen gerichtet. Doch ich habe dich immerzu beobachtet, denn du bist mir das Wichtigste geworden.
 

Wie soll ich denn jetzt in dieser grausamen Welt weiterleben, ohne dich? Wer soll mich weiterhin in die Künste des Feuerspiels einweisen, mir auf die Finger schlagen, wenn ich es wieder übertrieben habe? Wer, wenn nicht du?
 

Du warst der Einzige, der mich von Anfang an aufgenommen hat, seit Zauberzunge mich aus meiner eigenen, fremden Geschichte gelesen hatte, damals, in Capricorns Kirche – es fühlt sich an, als wäre dies vor mehreren Leben geschehen. Selbst wenn ich dich zunächst sehr viele Nerven gekostet haben mag und du mich entnervt abgewiesen hast, so warst du immer da, wenn ich dich gebraucht habe, hast mich beschützt – so wie ich dich aus so manch brenzligen Situationen gerettet habe.
 

Ein ewiges Spiel, ich und du. Wie soll das nun weitergehen, ohne den wichtigsten Spieler?

Es ist unmöglich, Staubfinger.
 

Mühsam setze ich mich auf, die Glieder völlig durchweicht vom Regen, als würde der Himmel ebenso um dich weinen, wie ich es tue. Nach kurzem Zögern, weil ich die Tränen und das unterdrückte Schluchzen immer noch bleiern in meiner Brust spüre, als würde es nur darauf warten, in einem schwachen Moment wieder aus meiner Brust zu preschen, stehe ich auf, stütze mich an einem der dornigen Bäume ab und spüre, wie die giftige Rinde mir die Haut verbrennt – wie du sagtest. Doch ich spüre den Schmerz nicht, im Gegenteil. Ich presse meine Hand fester gegen das raue Holz und schließe den Augen, versuche, das gepeinigte Schlagen meines Herzens auszublenden, das bei jedem einzelnen Gedanken an dich schreit und aufs Neue zerbricht.
 

Ich höre, dass Meggie meinen Namen ruft. Und auf einmal, mit dem Klang ihrer Stimme, keimt ein Gefühl in meinem Herzen auf, ein kleiner Hoffnungsschimmer, der mich wärmt, von innen heraus, weil ich weiß, dass ich es schaffen kann. Komme was wolle. Ich werde dich zurückholen, Staubfinger. Mit Meggies Hilfe, mit ihrer Stimme und Fenoglios Worten. Zurück unter die Lebenden, damit du wieder mit dem Feuer tanzen kannst und lächeln. Damit ich dich wieder in die Arme schließen kann. Damit ich dein Lachen wieder hören und mit dir von einer Stadt zur nächsten ziehen, von einem Marktplatz zum anderen und jedem, der gewillt ist sein Herz zu öffnen, jenes mit unserem Feuerspiel verzaubern kann.

Mit dir zusammen. Nur mit dir. Denn ich bin nichts ohne dich, vom ersten Augenblick an. Du gehörst an meine Seite, so wie ich an deine. Ich werde dich zurückholen.
 

Ich verspreche es dir, Staubfinger.



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