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Walking in a Winter Vampire-Land

von

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Es war tiefste Nacht. Der Vollmond strahlte förmlich am sternenklaren Himmel. Eine einsame Gestalt bahnte sich ihren Weg durch die eisige Kälte. Der Name des einsamen Wanderers war Etienne. Bei jedem Schritt knirschte der tiefe Schnee unter den improvisierten Schneeschuhen. Um ihn herum war es still. Alle Tiere hatten sich vor der bitteren Kälte in ihre Behausungen zurückgezogen. Nicht einmal Wölfe waren zu sehen oder zu hören.

 

Leise fluchte die vermummte Gestalt vor sich hin. Warum hatte er auch nicht auf die Tankanzeige geachtet, bevor er losfuhr...

Er schüttelte den Kopf. Natürlich wusste er warum. Als Etienne wütend nach einem Streit das Haus verlies, wollte er einfach nur raus und Abstand zwischen sich und seinem Vater haben. Und das so schnell wie möglich. Wer achtet da schon auf die Tankanzeige des Schneemobils?

Etienne ganz offensichtlich jedenfalls nicht.

Fast musste er lachen, bei der Vorstellung, wie er aus dem Haus stürmt, gepackt in seine wärmsten Winterklamotten und zuerst das Schneemobil in aller Seelenruhe in der Garage betankt, während sein Vater Wutentbrannt neben im steht.

 

Ja sicher...

 

Wieder fluchte er leise vor sich hin. Etienne war in eine tiefe Schneewehe geraten und beinahe gestrauchelt. Das fehlte ihm gerade noch, in dieser Eiseskälte zu stürzen und zu einem Eisblock zu gefrieren. Dabei konnte er schon froh sein, überhaupt so was wie Schneeschuhe zu haben. Es waren alte Skier, längst kaputt und ohne die passenden Stiefel eigentlich nicht zu gebrauchen. Aber mit etwas Seil und Geduld hatte er es geschafft, sie trotzdem an seinen Füßen festzumachen. Andernfalls wäre er wohl kaum drei Schritte vorangekommen.

‚Worum ging es eigentlich bei den Streit?’ Etienne grübelte darüber nach, aber es fiel ihm partout nicht mehr ein. Er wusste nur noch, dass er nicht im Haus bleiben konnte. ‚Also wahrscheinlich das übliche’, vermutete er.

 

Er seufzte leise. Warum hatte er nicht wenigstens das Notfallpaket dabei? Eine Rettungsdecke, das Thermozelt und den Anzünder hätte er jetzt gut gebrauchen können. Normalerweise steckten die Sachen in der Seitentasche. Aber nein, wenn man die Sachen wirklich mal brauchte, waren sie natürlich niemals zur Hand.

Na ja, er war ja selber schuld. Hätte er das Notfallset nicht letzten Monat rausgenommen, um mehr Platz für den Einkauf zu haben und dann hinterher vergessen es wieder einzupacken... Er war selbst schuld, wie gesagt. Er hatte noch nie Probleme gehabt, warum sich also Sorgen machen, hatte er damals gedacht. Tja, keine besonders kluge Einstellung in einer so einsamen Gegend, kurz vor dem nördlichen Polarkreis im Winter...

 

Auf einer Anhöhe blieb er stehen, zog seine Skibrille vom Gesicht und sah sich um. Etienne versuchte sich an den Bäumen, Hügeln und Sternen zu orientieren.

Wenn seine Sinne noch nicht komplett eingefroren waren, dann sollte hinter dem nächsten Berg eine Hütte stehen, stellte er mit Erleichterung fest. Es gab einige davon in dieser Gegend, die verirrten Wanderern Schutz bieten sollten, falls sie von Schneestürmen überrascht wurden.

Gut, er war nicht wirklich überrascht worden, zumindest nicht von einem Schneesturm, eher von seiner eigenen Dummheit, aber Schutz brauchte er trotzdem.

Nach dem er jetzt die Richtung wusste, rückte er entschlossen seinen Schal zurecht und machte sich wieder auf den Weg.

 

 
 

***

 

Etienne hatte Glück im Unglück. Seine Erinnerung hatte ihn nicht betrogen und die Schutzhütte war tatsächlich nur noch einen kurzen Marsch entfernt gewesen. Was aber noch besser war, es war nicht einfach nur eine Schutzhütte, sondern sogar ein Gasthaus.

 

Als er die beleuchteten Fenster von weitem erblickt hatte, wurde ihm ganz anders zu mute. Er schöpfte tatsächlich Hoffnung, heute doch nicht als Eisblock zu enden. Jippie!

Was er jetzt brauchte, war ein schönes Kaminfeuer und eine warme Mahlzeit im Bauch. Beides würde ihn hoffentlich erwarten, wenn er durch diese Tür ging. Vielleicht auch eine Schlafstätte, die nicht nur aus einer harten Holzbank in der Schankstube bestand. Und wenn er besonders viel Glück hatte, sogar einen Ersatzkanister Benzin, mit dem er am Morgen sein Schneemobil wieder flott machen konnte. Er versuchte seine Erwartungen nicht allzu hoch zu schrauben, aber ganz unterdrücken konnte er sie nach dem langen Marsch in der Kälte auch nicht.

 

Die Schneeschuhe abzulegen war noch umständlicher, als sie an seinen Füßen zu befestigen. Minutenlang versuchte er mit den behandschuhten Fingern die Knoten aufzubekommen, verlor dann die Geduld und zog sie aus. Seine nackten Fingen wurden nahezu sofort eiskalt und steif, aber es gelang ihm immerhin die Schneeschuhe endlich abzubekommen. Schnell streifte er die Handschuhe wieder über, bevor noch vor Kälte das letzte Gefühl aus ihnen wich und öffnete die Tür zur Gaststube.

 

Er hätte in einem Western stecken können. Sofort wurde es still und alle drehten sich zu ihm um. Seine Skibrille beschlug von der Wärme, die ihm entgegen strömte. Von irgendwo aus dem Gastraum rief jemand „Tür zu, die ganze Wärme geht raus!“ Etienne stolperte fast über seine eigenen Füße, als er sich beeilte, der Aufforderung nachzukommen.

Dann zog er Brille und Mütze vom Kopf, fuhr sich einmal mit den Händen durch die Haare und drehte sich wieder zum Gastraum um. Inzwischen waren die leisen Gesprächsfäden der anderen Gäste wieder aufgenommen worden und keiner schenkte ihm mehr besondere Beachtung.

Hinter dem Tresen kam ein Mann hervor, der sich die Hände mit einem Geschirrtuch abwischte, bevor er ihm die Hand hinstreckte. „Willkommen, Chagall ist mein Name. Womit kann ich dienen?“

Er hatte einen leichten Akzent, den ich nicht einordnen konnte. Er kam mir bekannt vor... woher bloß?

 

Etienne wollte gerade seine Hand ergreifen, da fiel ihm auf, dass er ja noch die Handschuhe anhatte. Mit einem kleinen entschuldigenden Grinsen zog er sie aus, bevor er seine warme Hand ergriff. Sein Gehirn musste wohl doch leicht eingefroren sein.

„Danke, Chagall. Ich bin nur froh, dass ich die Hütte gefunden habe. Eine furchtbar kalte Nacht ist das heute.“ Etienne schüttelte sich, trat den Schnee von den Stiefeln und zog seinen Mantel aus.

„Viel zu kalt, um sie draußen in der Wildnis zu verbringen“, nickte er zustimmend. „Selbst die Wölfe bleiben heute in ihrem Bau.“

„Worüber ich auch sehr froh bin. Das war schon unheimlich, keine Geräusche außer meinem Atem und dem knirschenden Schnee unter meinen Füßen zu hören...“

Chagall legte ihm freundschaftlich eine Hand auf die Schulter und führte Etienne zum Kamin, in dem ein munteres Feuer loderte. Er zeigte auf die Kleiderhaken links daneben an der Wand. „Hier kannst Du Deine Sachen aufhängen. Dann werden sie nicht auskühlen, bis Du sie wieder überziehst.“

„Was hoffentlich nicht allzu bald sein wird“, grinste Etienne.

Der Wirt lächelte. „Sei unbesorgt, wir haben genug Feuerholz für einen ganzen Winter und Verpflegung für mehrere Wochen. Selbst wenn wir heute Nacht noch eingeschneit werden, braucht keiner von uns zu frieren oder zu hungern.“ Er gab dem müden Wanderer noch mal einen aufmunternden Klaps auf den Rücken und zog einen Stuhl für ihn ans Feuer. „Setz Dich erstmal und wärme Dich auf. Ich hole was, das Dich auch von innen Aufwärmen wird.“ Er grinste verschmitz und zwinkerte ihm zu. Dann ging er wieder in Richtung Tresen davon. Etienne schaute ihm nach und sah sich dann im Schankraum um.

Überall waren Kerzen an den Wänden und auf den Tischen verteilt. Auf den Tischen vor den anderen Gästen standen irdene Krüge, scheinbar voll dampfender Flüssigkeit, da sie ab und zu an den Krugen nippten. Es waren aber weit und breit keine Teller mit Essen zu sehen. Auch keine Bestecke oder Servietten, die dafür sprachen, dass hier gespeist worden war. Hmmm. Scheinbar hatte sich diese gesellige Runde nur auf ein paar Drinks und zum Plauschen hier eingefunden.

 

‚Ich frage mich’, dachte er, ‚wie lange sie wohl schon hier sitzen.’

Er stutzte und kniff die Augen leicht zusammen. Jetzt wo er darüber nachdachte, draußen waren ihm keine Fußstapfen oder Fahrzeugspuren aufgefallen. Es waren vor der Hütte auch keine Skier oder Schneefahrzeuge zu sehen gewesen. Wie waren die Leute also hierher gekommen?

Er ließ erneut seinen Blick über die Ansammlung an Leuten wandern. Als eine gutaussehende Rothaarige plötzlich den Kopf hob, so als hätte er sie gerufen, und zurückstarrte, wandte seinen Blick wieder ab.

Vielleicht war das eine Reisegruppe, die einen Abend oder eher eine Nacht Abenteuer in einer alten Kaschemme mitten im Nichts erleben wollte. Ganz sicher, und am nächsten Morgen würde ein Reisebus sie abholen. Ganz bestimmt... Etienne schnaubte. Ja, sicher und im Himmel ist Jahrmarkt.

Aus den Augenwinkeln schaute er wieder verstohlen zu der Gruppe hinüber. Obwohl, vielleicht war es doch nicht ganz so unwahrscheinlich. Keiner von denen schien aus der Umgebung zu sein. Ein schneller Blick zu den Kleiderhaken offenbarte ihm eine kuriose Ansammlung aus Pelzen, Gehröcken und Umhängen. Ja, ganz sicher nicht aus dieser Gegend...

Er wandte sich wieder dem Kaminfeuer zu und streckte seine Hände aus. Seine Fingerspitzen waren immer noch wie aus Eis.

„Hier, der geht aufs Haus, unsere Spezialität für lange Winternächte. Du siehst halb erfroren aus.“ Chagall tauchte plötzlich unbemerkt neben ihm und hielt ihm einen Krug, genau wie den der anderen Gäste im Raum, hin.

Erschreckt zuckte Etienne zusammen, nahm dann aber dankbar den Krug entgegen und schnupperte an der dunklen, heißen Flüssigkeit. Der bloße Geruch ließ ihn leicht schwindeln. Mit seinem Kreislauf stand es wohl nicht zum Besten nach der Kälte. Er nahm einen Schluck von der heißen Flüssigkeit und keuchte auf.

Chagall klopfte ihm grinsend den Rücken. „Starker Stoff, das Einzige was einen hier in der Gegend warm hält. Heißer Würzwein. Mein Geheimrezept“, sagte er stolz und überlies ihn wieder sich selbst.

Keuchend holte Etienne Luft. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn er bei ausatmen Feuer gespien hätte. Er versuchte einen Hustenanfall zu unterdrücken. Mit mäßigem Erfolg. Wasser stieg ihm in die Augen und krampfhaft versuchte er den Krug nicht fallen zu lassen. Immerhin hatte der Wirt Recht behalten. Jetzt WAR ihm Warm geworden. Durch und durch. Die Flüssigkeit musste ohne Umwege direkt in seine Adern gelangt sein und brannte sich ihren Weg durch seinen Körper. Etienne nahm noch einen Schluck, diesmal vorsichtiger. Ja, es ging ihm definitiv besser.

Das Getränk tat richtig gut. Er wurde langsam wieder etwas lockerer und lehnte sich zufrieden an die Rücklehne, um nun die Füße zum Feuer auszustrecken.

 
 

***

 

Etienne musste eingenickt sein. Sein Kopf war ihm auf die Brust gesunken und der Nacken fühlte sich ganz steif an. Wie spät es inzwischen wohl war? In der Hütte gab es nirgends eine Uhr und die anderen Gäste machten noch lange nicht den Eindruck, irgendwann in naher Zukunft aufbrechen zu wollen.

Dafür machten sie einen Höllenlärm. Sie erzählten sich wilde Geschichten über Begegnungen mit riesigen Wölfen, Stürme auf offener See und tobende Schlachten. Er hörte nur mit halbem Ohr zu, immer noch leicht schläfrig vom warmen, knisternden Feuer vor ihm und dem starken Gebräu im Krug.

Dunkel erinnerte er sich daran, dass er den Wirt doch noch wegen Treibstoffes oder einer Mitfahrgelegenheit fragen wollte, aber im Augenblick fühlte er sich einfach zu wohl, um sich darüber groß Gedanken machen zu wollen. Irgendwas würde sich am Morgen schon finden. Und wenn er mit dem Postboten mitfuhr.

 

Dann ging die Eingangstür auf und ein Schwall kalter Luft weckte ihn aus seiner Trance.

Etienne drehte sich genau wie die anderen im Raum nach dem Neuankömmling um, halb in Erwartung es wäre sein Vater, der seinen Spuren im Schnee gefolgt war, aber es waren zwei ihm unbekannte Männer. Sie legten gerade unter großem Hallo der anderen Gäste ihre Hüte und Mäntel ab, warfen diese einfach über den nächstbesten Stuhl und setzen sich zu den anderen auf die Bank.

Schon kam Chagall an und stellte ihnen zwei Krüge auf den Tisch.

„Lestat“, begrüßte einer der anderen den blonden Mann. „Wir hatten schon nicht mehr mit euch gerechnet.“

Der angesprochene nahm einen tiefen Zug aus seinem Krug. „Ich auch nicht, “ grinste er fröhlich. Er deutete auf seinen Begleiter. „Bis Luis mal in die Gänge kommt vergeht ne ganze Weile. Nächstes Mal wecke ich ihn schon einen Tag vorher, damit er pünktlich aus den Federn kommt.“ Er prostete Luis zu.

Der blickte bloß gelangweilt drein und widmete sich seinem Krug. „Sei froh, dass ich überhaupt mitgegangen bin“, murmelte er leise vor sich hin. „Warum mache ich mir überhaupt die Mühe...“

Lestat schüttelte missbilligend den Kopf. „Luis, Luis, Luis, versuch doch mal ein bisschen Spaß im Leben zu haben.“ Kumpelhaft legte er ihm den Arm über die Schultern und stieß ihn leicht an. Luis schüttelte den Arm ab. Zornig starrte er zu Lestat hinüber. „Ich hatte ein Leben!“

„Oha“, sagte die Rothaarige seufzend und drehte sich von den beiden mit einem genervten Ausdruck im Gesicht weg. „Und es geht los.“

„Ich hatte eine Familie, ein Zuhause, eine Zukunft!“ Scheinbar redete er sich jetzt in Rage, mit jedem Punkt seiner Aufzählung war dieser Luis lauter geworden und schlug am Ende mit der Faust auf den Tisch. Der krachte und wackelte bedenklich, weshalb alle schnell nach ihren Krügen griffen, um sie in Sicherheit zu bringen.

Bist du sie mir weggenommen hast“, äfften einige leise Stimmen vor sich hin.

„Bist du sie mir weggenommen hast!“

Hmmm, scheinbar hatte dieser Luis regelmäßig solche Anfälle, wenn seine Bekannten den Ablauf schon auswendig kannten.

„Ach Luis“, seufzte dieser Lestat milde lächelnd, „ich bot dir nur eine Wahl, die ich nie hatte. Du hättest auch ablehnen können.“

„Besser wäre es gewesen“, flüsterte einer der weißhaarigen Männer, dem anderen zu. Der angesprochene seufzte nur, wandte den Blick von Luis ab und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Krug. Sie saßen beide mit dem Rücken zum Feuer und ihre Gesichter waren deshalb von seinem Blickwinkel aus kaum zu erkennen. Aber ihre Haut hatte etwas... Pergamentartiges an sich.

Ich lasse dir eine Wahl, die ich nie hatte“, äffte nun dieser Luis seinen Begleiter nach. „Hah, als wenn ich eine gehabt hätte.“

Der Blonde verschränkte die Hände ineinander und stütze sein Kopf darauf. „Luis, Luis, Luis, immer die selbe Leier...“

„Luis“, sagte eine sanfte Stimme aus der anderen Ecke des Tisches. „Niemand verlangt von dir, dich weiter zu so quälen, wenn das alles zu viel für dich ist.“ Diesmal hatte eine hübsche schwarzhaarige gesprochen.

Der junge Mann, der an ihrer rechten Seite saß nickte zustimmend. „Mina hat Recht, Luis. Setze deine Hoffnung auf das nächste Leben. In den Himmel kommst du eh nicht mehr, du wirst höchstens als Regenwurm wiedergeboren und beginnst den karmischen Kreislauf von neuem.“ Wie im Gebet faltete er die Hände zusammen und blickte mit einem seligen Augenaufschlag gen Himmel, worauf diese Mina ihm einen Stoß verpasste.

„Aua“, beschwerte er sich und rieb sich vorwurfsvoll den Arm.

„Was Alfred damit sagen wollte“, begann Mina und wandte ihren Blick wieder Luis zu, „Geh in die Sonne!“

„Mina!“, entfuhr es der Rothaarigen. Sie war vor Entrüstung halb in die Höhe gefahren und gab nun den Blick auf ein sehr ungewöhnliches Tattoo auf ihrer Stirn frei.

„Was denn?“ fragte Mina völlig ungerührt. „Ich sag doch nur was alle hier denken.“ Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Keiner widersprach ihr.

„Was hätte ich nicht noch alles erleben können“, heulte nun wieder dieser Luis, den die Diskussion um seine Person nicht im Geringsten zu interessieren schien.

Die Rothaarige streichelte ihm über den gesengten Kopf. „Luis-Schatz, denk doch mal dran, wie viel du erlebt hast, was du sonst nie hättest erleben können.“

„Falscher Ansatz, Nefi“, flüsterte Lestat mit einem gequälten Lächeln...

„Aber ich wollte eine Familie!“

 

Schluchzte er tatsächlich auf? Was war denn das für ein Weichei? Die ganze Angelegenheit wurde langsam interessant. Das war noch besser als Kino und diesen zugegeben unfreiwilligen nächtlichen Ausflug alle mal Wert. So als wollte er vor dem Feuer einschlafen kuschelte sich Etienne noch etwas tiefer in seinen Stuhl und drehte sich ein wenig, um besser die Gesprächen belauschen zu können. Das machte das beobachten zwar schwieriger, aber so war er vielleicht auch ein wenig unauffälliger.

 

„Luis-Schatz, du hast eine Familie. Du hast doch uns.“ Diese Zusage hatte ein lautes Schluchzen zur Folge und die Rothaarige legt ihm den Arm über die Schultern und versuchte ihn zu trösten.

„Neferet, ich glaube er spielt auf was anderes an: Sex.“

Man konnte das Holz der Stühle knacken hören, also mussten einige von ihnen sich überrascht aufgerichtet haben. Ein anderer hatte sich verschluckt und hustete nun in seinen Krug.

„Aro, meinst du das im Ernst?“, fragte der junge Mann, der vorher die Karma-Geschichte von sich gegeben hatte. Wie hieß er? Albert?

„Ist er nicht süß?“, fragte die Stimme von seinem Banknachbar in die Runde. „Ach Alfred“, säuselte er. Ok, dann halt Alfred. „Du zeigst mal wieder wie jung du noch bist.“

Ich riskierte einen Blick und runzelte die Stirn. Er sah kaum älter aus, als Alfred, aber trug er echt eine gepuderte Perücke?

„Aber Herbert... ich...“, stotterte Alfred

„Ich werde es dir nachher erklären, Spätzchen.“ Bei dieser Versicherung drehte sich Alfred verlegen zur Seite.

„Bei Nyx, wie alt seid ihr eigentlich?“ fragte Neferet genervt. Doch noch bevor irgendwer antworten konnte hob sie abwehrend die Hände. „Wartet, das war rein rhetorisch, ich will hier keine alten Wunden aufreißen.“

„Viel zu alt!“ heulte wieder dieser Luis auf. Also echt, was war dem sein Problem?

„Zu spät.“ Mina schüttelte mit dem Kopf.

„Luis“, sagte die schnarrende Stimme eines der beiden Alten, „nimm es bitte nicht persönlich, aber du solltest dir Fräulein Minas Vorschlag doch einmal ernsthaft durch den Kopf gehen lassen.“

„Im wahrsten Sinne“, flüsterte der andere.

„Ich unterstütze den Antrag“, sagte Herbert.

„Tja“, antwortete Lestat, „unser Luis hier hat eine sehr zwiespältige Haltung zur Sonne. Unser kleiner Masochist hasst sie einerseits, weil...“

„Weil sie mir das Liebste genommen hat!“ unterbrach Luis verzweifelt.

„Ja, ja, also einerseits hasst er sie aus genannten Gründen, aber andererseits krieg er immer ganz feuchte Augen vor Rührung, wenn er sie auf der Leinwand sehen kann.“

Im Raum wurde es still.

„Echt jetzt?“

„Da fällt mir ein, wo sind eigentlich Beth und Wrath?“, fragte Lestat in die Stille hinein. Da wollte wohl jemand dringend vom Thema ablenken, dachte Etienne innerlich grinsend.

„Stimmt, jetzt wo du es sagst…“, meinte Mina und sah sich kurz im Raum um. „Betsy und Sinclair haben sich auch nicht gemeldet.“

„Ach“, sagte einer der beiden weißhaarigen, „wahrscheinlich hatten beide Paare keine Lust auf die alte Diskussion wer denn nun wirklich der König und die Königin der Vampire sind. Und wir auch nicht, oder?“

„Caius, darauf trinke ich einen“, sagte Aro und stieß mit ihm an.

Herbert hüstelte leise. „Ähh, nein. Das ist nicht der Grund. Ich hab beiden Seiten einfach die Einladung nicht weitergeleitet…“

Neferet erhob sich bedrohlich von ihrem Stuhl und starrte ihn wütend an. „Du hast bitte was gemacht?“

Herbert rutschte fast unter den Tisch.

„Lass nur, Neferet“, sagte Aro beschwichtigend. „Im Grunde hat er doch damit uns allen einen Gefallen getan, oder? Ich meine, jedes Mal dieser lächerliche Streit. Und besonders das Gekeife von Betsy, wenn sie von ihrem Mann verlangt ihr auch so einen großen Rubin zu schenken, wie ihn Beth trägt… Frauen.“ Er schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. „Chagall?“, rief er in Richtung Theke. „Mein Becher ist kalt, bring mir bitte einen neuen Krug.“

„Sofort“, kam prompt zur Antwort.

„Aro hasst es, wenn sein Getränk nicht Körpertemperatur hat“, merkte Caius an.

„Da ist er nicht alleine“, stellte Lestat mit einem missbilligenden Blick in seinen Krug fest.

Mina seufzte. „Chagall bring uns bitte allen neue Getränke, sonst kommen wir heute hier nicht weiter.“

Chagall brummte etwas Zustimmendes. Nur Augenblicke später sammelte er die Krüge von allen ein und stellte frische hin. Auch der Krug von Etienne, der seit seinem Versuch sich schlafend zu stellen auf dem Tisch neben ihm gestanden hatte, wurde ausgewechselt.

„Ich möchte einen Tost ausbringen“, sagte Mina und erhob ihr Glas. „Zum einen danke ich euch allen, dass ihr wieder den weiten Weg auf euch genommen habt, zur Jahresversammlung der Vampirgesellschaft.“

„Hört, hört“, kommentierte Alfred.

„Und zum anderen möchte ich darauf hinweisen, dass ja wohl ich die Königin den Vampire bin. Immerhin ist mein Geliebter der Größte unter uns, der gefürchtete Dracul!“ Zum Ende ihrer Rede wurde ihre Stimme immer lauter und drohender.

Die anderen brummten leise vor sich hin. Es klang wie ‚ja, ja, wir wissen es…‘

Dann räusperte sich Mina und sprach wieder mit sanfterer Stimme weiter. „Und da dies geklärt ist nun der Tost: ‚Geh in die Sonne, Luis! ‘“

„Geh in die Sonne, Luis!“, stimmten alle mit ein. Die Kelche klirrten dumpf, als sie aneinander geschlagen wurden.

Der damit angesprochene ignorierte die anderen und leerte seinen Krug in einem Zug.

„Warum sitzt Argeneau eigentlich da hinten alleine rum?“, fragte plötzlich Herbert.

„Gute Frage, vielleicht traut er sich nicht“, mutmaßte Alfred.

„Hey Argeneau“, schnurrte die leise Stimme von Neferet. „Willst du dich nicht zu uns setzen?“

„Häh?“ Etienne wäre fast vom Stuhl gefallen, als plötzlich die Rothaarige neben ihm auftauchte und mit ihren Fingerspitzen seinen Hals entlangfuhr. „Seit wann bist du so schreckhaft?“, lachte sie leise in sein Ohr. „Sollte der Erfinder von ‚Bloodlust’ nicht etwas... härter im nehmen sein?“

Vor Schreck riss er die Augen auf. Woher kannten die ihn?

Jemand kicherte hinter ihm. „Bring ihn nicht in Verlegenheit, Neferet. Er ist doch vergeben.“

‚Oh ja’, dachte Etienne, ‚und sie wird ziemlich sauer wenn...’

„Und wenn schon“, sagte Neferet beleidigt, „ich fühle mich von ihm ignoriert. Und ich lasse mich nicht gerne von einem gutaussehenden Mann ignorieren...“ Sie setzte sich rittlings auf seinen Schoß und beugte sich vornüber als wollte sie ihn küssen.

Plötzlich war Etienne umringt von allen. „Bleib locker, ist doch nichts dabei...“

„Komm, trink noch einen Schluck...“

„Gefällt es dir nicht bei uns?“

Zwischen all diesem Wahnsinn flüsterte eine leise Stimme „Was würde Rachel dazu sagen?“

‚Rachel!’ Er riss die Augen auf. „Rachel“, keuchte Etienne laut. ‚Oh mein Gott, ich musste hier weg. Zu Rachel. Bevor sie mich einen Kopf kürzer macht...’ Der Stuhl gab unter ihm nach, Etienne verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten...

 
 

***

 

„Rachel! Ich… Au...“

Schmerz begleite sein Erwachen. Etienne hatte sich beim Aufrichten den Kopf gestoßen und hielt sich nun die schmerzende Stirn. ‚Aua’, dachte er ‚keine gute Art aufzuwachen... Wieso war denn der Deckel...’

Plötzlich wurde es hell. Etienne musste sich die Hand vor Augen halten. „Licht aus, das blendet...“

„Etienne Argeneau“, sagte eine feste Stimme über ihm. „Ich fasse es nicht, dass du schon wieder in diesem... Ding geschlafen hast. Kein Wunder, dass du Albträume hattest. Jetzt kommt das Teil aber endgültig auf den Müll, und keine Widerrede!“

„Rachel?“, stöhnte Etienne leise, als er sich aufrichtete. Einige Bücher rutschten von seiner Brust und landeten auf dem Boden neben ihm. Er fühlte mehr, als das er es sah, wie Rachel die Bücher wegnahm. Missbilligend schnalzte sie mit der Zunge, als sie die Titel erkannte.

„‘House of Night‘, ‚Twilight’, ‘Dracula’, ‘Tanz der Vampire’, ‘Weiblich, ledig, Untot’, ‘Black Dagger’... Etienne, du solltest wirklich aufhören diesen Kram zu lesen.“

„Das ist Referenzmaterial für meine Spiele“, antwortete der gescholtene kleinlaut.

Rachel schnaubte abwertend. Sie ließ den Stapel auf Etiennes Schreibtisch fallen. Dann griff sie in den kleinen Kühlschrank, der in der Seite eingebaut war, nahm zwei Beutel daraus hervor und warf sie ihrem Mann zu. „Hier, trink das erstmal und dann komm rauf in die Küche. Frühstück ist fertig und ich muss bald los zur Arbeit.“ Dann verließ sie den Raum.

„Jawohl“, sagte er grinsend. Man musste diese Frau einfach lieben.

Er stand auf, nahm die Beutel und ging Richtung Tür. Hinter ihm knallte der Deckel von seinem Lieblingssarg gerade geräuschvoll wieder zu, als er seine Reißzähne ausfuhr und herzhaft in den ersten Blutbeutel biss.
 

 
 

--- Ende ---
 


 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hand hoch, wer hat kommen sehen, dass Etienne auch einer ist? ;-)

Ich weiß, ist ein ziemliches Sammelsorium an Vampir-Geschichten darin verabeitet, aber ich hatte damals gerade wieder mal eine Vampir-Phase und ich wollte schon immer mal den Spruch ablassen 'Geh in die Sonne Luis!' XD

In diesem Sinne, ich hoffe es hat euch gefallen :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  pluesch_ki-chan
2014-09-19T08:44:15+00:00 19.09.2014 10:44
Geh in die Sonne Luis! XDDD Ich liebe diesen Spruch


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