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Ein Unglück Kapitel 1+2 neu

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Weihnachten

Kapitel 3

Weihnachten

 

 

Dicke Rauchschwaden zogen durch die kleine Wohnung im vierten Stock eines Hochhauses. Ein hochgewachsener junger Mann Anfang Zwanzig, die langen schwarzen Haare zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden, sprintete durch den Raum und riss eine Bratpfanne vom Herd.

„Scheiße!“, rief er laut aus und raufte sich die Haare. Das gusseiserne Kochutensil war brütend heiß gewesen und er hatte in seiner Hektik nicht mehr daran gedacht Topflappen oder Ähnliches zu benutzen, als er die Pfanne von der Herdplatte gezogen hatte.

Seine Hände taten ihm höllisch weh und abgesehen davon, waren ihm auch noch die Zwiebeln angebrannt.

„Also gut, dann eben noch mal von vorne….“, grummelte Nero halblaut vor sich hin, während das Dudeln des Radios ihm noch den Verstand raubte. „Ach halt die Klappe.“, fluchte er und drückte auf den Ausschalter des Gerätes um das stumpfsinnige Gebrabbelt des Radiomoderators nicht mehr hören zu müssen.

Also noch einmal von vorne.

Es war der 23. Dezember. Es war ein Tag vor Weihnachten und Nero musste… kochen.

Chili, um genau zu sein. Ein kleiner, aber gemeiner Weihnachtswunsch von Erke, der genau wusste, dass Nero kein begnadeter Koch war. Mehr als Fertigpizza, Nudeln und Reis, standen ansonsten nicht auf seiner Speiseliste. Typisches Essen eines Junggesellen. Rührei und Speck, ja das hatte er am Vortag auch noch hinbekommen. Aber Chili? Und das auch noch für fünf Personen? Das war schon fast zu viel des Guten. Da half ihm das Rezept auf der Internetseite, die er sich herausgesucht hatte, auch nicht wirklich weiter.

Die Mengenangaben waren ungenau. Wer maß Hackfleisch auch mit TASSEN ab? Entweder im Pfund oder im Kilo, das konnte er verstehen, aber in Tassen? Was für Tassen? Kaffeetassen? Große Kaffeetassen? Espressotassen? Allein dieser Umstand ließ ihn fast verzweifeln und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen waren ihm nun auch noch die Zwiebeln angebrannt.

Somit hieß es noch einmal: Augen zu und vier große Gemüsezwiebeln in Würfel hacken, anbraten und diesmal hoffen, dass sie ihm nicht wieder anbrannten und als Kohle im Mülleimer landeten.

„Okay, Zwiebeln hab ich… jetzt noch das Hackfleisch anbraten…“, nuschelte er entnervt vor sich hin. „Nie wieder.“, schwor er sich zum wiederholten Male und stocherte in dem rohen Fleisch herum, damit es auch gut durchbriet. Zu guter Letzt kamen noch Mais und Kidneybohnen in den hohen Topf. Nero schaltete die Herdplatte auf kleine Stufe und ließ das Chili ein paar Stunden vor sich hin köcheln bevor er mit dem Abschmecken begann.

Er schnippelte noch drei große Chilischoten, denn es sollte ja auch nach etwas schmecken. Salz, Pfeffer und dann war sein Meisterwerk fertig. Und es schmeckte sogar, musste er feststellen.

„So, du darfst jetzt bis morgen durchziehen.“ Nero hatte ein stolzes Lächeln im Gesicht und machte sich dann daran seine Wohnung ein wenig auf Vordermann zu bringen. Das Übliche eben. Abwaschen, Wäsche waschen und aufhängen, Staubsaugen und kurz feucht Wischen.

Für den morgigen Tag zu dekorieren, dafür hatte er keinen Nerv, mal ganz abgesehen davon, dass er keinerlei dekorative Weihnachtsartikel zu seinem Haushalt zählen konnte, aber das war ihm auch nicht wichtig. Was zählte war, dass seine Freunde bei ihm waren und sie einen gemütlich, feucht fröhlichen Abend zusammen verbringen konnten. Mehr brauchte er nicht und mehr wollte er auch nicht. Den ganzen Schnickschnack brauchte man nicht, um Weihnachten zu feiern. So war zumindest seine Meinung und dabei blieb er auch.

Allerdings hatte er die Rechnung ohne Micha, Tenna und Erke gemacht, wie sich am nächsten Tag herausstellte.

 

Es war kurz vor sieben Uhr abends, als es an der Türe läutete.

Der Aufzug brauchte immer eine ganze Weile bis er im vierten Stock angekommen war und als die drei ausstiegen fielen Nero fast die Augen aus dem Kopf. Er wollte nicht glauben was er da sah.

Tenna hatte zwei riesengroße Einkaufstüten im Schlepptau, während Erke und Micha eine mannshohe Tanne zwischen sich trugen und Nero mit einem gegrinsten ‚Frohe Weihnachten‘ aus dem Weg drängten.

„Was zum… Was ist das?“ Nero ließ die Wohnungstüre mit einem lauten Knall ins Schloss fallen und trat ungläubig drein schauend in sein Wohnzimmer. Erke und Micha waren freudestrahlend dabei den Baum aus seinem Nylonnetz zu stülpen, während Tenna den Baumhalter aufstellte.

Tenna drückte ihn, nachdem der Baum in der Halterung verankert war, fest an sich. „Na ein Christbaum, was denn sonst?“

„Ja aber…“, weiter kam der Schwarzhaarige gar nicht, da hatte Micha ihm schon das Wort abgeschnitten.

„Nichts aber. Wir wussten dass du keine Deko da hast und einen Baum hattest du in den letzten Jahren auch nicht und da haben wir uns einfach gedacht, dass wir dir dieses Jahr mal einen mitbringen. Wo wir doch Zuwachs bekommen haben.“ Er lachte leise auf, als er sich das Gesicht von Ares vorstellte, der wohl genauso dreinsehen würde wie Nero selbst. „Ares wird Augen machen.“, kicherte er vergnügt. „Erke, komm, wir schmücken jetzt den Baum und DU“, er deutete auf Nero „hilfst uns. Sonst kommst du nicht in Weihnachtsstimmung.“

Völlig überrumpelt stand Nero in seinem eigenen Wohnzimmer und betrachtete den Weihnachtsbaum, der eine beachtliche Größe von etwa zwei Metern hatte und somit nur ein kleines Stück größer war als er und Ares.

„Ihr seid so wahnsinnig.“, murmelte er kleinlaut, als er auch schon die erste dunkelrote Christbaumkugel in die Hand gedrückt bekam.

Erke lachte leise auf und klopfte ihm auf die Schulter. „Du solltest uns ja langsam kennen.“ Der Blauhaarige entwirrte gerade die Lichterkette und befestigte sie ein wenig unbeholfen an den umherschwingenden Ästen. „Michaa, jetzt hilf mir doch mal.“

„Ja, ja. Keine Hektik.“ Wie gesagt, so getan.

Etwa eine Stunde später strahlte das gesamte Wohnzimmer in Rot, Weiß und Gold.

„Ungewohnt.“, meinte Nero, als er mit ein paar Weingläsern aus der Küche kam und sich auf das Sofa sinken ließ. „Aber gefällt mir.“ Er lächelte reihum und schenkte ihnen ein wenig Wein und Met ein. „Wann wollt ihr denn essen?“

Tenna nippte an ihrem Glas. „Ich würd sagen, wenn Ares da ist, oder?“, fragte sie in die Runde und erhielt zustimmendes Nicken von allen Seiten. „Weist du wann er da ist, Nero?

Allein bei dem Gedanken, dass Ares in ein paar Stunden hier auftauchen würde, wurde ihm vor Aufregung schon ganz flau im Magen. Er hatte keine Ahnung, ob sie den dreien sagen sollten, dass sie zusammen waren. Ob sie denn überhaupt zusammen waren, war ja nicht einmal geklärt. Sie hatten geknutscht, ja, aber war das schon der Punkt, wo man sagen konnte, man war ein Pärchen? Nero wusste es wirklich nicht.

„Nero?“ Tenna sah ihn etwas in Sorge an und tippte ihm auf die Schulter um ihn aus seinen Gedanken zurück zu holen.

„Wie? Oh ja, er meinte letztens, dass er schaut, dass er früher aus der Arbeit kommen kann. Ansonsten schätze ich mal so gegen halb elf.“ Nein, er wollte sich jetzt keine Gedanken machen. Er wollte einfach nur diesen Abend genießen, doch er konnte sich nicht so recht auf die laufenden Gespräche konzentrieren. Verstummte langsam aber sicher und hatte das Gefühl zu platzen. Er musste sich beruhigen, bevor die Stimmung bei ihm endgültig zu kippen drohte.

„Ich bin eine Rauchen.“, murmelte er und verschwand in der Küche in der es bei weitem kühler war, als im Wohnzimmer. Seine Arme überzog eine unangenehme Gänsehaut, als er an der Arbeitsfläche lehnte und den Zigarettenrauch langsam durch seine zusammengepressten Lippen wieder ausstieß. Nero bemerkte eine Bewegung in seinem Augenwinkel und merkte, wie sich Tenna an seine Schulter lehnte und sich ebenfalls eine Zigarette anzündete.

„Alles okay bei dir? Du wirkst so betrübt.“, meinte sie vorsichtig. Sie kannte ihn mittlerweile seit fast vier Jahren. Sie war die Einzige, der er sich anvertraut hatte. Tenna wusste alles von ihm und sie hatte über die Jahre hinweg ein Gespür dafür entwickelt, wenn es ihrem besten Freund nicht gut ging.

„Hmm… ´s kam grad irgendwie.“, nuschelte der junge Mann und starrte aus dem Fenster ins Dunkle. „Eigentlich hab ich keinen Grund dazu. Ihr seid da, es ist ein schöner Abend, was will man mehr?“

Tenna lächelte. „Ares.“, war alles was sie sagte und sie merkte, dass Nero vor Schreck die Luft stark eingesogen hatte. Das war ihr Beweis genug, dass sie Recht hatte. Es war mehr eine Ahnung gewesen als wirkliches Wissen. Eine Vermutung, die sich bestätigt hatte.

„Woher…“, weiter kam Nero wieder einmal nicht. Er brauchte nicht viel zu sagen, damit Tenna ihn verstand und das war es, was er an dieser Frau so liebte. Wenn man es so nennen wollte, waren sie wohl Seelenverwandte.

Kichernd rempelte Tenna ihren Kumpel an. „Nero, du kennst mich. Ich kenn dich und wir verstehen uns ohne Worte. Was soll ich mehr sagen. Es war eine Ahnung.“ Sie stellte sich vor ihren Kumpel und musste den Kopf in den Nacken legen um ihm ins Gesicht zu sehen. Mit ihren 1, 65 m war sie eben nicht die Größte.

„Ahnung… Die hatte Micha vor Wochen auch schon.“ Nero fuhr sich übers Gesicht und drückte die Blondhaarige dann für einen Moment an sich und küsste sie auf die Stirn.

„Mach dir keinen Kopf. Das wird schon.“ Obwohl sie von Neros Vergangenheit wusste, war sie sich sicher, dass er das Richtige tat. Er würde sich nie im Leben auf jemanden einlassen, schon gar nicht auf einen Mann, wenn er sich nicht hundertprozentig sicher sein konnte, dass er diesem Menschen vertrauen konnte. „Wenn du ihm vertraust, dann mach dir keine Gedanken.“, sagte sie, bevor sie sich von ihm löste und aus der Küche gehen wollte. „Und Nero, denk nicht an die Vergangenheit. Leb dein Leben jetzt und wenn Ares einen großen Teil dessen einnimmt und er dir gut tut, dann lass es zu.“ Sie lächelte aufmunternd und gesellte sich wieder zu Micha und Erke, die sich schon gewundert hatten wo sie abgeblieben war.

Just in diesem Moment klingelte es schon wieder an der Haustüre.

Ein Blick auf die Uhr am Radio verriet ihm, dass es tatsächlich schon halb zehn war. Ares hatte es dann anscheinend tatsächlich früher aus der Arbeit geschafft.

 

Vermummt und mit Schneeresten bedeckt, stapfte Ares die Treppe nach oben. Der Aufzug hatte ihm wohl zu lange gebraucht.

„Es ist… a-arschkalt.“, bibberte der junge Mann und betrat zitternd die mollig warme Wohnung.

Nero schmunzelte bei Ares‘ Anblick. Den Schal hatte er bis über die Nase gezogen, die Hände tief in die Taschen seines Wollmantels gesteckt und ein paar Haarsrähnen hatten sich aus seinem Zopf gelöst und hingen ihm feucht ins Gesicht.

„Dann ab ins warme Wohnzimmer.“, grinste Nero und stand ein wenig unbeholfen an der Wohnungstüre. Er war tierisch nervös, obwohl Ares nicht einmal etwas getan hatte außer in die Wohnung zu kommen. Nero war unsicher, was er jetzt tun sollte. Einfach so umknutschen konnte er ihn nicht. Nicht ohne zu wissen, was zwischen ihnen Sache war.

Die eiskalten Finger aneinander reibend, fing Ares an zu grinsen. „Glaub mir, irgendwann kommt ein kleines Heinzelmännchen und stibitzt dir den Kamin aus dem Wohnzimmer und stellt ihn bei mir zu Hause auf.“ Er zwinkerte keck, drückte Nero leicht an sich und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange.

Ein Kichern entkam ihm bei dem Gedanken, wie Ares in grün-roten Klamotten und einer Zipfelmütze in seinem Wohnzimmer werkelte um den Ofen aus der Wohnung zu holen. Dieses Bild würde ihm für die nächste Zeit wohl nicht mehr aus dem Kopf gehen, allerdings glitt sein Gedanke keinen Augenblick später in eine komplett andere Richtung, die alles andere als lustig war. Ein Kuss auf die Wange? War das Ares‘ Ernst? Zwei Tage vorher hatte er ihn teilweise fast verschlungen und nun tat er so, als wäre nichts gewesen?

‚Okay, Nero. Zu viel gedacht und zu viel erhofft. Lass es auf sich beruhen, wahrscheinlich war an dem Ganzen eh nichts dran.‘, dachte sich der junge Mann und folgte Ares ins Wohnzimmer, wo sich dieser vor den Ofen auf den Boden gesetzt hatte um sich aufzuwärmen.

„Hm… irgendwie….“, Ares drehte den Kopf und besah sich den am Fenster stehenden Christbaum.

„Er war’s“ Nero deutete auf Micha und lachte auf. „Ich hab’s nicht verbrochen.“

„Hey!“, beschwerte sich Tenna lachend. „Ich hab die Kugeln geschleppt.“

„Stimmt und den Baumständer.“ Alle lachten und ein entspannter Gesichtsausdruck machte sich auf Ares‘ Gesicht breit.

„Sieht schön aus.“, meinte er ein wenig leiser als sonst. „Ich glaub, das letzte Mal hatte ich einen Baum vor zehn Jahren.“

Micha streckte Nero grinsend die Zunge raus. „Siehste! War also doch eine gute Idee von uns.“

„Ich sag ja schon gar nichts mehr.“ Nero schmunzelte. Es war wirklich ein schöner Baum. Er verströmte einen zarten Duft eines Nadelwaldes und beleuchtete das abgedunkelte Zimmer in sanften Rot- und Goldtönen. All das hatte etwas Beruhigendes an sich. Die Wärme des Kamins steuerte ihren Teil zur allgemeinen Behaglichkeit bei. „So, wer sitzt noch auf dem Trockenen?“ Alle fünf hoben wie auf Kommando die Hand. Nero nickte wissend und blickte die beiden leeren Weinflaschen auf dem Tisch an. Der Plätzchenteller von Tenna war auch ratzeputz verschlungen worden. „Wehe ihr habt dann keinen Hunger mehr auf Chili.“, drohte er grinsend in die Runde, während er die nächste Weinflasche entkorkte.

„Keine Sorge“, meinte Ares während er sich erhob. „Mein Magen hängt mir in den Knien.“ Er lächelte leise uns nahm einen kleinen Schluck Rotwein und nickte bestätigend. „Guter Tropfen.“

Nero konnte darauf nichts weiter als ein halblautes ‚danke‘ nuscheln, ehe er wortlos in die Küche verschwand und das Baguette in Scheiben zu schneiden begann.

In sich hineingrummelnd stand er an der Arbeitsfläche, ein scharfes Brotmesser in den Händen und war drauf und dran das Weißbrot in Stücke zu häckseln.

‚Arschloch‘, dachte Nero bei sich und seufzte deprimiert auf. ‚War ja auch zu schön um wahr zu sein`. Er schüttelte leicht den Kopf. Eigentlich wollte er jetzt nicht daran denken, dass das kurze zwischen Ares und ihm, was auch immer es gewesen war, anscheinend nicht mehr vorhanden war. Zumindest war kein Anzeichen irgendeiner Zuneigung zu erkennen. Allerdings war es Nero lieber dass er es jetzt wusste, ehe er sich noch ein paar Wochen länger den Kopf zerbrochen hätte, ob es denn nun etwas Ernstes zwischen ihnen gab, oder nicht. Immerhin musste er sich nun auch keine Gedanken mehr darüber machen, ob Ares mit ihm ins Bett wollte oder nicht. Überhaupt war das Single sein viel besser. Unkomplizierter, stressfrei. Er konnte tun und lassen was er wollte, war nicht gebunden und wenn er Lust auf eine Bettgeschichte hatte, konnte er sich ein beliebiges Mädl aus dem Kessel mit nach Hause nehmen. ... So zumindest stellte sich Nero die ganze Sache vor. Die Vorstellung allein jedoch, machte das drückende Ziehen in seiner Brust nicht erträglicher.

„Scheiße…“, fluchte der Schwarzhaarige. Es knallte laut als er das gezackte Messer auf das Schneidebrett sausen ließ. Eine Millisekunde später spürte er eine raue Hand auf der seinigen.

„Vorsicht. So ein Finger ist schnell ab.“, murmelte Ares hinter ihm, die Hand immer noch auf Neros, welcher die Hand nur noch fester um den Messergriff schloss und tief durchatmete. ‚Beruhige dich… Nicht an Weihnachten. Lass dir den Tag nicht von ihm verderben‘, dachte sich der junge Mann und lockerte seinen Griff, bis er das Messer endgültig los ließ und sich auf der Arbeitsfläche aufstützte.

„Ist alles okay?“ Ares stand direkt hinter ihm. Nero spürte die von ihm ausgehende Wärme.

‚Lass dich nicht einlullen. Er wird dich genauso verarschen‘. „Ja, alles okay.“, meinte er monoton, wollte sich aus der Umarmung lösen, aber Ares wich nicht aus, machte ihm keinen Platz und stand nun nur ein paar Zentimeter von ihm entfernt.

Ares hob langsam eine Hand an Neros Wange, welcher sein Gesicht in die entgegengesetzte Richtung drehte und abblockte.

‚Nein…‘, dachte er bei sich. ‚Ich lass mich nicht veräppeln‘.

Ares hingegen glaubte Nero nicht recht, dass alles in Ordnung war. Er benahm sich eigenartig. Abweisend, auf eine gewisse Art sogar fast unfreundlich.

„Irgendwie… kauf ich dir das nicht ab.“, meinte Ares offen und senkte seine Hand. Ließ seine Hände jedoch zu beiden Seiten Neros auf der Arbeitsfläche abgestützt. Nero konnte also noch immer nicht ausweichen und wie es den Anschein hatte, würde Ares ihn auch nicht gehen lassen, ehe sie nicht miteinander gesprochen hatten.

In Nero brodelte es, allerdings konnte er in dem Moment, in dem er sprach, seiner Wut keinen Ausdruck verleihen. Ein ganz anderes Gefühl ließ seine Worte an die Oberfläche dringen.

Traurigkeit.

„Ich lass mich nicht verarschen.“ Nero sah Ares nicht an. Er blickte immer noch zur Seite und wünsche sich, wie vor ein paar Tagen schon einmal, fort aus diesem Raum.

„Ich… was?“ Ares war verdutzt. Er konnte sich nicht vorstellen, wen Nero damit meinte, aber irgendetwas stimmte nicht an der Art wie er es sagte.

Nero schluckte. ‚Bleib ruhig‘, ermahnte er sich.

„Ich lass mich von dir… nicht verarschen.“, murmelte er stockend. Er fühlte sich erbärmlich. Wie ein kleines Kind stand er da, konnte Ares nicht ansehen und benahm sich wie… wie eine sitzengelassene Frau.

Ares zog langsam eine Augenbraue nach oben. Blickte sein Gegenüber verdattert an und wusste im ersten Moment nicht, was das alles sollte.

„Warum verarschen?“, fragte er dann allerdings leise nach. Er wollte nicht, dass die anderen ihr Gespräch mitbekamen. „Ich wüsste nicht, dass ich das tue…“

Nun war es Nero der seine Augenbrauen nach oben zog und Ares ungläubig anblickte. „Ernsthaft?“ Nero hätte fast gelacht und blickte in ein noch verdutzteres Gesicht.

Ares zuckte nur mit den Schultern. „Ich versteh dich gerade echt nicht.

„Du kommst an und…“ Nero hob kopfschüttelnd die Hände und versuchte sich irgendwie zu erklären, aber es kam nicht sehr viel dabei heraus. „Ein Bussi auf die Wange? Ist das dein Ernst?“ Mehr konnte Nero nicht mehr sagen. Er war fassungslos.

Ares entgleisten die Gesichtszüge.

Der Schwarzhaarige schüttelte den Kopf. Er wollte einfach nur aus der Küche, sich ins Wohnzimmer setzen, den Abend genießen und Ares am liebsten aus der Wohnung komplimentieren, bevor ihm die Hutschnur riss.

„Verliebt… ist klar.“ Nero fuhr sich durch die Haare. „Ich bin es echt leid immer als Depp dazustehen.“ Nero versuchte an Ares vorbei zu kommen, doch dieser sah ihn an und berührte ihn leicht am Arm. Bedeutete ihm somit zu bleiben.

„Nero, jetzt warte mal.“, meinte er nachdrücklich. Er war nicht laut geworden. Ganz im Gegenteil. „Ist es dir lieber ich reiß dich an mich und knutsch dich erst mal um, bevor ich auch nur ‚Hallo‘ sagen kann?“, fragte Ares ruhig und sah Nero in die Augen. Zumindest versuchte er es, denn Nero blickte auf den Boden und ließ keinen Augenkontakt zu. „Das kann ich mir irgendwie nicht ganz vorstellen.“, sagte er leise und ließ Neros Arm los.

Nero ging in diesem Moment nicht aus der Küche. Er blieb wo er war. Nein, er wollte nicht umgerissen und abgeknutscht werden. Zumindest jetzt noch nicht.

„Nein.“, nuschelte Nero. „Aber so ein… wie soll ich sagen,“ er suchte nach Worten. „So ein Freundschaftsbussi muss ich jetzt auch nicht gerade haben.“ Er schwieg einen Moment. „Ich mag keine halben Sachen.“

Ares schmunzelte daraufhin. Ihre Blickte trafen sich und Nero musste ebenfalls leicht grinsen.

„Ich auch nicht.“, meinte Ares dann und nahm wieder seine Hand. „Und ich kann mich ja auch nicht nur in die eine Hälfte von dir verlieben.“ Er grinste. „Ganz oder gar nicht und in deinem Fall nehme ich lieber alles, bevor ich gar nichts habe.“

Dem Schwarzhaarigen blieben die Worte im Halse stecken. Er wusste nicht was er darauf sagen sollte, geschweige denn, ob er Ares‘ Worten Glauben schenken konnte. Es wäre zu schön, wenn das alles wahr wäre, nur er sah auch keinen Grund, warum er Ares nicht glauben sollte. Er hatte ihm bisher, eigentlich, keinen Anlass gegeben, dass sein Vertrauen in ihn erschüttert hätte.

„Ich wusste nur nicht, wie du reagierst, wenn ich dich einfach abknutsche.“ Ares wurde ein wenig rot um die Nase und es war ungewohnt, Ares so verlegen zu sehen.

Nero zuckte daraufhin die Schultern, nahm seine Hand aus Ares seiner und legte ihm die Arme um den Nacken. „Wahrscheinlich so.“, flüsterte Nero und legte seine Lippen auf die seines Gegenübers.

Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinab, als er Ares‘ Hände an seiner Hüfte spürte, die ihn ein kleines Stück näher zogen, sein Herz schneller schlagen und seine Gedanken langsam wegdriften ließen.

Sie waren so in ihrer eigenen, kleinen Welt gefangen, dass sie nicht gemerkt hatten, wie Tenna, Micha und Erke aus dem Wohnzimmer gekommen waren und nun neben dem Türrahmen standen und in die Küche lugten.

Mehr als eine beringte Hand Neros und Ares‘ zu einem Zopf zusammengebundenen Haaren, konnten sie zwar nicht erkennen, aber das reichte um Nero einen deutlichen Rotschimmer auf die Wangen zu zaubern.

„So Jungs.“ Tenna klopfte an den hölzernen Türrahmen und versuchte irgendwie ernst zu klingen, doch es gelang ihr nicht so recht. „Genug geturtelt, wir haben Hunger.“, meinte sie und ließ sich lautstark auf einen der Stühle sinken.

 

Die beiden ließen langsam voneinander ab. Ares grinste und auch Nero konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, auch wenn er sich mehr ertappt fühlte, als man es ihm wohl ansah.

Immer noch in Ares‘ Umarmung stehend und die Arme weiterhin um dessen Nacken liegend, blickte er in ihre Richtung und nickte. „Schon gut, schon gut. Ich will euch mal nicht verhungern lassen.“

Die Umarmung lösend holte Nero die Suppenkelle aus der Besteckschublade, während Ares vor sich hin lächelnd den Tisch deckte.

Tenna zwinkerte ihm nur zu, während sie alle um den Tisch Platz nahmen und sich mit Heißhunger über Neros Chili her machten.

Erke wedelte sich mit der Hand Luft zu. „Oh Gott… Kind du bringst uns noch alle ins Grab.“, keuchte er. Das Chili war wohl doch etwas schärfer geworden, als Nero beabsichtigt hatte.

Nero grinste. „Es soll ja auch nach Chili schmecken und nicht nach Tomatensuppe, oder?“ Erke allerdings traten die Tränen aus den Augen und er konnte im Augenblick nichts sagen. Mit einem entschuldigenden Blick an seinen Kumpel holte Nero eine Packung Milch aus dem Kühlschrank und schenkte Erke ein Glas ein.

„Ich glaub eher, dass ich das nicht mehr gewohnt bin.“ Der Älteste lächelte matt und tupfte sich mit einem Taschentusch die Tränen von den Wangen.

„Muss wohl so sein.“ Ares schmunzelt. „Ist eher recht mild.“

Tenna kicherte vor sich hin. „Der Koch hat gesprochen, also muss es ja so sein.“ Sie zwinkerte Ares zu und machte sich über ihren Teller her. „Schmeckt ausgezeichnet.“

 

Eine gute halbe Stunde später saßen die fünf plaudernd in Neros Wohnzimmer. Die nächste Weinflasche wurde entkorkt, die Flasche Met für Micha war ebenfalls fast leer und Tennas mitgebrachte, selbstgebackene Plätzchen waren auch schon verputzt worden, sodass Nero seine geheimsten Vorräte hervorholen musste und er wusste, warum er sie nicht herausgeholt hatte, allerdings fragte er sich, wieso er sie nicht gleich weggeworfen hatte.

„Nero…“ Micha hustete, da er sich an einem Brösel verschluckt hatte. „Mit den Dingern könntest du jemanden erschlagen.“, lachte er.

„Ich weis…“ Nero seufzte auf und klopfte mit einem Plätzchen in der Hand auf den Tellerrand. „Oh je. Derjenige ist danach reif für‘n Sarg.“ Ein Kichern drang aus seiner Kehle und er schüttelte den Kopf.

„Dann wissen wir ja schon, woran wir bis nächstes Jahr zu üben haben.“ Ares schmunzelte. „Ich bring dir Backen bei.“

„Und kochen, hast du gesagt.“ Nero blickte in die Runde und erntete verwirrte Blicke. „Was denn? Ich kann ja wohl kaum mein Leben lang von Nudeln, Pizza und Reis leben, oder? Ziemlich ungesund, wenn man das mal so bedenkt.“ Meinte der junge Mann unbekümmert an seinem Glühwein nippend.

Tenna nickte langsam. „Wo ist Nero?“, fragte sie argwöhnisch. „Wo hast du ihn versteckt? Im Schrank? Unterm Bett oder der Couch?“ Sie grinste. Was Ares in so kurzer Zeit mit ihrem Kumpel gemacht hatte, war der hellste Wahnsinn. Sie erkannte ihn kaum wieder. Nero hatte nie etwas dagegen gehabt, Pizza, Nudeln und Reis zu essen. Ob es nun ungesund war oder nicht, war ihm auch relativ egal gewesen, wenn man bedachte, dass er mindestens zwei Liter Kaffee am Tag trank und gut eine Schachtel rauchte, machte die Pizza es auch nicht noch schlimmer.

„Neee, der hängt irgendwo draußen an einem Fahnenmast. Irgendwie ist er mir auf die Nerven gegangen, weist du?“ Nero sah Tenna ernst an. „Willst du ihn suchen? Ich weis nicht, ob ihn der Wind schon weggeweht, oder der Schnee ihm den Rest gegeben hat.“ Er lachte und erntete einen bösen Blick seiner besten Freundin. Er wusste, dass sie solche Scherze nicht leiden konnte. „Keine Sorge, ich sitz schon noch hier.“

„Wird ja wohl gut sein.“ Sie nickte lächelnd, während sie genüsslich an ihrem Glühwein nippte und sich zum wiederholten Male die Zunge verbrannte.

„Himmel verdammt. Das nächste Mal trink ich den Mist kalt.“, fluchte sie leise auf und fing sich ein paar erstaunte Blicke ein. „Ja ist doch wahr! Irgendwann sind meine Geschmacksknospen total zerstört.“, grummelte sie beleidigt.

„Die wachsen doch wieder nach.“, meinte Ares leichthin, ohne sich Gedanken über die Wirkung seiner Worte zu machen. „Brauchst du Eiswürfel?“

„Nee, bei dem Glück, das ich habe, bekomm‘ ich höchstwahrscheinlich noch Frostbeulen.“ Schallendes Gelächter hallte im Wohnzimmer wieder und auch Tenna konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

 

Nero lief, zum wiederholten Male an diesem Abend, ein kalter Schauer den Rücken hinab und eine leichte Gänsehaut zog sich über seine Arme. Er saß entspannt auf der Couch, Ares neben ihm, welcher ihn leicht am Rücken, in Höhe seines Beckens kraulte. Nicht fest und auch nicht aufdringlich, doch die Berührung an dieser Stelle ließ Nero kurz erzittern. Er empfand es nicht als unangenehm. Im Gegenteil. Es war irgendwie entspannend. Die Wärme und der Wein trugen ihren Teil dazu bei, dass sich der junge Mann einfach rundherum wohl fühlte. Auch die negativen Gedanken, welche er noch ein paar Stunden zuvor gehabt hatte, waren wie weggeblasen.

Er hatte nur nicht die Rechnung mit Micha gemacht, welcher mit einem Ruck den Arm in die Höhe riss und mit dem Zeigefinger auf Ares deutete.

„DU.“, meinte er ernst und kniff die Augen zusammen. „Wenn du den Kleenen nicht glücklich machst, versenk‘ ich dich im See.“, drohte der Rothaarige und sah Ares finster an.

Völlig perplex blickte Ares ihn an, sah dann zu Nero, welcher schief grinsend mit den Schultern zuckte. Er war in diese Sache nicht eingeweiht. Er hatte keine Ahnung, was Micha, Erke und Tenna ausgeheckt hatten.

„Keine Sorge.“, meinte Ares leise, hob abwehrend die Hände und kam sich vor wie im falschen Film. Er wurde zwar schon das ein oder andere Mal bedroht, aber dass ihn jemand versenken wollte, war selbst für ihn neu. Mal ganz abgesehen davon was die drei unter ‚nicht glücklich‘ machen verstanden, war ihm ebenfalls nicht ganz klar. Es konnte alles heißen.

„Gut.“, nickte Micha zufrieden. Er verzog keine Miene. „Ich wollte das nur mal klargestellt haben.“

Ares hingegen sah immer noch ziemlich verdattert drein und sagte lieber vorerst nichts mehr. Er musste das erst einmal verdauen.

 

Es war schon sehr spät, als die drei ihre sieben Sachen zusammengepackt und in ihre eigenen vier Wände verschwunden waren.

Ares saß zusammengesunken in einer Couch-Ecke und hatte die Augen entspannt geschlossen. Er war kurz davor einzuschlafen. Die letzten beiden Tage waren anstrengend gewesen. Als er von Nero nach Hause gegangen war, hatte er noch eingekauft und war erst sehr spät eingeschlafen. Der darauffolgende Tag war anstrengend gewesen. Weihnachtsgesellschaften zu bekochen war immer mit viel Stress und Organisation verbunden. Und selbst an diesem 24. Dezember war sein Arbeitstag höllisch aufreibend gewesen. Er merkte die Anstrengung in jeder Faser seines Körpers und er wollte einfach nur noch schlafen. Ares war Nero äußerst dankbar, als er ihm ein Handtuch brachte und ihn dabei leicht hochschrecken ließ.

„Uhm, `tschuldige.“, nuschelte Ares leise und fuhr sich müde über das Gesicht, erhob sich und gab Nero einen sanften Kuss. „Ich beeile mich.“, meinte er noch und schlurfte ins Badezimmer.

Nero schmunzelte vor sich hin. Ares so platt zu sehen war irgendwie niedlich. Die kleinen, müden Augen, der Schlafzimmerblick. Zum knuddeln.

 

Eine halbe Stunde später lagen die zwei frisch geduscht unter den Decken. Ares war schon fast am Einschlafen ehe er sich auf die Seite drehte und Nero ansah, welcher steif auf dem Rücken lag und sich sichtlich unwohl fühlte.

„Alles okay?“, murmelte Ares schläfrig und streichelte mit einer Hand leicht über Neros Arm.

Sein Kopf drehte sich langsam und er zuckte nur die Schultern. Irgendwie wusste er auch nicht so recht was los war. Sie hatten schon oft genug in einem Bett geschlafen, nur waren sie zu der Zeit noch nicht zusammen gewesen. Das war es wohl. Es war der Moment in dem Nero tatsächlich befürchtete, dass Ares ihn angrabbeln würde.

„Ich… wir…“ Nero stammelte unverständlich vor sich hin. Nein, er konnte es nicht aussprechen. Er wollte Ares nicht schon wieder mit der gleichen Leier kommen, dass er keinen Sex wollte und auch wenn Ares nicht einmal im Ansatz Anzeichen machte, dass er mit ihm schlafen wollte, hatte Nero dieses ungute Gefühl in sich und just in diesem Augenblick rutschte Ares ein kleines Stück näher zu ihm heran. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast.

„Nero, erstens hab ich zu viel getrunken und zweitens bin ich viel zu müde um überhaupt noch einen hoch zu bekommen.“, meinte er ruhig und blickte Nero in die Augen, welcher ihn einfach nur anstarrte und kein Wort heraus bekam. „Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht.“ Nun zwinkerte er. „Entspann dich, ich hab dir doch gesagt, dass ich nichts tue, was du nicht willst.“

So direkt hatte Nero das auch noch nicht zu hören bekommen. Er hatte das Gefühl, dass er sich tatsächlich einfach zu viele Gedanken machte.

„Sorry.“, murmelte der junge Mann leise und lächelte schwach.

Ares erwiderte sein Lächeln und küsste Nero flüchtig, ehe er die Augen schloss. „Schlaf gut, Sweety.“, kam es genuschelt von ihm und keinen Augenblick später war der Ältere eingeschlafen.

Auch Nero fielen von dem vielen Wein nach einer kurzen Weile die Augen zu und er verfiel in einen unruhigen Schlaf.

 

Albträume plagten ihn die gesamte Nacht. Er wälzte sich hin und her, merkte nicht einmal, dass er laut aufschrie und plötzlich hellwach und in kalten Schweiß gebadet im Bett saß. Sein Atem ging stoßweise und ihn überkam eine plötzliche Übelkeit, die ihn aus dem Schlafzimmer springen und ins Bad rennen ließ, ehe er sich übergab.

Nero zitterte am ganzen Körper. Er versuchte sich auf zu richten, doch seine Knie waren weich wie Pudding. Er hielt sich an der hohen Heizung fest und sank wieder zurück auf den harten Fliesenboden.

Heiße Tränen rannen ihm die Wangen hinunter. Nero zog die Beine an den Oberkörper, schlang seine Arme darum und lehnte seinen Kopf an die Wand hinter sich. Er fühlte sich so… schäbig. So klein. Wehrlos. Beschmutzt. Benutzt. … Wertlos. Und das aufsteigende Bedürfnis diese Gefühle wieder loszuwerden wurde von Sekunde zu Sekunde stärker.

‚Nicht… Du hast es ihr versprochen.‘, dachte er sich nur und krallte seine Fingernägel in seine Unterarme. Er durfte dem Drang, sich dem süßen Schmerz der Rasierklinge hinzugeben, nicht nachgeben.

„Scheiße!“, heulte er auf und sank nur noch weiter in sich zusammen.

Nero hatte nicht bemerkt dass Ares bestürzt in der Badezimmertüre aufgetaucht war. Die Haare standen ihm zu Berge und als er Nero so in sich zusammengesunken auf dem Boden sitzen sah, gefror ihm fast das Herz in der Brust. Wie er da saß. Wie ein Häufchen Elend und als sein Blick auf Neros Hände fiel, wie sie sich in seine Arme krallten fühlte er sich plötzlich einfach nur hilflos.

„Nero.“, meinte er leise und machte einen Schritt auf ihn zu, doch der Angesprochene schien ihn gar nicht wahr zu nehmen. Die Tränen wurden mehr, das Schluchzen immer lauter.

Ares ging vor Nero in die Knie, versuchte seinen Blick zu erhaschen, doch Neros Augen schienen leer zu sein und durch ihn hindurch zu sehen. Der junge Mann griff langsam nach Neros verkrallten Händen, an denen die Knöchel schon weiß durchschienen.

„Nicht, Nero.“, sagte er sanft und löste die Finger aus Neros Oberarm. Nahm seine Hände in die seinigen und nun blickte Nero auf. Die Augen gerötet und verquollen, die Lippen bebend und die Haare hingen ihm schlaff ins Gesicht. Die Qual stand ihm ins Gesicht geschrieben und Ares wusste sich keinen Reim darauf zu machen.

Nero war schon einmal vor ihm zusammengebrochen, doch so etwas wie jetzt, hatte er noch nicht erlebt.

„Er soll aufhören…“, flüsterte Nero gequält. Der nächste Tränenschwall überströmte seine feuchten Wangen.

Ares fragte Nero, wer womit aufhören sollte, doch er blieb ihm die Antwort schuldig. Stattdessen zog er seine nackten Beine noch weiter an sich heran. Versuchte sich noch kleiner zu machen und konnte sich nicht beruhigen.

„Komm…“, sagte der Ältere und versuchte seinen Freund auf die Beine zu ziehen, welcher sich schwer tat gerade stehen zu bleiben. Sich mit der einen Hand an der Heizung fest hielt und von der anderen Seite von Ares gestützt wurde, welcher ihn langsam ins Wohnzimmer auf das Sofa bugsierte. Die Plüschdecke lag auf einer Lehne und er legte sie über Nero und sich selbst. Nahm seinen Freund in die Arme, welcher sich dankend an ihn lehnte und eine Hand in Ares‘ T-Shirt verkrallte. Er hockte da wie ein kleines Kind. Die Beine weit an den Körper gezogen, das Kinn auf die Brust gesenkt.

Ares hatte seine Arme fest um Nero geschlungen. Hielt ihn einfach und hoffte, dass die Tränen, die sein T-Shirt durchnässten bald aufhörten zu fließen. Er traute sich nicht, noch einmal zu fragen was passiert war, aber so wie es den Anschein hatte, war es ein Albtraum gewesen, der Nero so aus der Bahn geworfen hatten. Aber selbst ein ‚normaler‘ Albtraum, brachte einen nicht so auf. Zumindest Ares hatte bis dahin noch keinen solchen gehabt. Allerdings konnte es auch gut sein, dass er diese Tatsache verdrängt hatte.

Es dauerte keine halbe Stunde, dann war Nero wieder in einen unruhigen Schlaf gedriftet. Er zitterte, verkrallte sich noch weiter in Ares‘ Hemd und murmelte unverständlich vor sich hin. Doch selbst dieses unruhige Gemurmel war nach einer weiteren halben Stunde verstummt und Nero lag ruhig und entspannt in Ares‘ Armen. Auch dem Älteren fielen, nachdem er bemerkt hatte, dass Nero sich entspannt hatte, die Augen zu. Er träumte nicht, aber er hatte auch nicht das Gefühl, dass er fest geschlafen hatte, denn beim Aufwachen fühlte er sich als wäre er von Pferdehufen am Kopf getroffen worden. Ein Dumpfer Kopfschmerz breitete sich langsam aber stetig aus. Doch dieser Schmerz war nicht gleichzusetzen mit dem, wenn er zu viel getrunken hatte.

Nero lag nicht mehr in seinen Armen als Ares die Augen aufschlug, doch er roch Kaffee und Zigarettenrauch. Nero konnte also nur in der Küche sein, mutmaßte er und erhob sich noch ein wenig schlaftrunken und tapste schwerfällig in die Küche.

 

Nero stand abwesend an der Arbeitsfläche. In der einen Hand hielt er eine heiße Tasse Kaffee in der anderen seine Zigarette. Dass die Tasse seine Hände verbrühte, merkte er nicht einmal.

Er starrte aus dem Fenster in der Hoffnung seine Antworten würden dort draußen liegen, doch das Einzige was dort draußen war, war eine kalte, weiße Wüste aus Schnee und Eis. Das Schneetreiben ließ die Welt vor dem Fenster so unwirklich wirken wie in einem endlosen Traum. Ohne Oben. Ohne Unten. Und genauso fühlte er sich gerade. Als würde er in einem luftleeren Raum schweben.

Ares blieb für einen Moment im Türrahmen stehen. Wenn er an die zurückliegende Nacht dachte und Nero so apathisch starrend dort stehen sah, tat ihm das Herz weh. Er wusste zwar nicht, was geschehen war, doch dieser hilfesuchende Blick, die tränenüberströmten Wangen, die Finger die sich in seinen Unterarm krallten. Dieses Bild würde nicht so schnell aus seinem Kopf verschwinden. Wohl nicht ehe er den Grund all dessen erfahren würde.

„Guten Morgen.“, sagte Ares leise. Sah wie Nero flüchtig zusammenzuckte und sich dann lächelnd zu ihm umdrehte.

„Morgen.“, meinte Nero mit einem Lächeln, das nicht ihm gehörte. Er zwang sich dazu, denn er wollte Ares nicht belasten. Wollte Ares keinen Grund zur Sorge geben. Er wollte keine Fragen hören, die er ihm nicht beantworten wollte obwohl er es gekonnt hätte. Nein, es war zu früh. Viel zu früh um alle Karten offen auf den Tisch zu legen. Er wusste zwar, dass er es nicht ewig für sich behalten konnte doch bevor Nero ihm irgendeine Geschichte erzählte die nicht wahr wäre, hielt er lieber seinen Mund.

Mit einer langsamen Bewegung holte Nero eine zweite Tasse aus dem Küchenschrank und füllte den frisch aufgebrühten Kaffee hinein. Er blickte zur Türe, in welcher Ares immer noch regungslos, nur in Unterwäsche dastand, doch, anders als noch vor zwei Tagen, als Ares aus der Dusche gekommen war, schlug sein Herz keinen leisen Takt schneller. Nero hatte das Gefühl, nichts zu fühlen. Diese stille Gleichgültigkeit, die sich in ihm ausbreitete. Eine Kälte, die er so lange in sich gefühlt hatte, dass sie ihm ein ständiger Begleiter geworden war. Seit ein paar Wochen, war das anders geworden. Die Kälte hatte sich verflüchtigt. Langsam nur, aber sie war ein wenig weniger kalt geworden, doch nun nahm sie wieder an Intensität zu und er wusste auch warum.

Ares war eindeutig nicht der Grund. Grund war das, was er geträumt hatte. Was ihm all die Jahre zuvor wiederfahren war. Ares hingegen war der Grund, warum diese innerliche Kälte langsam abgenommen hatte.

 

Die Tasse in Händen haltend, trat er auf Ares zu, reichte ihm das Heißgetränk ehe er den Blick senkte. Er konnte ihm nicht in die Augen sehen. Das, was in der Nacht geschehen war, hätte Ares nicht mitbekommen dürfen.

„Ich kann nicht hier drin bleiben.“, murmelte Nero leise, immer noch den Blick gesenkt haltend. Er musste raus hier. Frische Luft schnappen und auf andere Gedanken kommen. Nero wusste nicht, wie er sonst den Tag überstehen würde und an einem Weihnachtsfeiertag wollte er nicht depressiv in seinem Wohnzimmer sitzen. Schon gar nicht wenn Ares bei ihm war. Das wäre kein sonderlich guter Start in eine so frische Beziehung.

Ares hob sachte Neros Kinn an und sah ihm in die Augen, welche mit roten Adern durchzogen waren. Sie blickten traurig, waren über die Nacht hinweg matt geworden. Dieser unverwechselbare Glanz und dieser wunderbare smaragdene Schimmer waren verschwunden.

Mit seinem Daumen streichelte er sanft über Neros weiche Lippen und nickte. „Okay, ich zieh mir nur was an.“ Meinte Ares leise, ehe er mit seiner Kaffeetasse in Neros Schlafzimmer verschwand und angezogen wieder heraus kam.

 

Eine gute halbe Stunde später gingen sie schweigend nebeneinander her, während der Schnee immer noch leise um sie herum zu Boden rieselte. Ihre Haare immer nasser und ihre Nasen immer kälter werden ließ.

Sie spazierten am Ufer eines nahegelegenen Sees entlang. Nero war hier oft unterwegs, wenn er seine Gedanken ordnen musste, oder einfach nur an die frische Luft wollte. Auch Picknicks hatten Micha, Erke, Tenna und er schon öfter veranstaltet. Einfach entspannt beieinander sitzen, reden, ein oder zwei Bier trinken.

Nur dieser Augenblick war anders. So völlig anders. Wenn er hier war um sich wieder zu beruhigen, war er grundsätzlich allein hier. Doch nun war Ares bei ihm.

Sie standen nebeneinander am Seeufer, blickten auf das gewellte, spröde Eis vor sich. Die Äste der Bäume, die rund um den See wuchsen, hingen schwer vom Schnee nach unten. Vereinzelt erkannte man Spuren von Schlittschuhen auf der gewellten Oberfläche.

Nero zog sich den Schal fester um den Hals. „Es tut mir leid.“ Sein Murmeln wurde von einer Windböe fast davon getragen.

„Braucht es nicht.“, meinte Ares schwach lächelnd und griff langsam nach Neros Hand und hielt sie nur ganz leicht fest. Drehte sich in seine Richtung und blickte seinen Freund an. „Passiert das öfter?“, fragte er dann vorsichtig. Er wollte nicht zu weit gehen und ihn löchern. Das hatte er sich gestern gesagt. Er würde ihn nicht ins Kreuzverhör nehmen. Wenn Nero ihm etwas erzählen wollte, würde er das tun, hoffte er zumindest.

Nero schüttelte den Kopf. „Früher ja, mittlerweile ist es besser geworden.“ Seine Stimme war leise und er wollte nicht mehr weiter darüber reden. Er wollte auch nicht mehr darüber nachdenken. Noch vor zwei Jahren hatte er fast jede Nacht so zugebracht und es war ihm bis heute ein Rätsel, wie er seine Ausbildung letztes Jahr geschafft hatte. Er war jede Nacht schweißnass aufgewacht, hatte sich übergeben müssen und hatte den Rest der Nacht kaum Schlaf gefunden. Es war ein Wunder, dass er gestern überhaupt wieder ein Auge zu bekommen hatte. So schlimm war es, trotz allem, seit Jahren nicht mehr gewesen.

Ein besorgter blick traf Nero und er fühlte sich schlecht. Er hatte Ares keine Sorgen machen wollen, doch wie es aussah, tat er es doch und allein dieser Gedanke weckte in ihm schon wieder Schuldgefühle.

„Ares…“, fing Nero an, schüttelte den Kopf und sah ihn gequält an. „Ich will nicht… ich kann nicht…“ stammelte er und fand keine Worte um das auszudrücken, was er sagen wollte.

Ares legte ihm sachte einen Finger an die Lippen und lächelte matt. „Ich weis.“, meinte er nur. „Du musst mir nichts erklären.“, sagte Ares und trat einen kleinen Schritt auf ihn zu. „Vertrauen muss sich aufbauen, das ist nicht von vornherein da.“

Wieder traf Nero dieses verständnisvolle Lächeln und nach Ares‘ letztem Satz hätte er am liebsten zu weinen angefangen. Nero hatte das Gefühl als könnte Ares seine Gedanken lesen. Es war nicht so, als würde Nero ihm nicht vertrauen. Würde er es nicht tun, würde er nicht hier mit ihm stehen, würde er Ares nicht in seinem Bett schlafen lassen und hätte ihn nicht geküsst. Und er wäre gestern… Nero traf es fast wie ein Blitzschlag. Dieser letzte Gedanken verwirrte ihn auf der einen Seite und auf der anderen machte es ihn einfach nur glücklich. Er wäre gestern nicht wieder eingeschlafen, hätte Ares ihm nicht das Gefühl von Geborgenheit gegeben. Hätte er ihn nicht so festgehalten, er wäre zu nichts mehr im Stande gewesen. Nicht einmal dazu, aus dem Badezimmer zu gehen.

Ares zog seinen Freund langsam ein kleines Stück näher. Nero sah etwas verstört aus und blickte sich um, ob auch niemand um sie herum war, doch es war weit und breit keine Menschenseele unterwegs.

„Hast du jemanden, dem du…“ Ares suchte kurz nach Worten. „Dem du das alles erzählen kannst? Ich mein, das, was dich so aus der Bahn bringt.“, fragte er und sah Nero an, welcher leicht nickte und es zuließ, dass Ares ihn in die Arme zog.

Er lehnte sich langsam gegen ihn und vergrub sein Gesicht an Ares‘ Hals. Er duftete immer noch nach Patchoulie.

„Tenna.“, sagte er leise. „Sie ist die Einzige.“, vollendete er seinen Satz und seufzte leise. „Ich brauch nichts zu sagen… Sie weis es auch so.“, nuschelte er und blickte in Ares‘ Augen, welcher etwas verwirrt dreinsah. „Als wäre sie meine Seelenverwandte.“ Nero grinste schräg. „Das war irgendwie schon immer so.“, meinte er und sah Ares lächeln, welches der Schwarzhaarige nun auch wieder erwidern konnte. „Danke, für gestern.“

Es tat gut, wieder ein echtes Lächeln lächeln zu können und Ares schien das wohl ebenfalls gemerkt zu haben. Er küsste Nero flüchtig und drückte ihn an sich.

„Ich will nur dass es dir gut geht.“, meinte er, streichelte Neros Wange sachte. „Und dass du jemanden hast, der dir beistehen kann.“, sagte Ares zuletzt.

Sie standen einen Moment in ihrer Umarmung in dem wieder einsetzenden Schneegestöber, ehe Ares lächelnd aufsah.

„Hast du Hunger?“, fragte er dann, denn sein eigener Magen machte langsam Zicken und verlangte nach etwas zu Essen und auch Nero schien es nicht anders zu gehen, was sein Nicken bestätigte. „Sehr gut.“ Und schon marschierte Ares zielstrebig los und hielt Nero immer noch an der Hand, welcher ihm hinterher stolperte und dann betreten auf den Boden blickte.

Das mit dem Händchenhalten in der Öffentlichkeit war ihm absolut unangenehm und das schon seit er denken konnte. Er hatte es nicht so damit, seine Zuneigung in aller Öffentlichkeit kund zu tun und das schien Ares wohl auch bemerkt zu haben, denn er ließ seine Hand los und ging vor sich hin schmunzelnd weiter durch das immer stärker werdende Schneegestöber.

 

Nach diesem kalten Vormittag und dem absolut leckeren ‚Frühstück‘, welches aus heißem Kakao und Kuchen bestanden hatte, war Nero froh wieder in seinem warmen Wohnzimmer zu sein doch die depressive Stimmung kam in genau diesem Moment wieder zurück, als die beiden seine Wohnung betraten. Irgendwie lag ihm dieser Traum immer noch im Magen und er konnte nichts dagegen tun, allerdings wusste er nun auch nicht weiter.

Der Tag war zu schön um Ares einfach so nach Hause zu schicken und ihm, sozusagen, die Türe vor der Nase zuzuschlagen, doch er wollte ihm auch seine Laune nicht antun, allerdings konnte er Ares nicht nötigen den ganzen Tag bei dieser Kälte in der Weltgeschichte herum zu laufen. Irgendwann würden sie Frostbeulen bekommen.

Somit saßen die beiden, nachdem Nero noch ein Kanne Kaffee gemacht hatte, wieder einmal auf seiner Couch. Das Kaminfeuer prasselte und zischte vor sich hin, während Ares und Nero einfach nur dasaßen.

Eine ganze Zeit lang sagte keiner von beiden auch nur ein Wort, bis Ares ihm eine Frage stellte, die den jungen Mann aus seinen trüben Gedanken erwachen ließ.

„Wann hast du Tenna eigentlich kennengelernt?“, fragte er langsam. „Wenn du sagst, sie ist so etwas wie eine Seelenverwandte, musst du sie ja schon ewig kennen, oder?“ Ares bemerkte ein Lächeln auf Neros Lippen und ein zaghaftes Kopfschütteln.

„Nein, überhaupt nicht.“, meinte Nero, lehnte sich langsam entspannend zurück und schwelgte in Erinnerungen und begann zu erzählen. „Ich war 16, als wir uns im Kessel getroffen kennengelernt haben. Ich muss wohl ziemlich verloren ausgesehen haben, weil sie irgendwann vor mit gestanden und mir ein Bier in die Hand gedrückt hat. Sie hat so breit gegrinst, dass ich gedacht hatte, dass sie stockbetrunken sein musste, aber das war sie anscheinend nicht.“ Nero musste nun ebenfalls zu grinsen anfangen, als er sich diesen Abend ins Gedächtnis rief. Das war schon eine eigenartige Situation gewesen.

Ares hörte aufmerksam zu und musste kichern. Ja, Tenna und ihr breites Grinsen. Es schien manchmal, als könnte sie nichts aus der Ruhe bringen, außer heißem Glühwein. Aber ein ganz anderer Gedanke machte sich plötzlich breit.

„Die haben dich mit 16 reingelassen?“, fragte er ungläubig mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Na ja…“ Nero zuckte nur mit den Schultern und fing sich einen argwöhnischen Blick. „Ich hab niemanden bestochen, erstochen oder sonst etwas…“, verteidigte er sich schmunzelnd und sag Ares‘ Grinsen und erzählte weiter. „Irgendwann sind wir uns sogar auf der Straße über den Weg gelaufen und ja, keine Ahnung, Tenna konnte sich an mich erinnern und hat mich einfach so angesprochen. Ob ich denn öfter im Kessel wäre und so.“ Er warf seinem Freund einen vielsagenden Blick zu.

„Jaa, das kommt mir durchaus bekannt vor.“, lachte er. „Tenna scheißt sich aber auch gar nichts. Einfach Leute auf der Straße ansprechen, das würde mir im Traum nicht einfallen.“

„Mir auch nicht“, meinte Nero. „Außer ich bin betrunken und falle so komischen, schwarzhaarigen Typen in die Arme.“, ein noch breiteres Grinsen zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab und Nero wurde in Ares‘ Arme gezogen.

„Stimmt und dann sitzt dieser komische, schwarzhaarige Typ auch noch auf deinem Sofa und trinkt Kaffee.“ Ares zwinkerte und küsste Nero flüchtig, ehe dieser weiter erzählen konnte.

„Na, wie auch immer. Im Kessel haben wir uns dann immer öfter getroffen, irgendwann Nummern ausgetauscht und so hat das alles seinen Lauf genommen.“ Nero lehnte an Ares‘ Seite und lächelte leise vor sich hin. Ja, das waren damals recht schöne Zeiten gewesen. Tenna hatte ihm sogar bei seinen Schularbeiten geholfen. Ihn abgefragt und nicht locker gelassen. Ja, er hatte Tenna wirklich viel zu verdanken.

„Und was ist mit Micha und Erke?“, fragte Ares nach. Er fand es interessant, wie sich diese Freundschaft entwickelt hatte. Völlig unvoreingenommen, wie es den Anschein hatte. „Mal ganz abgesehen davon… Das mit dem Kessel irritiert mich. Hat sich da keiner drum gekümmert, dass du rechtzeitig zu Hause bist?“ Er sah, wie sich Neros Gesicht langsam verdüsterte und setzte zu einer Entschuldigung an.

Nero winkte nur ab und fuhr mit seiner Erzählung fort.

„Micha und Erke haben wir in Leipzig getroffen. Tenna hat mich damals mit aufs WGT genommen, bis wir drauf gekommen sind, dass Micha und Erke auch hier, so mehr oder weniger, um die Ecke wohnen, hat es fast drei Monate gedauert.“ Nero lachte. „Frag mich nicht warum, die zwei haben uns ums Verrecken nicht sagen wollen wo sie wohnten. Ich weis auch bis heute nicht warum, aber wahrscheinlich… na ja, du sagst auch keinem Wildfremden wo du wohnst, oder?“

Ares schüttelte den Kopf. „Nein, das tu ich tatsächlich auch nicht.“ Er hatte einen Arm um Nero gelegt und kraulte leicht über seine Schulter.

„Und naja…“, setzte der Jüngere langsam an. „Ich war grundsätzlich um Mitternacht wieder im Wohnheim, was hätten die Betreuer da groß sagen sollen?“

Ares zog eine Augenbraue nach oben. Wohnheim? Das war ihm selbst nach über einem halben Jahr noch neu. Nero hatte in einem Wohnheim gelebt? Er hatte nie auch nur ein Wort darüber verloren. Doch wenn er darüber nachdachte, sprach er nicht über seine Vergangenheit. Mit keinem einzigen Wort hatte er etwas erwähnt, was darauf schließen lassen würde.

„Und die haben dich ohne Murren in den Kessel gehen lassen?“, fragte er ungläubig.

„Spinnst du? Glaubst du im Ernst ich hab denen gesagt wo ich hingehe? Die hätten mich wahrscheinlich eingesperrt.“ Wieder musste er grinsen. Er war damals um keine Ausrede verlegen gewesen. Sogar Tenna hatte schon als Alibi-Freundin herhalten müssen, aber das brauchte Ares nicht zu wissen.

Ares zuckte daraufhin langsam die Schultern und schüttelte den Kopf. „Wie lange hast du denn dort gewohnt?“, fragte er dann vorsichtig. Er hatte keine Ahnung ob und wenn ja, was er in Nero mit dieser Frage auslösen würde, denn die lockere Stimmung, die im Augenblick herrschte, wollte er durch diese Frage nicht zerstören.

„Nur zwei Jahre. Ich bin dort weg, als ich Volljährig war.“, sagte er daraufhin nur. Nero wollte nicht zu viel erzählen, denn es würde von einem zum nächsten kommen. Nein. Nero konnte es Ares nicht erzählen. … Noch nicht.

„Dann lebst du seit einem Jahr alleine?“ Ares drückte Nero noch ein wenig an sich und küsste ihn sacht auf die Schläfe. „Respekt. Ich kenn einige, die sich selbst mit Mitte zwanzig noch von Mutti verhätscheln lassen.“

„Nein… zum Glück ist es nicht so. Ich bin ganz froh dass es so ist, wie es ist.“, Nero rang sich ein Lächeln ab und schmiegte sich in Ares‘ Umarmung. „Ich habe alle Freiheiten der Welt, was gibt es Schöneres?“

Ja, was gab es Schöneres. Ares stimmte seinem Freund absolut zu. Auch er war froh, alle Freiheiten der Welt zu genießen. Sich von niemandem etwas sagen lassen zu müssen. Trotz allem überwog die Traurigkeit der Vergangenheit ab und zu, jedoch nicht so oft wie es anscheinend bei Nero der Fall war. Es interessierte ihn, was Nero so häufig aus der Fassung brachte, doch er traute sich nicht ihn zu fragen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass es weit mehr war, als Nero durchscheinen ließ. Er war immerhin nicht umsonst in einem Wohnheim untergekommen. Wo hatte er davor gelebt? Hatte er, außer von Tenna, von irgendwem Unterstützung erhalten? Ares hatte so viele Fragen, die er sich nicht stellen traute und selbst wenn, hatte er von Nero wohl keine Antwort zu erwarten. Selbst nach den neun Monaten, die sie sich nun kannten, konnte er verstehen, warum Nero nicht aus dem Nähkästchen plauderte. Ares selbst tat es immerhin auch nicht. Und ganz gleich was es war, was Nero vom Erzählen abhielt, es würde seinen Grund haben und Ares hatte nicht das Recht neugierig herumzustochern. 



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