Zum Inhalt der Seite

100% Karma-Frei

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kanonenkugelfrühstück


 

***

So tonight I'll call you from a fourth-street payphone

But I'll sleep on the beach if I ain't got a ride

The Gaslight Anthem - Blue Jeans & White T-shirts
 

„.. Du hast echt schöne Brustwarzen..“
 

So wacht man doch gerne auf. Wovon ich jedoch weniger gerne aufwachte, waren seltsamen Träumen über Achterbahnen und der vagen Frage wo ich war. Ich hatte geschlafen wie auf Steinen. Oder Parkett um ganz genau zu seien. Der Polster war ein zusammen gerollter Pulli und die Decke, eine dieser Bettleintücher einer blau-gelben schwedischen Firma. Mein Arsch tat weh, mein Schädel brummte und als würde das nicht reichen, saß in meinem Blickfeld auf dem Sofa Bastian.
 

„Morgen auch, du alter Hippie.“, brummelte ich vor mich hin. Sein Kleiderschrank war der Grund warum ich eine selbstgebatikte Pyjamahose anhatte und der Hitze des Raums war zu verdanken, dass ich kein Shirt genommen hatte.
 

„Wann hast du sie dir piercen lassen..? Bleiben die eigentlich jetzt immer steif? Stimmt es, das der Sex dann.. na, du weißt schon..?“, der junge Kerl mit den rötlichen Dreadlocks grinste mich schelmisch an und schob die Hände in die weiten Hosen einer weiteren schrecklich selbst gemacht aussehenden Hose.

„.. Vor zwei Jahren. Nein. Ja. Auch schön dich wieder zu sehen..“, ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, zog es dann aber doch vor die Decke wieder über meinen Oberkörper zu ziehen. Meine Piercings waren eine meiner kurzen Ausflüge Richtung Körperkunst. Es tat kaum weh, verheilte schnell bis auf einen Zwischenfall als es wirkte als würde meine linke Brustwarze ihr Piercing auffressen und hatte sich schon bezahlt gemacht.
 

„Hast du nicht irgendetwas zu tun? Studieren oder so?“, mein eigener Atem schlug mir vom Stoff wieder zurück und erinnerte mich daran mir dringend eine Zahnbürste zu besorgen. Damit einher kamen all die anderen Gedanken, die man nicht gerne am Morgen hat. Gieß die Pflanzen, bring das Haus auf Vordermann, geh zum Begräbnis. Letzteres war erst in einer Woche, nur konnte ich bis dahin weder schlecht am Boden schlafen, noch mich in eine Ecke zurück ziehen und warten das die Zeit freiwillig aufgeben würde. Der Klügere gibt eben nach und unter meinem sturen Schädel war schon manche Mauer eingebrochen.
 

„Joah…“, Bastian zog das Wort lang, wie Kaugummi; „In Philosophie bin ich jetzt Bachelor und als nächstes kommt dann Töpferei. Oder Blumensteckkunst..?“, fragte er mich und ich merkte sogar ohne seine leicht geweiteten Pupillen zu sehen, das ich ihn ans ‚la-la‘-Land verloren hatte.

Der Hippie war ein ganz eigenes Kaliber an Wahnsinn und als ich einmal den Fehler machte zu Fragen wie Chrissi es bloß mit ihm aushalten konnte, begann er mir über die Vorzüge des Steinbocks zu erzählen und das Chrissi in all ihren Aszendenten und sonstigen Vorzeichen, perfekt zu ihm passen würde.
 

Ich fischte unter der Decke nach meinem Shirt und zog es mir über den Kopf. Adrett oder passabel musste ich in diesen vier Wänden nicht aussehen, aber doch bitte wenigstens angezogen.
 

„Würden die Herrschaften sich die Mühe machen und zum Tisch kommen..?“, Chrissi stand im Türrahmen und musterte mit hochgezogenen Augenbrauen ihren tagträumerischen Freund und mich, der die wenigen Habseligkeiten die ich hatte am Boden zusammen suchte. In der Hand, wie eine Waffe, eine Bratpfanne voller Eier und Speck.
 

Einige Minuten später fand ich mich an einem Tisch sitzend, eingepfercht in die wo möglichst kleinste Küche der Welt. Jeder außer mir schaffte es zu Essen ohne den Tisch gleich vollzubröseln und glücklicherweise, waren alle still. Morgenmenschen zählen zu der Kategorie Mensch, denen ich am liebsten weitläufig aus den Weg ging und erst als mir Chrissi eine Kanne Tee vor die Nase knallte, hob ich den Blick wieder.
 

„Arsen?“, ich roch an dem Hals der Kanne, ehe ich mir etwas von dem schwarzen Sud in die Tasse goß.

„Zyankali, du Anfänger.“, erwiderte sie und ich glaubte es ihr sogar, so wie der Tee schmeckte, hatte Sie den aus irgendeiner Ecke herausgekratzt, zusammen mit etwas Staub und sonstigen Küchendreck.
 

Sie wartete einige Augenblicke, solange ich brauchte um mir Löffel um Löffel Zucker in die Tasse zu kippen. Ich kannte sie lang genug um ihren angewiderten Blick mit geschlossenen Augen zu sehen.

„Was hast du jetzt vor? Soll ich eine Willkommensfeier organisieren mit anschließender Jagd durch die Stadt, wer dich zuerst teert und federt?“
 

Ich schüttelte den Kopf; „Ich.. weiß es noch nicht. Ich denke, ich sollte zu mindestens mein altes Zimmer wieder herrichten. Damit ich deinen Boden nicht weiter abnutze. Vielleicht ein paar alte Freunde wieder treffen..“
 

Ich hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, da spürte ich wie mich zwei Paar Augen durchbohren wollten. Ich hatte damals nicht nur die Stadt zurück gelassen, sondern noch einen ganzen Haufen an kuriosen Leuten.

„Du.. Also..“, es war selten mitzuerleben wie sie um Worte rang. So neugierig und fasziniert ich auch zu sah wie sie ihren Mund öffnete und schloss, so nervös war ich auch Angesichts der Worte die aus ihrem Mund schießen würden wie Patronen.
 

„Nein. Nicht Er. Und nicht diese alten Freunde. Ihr reicht mir. Den Rest muss ich nicht wieder sehen.“ Zwei Lügen in einer Runde. Ich hatte damals nicht mehr Freunde außer diese kleine Runde voller Außenseiter und das ich den Rest nicht wieder sehen wollte, war eine verlogene Tatsache, die sich in meine Kehle verbiss.
 

Am Frühstückstisch herrschte Stille. Die Mauer die ich hochgezogen hatte war fast greifbar und Bastian hatte seine dunkel blauen Augen abgewendet als wolle er nicht zu deutlich zeigen, dass er Teil dieses Gesprächs sein konnte. Konnte. Er war es nicht. Ich hatte ihn erst kennen gelernt, nachdem ich weggezogen war. Irgendwann hatte Chrissi mir einfach geschrieben, da wäre jemand in ihrem Leben und so eifersüchtig ich auch seien wollte, so sehr freute ich mich, das sie jemanden gefunden hatte, der mit ihr klar kam. Nicht nur das, jemand der sie liebte.
 

Ich kippte den Tee meine Kehle hinunter um etwaige weitere Ausbrüche auszubrennen, wie eine frische Wunde. Eine Wunde, die schon seit über sieben Jahren frisch war.
 

„Sobald das Begräbnis vorbei ist, seid ihr mich wieder los.“

Ich konnte gar nichts anderes sagen als das. Mein Selbsthass gemischt mit dem Unwillen mich mit den Scherben der Vergangenheit auseinander zu setzen machte es mir unmöglich. Ich wollte nicht, dass Alles wird wie früher. Ich wollte einfach weg. Schreien. Schlagen. Weg laufen. Selbst Chrissis Nähe war eine zu wache Erinnerung an die Nähe zu den Menschen die ich geliebt habe, schlichtweg weil ich ihr die Priorität in meinem Leben nicht absprechen konnte.
 

„Gut.“, es klang giftig. Resigniert. Zu viel um beim Frühstück damit umzugehen. Ich stand auf und ging in das Vorzimmer um meine Jacke zu holen. Ich spürte Bastians Präsenz, als er im Türrahmen lehnte, als wolle er etwas sagen. Im Endeffekt sah er mir aber nur zu wie ich aus der Wohnung ging und die Tür hinter mir schloss.
 

Warum war ich überhaupt her gekommen, verdammt.
 

Tod. An den Tod zu denken, half mir. Ich konnte mir dann besser einreden, dass das Alles war. Das ich schneller in den Zug zurück springen würde, als mich jemand beim Namen rufen konnte und ein Teil von mir wollte auch nichts mehr als das zu tun. Ich könnte meine Familie vermeiden und all die unausgesprochenen Sachen die wie ein Gebirgszug zwischen uns lagen. Ich könnte vermeiden mit meinen alten Freunden zu sprechen und mich für meine Feigheit zu entschuldigen. Meine Feigheit, mit niemanden zu reden und still zu bleiben, während man mich um Antworten bat. Die Krönung war dann diese eine Novembernacht.
 

Doch jetzt war es Oktober. Der Wind war frisch, graue Wolken schoben sich über den blauen Himmel und die Leute liefen schnell an mir vorbei durch die engen Gassen. Diese Stadt war ein Gemütszustand. Eingefroren in einer Zeit der Herrscher und Leibeigenen. Es gab kleine Kaffeehäuser, eingequetscht neben alten Kirchen und abgeranzten Bars. Um die innere Stadt zog sich ein ganzer Ring an teuren Hotels, Edelboutiquen und Autoläden, nur um sich dann immer mehr auf zu fransen, bis es ein wirrer Mischmasch aus Teuer und Billig, Nobel und Nuttig war.
 

Ich bin schon viel rumgekommen, aber diese Stadt ist wie eine alte Geliebte. Selbst wenn sie eine ehemalige Affäre wäre, so würde mich mit ihr mehr verbinden als mich von ihr trennt.

Ich kenne die Stadt, in vielen ihrer Ecken und ihrer Irrwegen und ihren Ecken, Kanten, Gräbern und ich kenne ihre hässlichen Seiten und ihre Schönheit. Sie ist wie eine in die Jahre gekommene Puffmutter. Eigentlich trifft es das recht gut. Diese Stadt war also nicht nur ein Gemütszustand, sondern auch eine Puffmutter. Diese Stadt hier, sie lebt von ihrer Vergangenheit. Es gibt nicht viele Städte die für ihre Griesgrämigkeit, ihre Eigenheit und ihren verbissenen Anachronismus bekannt ist. Diese Stadt ist dafür weltberühmt.
 

An diesem Tag schien sie auf mich einzuwirken wie die passende Musik. Leute stießen ihre Regenschirme in die Luft, als sich die Wolken öffneten und flohen unter die Markisen der kleineren Läden. Es war ein Rauschen voller Mäntel und Wasserspritzer, die sich anfühlten als würde man kleine, gläserne Murmeln auf meinen Kopf fallen lassen. Mein Kopf selbst, eine metallene Schüssel voller Echo.
 

Ich quetschte mich zu einem Pulk voller Menschen unter eine Markise, als wolle das Geschäft seine Flügel strecken und steckte die Hände tief in die Taschen meiner Jacken. Was war zu tun? Mein Rucksack und mein Feuerzeug, das lag zu Hause. Innerlich lachte ich über die Streifzüge meines Geistes. Zuhause, Jean? Wirklich? Ich hatte mich über die Jahre so sehr in die Vorstellung geflüchtet, nirgendwo ansässig zu seien, das irgendwann dieses Mantra wahr wurde. Es stimmt was die Leute sagen, wenn man sich oft genug etwas einredet, redet das irgendwann auch zurück. Und wenn man selbst die Monster unter dem Bett sieht, sehen einen die Monster auch. So viel ist sicher und so einfach ist das Alles.
 

Dieser Moment, wenn man hinaus in den Regen tritt, während der Rest zurück bleibt. Wunderschön. Die ganze Welt erschien blasser und hastiger gezeichnet, als hätte ein Maler vorzeitig das Bild verlassen oder zu viel Wasser für ein Aquarell verwendet. Die Farben zerronnen und in der Panik sind manche Verläufe unvorsichtig und weitläufig geworden. Über diese Verläufe, die Straßen und Gehsteige, ging ich so gemächlich wie mir möglich war zu der Bushaltestelle, die mich wieder zurück bringen sollte. Der Stoff begann sich voll zu saugen und ich fühlte mich etwas, als würde mich die Stadt willkommen heißen. Schatz, wie siehst du denn aus? Wasch dich doch erstmal.. Eine überfürsorgliche Glucke, diese Puffmutter.
 

Nach diesem Intermezzo auf dem Schuldach, habe ich den Jungen nicht wieder gesehen. Ich hatte natürlich nicht nach ihm Ausschau gehalten, aber weder konnten meine Klassenkameraden mir etwas über ihn sagen, noch erfasste ich ihn aus den Augenwinkeln wie die Erinnerungen eines vagen Traums. Er war vorm Erdboden verschluckt. Vielleicht hatte man die Buchstaben von seiner Stirn gewischt und er wurde wieder formloser Lehm?
 

Der Gedanke, er könnte gesprungen seien, berührte mich kein einziges Mal. Es war eine Unmöglichkeit, ihn am Boden kleben zu sehen als roter Fleck und zeitgleich war mein Denken absolut arrogant. Ich kannte Ihn nicht. Diesen Eindringling. Diese Kontamination. Die Worte und Blicke die wir gewechselt haben waren Platzpatronen in einem kalten Krieg. Helle Blitze, etwas Krach. Aber seine Augen. Verdammt. Das Wort fand sich immer häufiger in meinem Sprachgebrauch und die Blicke, die ich früher immer dem Boden oder hoch entlegenen Stellen zu warf, fixierten sich zusehend auf andere Menschen als wolle ich in ihnen etwas wieder erkennen, was ich mit ihm verband. Diesem Fehler in meinem System. Dieser plötzlichen Mutation meines Alltags.
 

Ich stand an der Bushaltestelle und es regnete. Ich mochte dieses Wetter schon immer, wenn alle Farben etwas ihrer Kraft verloren und sich Grau über die Stadt ausleerte, wie ein riesiger Topf. Striche voller Regen. Tiefe Wasserpfützen. Nasse Schuhe, nasse Kleidung, nasse Haare, nasse Gedanken. Nur meine Tasche sollte trocken bleiben, ich hatte sie in meine Arme gezogen und den Kopf leicht zwischen die Schultern. Jedes Mal wenn ein Wassertropfen von meinen Haaren in meinen Nacken fiel, zuckte ich leicht. Kübelfolter auf Volkschulniveau.
 

Natürlich gab es ein Wartehaus. Aber dafür mochte ich den Regen eben viel zu sehr und das Gefühl auf meiner Haut. Was mir aber bis dato noch nie passiert war, war das mehr vom Himmel fiel als Wasser in verschiedenen Aggregatszuständen. Wie zum Beispiel, ein Stück Papier direkt gegen die Schläfe. Ich ließ meinen Blick auf den Boden sinken. Widerwillig trennte sich eine Hand von der Tasche, ich bückte mich und hob es auf. Um genauer zu seien, ein unbenutztes Busticket. Es brauchte einige Momente, ehe ich weitere kleine Papierfetzen sah, links von mir aufgereiht wie eine Brotkrumenspur von mir bis ins Wartehäuschen. Ich fühlte mich wie eine der Tauben die Hänsel und Gretels Krumen fraßen, als ich jeden dieser kleinen Bälle aufhob und der Spur folgte. Vom Regen ins Trockene, unter das Dach wo vor meinem Blick schwer aussehende Doc Martens lauerten und in ihnen stand der Golem, mit hochgezogener Augenbraue und einem Arm zum Wurf bereit.
 

„..Oh..“, hatte ich mich verhört? Ich frage mich das bis heute, ich war wohl zu beschäftigt zu beobachten wie ein weiterer Zettelball mir vor die Füße knallte. Und dieser Gesichtsausdruck des Golems. Die Augen weit aufgerissen, die Lippen leicht gespalten und der Körper eingefroren in der Bewegung in der er, eine Sekunde zu spät bemerkte, das er meine Aufmerksamkeit längst hatte.

Ich hockte etwas vor ihm und mir fiel erst jetzt auf, wie seltsam das wohl wirken mag. Mit einem Arm die Tasche umschlungen, mit dem Anderen beschäftigt Papierkugeln aufzusammeln die vom Regen leicht durchweicht waren.
 

„Eigentlich.. sollten das da Papierflieger sein.“, sagte er dann und ließ den Arm sinken.

„Eigentlich..?“, ich richtete mich auf, stopfte das Papier in meine Jackentaschen und hob die Augenbrauen.

„Der Regen..“, er nickte mit dem Kopf nach draußen;

„Im Regen fliegen Dinge nicht zu gut. Da wird aus einem Flieger schon mal gut und gerne eine Kanonenkugel.“

Sein Argument klang erschreckend logisch, aber das lag sicher an seiner Art. Wie selbstsicher er das sagte und dieses Lächeln, das bis in seine dunklen Augen kam. Ich hatte ihn schon gesehen. Seine Seitenperspektive und dann seinen Rücken. Doch an diesem Tag, sah ich ihn zum ersten Mal mir gegenüber stehend. Sah, den silbernen Ring der durch die Mitte seiner Unterlippe ging ganz genau und sah, das seine Haare noch feucht vom Regen waren.
 

Jemand der so offensichtlich gegen Konventionen rebellieren wollte wie er, so jemanden traf man nicht alle Tage.
 

„Was nicht erklärt, warum du mich überhaupt damit abschießen wolltest..“, Ich wusste, warum ich es bei ihm getan hätte. Wenn ich aggressiv genug wäre. Gut, dann hätte ich sicher nicht versucht hinter seinem Rücken etwas über ihn heraus zu finden, aber wenn ich aggressiv genug gewesen wäre, hätte ich das getan um ihn aus seiner Umlaufbahn in die Meinige zu schubsen.
 

Er sah mich an. Im Laufe der Jahre würde ich noch lernen, diesem Blick stand zu halten, aber jetzt sah ich auf die Stelle seiner Nase die beiden Augen von einander separierte. Den meisten Leuten fiel dann nicht auf, das ich ihren Blick nicht erwidern konnte, aber seine Lippen zuckten in die Höhe als hätte er es in dem Moment durchschaut, in dem ich den Kontakt abbrach.
 

„Macht man das nicht so? Ich hätte mich natürlich wieder neben dich stellen können. Und wir Beide hätten darauf warten können, dass der Bus einfährt und keiner von uns davor springt. Ich hätte dir eine Zigarette angeboten und dir erklärt, dass du ein freier Mensch bist. Du hättest meine Nettigkeit mit Füßen getreten und wärst verschwunden. Aber dieses Mal bist du zu mir gekommen.“
 

Ich hasste ihn dafür dass er Recht hatte. Seine Gestalt hatte etwas Heiteres an sich, obgleich die rotkarierte Hose zerfetzt war, die Lederjacke klobig und die Piercings die sein Gesicht zierten anderes vermuten ließen. Er hatte ein weites Shirt an, das viel zu viel von seinem Hals und seinem Oberkörper zeigte, wie eins dieser Wasserfallshirts die Frauen so gerne trugen. Ich wartete darauf, dass er weiter ausführte, warum er jetzt den Kontakt mit mir suchte, aber er vergrub die Hände in seine Taschen und wippte auf den Fußballen vor und zurück, während sein Blick absolut unbeirrt auf mir lag.
 

„Du bist wie eine dieser Streunerkatzen. Tust auf wild, eigenständig, aber wenn man das geeignete Spielzeug hat, kommst du gleich her. Papier? Ich bin wohl gut im Raten..“, murmelte er dann vor sich hin und freute sich über diesen Geniestreich.
 

„Bild dir nichts darauf ein.“, sagte ich, noch unsicher ob das jetzt eine Beleidigung oder ein Kompliment seien sollte.

„Papier ist ein zu wertvoller Rohstoff um damit herum zu werfen.“ Schlagfertigkeit? Ein Fremdwort. Eloquenz.., ja, davon hatte ich sicher schon mal gehört.
 

Gerade noch so sah ich wie er die Hand hob und an mein linkes Ohr gehen wollte, da schlug Ich sie auch schon wieder weg und hisste ihn sogar leise an. Verdammter Reflex.
 

„Was soll das?“, meine Stimme war lauter als beabsichtigt.

„Auch wenn dir das ein Fremdwort ist, es gibt tatsächlich Leute die ihre Privatsphäre schätzen und Eindringlinge in eben jener nicht gerade zum Freundeskreis zählen.“
 

Er war unbeeindruckt, zog die Hand aber zurück.

„Wer hat gesagt, das ich einer deiner Freunde sein will? Ich dachte eher an so eine Art Nutzbeziehung. Ich kraul dich hinter den Ohren, hol dir die Zecken aus dem Pelz und du wärmst mir dafür den Schoß, wenn mir kalt ist.“
 

Dieser – verdammte – Bastard.
 

„Leck mich.“
 

„Wie jetzt? An der Bushaltestelle? Aber, aber.. Ohne Vorstellung, Tee und Kuchen? Mir auch recht..“, sprachs und griff an den eigenen Hosenbund und begann sich tatsächlich an den Knöpfen zu schaffen zu machen.
 

„Bist du denn von allen guten Geistern verlassen!“, unter dem Leder der Jacke spürte ich sein schmales Handgelenk, als ich ihn packte und von der Hose wegriss.
 

„Von den Guten definitiv.“, er war mir zu nahe. Kennt ihr dieses Spiel, bei dem man testet auf welche Distanz welche Menschen stehen dürfen? Freunde und Familie sind unter einer Armlänge erlaubt. Fremde sollten erst bei der Spitze der Finger stehen, doch dieser Golem hatte mich dazu gebracht aus meinem Kreis zu treten und war noch dazu einen Schritt nach vorne gegangen um unsere Bahnen fast deckungsgleich werden zu lassen.
 

„Albert.“Das T war stumm. Ich auch. Ich sah ihn einfach mit weit aufgerissenen Augen an. Gleich wie Wildtiere reagieren, wenn ein Lastwagen auf sie zu hält.

„Ich bin Albert..“, sein Atem roch nach Rauch und auf diese Nähe sah ich sogar das seine Augen nicht schwarz waren. Nur unglaublich dunkel.
 

Herr Golem hieß Albert. Jean und Albert. Das musste ein dummer, schwachsinniger Witz sein. Ich sah so etwas wie Irritationen in seinen Augen als ich auflachte. Hinter mir fuhr der Bus ein und ich ließ sein Gelenk los.
 

Meine Taschen waren voller Papier (Damit einhergehend auch sein Busticket) und er stand da, mit offener Hose, darunter eine dieser eng anliegenden Boxershorts.
 

„Und ich bin weg.“
 

Ich stieg in den Bus ein. Alleine.
 

Ich stieg in den Bus ein. Alleine.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück