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Dem Frühjahr folgte der Tod

Wenn die Vergangenheit zur Zukunft wird
von

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Eisenfaust

Es war früher Abend, die Sonne färbte den Himmel rot und ganz langsam lichteten sich die Rauchfahnen. Müde rappelte ich mich auf und sah den vermummten Körper neben mir an.

„Weißt du, ich hab echt total viel Angst. Wenn ihr mich in der Akademie immer angehimmelt habt, hab ich mir immer gedacht, dass ich doch gar kein so toller Mensch bin…“
 

Ich legte die Hand auf den klammen Stoff und erschauderte vor der Starre, in die meine beste Freundin verfallen war. Wir wollten zusammen in den kleinen Cryostaseraum. Aber sie hatte es nicht geschafft. Ein feindlicher Bomber hatte das Haus direkt neben uns gesprengt und eine Eisenstange hatte sich durch ihren Kopf gebohrt. Ich schluckte und begann damit, den Leichnam mit Betonstücken zu bedecken.
 

„Tut mir Leid, aber das… das ist alles, was ich… Es tut mir so leid!“

Viel konnte ich nicht tun, doch wenigstens bekam das Mädchen, neben dem ich die letzten vier Jahre gelernt und gelebt hatte, ein halbwegs anständiges Begräbnis.

Nachdem ich mich ein letztes Mal bei ihr entschuldigt hatte, ergriff ich meine Waffe und huschte geduckt aus der Ruine, die heute Morgen noch eine Schule gewesen war. Warum geschah das alles nur? Was hatten wir getan, dass man uns so etwas antat? Mit Tränen in den Augen lief ich durch die von Schutt und Trümmern übersäte Straße, schoss zweimal feindliche Soldaten nieder und kam mit Einbruch der Nacht vor einem unscheinbaren Bunker an.
 

„Yssssssssabel….“
 

Ich fuhr herum. Vor mir lag das Steingrab, welches ich meiner Freundin bereitet hatte. Aber wie konnte das sein? Ich war doch gegangen!
 

Panisch stolperte ich zurück, bis ich gegen etwas Undefinierbares stiess.
 

„Ysabel…. Hilf mir….“
 

Das Gesicht in das ich sah war blutüberströmt. Ein Metallrohr ragte dort aus dem Kopf, wo eigentlich das rechte Auge hätte sein müssen.
 

„Nein….“
 

Alles um mich herum begann sich zu bewegen. Das entstellte Gesicht wuchs über mich hinaus, ich fiel zu Boden, nein, durch den Boden in einen Haufen erkalteter, zum Teil ausgeweideter Leichen.
 

„Nein!“
 

Von oben her stürzte eine Flut von Blut und kleinen Fleischfetzen auf mich herab, ich konnte nicht mehr Atmen, die Kiefer der Toten schlossen sich um meine Gelenke, bissen ganze Stücke aus meinem Bauch heraus.
 

In schierer Verzweiflung schrie ich mit aller Kraft, ich schrie, das Blut ignorierend, ich schrie so laut, dass meine Lunge zu zerreißen drohte. Ich schrie, bis zwei blaue Augen den Horror um mich herum einfach auslöschten.
 

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Schwer atmend saß Ysabel da, allein von Smith gehalten, der ihr Gesicht mit beiden Händen umfasste. Der Kommandant war von den panischen Schreien aufgeschreckt und sofort in das Zimmer des Mädchens geeilt, welches in einem Alptraum fest zu stecken schien. Auf seine Rufe reagierte sie nicht, ebenso wenig wie auf das kalte Wasser und die Ohrfeigen, die Levi ihr entnervt verpasst hatte.

Ohne zu wissen ob sein Vorhaben denn gelingen würde, hatte er sich in letzter Konsequenz über Ysabel gekniet und auf sie eingeredet.
 

Nun saß die Schwarzhaarige in ihrem nassen Bett und zitterte wie Espenlaub.
 

„Ysabel….“

„Ich konnte nicht … ich wollte… zu schwach…“

Tröstend zog er Ysabel wie am Vorabend in seinen Arm, auch wenn das in ihrer beider Momentanen Lage etwas zweideutig wirkte. Levi schien das nicht zu stören, der war einfach nur froh, dass das Geschrei aufgehört hatte und er das Hauptquartier wieder zurück in seine Betten scheuchen konnte.

Smith rutschte etwas peinlich berührt zurück an die Bettkante, ließ Ysabels zitternde Hand aber nicht los.

„Möchtest du darüber reden?“
 

Das Mädchen zuckte mit den Schultern, es schien erst jetzt zu realisieren, dass das ganze Bett voll Wasser war. Geschockt sah sie ihn an.

„Wir haben dich nicht wach bekommen. Es ist nur Wasser.“

Beruhigt schob Ysabel sich die Decke vom Körper und schwang die Beine aus dem Bett, ehe sie sowohl Kissen als auch Decke nahe zum Kamin legte. Smith meinte etwas von ‚nicht im Nassen schlafen‘ verstanden zu haben, er kommentierte das aber nicht. Mit einem Mal begann Ysabel zu reden.
 

„Es war Krieg. Ich weiss nicht genau, warum. Wir wurden abgeschlachtet. Der Feind hat keinen Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten gemacht. Im Gegenteil.“. Sie schluckte schwer. „Sie haben Spaß daran gefunden, wehrlose umzubringen.“

In den tiefblauen Augen spiegelte sich die verbliebene Glut. Funken stoben, als Ysabel ein Holzscheit nachlegte.

„Ich habe eine sehr gute Freundin sterben sehen. Ich konnte ihr nicht helfen… Ich konnte sie nur beerdigen.“
 

Smith strich sich die wirren Haare aus der Stirn.

„Das ist mehr, als manche Menschen in dieser Lage bereitwären zu tun.“

Sie sah ihn an, schüttelte aber nur wortlos den Kopf, ehe sie sich in einen der Sessel setzte und die Knie an die Brust zog. Deutlich war das Schluchzen zu hören.

Durch die Tür kam eine junge Soldatin. Sie wirkte äußerst müde, doch sah sie gleich besorgt zu dem Häufchen Elend im Sessel.

„Petra, richtig? Bitte kümmere dich um Ysabel.“

Die Rothaarige nickte und trat zum Sessel. Leise verließ Smith den Raum.
 

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Petra Ral war erst seit kurzem in den Aufklärungslegion, hatte aber im Vergleich zu anderen Soldatinnen weitaus mehr Talent. Sie hätte locker der Militärpolizei beitreten können, doch war sie zum Militär gegangen um die Welt hinter den Mauern zu sehen, nicht

um an das Innere gefesselt zu werden.
 

Das Mädchen vor ihr war vielleicht sechzehn, sie wirkte auf Petra sehr reif und doch äußerst verletzlich. Fragend sahen die großen, blauen Augen in Petras braune.

„Es schickt sich nicht, wenn ein Mann lange im Zimmer eines jungen Mädchens bleibt. Der Kommandant hätte sonst die ganze Nacht hier verbracht. Er sorgt sich sehr um dich, weißt du?“

Die schwarzhaarige wandte den Blick auf ihre Knie.

„Ich… Tut mir Leid, dass ich euch solche Umstände mache…“

Sanft strich Petra durch die schwarzen Locken.

„Mach dir darum mal keine Sorgen. Ich denke, du kannst uns bestimmt sehr weiterhelfen, wenn du dich erst mal wieder erinnerst.“
 

Von Ysabel kam nur ein mattes „Hn…“, ehe sie wieder zu Petra sah.

„Wenn wir schon davon sprechen, darf ich bitte Papier und Bleistift haben? Ich habe eine Art Plan im Kopf… Ich kann das alles aufzeichnen, wenn ihr das nachbauen könnt, fällt mir vielleicht wieder ein, was es ist.“

Nun weitete Petra überrascht die Augen. Sie trat zu dem kleinen Schrank und nahm eine Pergamentrolle und Schreibsachen heraus, reichte es Ysabel und setzte sich vorsichtig in den zweiten Sessel. Das Mädchen nahm in jede Hand einen Stift und begann in den oberen Ecken des Blattes damit, winzige Striche zu setzten. Zunächst sah Petra keinen Sinn darin, doch nach wenigen Minuten erkannte sie etwas, das ein Bauteil zu sein schien. Fasziniert beobachtete die Soldatin das Schauspiel, wie es sich auf den nächsten Blättern wiederholte und immer neue Bauteile zeigte.

Zuletzt zeichnete Ysabel die Konstruktion in ihrer Gesamtheit, Petra hatte beim besten Willen keine Ahnung, was das darstellen sollte. Ordentlich legte die Schwarzhaarige das Zeichenwerkzeug zur Seite.
 

„Ich habe jedes Bauteil genau aufgezeichnet und die Maße sowie die Materialien angegeben. Die letzten Seiten zeigen genau, wie alles zusammengesetzt werden muss. Meinst du, ihr kriegt das hin?“
 

Etwas überfordert nickte Petra und blickte auf die Standuhr.

„Ach du meine Güte! Es gibt ja in einer halben Stunde Frühstück! Hör zu, Ysabel, ich gehe mich gerade anziehen und du machst dich auch fertig und dann gehen wir zusammen runter, ja?“

Sie nickte, woraufhin Petra aus dem Zimmer eilte und Richtung Schlafsaal peeste. Dieses Mädchen war, ja wie sollte man das nun sagen? Seltsam? Ja, etwas seltsam und vertraut zugleich.
 

Im Schlafsaal der Soldatinnen herrschte schon reges Treiben, Betten wurden gemacht und hier und da geräumt, Petra war die einzige, die noch im Nachtpolter dastand. Ohne auf die fragenden Blicke der anderen zu reagieren zog sie sich an, legte die Riemen der Manövrierausrüstung um und ging wieder zu Ysabel, die schon auf sie wartete. Zusammen gingen sie ins Erdgeschoss, wo gerade die Küche aufmachte. Ein lautes knurren durchschnitt die noch herrschende Ruhe.
 

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Mir fielen fast die Augen raus, so weit hatte ich sie aufgerissen. Gott, war das peinlich! Aber wenn ich genau überlegte… Ich wusste gar nicht, wie lange ich schon nichts mehr gegessen hatte. Petra jedenfalls schmunzelte und meinte, ich solle ruhig zugreifen. Das tat ich auch, vor allem beim Tee.
 

Von den anderen Anwesenden bekam ich einen Haufen dummer Blicke, einige stupsten mich sogar an wie kleine Kinder ein unheimliches Tier. Das hörte aber auf, sobald Levi mit dem Kommandanten auftauchte und sich neben mich setzte. Der untersetzte Hauptmann sah etwas verwirrt in die Teekanne.

„Warum ist dieser Tee fast leer?“

Petra wurde ein bisschen sehr rot und meinte nur: „Ysabel hat wohl einen ähnlichen Geschmack wie sie, Levi Heichou.“, woraufhin Levi schmunzeln musste. Auch Erwin lächelte weich. Da fiel mir der Plan ein, den ich gezeichnet hatte.

„Ähm, Kommandant? Ich… ich hatte seit dem Alptraum einen Plan im Kopf, ich habe alles in Reihenfolge aufgezeichnet und ganz genau beschrieben, meinen sie, sie können damit was anfangen?“

Ich reichte ihm die zusammengerollten Pergamentblätter, doch ehe er sie ergreifen konnte, hatten schon zwei andere Hände ihre Finger darum geschlossen. Der Sabberlappen von gestern blätterte mit leuchtenden Augen.

„Das ist eine Mechanismus, oder? Was ist das? Ein Wasserkessel?“

Ich lugte selbst auf das Blatt und legte den Kopf schief, um meine Randnotiz lesen zu können.

„Das ist eine Art Brennofen. Hier, das ist ein Wasserkessel, das Wasser daraus wird hiermit erhitzt und der Dampf geht dann darein, so hab ich das zumindest im Kopf.“

Die Braunhaarige quetschte sich zwischen Levi und mich, der Hauptmann nahm das mi einem unwilligen schnauben hin.

„Und was macht das? Hier… so wie du das beschrieben hast, hält das nicht…“

„Das soll es auch nicht. Guck mal. In diese Zylinder geht der Dampf, er drückt sie bis zum Widerstand raus und kann dann da raus. Die Zylinder fahren dann wieder zurück. Das gibt eine Bewegung, damit wird das hier… Moment. Moment!“

Ich musste lachen.

Sowohl Hanji als auch der Rest des Raumes sah mich arg verständnislos an, während ich fast heulte vor Lachen. Ich hatte einen uralten Plan der Dampfmaschine abgezeichnet!

„Tut mir Leid…“, begann ich, nachdem ich wieder Luft bekam. „Ich hab mich nur über meine eigene Dummheit kaputtgelacht. Das hier ist eine Dampfmaschine, damit könnt ihr viele Sachen einfacher machen, zum Beispiel eine Kurbel oder einen Aufzug. Nur… dieses Modell hat relativ wenig Kraft… Scheiße, ich wusste das alles Mal…“

Die Verrückte neben mir klatschte begeistert in die Hände.

„Wir haben sowas auch schon mal versucht! Bei uns hat es aber nie geklappt… Wir haben es ohne den Wasserkessel gemacht und ohne diese… Zahnräder und Keilriemen.“

„Ohne Keilriemen bekommt ihr keinen vernünftigen Motor hin! Das könnt ihr ja wohl vergessen!“
 

Die Olle quatschte irgendwas unverständliches, ehe sie mit den Plänen den Raum verließ. Fragend sah ich in die Runde. „Was zum Teufel war das gerade?“

„Das war Zoe Hanji, die leitende Forscherin hier. Ihre Truppe erforscht die Titanen und sucht immer nach neuen Techniken, die Dampfkurbel war bis jetzt ihr teuerstes Projekt. Ich denke, sie wird drei oder vier Tage nur im Keller verbringen und mit den Technikern rumwerkeln.“

„Das heißt ein wenig Ruhe für uns und vor allem für dich.“

Levi führte seine Tasse zum Mund. Dabei hielt er sie so komisch, er ergriff sie am oberen Rand und hielt die Hand halb darüber. Wie auch immer das funktionierte. Dieser Typ war einfach zu cool für diese Welt.
 

„Wenn man denn von Ruhe sprechen kann.“, wandte Smith das Wort an mich. „Ich habe mit Ausbilder Shadis gesprochen, du wirst in das laufende Ausbildungsprogramm einsteigen. In zwei Tagen geht’s los. Bis dahin bringen wir dir noch ein paar Grundlagen bei.“

Ich legte den Kopf schief. „Welche Grundlagen denn?“

„Funktion des Dreidimensionalen Manövers, Geschichte der Mauern, unser Stand der Technik… Hab ich was vergessen, Erwin?“

Smith schüttelte den Kopf. „ Nein nein, Levi. Das war so ziemlich alles.“

Konnte doch gar nicht so schlimm werden, oder?
 

Die ersten Lehrstunden waren auch gar nicht so schlimm, Erwin und Petra waren geduldige und vor allem gute Lehrer. Ich lernte, wie man das Manöver Gear, wie man es hier nannte, richtig anlegte und bereitmachte. Dabei fand ich sofort etwas, was ich hassen lernen würde. Die Brustgurte.

„Ähm, Erwin, die sind etwas sehr eng… muss das so sein?“

Der Blonde lockerte den Hauptgurt ganz professionell, ohne sich etwas daraus zu machen, sehr nah an meine Brüste zu kommen.

„Viel lockerer darf es nicht sein, ansonsten kannst du Probleme in der Luft bekommen.“

Petra lächelte mich Leidensbewusst an. „Das Problem haben die meisten Soldatinnen. Aber ich kenne keine, die das so… ausgeprägt hat, wie du.“

Das hatte ich mir schon gedacht. Die schönen (vollbusigen) mussten Leiden. Manchmal verfluchte ich meine Gene.

»Code VFX: Intolerable Genanomalie entdeckt… Embryo 40-6-25-173 wird weitergeleitet an… an…«

Der Druck auf meinen Schläfen war so schnell weg, wie er gekommen war. Zurück blieb nur ein leichtes Flimmern. Weder Smith noch Petra schienen etwas bemerkt zu haben, also beließ ich es dabei. Smith verabschiedete sich dann gegen Mittag, er wollte jemanden suchen, der in irgendein Spezialkommando kommen sollte.
 

Den Rest des Trainings übernahm Levi.

Zunächst lotste er mich zu einem Holzgestell, befestigte zwei Gurte dort an meinem Hüftgurt, wo das Manöver Gear die Haken hatte, meinte, ich solle das Gleichgewicht halten und drehte an einer Kurbel. Nach wenigen Sekunden verlor ich den Boden unter den Füßen und spürte wie mein Gewicht an allen Gurten gleichzeitig zerrte. Ich schwankte ein wenig, als ein Mann mit Glatze und stechenden Augen zu Levi trat.

„Dafür, dass sie den rechten Haken verdreht befestigt haben, hält sich die Kleine sehr gut. Sie kommt zu euch wenn sie fertig ist, oder?“

Levi nickte.

„Wie machen sich die neuen so, Shadis?“

Ach, das war also der Ausbilder Shadis! Der Typ macht mir irgendwie Angst.

„Wir haben ein paar ganz gute dabei. Aber auch ´ne Menge Stussköppe. Weicheier sind da noch die harmlosesten.“

„Ach?“

„Ja, hast du schon mal von einem Rekruten gehört, der beim Erstappell eine gestohlene Kartoffel frisst?“

„Das ist nicht dein ernst, oder?“
 

Levi und Shadis hielten weiter Smalltalk, während sie sich langsam von mir entfernten. Ich rief ihnen nach, wurde aber eiskalt ignoriert. An diese Haken kam ich so nicht dran, die Kurbel war auch außer Reichweite. Also konnte ich nichts weiter tun als abhängen. Wütend ballte ich die Fäuste.

„Man, so eine VERDAMMTE…!!!“

Ich verlor das Gleichgewicht und hing plötzlich Kopfüber da.

„SCHEISSE!!!“
 

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Mit voller Wucht flog der entsetzte Händler gegen die Tür seines Hauses, woraufhin das betagte Holz splitternd nachgab. Die winzigen, schlammbraunen Augen des Mannes starrten panisch die hünenhafte Gestalt über sich an.

„Hör zu, hör zu! Ich lass das Tier ja schon in Ruhe! Ich rühr es nie wieder an! Bitte! Verschone mich!“

Eine tellergroße Hand packte den samtenen Kragen und zog den Mann daran hoch. Der Schweineartige Kerl stotterte panisch, ehe der Hüne, der allgemein nur als Eisenfaust bekannt war, ihn in einen nahen Misthaufen warf, einen quietschenden und zappelnden Sack vom Boden aufhob und aufriss. Eine winzig wirkende, dreifarbige Katze robbte schimpfend heraus, ehe sie im weiten Schal ihres Besitzers verschwand. Ein letztes Mal funkelten die anderthalb nebelfarbenen Augen den Händler an, ehe die Eisenfaust sich abwandte und ging.
 

Die Menschen gingen ihr aus dem Weg, die Kraft ihrer Hände war über die Mauern hinweg bekannt und absolut niemand wagte es, die Eisenfaust herauszufordern. Man sagte sich, dass sie einem Pferd mit nur einer Hand das Genick brechen konnte, und bei der Katastrophe in Shingashina soll ihr ein Haufen Titanen der drei Meter Klasse erlegen sein.

Das alles stimmte auch, aber die Eisenfaust scherte sich nicht darum, was die Menschen von ihr dachten. Das einzige, was für sie zählte, war ihre Kraft. Was anderes interessierte sie nicht. Nicht mal ihr Geschlecht oder ihr eigener Name. Bis auf dieses eine Gerücht.

„ In Stohtess soll ein Mädchen in einem Eisblock gefunden worden sein! Die Aufklärungslegion hat es wohl geschafft sie aufzutauen.“

„Genau, sie soll wohl wissen, wie man die Titanen macht!“

„Was, wirklich? Dann weiß sie bestimmt auch, wie man sie umbringt!“

„Also das weiß ich nicht…“
 

Irgendwo in ihren Erinnerungen fand die Eisenfaust das Bild eines Mädchens mit dunklen Augen, welches sie immer beschützt hatte. Ja, auch die legendäre Eisenfaust war einmal zerbrechlich und schwach gewesen.
 

Energisch schüttelte der Muskelberg seinen zotteligen Kopf, so dass die Katze im Schal protestierend motzte. Sie wurde ignoriert, die Eisenfaust wollte nicht über ihre Vergangenheit nachdenken.

Sie zog die Augenbrauen zusammen, als sich eine kleinere Person vor sie stellte.

„Eisenfaust. Wir brauchen deine Hilfe.“
 

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Smith blickte in das von Schatten verhüllte Gesicht, furchtlos, während der Pulk um ihn herum schon vom Zusehen nervös schien. Die Eisenfaust sah ihn aus ihren leuchtend weißblauen Augen an, dabei entdeckte er, dass das rechte Auge einen dunkelbraunen Fleck hatte, welcher direkt unter der Pupille etwa die Hälfte der Iris einnahm. Etwas Derartiges hatte er vor Jahren mal bei einem Pferd gesehen, seitdem nie wieder.

„Was willst du?“

Eine Gänsehaut zog sich über Smiths Rücken, die Stimme war tief und äußerst rau, er konnte nicht sagen, ob sie einem Mann oder einer Frau gehörte, obwohl er sehr zum Mann hin tendierte.
 

Er hatte den Einfall mit der Eisenfaust als Levi vorschlug, ein Sonderkommando unter Ysabel aufzubauen. Der schwarzhaarige Hauptmann war der festen Überzeugung, es gäbe mehr von Ysabels Sorte, die sich eingefroren haben. Ysabel bestätigte das auch, sie könnte mit dem, wie nannte sie es? Interface? Auf jeden Fall könnte sie damit nach weiteren Kapseln suchen, sobald sie wieder wusste, wie das funktionierte.

Bis dahin brauchte sie aber ein fähiges Team aus Soldaten, vorübergehend würden Levi, Hanji, Petra und noch eine Handvoll anderer fähiger Leute als Kommando fungieren. Die Eisenfaust wollte Smith dabei als Hauptmann haben. Nicht zuletzt aufgrund einiger Gerüchte um den ruhigen Riesen, eine Handvoll uralter Bauern erzählte davon, die Eisenfaust schon als Kind gesehen zu haben. Und auch in den Berichten der Mauergarnison tauchte ein Hüne mit einzigartigen Augen auf, und zwar in Texten vom Jahre 755. Wenn man den Texten trauen konnte, dann war die Eisenfaust in fast hundert Jahren nicht gealtert.
 

„Ich möchte dass du mit uns kommst. Hier ist kein Ort, um etwas Wichtiges zu besprechen. Und mein Vorschlag ist sehr wichtig.“

Ruhig blickte er in die anderthalb hellen Augen.

„Wenn mir ihr Vorschlag nicht gefällt, gehe ich.“

„Das steht dir zu.“

Eisenfaust nickte ruckartig, ehe er sich in Bewegung setzte und dem Kommandanten folgte.
 

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Der Kommandant der Aufklärungslegion kam der Eisenfaust gerade recht. Wenn die Gerüchte stimmten, dann würde das Mädchen tatsächlich dort sein. Wenn… ja, was wenn? Was sollte Eisenfaust tun, wenn es tatsächlich das Mädchen war? Mit ihr reden? Ihr erklären, wer da vor ihr stand? Nein, das ganz bestimmt nicht. Wenn man aus dem Eis kam, dann konnte man sich nicht erinnern.
 

Ohne einen Ton von sich zu geben schwang die Eisenfaust ihren beeindruckenden Körper auf den Wagen, den man ihr soeben zugewiesen hatte und streckte sich. Die kleine dreifarbige stiess ihr Köpfchen gegen das kantige Kinn über sich. Eisenfaust lächelte unmerklich und strich mit zwei Fingern durch das warme Fell, die winzigen Pfötchen der Katze zuckten in Richtung einer verfilzten Haarsträhne, es gab kaum noch jemanden, der Rastas trug.

Der Wagen ruckelte über die unebene Straße und mehrmals stieß Eisenfaust‘ Schulter schmerzhaft gegen die Kante des Wagens. Die Männer der Aufklärungslegion schwatzten leise, sie witzelten über die krummen Beinchen der Dreifarbigen und rätselten, ob die Eisenfaust nun männlich oder weiblich war. Die schmunzelte einfach nur weiter, bis der Wagen in den Innenhof eines Herrenhauses rollte. Die riesigen Füße der Hünenhaften Person sanken ein Stück im Kies ein, als sie vom Wagen sprang. Der wesentlich kleinere Smith trat zu ihr.

„Willkommen im Hauptquartier der Aufklärungslegion. Bitte, hier entlang.“
 

Schweigend folgte die Eisenfaust dem Kommandanten, sie ignorierte die fragenden Blicke der Soldaten weitgehend. Sie fragten sich, was ein riesiger Kerl in Lumpen hier suchte, das war klar. Über Eisenfaust war nur ihre gewaltige Kraft bekannt, doch der Körper war es nicht, niemand wusste, wie die Eisenfaust eigentlich aussah.

„Die Leute sagen sich, du könntest einem Pferd mit bloßer Hand den Schädel zertrümmern.“, begann Smith nach einem Moment. „Manche halten dich sogar für einen Riesen.“

Eisenfaust schnaubte abfällig.

„Sehe ich etwa hirnlos aus?“

Der Blonde lachte.

„Himmel, nein! Du kennst doch aber die Waschweiber und ihr Geschwätz.“
 

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Er musste aufpassen, dass er die Eisenfaust nicht wütend machte. Auf ihn wirkte der Hüne sehr Intelligent, eine fatale Mischung aus Wissen und Kraft. Jemand wie er könnte sogar Levi in den Schatten stellen.

Smith erzählte dem Riesen an seiner Seite ein wenig über die vergangenen Tage, ab und an vernahm er ein dumpfes Brummen, mehr aber nicht. Mike hatte sich zu ihnen gesellt, der Mann mit dem guten Riecher wagte es aber nicht, Eisenfaust zu beschnüffeln. Ja, der Riese machte ganz schönen Eindruck.

In seinem Arbeitszimmer angekommen bat er die Eisenfaust zum breiten Sofa, da vermutlich jedes andere Möbel unter dem Gewicht der Muskeln, die Smith unter den Lumpen vermutete, zerborsten wäre. Auch dieses so robuste Ding knarrte empört, aber es hielt.

„Ich möchte nicht lange um den heißen Brei herum reden, Eisenfaust. Du hast von unserer Entdeckung gehört?“. Der Hüne nickte. „Gut. Wir glauben, dass es mehr Menschen wie das gefundene Mädchen gibt. Meine Bitte ist, dass du mit ihr und einigen anderen Soldaten ein Team bildest, das nach solchen Menschen sucht.“

Die Knöchel der breiten Finger knackten und die Augen des Hünen blitzen spöttisch.

„Warum gerade ich? Ihr Levi sollte doch stark genug dafür sein.“

Smith neigte den Kopf.

„Das ist er auch, aber zum einen ist er schon hier mit Aufgaben und Pflichten zugeschüttet und zum andern hat er strenge Auflagen vom Oberkommandanten bekommen. Die einzige Person, die meiner Meinung nach noch wirklich in Frage kommt, bist du, Eisenfaust. Es würde auch einige Praktische Aspekte für dich bringen, du bekommst genug für dich und deine Katze zu essen, saubere Kleidung und ein festes Dach über dem Kopf.“

Als hätte man sie angesprochen, streckte die dreifarbige ihr Köpfchen aus dem Schal und blinzelte müde in die Gegend. Eisenfaust schmunzelte.

„Ich trete ihrem Team bei und sie halten mir die Ponys vom Hals, einverstanden?“

Nun legte Smith verwirrt die Stirn in Falten. „Die Ponys?“

Mike beugte sich ein Stück zu ihm. „Die Militärpolizei.“

„Sag das doch gleich. Ich garantiere dir, als Mitglied der Aufklärungslegion wird die Militärpolizei dich in Frieden lassen. Darf ich fragen, warum sie hinter dir her sind?“

Eisenfaust stand auf und streckte sich.

„Es sind ein Paar Gauner in Samt im Mist gelandet. Sie waren selbst schuld, mich herauszufordern.“
 

Eisenfaust hatte das zugeteilte Zimmer eher skeptisch betrachtet, aber die dreifarbige hatte sich sofort auf dem noch unbezogenem Bett eingerollt. Durch das kleine Fenster konnte Eisenfaust auf einen kleinen Trainingsplatz sehen. Eine Handvoll Soldaten lief Runden, andere übten sich im Zweikampf.

Lautlos seufzend verließ Eisenfaust den Raum, irrte ein wenig durch die Gänge, ehe sie eine Tür direkt zum Garten fand. Das Moosdurchzogene Gras fühlte sich wie Teppich unter den Baren Fußsohlen der Eisenfaust an, ein wenig Tau war noch geblieben.
 

„…scheisse!“
 

Ein Ausruf schallte von der Mauer des Hauses in Eisenfausts Ohren, die Rufende Person war nicht weit entfernt, wenn der Hüne das richtig deutete. Er machte sich in die Richtung, in der er den Schreihals vermutete auf und erblickte schon bald eine junge Frau, die kopfüber in einer Art Gestell hing.

Leise trat die Eisenfaust an den einen Pfosten heran, an dem sie eine Kurbel betätigte. Das Mädchen wurde heruntergelassen.
 

„Was…? Danke.“
 

Die Schwarzhaarige löste zwei Haken von ihrem Gürtel, nachdem sie vom feuchten Boden aufgestanden war.
 

„Sie waren echt meine Rettung.“

Erkannte die Kleine denn nicht, wer da vor ihr stand?
 

„Ich dachte, ich bleib den ganzen Tag so Hängen.“

Nein, sie schien keine Ahnung zu haben.
 

„Ich bin erst seit gestern hier, bin also auf jemanden angewiesen, der sich auskennt.“

Eisenfaust hatte ja selber keine Ahnung.
 

„Der Hauptmann hat mich einfach so hängen lassen! Wissen sie vielleicht, wo er ist? Ich will ihm in den Arsch treten.“

Es war so lange her, seit der Hüne zuletzt in diese Augen geblickt hatte.
 

„Hallo? Verstehen sie mich?“

Diese silberblauen Augen hatten ihn so oft aus der Versenkung gezogen.
 

„Hallo-ho?“

Die Erinnerung an diese Augen hatte ihn davor bewahrt, den Verstand zu verlieren…
 

„Dann such ich eben allein. Also, Levi, sie verstecken besser ihren Arsch vor mir!“
 

Jetzt verlor Eisenfaust nur die Fassung.



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