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Antipasti

von

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Graham - Der Antipasto

Sage ich den Leuten, was meine Profession ist, lächeln sie mich belustigend an, wenn sie nicht sogar lachen oder gleich die örtliche Psychiatrie anrufen. Natürlich halten sie mich für verrückt, ich würde bestimmt auch jedem dem Vogel zeigen, wenn man mir sage, mit was man sein Geld verdient. Zudem muss man auch bedenken, dass der Name für das, was ich tue, nicht meine Idee war, sondern die meiner ehemaligen Kollegen, bevor ich meinen alten Job hinter mir lies. Ich bin ein Antipasto. Natürlich bin ich keine italienische Vorspeise, welche hauptsächlich aus Gemüse besteht – das wäre einfach nur zu skurril. Und ich bin verdammt nochmal kein Anhänger des fliegendes Spagettimonsters! Ich bin weder Fetischist, Lebensphilosoph, noch Psychopath. Ich bin einfach nur Antipasto.
 

Das Gute ist vielleicht, dass die Leute auf diese Antwort kaum noch Fragen stellen und ich so in Ruhe meinem Job nachgehen kann. Sollten sie doch einmal mehr verlangen, so werden sie eh nicht an die Wahrheit meiner Aussagen glauben, ganz gleich ob es aus Ignoranz oder Angst ist. Denn als Antipasto gehe den modernen Mythen, vor allem jenen die ihren Ursprung im Internet erfahren haben, nach. Eigentlich bin ich ehemaliger Polizist und habe mich zu einer Mischung aus Privatdetective und Mythenforscher entwickelt. Ich habe mich dabei auf diese sogenannten 'Creepypastas' spezialisiert. Forscht man nach, so findet man raus, dass das 'pasta' eigentlich von 'paste', also einfügen, kommt. Dann diese Geschichten werden oft in einem Forum gepostet, kopiert und in ein anderes hinein gefügt. Allgemein denkt man heutzutage aber tatsächlich an Nudeln – das dachten zumindest meine ehemaligen Kollegen und benannten mich daher Antipasto.
 

Was sie dabei nicht bedachten war, dass viele dieser kleinen Geschichten nicht nur Ausgeburten grusliger Fantasie sind, sondern die Realität. Sie sind Wirklichkeit und beinhalten die Wahrheit. Diese sind nicht nur einfach Produkte der Langeweile von 12 jährigen Möchtegernautoren, deren Lieblingswörter 'Tod', 'Blut' und 'hyperrealistisch' sind. Ich aber rede hier von jenen, welche keinen Ursprung kennen, deren Verfasser nicht vorhanden oder nicht auffindbar sind. Von jenen, zu welchen es Bilder, Texte und Videoaufnahmen als mehr oder minder glaubwürdige Beweise gibt. Ich rede hier von Geschichten, wie die des 'Russischen Schlafexperiments', von 'The Rake', aber vorallem von 'Jeff dem Killer'.
 

„Ist das nicht dieser schlechte Joker-Verschnitt?“, fragt ein dicker Streifenpolizist aus den hinteren Reihen und unterbricht mich so bei meinem Vortrag. Während ich meinen Mund nur auf und zu klappe, wie ein Fisch auf dem Trockenen, lachen mehrere seiner Kollegen auf und machen und machen unangebrachte Kommentare über die weiße Haut und das vernarbte Lächeln des Mörders. Sie wollen einfach nicht verstehen, dass es mir ernst mit meinen Ausführungen ist.

„Verdammt! Meine Frau hätte verdammt gerne aus so geiles Make-Up, was ihre faltige Visage abdeckt.“ „Scheiß auf Make-Up! Ich wette der Joker wäre neidisch auf diese Narben die so ein perfektes Lächeln formen.“ „Joker? Doch wo ist Batman?“
 

Mindestens 10 Minuten scherzen sie auf diese Art und Weise, während ihr Boss mit verschränkten Armen mich ansieht, während sein Blick förmlich sagt: 'Danke Arschloch. Ein Mörder rennt hier frei herum und wir verschwenden unsere Zeit.' Ich nicke, als ob ich ihm versichern will, dass ich die Angelegenheit schon kläre, was ich auch tue:
 

Ich knalle die Fernbedienung, die ich für meine Präsentation auf den metallenen Tisch vor mir, schlage mit der Faust auf eben diesen, sodass es laut schallt, rufe dann laut „Ruhe!“ in den Raum, bevor ich schließlich auf einen Knopf des eben genannten Gerätes drücke. Ein lautes Frauenschreien hallt durch den Raum, sodass alle beteiligten die Hände über ihren Ohren zusammenschlagen um jeglichen Ton auszublenden. Wenige Augenblicke später stoppe ich die Aufnahme und schnaube.
 

„Meine werten Damen und Herren in diesem Raum: Es mag zwar in ihren Augen alles surreal erscheinen und ihr Verstand wird ihnen sagen, dass so etwas auf unserer lieben, guten Welt nie gab, nicht gibt und nie geben wird. Sie glauben alles hier sind nur Märchen und Lügen. Ich aber kann ihnen eines versprechen: Nur weil sie nicht daran glauben, heißt es nicht, dass es diese Dinge nicht real sind. Wenn sie diesen Fall lösen wollen, müssen sie für alles offen sein, auch wenn es für sie nicht möglich erscheint.“ Ich stütze mich auf dem Tisch vor mir ab und seufze laut. „Doch eines können sie mir glauben: Jeff der Killer ist real. Er existiert und garantiert kein Internetmärchen.“ Sie sind alle ruhig, auch wenn ich sehe, dass einige der Polizisten ein schäbiges Grinsen versuchen zu verstecken. Ich hasse diese ignoranten Schwachköpfe. Mir dieser Einstellung werden sie nie den Mörder fangen.

Bobby, ihr Boss wie auch mein ehemaliger Vorgesetzter, bevor ich umgezogen bin, steht auf und und stellt sich neben mich. „Danke für die Aufmerksamkeit. Merkt euch alles gut, vielleicht kann es uns in diesem Fall helfen. Guten Tag.“

Mit unbestimmtem Murmeln stehen sie alle auf und ich höre auch wieder einige Witze, bevor sie alle den Raum verlassen um ihre Donutpausen einzulegen. Bobby aber bleibt, dreht sich in meine Richtung. „Schön mal wieder von dir zu hören.“, meint er mit seiner immerwährenden, emotionslosen Miene und schüttelt meine Hand wie wild. Das hat er schon früher so getan. Er hat sich eindeutig in den 5 vergangenen Jahren nicht verändert, was gut so ist.
 

Wenn es doch für uns alle so gelten würde.
 

Nach einiger Zeit lässt er meine Hand los und ich habe noch immer das Gefühl, als würde er sie zerquetschen. „Vor allem ist es gut zu wissen, dass du noch am Leben bist. Schließlich hast du dich seid deinem Umzug kein einiges Mal gemeldet.“ „Da bin ich aber nicht der Einzige.“, murmle ich und beginne meine Unterlagen zusammenzupacken. „Du kennst mich: Ich bin immer beschäftigt mit der Ausbildung der Jungen, mit Fällen, Idioten am Kaffeespender. Du bist da nicht anders, wie ich weiß. Immer auf der Spur. Immer wachsam. Immer in Topform. Schade, dass du dein eigenes Ding durchziehen willst. Ist ein richtiger Verlust in unseren Reihen.“ Ich bleibe still. Was soll ich schließlich noch groß sagen? Es stimmt, so, wie es ist.
 

Stumm sortiere ich Karteikarten, während Bobby sich zum Bildschirm dreht und seine Arme verschränkt. „Jeff der Killer.“, murmelt er in seinen nicht vorhanden Bart. „Und er existiert wirklich?“ „Das tut er.“, antworte ich und drehe mich ebenfalls zu dem bekannten Bild des Weißhäutigen mit irrem Grinsen und seelenzerfressenden Augen. „Ich muss sagen, dass ich weniger an dem zweifle, was du gesagt hast, als diese Schwachmaten. Ich schätze einfach, dass ich nicht hoffe, dass wir es hier nicht mit solchen Angelegenheiten zu tun haben.“ „Glaub mir Bobby: Das würde ich auch gerne hoffen.“
 

Nach einigen Worten über dies, jenes, Gesundheit, seiner Frau und seinem Sohn, der im nächsten Monat heiraten wird, verlasse ich mit meiner Tasche voller Materialien den Raum und gehe den Gang entlang, der mich vorbei an den Büros führt. An dem ein oder anderen Türrahmen lehnen Polizisten um sich mit ihren Kollegen zu unterhalten. Doch als ich vorbei gehe werden sie still, dann wird ein minder intelligenter Vergleich von Joker und Jeff gemacht, gefolgt von Worten wie 'Spinner' oder 'Verrückter'. Alle Beteiligten brechen dann in Gelächter aus. Ich versuche sie einfach alle zu ignorieren. Was habe ich schließlich schon für eine andere Möglichkeit? Stattdessen senke ich meinen Kopf, den Blick auf den Boden gewandt. Meine Schritte werden schneller. Vorbei an den Kaffeeautomaten. Vorbei am Pausenraum. Einfach weg, weg von diesen Menschen, die mir eh nicht glauben wollen. Zurück nach Hause, dort, wo es nichts als die Wahrheit gibt.
 

Mit erleichtertem Seufzen stoße ich die zweiflüglige Eingangstür auf und atme tief die frische Luft ein, als wäre ich gerade aus dem Wasser aufgetaucht. Die Sonne schien noch grell und es war angenehm warm, so, wie es im Mai sein sollte.
 

„Hey Spinner, bleib doch noch da! Erzähl uns noch mehr gruslige Geschichten, die wahr sind.“, spottet von drinnen wieder ein Polizist. Ich schnaube, beiße auf meine Lippe, bevor ich hinter mir die Tür ins Schloss fallen lassen, ohne mich noch einmal umgedreht zu haben. Diese elendigen Wichser..., wenn sie doch nur die Wahrheit wüssten!
 

Selbst das würde vielleicht nichts ändern und mit knirschenden Zähnen laufe ich ich die ehrwürdige Marmortreppe der Polizeiwache hinab, um zum Parkplatz zu gelangen. Doch noch bevor ich um die Ecke des riesenhaften Gebäudes biegen kann, höre ich jemanden rufen:
 

„Warten Sie!“ Es war die Stimme einer jungen Frau. Wahrscheinlich eine von jenen, die so leichtsinnig über Jeff gescherzt haben. Ich laufe daher einfach weiter, hin zu meinem weißem Audi a4, der wie eine eins in der Parklücke steht.
 

„Warten Sie doch! Ich will mit ihnen reden!“, ruft die Frau weiter nach mir, während ich sie weiter ignoriere und schon den Schlüssel aus meiner Tasche fische. Mit einem lauten klack lösen sich die Riegel und ich öffne die Fahrertür. Doch ich kann nicht einsteigen, denn eine Hand, die der Frau, krallt sich an den Ärmel meines Jacketts fest.
 

Langsam blicke ich über meine Schulter, sehe eine Frau, welche vielleicht 25 Jahre alt sein könnte, mit langen lockigen Haaren, graugrünen Augen und ich schätze, dass sie etwa 1,65 Meter groß ist. Es wird ganz sicher so sein, denn ich kann gut schätzen.
 

Ich drehe mich herum und verschränke meine Arme vor der Brust, sodass sie loslassen muss.

„Ja, bitte?“, sage ich schroff und warte schon auf die nächste Aussage über Batmans Erznemesis. Sie aber scheint über den plötzlichen Augenkontakt arg erschrocken zu sein und sieht mich nur mit offenem Mund an. „Ja?“, wiederhole ich, mit dem verzweifelten Versuch etwas sanfter zu sein. Sie presst daraufhin gleich ihre Lippen zusammen.
 

„Ich will ihnen helfen.“, sagt sie schnell und nervös, während ihr Gesichtsausdruck verrät, dass sie sich fragt, ob es denn die richtige Entscheidung sei. Dafür bin ich es, der jetzt erstaunt drein blicken muss, kann mich aber im Gegensatz zu ihr schneller wieder fangen. „Ist das ein Scherz?“ Es ist das erste, was meine Gedanken kreuzt und daher spreche ich es auch aus. Sie schüttelt wie wild ihren Kopf. „Mich hat das, was sie gesagt haben beeindruckt. Sie gehen an diese Geschichten ran, als hätten sie keine Angst. Das respektiere ich sehr. Und im Gegensatz zu meinen werten Kollegen glaube ich ihnen...“ Ich nicke knapp, denn nun bin ich es, der etwas so eindeutiges nicht glauben kann. Schließlich werde ich ja sonst nur mit Spott und Gelächter behandelt.
 

„Sind sie sich sicher.“, frage ich sie und blicke ihr tief in die Augen. „Ja, das bin ich.“ „Sie wissen nicht, auf was sie sich einlassen.“ „Doch, das tue ich.“ Ich presse meine Lippen aufeinander. Ich weiß plötzlich nicht, was ich sagen kann. Daher blicke ich stumm auf ihr Namensschildchen über ihrem Herzen, doch da sie wieder zu sprechen beginnt, kann ich mir den Namen nicht merken. Ich weiß nur, dass sie zwei Vornamen besitzt und einen recht seltenen Nachnamen. Doch sonst? Denn, ernsthaft, warum sollte ich ihn mir auch merken? „Nehmen sie nun meine Hilfe an?“ „Nein.“ „Aber-“ Ich hasse Menschen die immer Einwände mit aber beginnen. „Nichts aber.“ Ich seufze verzweifelt. „Okay, hören sie mir zu: Denken sie genau nach, ob sie das hier wollen. Diese Partnerschaft, wenn man es so nennen soll. Ob sie Geld bekommen, ist nicht sicher. Ob die Spuren, die wir finden werden auch gewiss sind und uns nicht ins Dunkle führen. Forschen sie ein bisschen im Internet über all die Geschichten nach, die ich ihnen heute vorgetragen habe – vor allem die über Jeff. Deswegen war ich heute schließlich hier. Und wenn sie sich sicher sind, wissen sie ja, unter welchem Namen sie mich finden. Oder fragen sie einfach Bobby. Er wird sie an mich vermitteln.“ Sie bleibt stumm, blickt kurz zum Boden und nickt, um mir dann ihre Hand zu reichen.
 

„Ich danke ihnen, Mr. Marshall.“
 

Ich nicke stumm und steige ohne ein weiteres Wort in mein Auto.
 


 

Ich fahre fast 3 Stunden, bevor ich einige Städte weiter zu Hause ankomme. Es ist eine gute Gegend, die Menschen hier sind glücklich und besitzen einiges an Geld. Wie wir. Wenn ich mal etwas verdiene, verdiene ich gut. Zudem habe ich noch genug Sparmaßnahmen unternommen, sollte es mal längere Durststrecken geben.
 

Unser 4 Zimmerapartment befindet sich in der obersten Etage von 5 und bietet einen wunderbaren Blick über den nahegelegenen Park. Er ist so nah, dass man sogar die Kinder spielen und die Hunde bellen hören kann, wenn der Verkehr einmal ruhiger ist.
 

Müde schleppe ich mich die Treppen hoch und bin etwas aus der Puste, als ich an der Wohnungstür ankomme. Ich war schon mal in besserer Form – vor 5 Jahren, bevor ich meinen Beruf gewechselt habe. Nachdem ich hineingetreten bin, lausche ich, ob jemand zu Hause ist. Doch es ist still, was mich nur wenig wundert.
 

Der Flur ist voller Schränke für Krimskrams, einer riesigen Garderobe, an welcher unzählige Jacken, Westen, Mäntel und Schals hängen. Nur ein Bruchteil von den Sachen gehört mir. Mein Jackett, hänge an einen der wenigen freien Haken, während ich die Schuhe im Schrank verstaue, damit alles ordentlich aussieht. Erst dann schnappe ich meine Tasche und gehe in mein Arbeitszimmer, ganz am Ende des Flures. Drinnen ist es dunkel, nur ein wenig Licht von den Straßenlaternen scheint durch die Schlitze der geschlossenen Jalousien. Es ist dennoch genug, damit ich zu meinem Schreibtisch finde, die Lampe einschalten und mich setzen kann.
 

Die Tasche schmeiße erst mal auf den Boden, fahre mit meinen Händen über mein Gesicht und seufze. Wieder mal ein anstrengender Tag – wie eigentlich jeder seit langer, langer Zeit. Gewiss wird es sich so schnell auch nicht ändern.
 

Schatz?“, höre ich plötzlich eine mir sehr wohl vertraute Stimme hinter mir und Schritte, die langsam näher kommen. Die zierliche Frau mit strahlendem Lächeln und brünetter Mähne, welche mich mit ihrem ersten Augenaufschlag in ihrem Bann hatte, setzt sich auf meinen Schoß und streicht sanft über mein Gesicht. „Wieder ein anstrengender Tag?“, fragt sie mit wissender Miene und mitfühlendem Blick in ihren grau-grünen Augen. Ich nicke nur und schmiege mein Gesicht an ihren Hals, rieche das Lavendelshampoo was sie schon seit einer halben Ewigkeit benutzt.
 

„Die bösen, bösen Cops haben dir wieder nicht geglaubt, richtig?“, fragt sie sanft und streicht durch mein Haar. Es beruhigt mich ungemein und ich spüre schon, wie meine Augen gegen das Dösen ankämpfen. „Richtig.“, murmle ich einfach, bevor sie mein Gesicht anhebt und mich behutsam küsst, bevor sie mir tief in die Augen blickt. „Du weißt, dass sie Zeit brauchen, um die Wahrheit zu sehen. Du weißt, was da draußen existiert. Wir wissen es ganz genau...“
 

Ich nicke und drücke sie mit meinen Händen auf ihren Rücken fest gegen mich und seufze wieder. „Ach Anja, ich wünschte dennoch, dass auch ich unwissend wäre.“ „Du wurdest auserwählt, Schatz. Auserwählt, das Böse dieser Welt ausfindig zu machen, um es dann zu beseitigen. Dafür sollten wir dankbar sein.“ „Wenn es nur so einfach wäre.“ Ja, wenn es das nur wäre...

Sie antwortet nicht, küsst mich nur erneut, als wolle sie mich auf bessere Gedanken bringen.

„Habe ich schon mal gesagt, dass es nicht ausstehen kannst, dass du dich immer wie ein Tiger an schleichst?“, meine ich neckend nach beenden des Kusses. „Schon oft genug. Du kennst mich: Ich aber einfach unverbesserlich.“ Ich kann nicht anders, als leise zu lachen. Ja, das ist diese Frau und dafür liebe ich sie so sehr.
 

„Musst du heute noch viel erarbeiten?“, fragt sie und nimmt ein Bild in ihre Hand, welches ein Opfer von Jeff zeigt und betrachtet es mit unveränderter Miene. Es ist das eine, welches sie immer nimmt, als habe sie Angst, mehr von den grausamen Taten von diesem Wahnsinnigen zu sehen.
 

„Ich kann auch morgen noch arbeiten. Heute hat sich, bis auf ein paar Gelächter eh nichts ergeben.“ Ein keckes Lächeln breitet sich nun auf ihren Lippen auf und Anja steht auf und zieht an meiner Hand, damit ich aufstehe, um ihr zu folgen. „Dann kannst du ja mit uns zu Abend essen. Maggie wird es sehr freuen. Und dannach verbringen wir gemeinsam etwas Zeit.“ Ich lasse mich aus dem Raum ziehen, durch die offene Tür und werde bei meinem ersten Schritt in die Küche von lautem, freudigem Schreien gegrüßt. Anja lässt gleich meine Hand los und der kleine Wirbelwind mit zwei blonden Zöpfen springt in meine Arme. Ich hebe sie hoch in die Luft, um sie zu drehen, wobei sie dabei freudig zu lachen beginnt.
 

Maggie ist mein kleiner Sonnenschein und ich bin mehr als glücklich darüber sie meine Tochter nennen zu dürfen und noch erfreuter darüber, dass sie Anja und mein gemeinsames Kind ist.
 

„Wie war die Arbeit, Daddy?“, fragt sie und schlingt ihre kleinen Ärmchen um meinen Hals. „Hast du die bösen, bösen Männer und Monster zur Strecke bringen können?“ Auch Maggie weiß, was mein Beruf ist und leider weiß ich, dass sie mir einmal in meine Fußspuren folgen will. Ich lächle und nicke aber, damit sie keine trüben Gedanken bekommt.
 

„Natürlich! Gegen deinen Daddy haben die doch keine Chance.“ Ich weiß, dass es eine Lüge ist, doch ich will Maggie nicht verunsichern, geschweige denn verängstigen. Auch wenn sie immer furchtlos tut, sie ist dennoch 6 Jahre alt und daher für Schauergeschichten und ihre Kreaturen sehr anfällig.
 

„Und jetzt isst du mit uns, ja?“ „Das lasse ich mir doch nicht ent-“ Noch bevor ich den Satz beenden kann, klingelt aus meinem Arbeitszimmer das Telefon. Das wundert mich, schließlich wurde ich vielleicht ein- oder zweimal im Jahr darauf angerufen. Und ich habe schon lange keinem Klienten mehr meine Nummer gegeben.
 

Maggie schmollt, während Anja ihre Schultern zuckt und mit einem Nicken andeutet, dass ich doch gehen sollte. Ich lasse die Kleine zu Boden und verabschiede mich für den Moment, welcher hoffentlich nicht zu lange anhalten wird. Als ich durch den Flur gehe, kommt mir mein Bruder, nun gut - Halbbruder, Dan entgegen, welcher gerade nach Hause gekommen sein muss. Er lebt jetzt schon seit einiger Zeit mit uns, da sein Unternehmen pleite gegangen ist, seine damalige Freundin ihn verließ und er durch seine Privatinsolvenz sein Haus verloren hat. Alles nur in zwei Monaten. Und keiner seiner Möchtegernfreunde, welche immer nur hinter seinem Geld her waren wollte ihm in seiner Not Unterschlupf gewähren. Anja und ich waren die einzigen, die an seiner Seite standen, um ihm zu Helfen. Seither schläft er auf der Couch im Wohnzimmer und ist fast täglich auf der Suche nach einem Job.
 

Dan nickt nur knapp, als er mich erblickt und verschwindet dann in der Küche, welche ich hinter mir lasse.
 

Das Telefon klingelt und will einfach nicht aufhören, selbst als ich einige Augenblicke stumm darauf blicke, in der Hoffnung, dass es endlich endet. Doch das tut es nicht und so schnappe ich mir den Hörer und halte ihn an mein Ohr.
 

„Graham Scott Marshall, was -“ „Ich dachte schon, sie nehmen gar nicht ab.“, sagt die Frauenstimme am anderen Ende, die ich irgendwo schon einmal gehört habe. „Wer sind sie?“, verlange ich schroff und bereue es nicht einmal. „Wir haben uns heute getroffen, Mr. Marshall. Auf dem Parkplatz.“ „Die junge Polizistin?“
 

Ich erinnere mich und meine Neugier wird geweckt: Wieso ruft sie mich an und wie kommt sie überhaupt an meine Nummer? In dieser Sekunde war die Frau für mich von unglaublichem Interesse. „Sie meinten, ich solle mir noch einmal alles durch den Kopf gehen lassen. Ob ich das auch will. Ob ich auch weiß, dass diese Geschichten, diese Creepypastas, auch die Wahrheit sind. Mir ist mein Gehalt egal. Ich will helfen, damit die Spuren, die wir finden, nicht wirklich ins Leere führen. Ich habe auch nach geforscht. Ich-“ „Schon gut, ich verstehe ihre Ambitionen, Miss...?“
 

„Joyce. Nennen sie mich einfach Joyce. Sie gingen von einer Partnerschaft aus. Ich bin der Meinung, dass wir in dieser uns nicht beim Nachnamen nennen sollten. Ich bestehe darauf.“ „Okay Joyce. Sie scheinen wirklich erpicht darauf zu sein, mir zu helfen.“ „Ja.“ Wir bleiben kurz stumm, während ich leicht über meinen Nasenrücken streiche, als ich überlege. Schließlich weiß ich nicht, ob ich das will, diese Partnerschaft. Und ich kann auch nicht sagen, ob das für sie das richtige ist, egal wie viel sie vielleicht im Internet nachgeforscht haben mag. Joyce ist schließlich noch jung und für eine junge Frau wie sie ist es nicht gut in die Dunkelheit und Schatten dieser Welt gezogen zu werden. Schlussendlich komme ich zu einem Entschluss.
 

„Hören sie, Joyce, ich will, dass sie sich zu 110 Prozent sicher sind. Haben sie morgen Zeit? Ich will ihnen etwas zeigen.“

Joyce - Die Partnerschaft

Wie jeden Tag wache ich noch vor Sonnenaufgang auf. Ich kann daran einfach nichts ändern, auch wenn ich erst nach Mitternacht zu Bett gehe. Auch nicht, wenn ich erst Mittags auf der Arbeit sein könnte. Es gibt keinen bestimmten Grund dafür. Das ist nun mal meine Routine. Wahrscheinlich breche ich diese einfach nicht gern, da dies alles ist, was noch ein wenig meines Lebens normal wirken lässt. Schließlich geht es schon so seit einigen Jahren.
 

So stehe ich in meinem geräumigen Wohnzimmer, direkt vor dem riesigen Fenster, welches zur Hauptstraße zeigt. Natürlich ist das Glas von außen verspiegelt, schließlich würde ich es mir nie trauen, mich in Unterwäsche der ganzen Welt zu präsentieren. Ich seufze, als ich die Lastwagen beobachte, wie sie in die Zufahrten zu den Geschäften fahren und wie die Ladenbesitzer ihnen die Waren abnehmen. Routine, wie jeden Tag, außer an Sonn- und Feiertagen.
 

Ich reise meine Augen förmlich von dem Spektakel, welches sich unter mir abspielt, weg und blicke auf das Handy in meiner Hand. Da ich nicht viele Freunde und Verwandte besitze, sind darauf vielleicht eine handvoll von Nummern gespeichert. Um ehrlich zu sein, reichen sie mir auch vollkommen. Schließlich fühlt es sich jetzt schon seltsam an, noch eine mehr, die des Mr. Marshalls, darauf eingespeichert zu haben, doch für unsere zukünftige Zusammenarbeit wird sie nur von Vorteil sein.
 

Diese soll nun aber nicht von meinem Interesse sein und so tippe ich so lange auf den Pfeiltasten herum, bis die Nummer meines eigentlich einzigen Freundes zu sehen ist.
 

Jay und ich kennen uns schon seit Jahren, auch wenn er immer auf Reisen durch die Staaten ist, während ich versuche ein halbwegs normales Leben zu führen. Manchmal denke ich, dass dieses einfache Stück aus Plastik und Technik das einzige ist, was uns noch verbindet.
 

Doch dem ist nicht so – das weiß ich genau. Es sind unsere Vorstellungen, unsere Ideen und unsere Vergangenheit, welche uns eng verbunden haben. Ich weiß genau, dass uns daher auch nie etwas trennen kann und wird.
 

Da Jay gewiss noch schlafen wird, oder zumindest erst versuchen wird zu schlafen, beschließe ich ihm stattdessen eine SMS zu schreiben. Ich weiß schließlich wie abgedreht er sein kann, wenn man ihn weckt und das, so viel kann ich verraten, ist eindeutig kein schöner Anblick und tut in diesem Fall meinem Gehör nicht gut.
 

'Ich habe den Job.', tippe ich langsam ein und nach kurzem Überlegen, füge ich noch 'In Liebe Joyce.' hinzu. Dann schicke ich sie ab, ohne zu zögern. Denn eigentlich stimmt die Aussage nicht vollkommen. Mr. Marshall will mir erst etwas zeigen, damit ich mir bei unserer angestrebten Partnerschaft wirklich sicher bin. Was es wohl ist? Doch das bin ich. Nichts kann das ändern – egal was er vorhat mir zu zeigen.
 

Eigentlich wollte ich das Handy auf den kleinen Beistelltisch neben mir legen, als es plötzlich vibriert. Irritiert blicke ich auf das Display, sehe dann, dass Jay mir bereits geantwortet hat. Hastig öffne ich sie, sehe dann zuerst - und dadurch muss ich fast lachen, ein Bild von Jays Hand, welche mir den Daumen nach oben zeigt, gefolgt von der Nachricht: 'Freut mich sehr. Bin stolz.' Diese fünf kleinen Worte machen mich in diesem Moment glücklicher, als ich wahrscheinlich je zugeben würde und geben mir einen guten Start in den Tag.
 

Bobby weiß, dass ich vorerst mein eigenes Ding machen will. Er hält es sogar für eine gute Idee. „So bist du nicht nur auf Taschendiebe beschränkt. Dafür hast du zu viel Potential.“, meinte er und schüttelte meine Hand am Tag davor, seine Miene emotionslos wie immer, als ich ihm von meinem Vorhaben erzählte. Er muss Mr. Marshall wirklich sehr vertrauen und sehr schätzen, denn sonst hätte er mich gewiss nicht so einfach gehen lassen. In einem gewissen Sinne muss Bobby ihm auch glauben, was die Sache mit Jeff angeht. Da ist er einer der wenigen, denn als ich Mr. Marshall nach lief, um ihm meine Bereitschaft zu erklären, mit welcher ich an diesem Fall mitwirken will, hörte ich die entnervenden Rufe meiner Kollegen, welche sich alle für etwas Besseres halten. Sie sind arrogant und ignorant, Idioten und beschränkt in ihren Ansichten, was diese Welt angeht. Daher ist es für mich unmöglich einen festen Partner zu finden, im Beruf wie auch im wahren Leben.
 

Was mache ich mir eigentlich wieder für dumme Gedanken? Sie sind total irrelevant, was das Bevorstehende angeht. Was soll ich aber schließlich anderes mit meiner Zeit bei dieser schier endlosen Fahrt anfangen? Mein Autoradio geht schon seitdem ich es erworben habe nicht und mein Navigationsgerät zeigt er nur eine schnurgerade Linie durch verschiedene Städte und Dörfer.
 

Doch als ich es am wenigsten erwarte, sagt die mechanische Stimme: 'Sie haben ihr Ziel erreicht'. Irritiert bremse ich abrupt ab, wodurch ich mir den Ärger des hinter mir fahrenden einhole. Ich sehe im Rückspiegel perfekt, wie er mir den Mittelfinger zeigt und lauthals flucht, bevor er an mir vorbei prescht. Finster sieht er mich an und beschimpft mich weiter. Ich kann mir nur wage vorstellen, was er mir versucht an den Kopf zu werfen. Noch eine Weile blicke ich ihm stumm nach, bevor ich dann, endlich möchte man meinen, vor dem Haus parke und aussteige.
 

Erstaunt blicke ich nach oben, schließlich hätte ich nicht gedacht, dass Mr. Marshall in solch einer gehobenen Gegend lebt. Von Außen ist das Gebäude perfekt in Takt, mit der milchig-grünen Farbe und den vielen Ornamenten rund um den Fenstern. Die Ziegel des Daches sind nicht zerstört, nicht einmal Risse durch Regen oder die allgemeinen Witterungen. Selbst die Tür scheint erst vor einiger Zeit gestrichen worden zu sein. Und die Lage des Hauses ist einfach perfekt. Denn auf der anderen Straßenseite erstreckt sich ein riesiger, grüner Park und ich kann deutlich Kinder spielen hören. Zudem scheint die Gegend hier ruhig zu sein. Etwas besseres kann man sich wohl kaum wünschen.
 

Noch einmal blicke ich hinauf, bevor ich laut seufze und zur Tür gehe, wo ich die Klingel nach Mr. Marshalls Namen absuche. Als ich sie endlich finde, zögre ich kurz, drücke dann aber den kleinen runden Knopf und halte ihn für einige Sekunden.
 

Dann warte ich. Eine Minute. Zwei Minuten. Schließlich werden es fünf und ich klingle erneut, länger dieses Mal. Die Frage stellt sich mir langsam, ob er unsere Verabredung vergessen hat, als ich erneut so lang warte. Es wird mir schon etwas unangenehm, denn manch ein Passant blickt mich schon schief an und ich höre auch einige jüngere Damen hinter meinem Rücken flüstern. Ich versuche sie einfach zu ignorieren.
 

Als nach dem dritten Klingeln noch einmal fünf Minuten vergehen, beschließe ich einfach wieder zu gehen. Denn anscheinend ist der werte Herr Antipasto nicht zu Hause, oder ist sich einfach zu fein, die Tür mal endlich zu öffnen. Doch gerade in dem Moment, als ich nur eine Fuß in die Richtung meines Autos setzen will, wird die Freisprechanlage betätigt und Mr. Marshall murrt mit sehr müder Stimme. „Komm hoch. Oberstes Stockwerk.“ Gleich danach beginnt das nervtötende Gedröhne, welches das Öffnen der Tür symbolisiert und ich eile, damit sie sich nicht wieder schließt.
 

Vor mir liegt ein sehr steriles, weißes Treppenhaus. Es riecht förmlich nach Farbe und als ich zur Treppe gehe, kann ich auch einige Farbeimer in einer Ecke stehen sehen. Allem Anschein nach wird hier renoviert und ich frage mich gleich, wie das Haus wohl davor ausgesehen haben muss.
 

Umso höher ich steige, umso mehr kann ich mir vorstellen, wie es wohl hier war. Dann desto höher ich komme, umso grauer wird die Wandfarbe und umso mehr bröckelt sie ab. Die Stufen beginnen immer mehr zu quietschen und ich ahne, dass viele der Wohnungen hier leerstehend sind und auf kommende Mieter warten. Das wird auch der Grund sein, warum man renoviert, doch anscheinend gibt es noch wenige Einwohner, welche sich nicht durch den Lärm der Arbeiter und deren Maschinen vertreiben ließen. Mr. Marshall ist einer davon.
 

Als ich ganz oben ankomme, steht schon eine der Türen offen und lässt mich dadurch einen langen, unbeleuchteten Gang sehen. Bei diesem Anblick läuft mir ein leichter Schauer über den Rücken, welchen ich verzweifelt versuche zu unterdrücken. Er hat etwas beunruhigendes und bedrohliches.
 

Doch Warten wird mich gewiss nicht meinem Ziel weiter bringen und daher betrete ich ohne weiteres Zögern einfach die Wohnung und schließe die Tür sacht hinter mir. Es ist vollkommen ruhig und für einen Moment frage ich mich, ob das hier auch die richtige Wohnung ist und nicht die eines Verrückten.
 

'Keine Angst, du bist Schlimmeres gewohnt.', würde Jay jetzt sagen und wahrscheinlich tut er das auch gerade, irgendwo, in einem anderen Staat. Und da hat er auch vollkommen recht.
 

„Hallo?“, rufe ich daher und hoffe auf Antwort. Denn leider fühle ich mich dennoch etwas verloren in diesem Gang, welcher so verlassen wirkt, trotz der vielen, vielen Jacken an der imposanten Garderobe und den Bildern an den Wänden. Gerade betrachte ich eines, welches wahrscheinlich Mr. Marshall mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter zeigt. Sie sehen so unbeschreiblich glücklich aus, so wie sie für die Kamera lächeln. Wahrlich ein perfektes Bild einer Bilderbuchfamilie. Nicht jeder hat solch ein Glück...
 

„Joyce?“ Erschrocken drehe ich mein Gesicht zu der Quelle der Stimme und erblicke Mr. Marshall, wie er mit den Händen in seinen Hosentaschen an einem Türrahmen gelehnt steht. Licht fällt von dem Zimmer dahinter in den Flur und ich höre das leise Röcheln einer Kaffeemaschine. Das muss wohl die Küche sein.
 

„Ja?“, frage ich etwas stimmlos, da gerade in diesem Moment so viele Eindrücke auf mich einwirken. „Milch, Zucker oder doch schwarz?“, erkundigt er sich etwas genervt, als hätte er diese Frage schon einmal gestellt. „Zucker. Ein Teelöffel.“ Er nickt, bevor er wieder verschwindet und ich höre das Klirren von Geschirr.
 

„Hängen sie ihre Jacke auf und die Schuhe bitte an den Rand. Hausschuhe?“ „Nein. Nein danke.“ Immer höflich bleiben, ermahne ich mich im Gedanken. Daher tue ich das, wonach er mich gebeten hat, auch wenn ich meine Sachen lieber bei mir behalten würde.
 

„Wollen sie etwas essen, Joyce?“ „Danke, ich habe schon.“, erwidere ich, als ich die geräumige Küche betrete. Sie ist recht modern eingerichtet und anhand von einigen roten, blumigen I-Tüpfelchen, wie die Kissen auf den Stühlen oder Topflappen, welche über dem Herd hängen, kann man ablesen, dass seine Frau für das Einrichten verantwortlich gewesen sein muss. Dennoch stapeln sich einige Teller und Gläser in der Spüle. Ich schätze mal, dass die Marshalls ein geschäftiger Haushalt sind und daher wenig Zeit für häusliche Dinge haben. Denn abgesehen davon, wirkt alles sauber und ordentlich.
 

„Hier.“, murrt Mr. Marshall und drückt mir eine giftgrüne Tasse in die Hand, aus welcher es verführerisch dampft. „Zucker ist drin, sagen sie, wenn sie noch etwas wollen.“ Ich nicke und nehme vorsichtig einen Schluck des nachtschwarzen Gebräus und unterdrücke danach gleich den Drang, den Kaffee nicht wieder ausspucken zu müssen. Er ist so bitter und stark, dass es mir förmlich an Worten fehlt, diesen hier zu beschreiben.
 

„Kann ich mehr Zucker haben?“, frage ich hastig und versuche mir nicht irgendwie meine Zunge abzuwischen. Ich glaube, so etwas ekelhaftes habe ich noch nie getrunken.
 

Stumm reicht er mir das Zuckerbehältnis und einen Löffel, wobei seine kalten, grauen Augen still auf mir ruhen. Sein schätzender Blick wirkt beunruhigend und das kommt nicht nur von den matt violetten Augenringen, welche von schlechtem Schlaf bezeugen müssen. Ich wette, dass Mr. Marshall noch immer der Meinung ist, dass ich nur zum Spaß hier bin und seine Arbeit nicht ernst nehme.
 

Leicht zucke ich zusammen, als der Timer des nahestehenden Toasters sich meldet und zwei Scheiben Toast hervorspringen, welche Mr. Marshall gleich nimmt. „Sicher keinen Toast?“, fragt er und hält mir das Brot hin, eine seiner Augenbrauen dabei leicht erhoben. Ich schüttle den Kopf. „Sie haben nicht oft Besuch, oder?“, frage ich vorsichtig. Beide Augenbrauen sind nun erhoben. „Wie kommen sie denn darauf, Joyce?“ „Man berührt nichts, was ein anderer essen soll.“ Ich denke einfach, dass er das weiß. Sicher ist er einfach nur ein fürchterlicher Morgenmuffel und hat es daher vergessen.
 

Er nickt nur knapp, setzt sich dann und deutet an, dass ich mich ihm gegenüber setzen soll. Ich bleibe aber vorerst lieber stehen und beobachte die Situation. Außerdem muss ich versuchen, den Kaffee wenigstens ein wenig genießbar zu machen.
 

„Sie wissen, dass die Geschichten wahr sind?“ „Was für Geschichten?“ Ich blicke nicht auf, sondern rühre einfach in dem Gesöff weiter. „The Rake, Eyeless Jack, Masky, Bob...“, zählt er die Kreaturen der Creepypastas auf und ein bestimmtes Wesen verfängt sich dabei regelrecht in meinen Gedanken. „...Slenderman...“ Ich drehe mich um und halte die Tasse zwischen meinen Händen, da diese sich plötzlich so unendlich kalt anfühlen und sie auch begonnen haben zu zittern. Er nickt sanft. „Sie sind alle echt.“ Aufrichtig antworte ich und blicke ihm dabei fest in die Augen: „Ich weiß.“ Sein Mundwinkel zuckt dabei kurz auf und er lehnt sich, scheinbar interessiert nach vorne. „Und was wirst du tun, Joyce?“ Langsam atme ich aus, Gänsehaut macht sich dabei auf meinem ganzen Körper breit. Was werde ich tun? Eine gute Frage.
 

„Ich werde nicht rennen.“, antworte ich ehrlich, hebe dabei leicht mein Kinn an, als wolle ich selbst bedrohlicher wirken. Dabei muss Mr. Marshall leicht grinsen, was in Kombination mit seinem wuscheligen, grau-blondem Haar und dem ewig währendem Dreitagesbart etwas zwielichtig wirkt. „Genau das wollte ich hören. Sollten sie tatsächlich einen von ihnen mal gegenüberstehen, brauche ich niemanden, der sich aus Angst in die Hose macht und dann flieht. Sie wollen eine Partnerschaft? Dann sollen wir auch Seite an Seite stehen, sollte es zu einer Begegnung kommen. Darauf bestehe ich.“ Ich nicke knapp.
 

Er lehnt sich wieder in seinem Stuhl zurück und streckt sich, wobei sein Rücken lautstark dabei knackt.
 

„Also, Joyce, was wissen sie alles über Jeff? Deswegen sind sie schließlich hier.“ Erneut deutet er an, dass ich mich setze, was ich dieses Mal auch tue. „Also?“ Ich seufze und beginne zu erzählen:
 

„Jeff war der jüngere Sohn einer Familie, vermutlich Mittelschicht und seine Veränderung fand nach dem Umzug statt, welcher durch den Beruf seines Vaters hervorgerufen wurde. Sein älterer Bruder hieß Liu, welcher nach dem Angriff von gewaltbereiten Jugendlichen von der Polizei in Gewahrsam genommen wurde-“ „Grund?“ „Liu war nicht Schuld an der Verletzung der Jungen, es war Jeff. Doch der ältere Bruder nahm die Schuld auf sich.“ „Gut, weiter.“ „Nachbarn luden Jeff und seine Eltern später zu einer Feier ein, welche durch die eben selben Jugendlichen unterbrochen wurden und den Jungen angriffen, ihn sogar mit Waffen bedrohten. Es kam unausweichlich zum Kampf, wobei es nicht einmal die Erwachsenen wagten, einzugreifen. Dieser Kampf zog sich bis zum Badezimmer des Anwesens.“ Ich stocke, auch wenn ich genau weiß, was, dann geschah. „Joyce, was ist dann passiert?“ „Bei dem Kampf viel ein Behälter mit Bleichmittel auf Jeff, welches durch einen der Jungen entzündet wurde. Jeff..., er...begann zu brennen und niemand half ihm, bis jemand die Feuerwehr rief und er so gerettet werden konnte. Er wurde in das Krankenhaus gebracht, während man Liu aufgrund der mangelnden Beweise freiließ. Als man die Bandagen vor seiner Familie lüftete, sahen alle die gebleichte, schneeweiße, ledrige Haut und das schwarze Haar. Entgegen aller Annahmen gefiel Jeff sein neues Äußeres.“ Erneut werde ich still und trinke einen Schluck. Mr. Marshall sieht mich dabei fordernd an, doch ich lasse mir Zeit.
 

Ich kann einfach nicht anders.
 

Erneut atme ich tief durch und beende meine Ausführungen: „In der selben Nacht schnitt er sich das Lächeln in die Wangen und verbrannte seine Augenlider, damit er sich immer sehen könne ohne zu zwinkern. Er sieht sich als schön an, entgegen aller anderen Meinungen. Entgegen der seiner Familie. Da diese ihn als ein Monster an sehen, bringt er sie um und verschwindet dann in die Nacht. Alles, was man hört, wenn Jeff ein Opfer nimmt, ist: 'Geh Schlafen.'“
 

Mr. Marshall nickt zufrieden und verspeist seinen letzten Happen Toast. „Du hast dich also informiert.“ „Das ist das Mindeste, was man im Internet finden kann. Man muss dabei sagen, dass Jeff anscheinend viele Fans besitzt.“ „Weil diese Menschen ignorant sind und die Gefahr nicht sehen, welche von ihm hervorgerufen wird.“ „Wenn die Polizei seine Morde veröffentlichen würde, könnte man die Meinung der Allgemeinheit ändern.“ Er schüttelt den Kopf. „Nein.“ „Nein?“ „Nein. Das wird nicht passieren. Die Medien erfinden ihre Geschichten dazu und verfälschen die Wahrheit. Außerdem müssten alle dann zu geben, dass es Dinge in den Schatten gibt, welche unsere Vorstellung weit überschreiten. Das will doch keiner. Lieber naiv und sich fälschlicher Weise sicher fühlen, als anders. So ist es doch überall.“
 

Ich bleibe stumm, doch, in der Tat, Mr. Marshall hat dabei vollkommen recht.
 

„Kommen sie jetzt, Joyce?“ Er steht auf und ich folge ihm, lasse dabei im Geheimen das Kaffee-Zucker-Gemisch in der Spüle verschwinden.
 

„Wie sind sie eigentlich an meine Nummer gekommen?“, fragt er über seine Schulter, als wir bis zum Ende des Flures gehen. „Ich?“ „Ja, sie. Sonst ist hier niemand weiter in dieser Wohnung.“, knurrt er, plötzlich sehr verärgert. „Die ist in ihrer Polizeiakte vermerkt.“ „Wie kommen sie an die?“ „Hacken. Bobby weiß davon aber nichts. Er denkt, dass sie mir die Nummer freiwillig gegeben haben.“ „Sie sind eine Hackerin?“ Als er das fragt, wird mir gerade bewusst, was ich ihm gerade preisgegeben habe und schelte mich selbst dafür. Verdammt! Schließlich geht es ihn nichts an. Daher sage ich einfach nichts weiter, damit ich mich nicht weiter in die Scheiße reite.
 

Mr. Marshall öffnet die Tür am Ende des Flures, wobei das Zimmer dahinter nur durch das Licht, welches durch die Schlitze der Jalousien fällt, beleuchtet wird. Es wirkt alles so eng und bedrückend und ich habe das Gefühl, dass ich gleich viel schlechter atmen kann. Es riecht nach Mottenkugeln und Staub wirbelt durch die Luft. Wer weiß, wann er zuletzt diesen Raum gelüftet hat.
 

Das Licht geht flackernd über unseren Köpfen an und ich kneife automatisch meine Augen zusammen, welche zu schmerzen beginnen.
 

„Sehen sie sich richtig um und sagen sie mir dann noch einmal, ob das wirklich die richtige Entscheidung für sie ist.“
 

So öffne ich langsam wieder meine Augen und sehe mich um. Mir klappt fast das Kinn runter. An den Wänden müssen hunderte Fotografien von Tatorten und Opfern hängen. Alles ist so blutig und rot. Menschen mit aufgeschlitzten Körpern. Das Blut an Kleidung, Bettdecken und Wänden. Das eingeschnittene Lächeln in ihren Wangen, die Augen dabei weit geöffnet, als wäre Jeff tatsächlich das letzte gewesen, was sie sahen, bevor sie starben. Die Alter sind so unterschiedlich, genau wie die Formen der Körper, die ethnischen Herkünfte und natürlich auch die Geschlechter. Es scheint einfach unmöglich Zusammenhänge zwischen ihnen allen feststellen zu können, wie man es normaler Weise bei Massenmördern tut.
 

Ich halte mir die Hand vor den Mund, denn ich habe das Gefühl, dass der Kaffee um ein Wiedererscheinen kämpft.
 

„Das ist alles Jeffs Werk. Unverkennbar der Vorgehensweise, wie er seine Opfer tötet. Immer dieselbe Waffe. Immer dasselbe eingeschnittene Lächeln auf deren Wangen. Genau so, wie bei seinen ersten Opfern.“ Dabei deutet er auf einige Bilder neben dem Türrahmen, welche Jeffs Eltern zeigen müssen. Doch bei all dem Blut, ist es nur schwer auszumachen.
 

Er bleibt ruhig und sieht mich an, wartet anscheinend auf meine Reaktion, darauf, wie ich aus der Tür, aus dieser Wohnung flüchte und diese Partnerschaft beende, noch bevor sie begonnen hat. Doch dafür bin ich nicht hier.
 

„Ich weiß, worauf ich mich eingelassen habe.“, meine ich steif und sehe Mr. Marshall direkt in die Augen. „Und sie sind sich absolut sicher?“, fragt er und hält mir seine Hand hin, welche ich gleich nehme und sie fest schüttle. „Zu 110 Prozent, Mr. Marshall.“
 

Unsere Partnerschaft ist besiegelt und als wäre es ein unheilvolles Zeichen, klingelt gleich im nächsten Moment sein Telefon.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  ElliotAlderson
2013-05-04T15:45:32+00:00 04.05.2013 17:45
Mhm ja Graham meint es ernst. Joyce meint es ernst. Scheint so als könnte es nun richtig losgehen *__*
Was ich total mag ist, dass du den Dialog von der gif-Story komplett übernommen hast, da hab ich richtig gefeiert, hihi <3 Solides Kapitel! Ich freu mich riesig auf das dritte *♥*
Von:  ElliotAlderson
2013-04-25T10:34:03+00:00 25.04.2013 12:34
Uhhh *_* Joyce ist sich wohl wirklich sicher da mitzumischen. Ich finde es so geheimnisvoll, dass sie ihren richtigen Namen nicht verwenden mag, ich bin gespannt was da nich dahinter steckt ;P
Ansonsten: Anja hab ich schon ein wenig in mein herz geschlossen glaub ich, sie war so zärtlich udn fürsorglich, das hat mir gefallen. maggie war auch putzig. Und Dan...hihi ich mag Dan jetzt schon. Der arme Kerl hat alles verloren, ich glaub deswegen ist er mich gleich so sympathisch ö-ö" Anyway, ich bin gespannt wie es weitergeht und was unser lieber Antipasto Joyce zeigen will *_*


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