Zum Inhalt der Seite

Behind the Wall

Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der vertraute Fremde

Kapitel 4 Der vertraute Fremde
 

Das seltsame Gefühl begleitet mich durch die ganze Nacht. Als ich erwache, halte ich das Kissen in meinen Armen, drücke meine Nase in den weichen Stoff und habe zum ersten Mal seit langem das Gefühl unbändig allein zu sein. Und obwohl mein Verstand dem widerspricht, komme ich nur schwer aus dem Bett. Ich bin unkonzentriert und meine Gedanken wandern ständig zu dem Moment in der U-Bahn zurück. Sein Blick. Er schien sich förmlich auf meiner Haut zu brennen. Jedes Mal, wenn ich daran denke, bekomme ich Gänsehaut, die von den empfindlichen Stellen an meinem Hals bis zu meinen Zehen reicht. Ich habe das Gefühl, dass die aufgerichteten Härchen meiner Haut an meiner Kleidung reiben. Auch jetzt spüre ich es und fahre mir mit den Händen über die Oberschenkel. Ich habe nicht geglaubt, dass meine Begierde nach Richard noch einmal diese Ausmaße annehmen würde. Ich habe sie stets gut unter Kontrolle gehalten und mir eingeredet, dass es alles besser so sei. Das ihn nicht mehr zusehen das Beste ist. Es waren die ersten Monate im Gefängnis, die mich schier ausgebrannt haben, denn heiß und schmerzhaft flammte die Sehnsucht in mir. Ich habe mich dazu gezwungen zu vergessen und zum Teil auch zu verdrängen. Meine Gefühle schwelen seither im Untergrund. So ist es besser für mich.
 

Meine Augen wandern über die erhabenen Buchstaben am metallischen Kessel im Heizungskeller. Die Seriennummer. Ich präge sie mir unbewusst ein und strecke meine Hand danach aus. Meine Finger gleiten darüber, spüren die feinraue Oberfläche und die Kanten, deren Bedeutung ich nicht ertasten kann. Ich kann sie nur sehen. Ein Blick auf die Uhr und ich räume meine Sachen zusammen. Im Aufenthaltsraum führe ich mir noch einmal die Konstruktionspläne zu Gemüte und nehme mir vor, am nächsten Tag mit der Firma in Kontakt zu treten. Als ich die Pläne wieder zusammen rolle, betreten Steven und Kai den Aufenthaltsraum. Steven lacht kehlig und schlägt dem schlanken Kai heftig gegen die Schulter. Die Hand bleibt in seinem Nacken liegen. Kais Schultern ziehen sich unmerklich nach oben und seine Hände schieben sich tiefer in seine Latzhose. Das verlegende Lächeln entblößt schiefe, aber weiße Zähne und zeigt mir wie unangenehm ihm die Situation ist. Ich beobachte, wie sich Steven zu dem jungen Mann beugt und lächelnd etwas in sein Ohr flüstert. Kais Wangen färben sich rot und nur an der Bewegung seiner Lippen sehe ich, dass er stottert. Auch sie machen Feierabend.

Als mich Steven sieht, vergeht ihm das Lachen und er nimmt seine Hände vom Auszubildenden. Ich folge ihnen mit meinem Blick bis sie hinter den Schränken verschwinden. Zu hören ist das Öffnen von Türen, das Rascheln von Kleidern. In meinem Inneren beginnt es zu brodeln, denn das Bedürfnis den jungen Azubi in Schutz zu nehmen, wächst mit jedem Tag, an dem ich mitbekomme, wie Steven mit ihm umgeht. Vielleicht sollte ich Kai darauf ansprechen? Würde er sich mir an vertrauen? Wieso sollte er? Es sei nicht so schlimm, formuliert sich mit Kais nachgeahmter Stimme in meinem Kopf. Ich habe etwas Ähnliches durch. Damals sprach mich Richard darauf an und als ich es abstritt, war er wütend geworden. Noch jetzt spüre ich das beklemmende Gefühl in meiner Brust und auch die Furcht. Im Nachhinein weiß ich, dass die negierte Aussage das Ganze nur noch schlimmer gemacht hatte. Ob ich mit dem Chef reden sollte? Den Gedanken schüttelte ich schnell von mir. Das Schließen der metallischen Schranktüren ist zu hören. Erst geht Kai dicht gefolgt von Steven. Bevor er durch die Tür verschwindet, sieht er mich eindringlich an. Ich begegne seinen Blick warnend und wissend. Steven weicht meinem Blick aus. Erneut mahnt es in mir, dass ich mich nicht einmischen will. Eigentlich.

Ich fahre mir mit der Hand über die Wangen und das Kinn. Erneut geht mir durch den Kopf, dass mein Plan, mich unauffällig und ruhig zu verhalten, langsam bröckelt.
 

Als ich wieder allein bin, ziehe ich mich um und schließe die Pläne im Schrank ein. Für einen Moment lasse ich mich auf die kleine Bank vor dem Schrank nieder und lehne meinen Hinterkopf gegen das kühle Metall.

Bei den meisten unserer Telefonate mit Ewan hatte er stets gemeint ich soll ein einfaches, ruhiges und normales Leben führen. Das wäre für alle das Beste, vor allem für mich selbst. Ich gab ihm damals Recht und schaffte es auch lange diesem Anspruch zu genügend. Doch seit ein paar Tagen scheint mein Leben wieder durcheinander zu geraten. Richards Anblick in der U-Bahn. Bei dem Gedanken wird mir sofort ganz warm. Ich schlucke leicht. Auch das fremde schwarze Auto jagt mir durch den Kopf. Die ungewöhnliche Reaktion kommt mir in den Sinn. War es Zufall, dass er in dem Moment, in dem ich aufblicke, losfährt? Was bedeutet der komische Anruf? Ich fahre mir ein weiteres Mal mit beiden Händen über das Gesicht und stehe wieder auf. Ich werde langsam immer empfindlicher. Sicher hat das alles nichts zu bedeuten.
 

Trotz aller Beschwichtigungen bin ich auf dem Weg nach Hause im höchsten Maß Aufmerksamkeit. Beim Betreten der U-Bahn geht mein Puls nach oben. Meine Augen wandern unruhig über die anwesenden Gesichter. Doch nach diesem prüfenden Blick breitet sich Augenblicklich die Ernüchterung in mir aus. Nur farblose Gesichter. Ohne Inhalt. Ohne Erinnerung. Kein Richard. Als ich die Stufen zur U-Bahn hinunter gelaufen bin, habe ich sofort gespürt, wie vor Aufregung mein Puls nach oben ging. Vielleicht würde ich ihn wieder sehen. Ich wünschte es mir inbrünstig, auch wenn ich um die Konsequenzen weiß, die vor allem mir blühen.

Ich vermisse ihn schon so lange. Umso schlimmer wiegt die Ernüchterung. Ich lehne meinen Kopf gegen die kühle Haltstange und schließe für die letzten Stationen die Augen. In mir brennt die Zerrissenheit. Niedergeschlagenheit wechselt sich mit dem beklemmenden Verstehen ab, dass es besser ist. Der Ärger über meine Feigheit paart sich mit dem beglückenden Gefühl ihn wenigstens einmal wieder gesehen zu haben. Die Erinnerung an sein Gesicht ist wie das Streicheln über samtig weiche Haut. Angenehm und befriedigend. Es sah aus als würde es ihm gut gehen und das ist das Wichtigste für mich.

Die Durchsage meiner Station erklingt. Ich stehe auf ohne die Augen zu öffnen. Das Ruckeln deutet mir an, dass der Zug stillsteht. Erst jetzt schaue ich auf, sehe zu wie die Tür auf geschoben wird und trete raus. Der Pulk von Menschen zieht mich förmlich mit. Es ist der Strom eines belanglosen, wiederkehrenden Alltags, der mich womöglich für den Rest meines Lebens begleiten wird. In diesem Moment scheint die Erkenntnis jegliche Bewegung um mich herum einzufrieren. Geneigte Köpfe mit dem Blick auf den abgetretenen Boden. Immer die gleichen Wege, sodass man sie auswendig weiß. Geschlossene Lider begleiten den Gedanken an ferne Orte. Ich atme tief ein und treibe weiter im fließenden Nichts.
 

Die Finger, die nach meinen greifen sind kühl. Feuchte Spitzen, die meine Fingerbeeren entlang streichen und jeden Moment den Kontakt verlieren. Ich bleibe erschrocken stehen und wende mich um. Die Berührung wird voller. Sie wird zu einem festen Griff. Seine kühlen Finger an meinem Handrücken. Ein letzter Schritt und er steht direkt vor mir. Richard. Die Elektrizität der Berührung, die den Hauch der Erfüllung durch meinen Körper jagt und die feinen Härchen meiner Haut aufrichtet. Seine warmen braunen Augen glänzen im matten Licht des U-Bahnhofs. Seine Haare liegen wirr und ein paar Strähnen streifen seine Stirn. Ich habe das Verlangen meine Finger danach auszustrecken und das fremde, doch so vertraute Gesicht zu berühren.

„Eleen." Der Klang ist flehend, als wurde er sich unbedingt wünschen, dass ich es bin. Seine Stimme ist tiefer als ich sie in Erinnerung habe. Mein Puls rast und mein Herz jagt das Blut durch meine Venen, wie Wasser durch enge Stromschnellen.

Ich blicke in die ausdrucksstarken Augen meines Kindheitsfreundes und weiß nicht, was ich sagen soll. Ich muss es auch nicht, denn ich spüre seine Hände, die sich sanft an meine Wangen legen, sehe das glückliche Lächeln auf seinen Lippen und spüre dann die Umarmung, die sich mit aller Kraft meines Körpers bemächtigt. Sein fremder Geruch, der hauchzart die Knospen der Erinnerung kitzelt und langsam das vertraute Gefühl in mir weckt. Erst rühre ich mich nicht, schließe nur die Augen und lasse die Kraft seiner Umarmung auf mich übergehen. Sie wird noch intensiver als ich vorsichtig meine Arme an seinen Rücken lege und meine Finger in den Stoff seiner Jacke kralle, um ihn dichter zu spüren. Seine Brust an meiner. Ich merke, wie sein Herz fest gegen seinen Brustkorb schlägt. Es kollidiert mit meinem eigenen, bis sie nach einen Augenblick im Gleichklang schlagen. Seine Hand in meinem Nacken. Erinnerungen und Bedürfnisse blitzen in mir auf. Wünsche und Sehnsüchte, die so tief in mir verborgen sind, dass ich sie kaum mehr vorhanden weiß. Jetzt kribbeln sie durch meine Glieder. Sanft und zart. Doch mit jeder weiteren Sekunde unserer Berührungen werden sie stärker.

Ich weiß nicht, wie lange wir so beieinander stehen und es ist mir egal. Das Gefühl bei ihm zu sein, lässt mich alles vergessen. Ich spüre nur ihn. Es ist als wäre das das Einzige, was ich gebraucht habe. Nichts anderes.
 

Als wir uns voneinander lösen, fühle ich die Kälte, die sich an den Kontaktstellen ausbreitet und bin enttäuscht. Noch immer hat er diesen Ausdruck in seinen Augen. Eine Mischung aus Unglauben, Freude und Furcht. Ich sehe, wie sein Blick über mein Gesicht wandert und dann auch meinen Körper hinab. Ich bin schmaler als früher, doch das wird er wahrscheinlich nicht merken. Seine Hand liegt an meinem Hals und wandert noch einmal zu meinem Gesicht. Das Gefühl seiner warm gewordenen Hände an meiner Wange ist atemberaubend und ich schließe genießend die Augen, sauge das Gefühl seiner Haut auf meiner ein. Eine weitere kurze Umarmung, als könne er es noch immer nicht richtig glauben. Ich kann es genauso wenig. Ein Lächeln in seinem Gesicht. Ich blicke auf die feine Narbe an seiner Unterlippe. Seine Unterlippe bebt in einem sanften Takt.

In mir bereiten sich langsam die gleichen gemischten Gefühle aus, wie beim ersten Wiedersehen im Zug. Das Bedürfnis ihn festzuhalten. Ihm zu gestehen, wie froh ich bin sein Gesicht zu sehen. Doch spüre ich diese Zurückhaltung, die mich daran hindert, meine Freude zum Ausdruck zu bringen. Unmerklich mache ich einen Schritt zurück.

„Es ist so schön dich wiederzusehen", flüstert er mir entgegen und fast sind seine Worte nicht zu hören, weil die ohrenbetäubenden Geräusche der abfahrenden Züge sie verschlucken. Dennoch ist seine Ehrlichkeit, wie Balsam, der sich wohltuend und heilend auf die Wunden der vergangenen Jahre legt. Sieben Jahre haben wir uns nicht mehr gesehen. Sieben Jahre, in denen ich jeden Tag an ihn gedacht habe. Eine Ewigkeit.

„Richard." Ein Flüstern meinerseits.

„Rick, sag bitte wieder Rick zu mir. Lee, ich..." Seine Hände wandern erneut zu meinem Hals. Er streicht mir mit dem Daumen an beiden Seiten die dunklen, mittellangen Haare zurück und versucht mich damit wieder zu sich heranzuholen. In Gedanken wiederhole ich unsere Namen, insbesondere den, den er mir gegeben hat. Lee. Nur er nennt mich so, denn er weiß, wie sehr ich meinen Namen hasse. Erinnerungen strömen auf mich ein. Unser erstes Aufeinandertreffen. Unsere ersten gemeinsamen Wochen im Sommer. Wir saßen eines Abends am See in Mitten von saftigen grünen Gras. Meine Mutter rief mich und mit jeder Wiederholung meines Namens sträubte ich mich mehr. Der Graus eines jeden neun-jährigen Jungen. Meine Finger entrissen der Wiese die grünen Halme. Sie färbten meine Hände ebenso satt und obwohl ich um das Geheimnis des leuchtenden Farbstoffs wusste, war ich fasziniert von der Ausdrucksstärke und Schönheit. Der Geruch von frischem Gras breitete sich auf meinen Fingern aus und ich liebte es. Richard beobachtete mich. Forschend und intensiv. Aus dem Nichts heraus sagte er, er würde mich ab sofort Lee nennen. Das würde viel besser zu mir passen. Lee, der, der das Grüne liebt. Die Wiese. Sein Lächeln und das angenehme Gefühl in meinem Bauch kitzeln mich noch heute. In diesem Moment so intensiv, wie damals. Und obwohl die von ihm erdachte Koseform meines Namens dem Bedürfnis meines Unwillens entsprach, ist er der Einzige, der mich beim vollen Namen nennen kann und mein Herz dennoch erblüht, wie die lichtflehende Knospe an einem verhängenden Frühlingsmorgen.

Niemand weiß, dass er mich so nennt. Nicht einmal nach unserer Trennung habe ich es verraten, denn nur Rick sollte diesen Namen in den Mund nehmen.

Ihn wiederzusehen und seine Stimme zu hören, ist das schönste Geschenk für mich. Doch neben der blindmachenden Sehnsucht und der unsagbaren Freude, beißt die warnende Obacht in mir. Es ist nicht gut, dass wir uns sehen. Ich bin noch immer auf Bewährung und das existierende Kontaktverbot schwebt unheilsam und schwer über uns. Ich schließe meine Augen.

Ich entziehe mich seinen Händen und er lässt mich diesmal gewähren. Er versteht, warum ich zögere. Er weiß um die Konsequenzen, die auf mich warten, wenn jemand von unserem Treffen erfährt.

„Du darfst nicht hier sein", sage ich leise und kann zu sehen, wie sich seine Kehle zu schnürt. Meine Worte widersprechen meinen Gefühlen. Ich mache erneut einen Schritt zurück, obwohl sich jede Faser meines Körpers nach seinen Berührungen sehnt. Seine Hand streckt sich nach mir aus, doch ich weiche weiter zurück.

„Ich weiß...Aber als ich dich gesehen habe, konnte ich nicht...nicht..." Er spricht den Satz nicht zu Ende und sieht zu Boden. Sein Brustkorb hebt sich schwer und er atmet geräuschvoll aus. Er streicht sich durch die Haare und dann zieht er mich in eine abgelegene Ecke.

„Fünf Minuten. Nur fünf Minuten. Ich möchte einfach nur wissen, wie es dir geht." Ich lasse meinen Blick über die Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung wandern. Abgehetzte und grimmige Gesichter. Hin und wieder jemand, der lächelt. Wir fallen niemand auf. Noch immer wartet er auf eine Antwort und ich greife sachte nach seiner Hand, spüre das kühle Metall seines Ringes. Keltische Symbole, so wie ich sie mir vorgestellt habe. Meine Daumen streicht über die Oberfläche des Ringes und ich spüre die Zeichen erhaben hervortreten.

„Ich habe so viel an dich gedacht. Es tut mir so leid, Lee." Seine Hand greift meine fester.

„Hör auf, ich wusste für was ich mich entscheide und ich bereue es nicht. Mir geht es gut. Ich habe einen Job und komme zurecht", erkläre ich und will nichts von seinen Entschuldigungen hören. Der schuldbewusste Ausdruck verschwindet nicht aus seinen Augen, sondern scheint sich mit jeder Minute zu intensivieren. Wir haben nie die Gelegenheit erhalten, darüber zu reden. Nach meiner Festnahme wurde uns jeglicher Kontakt verwehrt und seither brodeln die unterschiedlichsten Empfindungen und Fragen in uns.

„Ich hätte es nicht zulassen dürfen. Du hättest niemals die Schuld auf dich nehmen sollen. Ich hätte dafür grade stehen müssen", flüstert er mir entgegen und blickt zu Boden. Diesmal bin ich derjenige, der nach seinem Gesicht greift. Ich zwinge ihn mich anzusehen. In meinen Handflächen spüre ich das feine Pieken seiner Bartstoppeln und ich lasse meine Hände bewusst etwas darüber fahren um das Gefühl zu verstärken.

„Wir haben uns richtig entschieden, Richard." Bewusst verwende ich seinen vollständigen Namen um meiner Aussage noch mehr Wirkung zu verleihen. Szenen der Nacht kommen mir in den Sinn. Sein hektischer Blick. Schuldbewusst und furchtvoll. Auch damals war ich es, der seine Hand genommen hatte, der die beruhigenden Worte sprach und das, obwohl ich nie der Stärkere von uns beiden gewesen bin. Ich erinnere mich an das Schließen der Tür. Das leise Klacken, welches in diesem Moment explodierend durch den Flur zu dringen schien. Richards Schläge gegen die Tür, doch ich ließ ihn nicht wieder rein. Sein Flehen. Sein Bitten. Ich atme tief ein und blende die Bilder aus.

„Ich weiß nicht mehr, ob das stimmt." Es ist purer Schmerz in seiner Stimme schwingt und sein Blick lässt mich schwer schlucken. Zwei junge Mädchen gehen an uns vorbei und starren auf unsere ineinander greifenden Hände. Sie kichern und ich löse den Griff. Ein neuer Zug fährt ein und damit sind die 5 Minuten um. Ich sehe zu der vorbeiströmenden Menge und dann wieder zu Rick.

„Ich muss gehen", sage ich, wende mich ab, doch er hält mich zurück.

„Warte." Rick zieht sich den Ring vom rechten Ringfinger und legt ihn in meine Hand. Ich starre auf die fein ausgearbeiteten Runen. Er schließt meine Finger darum.

„Ein Jahr noch, oder?" Die Frage überrascht mich und ich sehe ihn verwundert an. „Die Bewährung?" Nun verstehe ich und beginne zu nicken. Doch das änderte nichts. Das erwirkte Kontaktverbot seiner Mutter hinderte uns auch danach einander zu sehen. Sie erneuert es jedes Jahr.

„Ich werde dafür sorgen, dass das Kontaktverbot abgehoben wird", ergänzt er und mein Nicken wird zu einem Kopfschütteln.

„Und dann? Richard, das darfst du nicht machen. Sie werden Verdacht schöpfen und sich fragen, warum du..." Ich schlucke den Rest des Satzes runter. Die damaligen Zweifler würden durch so eine Aktion aufmerksam. Das darf nicht geschehen.

„Lee, du verstehst das nicht. Ich wollte dir schreiben. Ich wollte dich sehen. Ich wollte an jedem verdammten Tag jeden Menschen auf diesem Planeten die Wahrheit ins Gesicht brüllen. Jedes Mal, wenn ich in die Augen meiner Mutter sehe, dann..." Ich unterbreche seinen Ausbruch lege einen Finger auf seine Lippen und schüttele erneut den Kopf. Mein Herz schlägt hart gegen meinen Brustkorb und als er erneut nach meinen Händen greift, habe ich das Gefühl, dass es aus mir heraus bricht. Tosend und heiß.

„Du hast mir etwas versprochen. Erinnerst du dich?", erkundige ich ihn und sehe, wie er nickt. Seine Augen schließen sich. Ich will, dass er es wiederholt.

„Das ich stark sein werde. Das ich mir keine Schuld gebe.", sagt er abermals. Es ist nicht mehr als ein fast tonloses Murmeln. Ich umfasse sein Gesicht auf beiden Seiten, streiche mit dem Daumen über seine Wangen. Richard lässt seinen Augen geschlossen. Ich spüre, wie er sich in meine Berührung lehnt. Seine Hände legen sich an meine Arme, fahren zerstreut über den Stoff meiner Jacke.

„Nicht ich musste stark sein, sondern du, Eleen. Das bringt mich langsam um."

„Ich kann nur stark sein, weil du es bist und du es immer für mich warst." Ein weiteres Mal streicht mein Daumen über seine stoppelige Wange. Ich horche auf den einfahrenden Zug, sehe die Masse an Menschen und beuge mich zu ihm vor. Meine Lippen streifen sein Ohr. Ich merke, wie er die Luft anhält.

„Sei es weiter für mich", flüstere ich ihm zu, nehme beim Zurücklehnen einen kurzen Umweg über seinen Lippen. Nur ein Hauch. Ein Augenblick. Kein richtiger Kuss, doch es reicht aus um die verpuppten Schmetterlinge in meinem Bauch zu erwecken. Ich löse mich vollständig von ihm und verschwinde im Strom der Menschenmenge.
 

Ich weiß, dass er mir nicht folgen wird, doch als ich aus dem unterirdischen Verkehrsnetz trete, blicke ich mich um. Nur unbekannte Gesichter.

Noch immer habe ich das Gefühl Richards Haut unter meinen Fingern zu spüren. Vertraut und doch durch die vergangene Zeit befremdlich. Ich schließe kurz die Augen und blicke dann auf das Schmuckstück in meiner Hand. Der Ring wiegt schwer. Mein Blick wandert über ein weiteres Mal über die erhabenen Symbole und Runen. Sie sind eingerahmt durch den Rand des Ringes. Ihre glatte Oberfläche, die sich glänzend vom schwarzen Grund abhebt.

Als ich meine Wohnung betrete, wütet noch immer der Sturm der euphorischen Aufregung in mir. Ein letztes Mal drehe ich Richards Ring in meinen Fingern und lächle. Die Bedeutung der Zeichen ist mir noch immer fremd, aber allein der Gedanke an dessen eigentlichen Träger erhellt mein Herz. Er hat mich nicht vergessen. Diese Worte flüstere ich fast vor mich her und obwohl ich es immer hoffte, war ich mir irgendwann nicht mehr sicher gewesen. Niemand hätte ihn daran hindern können ein anderes Leben aufzubauen. Ein Liebe zu finden und einen anderen Weg zu gehen. Niemand. Aber er hat es nicht.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Onlyknow3
2014-09-16T06:58:21+00:00 16.09.2014 08:58
So wie ich das verstanden habe dürfen sie das nicht auch wenn Eleen die Bewährungszeit meistert, beliebt das Kontaktverbot bestehen. Nur ob Richard sich weiter daran hält ist noch eine andere Frage, er wird vielleicht aus der ferne über seinen Schatz wachen damit diesem nichts passiert. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel. Man spürt wie mit dem auftauchen von Richard die Spannung steigt, bin echt neugierig, was noch alees kommt und ob sie sich am ende kriegen die beiden.

LG
Onlyknow3
Von:  Inan
2014-09-14T17:42:49+00:00 14.09.2014 19:42
Der Inbegriff einer verbotenen Liebe, auch, wenn der Grund dafür erst nach und nach enthüllt wird <3
Das wird entweder ein langes Jahr oder eine kleine Revolution und sie dürfen dann doch wieder Kontakt haben xD


Zurück