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Sommergewitter

von

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Gibt es einen bestimmte Grund, warum du kämpfst?

Shikamaru wusste darauf nichts zu sagen. Warum, sagte er schließlich, als die Stille zu unerträglich wurde, braucht man denn einen Grund?

Ich weiß es nicht. Ich habe auch noch nie einen gehabt.

 

 

 
 


 

 

 

 

Der Sommer in Konohagakure war schon immer lang, schwül und verschlafen gewesen. Die Akademie hatte die Kinder in die Ferien geschenkt, die Daimyo waren in ihren Urlaub geflohen und auch Akatsuki hatte lange nichts mehr von sich hören lassen (verdächtigerweise, würde Shikamaru denken, wenn er im Moment denken würde). Shikamaru träumte gerade von schlanken Fingern, die ihm ein Glas gekühlter Ingwerlimonade servierten und nie die Rauheit von Shuriken oder Wurfmesser gekannt haben, als er eine unangenehme Feuchte an seiner linken Wange verspürte.

 

Er öffnete die Augen. Slurp slurp slurp wurde es immer lauter. Mirin, das neue Katzenmitglied in der Nara-Familie drückte ihr haariges kleines Gesicht an ihn und schleckte genüsslich über – shit, das war seine Nase. Er nieste explodierend, und Mirin fauchte.

 

„Steh auf, Sohnemann“. Shikaku Nara tauchte in seinem Blickfeld auf. Er saß neben Shikamarus Bett und hielt eine zappelnde Mirin mit ausdrucksloser Miene an Shikamarus Gesicht. „Hokage-sama will dich sehen.“

 

„Was zum-“, Shikamaru stöhnte auf. „Kannst du mich nicht mal wie ein normaler Mensch wecken?“

 

„Sie hat etwas von einer Mission gesagt.“

 

„Du hast mich von einer verdammten Katze ablecken lassen.“

 

„Einer dringenden Mission, wenn ich mich recht erinnere.“

 

Shikamaru rollte mit den Augen und warf einen Blick auf den kleine Wecker auf seinem Nachttisch. „Was – es ist erst sechs Uhr! Geh und lass mich in Ruhe.“

 

Shikakus Gesicht blieb ausdruckslos. „Morgenstund hat Gold im Mund.“

 

„Geh doch selbst hin, alter Mann!“ Damit drehte sich Shikamaru auf die Seite und vergrub seine gesamte struppige Frisur in sein Kissen. In einer Sekunde spürte er noch, wie Mirin und Shikaku vorwurfsvoll in seinen Rücken starrten, in der nächsten Sekunde landeten auch schon Mirins scharfe kleine Krallen in seine Haare.

 

Shikamaru kreischte.

 

„Die Pflicht ruft, Sohnemann“, sagte Shikaku gelassen über Shikamarus Schmerzensschreie hinweg, während die kleine Kurzhaarkatze sein Gesicht gnadenlos attackierte. „Deine Mutter hat dir unten ein Bento gepackt.“

 

 

 
 


 

 

 

 

Noch bevor Shikamaru die Akademie von Fernem erblicken konnte, wusste er bereits, dass das nicht sein Tag war. Und das hatte nicht nur mit der Tatsache zu tun, dass er noch vor halb sieben Morgens eine Kratzwunde davontrug (und womöglich mit Tetanus infiziert wurde, verdammtes Fellviech), nein.

 

Seit Tagen, Wochen schon war Konoha in ein Sommerloch gefallen, wie es im Buche stand. Es gab keine großen Auftritte der Reichen und Schönen, die sie hätten eskortieren müssen, die Vorbereitungen der nächsten Chuunin-Auswahlprüfungen waren soweit abgeschlossen und es war bereits lange her, seit sie zuletzt Wind von einem Angriff der Akatsuki bekommen hatten. Und doch hatte Tsunade ihn aus dem Bett geworfen, zu einer Zeit, zu der sie selbst – und das wusste Shikamaru genau – normalerweise eine rauschenden Kater auf ihrer Couch ausschlief.

 

Irgendwas stimmte nicht, und Shikamaru hatte das ungute Gefühl, dass er nicht wissen wollte, was es war.

 

Konoha am frühen Morgen war bereits lebhaft. Während Shikamaru gähnend durch die Straße lief, Bentodose in der Hand, öffneten die ersten Händler ihre Läden. Aus einer Gasse strömte der Geruch frisch gebratener Tamagoyaki, die im Laufe des Tages hungrige Leute zu einer kleine Schlange anziehen wird.

 

Von rechts hörte er eine allzu bekannte Stimme rufen. „Hey Mann, Shikamaru!“

Er drehte sich um und sah Chouji auf ihn zulaufen, ein breites Grinsen auf seinem runden Gesicht. „Hey“, grüßte er seinen besten Freund. „Was bist du so früh schon auf?“

 

„Das gleiche sollte ich dich fragen“, lachte Chouji. „Ich hole die Hauptdarsteller für heute Abend vom Morgenmarkt, ein paar Rippchen, Steaks, und 20 Kilo Schweinebauch.“ Als er Shikamarus entgeistertes Gesicht sah, rollte er mit den Augen. „Grillabend bei uns? Heute? Schon vergessen, du Genie? Das lasse ich nicht als Ausrede gelten, nicht zu kommen, weißt du.“

 

„Schon klar, aber – 20 Kilo Schweinebauch?“ Shikamaru hob zweifelnd eine Augenbraue. „Wen versuchst du denn umzubringen?“

 

„Hey, wir feiern heute immerhin, dass Naruto aus dem Krankenhaus entlassen wird! Zwei Wochen ohne fest Nahrung, der arme Tropf, und er hat mich extra gebeten, soviel Fleisch für ihn aufzutischen, dass er sich davon glatt verdoppeln kann“. Chouji verzog sein Gesicht. „Ich hoffe aber, das meinte er nicht wortwörtlich. Wäre kein schöner Anblick. Na ja. Jedenfalls habe ich einen vollen Terminplan. Was ist mit dir? Wir wissen doch alle, dass du an einem freien Tag nicht vor zwei Uhr nachmittags anzutreffen bist.“ Er lachte aus voller Kehle.

 

Shikamarus Augen weiteten sich. „Oh Mann, heute war mein freier Tag, nicht wahr?“ Er stöhnte dramatisch auf. „Hokage-sama hat nach mir geschickt. In Form von Katzenkrallen. Ich konnte nicht nein sagen.“

 

Chouji nickte mitfühlend. „Alter, das ist echt heftig. Diese Katze von euch, ich hab sie nur einmal gesehen aber, diese Augen, ich schwöre, sind die Augen eines Teufels.“

 

„Sie ist nur da, weil meine Mutter sich ständig beschwert, dass wir zwei zu selten zu Hause sind, um ihr Gesellschaft zu leisten. In Wirklichkeit streunt sie tagsüber sonstwo rum und wenn sie mal heimkommt, haart sie alles voll.“ Er schnaubte. „Aber mein freier Tag! Was will die alte Hexe denn von mir… es kann nichts Gutes sein, ich sags dir.“

 

Chouji nickte wieder. „Ich weiß, Mann. Aber wenn’s dich tröstet“, und sein Grinsen war wieder zurück, „denk immer dran, du hättest sowieso nichts vorgehabt. Nichts, was dich beschäftigt hätte… oder auch niemand…“

 

Shikamaru blinzelte. Und sah nur noch, wie Chouji laut gackernd die Straße hinunterlief, als der Groschen fiel. „Hey, nur damit du’s weißt, Akimichi“, brüllte er, und eine Mutter mit einem kleinen Kind an der Hand sah ihn merkwürdig an und lief dann scnell weiter. „Zum Wolkengucken braucht es nur einen!“

 

Chouji wandte sich um und winkte. Shikamaru seufzte.

 

 

 
 


 

 

 

 

 

Die Wachen links und rechts neben den Toren der Akademie sahen erst ihn kurz an, dann seinen Ausweis, den er fahrig rausgekramt hatte, und grinsten sich dann so schief zu, als hätten sie einen besonders dicken Fisch an der Angel. „Was ist mit denen los“, murmelte Shikamaru, schnappte seinen Ausweis und lief, die Beiden ignorierend, in das geräumige Gebäude. Es war nicht viel los; der Flügel, der dem Unterricht vorbehalten war, war geschlossen, und Shikamaru nahm eine Treppe links hoch zum Büro des Hokage.

 

Auf dem Flur kam ihm Shizune entgegen, kleines Schweinchen in den Armen. „Guten Morgen, Shikamaru“, sagte sie, viel zu wach und fröhlich für diese Uhrzeit. Dann sah sie weg und grinste in ihren Ärmel. Shikamaru zog eine Augenbraue hoch.

 

„Was“, knurrte er.

 

„Nichts, nichts!“ Shizune war komplett unüberzeugend. „Tsunade-sama erwartet dich bereits. Geh einfach durch.“

 

„… danke.“ Shikamaru versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als Shizune ihn passierte und dann ein nicht sehr subtiles Kichern losließ. Er ging bis zum Ende des langen Flurs und stieß die Tür zu dem großen, ovalen Büro auf.

 

Das erste, was in sein Blickfeld sprang, war der wie immer mit Papieren hoffnungslos übersäten Schreibtisch, hinter dem niemand saß. Das zweite war eine zusammengerollte Gestalt, die quer auf der Couch lag und mit einem schweren Mantel komplett verhüllt war. Wirre, blonde Strähnen fielen oben heraus.

 

„Äh“, sagte Shikamaru und hätte am liebsten die Hand gegen seine Stirn geschlagen. Das war so klar. „Ich kann auch, nachher, nochmal kommen, wenn es Ihnen besser passt, Hokage-sa-“

 

„Nein, jetzt passt es mir eigentlich gerade ganz gut.“

 

Shikamaru fuhr herum. Da war Tsunade, die Haare verstrubbelt und die Augenringe dunkel von einer Nacht ohne Schlaf, aber sie stand vor ihm. „Oh“, gab Shikamaru von sich. „Sie sind auf.“

 

„Natürlich bin ich auf!“ Tsunade strahlte. Ihr Gesicht hatte etwas manisches an sich. „Ich werde ja nicht bezahlt, um nichts zu tun und meinen wohlverdienten Schlaf zu schlafen, nein. Ich hab Leute zu beschützen, ein Dorf am Laufen zu halten und Ninjas herumzukommandieren, da bleibt keine Sekunde für einen selbst, stimmt’s? Ich meine, ich werde eigentlich gar nicht bezahlt. Oder doch? Mit Ehre und Verantwortlichkeit?“

 

Sie lachte schrill auf. Shikamaru machte einen instinktiven Schritt nach hinten. Oh Mann. Er hasste es, wenn Hokage-sama nicht ausgeschlafen war und nur mit Koffein und dem „Willen des Feuers“ betrieben wurde. Was immer das war.

 

Aber Moment, fuhr es ihm durch den Kopf, als er beobachtete, wie Tsunade zu einem obszönen Gähnen ansetzte. Wenn das hier Tsunade war, die vor ihm stand, dann ist die Person auf der Couch…

 

Oh-oh.

 

„Shi-Shikamaru?“, hörte er auch schon die verschlafene Stimme, noch bevor er sich umdrehen konnte. Aaaah, sagte seine innere Stimme.

 

Er drehte sich langsam um.

 

„Temari-san“, sagte er, in dem gleichen Augenblick, als Tsunade überflüssigerweise (und sehr laut an seinem Ohr) sagte, „Das ist Temari, Shikamaru!“

 

 
 


 

 

 

 

Sie gingen schon eine ganze Weile schweigend nebeneinander her, als Temari sich endlich einen inneren Tritt gab. „So“, sagte sie mit ihrem gezwungensten Lächeln. „Du bist also anscheinend wieder einmal mein Reiseführer. Heulsuse“, fügte sie nach einer nachdenklichen Pause hinzu. (Nannte sie ihn noch so? Warum nannte sie ihn noch so?)

 

Shikamaru sagte nichts. Temari hatte die dunkle Ahnung, dass er noch weiter so schmollen würde, daher machte sie ein paar große Schritte und stellte sich quer in seinen Weg. Er hob den Kopf und sah sie einfach nur wie jemand an, der zu wenig Schlaf, zuviel Information und eine Kratzwunde am Gesicht bekommen hatte.

 

„Hey“, bellte sie. Shikamaru hob müde eine Augenbraue. „Ich weiß, das ist nicht einfach für uns alle. Besonders für mich, also hör auf, so zu tun, als ob ich die Schuld an allem trüge! Ich“, und jetzt verschränkte sie ihre Arme vor der Brust, die Augen blitzten vor Angriffslust, „ich bin nur hier wegen Gaaras dämlicher Ausbildungsidee, von wegen wir sollten die Elite-Nin aus Suna in alle Dörfer schicken, damit sie sich dort mit der einheimischen Ninja-Kultur vertraut machen können. Da ich nun einmal die Botschafterin für Konohagakure bin, hatte ich also gar keine andere Wahl, als –“

 

„Okay, immer mit der Ruhe“, sagte Shikamaru, endlich, mit dieser schleppenden Stimme, die sie nicht leiden konnte und die sie schon immer versucht hat, Kankuro auszutreiben. „Ich bin nicht interessiert an euren komischen Suna-Fantasien, was zu einer ordentlichen Nin-Politik gehört. Du könntest mir auch erzählen, deine Wohnung wird ausgeräuchert und du hast ‘nen Schlafplatz ungefähr sechshundert Kilometer weiter entfernt gebraucht – ist mir völlig schnuppe.“

 

„Warum redest du dann nicht?“ Temari war am Explodieren. Sie sah, wie Shikamaru zusammenzuckte.

 

„Ich rede nicht, weil ich darüber nachdenke, wie zum Teufel ich dir mitten im Sommer irgendetwas zeigen kann, was mit Konohas Ninja-Arbeit zu tun hat. An meinem freien Tag“, fügte er säuerlich hinzu. Temari überhörte den letzten Teil geflissentlich.

 

„Was meinst du, im Sommer?“

 

Sommer in Suna bedeutete immer die schlimmste Zeit im Jahr. Der Sand in der Wüste saugte die ganze Hitze von der Sonne auf, und man konnte sich nirgendwo hin bewegen, ohne sich verbrannt zu fühlen. Doch die Menschen müssen auch in dieser Zeit von etwas leben, und die Shinobi strömen trotz der Hitzewelle hinaus, verzweifelt, Aufträge zu finden, um genug Geld nach Hause zu bringen. Sommer in Suna hatte für Temari schon immer den bitteren Beigeschmack von harter Arbeit, wenig Lohn und langen, schlaflosen Nächten.

 

Sie konnte sich nichts unter einem Sommer in Konoha vorstellen. Überall, wo sie liefen, spendeten Bäume Schatten, es sprießten Blumen und Gras aus dem Boden, Farben, die sie sonst so nicht kannte, und an die sie sich nie sattsehen kann, wenn sie hier war.

 

Shikamaru blieb stehen. „Du willst wissen, was Sommer hier bedeutet? Na schön. Sommer in Konoha bedeutet Leere. Gähnender Leerlauf mit null Aufträgen, nichts los, tote Hose. Alle gehen entweder in den Urlaub, grillen jeden Abend wie Chouji und warten einfach nur, dass die Daimyo wieder zurückkehren. Und jetzt erklär du mir doch mal, wie ich für dich irgendwas finden soll-“

 

Er hielt plötzlich inne. Temari zog die Augenbrauen hoch. „Was“, fragte sie.

 

Shikamaru antwortete nicht. Er runzelte seine Stirn einen Moment lang, dann zuckte er die Achseln, als würde er sagen „Warum denn eigentlich nicht“, und nahm seinen Gang wieder auf.

 

„H-hey!“ Temari schüttelte kurz ihren blonden Schopf und rannte ihm hinterher. „Wohin willst du jetzt schon wieder?“

 

Shikamaru drehte sich nicht um. „Hoshigakure in drei Stunden“, sagte er, und Temari musste noch schneller laufen, um ihn verstehen zu können. „Mir ist eine Mission eingefallen. Reine Patrouille, eigentlich Anfängersache, langweilig, deswegen hab ich es nicht genommen und lieber einen freien Tag eingelegt. Genau die richtige Art von Missionen, um dir zu zeigen, wie wir Konoha-Nin drauf sind“, grinste er sie über die Schulter süffisant an.

 

Temari verzog das Gesicht. Aber hey, sie hatte etwas zu tun.

 

Während sie sich den Weg nach Hoshigakure ins Gedächtnis rief, versuchte sie, nicht daran zu denken, was der wirkliche Grund für ihren unangemeldeten Besuch in Konoha war.

 

Sie sah immer noch Gaaras schockierte Augen vor sich, hörte immer noch Kankuro knurren „Tu’s nicht, Nee-san. Du bist besser als das“.

 

Tut mir Leid, Kankuro. Anscheinend bin ich das nicht.

 

 
 


 

 

 

Temari hatte erwartet, dass sie ein verlassenes Fabrikgelände, das kurz vor dem Abriss stand, noch einmal sorgsam nach eventuell verirrten Kinder und Obdachlosen und lange vergessenen Wertsachen absuchten. Sie hatte erwartet, dass sie bei der Ankunft eines hocherwarteten Promis die Menge in Schach halten musste. Sie hatte erwartet, dass sie ihren Fächer zumindest einmal auspacken konnte.

 

Sie hatte nicht erwartet, dass Shikamaru ihr zur Begrüßung zwei kandierte Äpfel hinhielt.

 

„Was Süßes?“ Er sah genauso fertig mit den Nerven aus wie sie, nur dass es auf ihrer Seite vor Spannung und auf seiner Seite vor Langeweile war. „Das gibt es anscheinend für alle Shinobi gratis, die heute angeheuert wurden.“

 

Temari blinkte. „Was – ich – wo hast du nochmal gesagt, ist diese Mission?“

 

Shikamaru biss in seinen Apfel. Die Zuckerkruste knackte laut. „Auf das alljährliche Tanabata-Fest in Hoshigakure.“ Er sah sie von oben bis unten an. Temari verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere und fühlte sich etas unangenehm. „Und du musst was anderes anziehen.“

 

„Was?“ Temari explodierte. „Was gibst du mir jetzt auf einmal Anweisungen, wie ich mich anzuziehen habe? Ich werde dich wissen lassen, dass mein Kimono nicht nur speziell für meinen Kampfstil mit meinem Fächer angefertigt wurde, er ist auch extrem variabel auf Reisen und-“

 

Shikamaru zuckte zusammen. „Gute Güte, Frau, ich hab nicht um einen Vortrag über die Zwangzig Vorzüge meiner Kampfklamottur von Temari gebeten.“

 

„Was willst du dann, dass ich anziehe?“

 

„Du musst dir einen Yukata anziehen. Irgendwas leichtes. Buntes. Am besten mit Blumen drauf. Damit wir in der Menge nicht sofort auffallen.“

 

„Ich – wir sind Shinobi!“ Temari war empört. „Wir sind nicht für die Bespaßung anderer da!“

 

„Ja, aber“, Shikamaru verlor offensichtlich mit jeder Sekunde das Interesse an diesem Gespräch. „Hoshigakure nimmt dieses Fest wirklich sehr ernst. Sie wollen keine grimmig guckenden, in Schwarz gekleideten Sauergesichter, die mit Fächer bewaffnet ihre Zuckerwatteständen kaputthauen.“

 

Sauergesichter?

 

„Also, bitte. Blumen. Bunte Farben. Ich hab gestern meine Mutter gebeten, das hier für dich vom Dachboden zu holen.“ Er reichte Temari ein in schlichtes Packpapier eingeschlagenes Paket. Es fühlte sich weich an.

 

Zögernd öffnete Temari das Paket. Zum Vorschein kam ein fließender Yukata in einem verblichenen Cremegelb, mit kleinen, dunkelblauen Blumen bedruckt, deren Namen Temari nicht kannte. In der Wüste wuchsen nicht viele Blumen. Sie schüttelte den Yukata und fühlte den weichen, dünnen Stoff zwischen ihre Finger gleiten. Ihr eigener schwarzer Kimono war schwer, robust und hatte so manche Flecken rausgewaschen. Schweiß. Erde. Blut.

 

„Oh“, war alles, was sie zu sagen wusste. „Er ist...“

 

Schön, war das Wort, das ihr auf der Zunge lag. „Okay“, sagte sie.

 

Shikamaru zuckte mit den Schultern. „Ganz ehrlich, das kann mir nicht egaler sein. Hauptsache, wir fallen nicht auf. Warte, bis wir näher am Festgelände sind, dann ziehen wir uns um.“

 

Temari nickte langsam und packte den Yukata in ihren kleinen Rucksack. Plötzlich fühlte sie sich etwas verloren und fehl am Platz. Sie wusste, wie man einem Feind auf zwölf verschiedene Art und Weisen das Genick brachte. Sie wusste nicht, was man auf einem Straßenfest machte. Als sie klein war, gab es unter der strengen Herrschaft ihres Vaters keine Zeit für solche „Frivolitäten“, wie er dazu sagte. Außerdem war der Sommer in der Wüste vielzu grell und heiß, als dass man tagsüber hätte draußen stundenlang herum laufen und… straßenfestliche Sachen hätte tun können. Was auch immer dazu gehörte.

 

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte Shikamaru, „Keine Sorge, alles was wir machen müssen, ist ein bisschen rumlaufen, aufpassen, dass niemand die Punktzahl bei der Tombola manipuliert oder mit gegrilltem Tofu wirft.“

 

„Ich weiß“, rutschte es Temari raus. Sie bereute es sofort. „Ich meine, wir… können jetzt gehen.“

 

Shikamaru sah sie leicht amüsiert an. Verdammt. „Einverstanden. Es ist nicht mehr weit.“

 

 
 


 

 

 

 

 

Der Yukata seiner Mutter sah nur einen Ticken zu niedlich an Temari aus, und Shikamaru musste sich mehrmals daran erinnern, dass die Kunoichi neben ihm, die gerade mit leicht besorgtem Blick die über ihnen schwebenden Laternen beäugte, ihn wahrscheinlich mit einer einzigen Bewegung töten oder zumindest kastrieren könnte. An ihr war ungefähr soviel niedlich wie an einer Killer-Tarantula.

 

„Die fallen schon nicht runter“, sagte er, und Temari fuhr herum.

 

„Was, du, das, wusste ich.“ Sie funkelte ihn zornig an. „Hör auf, mich zu bevormunden!“

 

Shikamaru schnaubte. Temari konnte sich nicht offensichtlicher wie jemand benehmen, der zum ersten Mal in seinem Leben ein Straßenfest besucht, wenn sie es versucht hätte. Beim Eintritt in das Festgelände hatte sie versucht, alle Besucher zu evakuieren, weil sie die Millionen aufgehängten Zettel mit Gedichten für Explosionssiegel hielt und prompt eine Panikattacke bekam. Dann war sie der festen Überzeugung, dass der Hau-den-Lukas über einen Tötungsmechanismus verfügte, und weigerte sich partout mitzuspielen, weil der bei Erreichen einer bestimmten Punktzahl aktiviert würde.

 

„Lass uns doch erstmal Zuckerwatte kaufen“, sagte er, und ignorierte Temaris aufgebrachte Mahnungen wie „Aber wir sind nicht aus Spaß hier!“. Wie ein Profi.

 

 
 


 

 

 

 

Temari hatte viel zu viel Spaß.

 

Zunächst holte Shikamaru für sie beide Zuckerwatte. Und dann führte er sie zu den ganzen kleinen Ständen, die Stofftiere und ähnliche unnötige Sachen gegen einen Gewinn an ihren Geschicklichkeitsspielen anboten. „Tob dich aus“, hatte Shikamaru gesagt, und Temari ließ sich es nicht zweimal sagen. Die Plastikgoldfische zu angeln war viel zu einfach, das Dosenwerfen ein schlechter Witz gegen ihr hartes Shuriken-Training, aber das Ringewerfen könnte sie sich sogar als eine nette Alternative zu ihrem Kräftetraining vorstellen.

 

Alle Stofftiere, die sie gewann, verschenkte sie an kleine Kinder, die offensichtlich nicht zu Shinobi ausgebildet werden konnte. Bis auf eine kleine, gestreifte Katzenfigur, die sie in ihren Rucksack steckte und bei deren Anblick Shikamaru leise winselte und sich die Wange hielt. Hm.

 

Als sie das Festgelände verließen, dämmerte es bereits. Die meisten Besucher mit den Kinder waren gegangen, die Laternen wurden angezündet, und es duftete verführerisch nach frittierten Spezialitäten. Temari hielt sich bereits den Bauch vor lauter leckeren Okonomiyaki, frittierten Mandu und Mochi, die sie beide eins nach dem anderen verspeist hatten. Der Himmel war den ganzen Tag lang immer trüber geworden, und bald ertönte ein fernes Grollen.

 

„Sommergewitter“, erklärte Shikamaru. „Einen Moment lang ist es noch schwül, im nächsten schüttet es wie aus Eimern. Lass uns schnell nach Hause. Also, nach Konoha“, meinte er mit einem Seitenblick auf Temari. Ich bezweifle, dass du es heute noch nach Suna schaffst. Auch wenn dein Ausbildungsgig nur einen Tag ging – ich bin mir sicher, Gaara hat nichts dagegen, wenn du noch einen Abend zum Grillen bei Chouji da bleibst.“ Er grinste jungenhaft, und noch bevor Temari etwas sagen konnte, rannte er bereits Richtung Wald.

 

In Konoha angekommen, regnete es unglücklicherweise in vollem Gange. Ein greller Blitz hieß die beiden Shinobi willkommen. „So ein Mist“, murmelte Shikamaru. „Ich glaub, wir müssen es erst einmal zu mir nach Hause. Meine Mutter hat bestimmt noch Sachen, die du anziehen kannst. Und dann können wir zum Grillen gehen. Ich denke –“

 

„Shikamaru“, unterbrach ihn Temari. Sie war stehengeblieben. Das Schuldbewusstsein nagte an ihr wie ein lautes Klopfen. „Ich…“ Sie dachte an die kleine Katzenfigur in ihrem Rucksack. „Ich muss dir etwas sagen. Bitte.“

 

Er drehte sich langsam um. Ein paar Gestalten rannten an ihnen vorbei, ihre Schritte plätscherten im Regenwasser. Temari könnte schwören, dass eine Person ihnen zurief, „Ab nach Hause mit euch beiden!“

 

„Ich bin nicht wirklich hier, weil ich geschickt wurde. Ich…“ Temari holte tief Luft. „Ich habe einen Streit mit Gaara gehabt.“ Und weil selbst sie fand, dass das kindisch und ganz und überhaupt nicht nach einer Entschuldigung klang, fügte sie defensiv hinzu, „einen wirklich ernsten Streit.“

 

Wir hätten das ganze Dorf ruinieren können, sagte sie ihm nicht. Sie sagte ihm auch nicht, dass sie sie sich darum sorgte, ob Gaara sie jemals zurückgehen lassen würde.

 

„Oh“, machte Shikamaru nur desinteressiert. Über ihnen zeichnete sich erneut ein Blitz am dunklen Himmel ab. Temari biss sich auf die Lippen. Wenn der verdammte Bastard nur etwas Empathie zeigen könnte. Immerhin hatte sie eine Auseinandersetzung mit ihrem Bruder, eine zehrende Reise nach Konoha und anschließend eine ganztägige Mission hinter sich, und das in unter 72 Stunden. Zugegeben, die Mission war nicht wirklich anstrengend, sie hat… ja, sie hatte sogar Spaß gehabt. Aber was sie nicht ändern konnte, war die Tatsache, dass sie nur hier war, weil es Arbeit war. Nicht anders als zu Hause, in der Wüste, wo sie ihrem Bruder unterstand und ihr Leben der Arbeit als Shinobi geopfert hatte.

 

„Aber wenn wir gerade dabei sind, ehrlich zu sein… ich muss dir auch etwas sagen.“

 

Temari hielt unmerklich die Luft an.

 

„Es gab keine Mission in Hoshigakure.“

 

Temari wartete noch eine Minute. Als nichts mehr von Shikamaru kam, runzelte sie die Stirn. „Du meinst, keine Mission, die… ?“

 

„Nein, ich meine“, Shikamaru grinste sie schief an, „es gab nie eine Mission. Keine Sicherheitspatrouille. Kein Auftrag. Deswegen hab ich dir den Yukata gegeben. Niemand wusste, dass wir Shinobi waren. Wir waren heute den ganzen Tag einfach zwei normale Besucher eines normalen Straßenfests. Oder, na ja“, sein Grinsen wurde noch schiefer, „für eine von uns war es vielleicht nicht ganz so normal…“

 

„Was“, und Temari fühlte, wie ihr Puls gefährlich in die Höhe schnellte, „du meinst, willst du damit sagen – du hast mich heute total verarscht? Warum würdest du mich auf eine Mission schleppen, die es gar nicht gibt? Warum hast du unsere Zeit verschwendet –“

 

Shikamaru hielt abwehrende beide Hände hoch. „Okay, whoa, erstens, hör auf zu kreischen. Zweitens, heute war mein freier Tag und meine Zeit damit schon mal nicht verschwendet. Drittens, ich“, hier zögerte er ein bisschen, bevor er fortfuhr. „Ich… ich hab das mit Gaara gewusst.“

 

„Woher-“

 

„Reine Deduktionssache“, er zuckte mit den Schultern und fuhr sich müde übers Gesicht. „Du kommst hier an, mitten in der Nacht, bist so fertig, dass du auf der Couch von Hokage-sama schlafen musst. Lässt dich mit ihrem Mantel zudecken, weil du sonst nichts dabei hast. Tischst mir aber eine Geschichte auf, du wärst als Botschafterin zum  „Kennenlernen der Ninja-Kultur“ hier.“

 

Shikamaru schaute tatsächlich amüsiert drein.

 

„Dann bist du die ganze Zeit so in Gedanken versunken, hast dieses schuldbewusste Gesicht aufgesetzt, was ich von dir nur in Verbindung mit einem deiner Geschwister kenne, weil diese zwei die einzigen sind, denen du immer glaubst, etwas zu schulden. Es gab keine Nachricht von einer Attacke oder Ähnlichem auf Sunagakure, es ist mitten im Sommer, wo sowieso nichts passiert. Aber ich weiß, dass Gaara seit einiger Zeit eine Umstrukturierung in Suna einführen will – schau nicht so geschockt, ich berate nicht nur Tsunade in Sachen Kage-Politik. Und die Person, die diese Neuigkeit am meisten aus den Socken werfen wird, bist – du.“

 

Er sah sie nun direkt an. Temari senkte ihre Augen auf den Boden.

 

„Wie ich deine Laune kenne und dein Temperament einschätze, sind sofort die Pferde mit dir durchgegangen. Du hast wahrscheinlich noch am Abend deinen Fächer geschnappt und bist so weit wie es nur geht von Suna abgehauen.“

 

Temari blieb stehen. Sie hörte, wie er neben ihr aufschloss. Sie konnte sich nicht dazu bringen, ihn anzusehen.

 

 „So“, flüsterte sie.

 

„Ich bin nicht besonders… einfühlsam oder aufmerksam oder diesen ganzen Mist.“ Sie hörte die Verlegenheit in seiner Stimme, auch ohne ihn anzuschauen. „Aber ich weiß, dass es nicht besonders toll ist, aufzuwachen und nicht zu wissen, wohin mit einem. Und wenn man sowieso nicht weiß, wohin, kann man doch genauso gut auf ein Straßenfest gehen, oder?“

 

Temari hob langsam den Kopf. Er lächelte jetzt, zaghaft, mit Hoffnung in seinen Augen.

 

„Ich schätze“, sagte sie vorsichtig, „ja. Dann kann man genauso gut auf ein Straßenfest gehen.“

 

Shikamaru grinste. „Na dann, komm weiter“, sagte er und wischte sich Regentropfen aus den Augen. Seine Haare sahen gut aus, wenn sie an seiner Stirn klebten, ertappte sich Temari beim Denken. „Meine Mutter wartet bestimmt schon mit zwei Liter heißen Tees für dich und ‘ner ordentlichen Standpauke für mich, wie ich dich bei dem Wetter in einen Yukata stecken konnte. Und Mirin wird die Chance nutzen, an meinen Beinen zu knabbern“, fügte er missmutig hinzu.

 

„Mirin?“ fragte Temari verwundert. „Wie… Reisessig?“

 

Shikamaru machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die Katze von meiner Mutter. Ein absolutes Ausgeburt der Hölle. Na ja, aber dich mag sie vielleicht. Aber komm jetzt endlich, wir müssen mal wieder ins Warme.“

 

Temari sagte ihm nicht, dass sie Katzen über alles liebte.

 

 
 


 

 

 

 

 

Der Regen prasselte immer noch auf sie nieder. Niemand von ihnen hatte daran geacht, einen Schirm mitzunehmen. Doch als Temari zusah, wie Shikamaru mit seinem Rucksack über den Kopf die Straße hinunterrannte, machte es ihr fast nichts aus, draußen in der Kälte zu stehen, mit einem dünnen Yukata, der ihr bald an die Haut klebte. Ein lautes Grollen ertönte von oben herab.

 

„Hey, worauf wartest du noch?“, rief Shikamaru von Weitem. „Heute Abend ist das Grillen bei Chouji, schon vergessen?“

 

Temari sah ihn mit ungläubigen Augen an. Dann brachte sie es fertig, zu lächeln.

 

Das Sommergewitter war beinahe vorüber.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Black_Tenshi
2016-10-24T18:48:48+00:00 24.10.2016 20:48
Wirklich süße Os^^


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