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Und das Mädchen sprang

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Disclaimer: Alle genannten Eigennamen sind nur geliehen. Ich besitze oder werbe nicht.

Bitte denkt über diese Geschichte nach und wieso es zu dieser Handlung kam. Mehr wünsche ich mir nicht, na ja, außer dass ihr mir eure Gedanken dazu ja vielleicht mitteilen könntet. :) Komplett anzeigen

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Das Mädchen hatte lange schwarze Haare, in denen verwaschene rote Strähnen zu erkennen waren, und die ihr Gesicht, welches das Mädchen gesenkt hielt, größtenteils verdeckten. Die Statur war normal, hatte die Schwarzhaarige keine besonders großen Brüste oder ein besonders ausladendes Hinterteil. Sie wirkte sehr groß für eine Frau, doch konnte man dies leicht auf die Schuhe, die die Beschriebene trug, schieben, hatten diese doch einen beachtlichen Absatz. Die Stiefel gingen bis kurz unter das Knie und waren geschnürt. Der Minirock war schwarz-rot-kariert. Als Oberteil trug das Mädchen ein zerfetztes T-Shirt. Abgerundet wurde das Outfit von auch schwarz-rot-karierten Armstulpen.

Das Mädchen war auf dem Weg zum Rande von Akihabara. Dort gab es ein kleines Café, welches ziemlich gut besucht war, was vielleicht den Uniformen der Bedienungen verschuldet war, denn es war ein Maid-Café. Doch benutzte die junge Frau nicht wie ein Kunde den Vordereingang, sondern die Hintertür wie eine Mitarbeiterin, die sie war. In den Umkleiden zog sie sich die typische, viel zu kurze Uniform des Maid-Cafés an, bestehend aus einem sehr knappen Minikleid in schwarz mit schulterfreien langen Ärmeln und weißen Spitzensäumen, die auch an der dazugehörigen weißen Schürze zu finden waren.

Danach band sich die junge Frau die vorderen Strähnen ihrer langen Haarpracht nach hinten. Zum Vorschein kam ein rundes Gesicht mit nicht zu schmalen Lippen, einer kleinen Stupsnase und intensiv waldgrüne Augen, an denen man sofort erkennen konnte, eine Ausländerin vor sich zu haben. Ihr wurde schon oft geraten, diese doch ein wenig zu betonen, doch hatte sie diesen Rat augenscheinlich nie angenommen.

Dann ging sie in die Küche des Betriebes, wo die Besitzerin eben jenes wieder eifrig werkelte. “Bin da, Chizu-chan”, hörte man die gespielt fröhliche Stimme der jungen Schwarzhaarigen. Die Angesprochene nahm dies in der in der Küche herrschenden Hektik nur mit einem Nicken zur Kenntnis. So begann das Mädchen ihren letzten Arbeitstag als Maid.
 

Am Abend desselben Tages verließ eben jenes Mädchen wieder in ihren Alltagsklamotten das Geschäft. Ihre Haare hatte das Mädchen zurückgebunden gelassen, sodass ihre grünen Augen im Kontrast zu ihrer roten Kleidung standen. Sie war nicht auf dem Weg zu ihrer Mietswohnung, sondern zum Hafen, wo heute spät abends ein Kreuzfahrtschiff auslaufen sollte. Die nun ehemalige Maid hatte sich von ihrem Gehalt eine Kreuzfahrt geleistet.Als sie dann mit Metro und zu Fuß im Hafen angekommen war, hatte sie noch wenig Zeit, zum Luxusliner zu gelangen. Gerade noch rechtzeitig schaffte es die Grünäugige auf die Gangway.

Da sie den ganzen Tag fast nichts gegessen hatte, war sie nun dementsprechend hungrig, weswegen sie sich in den Speisesalon begab. Viele schauten sie hochnäsig an, was wohl an der nicht zum Anlass passenden Kleidung lag. Zumeist wurde edle Kleidung getragen, war doch in der Bröschüre von einem Bankett am ersten Abend die Rede. Doch die junge Frau interessierte dies anscheinend nicht, belud sie sich einen Teller am noch nicht eröffneten Buffet. Ein Besatzungsmitglied wollte sie auf genau dies aufmerksam machen, doch wurde er harsch von der jungen Frau abgewürgt: “Ich hab’ Hunger, da wart’ ich doch keine zig Stunden mehr, bis alle Vollidioten auf diesem scheiß Schiff hier mit seiner verfickten Rede fertig ist!” Während dieser Worte steuerte sie das Ausgangsportal des Saals an, durch das sie dann verschwand. An Deck suchte sich die junge Frau einen ruhigen Platz am Heck des Schiffes und stopfte sich das Essen in den Rachen.

Von drinnen konnte sie die anderen Passagiere beim Bankett hören. Sie fing an zu warten, döste dabei immer wieder kurz ein. Als sie das dritte Mal aufwachte, war es still, nur die kalte Meeresbrise wehte noch schwach. Die Wachmannschaft war auch nicht zu sehen. Schnell kletterte das Mädchen auf die andere Seite der Reling, hielt sich noch an dieser fest und erinnerte sich zurück an das, was ihr Leben genannt wurde.
 

Unser Vater verließ uns an meinem fünften Geburtstag, mein kleiner Bruder war noch kein Jahr alt. Weil wir nie wieder etwas von ihm gehört oder gesehen hatten, musste Mama alleine für uns sorgen, weswegen wir sie selten sahen. Ich kümmerte mich um meinen kleinen Bruder, während Mama arbeiten war. So lernte ich schon früh für mich selbst zu sorgen. Doch war ich noch ein Kind und vermisste meine Eltern.

In der Grundschule wurde ich von den anderen nach meinem Vater gefragt. Ich konnte mich nur an einen Mann ohne Gesicht vor dem Fernseher erinnern. Dann fingen die kleinen Biester mich an zu hänseln, weil ich ja keine Familie hätte. Zu Hause erzählte ich niemanden davon, hatte meine Mutter doch andere Probleme und mein Bruder verstand das ja eh nicht. Als dann er anfing zu fragen, wo “Papi” doch sei, brach ich, glaube ich das erste Mal zusammen. Da war ich 9.
 

Bald darauf war mein Bruder immer mit irgendwelchen Freunden unterwegs, sodass ich auch im trauten Heim einsam war. Es fraß mich auf. Als ich dann mit 10 auf die Realschule kam, dachte ich, ich könne auch endlich mal ein paar Freunde finden. Doch wandten sich die zwei Mädchen, die sich tatsächlich mit mir befreunden wollten, schnell von mir ab, weil ich so wenig Zeit und Geld hatte, musste ich schließlich einen ganzen Haushalt alleine führen. Ab da an wurde ich von meinen Mitmenschen ignoriert, selbst von den Lehrern. Meine Zeugnisnoten waren alle befriedigend, ich musste mich dafür nicht mal anstrengen. So in die Einsamkeit getrieben hatte ich zweimal versucht, mich umzubringen. Erst einen waagerechten Schnitt an meinem rechten Handgelenk, dann an meinem linken. Beide überlebte ich. Da war ich 13 und 14 Jahre alt.
 

Dann hat das erste Mal ein Junge an mir Interesse gezeigt, zumindest dachte ich das zu diesem Zeitpunkt. Anscheinend hatte dieser Junge eine Wette abgeschlossen, die er auch gewann. Nachdem er mich einen Monat wie seine feste Freundin behandelt hatte, ich dachte sogar, ich wäre dies, stieg ich mit ihm ins Bett. Ich fand das mit der Wette am nächsten Morgen,als mein Freund Witze über diese, mich und meine ‘Fertigkeiten im Bett’ machte. Ich spielte wieder mit dem Gedanken, Suizid zu begehen, ließ es aber, wahrscheinlich aus einer Laune heraus. Da war ich 15.
 

Bis zum Abschluss wurde ich dann wieder ignoriert. Nach der Zeugnisausgabe wollte meine Klasse feiern, hatten sich richtig hartes Zeug besorgen lassen. Auch ich wurde eingeladen. Sie wollten sehen, wie ich besoffen so bin. Und ich war so besoffen, wie einige in ihrem Leben nicht, so kam mir das vor. Erst weit nach Mitternacht begab ich mich auf meinen Heimweg, allein. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie ich in diese verlassene und dunkle Gasse gegangen war. Jedenfalls fiel ich ins Visier eines älteren Herren, der wahrscheinlich auch schon zu viel in die Flasche geguckt hatte.

Er bot mir ein, “ein wenig Spaß mit ihm zu haben”. Mit einem Schlag wieder nüchtern, wurde ich mir der nicht gerade rosigen Situation bewusst. Vor Angst verstummt schüttelte ich nur den Kopf und ging langsam rückwärts. Doch der Mann hielt mich fest, und als er anfing mich zu betatschen, konnte ich mich nicht mehr bewegen. Mit tränenverschleierten Augen ließ ich alles über mich ergehen. Spätestens als er anfing mich auszuziehen, wurde ich apathisch.

Erst die Sonne weckte mich aus meiner Trance. Ich richtete wie betäubt meine Kleider und machte mich auf den Weg nach Hause. Dort schloss ich mich in mein Zimmer ein, blieb dort sehr lange. Ich weiß nicht mehr, was ich damals dachte, jedenfalls schnitt ich mir die Hauptader des rechten Arms auf. Aber auch dieser Selbstmordversuch scheiterte.

Ich wachte im Krankenhaus auf mit einer Bluttransfusion am linken Arm, den rechten einbandagiert. Ich bemerkte nicht, wie Mama in den Raum kam, weil ich mich die ganze Zeit fragte, wieso ich noch lebte. Erst als sie mir eine Ohrfeige verpasste, realisierte ich ihre Anwesenheit. Sie schrie mich an, was ich mir dabei gedacht hätte, ob sie nicht genug arbeitete, dass sie doch alles täte, um uns ein Leben zu ermöglichen. Dass Geld nicht die Welt wäre, schrie ich zurück, dass diese Frau, die sich unsere Mutter nannte, uns gar nicht kennen würde. Die Antwort war die zweite Backpfeife. Ich sah Verzweiflung in ihren Augen schimmern und bereute meine Worte sofort.

Doch meine Mutter schrie mich an, ich solle sofort, wenn ich wieder zu Hause wäre, meine Sachen packen und abhauen. Nach diesen harten Worten stürmte sie aus dem Krankenhauszimmer.

Als ich zwei Tage später wieder nach Hause kam, war wie erwartet niemand da. Wie befohlen packte ich ein paar meiner Sachen in meinen Rucksack, schnappte mir mein Sparbuch, in welches mir meine Mutter 500 Euro gelegt hatte. Draußen ging ich in den anliegenden Stadtpark, setzte mich auf eine Bank und überlegte, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Das einzige, was mir einfiel, war Länder zu besuchen. Genug Geld für einen Flug hatte ich auf jeden Fall bei mir, auch Kleidung hatte ich genug. Ich kramte meinen Notizblock aus meiner Tasche, um mir eine Liste zu machen, wohin ich alles reisen würde.
 

Schottland

Spanien

Japan

Griechenland

Südafrika

USA (NY)

Indien

Island

Brasilien
 

Dann ging ich zu der nächstgelegenen Haspa, um mein Sparkonto aufzulösen. Ich brauchte jeden Cent, den ich kriegen konnte, wenn ich die Liste abarbeiten wollte. Dann fuhr ich schwarz, ich wusste nicht, wie ich das geschafft hatte, bis zum Hamburg Airport, wo ich mir ein Last-Minute-Ticket nach Edinburgh kaufte. Ich wusste, dass dies eine reise in den Tod war. Da war ich 16.
 

Japan war die letzte Station des Mädchens. Nun stand sie hier, auf einem Schiff im Japanischem Meer auf der anderen Seite der Reling, sodass sie nur ihre Armkraft vor dem sicheren Tod schützte. Wenn sie nun, unbewacht, wie sie war, ins Wasser fiel, würde sie sicherlich ertrinken, überlebte man doch nur zwei bis drei Minuten, sobald man einmal angefangen hatte, Wasser zu schlucken.
 

Und das Mädchen sprang.



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