Zum Inhalt der Seite

Tanz der Moleküle

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 10
 

Rike war fast ein bisschen enttäuscht von Kurt, da dieser keine wirkliche Reaktion auf ihre Nachricht gezeigt hatte. Sie hatte von ihm erwartet, dass er sich für Hanne freuen würde oder zumindest sein Versprechen wieder mehr zu essen gutheißen würde. Stattdessen hatte er nur ein abfälliges Schnauben von sich gegeben und gesagt, dass sich Hanne ohnehin nicht daran halten würde.

Rike konnte nicht verstehen, was plötzlich mit Kurt los war. Er war doch mit Johannes befreundet. Und jetzt auf einmal ignorierte er ihn komplett, als ob er nicht mehr existieren würde.
 

Rike dachte noch immer an Kurts widersprüchliches Verhalten als sie beim Seniorenheim ankam. Sie wollte dort ihre Großmutter besuchen und sie um ihre Teemischung für Johannes bitten.

Endlich trat sie ein und fragte an der Rezeption nach, ob ihre Oma überhaupt da war, da diese trotz ihres Alters noch recht viel unterwegs war. Die alte Frau unterhielt noch immer mit fast achtzig Jahren ihren eigenen kleinen Haushalt. In der Seniorenwohnanlage lebte sie nur, da es hier eine bessere ärztliche Betreuung gab.

Nachdem Rike die gewünschte Rückmeldung bekommen hatte, klingelte sie bei ihrer Oma. Diese bat sie auch gleich herein und Rike wunderte sich einmal mehr darüber, wie lebendig sie noch war. Insgeheim wünschte sie sich, dass sie auch einmal so sein würde im hohen Alter.
 

Rike kam recht zügig auf ihr Anliegen mit dem Kräutertee zu sprechen.

“Bist du erkältet, Schatz?”, wollte die alte Frau sofort wissen und suchte eilig ihre einzelnen Dosen mit den getrockneten Blüten und Blättern heraus.

“Nein. Ein Freund ist ein wenig krank. Und weil der Tee mir auch immer geholfen hat, dachte ich mir, dass es für ihn auch gut sein würde.”

Die alte Frau hielt inne und strich sich eine weiße Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Haarknoten gelöst hatte. “Du hast einen Freund?”

Rike nickte. “Ja. Aber ihm geht’s wirklich nicht gut. Er will sich einfach nicht richtig erholen.”

“Schön. Ich freu mich für dich.”, erwiderte die Weißhaarige und reichte Rike den Plastikbeutel mit dem Tee, den sie in Windeseile zusammengestellt hatte. “Ich hoffe, dass es ihm hilft. Wie heißt er eigentlich?”

“Johannes.”

“Ah. Johannes ist ein schöner Vorname.”

“Ich muss dann wieder los, ja? Vielen lieben Dank, wirklich.” Sie drückte die kleine Frau an sich und küsste ihre Stirn. Dann verschwand Rike wieder.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Rike gab ein wenig von der Teemischung in den Mörser, den sie einmal in der Apotheke als Weihnachtsgeschenk bekommen hatte und zerdrückte die Blätter und Blüten. Dann gab sie alles in ein hohes Sieb, hängte es in eine Warmhaltekanne und goss das kochendheiße Wasser darüber. Sofort breitete sich der typische Kräutergeruch aus, der sie stark an die eigene wundervolle Kindheit erinnerte.

Ob Johannes wohl auch solche Erinnerungen hatte? Er sprach ja kaum von seiner Familie. Sie wusste nur, dass er eine Schwester hatte, mit der er sich sehr gut verstand. Er hatte ihr ebenfalls anvertraut, dass seine Mutter tot war. Seinen Vater, sofern dieser noch lebte oder er ihn überhaupt kannte, hatte er noch nie erwähnt. Genauso wenig wusste sie, ob er noch Großeltern hatte oder wie sein Verhältnis generell zu seinen Verwandten aussah. Es gab noch so viel, von dem sie nicht die leiseste Ahnung hatte.
 

Inzwischen war der Tee gut durchgezogen und sie nahm die Kräuter im Sieb heraus. Dann verschloss sie die Kanne wieder und machte sich auf den Weg zur Klinik.

Auf dem Weg dorthin fiel ihr auch wieder ein, wie sehr sie sich über Kurts Gleichgültigkeit aufgeregt hatte. Sie konnte es noch immer nicht fassen.

Sie hatte Kurt doch ganz anders erlebt, als sie sich kennen gelernt hatten. Er hatte sich, als sie Johannes gemeinsam besucht hatten, doch so für ihn eingesetzt. Er hatte ihr ebenfalls von seiner Beziehung zu ihm erzählt und auch, dass er ihm einmal versprochen hatte, ihn regelmäßig in der Klinik zu besuchen, da er solche Angst vor der Einsamkeit und dem Vergessenwerden hatte.

Irgendetwas musste vorgefallen sein, von dem sie nichts wusste. Ihr kamen wieder Kurts Worte in den Sinn, die er vor dem Krankenhaus ausgesprochen hatte. Hanne sei ihm fremd geworden. Er erkenne ihn und seine vielen verschiedenen Stimmungslagen nicht mehr. Auch Kurts Gesicht, von dem immer mehr eine scheinbar selbstsichere Maske abfiel, trat ihr wieder vor das geistige Auge.

Vielleicht war Kurts merkwürdiges Verhalten auch Hannes Schuld? Es war wieder eine Sache mehr, von der sie nichts wusste.
 

Ohne es bewusst bemerkt zu haben, stand Rike vor Hannes Krankenzimmer.

Als sie eintrat, hatte er Besuch. Ein ihr unbekannter Mann saß an seinem Bett.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Rike legte ihre Jacke ab und hängte sie zu der anderen hin. Dann nahm sie wieder ihre Tasche auf und sah kurz zu Leonid hinüber. Dieser schlief und würde es wohl auch noch eine Weile tun, da sich Hanne und sein Besucher leise unterhielten. Eigentlich schwiegen sie sich beharrlich an, wie Rike feststellte, als sie sich ihnen näherte.

Hannes Augen waren geschlossen, hatte den Kopf zur Seite gedreht und der Mann sah zu ihr. Er hatte dunkles kurzes Haar und ein sympathisches offen wirkendes Lächeln. Jetzt stand er auf und gab ihr die Hand. “Ich bin Lukas, der Freund von Kurt. Ihn kennst du ja bereits.”

Auch Rike wollte sich vorstellen, doch Lukas winkte ab. “Ich weiß. Du bist Rike, ja?”, lächelte er. “Kurt hat mir schon von dir erzählt. Wir wohnen ja zusammen, weißt du?”

“Ach so. Ihr seid ein Paar, richtig?”

Lukas lächelte. “Genau. Und du bist also mit Hanne zusammen?”

Rikes Wangen wurden ein klein wenig röter, als sie nickte. “Wieso sagen du und Kurt eigentlich immer Hanne zu ihm?”

Lukas Augenbrauen zogen sich zusammen. “Will er nicht auch von dir, dass du Hanne sagst? Bei mir und Kurt hat er felsenfest darauf bestanden.”

Rike schüttelte den Kopf.

“Weißt du, es wundert mich eh, dass Hanne sich dir gegenüber…”

Johannes unterbrach ihn mit einem Räuspern. Er war wieder aufgewacht, hatte aufgehört, vor sich hin zu dämmern. Als er Rike erblickte, schlich sich ein sanftes liebevolles Lächeln über seine Lippen, doch dann wurde sein Gesicht wieder härter. “Lukas?” Seine Stimme klang ziemlich misstrauisch.

“Ach, Hanne, grüß dich!”, erwiderte dieser freundlich. “Ich wollte auch mal bei dir vorbeischauen. Du hast dich ja auch nach mir erkundigt, als ich die Magengrippe hatte.”

“Das hab ich allerdings getan, ja. Freut mich, dass es dir wieder besser geht.” Johannes setzte sich auf, rieb sich die Stirn und klang schon wieder um einiges versöhnlicher. “Seid ihr zusammen da?”

Rike verneinte. “Ich bin erst nach ihm gekommen. Kennt ihr euch eigentlich nur über Kurt oder habt ihr auch so etwas miteinander zu tun?” Sie lächelte gelöst und freute sich darüber, dass Johannes' Miss­trauen ein wenig abgeklungen war und auch seine Stimme neutraler klang.

Jetzt lachte Lukas wieder. “Ob wir etwas miteinander zu tun haben? Wir kennen uns von früher, ja. Aber wir sind erst vor kurzem wieder aufeinander gestoßen. Eben durch Kurt.”

Hannes Gesicht hatte sich immer weiter verfinstert. “Das reicht jetzt, Lukas!”, sagte er laut und in einem Ton, der absolut keinen Widerspruch zuließ. Er klang so, als hätte er Lukas am liebsten vor die Tür gesetzt.

“Was ist denn los, Johannes?”, fragte Rike bestürzt über den scharfen, warnenden Klang seiner Stimme. Es kam ihr fast so vor, als sei Lukas in ein verbotenes Gebiet vorgedrungen. Sie verstand einfach nicht, was gerade eben vorgefallen war und es tat ihr irgendwie fast schon weh, auf diese Weise daran erinnert zu werden, wie wenig sie im Grunde genommen von Hanne wusste. Lukas hatte sich mit ihm doch ganz normal unterhalten. Oder?

Fast automatisch wiederholten sich ihre Gedanken an Kurt und an das, was sie vor wenigen Tagen vor dem Krankenhaus mit ihm besprochen hatte: Hannes Launenhaftigkeit. Auch das kurze Telefonat vom Vorabend kam ihr wieder in den Sinn.

Johannes ignorierte sie weiterhin vollkommen und warf Lukas einen weiteren bösen warnenden Blick zu.

Nach wenigen Sekunden ging dieser endgültig zur Zimmertür. “Ich gehe wieder. Du kannst mich ja eh nicht ausstehen. Wahrscheinlich kannst du dich nicht mal selbst ab.”, sagte er mit einem abfälligen Blick auf Hanne.

Dann ging er tatsächlich und zog die Tür mit einem lauten Knallen hinter sich zu. Leonid grummelte und zog sich die Decke über den Kopf.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

“Was war denn das gerade eben?”, fragte Rike in die Stille des Raumes hinein. Sie bemühte sich, aus Rücksicht auf Hannes Zimmernachbarn leiser zu sprechen.

Hanne schwieg weiterhin beharrlich und wandte sich ab. Jetzt war nur noch Leonids Atem zu hören, den dieser durch seine verschnupfte Nase entweichen ließ.

“Hanne, bitte.”, wiederholte sie ein bisschen lauter und als wieder keine Reaktion kam, zwang sie ihn dazu sich wieder umzudrehen.

“Lass das! Es geht dich nichts an. Hör endlich auf zu fragen.”, warf er ihr in einem barschen, scharfen Ton an den Kopf.

Sie verstand immer weniger, was um sie herum geschah. Wieder war er kaum zu erkennen. Nicht mit dieser kalten abweisenden Stimme.

Rike nahm ihre zittrige Hand von ihm und legte sie vor ihr Gesicht, als sich die Tränen nicht mehr unterdrücken ließen. Ja, sie war verletzt, wusste nicht mehr weiter, kannte den Mann nicht mehr, den sie geglaubt hatte, zu lieben.

Wieder wandte er sich ab. Ihm war nicht entgangen, dass sie weinte. Wegen ihm und seinem Verhalten. Aber weshalb kratzte sie es dermaßen? Und weshalb nahm es auch ihn mit? Immer mehr wurde er sich seiner Unsicherheit bewusst. Ohne lange zu überlegen, stand er auf, steuerte zunächst auf die Tür zu. Dann entschied er sich jedoch dagegen und ging zum Fenster. Das ganze Weglaufen brachte ihm ohnehin nichts.

“Rike. Was ist?” Hanne starrte auf die Fensterscheibe. Seine Stimme klang tonlos und war so leise, dass sie Mühe mit dem Verstehen hatte.

Sie brauchte eine ganze Weile bis sie antwortete, musste sich erst einen Satz zurechtlegen. Sie schluckte. “Ich verstehe dich nicht. Du machst mir Angst, Hanne.”, erwiderte sie dann hilflos.

“Ich mache dir Angst?”, wiederholte er fassungslos und wandte sich wieder zu ihr um. “Wieso das denn?”

Sie wischte sich wieder über die Augen. “Du bist so völlig anders als da, wo wir uns kennen gelernt haben. Es macht mir einfach Angst, wenn du plötzlich ausrastest und irgendwelche Leute um dich herum anschreist. Ich sehe keinen Grund. Du erzählst mir nichts. Ich kenne dich kaum. Und dann fährst du mich ebenfalls an.”

Dieselben Aussagen hatte auch Kurt gemacht. Sie beschäftigte also dasselbe wie ihn. “Hör mal, das tut mir ehrlich leid. Ich wollte dir nicht wehtun.”, entschuldigte er sich mit belegter Stimme.

“Was hat dir Lukas denn getan, dass du dich eben so verhalten hast? Was war mit Kurt, als du ihn auf den Flur gezerrt hast?”

“Es gibt einfach Dinge, die keinen etwas angehen.” Schon wieder dieser verdammte Tonfall.

Rike sah ihn erschrocken an, ihre Unterlippe zitterte.

“Sag mir bitte endlich, was passiert ist, Hanne.”, wiederholte sie verzweifelt. Sie wagte es schon nicht mehr, ihn anzusehen, obwohl sie sich eine Antwort wünschte. Es machte ihr Angst, wenn er so völlig unberechenbar war.

“In Ordnung.” Johannes klang plötzlich ergeben. Auch ihn schien der Nervenkrieg immer mehr anzugreifen. “Ich denke, dass wir draußen eher unsere Ruhe haben.”
 

Gemeinsam gingen sie den Flur entlang zu einer der Nischen mit den Fenstern und den Grünpflanzen.

“Als ich noch jünger war, ist irre viel passiert. Ich hab damals noch in Hamburg bei meinem Vater gewohnt.”, begann Hanne zu erzählen. Er war neben einer Yucca-Palme stehen geblieben, die ihm fast bis zur Brust reichte.

“Ich glaub, es ist am besten, wenn ich gar nicht so viel von dem Drumherum erzähle und besser gleich zum Punkt komme. Aber vielleicht solltest du wissen, dass ich früher panische Angst davor hatte, mit jemandem zu schlafen, gerade auch wegen der HIV-Infektion und dem Ansteckungsrisiko. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen, Sex zu haben.

Ich hab mit sechzehn meinen ersten Freund kennen gelernt. Sven ist damals neu in meine Klasse gekommen, wir haben uns schnell angefreundet und irgendwann wurde sowohl für ihn als auch für mich mehr daraus. Es erschien mir wie das natürlichste auf der Welt, ich hab mir nie Gedanken darum gemacht, dass ich mit einem Kerl rumknutschte, auch wenn man das nicht so recht glauben mag. Na ja, und nach langem Hin und Her haben wir auch miteinander geschlafen. Ich war wirklich sehr glücklich mit Sven und gut ein Jahr nach unserem ersten Mal ist unsere Beziehung den Bach runter gegangen. Wir hatten uns damals oft gestritten, gerade auch wegen meinem Umzug hierher.

Jedenfalls habe ich ziemlich unter unserer Trennung gelitten und ich war mir eigentlich sicher, dass ich nie wieder mit irgendeinem Menschen ins Bett steigen würde, einfach weil ich niemals mehr dieses Vertrauen in jemanden würde aufbringen können und ich mich nicht noch einmal so in einen Menschen hinein fallen lassen wollte, wie ich es bei Sven getan hatte. Ich wollte einfach nie wieder so enttäuscht und hintergangen werden.

In den ersten Jahren hier habe ich in einer WG gewohnt. Mein Mitbewohner fand es nie gut, dass ich dermaßen meinem Ex nachtrauerte und wir sind viel zusammen ausgegangen. Das war wohl seine Art, mich auf andere Gedanken zu bringen und so hab ich damit begonnen, mich auf One-Night-Stands einzulassen. Keine engere Bindung, keine Verpflichtungen, nur einmal Sex und das war's dann sozusagen. Genau das hat mir damals auch so enorm zugesagt, wenn ich ehrlich bin. Mir gefiel auch einfach die Bestätigung, von einem anderen Kerl körperlich attraktiv gefunden zu werden. So habe ich auch Lukas kennen gelernt.

Kurt hab ich anders kennen gelernt. Ich hab ihm mal die Haare geschnitten und wir haben uns gut verstanden. Durch ihn habe ich auch Lukas wieder getroffen, nachdem wir uns gut vier Jahre vorher kennen gelernt hatten. Geschlafen hatten wir wohl nicht miteinander, aber wir haben uns recht eindeutig angefasst.

Genau deshalb hab ich ihn auch eben unterbrochen. Es ist mir nicht recht, wenn du solche Dinge von anderen Leuten erfährst. Ich will einfach vermeiden, dass du falsch von mir denkst. Es ist ohnehin alles Vergangenheit, verstehst du? Alles, was ich dir eben erzählt habe, ist nicht mehr!” Hanne machte eine Pause als er merkte, wie er sich um Kopf und Kragen redete. Wozu tat er das eigentlich? Wieso konnte ihm die Sache nicht egal sein? Warum war ihm Rike und ihre Meinung von ihm nicht egal?

Wieder strich er sich über die Lippen und schlug die Augen nieder. “Ich hab eigentlich immer gedacht, ich sei schwul. Vielleicht hab ich’s mir nur eingeredet und Gedanken darüber will ich mir jetzt auch nicht mehr machen. Vielleicht bin ich auch bisexuell, wer weiß?

Jedenfalls hab ich dich getroffen und seitdem ist ohnehin alles anders geworden. Ich muss zugeben, dass ich dich wirklich sehr gerne mag. Ich hab Schmetterlinge im Bauch, Rike.” Er ließ das Blatt der halbhohen Yucca-Palme los und schaute wieder zu ihr.

Rike traute ihren Ohren kaum, als sie hörte, was Johannes da von sich erzählte. Sogar sein kleines Eingeständnis, dass er in sie verliebt war, trat in den Hintergrund. Noch fassungsloser machte sie aber der Anblick seiner Augen, in denen sich jetzt Tränen ansammelten. “Stimmt das wirklich?”, fragte sie.

Er bejahte, obwohl er nicht wusste, was sie meinte. Gerade hatte er wieder wesentlich mehr von sich gezeigt, als er es für gewöhnlich getan hätte. Er stand jetzt im übertragenen Sinne splitternackt vor ihr, das Innerste nach außen gekehrt. Er war wohl wirklich verrückt geworden, Rike derart intime Dinge zu erzählen. Vielleicht hatte ihm das hohe Fieber endgültig das Hirn zermatscht.

Rike wurde plötzlich schlecht. Erst ganz langsam verstand sie, was Johannes ihr erzählt hatte und es überforderte ihre Nerven, die momentan ohnehin fast schon brachlagen. Vorsichtig lehnte sie sich an die Wand.
 

Hanne kapierte sofort, was los war. Er ging auf sie zu und legte einen Arm um sie, damit sie sich an ihm abstützen konnte, falls nötig.

“Du siehst blass aus. Möchtest du ein bisschen ans Fenster?”, wollte er besorgt wissen.

Rike bestätigte und so gingen sie langsam zum Zimmer zurück. Hanne öffnete das Fenster und sofort kam ihm die eiskalte Luft entgegen. Er fröstelte leicht, aber Rike schien der Sauerstoff gut zu tun.
 

Erleichtert lächelte er sie an. “Geht’s dir wieder besser?”, fragte er.

Sie nickte und rieb sich den Kopf. “Entschuldige.”, murmelte sie undeutlich.

“Schon gut, Rike.”

Nach einer weiteren Minute Stillschweigen, äußerte sie: “Danke, Hanne. Das, was du mir da erzählt hast… das ist doch sicher auch unangenehm für dich gewesen, was? Aber es ist schön, dass du mir so etwas anvertraust.” Sie strich über seine Wange und lächelte. “Ich mag dich auch sehr gerne, Johannes. Wirklich.“

Zunächst blickte Hanne sie nur leicht irritiert an, doch dann lächelte er. Er hatte geglaubt, dass sein kleines Eingeständnis vollkommen in den anderen Dingen untergegangen sei, die er ihr noch erzählt hatte.
 

Rike schloss das Fenster wieder und schob Hanne zu seinem Bett zurück. Fast schon dankbar legte er sich hin und schloss die Augen. Das lange Stehen und die viele Aufregung waren noch immer ein wenig anstrengend für ihn.

Nach kurzer Zeit spürte er wieder ihre Hand auf seiner. Es war schön, wenn sie ihre Körperwärme austauschen konnten.
 

Als Hanne die Augen wieder öffnete, fiel sein Blick auf die knallig pinkfarbene Warmhaltekanne, die aus Rikes schwarzer Umhängetasche herauslugte.

“Ist das dein Kräutertee?”, fragte er nach, als ihm ihr Versprechen vom Vortag wieder einfiel.

Rike bestätigte und goss Hanne einen Becher von dem dampfenden Getränk ein. Er mochte ihn sogar. Bald gab es auch Abendessen. Er gab sich tatsächlich Mühe, die Portion zu bewältigen.

Rike war glücklich. Hanne bemühte sich wirklich ihr zuliebe. Sie merkte auch, dass ihm besonders das Essen Probleme machte und er sich wirklich dazu zwingen musste.
 

Wenn er so weitermachte, würde er vielleicht tatsächlich wieder zu Kräften kommen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück